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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
galaxaura
Wohnort: 
Köln

Bewertungen

Insgesamt 70 Bewertungen
Bewertung vom 10.09.2024
Verlassene Nester
Hempel, Patricia

Verlassene Nester


gut

Zwischen Nostalgie und Hoffnung

„Verlassene Nester“ von Patricia Hempel, erschienen 2024 bei Tropen und nominiert für den Alfred-Döblin-Preis 2023, ist ein Roman, der sich anfühlt wie einer dieser letzten Spätsommertage, warm, aber auch schwer, der Herbst schon spürbar, es liegt ein letztes Bienensummen in der Luft und die Menschen sind etwas träge, der nahende Winter macht alle ein wenig melancholisch, aber noch ist es ja Sommer.

Es ist 1992, noch relativ kurz nach der Wende, wir befinden uns in den neuen Bundesländern, recht grenznah der ehemaligen Grenze zwischen DDR und BRD. Pilly, ein 13-jähriges Mädchen, befindet sich mitten im Umbruch, einerseits kickt die Pubertät, andererseits kickt die Wiedervereinigung. Pillys Mutter ist vor einigen Jahren unter nicht geklärten Umständen verschwunden, Pillys Vater ist alkoholsüchtig und hat das Herz am rechten Fleck, aber auch einen Koffer, der ein großes Geheimnis birgt und den Kopf voll mit Sorgen, die ihn davon abhalten, sich gut um Pilly zu kümmern. Das Leben tropft vor sich hin, der Westen rückt irgendwie immer näher, und die Dagebliebenen pendeln zwischen sehnsuchtsvoller Verheißung und Festhalten am Alten, von dem ja vieles auch schön und gut war. Zwischen Spielplatz, Kleingartenparzelle und Plattenbau entspinnt sich das Leben mit all seinen Grausamkeiten – aber auch mit einer tief verwurzelten Gemeinschaft.

Hempel schreibt sehr atmosphärisch und lässt mit vielen Details die beschauliche und übersichtliche Kindheitswelt von Pilly entstehen. Beschaulich ist diese nur auf der Oberfläche, darunter brodeln die Konflikte – aber man hat gelernt: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Jede Menge Zeitkolorit und ausführliche Beschreibungen lassen die Zeit kurz nach der Wende sehr lebendig werden, allerdings gibes wenig Erläuterungen, so dass für Menschen ohne DDR- oder Geschichtswissen Google wahrscheinlich der beste Freund beim Lesen dieses Buches wird; hier wäre ein Glossar vielleicht eine hilfreiche Maßnahme gewesen. Die Beobachtungen sind nüchtern und unsentimental, ich hatte teilweise beim Lesen eine Dokumentarfilm-Erzählerstimme im Kopf, aber das war für mich stimmig. Das Erzähltempo ist langsam, was sich zu Beginn des Romans noch gut anfühlt, mit zunehmendem Handlungsfortgang dann aber doch etwas anstrengend wird. Es werden sehr viele Handlungsstränge und Figuren aufgemacht, die leider nicht alle und nicht einmal fast alle zu einem Ende geführt werden. Dabei bleiben auch einige zentrale Fragen offen, was mich in diesem Fall doch sehr gestört hat, da die Antworten auf die offenen Fragen entscheidend wären. Das Ende des Buches war für mich sehr herbeigeholt, fast hatte ich das Empfinden, die Autorin hat keinen anderen Ausstieg aus einer Geschichte gefunden, die sie nicht weiter am gleichen Ort fortschreiben wollte. Das fand ich schade, denn der Konflikt der Dagebliebenen hätte mich gerade vor Ort weiter interessiert.

Es ist ein Buch, dass ich über weite Strecken sehr gern gelesen habe und in dem ich wirklich viel über die DDR und das Leben nach der Wende gelernt habe. Aber auch ein Buch, das mich irgendwann ein bisschen verloren hat und sehr unbefriedigt zurücklässt, weil es keine wirklichen Entscheidungen treffen möchte. Was mir gut gefallen hat, ist die immer wieder auftretende Einbindung des Buchtitels in die Handlung – und dass zu keinem Zeitpunkt gewertet wird. Wir müssen noch heute die Wiedervereinigung, die doch eher ein Verschlucken war, aufarbeiten. Dass das nicht geschieht, ist ein großer Fehler, der sich aktuell in Wahlergebnissen darstellt. Die Wurzeln davon kann man in diesem Buch spüren. Insofern auf jeden Fall eine Leseempfehlung und der Vorschlag, sich in die Köpfe der Menschen hineinzuversetzen, die noch beide Systeme erlebt haben. Insgesamt reicht es leider dennoch nur für 3,5 Sterne, da ich die gleichbleibende Ausführlichkeit irgendwann ermüdend fand und mir ein starkes Ende fehlt.

Bewertung vom 08.09.2024
Das Geheimnis der Glasmacherin
Chevalier, Tracy

Das Geheimnis der Glasmacherin


sehr gut

Ein Buch wie eine Glasperle

Tracy Chevalier legt mit „Das Geheimnis der Glasmacherin“, erschienen 2024 bei Atlantik/Hoffmann und Canmpe, einen sehr besonderen historischen Roman vor, der insbesondere für Venedig-Liebhaber:innen ein Must-Read ist. Das Buch kommt mit einem motivisch zauberhaften Schutzumschlag und ist zudem mit einem Farbschnitt versehen, der seinesgleichen sucht, eine Pracht im Bücherregal!

