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Betty Literatur

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Insgesamt 81 Bewertungen
Bewertung vom 02.04.2024
Hallo, du Schöne
Napolitano, Ann

Hallo, du Schöne


sehr gut

Starke Frauen
Die Amerikanerin Ann Napolitano ist mit ihrem vierten Roman (erschienen im März 2023 in den USA) auf der New-York-Times-Bestsellerliste gelandet. In Deutschland ist die Übersetzung von Werner Löcher-Laurence im Februar 2024 erschienen.

Als William und Julia sich begegnen,
„… das war der Moment, in dem er sich in Julia Padavano verliebt hatte.“
Die Padavano-Frauen um Julia, ihre Mutter Rose, ihre 3 Schwestern Sylvie sowie den Zwillingen Cecelia und Emeline werden zu der Familie, die er nie hatte.
Die Schwestern haben eine enge Verbundenheit zueinander, meistern Schicksalsschläge gemeinsam, müssen jedoch auch die Strenge und Unerbittlichkeit ihrer katholischen Mutter ertragen. Die Liebe ihres Vaters erfahren sie regelmäßig durch seine Begrüßung „Hallo, du Schöne“.
Nach einem Sportunfall verliert William den Halt, Julias Traum von einem perfekten Leben mit ihm zerplatzt, sie verfolgt Ihren eigenen Weg und trifft schwerwiegende Entscheidungen.
Auch William folgt nach schwierigen Prozessen und dunklen Phasen „Was mache ich hier? Warum mache ich das? Wer bin ich?“ seinem Herzen und trifft Entscheidungen, die das Leben der gesamten Familie verändern.
Doch die Liebe in dieser Familie ist groß.

In personaler Erzählperspektive erleben wir fast 30 Jahre des Lebens dieser wunderbaren Schwestern, ihrer Töchter, sowie Williams.
Die Charaktere sind starke, besondere Frauen, die selbstbewusst ihr Leben meistern und auch schaffen, diese Stärke an anderen Menschen weiterzugeben. Williams Entwicklungsprozess, seine Zweifel, seine Ängste, seinen eigenen Weg zu gehen, wird sehr sensibel und authentisch dargestellt.

Der berichtende Erzählstil auf 512 Seiten sorgt nicht unbedingt immer für Spannung. Besonders in der Mitte des Romans zieht sich die Erzählung in die Länge, es gibt Wiederholungen, da die Ereignisse aus der Perspektive der verschiedenen Personen erzählt werden. Ich hätte mir mehr Dialoge gewünscht.
Aber, es ist ein großer Roman über Liebe und Identität, Geschwisterliebe und Zusammenhalt, Sehnsucht nach Glück sowie den dunklen Seiten des Lebens.

Bewertung vom 29.03.2024
Ungeheuer lieb Bd.1
Kaiblinger, Sonja

Ungeheuer lieb Bd.1


ausgezeichnet

In dem wunderbaren Kinderbuch von Sonja Kaiblinger, phanatasievoll illustriert von DER ANTON, werden wir in die Welt des 10-jährigen Ludwig und seiner 8-jährigen Schwester Carla entführt. Sie hüten ein besonderes Geheimnis, das Ludwig in einer Mülltonne entdeckt hat.
Es ist ein lilafarbenes Ungeheuer mit außergewöhnlichem Appetit und besonderen Eigenschaften. Und es zieht bei ihnen ein.
Ludwig, der gern Wissenschaftler werden möchte, versucht dieses Ungeheuer zu ergründen, aber bis er hinter das Geheimnis dieses zauberhaften, gefräßigen Wesens kommt, passieren allerlei aufregende Dinge.
Es ist ein wirklich gelungenes Kinderbuch voller Witz und Phantasie, das den Leser/die Leserin sofort in seine Welt mitnimmt. Sprachlich und auch von der Illustration ein Genuss.
Auf diesen 1. Band werden hoffentlich weitere Abenteuer folgen.
Lesealter: ab 8 Jahren

Bewertung vom 06.03.2024
The Marriage Act - Bis der Tod euch scheidet
Marrs, John

