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Bewertungen
Insgesamt 69 BewertungenBewertung vom 21.02.2024 | ||
Das wunderschöne Nashorn auf goldgelbem Untergrund. Schon das Buchcover verweist auf Afrika. Und dann diese verstörende Geschichte des Jagens. Der Jäger, ein weißer reicher Mann erkauft sich die Jagdlizenzen zur Großwildjagd. The big five und das fünfte angebotene Großwild ist ein Nashorn. Hunter White, der Name des Jägers passt. Und die Geschichte wird aus der Sicht des Jägers erzählt und immer weiter wird die Kette der Kausalität, die individuelle Erklärung des Lust, der Gier und des fast suchtartigen Beutemachens aufgezeigt. Da wird eine archaische, männliche Ausübung von Macht beschrieben, nicht das Töten, sondern die Unterwerfung geben Mr. Hunter den Kick. Und je mehr der Jagdtrieb nachvollziehbar und seine Steigerung in einem spannenden, fesselnden Erzählstil mich als Leserin in den Bann zieht, um so mehr verstört dieser abenteuerliche Streifzug in die Tiefen Afrikas und Gut und Böse vermengen sich. The big six wird zum Höhepunkt und ist zugleich der absolute, moralische Tiefpunkt. Gaea Schoeters hat sich an ein Thema gewagt (angepirscht), das neben der Psyche des Jägers, der Aktion des Jagens, das Töten, so viel mehr im Roman steckt. Da wird ein Stück Kolonialismus deutlich, die Macht des Geldes des weißen Mannes, afrikanische Mystik und zugleich ist der Roman auch eine Hommage an die wunderbare Natur Afrikas, seiner Bewohner und seiner Tiere. Gaea Schoeters schreibt und beschreibt präzise, teilweise in kurzen Sätzen, versteht Spannung aufzubauen und hat mich auf eine besondere Reise mitgenommen. Unbedingt lesen. |
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Bewertung vom 15.02.2024 | ||
Die Hoffnung der Chani Kaufman Diogenes begeistert immer wieder durch seine gelungenen Buchcover. Eine Frau, ein Auge blind hinter dem Liebesapfel verborgen, das andere blickt offen und sieht klar. Eve Harris widmet sich in ihrem zweiten Roman der Fortsetzung der Geschichte des jüdisch-orthodox geprägten Lebens von Chani Kaufmann nach ihrer Hochzeit mit Baruch. Und auch hier spielen die strengen Regeln der orthodoxen Gemeinschaft eine zentrale Rolle. So muss oder sollte eine verheiratete Frau Kinder gebären, streng nach der (Vor)-Schrift: seid fruchtbar und vermehret euch. So wird der Kinderwunsch zum Gebärzwang. Aber die Tora und der Körper von Chani sind eben nicht ganz passgenau. Und hier wird der Konflikt zwischen Religion und persönlicher Wirklichkeit lebendig. Chani und Baruch besuchen in London eine Geburtsklinik, stehen unter Beobachtung der intriganten Schwiegermutter, die bereits heimlich eine Heiratsvermittlerin aufsucht, um ihrem Sohn eine gebärfreudige Jungfrau als Nachfolgerin von Chani zukommen zu lassen. Eve Harris beschreibt dies alles mit der besonderen Brise englischen Humors. Auch das Schicksal der anderen Familienangehörigen, z.b der Aussteigerin aus der abgegrenzten, strengen jüdisch-orthodoxen Gemeinde inmitten von London ist empathisch beschrieben. Als Leserin habe ich viel erfahren aus dieser in sich sehr geschlossenen Religionsgemeinschaft mit ihren vorwiegend von Männern erstellten Regeln und Ritualen. Ein kleiner Wermutstropfen waren für mich die vielen jüdisch/hebräischen Begriffe, die ich immer wieder im Glossar nachschlagen musste und die den Lesefluss leider immer unterbrochen haben. Hier wäre eine Klammern gesetzte Übersetzung oder eine Fußnote besser gewesen. Ansonsten ein sehr lesenswerter Einstieg in eine mir bislang relativ fremde Welt einer Religionsgemeinschaft. Und das Buch kann unabhängig vom ersten Roman gelesen werden. |
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Bewertung vom 08.01.2024 | ||