Erzählt wird die Geschichte von Orsola Rosso, Tochter einer Glasmacherfamilie auf der Insel Murano vor Venedig im Jahr 1486, die nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters heimlich die Kunst des Glasmachens und der Glasperlenherstellung erlernt, um den Familienbetrieb zu retten. Der besondere Kniff dieses Romans, der sehr viele Informationen über die Kunst des Glasherstellens behält und einen tollen Einblick in die Historie und viel Lokalkolorit der Lagungenstadt Venedig und der Insel Murano bietet, ist, dass Chevalier dabei die Zeit auf der Insel Murano in einem anderen Tempo als auf dem Festland und in Venedig vergehen lässt – was ihr die Gelegenheit gibt, ein zeitliches Panorama vom 15. Jahrhundert bis in die heutige Zeit zu spannen – ein wirklich beeindruckendes Projekt. Dabei werden insbesondere die Ereignisse rund um die Lagunenstadt seziert und die Lesenden lernen viel über die besondere Beziehung der Lagunenbewohner zu den Festland-Italienern. Auch lässt Chevalier immer wieder italienische Worte einfließen, was als Stilmittel genutzt die Lesenden sehr das italienische Flair spüren lässt.

Ich fand es sehr spannend, über die strikten Regeln der Glasmacherkunst zu lesen, die eine ganz eigene Welt formen – und natürlich hat auch Orsolas Geschichte ihre Besonderheiten, über die ich nicht zu viel verraten will. Insgesamt war es mir manchmal fast ein bisschen viel der Information, weshalb ich mich nicht ganz zu 5 Sternen durchringen kann, aber ich habe diesen Roman insgesamt sehr genossen und bin vor allem von dem Formexperiment (diese lassen sich ja bei historischen Romanen doch eher selten finden) sehr begeistert. Eine klare Leseempfehlung für dieses Buch, das selbst wie ein wunderschönes Muranoglas schimmert.

Bewertung vom 08.09.2024
Die Abschaffung des Todes
Eschbach, Andreas

Die Abschaffung des Todes


gut

Falsch gelabelt

„Die Abschaffung des Todes“, der neue Thriller von Andreas Eschbach, erschienen 2024 bei Bastei Lübbe, scheitert vielleicht an dem Label, das der Verlag ihm gegeben hat. Viel mehr Wissenschaftsroman als Thriller, weist der enorm ausführlich recherchierte 650-Seiten-Brecher leider neben einer Menge spannender Informationen und Gedanken erhebliche Längen und leerlaufende Plotstränge auf. Zudem war für mich die Handlung und Entwicklung durchweg sehr vorhersehbar. So bin ich nach mehrfachen Abbruchüberlegungen, da zu keiner Zeit bei mir Thrill aufkam, aus dem Buch gegangen mit dem Gefühl, dass hier entweder ein Lektorat dem Werk mit deutlichen Straffungen hätte helfen sollen – oder der Verlag sich für vielleicht geringere Verkaufszahlen aber dafür eine etwas ehrlichere Einordnung in ein anderes Genre hätte entscheiden müssen.

Der Thriller beginnt mit einer netten Grundkonstruktion, die Hauptfigur, der Journalist James Henry Windover schreibt ein Buch im Buch, in dem er uns über seinen wilden Ritt durch die Untiefen der Neurologie und Existenzphilosophie erzählen wird. Dieser kleine Trick sorgt im Verlauf des Buches immer wieder für Comic Relief – nur dass ich leider zu keinem Zeitpunkt Relief brauchte. Windover wird beauftragt, sich für eine Investorin ein neues Geschäftskonzept vorstellen zu lassen, Youvatar, und soll seine Einschätzung geben, ob sich hier eine Investition lohnen würde. Ich will nicht spoilern, aber sagen wir mal so: Der Titel des Buches lässt in der Tat ein wenig erahnen, worum es vielleicht geht. Von diesem Punkt aus wird Windover im Versuch, das Geschäftskonzept und den damit zu erlangenden Profit genau zu entschlüsseln, in eine Verkettung von Kontakten und Erkenntnissen gestürzt, die dazu führt, dass er um sein Leben fürchten muss.
Klingt nach Thriller – stellt sich aber im Buch nicht so dar, da Eschbach, der selbst sagt, noch nie hätte er für ein Buch so viel recherchiert (und das stimmt gewiss!!!), gefühlt auch all sein recherchierter Wissen in den Roman pressen will, was zu einer enormen Verlangsamung der, sowieso eher dürftigen, Handlung führt und einfach keine Suspense aufkommen lässt. Zudem sind die scheinbaren Plottwists allesamt so klar aus der Vorhandlung ablesbar, dass auch hier keine Überraschung aufkommt. Leider bleiben auch Figuren, die spannend eingeführt werden, dadurch auf der Strecke, wahrscheinlich war einfach kein Platz mehr, auch noch für sie die Handlung weiterzuführen (und hier trifft es vor allem die Frauenfiguren, was feministisch gesprochen besonders schade ist, da Eschbach hier eigentlich mit aufregenden Charakterisierungen startet, für die am Ende dann doch nur 50er Jahre Problematiken übrigbleiben).

