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Hartmut Zimmer
Wohnort: 
Alzenau

Bewertungen

Insgesamt 49 Bewertungen
Bewertung vom 09.07.2011
HERDER spektrum
Kast, Verena

HERDER spektrum


ausgezeichnet

Die Entwicklung individueller Identität in einer Dominanzkultur

Verena Kast analysiert Inhalt, Entstehung und Entwicklung der individuellen Identität.
Für den Einzelnen sei wichtig, den eigenen Interessen zu folgen und erfinderisch mit dem eigenen Leben umzugehen. Identität entwickeln bedeute, den Übergang von einer übernommenen zu einer erarbeiteten Identität zu schaffen.

Aus der Differenz zu anderen könne die eigene Identität aufscheinen. Arbeit habe den Zweck, sich in der Verwirklichung selbst zu erkennen (- aber dies wohl möglichst limitiert und streng kontrolliert, ginge es nach dem ein oder anderen Protagonisten unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung).
Verena Kast fordert, von einer Dominanz- zu einer Beziehungskultur zu kommen und stattdessen Muster der gegenseitigen Teilhabe und Anerkennung zu entwickeln. Unter dem Primat der Flexibilität sei derzeit alles auf Kurzatmigkeit angelegt. Soziale Ziele würden auf Kosten der Totalität der Persönlichkeit verfolgt.

Es komme darauf an, nicht nur in einer äußeren Welt zu funktionieren, sondern auch Sinn zu erleben. Werte zu verwirklichen sei wichtig, statt unter permanentem Vergleich mit anderen zu leben (Doch wer wollte die Realität eines allgegenwärtigen „Benchmarking“ und die Herrschaft von Quartals-, ja von Tagesergebnissen brechen?)

Verena Kast untersucht auch die Gründe für den ihrer Meinung nach heute nicht selbstwertschonenden Umgang miteinander: Entwickelt werden müsse, so fordert sie, die Liebe zur Differenz. (Gerade in der "realexistierenden“ Ökonomie herrscht aber wohl eher eine Affinität zum „Wegbürsten“ von Differenzen. Bestraft wird im Brustton der Überzeugung die Abweichung, selbst wenn sie wohlmeinend und konstruktiv angelegt sein mag. Stromlinienförmigkeit hat eine größere Chance auf Zuneigung.)

Die vollständige Ökonomisierung aller Lebensbereiche mit ihren völlig kontrollierten Situationen sei möglicherweise ein Auslaufmodell in einer nach ihrer Beobachtung von vielen Skandalen geprägten Wirtschaft.

Hoffentlich träumt die Autorin da mal nicht allzu früh vom Heraufziehen einer heilen Welt…. Aber nun ja, was sind schon wenige Millionen Jahre in der Evolutionsgeschichte? Da wird man doch noch ein wenig Geduld erwarten dürfen.

Bewertung vom 25.06.2011
Shaolin, m. Audio-CD
Moestl, Bernhard

Shaolin, m. Audio-CD


sehr gut

Philosophie als praktisch anwendbare Lebensweisheit

Die sorgfältige Ausarbeitung des Buchs zeigt sich nicht nur in seiner durchgängig guten textlichen Qualität, sondern auch in der -farblich dezenten- Ausgestaltung, mit der die Gliederung des Inhalts sehr leserfreundlich unterstützt und wesentliche Aussagen hervorgehoben werden.

Es handelt sich nicht einfach um ein Ratgeberbuch, sondern eher um ein Werk mit dem Ziel der Vermittlung von praktisch anwendbarer Lebensweisheit, ohne dabei Ansprüche auf absolute Wahrheiten zu erheben (Philo-Sophie im besten Sinn des Wortes).--- Empfehlenswert.

Bewertung vom 19.06.2011
Das Wesen der Philosophie
Dilthey, Wilhelm

Das Wesen der Philosophie


sehr gut

Eine Philosophie der Philosophie

Das Werk Wilhelm Diltheys (1833-1907) erscheint als „Philosophie der Philosophie“: Für Dilthey ist Philosophie die Theorie des Wissens, Erkenntnistheorie, Wissenschaft der Wissenschaften.

