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Sillesoeren
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Hürth

Bewertungen

Insgesamt 34 Bewertungen
Bewertung vom 29.01.2009
Das Schiff
Máni, Stefán

Das Schiff


sehr gut

Neun Matrosen auf ihrer letzten Fahrt.

Der Leser weiß, dass es die letzte Fahrt für diese Crew ist, weil die Reederei das Schiff verkauft hat. Er weiß auch, dass es die letzte Fahrt für den Kapitän ist, weil sich dieser zur Ruhe setzen will. Also ist es eine besondere Fahrt für alle. Wie besonders sie wird, ahnt der Leser spätestens nach der detaillierten Vorstellung der einzelnen Crewmitglieder, von denen einer sogar vollkommen ungeplant und zufällig auf das Schiff kommt.

Das Buch beginnt mit der vergleichsweise harmlosen Beschreibung des letzten Abends an Land bei der Familie eines Matrosen. Doch schon die letzten Stunden der anderen Männer an Land lassen Böses ahnen. Und in der Tat entwickelt sich der Plot schnell zu einer düsteren Beschreibung der üblen Schicksale, Machenschaften und Charaktere der Crewmitglieder. Gewalt, Hass, Wut und Verzweiflung habe ich lange nicht mehr in einer solchen Vollendung beim Lesen gespürt. Selbst Szenen, die bei Tag spielten, wirkten düster und niederschmetternd. Wenn aus dieser Ausgangskonstellation am Ende alle lebend, gesund und zufrieden heraus gekommen wären, hätte ich die Welt nicht mehr verstanden.

Faszinierend empfand ich die Erzählweise von Stefán Máni, der mitunter eine Szene aus drei verschiedenen Blickwinkeln erzählte. So wird die Sicht und Handlungsweise der Besatzungsmitglieder klarer, die Spannung erhöht sich weiter.

Dass ausgerechnet der offensichtliche Verbrecher bei mir die größten Sympathien erwirbt, verblüfft mich beim Lesen sehr. Alle Charaktere sind interessant gezeichnet. Auch deren Empfindungen kann ich gut nachvollziehen, besonders eben das stete, nervenaufreibende bumm - bumm - bumm empfand ich allein beim Lesen schon als beklemmend.

Ich gebe 4 von 5 möglichen Punkten. Einen fünften Punkt verweigere ich dem Buch, weil mir in der zweiten Hälfte die Vielzahl der aufeinander folgenden Katastrophen nun doch etwas zu konstruiert wirkt. Insgesamt aber war es ein großer Lesegenuss und bestimmt nicht das letzte Buch, das ich von diesem Autor lese.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.01.2009
Mehr als du denkst
Prinz, Alois

Mehr als du denkst


weniger gut

In "Mehr als Du denkst" versucht Alois Prinz, anhand von zehn Kurzbiografien seine These zu beweisen, dass es im Leben neben der biologischen Geburt noch eine geistige Geburt geben muss, um ein vollwertiger Mensch zu sein. Dass diese zweite Geburt aus Sicht des Autors allein in der Hinwendung zu Gott liegen kann, war mir klar, als ich das Vorwort gelesen hatte.

In simpel formulierten Erzählungen beschreibt Alois Prinz die Wendepunkte im Leben von Jesus von Nazareth, Aurelius Augustinus, Franz von Assisi, Teresa von Avila, Martin Luther, Blaise Pascal, Edith Stein, Elisabeth von Thüringen, Simone Weil und Dorothee Sölle. Er legt dabei stets den Schwerpunkt in die Kindheit und Jugend des jeweiligen Menschen. Das ist ok für ein Kinder- und Jugendbuch, damit sich der Leser auch mit den beschriebenen Figuren identifizieren kann. Oft bricht er für meinen Geschmack zu knapp nach dem Erleuchtungsmoment ab und lässt den Leser allein mit der Frage, was weiter aus der beschriebenen Person geworden ist. Die einfache Sprache störte mich nicht, weil mir ja schon aus der Leseprobe klar war, dass es nicht für Erwachsene geschrieben ist. Wohl aber hatte ich oft das unbestimmte Gefühl, man präsentiere mir nur die halbe Wahrheit und nicht in Konzept und Theorie des Autors passende Teilaspekte würden mir verschwiegen. Mitunter war dieser Zweifel so stark, dass ich meine Brockhaus-Enzyklopädie und Wikipedia hinzu zog.