Gut gefallen haben mir die Diskussionen von Werten und Moral, die existenzphilosophischen Aspekte und Debatten, die Eschbach wirklich hervorragend herauskristallisiert, jedem Philosophie Leistungskurs würde ich dieses Buch ans Herz legen wollen! Und auch der Humor, der sich immer wieder kurz zeigt, hat mich ein bisschen bei der Stange gehalten. Aber für einen Thriller fehlt mir einfach fast alles, was das Genre ausmacht. Als es dann doch einmal kurz zu einer Verfolgungsjagd kommt, wirkt diese eher wie reingepropft, huch, ach ja, es ist ja ein Thriller!

Ich glaube wirklich, hier wurde sich leider nicht klar für ein Genre entschieden im Vorfeld und so hängt das Buch zwischen allen Stühlen. Großer Respekt vor der enormen Rechercheleistung, wie immer schreibt Eschbach auch fluffig und elegant und dröselt die Sachzusammenhänge enorm klug auf. Es fehlt aber an Tempo, Handlung und einem wirklichen überraschenden Clou am Ende, nachdem über 600 Seiten lang darauf hingearbeitet wurde. Thematisch stark, Fans der Neurowissenschaften sollten hier unbedingt reinschauen. Als Thriller leider am Ziel vorbei.

Bewertung vom 02.09.2024
Kleine Monster
Lind, Jessica

Kleine Monster


gut

Löst leider sein Versprechen nicht ein

„Kleine Monster“, der zweite Roman von Jessica Lind, erschienen 2024 im Goya Verlag, hat mich über weite Strecken sehr gefesselt, aber dann leider zweigespalten und enttäuscht zurückgelassen. Vielleicht ist daran auch einmal mehr ein Klappentext Schuld, der eine Leseerwartung erzeugt, dem die Geschichte dann einfach nicht gerecht wird, fehlgeschlagenes Marketing also, aber insgesamt sind die Fragezeichen am Ende des Buches so groß, dass es doch auf keinen Fall nur daran liegt.

Was uns der Klappentext verspricht:
Pia und Jakob werden in die Grundschule zitiert, es gab einen Vorfall, mit einem Mädchen, einen Übergriff durch ihren siebenjährigen Sohn Luca. Pia und Jakob können zunächst nichtr glauben, was ihrem Sohn vorgeworfen wird. Aber Pia entfremdet sich im weiteren Verlauf immer mehr von ihrem Sohn und wird dabei schließlich auch mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert.
Mich hat der erste Teil des Buches sehr gepackt, ich stelle mir das schon immer sehr schlimm vor, wenn sich das eigene Kind von einem entfernt (oder mensch sich von dem Kind?) und ein Misstrauen einzieht, das dann einfach alles und jeden Moment immer wieder in Frage stellt. Jessica Lind schreibt atmosphärisch sehr dicht und beklemmend, mir zog sich alles zusammen, immer wieder kommt es auch zu übergriffigen Szenen, die schwer zu ertragen sind. Anders als erwartet zeigt sich jedoch schon schnell, dass es einen psychologisch komplexen Zusammenhang mit den Elternpersonen gibt, was die Situation einerseits vielleicht verständlicher macht, andererseits hätte mich eher interessiert, wie eine solche Konstellation sich verhält, wenn es keinen Befund in der Elternfamilie gibt. Zunehmend wird deutlich, dass wir auf die Szenerie nur durch Pias Augen schauen, die sich als unzuverlässige Erzählerin erweist, weswegen sich immer mehr Fragen über Fragen stellen – was ist die objektive Wahrheit? Was ist geschehen, sowohl im Heute als auch in Pias Vergangenheit?
Dabei wechselt der Fokus sehr schnell fast komplett in Pias Vergangenheit hinüber und das Jetzt wird immer hinfälliger, ist nur Ausgangspunkt für eine Beschäftigung mit Pias Traumata.

Und dann kommt ein Ende, das ganz einfach nichts aufklärt. NICHTS. Da muss ich sagen, das hat mich wirklich verärgert zurückgelassen, denn so sehr ich offene Enden mag, das hier ist für mich dann doch Betrug am Leseerlebnis gewesen. Wir werden es also nie erfahren, was vorgefallen ist, im Heute, im Gestern. Somit werden wir auch nie ergründen können, schauen wir hier auf eine epigenetische Weitergabe von Trauma oder auf eine schlicht komplett psychotische Person? Das lässt mich ratlos zurück, davon konnte ich leider nichts mitnehmen.
Es gibt auch so einige Ungereimtheiten, heutzutage würde mensch immer eine Beratungsstelle hinzuziehen, da laufen eigentlich Standardprotokolle ab, davon ist im Buch nichts zu finden.

Die Autorin schreibt gut, dicht und spannungsgeladen, aber von der Beschreibung her habe ich etwas ganz anderes erwartet. Es wird über eine sehr lange Strecke sehr viel aufgebaut und am Ende verpufft das alles im Nirwana. Und so kann ich mich leider nur bei müden 3 Sternen einfinden und nicht wirklich eine Leseempfehlung aussprechen, es sei denn, die lesende Person mag den Flug ins Nirgendwo.