The Marriage Act - Bis der Tod euch scheidet


sehr gut

Willkommen in der „Schönen neuen Welt“, die der Autor John Marrs hier als Blick die eine nahe Zukunft im England entwickelt.
Die Regierung will mit dem neuen Gesetz über die Unantastbarkeit der Ehe, die sogenannte SMART-Ehe, einen Anreiz schaffen, dass Ehen geschlossen werden und dann auch halten. Verheiratete Menschen sind glücklicher und produktiver, sie stabilisieren das System, so die Regierung.
Dazu werden den Menschen, die sich auf die SMART-Ehe einlassen, eine Menge Privilegien verschafft. Sie können günstig Häuser in „besseren Wohngegenden“ erwerben, die Kinder können besondere Schulen besuchen, Kredite werden subventioniert, der Arbeitsplatz ist sicher.
Die SMART-Paare lassen sich darauf ein, durch ein „Audit“ (eine moderne „Alexa“) überwacht zu werden. Sollte es nämlich Probleme in der Ehe geben, erfolgen Interventionen und Sanktionen.
Eine Form der „Unterstützung“ erfolgt durch sogenannte „Beziehungsbegleiter“, die dann wochenlang mit dem Paar zusammenleben und Therapiesitzungen abhalten.

Menschen, die keinen Smart-Ehe führen oder Menschen, die dauerhaft Single sein möchten, müssen zahlreiche Nachteile auf sich nehmen.
Der gesellschaftliche Druck ist groß und die Regierung setzt alles daran, den Druck zu erhöhen.

Aber es gibt auch Widerstand, der sich formiert.

Wir lernen wir in diesem Buch eine Video-Bloggerin kennen, die sich das Leben nimmt, weil sie, als Befürworterin des Gesetzes, von den Gegnern im Internet angegriffen und kritisiert wird.

Roxy und Owen führen eine Smart-Ehe, die allerdings auf eine harte Probe gestellt wird.

Jeffrey ist Beziehungsbegleiter, hat psychopatische Tendenzen und nutzt sein Wissen aus, um die Paare zu manipulieren.

Corinne ist eine Aktivistin gegen das Gesetz, möchte sich von ihrem Mann Mitchell scheiden lassen, der aber nicht auf die Privilegien verzichten möchte.

Arthur und June sind seit 49 Jahren verheiratet, haben aus finanziellen Gründen ein „upgrade“ zur Smart Ehe durchgeführt. Als June krank ist, versuchen sie dies zu verheimlichen, damit sie nicht in ein „Sterbeheim“ eingeliefert wird. Nach ihrem Tod, soll Arthur möglichst schnell einen neue Partnerin finden, damit die Vorteile der SMART-Ehe erhalten bleiben.

Anthony arbeitet an einem geheimen Programm für die Regierung. Seine Zweifel, an dem, was er tut, werden jedoch immer größer, er möchte aussteigen.

Sowohl die Regierung als auch die Gegner kämpfen mit harten Bandagen, da sind auch einige Todesfälle zu beklagen.

Ein Überwachungsstaat, der Eingriff in das Privatleben nimmt, Liebe und Beziehung überwacht und steuert. Menschen, die ohne Skrupel und moralische Bedenken handeln.
Ein spannendes und zugleich gruseliges Buch, gut erzählt, sprachlich keine Überraschung.

Heyne Verlag, 558 Seiten

Bewertung vom 03.03.2024
Helma legt los
Krause, Ute

Helma legt los


ausgezeichnet

Das perfekte Osterbuch
Helma ist ein besonderes Huhn, sie kann farbige Eier legen. Das kommt in der Hühnerschule allerdings nicht gut an, denn das perfekte Ei muss weiß sein.
Also versucht Helma wirklich alles, aber es gelingt ihr nicht. Wo soll sie nur mit all den bunten Eiern hin?
Sie muss sie loswerden, damit es keinen Ärger gibt. Also verkleidet sie sich als „Hase“ und versteckt die Eier überall auf dem Bauernhof.
Nur 1 Ei hat sie mit weißer Farbe bemalt, damit sie es vorzeigen kann.
Am nächsten Tag freuen sich alle Tiere über die hübschen bunten Eier, die sie finden.
Und dann kann Helma plötzlich keine bunten Eier mehr legen und sie muss einen neuen Plan entwickeln.