Das Buch hinterlässt mich unsicher. Unsicher, ob die These des Autors wirklich ein ganzes Buch tragen kann. Unsicher, ob man jugendlichen Lesern wirklich unterschwellig sagen darf, sie seien noch keine vollwertigen Menschen, solange sie noch keine solch lebensbestimmende Erleuchtung hatten wie die beschriebenen Personen. Unsicher, ob ich dieses Buch weiter empfehlen kann. Unsicher, was ich nun mit diesem Buch mache. Ich werde es wohl einem Erwachsenen schenken, obwohl in diesem Frühjahr zweimal Kommunion einmal Firmung und dreimal Konfirmation in meiner Umgebung anstehen. Denn ich bin auch unsicher, ob der Autor dieses Buch nicht aus bloßem Kalkül geschrieben hat, mit genau diesen kirchlichen Initiationsfesten sein Geld zu machen, wenn gutmeinende Großeltern, Tanten und Paten auf der Suche nach einem geeigneten Geschenk die Buchhandlungen durchstreifen.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.01.2009
Sehnsucht nach Elena
Haahtela, Joel

Sehnsucht nach Elena


ausgezeichnet

Ein dringender Rat an andere Leser: Diese Inhaltsangabe auf dem Cover verrät schon viel zu viel.

Spannender wäre die Lektüre für mich gewesen, wenn ich durch die ersten beiden Kapitel hindurch wirklich noch geglaubt hätte, es mit einem jungen Stalker zu tun zu haben. Denn erst auf den letzten Seiten stellt sich heraus, warum der Erzähler so fasziniert von Elena ist und wie harmlos seine Sehnsucht nach ihr ist.

Dieses Buch ist wundervoll. Die kurzen Kapitel bringen die sprunghaften Gefühle des Erzählers zum Ausdruck. Ich habe gar nicht gemerkt, wie schnell ich in der Mitte des Buches war und habe es dann in einem Schwung fertig gelesen. Das hübsche Lesebändchen war daher während meiner Lektüre arbeitslos. Bestimmt werde ich "Sehnsucht nach Elena" noch ein zweites Mal lesen, es hat mich sehr beeindruckt. Der Stil ist poetisch und gefühlvoll, ich habe das Buch häufig mit Tränen in den Augen gelesen. Wieviel Sehnsucht und Melancholie ein Autor in mein Herz bringen kann, war mir vor dieser Lektüre nicht klar. Das Buch war mir ein echtes Weihnachtsgeschenk, es hat mir geholfen, meine eigenen Herzensdinge beherzt anzugehen und in einem größeren Kontext zu betrachten.

Danke, Joel, für diese hinreißende Leseerfahrung!

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.01.2009
Landliebe gesucht
Hamberg, Emma

Landliebe gesucht


sehr gut

Titel und Covergestaltung lassen auf oberflächlich-alberne Chicklit schließen. Wie angenehm, während des Lesens feststellen zu dürfen, das das Buch deutlich mehr Tiefgang hat, als die Äußerlichkeiten vermuten lassen. Ich fürchte nur, dass der Verlag damit einige Fehlkäufe heraufbeschwört. Der Originaltitel "Brunstkalender" wäre auch im Deutschen passender und witziger gewesen, immerhin geht es um einen Bauernhof mit Milchwirtschaft und Kälberzucht sowie um eine kinderlose Frau, die quasi auch einen Brunstkalender führt.
Vom Inhalt her ist es ein netter Familienroman: Die drei erwachsenen Töchter des Bauernehepaars Irene und Rolf leben ihr eigenes Leben fernab des elterlichen Hofs. Sie sind in ihren Charakterzügen so unterschiedlich, dass sie sich wohl nie kennen gelernt hätten, wenn sie nicht in derselben Familie aufgewachsen wären. Jede hat ihre eigenen Sorgen und Probleme, die erstmals bei einem Kindergeburtstag aufeinander prallen, mit dem Tod des Vaters aber bei allen Frauen (Mutter Irene und Töchter Åsa, Lena und Marie) zu einer Lebenskrise mutieren.
Der Stil ist flüssig und zeitgemäß, auch wenn ich mich wirklich nicht mit der Gegenwartsform bei Romanen anfreunden kann. Die Autorin wechselt je nach im Mittelpunkt der Handlung stehenden Personen das Tempo und die Formulierungen, nette Idee! Beispiel aus den ersten Kapiteln: Das Kapitel zu Lena ist eine typische Familiensituation mit gestresster Mutter, abwesendem Vater, chaotischen Kindern und vielen Haustieren. Entsprechend durcheinander ist auch der Schreibstil. Marie ist Bardame, sie ist nur an Äußerlichkeiten wie Lippenstift und Zurschaustellung ihrer Brüste interessiert. So oberflächlich und kurz angebunden Gespräche in einem solchen Umfeld sind, so abgehackt und kurzatmig ist auch der Schreibstil dieses Kapitels. Langweilig fand ich besonders die Beschreibung von Åsa. Was interessiert mich das Leben einer stinkreichen, schüchternen, ungewollt kinderlosen IT-Spezialistin?
Dieser Familienroman ist weit von "Friede, Freude, Eierkuchen" oder "Bullerbü für Erwachsene" entfernt, wie es der Waschzetteltext vermuten lässt. Die handelnden Personen sich realistisch gezeichnet, jedes Verhalten ist so gut nachvollziehbar, dass ich mitunter bei einem Streit großes Verständnis für beide Parteien hatte oder sogar dachte, die Autorin beschreibe mich selbst. Bei allen tragischen, traurigen und turbulenten Vorgängen gibt es auch urkomische Elemente. Ich denke da an eine Szene, in der Robert nach einer heißen Sexnacht mit heruntergelassener Hose auf dem Teppich einschläft und in eben diesem Zustand am nächsten Morgen beim Aufwachen in die neugierigen Gesichter seiner drei Kinder blickt, die wissen wollen, ob er in der Nacht den Weg zur Toilette nicht mehr gefunden hat. Angenehm ist das offene Ende in Bezug auf die Liebesbeziehungen der drei Schwestern, alles andere wäre mir zu kitschig gewesen.