Ein kleines Highlight aber zur Versöhnung: Ich mag es sehr, wie der Titel des Buches in den Roman eingebunden ist – und ich bin begeistert davon, wie das Cover tatsächlich mal im Buch sinnstiftend auftaucht, statt „nur“ eine Illustration zu sein. Das Bild vom Spiegelwald und die Sehnsucht, dass es eine Welt geben könnte, in der diese noch heil und idyllisch ist, finde ich sehr eindrücklich.

Bewertung vom 01.09.2024
Am Himmel die Flüsse
Shafak, Elif

Am Himmel die Flüsse


ausgezeichnet

Jahreshighlight 2024 gefunden

„Am Himmel die Flüsse“, der neue Roman von Elif Shahak, erschienen 2024 im Carl Hanser Verlag, ist ein Buch, das die Messbereiche des Bewertbaren sprengt, ein Meisterstück, das mich noch viele Monate lang bewegen wird, und schon jetzt eine Vielzahl von weiteren Buchbestellungen bei mir ausgelöst hat. Es ist schwer, diesen Roman zu rezensieren, ohne dabei selbst einen Roman zu schreiben, denn zu groß ist die Fülle von positiv anzumerkenden Faktoren und meine Begeisterung. Eine Anmerkung vorweg: Dieser Roman erfordert ein langsames Lesetempo, alles andere wäre Verschwendung an den vielen einzigartig schönen Details die Shafaks Prosa und Geschichte schmücken. Es erfordert ein bisschen Einlassen – doch dieses Einlassen wird unendlich reich belohnt.

Startend in Ninive, der nicht unbekannten mesopotamischen Stadt im heutigen Irak, zu Zeiten der Herrschaft von König Assurbanipal, einem sehr despotischen Herrscher, der zugleich aber eine für die Geschichte sehr wichtige Bibliothek aufbaute (wir befinden uns ca. 650 v. Chr.), folgen wir der Geschichte des Wassers, genauer eines kleinen Wassertropfens, der im ewigen Wasserkreislauf bis ins Jahr 2018 und weiter reist, einer Lapislazuli-Tafel, die eine andere Version des Gilgamesch-Epos beschreibt, als die bekannte, einem weiteren Lapislazuli, der Jahrhunderte verbinden wird, diversen Lamassus, deren Schutz die Menschen leider nicht vor allem behüten können, vielen anderen Motiven, die Shafak in vielen Details durch die Handlung webt – und den Lebensgeschichten von Arthur, dem König der Abwasserkanäle und Elendsquartiere, von Narin und ihrer Großmutter und Leila, die der Glaubensgemeinschaft der Eziden angehören, sowie von Zaalekhah, die sich als Hydrologin unter anderem mit dem Gedächtnis des Wassers beschäftigt.

Über knapp 600 Seiten entspinnt Shafak ein Panorama an Leben und Geschichte, das erst ganz am Ende zu einem wirklich erschütternden Ganzen zusammengefügt wird und mich in immer poetischer Sprache und wundervoller Emotionalität und teils auch verstörender Härte so viel Neues gelehrt hat, ohne mich dabei zu belehren. Es ist so dicht konstruiert, die Sprache ist wunderschön, die Charaktere toll gezeichnet und so interessant, das Motiv des Wassers wird so vielfältig durchgeführt, so viele Legenden und Geschichten sind eingearbeitet in die Haupthandlung, so viel Traurigkeit liegt unter all der Schönheit, während sich die einzelnen Geschichtenstränge erst ganz leise miteinander verweben, bis das Tempo zum großen Finale immer mehr anzieht und sich in einen wahren Wasserfall eskaliert. Wie gehen wir Menschen miteinander, wie gehen wir mit unserer Kultur, unserer Menschheitsgeschichte um, warum grenzen wir immer wieder aus und maßen uns an, über andere zu urteilen, diesen großen Fragen widmet sich Shafak. Und erzählt uns dabei viel über die Jahrtausende währende Ausgrenzung und Diskriminierung der Eziden, die 2014 in einen Genozid führte (und nicht umsonst aktuell auch ein großes Schlaglicht nach Israel und Palästina wirft in der Betrachtung), über die Vorurteile, die ganz generell immer wieder unsere Betrachtung anderer Menschen prägen, über Kolonialismus und Sklaverei, die bis heute andauert, über Beuteraub, über Krieg, über Macht und ja auch über Patriarchat. Das immer präsente Wasser saugt all diese Geschichten auf und wird sie noch Jahrhunderte weitertragen. Wir können uns nicht hinter Stein verstecken.

So könnte ich jetzt endlos weiterschreiben über dieses einzigartige Meisterwerk, das trägt bis zur letzten Zeile der Danksagung und für das ich 6 Sterne brauche oder besser 11 – aber das nimmt euch Zeit, Zeit, die ihr braucht, um jetzt ganz schnell in die Buchhandlung zu rennen und dieses Buch zu kaufen und mit dem Lesen zu beginnen. Denn vielleicht, ganz vielleicht können wir ja doch noch etwas ändern an diesem Zitat: „Die Sagen des Zweistromlandes wissen, dass Wasser die Urkraft des Lebens ist. Die Bäume sind wurzelndes Wasser, die Vögel fliegendes Wasser, die Berge aufragendes Wasser, und die Menschen sind heute und alle Zeit kriegführendes Wasser; sie leben nie in Frieden.“ Der kleine Wassertropfen wird weiterreisen. Welche Geschichte möchten wir ins sein Gedächtnis prägen?