Dilthey lehnt jede Intention objektiver Welterkenntnis ab. Er konstatiert ein hohes Maß an Relativität und Schwankungsintensität der Weltanschauungen nicht erst auf gesellschaftlicher, sondern bereits auf individueller Ebene. Alle metaphysischen Erklärungsversuche seien angesichts des subjektiven und relativen Charakters aller Wertbestimmungen zum Scheitern verurteilt.

Das Faktum eines subjektiven Bewusstseins werde in der Realität zur Manipulation eben dieses Bewusstseins benutzt.

Prägnant grenzt Dilthey Kunst, Religion und Philosophie voneinander ab und definiert bestehende Schnittmengen. Die nach seiner Analyse bestehenden, strukturellen Schwächen eines festgelegten, selbstsicheren religiösen Denkansatzes arbeitet er deutlich heraus. Die subjektive Religiosität bleibe an ihre selbstgesetzten Schranken gebunden und müsse mit dem tendenziell in ihr angelegten Streben nach Allgemeinverbindlichkeit zwangsläufig scheitern.

Die Hauptarbeit des Lebens bestehe darin, durch Illusionen hindurch zu der Erkenntnis dessen zu kommen, was uns wahrhaft wichtig sei. Die bloße Form des Philosophischen bringe Festigkeit und Ruhe.

Bewertung vom 22.04.2011
Geschichte der griechischen Philosophie, Die Vorsokratiker
De Crescenzo, Luciano

Geschichte der griechischen Philosophie, Die Vorsokratiker


ausgezeichnet

Ganz hervorragende Darstellung der vorsokratischen griechischen Philosophie. Unbedingt zu empfehlende Lektüre.

(Bei diesem Buch handelt es sich um den ersten Teil von de Crescenzos "Geschichte der griechischen Philosophie". Der zweite Teil befasst sich mit der sokratischen und nachsokratischen griechischen Philosophie.)

Bewertung vom 22.04.2011
Geschichte der griechischen Philosophie, Von Sokrates bis Plotin
De Crescenzo, Luciano

Geschichte der griechischen Philosophie, Von Sokrates bis Plotin


ausgezeichnet

Ganz hervorragende Darstellung der sokratischen und nachsokratischen griechischen Philosophie. Unbedingt zu empfehlende Lektüre.

(Bei diesem Buch handelt es sich um den zweiten Teil von de Crescenzos "Geschichte der griechischen Philosophie". Es empfiehlt sich, den ersten Teil der "Geschichte der griechischen Philosophie", der sich mit der Philosophie der Vorsokratiker befasst, vorab zu lesen.)

Bewertung vom 16.04.2011
Galileo Galilei
Shea, William R.;Artigas, Mariano

Galileo Galilei


sehr gut

Galileo und seine Widersacher: Strippenziehen zwischen Naturwissenschaft und Religion

Die beiden Autoren des Buches versuchen sich an einer „neuen“ Darstellung des Verhältnisses von Naturwissenschaften und Religion.

Der Protagonist Galileo wird allerdings außerhalb seiner Funktion als Wissenschaftler recht sparsam behandelt, persönliches Umfeld und Familienhintergrund nur karg dargestellt.

Auch Hinweise auf zeitgeschichtliche Zusammenhänge und ihre Bedeutung auf das Verfahren gegen Galileo erfolgen zwar, erreichen aber in der Gesamtdarstellung nur eine eher marginale Rolle (wie etwa der 30-jährige Krieg mit seinem -schließlich nicht mehr eindeutig konfessionsgebundenen- Gegeneinanderspiel europäischer Großmächte, die Involvierung des Kirchenstaates in dieses Kräftemessen auf europäischer Ebene, schließlich die Auswirkungen der 1630/31 Italien aus dem Norden erreichenden Pest - fast so, also wollten die Autoren die –zwar unvermeidlichen- Gesamtzusammenhänge so klein wie möglich halten und das Werk mit bewusstem partiellem Tunnelblick auf eine Galileo-Monographie reduzieren.