Mein Fazit aus dem Buch: Auf der Suche nach dem Glück muss man erst ganz tief fallen oder einen schweren Verlust erleiden, um die Kraft zu haben, neu anzufangen und das Leben zu meistern.

Mein Fazit zum Buch: Nette Lektüre für Leute, die gerne humor- und gefühlvolle Familienromane lesen.

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.01.2009
Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht
Hein, Jakob

Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht


ausgezeichnet

Was Tee und Milchkaffee verbindet

Allein für die detailverliebten Monologe der jeweiligen Protagonisten zur vollendeten Herstellung von Tee und Milchkaffee an vollkommen unterschiedlichen Stellen im Buch hat sich die Lektüre gelohnt. Das liest sich jetzt vielleicht profan, aber jemand, der einen philosophischen Roman schreibt, bei dem es um den Sinn des Lebens geht, und dabei so viel Zeit und Schreibenergie auf die Zubereitung von Heißgetränken verwendet, hat den Sinn des Lebens vielleicht sogar schon gefunden.

Jakob Hein hat es fertig gebracht, auf nur 174 Seiten vier Geschichten ineinander zu verschachteln, sympathische Charaktere einzuführen, mitreißend zu erzählen und am Ende alle Schachteln mit einem passenden Deckel zu versehen. Allein die äußere Schachtel mit der Agentur für verworfene Idee hat mir so gut gefallen, dass ich mir davon ein ganzes Buch erhofft hätte. Doch hier will der Autor dem Leser wohl sagen: bring deine verworfenen Ideen nicht in eine Agentur, sammele sie selbst und mach das Beste draus. Viele zufriedene Menschen führen ein Notizbuch, in dem kunterbunt zusammengewürfelt noch nicht ausprobierte Rezepte, Ideen für einen Romananfang, to-do-Listen und Sammlungen möglicher Weihnachtsgeschenke enthalten sind. Daran fühlte ich mich beim Lesen der "äußeren Schachtel" erinnert.

Die nächste Schachtel spricht aus dem Leben: Wer will nicht lieber einer jungen, hübschen Frau helfen, wenn sie bewusstlos auf der Straße zusammenbricht, als einem alten, hässlichen Menschen, obwohl dieser viel nötiger auf Hilfe angewiesen ist? Leider sind wir Menschen so, das ist auch eine meiner Erfahrungen aus DRK-Einsätzen.

Der alte Maulwurf aus der nächsten Schachtel ist vielleicht ein typischer Vertreter seiner Generation: altersstarrsinnig, uneinsichtig und doch voller Träume und Ideen. Ich könnte diesen Kerl knuddeln, wenn er wieder gegen ein Möbelstück gelaufen ist.