Bewertung vom 30.08.2024
Furchen und Dellen
Meyer, Ela

Furchen und Dellen


gut

Starke erste Hälfte

„Furchen und Dellen“, der zweite Roman von Ela Meyer, erschienen 2024 im Goya Verlag, hat mich über weite Strecken sehr berührt und ist ein Buch, das sich mit viel Mut traut, über eine Protagonistin mittleren Alters in den Wechseljahren (durchaus auch im übertragenen Sinne) zu schreiben – und dabei viele wichtige Fragen an unsere Rollen- und Familienbilder zu stellen. Gerade in der ersten Hälfte des Buches gelingt dieses Meyer mit ungeheurer Leichtigkeit, die ihr dann leider in der zweiten Hälfte etwas abhandenkommt und zunehmend von ihrem – sehr berechtigten – Anliegen verdrängt wird.

Zur Story: Chris, die vor sechs Jahren fluchtartig ihr altes Leben und ihre Heimat verlassen hat, weil in ihrer WG auf einmal der Plan aufkam, zu viert die Elternschaft für ein Kind anzutreten, ein Plan, der ohne Chris gemacht wurde und der bei ihr nicht auf Gegenliebe stieß, weil sie sich nicht mit einem Kind ihr Leben leben sah, diese Chris also, kehrt nun in ihre Heimat zurück, weil ihr Großvater, in dessen Haus sie aufgewachsen ist mit ihrem Bruder und ihrer Mutter, im Sterben liegt. Diese Rückkehr in so vieles gleichzeitig, in ihre Kindheit, in ihre Kernfamilie, zu ihrer alten WG, zu ihren Träumen und ihrer Jugend, konfrontiert Chris mit mindestens ebenso vielen Themen, die unbearbeitet in ihrem Inneren liegen, ähnlich wie die vielen Kisten des Hauses, das nun ausgeräumt werden muss. Vorsichtig und oft taumelnd wühlt sie sich nicht nur durch die Stockwerke des Hauses, sondern auch durch all das Weggeschobene ihres bisherigen Lebens – und muss sich dabei auch immer mehr dem Thema stellen, dass sie nicht mehr zwanzig ist und ihr Leben vielleicht in eine neue Phase übergeht.
Meyer schreibt fluffig und leicht, hat dabei aber erheblich Tiefgang, sie findet berührende Bilder und Situationen, ihr gelingt selbst in schwierigen Passagen eine Heiterkeit und Emotionalität, die mich im vorderen Teil des Buches absolut für sie eingenommen hat und dazu führte, dass ich mir direkt den Vorgängerroman „Es war schon immer ziemlich kalt“ besorgt habe, denn ihr Schreiben ist auf jeden Fall eine Entdeckung. Und, ganz großes Lob, Ela Meyer nutzt durchgehend und ganz selbstverständlich gendersensible Sprache und bettet Queerness als ganz simpel vorhandener Teil unserer Realität ganz wundervoll in den Roman ein. Je weiter dieser voranschreitet, desto mehr Themen werden aber in die Handlung gepfercht und desto ausgesprochener und teilweise fast schon referatartig werden diese Themen verhandelt, so dass ich zunehmend das Gefühl hatte, das jetzt das Anliegen die Handlung dominiert. Die so gelungene Symbiose des ersten Teils kann leider nicht mehr aufrechterhalten werden. Dabei verliert sie auch Figuren auf den Weg, die sehr interessant sind und über die ich als lesende Person gerne mehr erfahren würde. Gerade Chris Beziehung zu ihrer Mutter bekommt leider kaum Raum, ist aber spürbar wichtig für Chris Leben. Obendrein entwickeln sich die Figuren doch sehr rasant. Irgendwie beschlich mich das Gefühl, am Ende fehlte Zeit zum Fertigschreiben oder eine Seitenzahl sollte nicht überschritten werden, was für mich dem Roman nicht guttut. Da fehlt etwas. Meyer entscheidet sich auch für ein offenes Ende. Ich habe gar nichts gegen offene Enden, aber dieses verliert sich für mich doch etwas im Nirgendwo.

Und ohne spoilern zu werden, ist es in einem Roman, der so stark feministisch beginnt, wirklich problematisch, wenn sich am Ende ein Bild herstellt, das doch wieder sagt, dass eine weiblich gelesene Person schon den Kontakt zu Kindern benötigt, um wirklich bei sich anzukommen. Schade, denn die erste Hälfte des Buches fand ich richtig stark.

Was durchweg trägt ist Ela Meyers sicheres Gespür für Dialoge, sanfte Komik und Figurengestaltung, ihre Fähigkeit, Menschen glaubwürdig zu portraitieren und mich großer Leichtigkeit durch die Handlung zu schreiten. Für den ersten Teil hätte ich 5 Sterne vergeben. Zusammen mit dem zweiten Teil muss ich mich leider bei 3 bis 3, 5 einpegeln. Und dennoch eine klare Leseempfehlung aussprechen, denn: Mit einer starken ersten Halbzeit kann mensch durchaus Weltmeister:in werden.

