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alekto

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Insgesamt 118 Bewertungen
Bewertung vom 02.06.2023
Wenn die Finsternis erwacht / Market of Monsters Bd.3 (eBook, ePUB)
Schaeffer, Rebecca

Wenn die Finsternis erwacht / Market of Monsters Bd.3 (eBook, ePUB)


sehr gut

Stimmiger Trilogie-Abschluss um den abgründigen Monster-Schwarzmarkt mit zu ausführlich geratener Einleitung

Nita ist immer noch auf der Flucht vor den Schwarzmarkthändlern, die in Toronto eingefallen sind. Denn sie würde ihnen tot oder lebendig viel Geld einbringen, weil sie sich selbst zu heilen vermag. So verfolgt Nita ihren eigenen Plan, indem sie den von ihr entführten Fabricio benutzen will, um die korrupte Anwaltskanzlei seines Vaters Alberto Tacunan zu infiltrieren, die alle einflussreichen Monster vertritt. Mit Hilfe der dort vorliegenden Informationen und dem Wissen um deren Geheimnisse, die Nita zu stehlen gedenkt, hofft sie derart mächtig zu werden, dass niemand mehr wagen wird ihr etwas anzutun. Erst dann wird sie vor dem Schwarzmarkt und seiner Gier in Sicherheit sein, damit sie endlich ihren Traum realisieren kann, die Universität zu besuchen und die Natur der Unnatürlichen zu studieren.

“Wenn die Finsternis erwacht” ist der dritte Band der “Market of Monsters”-Reihe von Rebecca Schaeffer. Anders als im unmittelbaren Vorgänger “Nur die Asche bleibt”, den Rebecca Schaeffer rasant und intensiv erzählt hat, braucht dieser Roman eine ganze Weile, bis die Handlung endlich in die Gänge kommt. Denn die Autorin lässt sich zu viel Zeit damit, detailliert ihre Protagonisten einzuführen und deren Vergangenheit wiederzugeben, diverse Nebenfiguren wie deren Beziehungen untereinander vorzustellen und Hintergründe des in der “Market of Monsters”-Reihe etablierten Settings zu erläutern. Da ich mich gut an die beiden bisherigen Bände erinnern konnte, hätte mir besser gefallen, wenn Rebecca Schaeffer diese Masse an Erklärungen in ein separates Personenverzeichnis und Glossar ausgelagert hätte statt diese nebenher in ihren Roman mit einfließen zu lassen, was dessen Beginn über weite Strecken nur unnötig in die Länge gezogen hat. Ein solches Personenverzeichnis hätte Nita und Kovit, zusätzlich aber auch deren Gefangene Gold, die die Erbin eines der mächtigsten Verbrecher Clans in den USA ist, Fabricio und seinen Vater sowie den Vampir Zebrastreifen, der Nitas Vater getötet hat, und viele weitere Nebenfiguren enthalten können. Ergänzt worden wäre das von einem Glossar, das Ausführungen zur INHUP, der ominösen Liste sowie zu verschiedenen Arten von Unnatürlichen etwa den sich von Schmerzen ernährenden Zannies oder Seelen fressenden Einhörner liefert. Abgerundet hätte das von einem vorangestellten Fahndungsaufruf, indem sich die von Henry der INHUP überlassenen Informationen über Kovit finden, sowie einem Schwarzmarkt-Gesuch in Steckbrief Form für die flüchtige Nita werden können.

Nach der zu lang geratenen Einleitung zeigt Rebecca Schaeffer eine besondere Stärke darin in den vorigen Bänden der Reihe begonnene Handlungsstränge weiterzuentwickeln, wenn sie zuvor eingeführte Nebenfiguren in die in diesem Roman erzählte Geschichte zu integrieren weiß. So tauchen etwa das Delfin Mädchen Mirella, das sich nun als Aktivistin gegen den Handel mit Unnatürlichen engagiert, nachdem sie einst zusammen mit Nita auf dem Markt gefangen gewesen ist, der von seiner Ghul-Assistentin Diana unterstützte Informationshändler Adair und Kovits Jugendfreunde auf, die er in einer Chat Gruppe kennengelernt hatte, in die sich Gold inkognito eingeschleust hatte. Auch das um den Vampir Zebrastreifen, der lt. INHUP der Mörder von Nitas Vater ist, begonnene Geschehen wird fortgeführt.
Dabei erzeugt die Autorin im weiteren Verlauf dieses Romans Spannung mehr durch dessen unerwartete Wendungen. Diese Twists sind in sich schlüssig ausgefallen, obgleich ich die teilweise als überzeugender wie beispielsweise in der Auflösung des Ursprungs um den zwischen Vampir Zebrastreifen und Nitas Eltern tobenden Konflikt und teilweise als schwächer empfunden habe. Letzteres betrifft etwa den Grund, aus dem Fabricio derart verzweifelt versucht von Zuhause fortzulaufen, obwohl er der Kronprinz des Tacunan Law-Imperiums ist. Denn die actionlastigen Szenen, in denen Kontrahenten aufeinander treffen, sind zwar gekonnt beschrieben, haben aber zu wenig Raum eingenommen. Stattdessen hat Rebecca Schaeffer den Fokus immer wieder auf Nitas und Kovits psychologisch angehauchte Diskussionen gelenkt, die sich auf ihre böse Seite, ihren Umgang mit derselben und daraus resultierende Schuldgefühle beziehen. Derartige Gedankengänge der beiden Hauptfiguren, die sich seit “Bis auf die Knochen” entwickelt haben, wenn die sich nicht mehr endlos im Kreis zu drehen scheinen, fallen jedoch im Vergleich zu den anderen wesentlichen Bestandteilen dieses Romans deutlich ab. Diese bestehen neben dem interessanten Setting, das die Autorin für ihre phantastische Welt ersonnen hat, die sie mit ungewöhnlichen Unnatürlichen bevölkert und um korrupte Organisationen wie die INHUP anreichert, aus den von Nita geschmiedeten und umgesetzten Plänen.

Bewertung vom 24.05.2023
City of Dreams / City on Fire Bd.2
Winslow, Don

City of Dreams / City on Fire Bd.2


sehr gut

Nicht ganz so gelungene, da wenig eigenständige Fortsetzung um den Gangster Danny Ryan

Danny will möglichst viel Abstand zwischen sich und Providence in Rhode Island bringen, weil er auf der Flucht ist, nachdem er den korrupten Agenten Jardin erschossen hat und zehn Kilo H im Meer entsorgt hat. Begleitet wird Danny von seinem Vater Marty und Sohn Ian sowie seiner Crew. Auf den Fersen sind Danny die FBI-Agentin Moneta und Peter Moretti, der als Kopf der italienischen Mafia zwar den Krieg gewonnen hat, nun aber in seinen Geldsorgen ertrinkt. Obwohl Danny kein sicherer Fluchthafen bekannt ist, gedenkt er das seiner Frau Terri gegebene Versprechen, ihren Sohn zu beschützen, zu halten. Komme, was da wolle.

