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TK

Bewertungen

Insgesamt 108 Bewertungen
Bewertung vom 02.10.2023
Das Buch der gestohlenen Träume (Das Buch der gestohlenen Träume 1)
Farr, David

Das Buch der gestohlenen Träume (Das Buch der gestohlenen Träume 1)


ausgezeichnet

Anspruchsvolles und poetisches Abenteuer

Ich bin sehr beeindruckt von diesem Buch! Auf den ersten Blick ist es eine spannende, abenteuerliche Geschichte, mit zwei klugen, mutigen Kindercharakteren und anderen faszinierenden Figuren.
Gleichzeitig schafft es Autor David Farr, die Lyrik von Anna Achmatowa kunstvoll als zentrales Element in die Handlung einzuweben, und eine fiktive Welt zu erschaffen, die Kerneigenschaften von allen dikatorischen, totalitären Gesellschaften vereint - und die den jugendlichen Lesern zutraut, damit zurecht zu kommen. Krasnia und sein Herrscher Malstain lassen verschiedenste historische Persönlichkeiten und Handlungsmuster wiedererkennen, und die Geschichte zeigt Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten, enthält echte Gefahren und Verluste.

David Farrs Erzählstil hat uns sehr gefallen, mitreißend und stimmungsvoll, ein bisschen britisch, immer ein Hauch Magie, die der grauen Realität gegenübersteht.
Die Gestaltung des Buches ist ebenfalls wunderschön, das tolle Coverbild mit den golden glänzenden Elementen macht sehr neugierig, und dann entdeckt man die Luftschiffe auf der Innenseite, und die Illustrationen der Kapitelüberschriften und der Gedichte...

"Das Buch der gestohlenen Träume" ist eine ganz besondere Geschichte, spannend und sehr zum Nachdenken anregend. Nach der Lektüre habe ich mit meiner (13-jährigen) Tochter sehr interessante Gespräche geführt, wie sie in bestimmten Situationen der Geschichte gehandelt hätte. Auch für erwachsene Leser sehr zu empfehlen, mit geschichtlichen und literarischen Vorkenntnissen kommen die verschiedenen Nuancen und Verweise noch besser zur Geltung.

Bewertung vom 19.09.2023
Schneekinder
Langer, Andreas

Schneekinder


sehr gut

Kinder in einer eisigen Welt

Mit viel bedrohlicher Atmosphäre geschriebenes, aufregendes Abenteuer in einer eisig-kalten Welt, mit einem so einfachen wie berührenden Titel.

Die nordisch-isländisch inspirierte Welt des Buches gefällt uns sehr, sowohl die landschaftlichen Beschreibungen als auch die Sagenwelt, mit der die Handlung verwoben wird.
Obwohl sich die Geschichte atmoshärisch wie ein Märchen anfühlt, hat sie auch sehr viel Realität in sich. Die Alten und vor allem die Kinder, die noch übrig sind, weil alle Erwachsenen (genau genommen alle, die gerade so alt genug sind) für einen fernen König in den Kriegsdienst ziehen mussten, die skrupellosen Aufseher des Königs, die nur ihre eigene Haut retten wollen...
Die Gruppe der Kinder mit ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten ist sehr eindrücklich charakterisiert. Besonders Elin, die zu Mutterersatz und unfreiwilliger Anführerin werden musste, ist eine tolle Figur. Das 13-jährige Tochterkind liest am liebsten Geschichten, in denen wirklich etwas passiert und in denen die Charaktere echten Gefahren gegenüberstehen, in denen es um Leben und Tod geht, insofern war sie mit diesem sehr spannenden Abenteuer sehr zufrieden.

Beim Cover bin ich mir mit dem Tochterkind uneinig, sie findet es ein bisschen langweilig, weil es eigentlich einfach nur weiß ist. Mir gefällt gerade das sehr gut und ich finde es sehr stimmungsvoll, die kleinen Tupfer der Gruppe auf ihrem Weg, verloren (?) inmitten der weiten Winterlandschaft, der graue Nebel, der die Sicht verschleiert auf das was noch vor ihnen liegen mag...