Im Vergleich dazu werden die insgesamt sechs Romreisen Galileos zum Teil geradezu voluminös ausgeführt und zwar in streckenweise tagebuchartig-akribischer Form.

Dazu passend, endet das Buch in merkwürdiger Weise leidenschaftslos. Der zu lebenslangem Hausarrest verurteilte „Mensch Galileo“ scheint den Autoren nach dargestelltem Inquisitionsurteil schnell aus dem leidenschaftlichen Blickfeld zu geraten: Dem Protagonisten Galileo wird durch das zügig endende Buch auch seitens der Autoren ein ziemlich „kurzer Prozess“ gemacht.

Mit einigen Jahrhunderten Abstand wird deutlich, wie wenig es den Beteiligten aller Seiten nur oder vorrangig um die eigentliche „Sache“ ging; im Vordergrund stand bei allen Auseinandersetzungen -mehr als minder- ein unermüdliches Bemühen um die Sicherung eigener Machtpositionen.

Nicht die häufig genug nur vorgeschobene „Sache“ entschied, sondern die Kunst einer fragwürdigen, ja eher abstoßenden Seilschaftspolitik. Einer der verantwortlichen „Strippenzieher“ war Papst Urban VIII, dessen praktizierter Nepotismus dem wie selbstverständlichen Ziel diente, die Ergebenheit höherer Amtsträger sicherzustellen. Aber auch Galileo bediente sich der ihm zur Verfügung stehenden Beziehungen, zuallererst als Schützling der Medici, der toskanischen Großherzöge. An seinen eigenen Seilschaften arbeitete Galileo ebenso emsig wie die übrigen Protagonisten an den ihren.

Und darin liegt vielleicht der größte Verdienst der Autoren, dass sie die vor 400 Jahren genauso wie in der Gegenwart funktionierenden Muster von hinterhältigem Hauen und hinterlistigem Stechen so treffend und nüchtern beschreiben: Ein gut dargestelltes Spektakel des Strippenziehens, wie die heutigen Vertreter eines zur Wissenschaft hochstilisierten „Networkings“ anerkennend bemerken könnten.

Bewertung vom 03.04.2011
In Swanns Welt
Proust, Marcel

In Swanns Welt


sehr gut

Eine Welt des Scheins oder : Der absolute Ausschluss absoluter Wahrheiten

„Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ ist der Titel des siebenbändigen Hauptwerks Marcel Prousts (1871-1922), das von „In Swanns Welt“ eingeleitet wird.

„In Swanns Welt“ lebt weniger von der Entwicklung einer Romanhandlung hin zu einem bestimmten erzählerischen Höhepunkt, sondern vielmehr aus einem außerordentlich intensiven Wandern zwischen Bildern der Erinnerung, nämlich in einer Rückblende wachgerufener Eindrücke aus Kindheit (Teil 1: Combray), Jugend (Teil 3: Ortsnamen; Namen überhaupt) und Erwachsenenalter (Teil 2: Eine Liebe von Swann) der Protagonisten.

Die Subjektivität und Individualität von Wahrnehmungen und Empfindungen beleuchten diese Welt in einem jeweils einzigartigen, unwiederholbaren und unvermeidlich individuellen Schein. Das Individuum erlebt diesen individuellen „Schein“ als Wahrheit, die für andere Beobachter häufig fremdartig wirkt und nicht nachvollziehbar ist. Die Existenz allgemeinverbindlicher, absoluter Wahrheiten ist nach dieser Erkenntnis völlig ausgeschlossen.

Die Frage stellt sich, welches (absolute) Sein von dieser Welt wohl übrigbliebe, entfernte man den (nur individuell als existent empfundenen) Schein.