“City of Dreams” ist nach “City on Fire” der zweite Teil einer Trilogie von Don Winslow um den Gangster Danny Ryan. Nach dem Prolog, der zeitlich deutlich später als der Beginn dieses Romans angesiedelt ist und der wegen seines offen gehaltenen Ausgangs, der die Danny von Seiten neu gewonnener Feinde drohenden Schwierigkeiten anreißt, spannend geraten ist, setzt die eigentliche Handlung ein. Die erst so steil angezogene Spannungskurve tendiert dann gegen Null, wenn Don Winslow bis zum Finale des ersten Teils so gut wie keine Szene einbaut, die das Adrenalin nach oben treiben würde. Denn der Autor stellt in den Mittelpunkt seines Buchs, wie Danny seinem Sohn ein richtiger Vater wird, da er seine Zeit damit verbringt, mit ihm auf den Spielplatz zu gehen oder im Pool zu planschen. Dabei hat die in “City of Dreams” erzählte Geschichte durchaus ihre interessanten Komponenten, die aber weniger bei Danny liegen und deren Intensität eher in den darin geschilderten Dramen als in Schießereien und Mordanschlägen, die “City on Fire” in seiner Beschreibung des zwischen irischer und italienischer Mafia tobenden Kriegs geprägt haben, begründet liegt.
Hierzu hätte Don Winslow den Fokus seines Romans auf diejenigen seiner Figuren richten sollen, in deren Leben die Tragik die Oberhand gewinnt. Dafür hätten sich etwa die Demenz Erkrankung von Dannys Vater Marty und mehr noch die an ihrem Unglück zerbrechende Familie von Peter Moretti angeboten, zu der seine Frau Celia und deren drei Kinder gehören. Über die Probleme von deren jüngster Tochter verzweifelt ihre Mutter und weiß sich nicht anders zu helfen, als sie in eine luxuriöse Privatklinik einweisen zu lassen. Das scheitert an den Geldsorgen ihres Vaters, die die Finanzierung eines Aufenthalts in einer derart teuren Klinik verhindern. Statt in unnötiger Weise an der Vorlage der Aeneis festzuhalten und sich auf seinen Protagonisten Danny zu konzentrieren, hätte der Autor der Tragödie um die Familie Moretti nur mehr Raum geben müssen, damit das darin beinhaltete Drama seine Wucht entfalten kann.

Zudem rückt Don Winslow einen Handlungsstrang, der um die Filmstudios in Hollywood kreist, in den Mittelpunkt seines Romans. Die darüber eingeführte Meta-Ebene, die im Thema des dort gedrehten Films begründet liegt, ist zwar die Grundlage für einige humorvolle Szenen, die die Absurdität der Situation zur Schau stellen. Dadurch wird jedoch der eigentlich diese Trilogie bestimmende Grundton verfehlt, der in "City on Fire" vorgegeben wurde und zu einem Mafia-Epos passt. Abgesehen davon hebt sich "City on Dreams" kaum von seinem Vorgänger ab, wenn dieser Roman zu wenig Eigenständiges beizutragen hat und so eher die Geschichte des ersten Bandes wiederholt wird. Stärker wäre "City on Dreams" ausgefallen, wenn das Buch mehr Nebenfiguren wie der Chicagoer Mafia, die eine Zweigstelle in L.A. eröffnet hat und nun ihre Fühler nach Vegas ausstreckt, oder dem Drogenbaron Popeye Abbarca, der im Prolog als einäugiger Zyklop Eindruck hinterlassen hat, gefolgt wäre statt derart detailliert zu beschreiben, wie Danny die Füße still halten muss, um unsichtbar zu bleiben und nur noch legalen Tätigkeiten nachgehen darf.
Meinem Empfinden nach hat sich Don Winslow anders als in "City on Fire" und der gelungenen Integration eines Zyklopen in die Handlung allzu sehr an der Vorlage der Aeneis sowie weiterer Sagen, die den trojanischen Krieg und daraus resultierende Ereignisse auf Seiten der Griechen behandeln, orientiert. Dadurch steht etwa der Ausgang der Romanze, die sich zwischen Danny und einer Hollywood-Schauspielerin entspinnt, die er während der Dreharbeiten zum Film kennengelernt hat, bereits fest. Besonders deutlich tritt diese Schwäche aber im Drama um die Familie Moretti zutage. Dabei erzählt der Autor die entsprechende griechische Sage nach, ohne jedoch die Wucht der darin beinhalteten Tragödie heraufbeschwören zu können. So ist für mich, weil ich das Original kannte, früh klar gewesen, welchen Verlauf die Geschichte der Familie Moretti nehmen und welche Todesfälle das nach sich ziehen wird. Damit ist der drastische Überraschungseffekt, den Don Winslow wohl durch die Art, in der er dieses Drama wiedergegeben hat, das derart plötzlich seinen Kulminationspunkt erreicht hat, erzielen wollte, bei mir verpufft.

Bewertung vom 22.05.2023
Nex - Die letzte Nacht
Berquist, Emma

Nex - Die letzte Nacht


sehr gut

Crime-Story in phantastischem Setting um eine brutale Mordserie auf der düsteren Seite von L.A.

Lexi arbeitet als Barkeeperin im Nex, dem Club von Urie Porchowsky. Davor zieht sich eine lange Schlange Abend für Abend um den Block, da wegen den in die Drinks gemixten, von Hexen hergestellten Zutaten jeder, der davon trinkt, bessere Laune bekommt, unbeschwerter wird und weniger Schmerzen vom ausgelassenen Tanzen hat. Als Lexi eines Nachts den Club betritt, stößt sie mit der erst achtzehn Jahre alten, bildhübschen Highschool-Schülerin Jane Morris zusammen und sieht dabei deren brutal aufgeschlitzte Kehle, die sie bei ihrer anstehenden, blutigen Ermordung davon tragen wird. Doch trotz ihres Wissens darum schweigt Lexi und so nimmt das Drama seinen Lauf.

Alexandra Iwanowitsch, genannt Lexi, ist die Protagonistin in diesem Roman von Emma Berquist, in dessen Mittelpunkt ebenfalls der Club Nex steht. Sein Besitzer Urie hat eine eingeschworene Gemeinschaft magisch Begabter um sich geschart. Der Pyrokinetiker Urie sorgt für deren Schutz, sofern sie bereit sind, sich an seine fest vorgegebenen Regeln zu halten. Lexi hat die Fähigkeit, die sie von ihrem Großvater Deda geerbt hat, das sie bei Berührung den Tod eines jeden Menschen sieht. Auch kann sie mit Geistern kommunizieren, die sie mit Hilfe ihrer Magie sogar auf die andere Seite zu schieben vermag.
Obwohl “Nex – Die letzte Nacht” in einem phantastischen Setting angesiedelt ist, fällt der Roman eher als Krimi mit Mystery-Elementen aus. Das liegt darin begründet, dass Emma Berquist Lexis Suche nach dem Mörder von Jane und anderen Opfern in dessen Fokus rückt. Dabei ist Lexis Motivation ihr schlechtes Gewissen, weil sie Janes Tod nicht verhindern konnte. Unterstützt wird sie von Urie und seinen Leuten, die sich jedoch erst für die Vermissten Fälle interessieren, als einer der spurlos Verschwundenen ein magisch Begabter ist.
Obwohl die Handlung im Mittelteil dieses Buchs lange Zeit auf der Stelle tritt, da weder Lexi noch die Polizei in ihren Ermittlungen Fortschritte erzielen, wenn sich keine Hinweise auf den Täter finden lassen, habe ich mich gut unterhalten gefühlt. Das Spannungslevel hätte jedoch höher ausfallen können. Dazu hätte die Autorin falsche Fährten in ihrem Krimi auslegen sollen, wenn Lexi auf verschiedene Verdächtige in dieser brutalen Mordserie gestoßen wäre. Dafür ist der Überraschungseffekt zum Schluss für mich umso größer gewesen, indem ich den dann enthüllten Täter nicht habe kommen sehen. Nur hätte ich mir weitere Informationen zum Hintergrund des Mörders und seinem Motiv, das ich in der vorliegenden Form als nicht gänzlich schlüssig angesehen habe, gewünscht, um diesen besser verstehen zu können.

