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Benutzername: 
meany
Wohnort: 
Seligenstadt

Bewertungen

Insgesamt 132 Bewertungen
Bewertung vom 03.09.2024
Die Frauen von Maine
Sullivan, J. Courtney

Die Frauen von Maine


sehr gut

Ein Haus mit Charakter

Alte Häuser haben eine Persönlichkeit und ein Schicksal wie ein Mensch, deshalb bietet das Gebäude auf der Klippe in Maine mit einem Alter von mehreren Jahrhunderten den passenden Rahmen für Einblicke in die Geschichte der amerikanischen Ostküstenstaaten.

Zufällig, aber durch eine eigentümliche Neigung forciert, recherchiert die Archivarin Jane über die Historie der Liegenschaft. Verängstigt durch eine Geistererscheinung will die neue Besitzerin Genaueres wissen, deshalb konsulieren sie auch ein parapsychologisches Medium und einen Antiquitätenhändler. Spiritismus und wissenschaftliche Forschung gehen Hand in Hand, wobei man für die durchaus seriöse Darstellung letzterer ein bisschen Geduld aufbringen muss.

Schließlich treten als vergangene Bewohner die Ureinwohner, die Familie eines englischen Seemanns, eine junge Frau aus der Religionsgemeinschaft der Shaker, eine bildende Künstlerin und am Ende die Gattin eines reichen Industriellen in Erscheinung, deren jeweilige erschütternde Schicksale sie offenbaren und moralisch bewerten.

Parallel zu den Ermittlungen nimmt Janes Alkoholkrankheit ihren tragischen Verlauf.

Die Schicht um Schicht an die Oberfläche gelangenden Einblicke in die Dynamik der nordamerikanischen Historie haben mich sehr berührt und bereichert. Die Geistererscheinungen konnte ich akzeptieren als Anstoß für das Graben nach weiteren Informationen, aber für einen Mysteryroman sind sie zu wenig in sich begründet.

Bei einigen Längen liest sich das Buch flott und angenehm, ich habe es nur nicht so ganz aus einem Guss gefunden.

Bewertung vom 29.08.2024
Darwyne
Niel, Colin

Darwyne


ausgezeichnet

Am Fuße des Himmels

Darwyne ist in vielerlei Hinsicht beeinträchtigt: mit verkrüppelten Füßen und einem wenig ansprechenden Äußeren geboren in einem Slum an Rande des Dschungels bleibt er trotz der Bemühungen seiner durchaus tüchtigen und attraktiven Mutter ein Außenseiter der Gesellschaft. Trost findet er nur in der überbordenden Natur, mit der er regelrecht verschmilzt.

Bei seiner Mutter, die ihr Leben scheinbar im Griff hat, trügt jedoch der äußere Schein, denn zuhause setzt sie ihren zehnjährigen Sohn seelischen Misshandlungen aus. Zusätzlich stellen ihre wechselnden Liebhaber ein Problem dar.

Sehr nahe ging mir die parallele Geschichte der Sozialarbeiterin Mathurine, die Darwynes Leidenschaft für den Urwald teilt und dieses Kind nicht nur schätzt, sondern sogar fasziniert ist von dessen beinahe transzendentalen Fähigkeiten. Dass sie sich der unnatürlichen Technik der In-Vitro-Fertilisation bedient zur Erfüllung ihres drängenden Kinderwunschs, ergibt einen bemerkenswerten Kontrast.

Die Bezeichnung Thriller finde ich irreführend, auch wenn sich die destruktiven Entwicklungen zum Ende hin sehr beschleunigen, wodurch Spannung entsteht, die aber weitab von den üblichen kriminellen Geschehnissen gelagert ist. Ein treffendes Genre fällt mir stattdessen gar nicht ein, aber das Buch hat mich im Innersten erschüttert.

Bewertung vom 19.08.2024
Und dahinter das Meer
Spence-Ash, Laura

Und dahinter das Meer


ausgezeichnet

Freiheitsschule

Der Zweite Weltkrieg entwurzelte viele Kinder, die man zu ihrer Sicherheit in ein anderes Land schickte. Über die deutsch-jüdischen Kinder in Großbritannien schrieb W.G. Sebald in eindrucksvoller Weise. Weniger bekannt war mir, dass britische Kinder vor den deutschen Luftangriffen in die USA flüchteten. Anders als in den meistens gebrochenen Schicksalen findet Beatrix bei ihrer neuen Familie in Boston eine neue Heimat - erst die Rückkehr zu ihrer mittlerweile entfremdeten Mutter verursacht ihr Schwierigkeiten.

