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Leselampe
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Osnabrück

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Insgesamt 40 Bewertungen
Bewertung vom 01.10.2023
Der Weg ins Apfelreich
Fredriksson, Anna

Der Weg ins Apfelreich


gut

Familienstärke

Was für eine wunderbare Herbstgeschichte im ländlichen Schweden! Zu Beginn fand ich es etwas schwierig, in die Problem beladene und verzwickte Familiengeschichte hineinzufinden, da mir viele erwähnte Personen nicht bekannt waren. Das kann ich dem Roman der Herbstsaga aber nicht anlasten, sondern meinen mangelnden Vorkenntnissen der beiden vorhergehenden Bände der Trilogie.

Den drei Protagonistinnen - Großmutter Vanja, ihrer Tochter Sally und Enkelin Josefin - konnte ich Kapitel für Kapitel näher kommen, ihre jeweils wechselnden Blickwinkel einnehmen. So ergibt sich ein differenziertes Bild ihrer Ansichten, Gedanken, ihrer Sichtweisen auf das Leben, wie sie es gestalten möchten, mit welchen Problemen sie sich dabei konfrontiert sehen. Tragend dabei sind die Beziehungen der drei Frauen untereinander, in deren Familiengeschichte es vieles zu klären gibt. Können sie einander verstehen, vergeben, Gemeinsamkeit entwickeln?

Die jahreszeitliche Stimmung, die Farben, die Landschaft, die Gerüche - all das hat Anna Fredriksson treffend eingefangen. Der Sprachstil ist lebendig und abwechslungsreich mit vielen Anteilen wörtlicher Rede. Das Cover strahlt herbstlich-milde Wärme aus, die sonnigen Farbtöne von Gelb über Orange bis Dunkelrot wirken einladend und anheimelnd. Das abgebildete Bed & Breakfast steht wohl für Sallys "Pension Pomona". Hier möchte man sich gern verwöhnen lassen.

Bewertung vom 13.08.2023
Salz und Schokolade / Halloren-Saga Bd.2
Martin, Amelia

Salz und Schokolade / Halloren-Saga Bd.2


sehr gut

Schokoladenhistorie

Amelia Martin macht uns in ihrem Roman mit der Geschichte von Deutschlands ältester Schokoladenfabrik vertraut. In Halle an der Saale gelegen, tauchen wir zugleich ein in die Traditionen der Halloren, wie die Bruderschaft der Salzwirker genannt wird. Der historische Roman umfasst den Zeitraum von 1905 bis 1923, eine Zeit der Umbrüche auf vielen Ebenen: Die Schokoladenfabrik der Familien Mendel und David wandelt sich vom kleinen Handwerksbetrieb zur Manufaktur, in der Führung bahnt sich ein Generationenwechsel an, Deutschland steuert mit Kaiser Wilhelm II. auf den ersten Weltkrieg zu, und gesellschaftspolitisch erstarkt die SPD mit fortschrittlichen Forderungen für die Arbeitswelt und das Frauenwahlrecht. Die Vereinigten Staaten von Amerika locken nicht wenige, in ein freies Land mit mehr individuellen Möglichkeiten aufzubrechen.

Das Aufbegehren geht auch an den Protagonisten der Romanhandlung nicht spurlos vorüber: Die Töchter Cäcilie und Elise David entwickeln andere Vorstellungen von ihrer Zukunft als die Eltern es für sie vorgesehen haben, mit einer ehelichen Verbindung der Familien David und Mendel. Die ältere lebt ihren Freiheitsdrang beim Reiten und einer Liebelei aus, die jüngere träumt von einer beruflichen Perspektive. Demgegenüber stehen Julius und Friedrich Mendel als Nachfolger der Fabrik. Julius, vorbestimmt als Ehemann Cäcilies, hat nur Augen für Ida, eine Salzwirkertocher und damit nicht standesgemäß. Mit den Figuren Jonni und Emmi ist auch noch die Handwerker- bzw. Arbeiterschaft präsent.