Einen besonderen Touch erhält die in diesem Roman erzählte Crime-Story neben deren phantastischen Setting durch die Kombination mit ungewöhnlichen Elementen. Als gelungen habe ich Lexis Wohnsituation empfunden, die eine WG mit Geist darstellt, da ihr Mitbewohner Trevor Jahrzehnte zuvor bei einem Autounfall gestorben ist. Denn der fast Sitcom-artige Humor in diesen Szenen bildet einen angenehmen Kontrast zu der sonst düsteren Grundstimmung dieses Romans und lockert diese ein wenig auf. Dagegen ist der Handlungsstrang, der um mehr als eine Liebesgeschichte kreist, schwächer ausgefallen. Dieser ist mir in seinem Hin- und Her, das dadurch bedingt ist, dass zwar einer der daran Beteiligten in den anderen verliebt ist, der wiederum aber über seine Gefühle im Unklaren bleibt, zu stereotyp geraten. Das Drama, das in einer erfolgten Zurückweisung, die wieder zurück genommen und letztlich in der Schwebe gehalten wird, begründet liegt, ist für mich nicht greifbar geworden, sondern blass geblieben. Im Gegensatz dazu hat die Autorin in der eindringlichen Schilderung der Tragik um die besondere Gabe, mit der Lexi gesegnet oder doch verflucht ist, Intensität erzeugt.
Ihren flüssigen Schreibstil reichert Emma Berquist um wissenschaftliche Beschreibungen an, die auf dem Interesse ihrer Protagonistin für Molekular- und Moderne Biologie basieren. Mit diesen in Lexis Gedankengängen eingebundenen Vergleichen, die sie Situationen spontan mit der Atemfrequenz eines Erwachsenen im Ruhezustand, der Anzahl der Atemzüge pro Minute, der Knochen eines Babys oder eines Erwachsenen assoziieren lässt, versucht die Autorin ihrer Erzählweise einen eigenwilligen Touch zu verleihen. Diese Ausführungen fügen sich aber nicht gut in den Rest des Romans ein, indem sie zu konstruiert wirken. Als passender hätte ich statt der biologisch physikalischen Erklärungen, in denen Lexi sich mit ihrer Fähigkeit auseinandersetzt, Dedas Erläuterungen empfunden, die eher mythisch angehaucht sind. So hätte ich mir gewünscht, dass sich Emma Berquist anstelle des wissenschaftlichen Ansatzes, den sie verfolgt hat, auf die zu Beginn nur kurz angerissenen Geschichten, die Deda und Lexi als Nachfahren Rasputins oder als von der Baba Jaga Verfluchte ansehen, im weiteren Verlauf ihres Romans konzentriert hätte.

Bewertung vom 22.05.2023
Ghost Lover (eBook, ePUB)
Taddeo, Lisa

Ghost Lover (eBook, ePUB)


sehr gut

Explizit erzählte, provokante Stories über unerwiderte Zuneigung und toxische Beziehungen

Ari hat es geschafft. In ihrem Unternehmen Ghost Lover beantworten Expertinnen anstelle der Kundinnen Nachrichten und haben so schon viele glückliche Beziehungen ermöglicht. Damit ist Ari derart erfolgreich, dass sie sich auch die Villa in Malibu am Strand leisten kann und eine Beziehung mit dem gut aussehenden Fotografen Jeff führt, der sie zu allen Veranstaltungen begleitet. Aber hat sie die Trennung von ihrem Ex-Freund Nick, die sie zu Ghost Lover inspiriert hat, tatsächlich verwunden?

Neben der Titelgebenden Geschichte “Ghost Lover” enthält diese Sammlung acht weitere Stories von Lisa Taddeo, die fast ausschließlich aus weiblicher Sicht geschildert sind. Darin deckt die Autorin eine große Bandbreite ab, indem die in der jeweiligen Geschichte in den Mittelpunkt gestellte Hauptfigur von einer einflussreichen, wohlhabenden Karriere-Frau, über eine hoch verschuldete Requisiteurin bis hin zum Geist einer bereits Verstorbenen reicht, die deren Freundin über ihren Tod hinaus im Auge behält. Dabei wechseln die Schauplätze von Los Angeles, über Boston und nach Manhattan, ohne dass dem von der Autorin eine größere Bedeutung beigemessen wird, da sie kaum am Erkunden der genannten Städte interessiert ist und sich stattdessen in den Abgründen, die sich in den Gedankengängen ihrer Figuren auftun, verliert.
Neben unerwiderter Zuneigung und wenig befriedigten Bedürfnissen treiben diese Frauen auch andere Sorgen um. Requisiteurin Jane braucht dringend Geld, um ihre hohen Schulden zu begleichen. Nachdem sie erfolglos ihr iPhone online zum Verkauf angeboten hat, überlegt sie sogar, sich von ihrem einzig wertvollen Besitz zu trennen. Das ist ein ungewöhnliches Gemälde, das sie einst als Geschenk erhalten hat. Besonders eindringlich ist in diesem Zusammenhang aber die Geschichte “Padua, 1966” geraten, in der die Abwärtsspirale, in die sich das Leben der schönen Miranda verwandelt hat, aus Sicht ihrer bereits verstorbenen Freundin beschrieben wird. Miranda selbst fand einen Weg aus ihrer kleinen, perfekten Welt auszubrechen. Von da an beginnt ihr Niedergang, als sie in die Drogensucht abrutscht und nach dem Rausschmiss aus ihrem Zuhause unter einer Brücke schlafen muss.

Im Mittelpunkt der Stories von Lisa Taddeo steht jedoch eine die jeweilige Figur beherrschende Zuneigung, die fast schon manische Züge annehmen kann. Ari von Ghost Lover hat die Trennung von ihrer ersten Liebe Nick nie verwunden. Ihre gesamte Existenz kreist um Nick, indem sie zielstrebig einen Master Plan verfolgt, mit dessen Hilfe sie ihn zurückzuerobern gedenkt. Dazu zählen ein Diät sowie der Erfolg, den sie sich hartnäckig mit ihrem Unternehmen erarbeitet hat. Besonders intensiv ist die Story “Grace Magorian” geraten, in der Protagonistin Grace die Dating-App Venus entdeckt. Dabei stößt sie auf das Profil eines Mannes, den sie erst als absolut perfekt für sich erachtet. Ohne diesen Mann auch nur ein einziges Mal gesprochen zu haben, versinkt sie in der Vorstellung von dem vollkommenen Leben, das sie mit ihm führen wird. Die Illusionen, denen Grace sich hingibt, werden immer überzogener und nehmen beinahe absurde Züge an. Lisa Taddeo gelingt es aber ihre Geschichte dadurch in der Spur zu halten, dass sie parallel zur Gegenwart Ereignisse aus ihrer Vergangenheit wiedergibt. Nachdem Grace früh ihren Vater verlieren musste, hatte sie aufgrund des komplizierten Verhältnisses zu ihrer Mutter und wegen des Missbrauchs durch ihren Stiefvater eine schwere Kindheit. So verdeutlicht die Autorin, wie Grace zu der Frau werden konnte, die sie im Hier und Jetzt ist.