Dem Ansatz, allen Individuen gerecht zu werden, entspricht die Einteilung des Werks in mit Namen überschriebenen Kapiteln, die ein Puzzle ergeben und dennoch einen schlüssigen kontinuierlichen Verlauf. Nichts ist vorhersehbar und trotzdem überzeugend, neugierig habe ich mich darauf eingelassen, wobei nicht der einzige spannungsfördernde Faktor die Frage war: "Kriegen sie sich, und wenn ja, wer wen?"

Ein Leitmotiv ist der anhaltende Vergleich der Kriegssituation in Europa mit dem relativen Wohlstand in der Neuen Welt, in der Bea sich frei entfalten und entwickeln kann, während ihre Eltern alle gegebenen Einschränkungen erleiden. Die jeweiligen Schicksalswendungen erfordern einen Akt der Balance zwischen Mut und Verzagen, den nur die Liebe aufrecht erhält, in allen ihren Ausprägungen: "aber darüber schwebt der Schatten von Angst, Zweifel und Verlust". Zutiefst menschlich stellt Spencer-Ash alle Charaktere in ihren Stärken und Schwächen dar und entwirft die Psychogramme voller Sympathie und Respekt.

Dieser Roman bezeugt die Kraft der Liebe in stürmischen Zeiten.

Bewertung vom 11.08.2024
Juli, August, September
Grjasnowa, Olga

Juli, August, September


sehr gut

Die Staubkörnchen im Scheinwerferlicht

Man erlebt den Alltag einer jungen Familie: soweit alles ganz normal, und doch sind einige Faktoren besonders. Sergej ist als Konzertpianist einigermaßen erfolgreich, und trotzdem neuerdings von Zweifeln geplagt, die sich als lästiges Lampenfieber negativ auf seine Darbietungen auswirken. Lou geht mit wechselnder Begeisterung in ihrer Mutterrolle auf, bis die Umstände ihres Judentums, die bisher eine mindere Rolle für sie spielten, in Form eines Familientreffens über sie hereinbrechen.

Die Begegnung findet statt anlässlich eines neunzigsten Geburtstags auf Gran Canaria, aber die Reise führt sie schließlich wegen der neu aufgeworfenen Fragen bis nach Israel, wo sie zu den Wurzeln all der Verwicklungen vorzudringen versucht.

Auf einer zweiten Handlungsebene spürt sie aber auch, wie es im Gefüge ihrer Ehe knirrscht, und schließlich erkennt sie, welche Prioritäten sie setzen muss und will.

Das alles stellt Grjasnowa in schlüssig sich aus einander entwickelnden Situationen dar, die die Charakteristika der handelnden Personen darstellen und die Konflikte strukturieren, mitunter etwas überspitzt, aber jederzeit von Respekt getragen.

Die aktuellen Anfeindungen wabern nur vage im Untergrund, auch weil die Hauptfiguren die Religion nicht in orthodoxer Weise praktizieren. Trotzdem erhalten wir Einblick in eine bis in die Details von der Geschichte geprägten Lebensweise.

Bewertung vom 05.08.2024
Unser Buch der seltsamen Dinge
Godfrey, Jennie

Unser Buch der seltsamen Dinge


schlecht

Der nächste Punkt auf der Liste

Das Buch ist sowohl ein Coming-of-Age- als auch ein All-Age-Roman, obwohl der Verlag es als Jugendbuch deklariert hat - Erwachsene lesen es durchaus ebenfalls mit Gewinn.

Miv beschließt aus ihrer häuslichen Misere heraus gemeinsam mit ihrer wesentlich bessergestellten Freundin Sharon, dem Yorkshire-Ripper auf die Schliche zu kommen. Zu diesem Zweck zeichnen sie in Listen auf, was sie an Menschen ihres Umfelds beobachten. Das führt zunächst nicht zur Aufklärung der Mordfälle, sondern zu Erkenntnissen ganz anderer Art. In der erzählten Zeit der Thatcherjahre in Großbritannien herrschen allenthalben beklagenswerte Zustände: sich ausbreitende Arbeitslosigkeit, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Mobbing an den Schulen sowohl durch Schüler als auch durch Lehrer. Daraus ergibt sich für die beiden immer wieder Handlungsbedarf, und sie bringen sich ein zum Nutzen so manchen Außenseiters.

Über ihrer Familie schwebt die rätselhafte Krankheit, die ihre ehemals lebenslustige Mutter schier lähmt und deren Erklärung man sich als Leser lange vergeblich wünscht, wie ein Damoklesschwert.

Vordergründig wühlen sich die beiden Mädchen wie Katalysatoren durch das Geschehen und setzen so etwas wie einen chemischen Prozess in Gang, bei dem jeder mit jedem reagiert und am Ende nichts so bleibt wie zuvor. Es geht leider nicht ohne fürchterliche Verluste ab, aber zum Schluss haben alle Beteiligten und damit auch wir unseren Horizont gewaltig erweitert. Bis dahin hat mich der Spannungsbogen der vielfältigen Verwicklungen durchweg in Atem gehalten, bis Jennie Godfrey schließlich den Knoten auf sehr geschickte und überzeugende Weise schürzt.