Bewertung vom 11.09.2023
Verlogen / Mörderisches Island Bd.2
Ægisdóttir, Eva Björg

Verlogen / Mörderisches Island Bd.2


sehr gut

Lügen und Geheimnisse

"Verlogen" hat auf mich nicht ganz so stark gewirkt wie der Vorgänger "Verschwiegen", aber die Autorin Eva Björg Ægisdóttir hat wieder einen isländisch-düsteren, psychologisch packenden und lange Zeit nicht vorhersehbaren, beim Lesen herausfordernden Kriminalfall vorgelegt.
Leider wirkte Ermittlerin Elma in diesem Teil vergleichsweise blass, was für sie persönlich natürlich gut ist, da sich ihr Leben nach verschiedenen traumatischen Erlebnissen wieder beruhigt hat - für die Charakterisierung ist es allerdings etwas schwach, und diese Ebene der Handlung hat mir für den starken Gesamteindruck gefehlt.

Der Fall selbst ist allerdings wieder spannend geraten, er ist menschlich berührend und betrifft faszinierende, vielschichtige Figuren, mit den unterschiedlichsten Hintergründen und (Lebens-)Lügen, die nach und nach ans Licht kommen. Handlung und Wendungen konstruieren kann die Autorin auf jeden Fall! Der isländische Schauplatz tut sein Übriges und trägt wieder unheimlich zu Stimmung und Atmosphäre bei.

Insgesamt sehr zu empfehlende nordisch-kühle Spannung, auch unabhängig vom ersten Teil sicher gut lesbar.

Bewertung vom 27.08.2023
Und wir tanzen, und wir fallen
Newman, Catherine

Und wir tanzen, und wir fallen


ausgezeichnet

Das Leben im Sterben

Eine Geschichte über die beste, engste, älteste Freundin im Hospiz klingt nach einer unglaublich schweren, traurigen Lektüre. Und das ist sie stellenweise auch, denn natürlich ist Im-Sterben-Liegen eine furchtbare Situation, und Krebs ist sowieso ein Arschloch. Aber es ist auch eine Geschichte die so schön ist, dass man sich, wie die Protagonistin Ash selbst sagt, wünscht, dass sie einfach immer weitergehen könnte, um das unvermeidliche Ende nicht erreichen zu müssen, auch wenn man weiß, dass der Teil der Geschichte mit dem Hospiz genau das unausweichlich macht.

Die Situation des nicht immer dramatischen Wartens auf den Tod, des Alltäglichen, während gleichzeitig ein Teil des Lebens zusammenbricht, dieses merkwürdigen Zwischenzustands von Nochdasein und Abschied, zwischen Erinnerungen und Verlust, die ganz eigene Parallelwelt des Hospizes und all der Menschen, die sich dort zur gleichen Zeit verbunden finden, ist sehr einfühlsam beschrieben. Aber nicht nur der Tod ist das Thema, sondern vor allem das Leben, nicht nur das, was man verlieren wird, sondern vor allem das, das noch da ist, in all den Beziehungen und Erinnerungen.

Eine lebensbejahende Geschichte über das Sterben klingt kitschig und rührselig, genauso wie die Aussage, dass man beim Lesen lachen und weinen musste, aber hier stimmen diese Klischees, die mich selbst sonst abschrecken würden, tatsächlich.
Das Buch enthält so viel Liebe und Freundschaft, keine kitschige Liebe, sondern echte, unperfekte, alltägliche Liebe, zwischen Partnern, Eltern und Kindern, Geschwistern und Freunden, nicht zuckrig, sondern wiedererkennbar. Und die Charaktere (allen voran Belle!), bis hin zu Nebenfiguren, sind mit ihren Geschichten und Erinnerungen unglaublich sympathisch gezeichnet und gehen so nahe, dass man sie auch schon lange zu kennen glaubt und mit ihnen ebenfalls nicht Loslassen möchte.