Stärker wären die Stories ausgefallen, wenn Lisa Taddeo der Versuchung widerstanden hätte, diesen zu ihrem Ende hin eine unerwartete Wendung hinzuzufügen. Dieser gewollte Schluss beraubt die zuvor aufgebaute Intensität nur um einen Teil ihrer Wirkung. Denn die an sich stimmige Charakterisierung der jeweiligen Hauptfigur wird geopfert, wenn diese im letzten Moment um eine neue Komponente ergänzt wird, die lediglich einem flüchtigen Überraschungseffekt dient. Ohne das wären die Stories eher Momentaufnahmen aus dem Leben von deren Protagonistin, die durch deren meist zusätzlich eingeschobene Vergangenheit näher beleuchtet werden.
Die in "Ghost Lover" enthaltenen Kurzgeschichten fallen ungewöhnlich durch den provokanten Schreibstil von Lisa Taddeo, ihre oft vulgären Beschreibungen und eine Vielzahl expliziter sexueller Szenen aus. Dahin lenkt die Autorin den Fokus beim Lesen, so dass der Rest der Story im Kontrast dazu leicht untergehen kann. Das empfinde ich als schade, weil diese um Aufmerksamkeit heischenden Szenen gar nicht nötig sind. Denn trotz der Kürze ihrer Geschichten überzeugt die Autorin mit dem Ausloten der komplexen Charakterisierung ihrer nie eindimensionalen Hauptfiguren und einem Schwerpunkt in der Schilderung toxischer Verhältnisse, die auch deren Ursprung ergründet.

Bewertung vom 18.05.2023
Unwesen (eBook, ePUB)
Lindqvist, John Ajvide

Unwesen (eBook, ePUB)


sehr gut

Intensiv erzähltes Coming-of-Age Drama mit Mystery-Elementen und schwachem Schluss

Die Freunde Johan und Max erklimmen an dessen rostigen Sprossen das verlassene Silo in Norrtälje. Oben angekommen hat Max eine schreckliche Vision der Zukunft. Er sieht einen Samhall-Bus ins Schlingern geraten, als dessen Fahrer die Kontrolle über das Fahrzeug verliert. Zeitgleich stößt ein Mann, indem er sich an einer Frau mit ihrem Kinderwagen vorbei schiebt, den Wagen an, und der Wagen mit dem Baby darin rollt direkt auf den Bus zu.

Der Roman ist von der ruhigen Erzählweise von John Ajvide Lindqvist geprägt, die sich Zeit in der Vorstellung seiner Figuren lässt. Dabei ist die Tragik in ihrem Leben, die in den traumatischen Erlebnissen ihrer Vergangenheit verankert ist und sich auf die Gegenwart etwa in Gestalt von unterdrückten Wutausbrüchen auswirkt, für mich nachvollziehbar geworden. Der als Charakterstudie angelegte Einstieg von Unwesen erhält einen besonderen Touch durch die Mystery-Elemente, die der Autor von Beginn an in die Handlung integriert. Diese bestehen zunächst in der Vorsehung brutaler Todesfälle. Insgesamt besteht in der ersten Hälfte des Romans, bevor der mysteriöse Container im Hafenareal auftaucht und geöffnet wird, der Horror eher im verzweifelten Zusammenbruch des keine zehn Jahre alten Johans, der überfordert ist, nachdem seine Mutter sich selbst verletzt hat, oder in einer abstoßenden Vergewaltigung, die dem Opfer die herrschenden, den Täter schützenden Machtverhältnisse deutlich vor Augen führt.
Indem sich John Ajvide Lindqvist dabei Zeit lässt, die durch den Container ausgelösten Veränderungen zu beschreiben, breitet sich das Böse schleichend in Norrtälje aus. Das bleibt zunächst ein wenig greifbarer Schrecken, der dann immer mehr Gestalt annimmt, als die Todesrate steigt, wenn Selbstmorde und grundlose erscheinende, aus dem nichts kommende Attacken, deren Gewalt aus dem Ruder läuft, zunehmen. Erträglich werden die grausamen Szenen durch den oft nerdlastigen Humor und die sich entwickelnde Liebesgeschichte, in deren Mittelpunkt die Pokemon-Go Gruppe Roslagen steht.

Der erste Teil Entei hat mich mit seiner abwechslungsreichen Erzählweise überzeugt, die die gegenwärtigen, um den Container kreisenden Ereignisse mit dem Leid derer, die darin gefangen gewesen sind, mit der die fünf Hauptfiguren Siw, Anna, Johan, Max und Marko belastenden Vergangenheit, und mit Momentaufnahmen, die die durch losgelassene Grauen in Norrtälje umschlagenden Stimmung illustrieren, kombiniert. Nach dem starken Entei fällt das darauf folgende Suicune deutlich ab. Da haben sich für mich schon zu dessen Beginn Längen eingeschlichen, die teilweise in unnötigen Wiederholungen begründet lagen. Auch scheint die Handlung auf der Stelle zu treten, wenn die vom Autor in Entei immer weiter angezogenen Spannungsschrauben wieder gelockert werden.
Suicune wäre stärker ausgefallen, wenn darin die in Entei begonnenen Entwicklungen in konsequenter Weise fortgeführt worden wären. So hätte ich etwa erwartet, dass die in Entei eindringlich geschilderten im Krieg erlebten Schrecken, und Johans tief verwurzelter Hass, der im Umgang der Kommunalverwaltung mit seiner an Wahnvorstellungen leidenden Mutter begründet liegt, in Suicune eine größere Rolle spielen würden. Denn diese überzeugenden Elemente hätten durch das in Norrtälje angekommene Unwesen derart forciert werden können, dass diese beinahe schmerzhafte Intensität gewonnen hätten. Stattdessen hat sich John Ajvide Lindqvist in neu eingeführten Handlungssträngen verstrickt, die nicht an die Qualität von denen in Entei heranreichen und im Vergleich dazu blass geblieben sind. Auch zeigt der Autor Schwächen in seinen Massen-Szenen, die eigentlich ein Norrtälje, das auf den gähnenden Abgrund zusteuert, wenn sich der um sich greifende Wahnsinn in Gewalt und Aggression entlädt und die ganze Stadt in Chaos versinkt, vor meinem inneren Auge hätten lebendig werden lassen sollen.
Besser sind dem Autor die Kammerspiel-artigen Teile seiner Geschichte gelungen, die sich auf die jeweiligen persönlichen Konstellationen konzentrieren. So wäre dieser Roman für mich stärker ausgefallen, wenn der Autor das Norrtälje beherrschende Grauen ganz auf Ebene seiner gut ausgearbeiteten Figuren und deren Beziehungen untereinander beschrieben hätte. Zudem hat mich das gefällige Ende, bei dem sich plötzlich alles in Wohlgefallen auflöst, nicht vollends überzeugt. Denn dabei sind Fragen für mich offen geblieben, die die Geschichte des Unwesens, das Norrtälje heimgesucht hat, betreffen. Dazu hätte ich mir mehr Informationen gewünscht. Auch scheint mir die Erklärung, die sich auf die besonderen Fähigkeiten von Max, Siw und deren Familie bezieht, nicht gänzlich schlüssig zu sein. Insgesamt hätte ich mir eher einen Schluss wie den von "So finster die Nacht" gewünscht, der in konsequenter Weise die darin erzählte Geschichte abgerundet und dessen ambivalente Note Raum für die sie dadurch eröffnenden Abgründe gelassen hat.