Ein wunderschönes, phantasievolles Kinderbuch, sehr ansprechend illustriert von Ute Krause.

Neuausgabe des „Klassikers“
Lesealter ab 4 Jahren
cbj-Verlag 2024

Bewertung vom 25.02.2024
Jene Tage
Farrochsad, Forugh

Jene Tage


ausgezeichnet

„Gesündigt habe ich, gesündigt voller Lust
In seinen feurigen, in seinen heißen Armen
Gesündigt habe ich mit wilder Leidenschaft
In seinen starken, festen Eisenarmen.“ (aus: „Die Sünde“)

Die Schriftstellerin Forugh Farrochsad, geboren 1935 in Teheran, hat mit ihrer Lyrik mein Herz erobert.
Sie gilt als eine der begabtesten, bedeutendsten Frauen der persische/iranischen Literaturgeschichte.
In ihren Texten setzt sie sich mit Konventionen, Erotik, Sinnlichkeit und der Neudefinition der Bilder von Mann und Frau auseinander.
Die Lyrik hat im persischen Kulturkreis eine ganz andere Bedeutung als in Europa. Und sie hat ein strenges Regelwerk.
Mit diesem bricht Forugh Farrochsad bereits 1955. Als erste Frau schreibt sie über Gefühle, Religion und Moral, ihre Liebe, ihre Sehnsucht, ihr Begehren.
Sie verstarb bereits mit 32 Jahren an einem Autounfall.
Zu ihrem 50. Todestag erschien 2017 der Gedichtbank „Jene Tage“, aus dem persischen übersetzt und mit einem erläuternden Nachwort von Kurt Scharf, sehr vorsichtig und ansprechend illustriert von Lothar Bührmann.
Ich bin froh, dass ich sie jetzt entdecken durfte.

Bewertung vom 23.02.2024
Der Flakon
Pleschinski, Hans

Der Flakon


sehr gut

Im Jahr 1765 überfällt die Preußische Armee Sachsen.
Der Premierminister Heinrich Reichsgraf von Brühl ist für die militärische Schwäche der Sachsen verantwortlich
Viele Sachsen fliehen, nach der Kapitulation auch der Kurfürst von Sachsen mit seinem Premierminister Brühl.
Friedrich August ist auch König von Polen und setzt sich mit Brühl nach Warschau ab. Die Frauen bleiben in Dresden.
Die Beschreibung des grauenvoller Belagerungszustands macht die Überlegenheit der preußischen Armee deutlich.
Detailreich und äußerst unterhaltsam wird das Leben bei Hof beschrieben, als wolle man mühsam den letzten Rest an Tradition bewahren.
Von der Marwitz, ein Adjutant Friedrichs begegnet der Gräfin Brühl und ihrer Hofdame im Schloss und die Gräfin entwickelt den Plan, Rache zu nehmen an dem Überfall Friedrichs des Großen auf ihr Land.
Sie erfährt durch von der Marwitz, dass Gellert und Godsched, die beiden großen Dichter, zu Friedrich vorgelassen werden sollen, er will sich der deutschen Literatur widmen.
Gemeinsam machen sie sich auf den Weg nach Leipzig, im Gepäck der Reichsgräfin 1 Flakon mit Gift, getragen von der Hoffnung, dass es durch jemanden, der zu einer Audienz vorgelassen wird, verabreicht werden kann. „Hier reisten Intrige, Verschwörung, Tod und Befreiung“.
Auf der spannende Kutschfahrt von Dresden nach Leipzig lernen die Reisenden sich besser kennen, aber sie begegnen auch den Grausamkeiten des Krieges, Verwüstung und Plünderung.
Die ungewöhnliche Charaktere führen humorvolle Dialoge, die Atmosphäre wird sehr fein und unterhaltsam aufgefangen. Immer wieder lassen ironische Nebenbemerkungen den Leser/die Leserin schmunzeln. Die historischen Details sind äußerst spannend und informativ. Bisweilen kommen Erinnerungen an Kehlmanns „Vermessung der Welt“ auf.
Ein sehr unterhaltsamer Roman mit einem anderen Blick auf die Geschichte und die Macht der Frauen, eine mögliche neue Interpretation des versuchten Attentats auf Friedrich den Großen.
Ich kann es sehr empfehlen.