Bewertung vom 18.07.2024
Warte auf mich am Meer
Neff, Amy

Warte auf mich am Meer


ausgezeichnet

Das Gewicht derer, die wir zurücklassen

Genauso wie die Kinder hätte ich wahrscheinlich auch auf die schockierende Mitteilung meiner Eltern reagiert, hätten sie mir eröffnet, gemeinsam freiwillig aus dem Leben scheiden zu wollen.

Schon von frühester Jugend an zog es Joseph, den Bodenständigen aus kleinen Verhältnissen, hin zu Eveline, der höheren Tochter mit musikalischen Ambitionen. Als sie ihren Entschluss verkünden, setzt das in der ganzen Familie einen Prozess in Gang, das eigene Leben zu überdenken.

In Rückblenden entwickelt Neff die lange verschlungene Lebensgeschichte der beiden und ihrer drei Kinder, wobei sie auch innerhalb der Kapitel Brüche einbaut, um unterschiedlichen Perspektiven gerecht zu werden. Die Episoden ranken sich um allerlei Krisen, die deren panische Verlustangst erklären, so z.B. den Tod von Evelines Bruder im Krieg und ihr Verzicht auf eine Pianistenkarriere den Kindern zuliebe. Das sie immer wieder zusammenfinden, liegt an ihrer unendlichen Zuneigung zueinander, um die sie die Kinder direkt beneiden, weil sie sich nach so etwas lange vergeblich sehnen. Dabei bedeutet eine gelungene Beziehung nicht, dass der Himmel unentwegt voller Geigen hängt, sondern dass man die aufkommenden Schwierigkeiten erfolgreich bewältigt.

Sehr bildhaft und poetisch beschreibt Neff die zauberhafte Natur Neuenglands, aber besonders auch die emotionalen Zustände, die sich gegen Ende in einer Art und Weise steigern, die nüchternen Gemütern eventuell zu dick aufgetragen erscheinen können.

Wer resultierend aus der Inhaltsangabe einen Thesenroman über selbstbestimmtes Sterben erwartet, wird enttäuscht werden: dieser Roman ist ein überwältigender Hymnus auf die Kraft einer lebenslangen Liebe.

Bewertung vom 09.07.2024
Mein Wildpferd und ich / Forever Bd.1
Luhn, Usch

Mein Wildpferd und ich / Forever Bd.1


gut

Nachts im Wald

Die vielbeschäftigte, erfahrene Kinderbuchautorin weiß, wie man's macht: Internatsgeschichten sind schon seit "Hanni und Nanni" der Hit, und Pferdebücher garantieren einen lohnenden Absatz bei Schülerinnen. Und schreiben kann sie durchaus: der Aufbau der Szenen mit einer Binnenspannung, die Gestaltung der größtenteils sympathischen Charaktere, die eingeflochtenen Informationen über Pferdehaltung und das Reiten lassen keine Wünsche offen.

Beim Lesen hat es mich bis auf die sehr ästhetisch gestalteten Illustrationen kaum einmal mit irgendetwas überrascht. Es ist eine ziemlich konventionelle Jugenderzählung mit den altbekannten Beziehungskisten und Polarisierungen. Für Herz und Schmerz ist reichlich gesorgt: unter den Mädchen geht es gefühlvoll zu, im Zusammenhang mit Lorenz knistert es auffällig unterschwellig, und Annis Sehnsucht nach dem vermissten Ponyherz (warum wird er grammatikalisch falsch immer im Maskulinum angeredet?) mutet an wie eine dramatische Lovestory.

Den Anspruch auf irgendwelche Literaturpreise wird Luhn gar nicht erheben, aber das Buch ist gefällig genug, um seine dankbaren Leserinnen zu finden.

Bewertung vom 03.07.2024
Eve
Towles, Amor

Eve


ausgezeichnet

Wie macht man einen Fünf-Sterne Mickey Finn?

Mit diesem Buch halte ich ein amüsantes, elegant geschriebenes Kleinod in der Hand, mehr Novelle als Roman schon aufgrund des Umfangs und der überschaubaren Berichtszeit. Aber wieviel Vergnügen hat mir diese Lektüre bereitet!