Bewertung vom 16.05.2023
I’m a Fan (eBook, ePUB)
Patel, Sheena

I’m a Fan (eBook, ePUB)


sehr gut

Ungewöhnliches, sprunghaft erzähltes Debüt mit inkonsistenter Hauptfigur über eine Dreiecksbeziehung der besonderen Art

Obwohl der verheiratete Mann die Affäre mit der namenlosen Erzählerin beendet hat, will sie unbedingt wieder mit ihm zusammen sein. Besessen ist sie jedoch nicht von seiner Gattin, sondern von der Frau, die sie als Geliebte dieses Mannes ersetzt hat. Um zu verstehen, warum er sie für diese Frau verlassen hat, stalkt sie sie online, da sie in den sozialen Medien sehr aktiv ist, und spioniert auch deren Freunde aus.

"I’m a Fan" wird von Sheena Patel aus Sicht ihrer Hauptfigur geschildert, die zwar selbst in einer Beziehung ist, aber dennoch nur den Mann, mit dem sie eine Affäre hatte, begehrt. Sie lebt gemeinsam mit ihrem Freund in einer Wohnung in London, für die sie jeden Monat kaum die Miete zusammenbekommen. Im Gegensatz zu den prekären Umständen, unter denen die namenlose Erzählerin lebt, ist die Geliebte des "Mannes, mit dem sie zusammen sein will", die Tochter eines US-Promis. Sie hat Zehntausende Follower in den sozialen Medien, ist mit anderen Trendsettern Der Roman ist durch den ungewöhnlich sprunghaften, oft recht provokanten Schreibstil von Sheena Patel geprägt. Die Autorin legt ein hohes Tempo vor, wenn sie ihre Geschichte, die sie nicht chronologisch abhandelt, in einem eigenwilligen Erzählrhythmus wiedergibt. Zu Beginn des Romans ist die Beziehung zwischen dessen Hauptfigur und dem "Mann, mit dem sie zusammen sein will” bereits rein platonischer Natur. Denn sie bemüht sich diesem Mann eine gute Freundin zu sein, weil das die einzige Rolle in seinem Leben ist, die noch nicht vergeben ist. Erst im weiteren Verlauf wird von deren kurzer Affäre berichtet, um dann ihre erste Begegnung und die darauf folgenden Annäherungsversuche, die primär von ihm ausgegangen sind, nachzuschieben. Im Hier und Jetzt verliert sich die Ich-Erzählerin in ihren Gedankengängen, indem sie sich ihrer Obsession etwa in ausufernden Was-wäre-wenn-Tagträumen hingibt. Diese stehen im Kontrast zu Abschnitten, in denen eine halbwegs reflektierte Auseinandersetzung mit ihrer Besessenheit und ihrem zu Stalking tendierendem Verhalten erfolgt. Zudem lässt die Autorin in Essay-artigen Kapiteln soziale Kritik mit einfließen, die den von Kapitalismus bestimmten Kunstbetrieb oder Diskriminierung im Alltag anprangern. Der Fokus liegt dabei aber auf den Klassenunterschieden, die sich im vom Wohlstand geprägten Leben der "Frau, von der sie besessen ist" zeigen. Mit ihrer teuren Designer Garderobe grenzt sie sich deutlich vom Milieu der Ich-Erzählerin ab, die nur vom sozialen Aufstieg träumen kann.

Im Mittelpunkt von "I’m a Fan" steht die gelungene Beschreibung der Beziehung zwischen der Hauptfigur und dem "Mann, mit dem diese zusammen sein will”. Das reicht von deren Entstehung, die ihren Anfang in seinem Umwerben genommen hat, weil er abhängig von der Bewunderung durch Frauen ist, über deren Entwicklung bis hin zu ihrem obsessiven Verhalten, als ihre Zuneigung erst in Anbetung, dann in Besessenheit umgeschlagen ist. Indem er sie sich für alle Fälle warm zu halten gedenkt, ignoriert er sie phasenweise, um ihr anschließend aber wieder Hoffnungen zu machen. In der Schilderung dieses ambivalenten Verhältnisses zeigen sich die Stärken von Sheena Patels mutigem Schreibstil, mit dem sie Grenzen überschreitet, wenn sie sich nicht um Normen und Konventionen schert. Die besondere Art ihre Geschichte zu erzählen hat mir ein intensives Leseerlebnis beschert, das mich in seinen Bann gezogen hat.
Der sogartigen Wirkung, die "I’m a Fan" auf mich ausgeübt hat, hat das zwar keinen Abbruch getan. Dennoch habe ich die in sich inkonsistente Charakterisierung der Hauptfigur im weiteren Verlauf des Romans zunehmend als Schwäche empfunden. Widersprüche bestehen zwischen den verschiedenen Facetten der Protagonistin, die nach und nach in unterschiedlichen Kapiteln aufkommen. Beispielsweise setzt sich die Ich-Erzählerin einerseits in einem Essay-artigen Kapitel mit einer Ausstellung von Abbas Zahedi auseinander. Andererseits rastet sie bei Werken von Paul Klee und in einer Produktion von Pina Bauschs 1980 aus, weil sie nichts versteht und sich dumm dabei vorkommt. Zwar verstärkt Sheena Patel durch die kontrastreiche Erzählweise, die durch die aufeinander treffenden Widersprüche erzeugt wird, die Intensität von "I’m a Fan". Das geht allerdings zulasten der Glaubwürdigkeit der Protagonistin. Besser hätte mir das Buch gefallen, wenn zusätzlich zur Sichtweise der Hauptfigur weitere Perspektiven in diesen Roman integriert worden wären. Dafür hätten sich neben dem Mann, mit dem sie zusammen sein will, und der Frau, von der sie besessen ist, auch ihr Freund sowie ihre Mutter angeboten. Denn das hätte die Einbeziehung anderer Aspekte in die Handlung durch die Betrachtung der Hauptfigur von außen, die wohl oft Diskrepanzen zur Wahrnehmung aus sich selbst heraus aufweist, bei einer in sich stimmigen Charakterisierung der Protagonistin ermöglicht.

Bewertung vom 16.05.2023
Wie zehn Vögel die Welt veränderten (eBook, ePUB)
Moss, Stephen

Wie zehn Vögel die Welt veränderten (eBook, ePUB)


sehr gut

Abwechslungsreich gehaltenes Sachbuch, das trotz seiner Beschränkung auf zehn Vögel eine große Bandbreite an Themen abdeckt.