Bewertung vom 04.02.2024
Das leise Platzen unserer Träume
Lohmann, Eva

Das leise Platzen unserer Träume


ausgezeichnet

Eva Lohmann erzählt in ihrem sehr authentischen, einfühlsamen Roman von den geplatzten Träumen einer Frau und ihrem ungewöhnlichen Neuanfang.
Jule und David, ein Ehepaar, erfüllen sich einen Traum. Sie ziehen von der Stadt aufs Land, kaufen ein Haus und beide träumen davon, dass in dem Garten bald Kinder spielen werden. David arbeitet weiter in der Stadt und er hat eine Geliebte, Hellen. Jule merkt recht schnell, dass etwas in ihrer Beziehung nicht mehr stimmt. „Wie waren sie in diese merkwürdige Starre gekommen, in diese Sprachlosigkeit, dieses Vermeiden und Wegschweigen, wann war das passiert?“ Sie braucht jedoch lange, bis sie die Wahrheit an sich heranlässt und handeln kann.
Auch als sie den Betrug ihres Mannes entdeckt. „Jule hatte einfach weiter gemacht, als wäre da nicht diese eine Sache zwischen ihnen, und genau das schien ja nun David schon seit einer Weile zu tun.“

In dem Roman kommen Jule und Hellen abwechselnd zu Wort, Hellen wendet sich in der Ich-Perspektive direkt an die Ehefrau und sie macht klar, dass sie die Geliebte bleiben will und keine ernsthafte Beziehung mit David plant. Helen hat bereits eine Ehe hinter sich und ist Alleinerziehend mit 2 kleinen Kindern. Sie hat sich und ihr Leben mühsam arrangiert und will keine feste Beziehung mehr mit einem Mann.

Die Begegnung der beiden Frauen führt Stück für Stück zu einer engen Verbindung zwischen ihnen.
Jule beginnt zu verstehen und kann loslassen von ihren Träumen einer heilen Welt.
Und sie schafft Platz für neue Träume.

Männer sind in diesem Roman hilflose Nebenfiguren, die anscheinend ohne eine Frau an ihrer Seite nicht klarkommen.
Davids Rolle ist die eines Statisten. Ebenso die des Nachbarn Olaf, der von seiner Frau verlassen wird. „Alte Frau weg, neue Frau da. Nur wenige Wochen waren vergangen.“
Die Frauen handeln und treffen ihre Entscheidungen.
Endlich. Es ist möglich, eine Frau nicht als Dauergefährtin eines Mannes zu definieren, die ohne ihn nicht existent ist, ihr Leben nach ihm ausrichtet, sondern als eigenständige Person, die über ihr Leben selber bestimmt.

Diese ungewöhnliche Geschichte zeigt die Freundschaft und den Zusammenhalt zwischen Frauen, aber auch das Bedürfnis nach Autonomie von Frauen.
Ich habe das Buch sehr gemocht und einige schöne Déjà-Vu-Momente erlebt.