Nach dem Roman Frankie von Michael Köhlmeier hatte ich mich sehr auf den neuen Roman 'Das Philosophenschiff' gefreut und wurde nicht enttäuscht. Allerdings ist dieser Roman ein völlig anderes Genre - eine Geschichtsfiktion in Zeiten des bolschewistischen Terrors. Als Rahmen des Romans lässt der Autor eine 100-jährige Architektin mit russischen Wurzeln ihre Biografie erzählen und sie bittet einen Schriftsteller um Gehör. Anouk Perlemann-Jacob ist in St. Petersburg geboren und 1922 als 14-jährige zusammen mit anderen Intellektuellen aus dem damaligen Russland ausgewiesen worden. Frau Perlemann-Jacob, eine weltbekannte Architektin ist bloße Fiktion, die sog. Philosophenschiffe gab es 1922 jedoch tatsächlich. Der Export von Groß- und Bildungsbürgern ist in Zeiten von Revolution als Maßnahme humanitärer Vorausschau beschrieben. Egal ob Trotzki, Lenin, Nikolei Gumiljow und viele andere russische Bürger, alle sind den Wirren, dem allgemeinen Misstrauen und dem bolschewistischen Terror ausgesetzt. Michael Köhlmeier beschreibt eine Zeitspanne, die geprägt war von großen Unruhen, schnellen Wechseln, gesellschaftlichen und politischen Ideen und deren Widerstreit. Ein raffinierter Schachzug ist die Idee, Lenin selbst als Exilanten auf das Schiff zu verfrachten. Im Roman tummeln sich zahlreiche russische Persönlichkeiten und ich mache mir nicht die Mühe, sie alle auf ihre real existierende Biografie zu überprüfen, denn die Wahrheit einer Zeit hängt nicht allein an Fakten, sondern auch an möglichen Verknüpfungen. Leider ist die Biografie der Hauptprotagonistin nur auf eine kurze, allerdings turbulente Lebensphase beschränkt. Bei einer 100-jährigen wären sicher noch viele Details erzählenswert. Insgesamt jedoch hat Herr Köhlmeier wieder einmal mit seinen historischen Recherchen einen spannenden und lesenswerten Roman geschrieben. |
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Bewertung vom 27.10.2023 | ||
Alex Schulman nimmt uns mit in eine Zugfahrt, die immer tiefer geht und mehr und mehrt aufdeckt, welche Wirkung die frühen Verletzungen generationsübergreifend verursachen können. Dabei beginnt die Reise mit drei Personen, die zuerst ohne Verbindung den Zug mit dem Zielort Malma besteigen. Oskar, Harriet und Yana besteigen ihre eigene Geschichte (in ihren Zugwagons) in drei Zeitfenstern und langsam koppeln sich diese Erzählabteile sich immer deutlicher aneinander. Alle drei Reisenden haben schweres Gepäck bei sich - die Last der unverheilten tiefen Verletzungen in ihrer Kindheit. Besonders eindrucksvoll und in der Mitte der Generationskette ist die Geschichte von Harriet. Alex Schulman versteht es wie kaum ein anderer mit Empathie und großer Sensibilität, die Verwundbarkeit und die Folgen nicht verheilter seelischer Verletzungen in einen spannend aufgebauten Roman zu verarbeiten. Das ist keine Nabelschau, sondern ein zarter und doch schonungsloser Blick in die Seelen seiner Protagonisten. Eine Zugreise nach Malma als Symbol für eine Reise zu den Schmerzpunkten der eigenen Geschichte. Ich habe das Buch zweimal gelesen und empfehle es uneingeschränkt. |
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Bewertung vom 25.10.2023 | ||