Die zehn Vögel, die die Welt veränderten, sind für Stephen Moss der Kolkrabe, der Guanokormoran, der Schmuckreiher, der Weißkopfseeadler, der Feldsperling, der Kaiserpinguin, der Truthahn, der bereits ausgestorbene Dodo, die Darwinfinken sowie die Haustaube. Jedes Kapitel wird von einer schön illustrierten Zeichnung des Vogels, der darin behandelt wird, eingeleitet. Die einzelnen Kapitel sind abwechslungsreich ausgefallen, da neben dem speziellen Schwerpunkt, den sie setzen (u.a. zur mythologischen Bedeutung und deren Einfluss auf die Literaturgeschichte, zum heldenhaften Einsatz in verschiedenen Kriegen, zur Evolutionstheorie und -biologie), eine große Bandbreite weiterer Themen angeschnitten wird.
Beispielsweise steht beim Kolkraben dessen Auftreten in Mythen im Mittelpunkt. Das beginnt bei den berühmten Odin Raben Hugin und Munin, denen der Gott den Beinamen Rabengott verdankt, reicht über den Raben als Schöpfer der Erde und des Universums, als den ihn die indigenen Völker Kanadas angesehen haben, bis hin zu seiner Rolle als Trickster, in der er im russischen Kamtschatka wahrgenommen wurde. Die mythologischen Anfänge, die den Ursprung des Bildes vom Raben markieren, unterlegt Moss mit begründeten Spekulationen vom Zusammenleben des Menschen mit dem Raben, das einst vor dem Übergang vom Jäger und Sammler zum Ackerbauern vor rund 10.000 Jahren symbiotisch gewesen ist.
Im Anschluss daran zitiert sich der Autor einmal quer durch die literarische Welt. Dazu hätte ein chronologisches Vorgehen entlang der literarischen Zeitachse, bis die Gegenwart in Gestalt der Popkultur erreicht wird, besser als die sprunghafte Erzählweise gepasst. Denn eine systematische Behandlung hätte dieses Kapitel übersichtlicher ausfallen lassen. Dabei erwähnt Stephen Moss etwa die Rolle, in der Shakespeare den Raben Leitmotiv-artig in verschiedenen Stücken auftreten lässt, den Raben Grip, den sich Charles Dickens als Haustier hielt und in seinem Roman Barnaby Rudge verewigt hat, sowie das bekannte Gedicht von Edgar Allen Poe, das um einen Raben kreist. Diese Klassiker der literarischen Welt werden mit aktuelleren Werken verknüpft, indem deren Einfluss auf den Hobbit von J. R. R. Tolkien, das Lied von Eis und Feuer von George R. R. Martin, Disney-Filme und eine Halloween-Folge der Simpsons wiedergegeben wird.
Weitere Themen, die im Kapitel des Kolkraben angeschnitten werden, betreffen u.a. eine allgemeine Beschreibung dieses Vogels, dessen Unterscheidung von dem ihrem Äußeren nach ähnlich aussehenden Krähen, seine Intelligenz sowie dessen unabhängiges Verhalten, das wohl seine Vermenschlichung begründet und ihn von der Taube etwa in der Geschichte von der Arche Noah abgrenzt.

Von den zehn Vögeln, die die Welt veränderten, hat mich die sonst so geächtete Haustaube, der Stephen Moss eine besondere Aufmerksamkeit schenkt, am meisten überrascht. Der thematische Schwerpunkt liegt dabei auf deren heldenhaftem Einsatz in verschiedenen Kriegen, zu denen u.a. der Napoleonische Krieg Anfang des 19. Jahrhunderts sowie der erste und zweite Weltkrieg zählen. In diesen hat die Taube sogar Menschenleben gerettet, wenn sie als Bote Nachrichten überbracht hat. Ein Beispiel dafür ist Cher Ami, die das Überleben des Lost Bataillon sicherte. Deswegen hat sie von der französischen Regierung das Croix de Guerre mit Palmzweig erhalten und ist nun im National Museum of American History in Washington ausgestellt. Zudem entkräftet der Autor die meisten Behauptungen, die heutzutage angeführt werden, um die Vertreibung und Ausrottung von Tauben in den Städten zu rechtfertigen. Ebenfalls räumt Stephen Moss im Kapitel der Darwinfinken mit der Legende auf, dass Darwin seine Erkenntnisse zur Evolutionstheorie quasi als blitzartige Eingebung auf seiner Reise zu den Galapagos-Inseln hatte, während er die dort heimischen Finkenarten studierte.
Abgerundet wird "Wie zehn Vögel die Welt veränderten" von einer ausführlichen Liste, die Anmerkungen zu den einzelnen Kapiteln enthält, sowie einem detaillierten Literaturverzeichnis. Dabei haben mir aber Übersichten etwa in Form von Steckbriefen gefehlt, die ich im Anschluss an die Lektüre dieses Sachbuchs zum Nachschlagen hätte verwenden können. Zumindest für die zehn Vögel, denen jeweils ein Kapitel gewidmet ist, hätte ich dies als sinnvoll erachtet. Gewünscht hätte ich mir dies aber auch für die vielen, zusätzlich auftauchenden Vögel wie beispielsweise den Rotmilan, die Saatkrähe, den Wanderfalken oder die Spottdrossel, die vom Autor oft nur nebenher erwähnt werden. Solche Steckbriefe hätten neben der wissenschaftlichen Bezeichnung des Vogels bestehend aus Gattung und Art Informationen zu seinem Aussehen (u.a. zu seiner Größe und Flügelspannbreite), seinem Verbreitungsgebiet, seinem Verhalten und dessen Abgrenzung zu anderen verwandten Arten, mit denen er sich leicht verwechseln ließe, umfassen können.

Bewertung vom 14.05.2023
In Schweden stirbt es sich am schönsten (eBook, ePUB)
de la Motte, Anders; Nilsson, Måns

In Schweden stirbt es sich am schönsten (eBook, ePUB)


sehr gut

Nicht ganz so starker zweiter Fall für das ungleiche Ermittler-Duo Vinston und Esping

Der riesige Antiquitäten-Markt, bei dem vom typischem Flohmarkt Trödel bis hin zu hochpreisigen Antiquitäten alles angeboten wird, zieht Jahr für Jahr Händler aus aller Welt an. Da Peter Vinston noch Zeit mit seiner Tochter Amanda verbringen will, die auf dem Markt Eis verkauft, weil sie in einer Eisdiele jobbt, begleitet er seine Ex-Frau Christina und deren neuen Mann Poppe Löwenhjelm dorthin. Nach einem kurzen, sintflutartigen Regenguss, vor dem alle ihre erworbenen oder zu verkaufenden Schätze in Sicherheit zu bringen suchen, indem dieser Schauer jeden gleichermaßen unerwartet trifft, dringen Schreie mitten in das sich wieder ordnende Chaos. Nalle Persson, der als Miteigentümer von Rasks Gebrauchtmöbelhandel sein Geschäft rund um Haushaltsauflösungen rücksichtslos betrieben hat, atmet nicht mehr.
“In Schweden stirbt es sich am schönsten” ist nach “Der Tod macht Urlaub in Schweden” der zweite, in Österlen angesiedelte Fall für das ungleiche Ermittler-Duo Peter Vinston und Tove Esping. Nachdem die beiden im Vorgänger erst mühsam ihre Differenzen überwinden und gegenseitige Vorurteile abbauen mussten, um sich zusammenzuraufen, hat mich dann schon irritiert, dass sie zu Beginn dieses Krimis quasi wieder beim gleichen Punkt wie im Vorgänger starten. Denn Tove will auf die Unterstützung des erfahrenen Ermittlers Vinston verzichten und diesen Mordfall allein lösen, obwohl sie zuvor gemeinsam den rätselhaften Tod der Promi-Maklerin Jessie Anderson erfolgreich aufgeklärt haben.