Normalerweise graut es mir vor Übersetzungen von zeitgenössischer, umgangsprachlicher amerikanischer Literatur, da sie immer irgendwie gewollt und peinlich wirken, weil sie nicht den richtigen Ton treffen. Daher ein sehr großes Dankeschön an Übersetzerin Alexandra Baisch, die wirklich alle feinen Nuancen und die wunderbaren Dialoge perfekt ins Deutsche gebracht hat!

"Das Schlimmstmögliche, die bestmöglichen Menschen", wie es Autorin Catherine Newman in ihrer Danksagung formuliert, in der sie sich auf ihre eigenen autobiographischen Erfahrungen bezieht, die diesen Roman so bewegend und traurig, aber auch so voller Freude, feinem Humor und Glück machen - eine Feier des Lebens.

Bewertung vom 27.08.2023
Terafik
Karkhiran Khozani, Nilufar

Terafik


ausgezeichnet

Die Grenze zwischen Nichtankommen und Nichtwegkönnen

Was für ein starker Debütroman, und eine perfekte Vorstellung einer neuen Stimme! So bietet dieses Buch einen tiefen biografischen Einblick in das Leben der Autorin und ihre Erfahrungen, während gleichzeitig ihre ganz persönliche Erzählweise und lyrische Sprache so wunderschön zur Geltung kommen.
Nilufar Karkhiran Khozani erzählt von einer Reise nach Iran, in das Land ihres Vaters, das ihr gleichzeitig völlig fremd ist, aber sich auch auf seine ganz eigene Weise, und mit der weit verzweigten väterlichen Familie, wie ein Zuhause anfühlt.
Sowohl ihr psychologischer als auch ihr poetischer Hintergrund verbinden sich zu einer wirklich berührenden Wahrnehmung der oft komplizierten Familienbeziehungen und der Frage nach Heimat, nach Zugehörigkeit.
Auch das widersprüchliche Wesen Irans selbst wird eindrücklich spürbar, und das Gefühl der Menschen, die zwischen Gehen und Bleiben entscheiden müssen. Der Titel, Terafik - traffic - ist großartig gewählt, für den realen unendlichen Straßenverkehr in den Städten Irans, aber auch symbolisch für die Reisen, die Ziele und Wege, die Strecken zwischen Menschen und Orten, die manchmal trotz räumlicher Nähe sehr weit sind, manchmal aber auch trotz großer Entfernung sehr nah.

Ein sehr intensiver, wirklich beeindruckender Roman!

Bewertung vom 24.08.2023
Das Licht zwischen den Schatten
Beck, Michaela

Das Licht zwischen den Schatten


gut

Große, bewegende Geschichte, leider unnötig ausschweifend

Ich liebe lange Familiengeschichten über mehrere Generationen, die mit der Zeitgeschichte verknüpft sind, daher hat mich "Das Licht zwischen den Schatten" in dieser Hinsicht definitiv nicht enttäuscht. Die vielen Wendungen der deutschen Geschichte von 1919 bis 1989, und wie sie die Schicksale der verschiedensten Menschen beeinflusst haben, sind in diesem Roman mit großer Reichweite, aber auch ganz persönlich anhand der drei Protagonisten Konrad, Brigitte und André erzählt.

Faszinierend sind die Leben aller drei Figuren und der Menschen, denen sie auf ihren Lebenswegen begegnen. Besonders interessant, wenn auch wirklich nicht sympathisch in ihren Entscheidungen, ist Brigitte, die man sehr gut als Produkt der Systeme und Gesellschaften, und nicht zuletzt der Familienverhältnisse, in denen sie aufgewachsen ist, verstehen kann. Ihr Weg, mit den immer falschen Abzweigungen, die sich auch auf die anderen Generationen auswirken, hat etwas unausweichlich Tragisches.