Über allem schwebt das Damoklesschwert des heraufziehenden ersten Weltkriegs, mit Folgen auch für Julius und Friedrich - über den Prolog wird das Schlachtgeschehen teils vorweg genommen und später in der chronologischen Handlung wieder aufgegriffen. So wird der Spannungsbogen bis zuletzt aufrecht erhalten.

Der Autorin ist es sehr gut gelungen, die zeitgeschichtliche Ebene mit den persönlichen Schicksalen der Protagonisten zu verknüpfen, zugleich erfahren wir Einiges über die Schokoladenproduktion und die Lebensweise unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten. Genau das finde ich an historischen Romanen so reizvoll. Der Schreibstil ist lebhaft und gut lesbar. Während über weite Strecken durchaus gemächlich erzählt wird, ging es mir zum Ende hin fast zu schnell. Wünschenswert ist eine Fortsetzung der Familiengeschichte für die Zwischen- und Nachkriegszeit. Ein bereits erschienener Band deckt die Zeit ab 1950 ab, so wäre die Lücke zu schließen.

Das Cover hat mich zusammen mit dem Buchtitel sehr angesprochen; ich finde es stimmig, um das Zeitkolorit zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts einzufangen.

Bewertung vom 27.07.2023
Sylter Welle
Leßmann, Max Richard

Sylter Welle


weniger gut

Vom Hölzchen aufs Stöckchen

Max Richard Leßmann nimmt uns mit auf eine Reise - nach Sylt in eine Ferienwohnung zu den Großeltern, in seine Jugend, zu seiner Familie. Vieles davon ist wohl autobiografisch gefärbt. Die Großeltern Omma Lore und Oppa Ludwig sind alt geworden, besonders der Großvater wird "tüdelig". So ist es erstmalig (und letztmalig) nicht mehr der Camper wie in Max' Kindheit, der Unterschlupf auf Zeit bietet, sondern eine Ferienwohnung in Westerland. Der Abschied Max' nach drei Tagen hat nichts vom fröhlichen Winken bis zum nächsten Aufenthalt, sondern etwas Endgültiges voller Wehmut.

Gut gefallen hat mir der teils selbstironische, witzige und ehrliche Sprachstil Leßmanns. Auch die Charakterisierungen der höchst eigenwilligen, liebens- und auch hassenswerten Großeltern fand ich treffend und vielfach anrührend. In Ich-Form erzählt der Autor, ausgehend vom aktuellen Sylturlaub, in vielen Rückblenden von früheren Aufenthalten, von der Kindheit, Familienfesten, Schicksalsschlägen, Freunden, Verwandten. So weit, so gut. Jedoch verliert sich die Geschichte dabei oft in Nebensträngen von weiteren Nebensträngen; das habe ich als ausufernd und zunehmend als anstrengend empfunden.

"Sylter Welle" bezeichnet einerseits die Anlage mit der gemieteten Ferienwohnung, andererseits kann der Buchtitel auch für die Höhen und Tiefen des Lebens stehen, die für Max angesichts der alten Großeltern so präsent werden. Das Cover mit dem brennenden Strandkorb hätte ich eher passend für einen Inselkrimi gefunden.

Bewertung vom 16.07.2023
Der Laden der unerfüllten Träume
Cox, Amanda

Der Laden der unerfüllten Träume


gut

Glaube, Liebe, Hoffnung

Der Lebensmittelladen "Old Depot Grocery" in der amerikanischen Kleinstadt Brighton/Tennessee scheint wie aus der Zeit gefallen. Längst ist der größere Supermarkt mit seinen günstigen Angeboten zur übermächtigen Konkurrenz geworden; es droht der Konkurs. Doch Glory Ann mag diesen Anker ihrer Familie noch nicht aufgeben, ist er doch das Vermächtnis ihres vor vielen Jahren getöteten Ehemanns Clarence, Arbeitsstelle für Tochter Rosemary, Heimat für die zweite Tochter Jessemine und Zufluchtsort für Enkelin Sarah. Letztere kehrt zurück nach Brighton, als ihr Mann tödlich verunglückt ist und sie nicht weiß, wohin ihr Lebensweg sie führen soll.