Bereits im Prolog lebt die lokale Folklore auf, indem von de la Motte und Nilsson die sich um die Namensgebung rankende Sage des Flusses Trollelier, in dessen Nähe der Antiquitäten-Markt stattfindet, wiedergegeben wird. Die Geschichte ist ein Drama um Liebe und Eifersucht, bei dem Riesen die Hauptrolle spielen. Auch beschreiben die Autoren die malerische Schönheit des idyllischen Schonen, das sich an strahlenden Sonnentagen bei Vogelgezwitscher und wenn alles blüht, von seiner besten Seite zeigt. So wie im ersten Band der Reihe ist das gute Essen, das Vinston genießt, wiederum von Bedeutung. Die kulinarischen Genüsse reichen dabei von bodenständiger Hausmannskost wie selbstgemachten, zum Mittagessen verzehrten Köttbullar bis hin zum noblen Abendessen, bei dem Rehfilet gespickt mit Knoblauch, Pilzen und Nüssen serviert wird, das von Vogelbeergelee und einem nach Rosen, Trüffeln und Leder duftenden Wein abgerundet wird.
Weil Nalle Persson neben der gefühlskalten Beziehung zu seiner Frau Sussi eine Affäre hatte und Rasks Gebrauchtmöbelhandel derart gnadenlos betrieben hat, dass er allein am Tag seiner Ermordung zunächst über den Kauf einer wertvollen Schale chinesischen Porzellans mit China-Gert Zillen aneinander geraten ist, dann Streit mit Mats Lindeman, seinem Stand Nachbarn auf dem Markt, hatte, um im Anschluss daran von einer etwa vierzigjährigen, kurzhaarigen Frau als Dieb beschimpft zu werden, mangelt es Vinston und Esping nicht an Verdächtigen. Auch hat Nalle nicht vor dubiosen Geschäften mit zwielichtigen Gestalten zurückgeschreckt, indem ihm jedes Mittel zum Geldverdienen recht gewesen ist. Dass Vinston und Esping einer Vielzahl unterschiedlicher Spuren nachzugehen und verschiedene Verdächtige zu befragen hatten, hat die Schilderung von deren Ermittlungsarbeit für mich kurzweilig ausfallen lassen.
“In Schweden stirbt es sich am schönsten” habe ich als nicht so gelungen wie dessen Vorgänger empfunden, weil dieser Krimi weniger originell ausgefallen ist und es nicht geschafft hat eigene Akzente zu setzen, wenn das Erfolgsrezept von “Der Tod macht Urlaub in Schweden” kaum variiert worden ist. Das zieht sich durch diesen Roman durch und beginnt bei Schloss Gärsnäs, das dieses Mal für die Aufzeichnung einer bekannten Fernsehshow anstelle der bombastischen Geburtstagsfeier als Event Location dient, führt über nebenher einfließende Gespräche, die von einer geteilten Leidenschaft fürs Reiten samt des Besitzes eines kostspieligen Pferdes handeln, und Vinstons Leibspeise bis hin zum Finale, das an sich spektakulär wäre, wenn es denn von seinem grundlegenden Aufbau her nicht derart stark an das des ersten Bandes der Reihe erinnern würde. De la Motte und Nilsson hätten dem Krimi mehr Eigenständigkeit verleihen können, indem die Sichtweisen von Vinstons erweiterter Familie darin integriert worden wären. Das schließt für mich die Perspektive seiner Ex-Frau Christina, von deren gemeinsamer Tochter Amanda und insbesondere von Christinas neuem Mann Poppe mit ein. Poppe, der eingeführt als ruhiger, entspannter Charakter die zwischen Peter und Christina herrschenden Spannungen auszugleichen vermochte, kommt in diesem Buch aber eine Rolle zu, bei der er mehr Ecken und Kanten zu zeigen hätte. Abgesehen von einem kurzen Abschnitt, in dem aus seiner Sicht die Teilnahme an einer Auktion geschildert wurde, ist er dabei jedoch ziemlich blass geblieben.

Bewertung vom 12.05.2023
Wandering Souls (eBook, ePUB)
Pin, Cecile

Wandering Souls (eBook, ePUB)


sehr gut

Eindringlich geschildertes Porträt von Flüchtlingen aus Vietnam inspiriert von der Familiengeschichte der Autorin

Im November 1978 verschwinden im vietnamesischen Dorf Vung Tham immer mehr Menschen, die mitten in der Nacht abgeholt werden, um in Umerziehungslager gebracht zu werden. Indem Anhs Familie gefährdet ist, unternimmt sie gemeinsam mit ihren jüngeren Brüdern Thanh und Minh die gefährliche Reise von Vietnam nach Hongkong, die ihnen glückt. Dort angekommen werden sie sogar an Land gelassen und stranden in einer zwei wöchigen Quarantäne. Währenddessen warten sie auf den Rest ihrer Familie, die aus Anhs Eltern und ihren übrigen Geschwistern, ihrem kleinen Bruder Dao, ihren Schwestern Mai und Van sowie Baby Hoang besteht, weil diese ihnen folgen wollten. Doch dann geschieht die Katastrophe und das Drama nimmt seinen Lauf.
Cecile Pin legt einen brutalen Einstieg in ihren Roman Wandering Souls hin, der primär aus Sicht seiner Protagonistin Anh erzählt wird, wenn es nur wenige Seiten dauert, bis die Tragödie sich ereignet, als von Leichen am Strand berichtet wird. Anhs bis zu diesem Zeitpunkt recht heile Welt bricht auf einen Schlag zusammen, indem sie nun das älteste überlebende Mitglied ihrer Familie ist und damit Verantwortung für ihre beiden jüngeren Brüder zu tragen hat. Dabei ist der Autorin eine ambivalente Charakterisierung ihrer Hauptfigur Anh gelungen, die in die Rolle der Mutter schlüpft, obwohl sie selbst noch ein Kind ist. Einerseits lernt sie Stärke zu zeigen, dadurch dass sie ihren Kummer, die Sorgen und Ängste unterdrückt. Denn sie möchte Thanh und Minh, die einen Elternersatz benötigen, Halt und Stabilität geben. Andererseits trifft sie trotzige Entscheidungen, die ihr tatsächliches Alter und ihre Unreife, die sie mit ihren sechzehn Jahren besitzt, betonen. Wütend ist sie nämlich auf ihren Onkel Nam, der zuvor in die USA ausgewandert ist und sich dort das Leben seiner Träume aufgebaut hat, weil sie ihm die Schuld an der Katastrophe gibt. Durch ihn wurde auch in Anhs Vater der Wunsch geweckt, es seinem Bruder gleich zu tun und die beschwerliche Reise nach Amerika zu versuchen.