Bewertung vom 01.02.2024
Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne
Scherzant, Sina

Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne


ausgezeichnet

Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne
„The wounded child inside many females is a girl who was taught from early childhood that she must become something other than herself, deny her true feelings, in order to attract and please others.”
Bell Hooks

In ihrem Debütroman setzt sich Sina Scherzant mit der Überanpassungsfähigkeit von Frauen, dem „People-Pleaser“-Phänomen auseinander.
Die Ich- Erzählerin Katha erzählt aus dem Blickwinkel einer Teenagerin, später dem einer erwachsenen Frau, sehr intensiv und genau beobachtend über wichtige Phasen ihres Lebens. Sie bezeichnet sich selber als „Lebenshandwerkerin“, die sich vor allem nach der Trennung ihrer Eltern aufopferungsvoll sowohl um ihre jüngere Schwester als auch um ihre Mutter kümmert. Auch während ihrer ersten Kontaktaufnahme mit einem Jungen ist nicht in der Lage, ihr Wünsche zu äußern, passt sich den Bedürfnissen des anderen an. „Und so saß ich da und tat, was von mir erwartet wurde, als Filip seine nach Knoblauch und Kippen schmeckenden Lippen auf meine drückte.“

Als sie die Mutter einer Klassenkameradin kennenlernt, beginnt sie, ihre Rolle zu beobachten und zu hinterfragen.
Angelica ist so ganz anders als die Erwachsenen, mit denen Katha in ihrer Familie zu tun hat, sie ist offen, selbstbewusst und stark. Die Nachmittage bei Angelica, die intensiven Gespräche, das Gefühl wahrgenommen und gesehen zu werden, lösen bei Katha starke Gefühle aus. In den Gesprächen mit Angelica lernt sie viel über sich und sie lernt, sich zu wehren, ihre Meinung zu vertreten, aufzubegehren, raus aus der Anpassung zu gelangen.

Der Verlust dieser wunderbaren Frau, die eine Stütze und auch ein Vorbild für den Kreis der Freundinnen ist, ist für Katha nicht zu ertragen.

Traurig und humorvoll beschreibt die Autorin die grauenhaften Besuche bei den Großeltern der Mutter, die „Arschgeigennachmittage“ (Was sich gehört und was sich nicht gehört.), ihren „Migrationsneid“ auf die Freundinnen, die in den Ferien zu Verwandten in andere Länder reisen, ihre große Liebe und Verantwortung für ihre Schwester, ihre Verachtung für ihre Mutter, die sich verliert. Wenn sie den Alltag nicht mehr erträgt, flüchtet sie in Phantasiewelten.
Sprachlich virtuos, in beeindruckenden Metaphern“ werden wir mitgenommen in die Welt dieser jungen Frau, die in „Stülprozessen“ immer wieder versucht, ihr Inneres zu verdrängen. Ihre atemlosen Gedanken spiegeln sich in atemlosen Sätzen wider.
Die tiefe Liebe zwischen Menschen erfährt eine starke Symbolik.
Ein geniales Buch, zutiefst berührend, unbedingt lesenswert.

Bewertung vom 26.01.2024
Frauen! Leben! Freiheit!
Mohammadi, Narges

Frauen! Leben! Freiheit!


ausgezeichnet

„Wir wurden im Namen Gottes gefoltert“ (Natali Amiri in ihrem Vorwort)

Narges Mohammadi, Menschenrechtsaktivistin, kämpft seit 44 Jahren gegen das Regime der islamischen Republik, im Jahr 2023 wird sie mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Narges, selbst immer wieder Gefangene, veröffentlicht in ihrem im August 2023 erschienenen Buch 13 Interviews mit inhaftierten Frauen in iranischen Gefängnissen. Die islamischen Frauen kämpfen für ihre Rechte und nehmen in Kauf, inhaftiert zu werden, in Einzelhaft.
Die Interviews wurden im berüchtigtes Teheraner Evin-Gefängnis geführt.
Die Liste der Grausamkeiten, denen diese Frauen ausgesetzt sind, ist groß, die größten körperlichen und seelischen Schäden werden jedoch durch die Einzelhaft, auch „weiße Folter“, genannt, verursacht. „Bei der weißen Folter werden Menschen für lange Zeiträume alle Sinnesreize entzogen.“
Die künstliche Beleuchtung führt dazu, dass die Frauen kein Tag- und Nachtempfinden haben. Die Einzelhaft verursacht Angstzustände, sensorische Deprivation und weitere, nicht wieder zu korrigierende Schäden.
Die Frauen berichten, wie ihnen ihre Würde und ihre Kraft systematisch genommen wurde. Inhaftierung ohne Prozess, Peitschenhiebe, seelische Folter bei Vernehmungen, das Verbinden der Augen zum Toilettengang, Überwachung bei der Körperpflege, ungesundes Essen, fehlende Gesundheitsfürsorge, sexuelle Belästigung sind Menschenrechtsverletzungen, die diese Freuen ertragen mussten.
Die Familien der Frauen werden unter Druck gesetzt, Familienmitglieder verhaftet, die Wohnungen der Familien durchsucht.
Die Trennung von den Kindern ist für die Frauen kaum zu ertragen, ebenso der fehlende Kontakt zur Familie.
Viele Frauen finden Halt und Überlebenswillen durch ihren Glauben und ihre Gebete.
„Das Auseinanderfallen von Zeit, Gesellschaft und normalem Leben, dieses Erkennen, an einen unerreichbaren Ort gebracht worden zu sein, das ist die Definition von Einzelhaft.“
(Mahvash Shahriari, Angehörige der Bahai)