Wieder hat Daniel Kehlmann eine reale historische Figur zum Mittelpunkt seines Romans erwählt. Nach Humboldt oder Tyll erweckt er den in der Weimarer Republik bekannten und hochgeschätzten Regisseur G.W. Pabst zu neuem Leben. Von Anfang an fesselt der Roman als Dokufiktion, eine gelungene Mischung aus tatsächlich belegten Fakten und phantasievoller Prosa, die Daniel Kehlmann als glaubhafte Fiktion aus der sehr gründlich recherchierten Biografie von G.W. Pabst (der große Pabst) und weiteren bekannten Filmgrößen und den weltpolitischen Fakten weiterspinnt. Einerseits dokumentiert er und gibt einen gründlichen Einblick in das Filmschaffen, andererseits füllt er die Zwischenräume mit spannenden Geschichten. Und Pabst war nicht nur ein kreativer Filmemacher, er war wohl auch ein äußerst ehrgeiziger, detailgenauer Produzent, der neben dem Drehen vor allem den exakten Filmschnitt beherrschte. Was macht den Roman nun so besonders? Zum einen sicherlich die Frage der Verführbarkeit, der schleichenden Anpassung an ein System, wenn man seine Ideen verwirklichen will. Welcher Preis oder wieviel Verdrängung ist noch moralisch akzeptabel, wenn die Kunst sich selbst erschaffen will. Ein weiterer Aspekt sind die raffiniert ineinander geschobenen Romanepisoden. Das erinnert an den präzisen Filmschnitt, in welchem einzelne Bilder ohne Bruchstellen miteinander verbunden werden. Am Ende des 2. Weltkrieges geht G.W. Pabst sein 'bester Film' verloren und auch der große Filmemacher verschwindet in der Belanglosigkeit. Ein lesenswerter Roman, nicht nur für Cineasten. |
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Bewertung vom 16.10.2023 | ||
Der Roman von Ivan Sciapeconi beruht auf einer wahren Geschichte der Judenverfolgung in der Nazizeit. Das Buchcover ist genau getroffen - ein kleiner Junge sitzt einsam auf Koffern vor einem Zug. Ein Kind wartet voll Hoffnung auf die Weiterfahrt in das gelobte Land und zugleich sitzt es verloren in einer Zeit, die Juden auf unvorstellbar grausame Art verfolgt und getötet haben. Durch den aktuellen brutalen Überfall auf Israel erhält dieses Buch eine erneute Brisanz, die mich persönlich erschüttert. Doch zurück zum Roman. Natan, ein 11-jähriger Junge wird von seiner Mutter in die Obhut einer Flüchtlingsorganisation gegeben, sie selbst bleibt mit dem Bruder in Berlin zurück. Und sie will ihm den Abschied erleichtern, in dem sie von einer Reise und nicht von einer Flucht spricht. Natan reist zusammen mit anderen Kindern und Jugendlichen zuerst nach Kroatien und dann weiter nach Italien in die Poebene. Hier verbringen die Kinder in der Villa Emma eine längere Zeit, werden von den Dorfbewohnern unterstützt und können so etwas wie einen zeitlich begrenzten Kinderschutz erleben. Don Arrigo, der Dorfpfarrer versucht den heimatlosen, elternlosen, teilweise traumatisierten Kindern eine Zuflucht und ein wenig 'Normalität' zu schenken, bevor sie wieder aufbrechen müssen, da die faschistische Bedrohung auch die Villa Emma erreicht. Was diesen kleinen Roman so besonders macht, ist die Beschreibung der Menschlichkeit in einer unmenschlichen Zeit. Der Schreibstil ist nüchtern und das gibt den Ereignissen dadurch eine dokumentarische Ausrichtung. Auch die am Ende aufgezählten Namen erzeugen Realität und Wahrheit. Dass es immer auch gute Menschen in einer bösen Welt gibt, schenkt Hoffnung und Licht im Dunkeln. |
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Bewertung vom 29.09.2023 | ||
Schon das Buchcover ist ein gelungener Hinweis - da hängt eine angeschlagene Blechtasse an einem rostigen Nagel, leer und sonst nichts. Menachem Kaiser lebt in Toronto und hat seinen Großvater nie kennengelernt, weiß überhaupt wenig von den Wurzeln seiner Familie. Auf einer Reise nach Polen nimmt er den Faden auf und sucht nach dem verlorenen Haus, nach der verlorenen Geschichte. So unfassbar die Verfolgung und Ermordung der Juden im 3. Reich, in der dokumentarischen Spurensuche und durch Kaisers Disziplin der Wahrheitsfindung erhält das Buch eine zeitenüberschreitende Präsenz. Dabei wird auch das heutige Polen mit seiner Bürokratie und Justiz beschrieben, ebenso die eifrigen Schatzsucher, die Erinnerungstouristen und unterirdische Tunnelprojekte. In der Erde und in den