Bewertung vom 25.08.2024
Lupus
Rode, Tibor

Lupus


sehr gut

Brandaktuell und voller Überraschungen

„Lupus“, nach „Der Wald“ der neue (Wissenschafts-)Thriller von Tibor Rode, erschienen 2024 bei Droemer, ist ein packender Thriller, der sich nicht scheut, aktuelle Debatten anzufassen und mit multiplen Plottwists glänzt. Der Untertitel „Alles Böse kehrt zurück“, der vom Wolf auf dem Cover fast gefressen wird, verweist auf eine finstere Zeit in der Deutschen Geschichte, die wohl leider nie ganz ausgerottet wird. Anders als eine Tierart, die... Doch zurück an den Anfang.

Die Tierärztin Jenny Rausch fährt alarmiert in den Wald, wo der Wagen ihres Vaters Jo aufgefunden wurde – drumherum jede Menge Blut, im Wagen eingesperrt der Jagdhund Bruno und von Jo: Keine Spur. Schnell schaltet sich der Staatsanwalt Frederik Bach ein, denn hier scheint es um mehr zu gehen als nur um einen Jagdunfall. Schließlich steht der Wagen in der Nähe eines von KI gesteuerten Schutzzaunes der Firma Fenceattack, der als Pilotprojekt getestet wird, um die wieder angesiedelten Wölfe im Zaum zu halten. Und schon sind wir nicht nur mittendrin im Human-wildlife-conflict, sondern in einer Gemengelage, die noch einige Tote fordern wird, und vor allem: Immer wieder mit unglaublich viel Überraschungen und jeder Menge brisanter Themen aufwartet.

Tibor Rode führt uns souverän durch ein Dickicht an Verwicklungen, gegen das das Unterholz im Wald sich harmlos ausnimmt. Dabei integriert er sowohl aktuelle Debatten wie die Sicherheitsfrage bei der Wiederansiedlung des Wolfes, als auch spannende historische Themen, die eher unbekannt sind, wie die Existenz von Neonazizellen in der DDR und Forschungen an Kampfmitteln elegant in die Handlung und schafft es, ein großes Figurenpersonal wirklich übersichtlich zu managen. Und sogar ein bisschen Romance gönnt Rode uns – sowie eine Familiengeschichte, die es wirklich in sich hat.

Die kurzen Kapitel halten die Spannung durchweg gut hoch, viele Flashbacks und Zeitungsartikel als Stilmittel schaffen den Bogenschlag von Gestern nach Heute. Und so möchte mensch das Buch eigentlich gar nicht aus der Hand legen. Natürlich kommt auch der titelgebende Wolf in mehrfacher und auch hier mehrfach überraschender Form vor. Insgesamt hätte für mich das Tempo noch etwas höher sein können, zwischendurch tritt die Handlung ein bisschen auf der Stelle. Und es gibt dann doch eine größere medizinische Ungereimtheit, die der Story zwar weiterhilft, mir aber zu unglaubwürdig war. Dennoch liegt hier ein starker Thriller vor, den ich unbedingt zum Lesen empfehlen möchte. Und der deutlich besser und plausibler konstruiert ist als so einige andere aktuell erschienene Thriller, die sich auch dem Wolfsthema widmen – mit dem wir uns auch wirklich befassen werden müssen. Bodes Thriller leistet hier tatsächlich auch auf der Informationsebene einen spannenden Diskussionsbeitrag. Vor allem aber: Liest er sich einfach richtig gut.