Bei der innersten Schachtel kann der Leser nicht einmal sicher sein, ob sich darin nicht noch eine oder mehrere weitere Schachteln verbergen, von denen ihm der Autor nur nichts verraten will. Hut ab, Jakob Hein traut sich an jedes Thema heran und geht sogar mit dem Sinn des Lebens so scheinbar mühelos - fast schwerelos - um, dass ich beim Lesen immer wieder lächeln musste. Die Moral dieser Geschichte ist schnell erkannt: Hüte dich vor deinen Wünschen, sie könnten in Erfüllung gehen!

Das Buch in sich ist absurd: Boris spricht von Romananfängen, am Ende sind aber alles jeweils abgeschlossene Geschichten, selbst die Rahmenhandlung findet ein Happy End. Auch nach dem Zuklappend er Buchdeckel hänge ich noch vielen Gedanken nach, besonders zu Heiner, der beinahe den Sinn der Lebens entdeckte. Nun hat er die Möglichkeit und nutzt sie nicht. Oder wurde er schon fündig und merkt es (noch) nicht? Alles in allem ist dieser Roman ein Lesevergnügen für ein paar gemütliche und nachdenkliche Stunden mit Tiefgang, ohne so schwerfällig oder kitschig zu werden, wie viele andere philosophische Romane.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.01.2009
Die Bucht am Ende der Welt
Bambaren, Sergio

Die Bucht am Ende der Welt


weniger gut

Sergio Bambaren reist zum Surfen nach Tobago, er will die perfekte Welle finden und reiten. Doch das Wetter macht ihm einen Strich durch die Rechnung: brettflache See. Mehr als eine Woche verbringt er missmutig mit Warten auf die Welle, dann folgt er dem Rat einer Kellnerin und erkundet seine geliebte See tauchend.

Ich konnte zu Beginn nicht sagen, was ich von diesem Buchs halte. Liebe auf den ersten Blick war es nicht, dazu war mir das Vorwort zu simpel formuliert. Oder liegt es an der Übersetzung? Ich konnte mir aber immerhin vorstellen, dass das Buch und ich gute Freunde werden können, wenn wir uns nur näher kennen lernen, denn das Gespräch mit dem Taxifahrer hat mich sehr berührt und zum Nachdenken gebracht. Was ist Zeit? Was ist Alter? Eile kann so sehr schaden. Das ist uns allen in der Theorie bekannt, wie schön, dass ein Buchautor uns noch einmal daran erinnert. Ich las das Buch komplett, aber fürchtete, dass der Autor zum Belehren neigt. Aber die angedeuteten Unterwasserbeschreibungen machten mir als Taucherin Lust auf mehr Meer. Auch nun, nachdem ich das Buch komplett gelesen habe, kann ich es weder zugrunde reden noch in den Himmel loben.

Die Grundidee für dieses Buch ist gut: er schildert ehrlich, wie verbohrt er auf die Welle wartete, dabei aber all die anderen Schönheiten der Insel und die Liebenswürdigkeit der Bewohner übersah. Als sein Umdenken einsetzt, wird die Unterwasserwelt so plastisch geschildert, dass ich sofort in den Keller stürmen will, um meinen Tauchrucksack zu packen. Die Tauchschilderungen dürften aber auch für Nichttaucher verständlich sein, er erklärt Begriffe wie Finimeter, Deko-Pause und Oktopus. (Wobei er auf Seite 47 keine Taucherbrille, sondern eine Tauchermaske meint, Brillen lassen die Nase frei.) Alles wird noch unterstrichen durch die netten Fotos.

Einige weitere nette philosophische Überlegungen folgen auch nach dem Gespräch mit dem Taxifahrer. So gefällt mir der Satz auf Seite 53: "Ich bin hierher zurückgekommen, weil mir klar geworden ist, dass es nicht wichtig ist, was man tut, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sondern was man tut, um sich lebendig zu fühlen.

Doch auch meine Befürchtungen werden bestätigt. All meine positiven Gefühle für das Buch macht der Autor zunichte, indem er auf S. 71 f einen riesengroßen Eimer unsortierte Lebensweisheiten über mir auskippt. Noch schlimmer kommt es bei seiner Begegnung mit dem Rochen. Nun dreht er vollkommen ab und macht aus dem vorher noch nett lesbaren Reiseerlebnisbüchlein ein esoterisch überdrehtes literarisches Nichts. Als Taucherin tippe ich in beiden Fällen auf die Tiefenkrankheit, die unerfahrenen Tauchern in zu großer Tiefe die Sinne raubt und gehe davon aus, dass dies ein Ausrutscher war, den Lektorat und Verlag übersehen haben. Anders lässt es sich für mich nicht erklären, dass Bambaren als Erfolgsautor gehandelt wird und schon ein knappes Duzend Bücher auf dem deutschen Markt hat.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.01.2009
Das Haus in den Wolken
Lennox, Judith