Köpfen vergrabene Artefakte, Konzentrationslager vom Gras überwuchert, Mythen und das Graben nach Wahrheiten oder die ersatzweise entstehenden Verschwörungstheorien - Menachem Kaiser geht konsequent immer tiefer hinein in seine Familiengeschichte, verfolgt die Spuren, trifft auf Überraschungen und hat mittels seiner gründlichen Recherche eine sehr persönliche und zugleich allgemeingültige Dokumentation geschrieben. Es ist viel mehr als nur ein Sachbuch, es ist auch eine eindringliche Familiengeschichte, die mir eine Ahnung vom großen Verlust nahegebracht hat und mir den Blick auf die Geschichte erneut geschärft hat. |
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Bewertung vom 08.09.2023 | ||
Vigdis Hjorth widmet sich in ihrem Roman einer Mutter-Tochter-Beziehung, die durch den Weggang der Tochter zu einem absoluten Bruch geführt hat. Der Roman lässt der Tochter keine Chance zur Versöhnung, zu einer echten Begegnung im Jetzt, da die Mutter rigoros jeglichen Kontakt unterbindet. Johanna, die Tochter kehrt nach 30 Jahren zurück in ihre alte Heimat und versucht geradezu verbissen, einen Kontakt zu der Mutter und der Schwester zu erzwingen. Der in Ich-Form geschriebene Roman könnte auch ein Tagebuch über gescheiterte Annäherungsversuche sein. Da fast 400 Seiten lange Monolog der Tochter ohne Resonanz und Rückblicke auf die Sollbruchstellen innerhalb der Familie, ermüdet etwas. Warum Johanna geradezu wie eine Stalkerin die Mutter ihrerseits nicht loslassen kann, warum sie nicht schneller die eigene Kündigung nach der Zurückweisung vollzieht, bleibt ein Rätsel und mir wurde die Tochter zunehmend unsympathisch in ihrer kindlichen Mutterfixierung. Mir fehlte der Schlüssel zum Verstehen, warum Johanna aus ihrem selbst bestimmten, unabhängigen Leben in die Regression eines kleinen Mädchens zurückgeht, um die verweigerte Liebe der Mutter einzufordern. Auch die Hälfte der Seiten hätten den Konflikt bereits ausreichend beschrieben, so meinerseits leider keine Leseempfehlung. |
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Bewertung vom 05.09.2023 | ||
Jeannette Walls hat wieder ein spannendes Buch über eine Frau in einer von Männern dominierten Welt der 20iger Jahre in Virginia geschrieben. Sallie |
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Bewertung vom 30.08.2023 | ||
Das Buchcover und der Titel - wunderbar gelungen - gestempeltes Packpapier, schlicht und als Eigentum deklariert. Wolf Haas trifft seine 95-jährige Mutter im Seniorenheim in den letzten Tagen vor ihrem Tod. Und schon geht es mitten hinein in eine Mutter-Sohn-Geschichte, erzählt in humorvollem und doch hintergründigem Stil. Da wären wir also ist synonym für schicksalhaftes Einfinden in äußere Bedingungen. Die Mutter erzählt abwechselnd im Rückblick Teile ihrer Geschichte. Dabei ist die Sprache der Mutter sehr einfach gehalten, so dass die Sprache des Sohnes sich im Vergleich wortgewandt abhebt. Dies ist sicherlich ein gewolltes Stilmittel, um das schlichte Leben der Mutter zu veranschaulichen. Lebenslängliche Enttäuschungen, Entbehrungen und Rückschläge haben die Mutter zu einer Seufzerin gemacht, eine etwas verhärmte Frau, die doch lebenslang von dem Erwerb von Eigentum angetrieben war und die letztendlich nur ihr 2 qm großes Grab als Eigentum erzielt. Nichts wie sparen, sparen sparen und dann war das Geld hin und damit auch der Traum vom besseren Leben. Wolf Haas lässt seiner Mutter den Raum für ihre Klage und bei allem Humor behält die Mutter auch ihre Würde. Das muss man können. Ich hätte mir noch etwas mehr erzähltes Leben gewünscht, mehr Mutter-Kind-Erinnerungen, aber das kleine Buch steckt auch so voller Erzählkunst. |
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