Wie ein Phantom taucht die rätselhafte Eve im Zug nach L.A. auf und lässt so manchen Menschen, denen sie begegnet, in temporären Krisen sehr gewieft kleine Wohltaten angedeihen. Im Nu hat sie sich im Milieu der Filmschaffenden gut vernetzt und besonders der jungen Schauspielerin Olivia de Havilland unentbehrlich gemacht. Unterwegs hat sie noch den abgehalfterten Schauspieler Prentice und den pensionierten und verwitweten Polizisten Charlie aufgelesen, die auch Gelegenheit erhalten, eine maßgebliche Rolle zu spielen. Einzelheiten über ihre Vergangenheit in New York gibt sie nur zögerlich und bruchstückhaft preis, aber sie spinnt ihre Fäden trickreich und gewitzt, die ihr schon bald zugute kommen, als es gilt, einen Skandal um heimlich aufgenommene Nacktfotos der Newcomerinnen diskret zu bereinigen - denn das würde das Ende der kaum begonnenen Filmkarriere bedeuten: Me too in den Dreißigern!

In filmreifen Szenen voller Situationskomik greift das von ihr eingefädelte Räderwerk ineinander, dass einem als Leser schier schwindlig wird. Am Ende jedes Kapitels lässt einen eine geschickt platzierte Pointe innehalten und nachdenken, damit man nicht den Überblick verliert. Das erfordert einige Konzentration, macht aber viel Spaß, zumal Towles das alles in einer leichtfüßigen, ironischen Tonlage und mit einem Augenzwinkern erzählt.

Bewertung vom 28.06.2024
Seinetwegen
Del Buono, Zora

Seinetwegen


weniger gut

Ein leutseliger Mann

Die dem Buch zugrunde liegende Intention finde ich spannend: del Buono rollt den unglücklichen Tod ihres Vaters durch einen Autounfall Jahrzehnte später auf und bildet anhand dessen die Familiengeschichte und ihr gesellschaftliches Umfeld ab.

Leider wird die Autorin ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht, obwohl sie akribisch recherchiert und in einem gewandten Stil schreibt. Das eigentliche Thema gibt wohl nicht ausreichend Fülle für die an sich mageren 200 Seiten her, so dass sie es mit allerhand Betrachtungen aufbläht, die ich teilweise deplaciert finde, z.B. die masturbierende Zweijährige im Zug.

Das Ganze wirkt auf mich wie das Ergebnis eines Brainstormings, denn die Gedanken sind nicht in Kapitel unterteilt, sondern in verschieden lange Abschnitte, was auf mich einen willkürlichen Eindruck macht. Erst auf Seite 128 kommt sie langsam zu Ergebnissen, mit den greifbaren Inhalten fällt mir auch die Lektüre leichter, aber diese bewegen sich dann doch allzusehr im spekulativen Bereich, z.B. über die Homosexualität. Da helfen mir dann auch keine "metaphysischen Ereignisse" über diese Kluft hinweg.

Die charmanten Gedankenreisen, die ich bei Capus und Geiger so schätze, haben hier bei mir nur einen schalen Nachgeschmack hinterlassen. Deshalb kann ich das Buch trotz des Lobs prominenter Schriftsteller nicht guten Gewissens empfehlen.

Bewertung vom 25.06.2024
Mord stand nicht im Drehbuch
Horowitz, Anthony

Mord stand nicht im Drehbuch


ausgezeichnet

Im Wettlauf mit den Forensikern

Alle Bände dieser Reihe habe ich jetzt bereits gelesen, weil ich einfach dieses englische und speziell Londoner Flair liebe, und habe ausgehalten, dass mir doch die Interaktionen zwischen dem Detektiv Hawthorne und seinem Schreiber Horowitz einigermaßen auf die Nerven gehen - ich könnte locker darauf verzichten. Umso positiver hat es mich dann erstaunt, dass sich diese ständigen Kabbeleien im vorliegenden Band sehr in Maßen hielten und ich mich jetzt an einem ganz klassischen Krimi à la Agatha Christie erfreuen konnte mit einem fest eingegrenzten, genau definierten Personenkreis und Ermittlungen hauptsächlich durch das Vernehmen der Verdächtigen und der Zeugen.

Alles kreist um zwei zentrale Fragen: wer ist der Täter, und warum belastet er ganz gezielt Anthony Horowitz? Das Spannende in der ganzen Geschichte sind die unterschiedlichen Facetten, die sich beim Interview all der Beteiligten herauskristallisieren: je nach Perspektive stellt sich die Materie ganz anders dar, und dabei weiß man noch gar nicht, in welchem Umfang gelogen wird. Bei einer Vorortrecherche ergibt sich dann irgendwann noch ein totaler Wendepunkt, und mit dem neuen Spin kommt noch einmal richtig Bewegung in die Story.

Augenzwinkernde Andeutungen auf seine Jugendkrimis und Bezüge auf Literatur und Film machen Spaß. Meiner Ansicht nach kommt Horowitz immer mehr in Fahrt, und ich freue mich, dass er den Vertrag unterschrieben hat.