Das Buch bleibt über seine gesamte Länge sehr spannend durch die geschickt verwobenen Handlungsstränge und Lebensgeschichten, bei denen man sich erst nach und nach die Zusammenhänge sortieren kann.
Vielleicht allerdings auch, weil die Verbindungen und Verwirrungen doch manchmal etwas zu unnötig kompliziert, etwas zu unwahrscheinlich sind - aber das Leben schreibt die seltsamsten Geschichten, wer weiß?

Ähnlich wie die Handlung selbst war mir häufig auch der Satzbau etwas überladen und umständlich, was den eigentlich sehr gut lesbaren Erzählstil an vielen Stellen beeinträchtigt hat. Auch die häufig unnötige Verwendung von Anführungszeichen für sprachliche Ausdrucksmittel hat mich irritiert (etwa: in der Schwimmhalle "waren auch die Geräusche "enger" und "gedämpfter", "Er "rotzte" Sollmann all seine dunklen und lange verheimlichten Vermutungen vor die Füße").
Die gewählten Namen Emmely und Janis haben mich aufgrund ihrer (für die jeweilige Generation) unzeitgemäßen und unüblichen Schreibweisen jedes Mal ein bisschen aus dem Geschehen gezogen, was sicher eine Geschmacksfrage ist, aber auch schade.
Das Ende und das Zusammenknüpfen der Erzählstränge war mir dann ein bisschen zu übereilt und wirkte nur noch schnell zusammengefasst, was zu der ausholenden Erzählweise des vorhergegangenen Buches nicht so recht passen wollte.

Ein sehr ambitionierter, gut recherchierter und weitreichender Roman, den ich gerne und gespannt gelesen habe, im Nachhinein in der Gesamtheit gesehen war es mir jedoch eventuell etwas zu viel des Guten.

Bewertung vom 23.08.2023
Cleopatra und Frankenstein
Mellors, Coco

Cleopatra und Frankenstein


weniger gut

Problematischer Hype

***Trigger-Warnungen: u.a. Alkohol- und Drogenkonsum, Depression, Suizid, explizite sexualisierte Gewalt***

Cleo und Frank: Cleopatra, Hinreißerin aller Männer trifft auf Frankenstein, Erschaffer von Monstern.

Der Roman ist stilistisch gut geschrieben, keine Frage, sowohl die Charakterisierungen als auch vor allem die Dialoge - Coco Mellors Erzählstimme ist für einen Debütroman tatsächlich sehr vielversprechend. Der Plot hat jedoch lange Zeit auf sich warten lassen und ist dann leider recht oberflächlich geblieben.

Für einen Roman, der als Großstadtromanze vermarktet wird, und demnach entsprechende Assoziationen und Erwartungen weckt, waren mir jedoch die Charaktere allesamt (bis auf Eleanor und Santiago, die allerdings nur Nebenrollen spielen) viel zu unsympathisch, und die Story ist doch recht deprimierend geraten. Dysfunktionale, destruktive Beziehungen, in denen die Beteiligten das jeweils Schlechteste in ihrem Gegenüber hervorbringen, sind für mich einfach nicht romantisch, und Drogen-Lifestyle ist mir auch sehr fern.
Versteht mich nicht falsch, eine ernstere, emotionalere und realistischere Darstellung einer Liebesbeziehung interessiert mich prinzipiell literarisch deutlich mehr als ein relativ seichter, fröhlich-bunter Liebesroman, aber auf eine so (unangekündigt, was ich auch problematisch finde) triggerreiche Lektüre war ich nicht vorbereitet und nicht in der passenden Lesestimmung, an einer bestimmten Stelle war ich sehr nah dran, das Buch endgültig wegzulegen.