Im Zentrum von Wandering Souls steht die Entwicklung von Anh, bei der ihr Hineinwachsen in die für Thanh und Minh zu übernehmende Mutterrolle auf der für sie so unberechenbaren Reise von Vietnam bis ins Vereinigte Königreich, das ihr zuvor nicht bekannt gewesen ist, wiedergegeben gibt. Dabei hat mich Cecile Pin mit ihrem ungewöhnlichen Porträt einer jungen Frau überzeugt, die auch wenn sie nur einfachen Tätigkeiten als im Akkord arbeitenden Näherin in einer Fabrik nachgeht, Eindruck hinterlassen hat. Im Kontrast dazu setzt die Autorin wiederholt Akzente mit Szenen, in denen sie Momente beschreibt, die das junge Alter ihrer Hauptfigur verdeutlichen, wie beispielsweise das Schlittenfahren im ersten Schnee, den Anh in ihrem Leben erlebt.
Die Geschichte, die im Kern dieses Romans erzählt wird, ist derart stark ausgefallen, dass ich mir gewünscht hätte, die Autorin hätte auf das Meiste, das sie kunstvoll drum herum arrangiert hat, verzichtet. Denn das bringt die Intensität, in der Anhs Werdegang anhand der von ihr gemachten Erfahrungen geschildert wird, nur um einen Teil der dabei erzeugten Wirkung, indem der Fokus auf andere Themen gelenkt wird. So hätte ich Wandering Souls als gelungener empfunden, wenn Cecile Pin etwa ihre in kursiv gedruckten Anmerkungen, die kontinuierlich zum Abschluss von Kapiteln mit einfließen, gesammelt als persönliches Nachwort der Autorin ans Ende ihres Romans gestellt hätte, das sich mit der Entstehung dieses Buchs und ihrer in diesem Zusammenhang getätigten Recherche auseinandersetzt.
Besonders gefallen hat mir das Wandering Souls abrundende Glossar, weil dieses recht ausführlich geraten ist und ich das gerade im Hinblick auf exotische Früchte und typisch vietnamesische Gerichte als nützlich angesehen habe. Darüber hinaus hätte ich mir Anhänge gewünscht, die weitergehende Informationen zum historischen Kontext dieses Romans geliefert hätten. Dafür hätten sich beispielsweise der Brief von Margaret Thatcher im Speziellen und ihre Flüchtlingspolitik im Allgemeinen oder eine Zeitachse des Vietnamkriegs sowie eine detaillierte Beschreibung relevanter Operationen anstelle der aus Sicht von Private resp. Sergeant Jackson wiedergegebenen Kapitel, die in unnötiger Weise zusätzliche Figuren einführen, da keine unmittelbare Verbindung zu Anhs Familie besteht, angeboten. Auch hätte dem Roman gut getan, wenn sich Cecile Pin statt Abschnitte aus der Perspektive von Dao nach seinem Tod zu schildern, bei denen es der Autorin an poetischem Talent mangelt, mehr Zeit dabei gelassen hätte, Anhs Familie vor der Katastrophe vorzustellen. Die dazu passenden, wirklich interessanten Seiten, die kulturell bedingte Unterschiede in der Art zu trauern und daraus resultierende Bestattungsriten anhand von besonders gegensätzlich ausgefallenen Beispielen behandeln, wären besser in einen separaten Anhang ausgelagert worden.

Bewertung vom 11.05.2023
Das Ende von Eden (eBook, ePUB)
Amidon, Stephen

Das Ende von Eden (eBook, ePUB)


sehr gut

Ruhig erzähltes Krimi-Drama mit Längen, aber einem starken, abgründigen Schluss

Die unberechenbare Eden Perry ist vor wenigen Monaten zu ihrer entfernten Verwandten Betsy Bondurant und deren Mann Bill in die Locust Lane gezogen. Im wohlhabenden Vorort Emerson soll sie Abstand zu ihren Problemen gewinnen. Eden kümmert sich um den Hund der Bondurants und hütet in deren Abwesenheit das Haus. Als die Bondurant das nächste Mal verreist sind, versucht Eden mitten in der Nacht ihre Mutter Danielle zu erreichen, die jedoch den Anruf verpasst. Am darauf folgenden Morgen wird Eden tot aufgefunden und weil die damit einhergehenden Umstände verdächtig sind, nimmt die Polizei Ermittlungen auf.

Die gesamte Handlung von “Das Ende von Eden” spielt sich innerhalb von wenigen Tagen ab. Indem die Erzählweise sich auf diesen kurzen Zeitraum konzentriert, verstärkt sie die Intensität, die dieser Krimi als emotionales Drama erzeugt. Dabei wird der Roman aus fünf unterschiedlichen Perspektiven geschildert. Diese umfassen neben der Sichtweise von Danielle Perry, die die Mutter der ermordeten Eden ist, auch die des Zeugen Patrick Noone, der zufällig betrunken am Tatort vorbeirauscht, sowie von Celia Parrish, Alice Hill und Michel Mahoun, deren fast volljährige Kinder Jack, Hannah und Christopher mittereinander befreundet sind.
Der nach dem Verlust seiner Tochter unter seinem Alkoholproblem leidende Patrick Noone verdient sein Geld als Verwalter von Kundenvermögen. Zunächst wirkt er im Frönen seiner Sucht wenig sympathisch, bis sich mir dann nach und nach seine Geschichte erschlossen hat. Insgesamt überzeugt “Das Ende von Eden” als ruhig erzähltes Drama. Jede der fünf Familien, die jeweils mit einem Mitglied vertreten sind, aus deren Sicht ein Teil der Handlung geschildert wird, hat mit Problemen zu kämpfen. Die sind mir näher gebracht worden, da Amidon sich Zeit dabei gelassen hat seine Figuren vorzustellen und auch traumatische Ereignisse aus deren Vergangenheit wiederzugeben. Besonders eindringlich sind für mich die Tragik im Leben von Patrick und Michel geraten. Michel, der als Kind Zeuge eine brutalen Attentats wurde, musste mit ansehen, wie sein feinfühliger Sohn Christopher beinahe am Verlust seiner Mutter zerbrochen ist, als seine hohl gewordene Stimme der in ihm herrschenden Leere Ausdruck verliehen hat.

Dass der Autor sich für den Aufbau von "Das Ende von Eden" für eine derart konzentrierte Erzählweise entschieden hat, indem die Handlung dieses Krimis auf einen Zeitraum von nur wenigen Tagen beschränkt und der erste davon vollständig aus Sicht von jeder der fünf gewählten Figuren geschildert wird, hat den Nachteil mit sich gebracht, dass unerwartete Momente verloren gegangen sind. So haben sich bei mir Längen eingeschlichen, als mich etwa nicht überraschen konnte, wer bei Michel mit blutendem Arm an eines der Fenster der von der Straße angewandten Seite des Hauses, das von Reportern belagert wird, klopft. Denn Amidon hat zuvor aus Sicht von eben dieser Figur berichtet, wie ihr das geglückt ist, hinter das Haus von Michel zu gelangen.
Da hätte ich mir eine straffere Erzählweise gewünscht, die solche Dopplungen vermieden und auf die Beschreibung der Stunden der beteiligten Figuren, in denen nichts passiert, als etwa Celia zur Untätigkeit verdammt allein Zuhause auf ihren Mann und Sohn warten muss, verzichtet hätte. Stattdessen hätte Amidon seinem über einen kurzen Zeitraum erzählten Roman einen ausführlicheren Prolog voranstellen können, indem die recht spezielle, durch ihr sprunghaftes Verhalten unberechenbare und doch so liebenswerte Eden hätte vorkommen können. Denn deren Beschreibung fällt jedem der von der Polizei Befragten derart schwer, dass den Detectives gegenüber wiederholt die Aussage gemacht wird, Eden müsse man einfach erlebt haben.
Im weiteren Verlauf von "Das Ende von Eden" nimmt die Handlung dann Fahrt auf, wenn die Tage nicht mehr vollständig aus fünf verschiedenen Perspektiven wiedergegeben werden, sondern kleine Zeitsprünge erfolgen. In der zweiten Hälfte dieses Krimis sind es zumindest für mich aber ein paar zufällige Verbindungen zu viel gewesen, die Zeuge Patrick oder genauer gesagt dessen verstorbene Tochter Gabi zu den in diesem Roman eine Rolle spielenden Figuren hat. An dieser Stelle wäre für mich weniger mehr gewesen, weil das in der vorliegenden Form den Eindruck hinterlassen hat, dass der Autor nach der eindringlich geschilderten, starken Vorgeschichte von Patrick nicht so recht wusste, wie er diese zu einem runden Abschluss bringen soll. Dafür hat mich jedoch das abgründige Finale entschädigt, bei dem Amidon den Mut bewiesen hat, sein durch dessen Intensität überzeugendes Krimi-Drama nicht mit einem gefälligen letzten Kapitel abzuschließen.