Das Haus in den Wolken


gut

Eine nette Familiensaga für Abende am Kamin

Das Buch beginnt, wie viele Groschenromane oder Kinofilme (z.B. Pretty Woman) beginnen: Reicher Mann trifft arme Frau und verliebt sich in sie. Wer jetzt das Schlimmste fürchtet, wird von der Autorin angenehm überrascht. Der wohlhabende Geschäftsmann Richard Finborough ist ein Frauenheld. Umso erstaunter ist er, als er bei einer Autopanne die schöne, aber unnahbare Isabel kennen lernt. Vielleicht ist es für ihn nun der besondere Reiz, um diese kühle Schönheit zu werben. Auch ihre gesellschaftliche Herkunft als Dienstmädchen kann ihn nicht davon abhalten, sie unbedingt heiraten zu wollen. Was in anderen Romanen schon ein Happy End wäre, steht hier am Anfang: Richard und Isabel heiraten.

Wie wir Leser es von einer anständigen Familiensaga erwarten können, folgen nun einige eher harmonische Jahre mit der Geburt dreier Kinder. Als Richard sich nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges als Freiwilliger meldet, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Seine Kriegsverwundung, die Aufnahme einer Pflegetochter und ein dunkles Geheimnis aus Isabels Vergangenheit führen zu Lebenswegen der Familienmitglieder, die etwas die schicksalgebeutelten Buddenbrooks erinnern. Doch Richards Familie hat eher die Fähigkeit, selbst in schwierigen Zeiten aufeinander zuzugehen und miteinander zu sprechen.

Dieser Liebes-, Familien- und Schicksalsroman las sich mitunter fast wie ein Krimi. Die Erzählperspektive ist gut gewählt, mit einem Ich-Erzähler wäre es deutlich platter ausgefallen. Judith Lennox hat mit diesem Roman eine stimmige Geschichte erzählt - mit einer großen Vielfalt an Gefühlen wie Liebe, Hass, Verlangen, Sehnsucht, Gleichgültigkeit, Schuld und Abhängigkeit. Die Handlungszeit ist gut gewählt, die beiden Weltkriege konnten so prima als Handlungsrahmen genutzt werden. Die Beschreibungen des Handlungsortes sind nicht nur geografisch korrekt, sondern so liebevoll geschrieben, dass ich beim Lesen am liebsten meine Koffer gepackt hätte und mich auf den Weg auf die Britischen Inseln gemacht hätte. Sogar das Cover passt, es könnte Isabel auf dem Weg zu ihrem Haus zeigen.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.01.2009
Schneemann
Nesbø, Jo

Schneemann


ausgezeichnet

Harry Hole hat einen neuen Fan – mich!

Der erste Schnee des Winters fällt, eine Mutter entdeckt einen frisch gebauten Schneemann – und verschwindet kurz darauf. Wenn sie überhaupt gefunden wird, dann tot. Schnell wird klar, dass dies das Werk eines Serienmörders ist. Jahr für Jahr tötet er etwa Anfang November eine Frau. 2004 ändert sich das Schema, er gibt sich nicht mehr mit einem Opfer zufrieden

Der Ermittler Harry Hole ist ein schon fast typischer Ermittler mit Alkoholproblemen und gescheiterter Beziehung. Lässt sich die Arbeit bei der Kriminalpolizei wirklich nur im Suff ertragen? Harry gewinnt schnell meine Sympathien. Egal, was passiert, egal, wie viele Leichen gefunden werden, egal, welcher Verdächtige festgenommen oder tot aufgefunden wird – Harry bleibt skeptisch, forscht weiter und stellt am Ende den richtigen Täter. Der furiose Showdown lässt mich hoffen, dass ich diesen Roman bald auch verfilmt erleben kann, er eignet sich perfekt für Leinwand und Mattscheibe.

Viele Romane haben einen starken Auftakt/Prolog, lassen dann aber sehr schnell nach und bleiben hinter den Erwartungen zurück. Anders der Schneemann: Im ersten Bild packte mich die Spannung und ließ mich bis zur letzten Seite nicht mehr los. Das Buch ist flott geschrieben, selbst Vielleser von Krimis und Thrillern werden wahrscheinlich erst den richtigen Verdacht bekommen, wenn es der Autor auch will. Die Personen sind detailliert gezeichnet, Handlungsorte perfekt beschrieben. Wem da beim nächsten Öffnen der Tiefkühltruhe nicht die Nackenhaare hoch stehen, der ist ja wohl völlig abgebrüht!