Die Familiengeschichte um die drei Frauen Glory Ann, Rosemary und Sarah birgt viele Geheimnisse, viele Verletzungen, viele Missverständnisse. Nach und nach bringt die Autorin Amanda Cox Licht ins Dunkel, indem sie in ihrer Erzählstruktur häufig zwischen Vergangenheit und Gegenwart wechselt. So lernen wir ganz allmählich die Hauptpersonen und die Beweggründe ihres Handelns besser kennen, machen Bekanntschaft mit weiteren liebenswerten oder auch schrulligen Bewohnern der Dorfgemeinschaft bis zurück in die 1960er Jahre.

Die Geschichte wird ruhig und mit liebevollem Blick auf die Romancharaktere erzählt. Die Kleinstadt Brighton mit dem Laden als Treff- und Mittelpunkt ist für mich lebendig geworden: Hier kümmert man sich umeinander und interessiert sich für die Sorgen der Mitmenschen. Wunderbar konnte ich mir auch vorstellen wie sich Rosemary und ihre jüngere Schwester Jessemine die Gänge des Geschäfts als Spielplatz eroberten, wie sie später halfen, die Regale zu säubern und mit Waren aufzufüllen. Amanda Cox merkt man an vielen Stellen ihren christlichen Hintergrund und ihre Wertorientierung an: Die Romanfiguren lassen sich davon leiten. Dieser starke religiöse Bezug wurde mir vor allem ab Mitte des Buches zu viel. Das Buchcover konnte mich nicht gänzlich überzeugen: Während der untere Teil mit dem Motiv des Ladens durchaus gelungen ist, passt die obere Abbildung so gar nicht zu den drei Frauen im Buch.

Ich mochte die Protagonisten mit all ihren Fehlern und ihrer Bereitschaft, daraus zu lernen und ihrer Fähigkeit, Freude, Zufriedenheit und Glück auch in den kleinen Dingen des Lebens zu sehen.

Bewertung vom 03.07.2023
Greta Garbo / Ikonen ihrer Zeit Bd.10
Lüding, Kristina

Greta Garbo / Ikonen ihrer Zeit Bd.10


gut

Gut recherchiert

Kristina Lüding legt mit "Greta Garbo. Die einsame Göttin" eine gut und sorgfältig recherchierte Romanbiografie vor. Viele Fakten und Daten aus dem Leben der Greta Gustafsson hat die Autorin aufgegriffen und im Roman als Gerüst und Hintergrund verarbeitet. Die ärmlichen Familienverhältnisse in Schweden, der frühe Verlust des geliebten Vaters, die Notwendigkeit, die Familie finanziell zu unterstützen, prägen Gretas Jahre als junges Mädchen. Sie ist begeistert von der Atmosphäre des Theaters und wünscht sich nichts sehnlicher als Schauspielerin zu werden. Ihre ersten Schritte in diese Richtung kann sie als Hutmodell für einen Katalog und Darstellerin in einem Kaufhaus-Werbefilm im Stockholm der 1920er Jahre machen. Über Stationen wie den Besuch der Schauspielschule und erste Filmerfolge in ihrer Heimat Schweden folgt sie ihrem Entdecker Mauritz Stiller nach Hollywood zu MGM. Die große Zeit der Traumfabriken in der Stummfilmära ist angebrochen, und die junge ehrgeizige Frau wird als Greta Garbo zur Stil gebenden Ikone "die Garbo" aufgebaut.

All ihre Lebenssituationen, ihre Filmerfolge, ihre Beziehungen zu Schauspielern, der ständige Kampf um ihr passend erscheinende Rollen, um höhere Gagen und sonstige Vertragsbedingungen lassen das Bild einer nach Unabhängigkeit strebenden Frau entstehen. Und dennoch erscheint es schwierig, sich der Persönlichkeit der großen Schauspielerin anzunähern. Kristina Lüdings Darstellung ist flüssig zu lesen und keineswegs oberflächlich, aber dennoch lässt mich ihr Roman mit dem Gefühl zurück, in seinem Verlauf nicht wirklich viel von Greta Garbo kennengelernt zu haben. "Ich fürchte, ich habe mir angewöhnt, immer eine Rolle zu spielen", so äußert sich Greta im Roman (S. 315) gegenüber ihrer Freundin Mercedes. Und sie findet selbst keine Antwort darauf, ob es schon immer so war. Mag auch sein, dass die Attribute des Geheimnisvollen und Unnahbaren, mit denen die Hollywoodikone sich stets umgeben hat, verhindern, hinter diese Kulisse zu blicken.