Bewertung vom 19.08.2024
Die Legenden der Albae - Dunkles Erbe
Heitz, Markus

Die Legenden der Albae - Dunkles Erbe


sehr gut

Eine komplexe Welt lebendig erzählt

„Die Legenden der Albae – Dunkles Erbe“, der 5. Band der Reihe von Markus Heitz hat mich mit seiner Komplexität herausgefordert, aber immer wieder auch in einen Spannungsbogen gezogen, bei dem ich das Buch nicht aus der Hand legen wollte.
Vorweg: Ich habe die vier Vorgängerbände nicht gelesen und tatsächlich hat das dem Leseerlebnis nicht viel geschadet, auch wenn es sicherlich sinnvoll ist, sich erst Band 1-4 zu Gemüte zu führen, um wiederkehrende Figuren und Hintergründe noch besser einordnen zu können. Der Autor schafft durchweg geschickt gute Anlässe, das Wesentliche zusammenzufassen, so dass ich nicht den Eindruck hatte, dass mir viel fehlt und der Story immer gut folgen konnte. Dabei hilfreich waren auch das Personenverzeichnis am Anfang des Buches (endlich mal in dieser Position zu finden!) und Kartenmaterial im Innencover für die räumliche Orientierung.
Dunkles Erbe ist in drei Bücher aufgeteilt, die jeweils einen eigenen Handlungsstrang und Ort verfolgen und dabei zwar miteinander verknüpft sind, jedoch nicht sehr stark. Das führt leider dazu, dass die Lesenden die Figuren des ersten Buches im weiteren Verlauf eigentlich komplett aus dem Auge verlieren, das fand ich sehr schade und ist für mich ein Manko dieses Bandes, auch wenn diese Handlungen dann sicher im sechsten Band weiter fortgeführt werden. Die Handlung selbst kann ich insgesamt gar nicht zusammenfassen, weil es wirklich fast Wechsel zwischen Welten innerhalb der Bücher sind
Das erste Buch formt einen gelungenen Auftakt, der wenig Atem zulässt, fühlte sich an wie eine durchweg wogende Schlacht, in der es kaum Besinnung gab. Das diesem Buch zugrundeliegende Thema der Kunst und der Notwendigkeit von Kunst mit Fantasy zu verknüpfen, finde ich superspannend und sehr gut gelungen, das habe ich so bisher auch noch nicht gelesen.
Das zweite Buch war für mich im Lesen am Schwierigsten, da hier sehr viele Wechsel von Personen und Orten stattfinden und mehrere Handlungsstränge gleichzeitig verfolgt werden. Da artete das Lesen dann doch kurz in Arbeit aus. Am Ende wurde fast alles auch wieder mit dem ersten Buch verbunden, das fand ich sehr gut. Aber da anzukommen, war für mich teils nicht so leicht, für ein Fantasybuch ungewöhnlich komplex. Den Kontrast zwischen Künstlern und Kriegern fand ich sehr interessant.
Das dritte Buch hat mir am besten gefallen, ich fand es auch am lesbarsten, wahrscheinlich, weil er sehr klar auf auf eine Hauptfigur fokussiert und ich deshalb der Handlung deutlich leichter folgen konnte als zuvor. Wir enden mit einem gewaltigen Cliffhanger und vielen losen Fäden, was aber der Reihe geschuldet ist. Dennoch ein vertretbarer Abschluss innerhalb der Reihe.
Insgesamt schreibt Heitz wirklich sehr gut und dicht, er kreiert klare Atmosphären, formt immer wieder gute kurze und lange Spannungsbögen, hat seine sehr komplexe Welt durchweg im Griff, führt die Lesenden gut, gestaltet starke und teils auch sehr liebenswerte Charaktere. Man merkt ihm durchweg im Schreiben die eigene Begeisterung für die kreierte Welt an. Ich hätte mir nur insgesamt für diesen Band noch ein bisschen mehr Verbindung der drei Bücher gewünscht und dass wir die Familie aus dem ersten Buch noch etwas mehr wiedersehen in Buch zwei und drei, deren Verbindung klarer ist.
Für Fans der Reihe denke ich, ist dieser Band ein Vergnügen, für Quereinsteiger auf jeden Fall auch sehr lesenswert, wenn mensch ein bisschen Geduld für den sehr komplexen zweiten Teil mitbringt.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.08.2024
Im Unterholz
Strömberg, Sara

Im Unterholz


sehr gut

Viele Geheimnisse verborgen im Mulch der Vergangenheit

„Im Unterholz“, das preisgekrönte Kriminalroman-Debut von Sara Strömberg, erschienen 2024 bei Blanvalet, ist ein packender Krimi, der vor allem durch seine dichte psychologische Konstruktion besticht. Ummantelt von einem atmosphärischen, klug designten Cover in Schwarz-weiß-gelb und versehen mit einem neon-gelben Farbschnitt (Woher kommt eigentlich dieser aktuelle schwarz-gelb-Trend im Krimigenre?), im Innencover mit einer Karte von Schweden ausgestattet, die den Nicht-Expert:innen räumliche Orientierung schenkt, tauchen die Lesenden auf etwas mehr als 400 Seiten immer mehr ab in das Unterholz eines Waldes aus Vergangenheit und Heute.
Ein dicker Pluspunkt direkt vorab: Die ermittelnde Person stellt eine Frau in den Wechseljahren dar und räumt so unromantisch, unverklärt und ehrlich mit dieser Zeit im Leben einer Person mit weiblichen Hormonen auf, dass mich allein das schon sehr für diesen Krimi eingenommen hat. Vera Bergström ist beruflich gescheitert, von ihrem Partner verlassen, von den Hormonen gepeinigt und auch sonst ganz allgemein am unteren Ende der Fahnenstange angekommen. Und auch wenn das vielleicht ein bisschen viel Scheiter heiter Story auf einmal ist, hat mich diese Figur, die sich letztlich auch purer Lebenslangeweile in den neuen Fall stürzt, perfekt abgeholt.
In der Kleinstadt Järpen wird eine Frau ermordet aufgefunden – und da die Polizei auf der Stelle tritt und es keine wirkliche lokale Presse gibt, macht sich Vera auf die Suche nach Informationen. Je weiter sie dabei Schicht für Schicht diesen Fall entblößt, desto mehr wird ihr journalistisches Fieber wieder angefixt, bis sie am Ende sehr viel riskiert, um diesen Fall aufzuklären, aber unter Umständen damit auch der Lethargie entkommt, die sie seit Jahren fesselt. Strömberg macht die Atmosphäre einer Kleinstadt geschickt sichtbar und geht immer mehr verschlungene Waldpfade mit ihrer Handlung entlang, so dass hinter jeder Kurve wieder eine neue scheinbare Lösung auf die Lesenden wartet. Über weite Strecken ist das vor allem psychologisch brillant geschrieben, dieser Roman hat eher Ruhe als Tempo, seine Suspense generiert sich nicht so sehr aus Action, sondern viel mehr aus den Abgründen, die das Leben in einer Einöde mit sich bringen kann. Ein kleines Manko sind die doch sehr vielen Zufälle, die Vera bei ihrer Wahrheitssuche weiterhelfen, so viele, dass hier die Grenze zur Plausibilität für mich doch klar überschritten wird. Und insgesamt wäre der Handlungsbogen meiner Meinung nach auch mit 50 Seiten weniger ausgekommen. Wundervoll geschrieben dagegen die vielen Beobachtungen über das Altern als schmerzlichen Prozess und die fast schon philosophischen Einschübe zur Frage, ob Schuld überhaupt abgebüßt werden kann. Gibt es Neuanfänge? Wann hat der fehlende Mensch genug gelitten?
Ein toller Kriminalroman für den nun kommenden Herbst und Winter.