Ich bin sehr froh, dass mir die Verlagsvertreterin bei der Buchmesse einen weiteren Harry-Hole-Roman als Leseexemplar überlassen hat. Denn eins steht fest: ich werde nun gezielt nach Büchern mit diesem Ermittler und anderen Büchern des Autors Ausschau halten. Harry Hole hat einen neuen Fan – mich!

Schade, dass ich hier keine sechs Punkte vergeben kann...

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.01.2009
Dem Tode nah
Barclay, Linwood

Dem Tode nah


ausgezeichnet

Ein spannender Krimi und Pageturner

Dem Tode nah ist der 17-jährige Derek, als er sich im Nachbarhaus versteckt und den Mord an seinem Freund Adam und dessen Eltern miterlebt und selbst nur knapp entkommt. Nach dem Prolog aus Sicht des Jungen schwenkt die Erzählperspektive auf seinen Vater Jim, der als Nachbar natürlich ein Interesse daran hat, zu erfahren, warum seine Nachbarn getötet wurden und dabei immer mehr feststellt, dass die Vergangenheit und das Schicksal seiner Familie viel enger mit dem dreifachen Mord verknüpft ist, als er sich in seinen wildesten Alpträumen hätte ausmalen können. Der Plot ist so spannend aufgebaut, dass ich kaum von diesem Buch lassen konnte. Die Charaktere sind plastisch und lebensnah beschrieben, auch wenn mir Jim geradezu langweilig gut rüberkommt, während mir bei anderen gefällt, dass ihre guten und bösen Seiten aufgezeigt werden. Der Autor legt theoretisch weiterführende Spuren aus, die trotzdem am Ende zu einem vollkommen unerwarteten Ausgang führen. Dabei gefällt meiner schwarzen Seele ganz gut, was am Ende mit dem Professor und dem Bürgermeister geschieht ;o)

Insbesondere die Ironien und Seitenhiebe machten den Roman zu einem kurzweiligen Lesevergnügen. Ich werde mir nun auch "Ohne ein Wort" von Linwood Barclay kaufen, seine Schreibe gefällt mir.

Ein kleiner Kritikpunkt für mich liegt in der Übersetzung:
(1) Wie habe ich mir denn einen Schreibtisch vorzustellen, der (S. 110) "mit Computerzeitschriftem, Skateboards und Girls zugemüllt ist"?
(2) Ich habe mich gefragt, ob alle deutschen Leser wissen, was "French Toast" (ab S. 95) ist.
Wäre es hier nicht von Seiten des Übersetzers angebracht, es entweder auch zu übersetzen (=Armer Ritter) oder zumindest kurz zu erklären, was es ist?

Bewertung vom 29.01.2009
Schrei nach Stille
Chaplet, Anne

Schrei nach Stille


ausgezeichnet

Ungewöhnlicher, aber guter Krimi

Das Buch "Summer of Love" der zurückgezogen lebenden Schriftstellerin Sophie Winter soll verfilmt werden. Vor ziemlich genau 40 Jahren ereignete sich etwas Schreckliches in genau dem Dorf, in dem nun lebt. Der junge Hippie Sascha verschwand spurlos. Dies verarbeitete sie in dem Roman und ließ darin Sascha sterben. Weiß sie mehr, als die Polizei oder ist dies schriftstellerische Freiheit?

Der Frankfurter Polizeibeamte Giorgio DeLange, der die Verfilmung des Buches als polizeilicher Berater unterstützt, wird neugierig. Gleichzeitig beschäftigt ihn das Verschwinden eines Jungen. Steht dies in einem Zusammenhang? Ist er einfach von zuhause abgehauen oder ist er Opfer eines Sexualverbrechers?

Die dicht geschilderte Atmosphäre im Dorf, die familiäre Situation des Ermittlers und der Kampf gegen eine beginnende Demenz der Schriftstellerin konnten mich beim Lesen ebenso fesseln, wie der eigentliche Kriminalfall.

Die kurzen Sätze machen mich beim Lesen darauf aufmerksam, dass ein dementer Mensch Probleme mit Schachtelsätzen haben muss und verdichtet die Situation ebenso, wie die akribische Schilderung der Wassertropfen, die sich erst einen Weg ins Regenfass und dann dort heraus bahnen.