Das Cover gefällt mir: Der Titel gebende Schriftzug "Greta Garbo" ist einem Autogramm nachempfunden. Die leicht exotisch anmutende Hollywoodkulisse ist gut auf den Inhalt abgestimmt: Palmen und Häuser am Fuße der Hills in sanften, verwaschenen Farben, davor die Frauengestalt, die Greta Garbo verkörpern soll. Die hintere Umschlagklappe macht mit acht weiteren Titeln der Reihe "Ikonen ihrer Zeit" bekannt: Berühmte Frauengestalten aus mehreren Jahrhunderten von Nannerl Mozart bis zu Diana machen mich neugierig auf ihre Schicksale.

Mein Fazit zum vorliegenden Band bleibt gemischt, knapp vier Sterne.

Bewertung vom 19.06.2023
Wo du mich findest
Barns, Anne

Wo du mich findest


sehr gut

Neubeginn - poetisch verpackt

Von Anne Barns habe ich bereits einige Romane gelesen/gehört, deren Schauplätze sich gleichen, die am Meer spielen, beispielsweise auf Juist. Immer begegnet man Frauen, die neue Entscheidungen für ihren Lebensweg treffen.

So auch in dem Buch "Wo Du mich findest", das auf Rügen spielt. Bereits das stimmungsvolle Cover deutet an, dass wiederum eine Frau die Hauptfigur ist, eine Frau, die sich "freischwimmen" will: Sophie, die zwei Trauerfälle zu verarbeiten hat und nicht weiß, in welche Richtung ihr Leben sie führen, welche Wendung sie ihm geben wird. Und doch ist dieser Roman anders: eine sehr fantasievolle Grundidee, ausgesprochen poetisch im Sprachstil, teils melancholisch, mit offenem Ende.

Die zufällige Begegnung mit einem Fremden auf Rügen, der Sophie daheim in ihren Träumen begegnet, ihr nicht mehr aus dem Kopf geht, leitet für sie einen Neubeginn ein. Ihr Mann und sie finden nicht mehr zueinander, Sophie sucht den Fremden auf der Ostseeinsel, freundet sich mit einer Insulanerin an und - bleibt...

Anne Barns hat mich wiederum nicht enttäuscht!

Bewertung vom 31.05.2023
Das Restaurant der verlorenen Rezepte / Die Food Detectives von Kyoto Bd.1
Kashiwai, Hisashi

Das Restaurant der verlorenen Rezepte / Die Food Detectives von Kyoto Bd.1


sehr gut

Mit Spürsinn zu vergessenen Wohlgeschmäcken

Wer fühlt sich nicht von einem Lieblingsgericht seiner Kindheit förmlich umarmt, wenn er sich daran erinnern und es nachkochen kann? Und wie schade ist es, wenn das Gedächtnis lückenhaft ist, das Rezept nicht aufgeschrieben wurde oder verloren gegangen ist. Hisashi Kashiwai erfand ein unscheinbares, kleines Restaurant in Kyoto, in dem der Gast den längst vergessenen Geschmack eines Gerichtes wieder erleben kann. Hat der Besucher das einfach anmutende Restaurant ausfindig gemacht, fördern Nagare und seine Tochter Koishi Kamogawa mit detektivischem Gespür, akribischer Recherche und Kochkunst Erinnerungen zu Tage, führen Erkenntnisse herbei und lösen Glücksgefühle aus.

Das kleinformatige Buch mit seinen Geschichten um sechs Personen ist liebevoll gestaltet und angenehm zu lesen. Die Kapitelanfänge sind jeweils mit einer Zeichnung von Hauskatze Hirune verziert; die Erinnerungsgeschichten der sechs Gäste gleichen sich und sind doch immer anders gelagert. Wir erfahren einige Details von der japanischen Küche, verschiedenen Regionen und japanischer Lebensweise, lernen nicht zuletzt Nagare und Koishi immer besser kennen.