Immer wieder löst sich Marcel Proust aus der -nur formalen- romanhaften Darstellungsform. Dann gewinnt sein Werk den Charakter des tiefgründigen philosophischen Essais. Ihn bewegt die offenbare Individualität und Subjektivität jeder Wahrnehmung, die in ihrer -als traurig empfundenen- Flüchtigkeit selbst das wahrnehmende Individuum in späteren zeitlichen oder räumlichen Zusammenhängen und Umständen kaum mehr zum Leben wiedererwecken kann. Nur die Erinnerung an die gewesene Empfindung bleibt.

Schon aber zum Zeitpunkt einer Wahrnehmung oder Empfindung fallen äußerlicher Eindruck und sprachlicher Ausdruck mehr oder weniger stark auseinander. Inwieweit können Empfindungen tatsächlich sprachlich ausgedrückt werden? Immer wieder (insbesondere in den sprachphilosophischen Abschnitten) wird deutlich, dass den Autor das Problem des Auseinanderfallens von Empfindung und Ausdrucksfähigkeit stark bewegt hat.

Marcel Proust bemüht sich um eine höchst präzise sprachliche Darstellung seiner Gedanken und Eindrücke - und doch scheint gerade er deutlich zu spüren, wie bei aller -geradezu verzweifelten- Anstrengung nur eine sprachliche Annäherung an einen nie ganz erreichbaren Grenzwert möglich ist, letztlich also immer eine sprachliche Lücke zu dem idealerweise Auszudrückenden verbleibt.

Seine scharfe Beobachtungsgabe und seine phänomenale Ausdrucksfähigkeit führen zur Ausbildung höchst komplexer, vielschichtiger Satzbauwerke, die sich erst durch mehrfaches Lesen schichtweise erschließen lassen, um dann aber auch ihre ganze Gedankendichte und Ausdruckskraft zu entfalten.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.01.2011
Von der Welt lernen
Mohn, Reinhard

Von der Welt lernen


weniger gut

Eher langweilig und ohne Tiefgang

Wen die Techniken des Buchvertriebs, das Innenleben des Bertelsmann-Konzerns oder dessen Historie brennend interessieren, sollte diese Buch unbedingt lesen. Auf alle anderen dürfte es wohl eher langweilig wirken. Bei der Lektüre beschleicht sicherlich manchen Leser der Eindruck des fehlenden Tiefgangs.

Bewertung vom 31.12.2010
Trost der Philosophie
Boethius

Trost der Philosophie


ausgezeichnet

tödliche Ausnahmesituation: Ein beeindruckendes Werk der Weltliteratur

Boethius war ab 510 n.Chr. Konsul und ab 522 höchster Beamter des in Ravenna residierenden König Theoderich. Aufgrund einer auf falschen Beschuldigungen aufbauenden Intrige fiel Boethius jedoch in Ungnade und wurde wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Während seines im Kerker zugebrachten letzten Lebensjahres verfasste er sein Werk "Trost der Philosophie".

In einem fiktiven Dialog mit der Dame "Philosophie" erarbeitet sich Boethius Hilfestellungen in einer ausweglosen und verzweifelten Situation. Er hinterfragt die in der Gesellschaft -auch heute noch- allgemein gültigen Wertvorstellungen und erarbeitet einen Wertekanon, der seiner Meinung allein "Glückseligkeit" verspricht. Obwohl Christ, steht Boethius in der Tradition der klassischen griechischen Philosophie.

Schon die Begleitumstände seiner Entstehung lassen "Trost der Philosophie" als Werk eines ganz außerordentlichen Autors erscheinen.
Mit der Klarheit seiner Sprache und der Schärfe seiner auf den Punkt gebrachten Erkenntnisse und Einsichten würde Boethius zweifellos auch etliche der heutigen Ratgeberbücher in den Schatten stellen. Auch zwecks nüchterner und unvoreingenommener Bestandsaufnahme und Überprüfung heute gelebter Werte wäre dieses Werk zweifellos von großem Nutzen.

Es empfiehlt sich, mit der Lektüre des Nachwortes zu beginnen, um zunächst einige Hinweise auf den historischen und literarisch-philosophischen Hintergrund zu erhalten.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.