Dieses Buch ist ein erschütterndes Dokument eines grausamen Unrechtssystems, das Frauen jedes Recht auf eine eigene Meinung oder Existenz abspricht.

Übersetzt von: Monireh Kazemi, Manijeh Erfani-Far, Niloofar Beyzaie, Parastou Forouhar, Niloufar Rahi, Maliheh Sharifzadeh, Mahwash Sallehy, Golnaz Gabrae, Soheila Abtehi, Hellen Nahid Nosrat, Fahimeh Farsaie, Aghdas Shabani, Mihan Rusta, Golrokh Jahangiri, Ferdos Mirabadi, Anja Schünemann

Bewertung vom 24.01.2024
Ich hätte da ein paar Fragen an Sie
Makkai, Rebecca

Ich hätte da ein paar Fragen an Sie


sehr gut

Die Amerikanerin Rebecca Makkai hat ihren 4. Roman veröffentlicht, der in Deutschland im September 2023 erschienen ist und begibt sich mit ihrem High-School-Roman mitten in die MeeToo-Debatte und die unterschiedlichen Dimensionen sexueller Belästigung.
Die Ich-Erzählerin „Bodie“ besucht ihre ehemalige High-School und erinnert sich an den Todesfall einer Mitschülerin, Thalia, der sich vor 20 Jahren nach einer Theateraufführung ereignet hat.
Beschuldigt und verurteilt wurde ein farbiger Sporttrainer der Schule.
Bodie betreibt einen Podcast über ungeklärte Mordfälle und unterrichtet nun an ihrer ehemaligen High-School Schüler*innen, die selber Podcasts zur Geschichte der Schule erstellen.
Britt und Alder, nehmen den Fall der getöteten Mitschülerin wieder auf und die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verurteilung des Täters wachsen immer mehr.
Es gelingt, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erwirken.

Die Ich-Erzählerin spricht in ihren Erinnerungen, die durch die Ereignisse und ihre eigen Recherchen wachgerüttelt werden, mit „Mr Bloch“, dem Musiklehrer. Sie erinnert sich, dass er eine enge Beziehung zu Thalia hatte und fragt sich, welche Schuld ihn trifft.
Bodie hat als Teenagerin keine angenehme Zeit an-der High-School erlebt, in der Begegnung mit den ehemaligen Mitschüler*innen im Laufe des Verfahrens wird ihr jedoch deutlich, dass viele von ihnen eine Geschichte mitbringen und merkwürdige Verwicklungen in dem Fall aufweisen.
Der Roman ist mit seinen 560 Seiten an einigen Stellen recht langatmig, nimmt aber zum Ende hin deutlich an Fahrt auf und gewinnt an Spannung.
Männer und Jungen, die sich schuldig machen im Umgang mit Mädchen und Frauen, Wut, Rache und der Wunsch nach Gerechtigkeit sind jedoch so wichtige und zentrale Themen, dass man die kleinen Exkurse in die Campus-Welt gern verzeiht.