Mir hat die zu Grunde liegende Idee und ihre Umsetzung rundum sehr gefallen!

Bewertung vom 09.05.2023
Mutterliebe
Selvig, Kim

Mutterliebe


gut

Spannend mit Thrillerelementen

Das in nur drei Farben gehaltene Cover vermittelt sehr passend die düster-depressive Stimmung der Protagonistin Sylvia Bentz - einer Mutter, die ihren kleinen Sohn Linus getötet hat. Doch trägt sie für dieses unvorstellbare Verbrechen auch die Schuld? Dazu recherchiert Journalistin Kiki Holland, begleitet - ungewollt - den Gerichtsprozess für ihre Zeitung und bringt sich selbst mehrfach in Gefahr. Denn es gibt mächtige Personen, die eine Aufklärung der Tathintergründe verhindern wollen.

Kim Selvig - ein Pseudonym für die zwei Autoren Silke Porath und Sören Prescher - ist ein spannender Krimi gelungen, der Thrillerelemente mitbringt. Szenen, die im Gerichtssaal spielen, ziehen sich zwar durch, überwiegen aber keinesfalls, zumal Kiki Holland zeitweise vom Geschehen dort ausgesperrt bleibt. Der Journalistin spielen arg viele Zufälle in die Hände, die die Handlung und Falllösung vorantreiben. Gut gefallen haben mir die Einblicke in Kikis Privatleben, mit Tätowierer "Torte" und neuem Freund Tom, genannt "Maulwurf". Der Bezug zum Fall wird dadurch hergestellt, dass beide die Recherchen ihrer Freundin tatkräftig unterstützen.

Das über 430 Seiten starke Buch lässt sich dank flüssigen Schreibstils gut lesen, manches Mal ging es mir mit schnoddrig-umgangssprachlicher Ausdrucksweise zu weit; das häufige Fluchen der Journalistin hätte für meinen Geschmack auch nicht sein müssen. Die Struktur mit eingeschobenen Schilderungen, Gedanken und Träumen zu unterschiedlichen Zeitpunkten vor der Tat trägt wirksam zum Spannungsaufbau bei, vom Layout her sind diese Passagen unterstützend kursiv hervorgehoben.

Insgesamt ein durchaus lesenswerter Krimi mit Thrillermomenten, den ich trotz kleinerer Schwächen gern positiv bewertet hätte - wäre da nicht gegen Ende ein sehr grober inhaltlicher Schnitzer passiert. Aber von einer bestimmten Person in Untersuchungshaft zu sprechen und quasi im gleichen Atemzug zu schreiben, eben diese Person sei (zeitlich davor liegend) im Gerichtssaal bei einem Schusswechsel zu Tode gekommen, das ist überaus ärgerlich.

Bewertung vom 28.04.2023
Die unglaubliche Grace Adams
Littlewood, Fran

Die unglaubliche Grace Adams


ausgezeichnet

Eine starke Frauenfigur

Mit ihrer Geschichte um Grace Adams ist der Autorin Fran Littlewood ein unglaublich intensiver Debütroman gelungen. Die Handlung konzentriert sich auf einen völlig aus dem Ruder laufenden Tag im Leben der Hauptperson. Die 45-jährige Grace versucht, allen Widernissen zum Trotz, von ihrem Haus zur Wohnung ihres getrennt lebenden Ehemanns Ben zu kommen und aus der Konditorei eine ganz besondere Torte mitzubringen. Denn die gemeinsame Tochter Lotte feiert dort ihren sechzehnten Geburtstag, doch die Mutter ist dabei alles andere als erwünscht.