Bewertung vom 16.08.2024
Vom Zauber geküsst / Silvercliff Hall Bd.1
Ley, Aniela

Vom Zauber geküsst / Silvercliff Hall Bd.1


ausgezeichnet

Spritzige Dialoge, schöne Ideen, aber zu wenig Handlung

„Silvercliff Hall – vom Zauber geküsst“, der Start einer neuen (Jugend-) Light-Academia-Romantasy-Reihe von Aniela Ley, erschienen 2024 bei dtv, kommt mit einem eher dezenten Cover, das aber mit einem schönen Perlmuttglanz und Textilhaptik doch überzeugen kann – ein passender Farbschnitt im Stil des Innencovers wäre hier definitiv noch eine schöne Ergänzung. Beiliegend in der limitierten Auflage ist eine Charaktercard, die ich allerdings eher nichtssagend fand – man kann sie jedoch gut als Lesebändchen-Ersatz nutzen.
Die Story ist schnell umrissen: Nathan Hamsworth, Student der Astrophysik in Oxford, ist gerade auf dem Weg zur Bibliothek als plötzlich ein merkwürdiger Riss in der Atmosphäre erscheint und aus diesem heraus Emilia Albertine Vandercould auf ihn fällt und ab dann im wahrsten Sinne des Wortes an ihm kleben bleibt, da sich dummerweise ihre zwei Auren verbinden. Emilia lebt in einer anderen Welt und folgt dem Vandercould-Ruf, der sie mit der Silvercliff Hall Academy verbindet und anzeigt: Hier stimmt etwas nicht. Wobei wir schnell erfahren, dass auch in der Parallelwelt Zuhause etwas nicht stimmt – was genau, werden wir, wie so vieles in diesem ersten Band, nicht herausfinden.
Ley schreibt schnelle und spritzig-witzige Dialoge, davon sehr viele für sehr wenig Handlung, so dass der Roman immer wieder lange auf der Stelle tritt. Ihr Grundidee für die Reihe ist gut, ihre Figuren sind weitestgehend interessant gestaltet, aber der Plot ist viel zu überschaubar für 368 Seiten, selbst für ein Jugendbuch, und läuft sich deshalb immer wieder tot. Die Atmosphäre einer Akademie in Oxford ist ganz gut gegriffen, nicht zufällig kommen Harry Potter Assoziationen auf, wie überhaupt auch viele Namen und Anlagen auf Referenzebenen zurückgreifen, das ist ganz geschickt gemacht und erzeugt Schmunzler bei den Wissenden. Problematisch ist ihr Zeit- und Emotionsmanagement, hier gibt es immer wieder etwas sehr rasante Entwicklungen und Äußerungen, dafür, dass die gesamte Handlung des Romans gerade einmal 24 Stunden umfasst. Und auch das Rollenbild ist nicht nur antiquiert, sondern wirklich fragwürdig, es hat schon eine widerliche Komponente, wenn sich in Nathan bei der Annäherung an Emilia, die von Sekunde eins an im Raum steht, schon sehr als der Erfahrene feiert, während sie das unbedarfte Lämmchen geben muss (und dabei sonst oft so tough im Raum steht, doppelt schade also). Sowieso ist die dauerhafte Beschwörung der hohen Anziehung zwischen den beiden Hauptcharakteren etwas over the top und auf Dauer leider: langweilig.
Die vorhandenen Plottwists sind in der Anbahnung sehr durchsichtig, für vollkommen unerfahrene Leser:innen von Fantasy, Academia und Romance mag das noch Spannung erzeugen. Streckenweise liest sich das Buch fluffig und angenehm, immer dann, wenn die Handlung kurz anzieht, aber dann verliert sich dieser Schwung leider auch schnell. Apropos Schwung: Immer wieder kommt es auch zu nicht plausiblen Handlungen, die nicht mit dem vorher Geschriebenen zusammenpassen wollen – vielleicht hatte hier die Veröffentlichung auch zu viel Schwung und etwas mehr Lektorat wäre gut gewesen.
Das Buch endet mit einem Cliffhanger und einer nicht in sich abgeschlossenen Handlung – das mag Geschmackssache sein, für mich ist es Kaufbaiting. Hier hätte ich mir etwas mehr Abschluss gewünscht.
Als Fazit bleibt: Als Jugendroman für junge Erstleser:innen des Genres könnte dieses Buch einen guten Einstieg formen und streckenweise war ich gut amüsiert. Richtige Spannung kam allerdings zu keinem Zeitpunkt auf und der avisierte 2. Teil ruft nicht wirklich nach mir. Aufgrund der doch häufig sehr pointierten Dialoge reihe ich mich dennoch bei 3 Sternen ein. Vielleicht packt der Nachfolgeband ja etwas dichter und inhaltsreicher zu.