Grace durchlebt an diesem Tag in der Gegenwart gedanklich zwei zurückliegende Zeitebenen: Eine ab 2002, als sie Ben kennenlernte, die andere spielt vor einigen Monaten, und beide Ebenen münden in diesen chaotischen, gewalttätigen, schmerzhaften und vieles aufdeckenden Tag in der Gegenwart. Denn "etwas ist passiert, das sie sprachlos gemacht und aus der Bahn geworfen hat" (Zitat aus dem Klappentext). Und genau diese Sprachlosigkeit muss endlich aufhören, das zentrale Ereignis, das das Familienleben über Jahre vergiftet hat, offengelegt werden. Die Konstellation der Mutter nahe ihrer Menopause und der Tochter, die sich mit Pubertät und erwachender Sexualität auseinanderzusetzen hat, liefert zusätzlichen Sprengstoff.

Fran Littlewood hat durch die Anlage des Romans mit den verzahnten Zeitabschnitten eine Struktur geschaffen, die eine starke Spannung entstehen lässt. So konnte ich das Buch fast nicht aus der Hand legen. Absolut lesenswert!

Bewertung vom 08.04.2023
Das Bücherschiff des Monsieur Perdu
George, Nina

Das Bücherschiff des Monsieur Perdu


weniger gut

"Das schönste Buch des Jahres"* - Ich hoffe nicht

Auf die weitere Geschichte um Monsieur Perdu hatte ich mich gespannt gefreut, führt das "Bücherschiff" doch die Handlung von "Das Lavendelzimmer" fort. Wiederum begegnen uns eigenwillige und liebenswerte Gestalten wie Catherine, Madame Gulliver, Max, Samy, Salvo, Victoria und weitere, darunter bislang noch unbekannte Personen. Die Idee der "Pharmacie Littéraire" lebt weiter, und die Paris-Reise von Perdu und Max mit der schwimmenden Buchhandlung "Lulu" bestimmt den Mittelteil des Romans. Das hübsche Cover mit Brücke und Schiff und der lilafarbene Bucheinband schaffen bereits äußerlich die Verbindung zum Vorläuferwerk.

Nina Georges Sprachstil erfordert Zeit, Konzentration und Muße beim Lesen, da, wo er fein, poetisch und tiefgründig ist. Manchen Satz habe ich zweimal gelesen und viel Zitierfähiges gefunden. Dann wiederum war mir der Schreibstil zu überfrachtet, die Handlung verliert sich, und es machte keine Freude mehr zu lesen. Bücher als Balsam für die Seele, die wie Medizin individuell verschrieben werden, und das alles im schwimmenden "Sprechzimmer" - das trägt auch in diesem Roman als schöne Grundidee, die beim Lesen Gestalt annimmt. Wobei ich allerdings finde, dass die Autorin die Heilungen an mancher Stelle unglaubwürdig übertrieben hat, beispielsweise beim Brigadier Le Roy, geläutert durch das Lesen von Rilkes Gedichten.

"Die Große Enzyklopädie der kleinen Gefühle" hätte ich - wenn überhaupt - lieber als geschlossenen Teil am Ende des Buches gesehen und das in weitaus knapperer Form. Mitten im Romantext haben die vielfach überlangen und manchmal schwerlich nachvollziehbaren Einträge meinen Lesefluss störend unterbrochen; ich habe sie teils nur noch überflogen.

Übertrieben und fast ärgerlich habe ich das Auftreten der Figur "Jean Bagnol" empfunden, dem gemeinsamen Pseudonym Nina Georges und ihres Mannes. War es als witziger Einfall gedacht? Bei mir hat er nicht gezündet.

Zum Einstieg hatte ich mir übrigens nochmals "Das Lavendelzimmer" herausgesucht, das ich unübertroffen finde und mit dem das "Bücherschiff" bei weitem nicht mithalten kann. "Das Lavendelzimmer" habe ich dieses Mal in der Hörbuchfassung genossen. Gelesen von Richard Barenberg mit wunderbar sonorer Stimme, wurde der Roman für einige Tage mein angenehmer Begleiter auf Spaziergängen. Mehrere Passagen der Manon hatte die Autorin selbst eingesprochen. Wer die Vorgeschichte zum "Bücherschiff" noch kennenlernen möchte, dem kann ich das Hörbuch unbedingt empfehlen.

*Zitat Klappentext