Stilistisch auf jeden Fall eine sehr spannende Stimme einer neuen Autorin, aber mit diesem Werk ist für mich der große Hype noch nicht gerechtfertigt.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.08.2023
Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe
Knecht, Doris

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe


gut

Bestandsaufnahme

Doris Knecht erzählt hier, mittels ihrer Protagonistin, lebensnah verschiedene Betrachtungen einer Frau: über Familie, Eltern und Geschwister, zum eigenen Älterwerden, zum Erwachsenwerden der Kinder, zum Empty Nest, über Freundschaften und Beziehungen, das Leben als Alleinerziehende, die kleinen und größeren Veränderungen im Lauf des Lebens.

Von der Zusammenfassung bzw. dem Klappentext hatte ich mir allerdings ein sehr anderes Buch vorgestellt, mit einer zusammenhängenderen Handlung, statt einer Sammlung von Gedanken. Auch werden die Konflikte, die Suche nach der eigenen Wahrheit und der Wendepunkt des Lebens doch deutlich dramatischer angedeutet, als es der Roman dann letztendlich liefert. So ist die Protagonistin dem Rückblick auf ihr bisheriges Leben und der Bestandsaufnahme der Gegenwart doch sehr sachlich gegenübergetreten.

Stilistisch hat mir der Roman gut gefallen und war unterhaltsam zu lesen, aber so wirklich berührt hat er mich nicht. Vielleicht bin ich dafür noch am falschen Punkt in meinem eigenen Leben?
So befürchte ich, dass "Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe" bald auf meiner Liste der Bücher landen wird, die ich wieder vergessen habe.

Bewertung vom 13.08.2023
Irgendwo wartet das Leben
Kelly, Erin Entrada

Irgendwo wartet das Leben


sehr gut

Aufwachsen und Sich-Selbst-Finden

"Irgendwo wartet das Leben" ist sehr gut lesbar und angenehm geschrieben, mit verschiedenen sympathischen, emotional nachvollziehbaren Charakteren.
Der Fokus, wie der Titel schon anklingen lässt, liegt auf dem Menschlichen und dem Zwischenmenschlichen: das Finden eigenen Identität, was gerade in einer Kleinstadt, wo jeder jeden schon immer kennt, besonders schwierig ist, der Gruppenzugehörigkeit, dem Navigieren von Freundschaften, Familienbeziehungen und Zukunftsplänen. Diese Aspekte sind sehr einfühlsam und berührend erzählt, so dass (fast) alle Figuren in ihren Eigenschaften und Intentionen mehrdimensional gesehen werden können.

Von der Handlung und inhaltlich hätte ich mir allerdings etwas mehr versprochen.
Die recht klassische Geschichte von Außenseitern, Cliquen und Mean Girls, den Schönen, den Sportlichen und den Unauffälligen, bedient so ziemlich alle Klischees und Tropes, die in so ziemlich allen Teenager-High-School-Serien, -filmen etc. auch zu finden sind, und dass, ohne diese Erzählschemata tatsächlich in einer neuen Form zu verwenden.
Sicher ist dieses Formelhafte in Hinblick auf die Handlung und die Botschaft ein Stück weit so gewollt, aber etwas weniger Vorhersehbarkeit und etwas mehr Überraschung hätten der Lektüre sehr gut getan. Meine Tochter war jedenfalls nicht besonders interessiert - es ist halt eine Geschichte im Schul- und Familienalltag, in der recht wenig aufregende Sachen passieren, vor allem wenn man eigentlich lieber spannungsreichere Genres liest.
Ich als Mutter hoffe allerdings, dass einige der Denkanstöße und Entscheidungsmomente doch irgendwo im Hinterkopf hängen geblieben sind. Die Bekräftigung, dass man gut so ist, genauso wie man ist, kann ja jedem, aber besonders Jugendlichen, nur guttun.

Eine schöne, wenn auch nicht sehr aufregende, Geschichte mit wichtigen Botschaften und berührenden Szenen übers Aufwachsen und Sich-Selbst-Finden.

Bewertung vom 13.08.2023
Das Pferd im Brunnen
Tscheplanowa, Valery

Das Pferd im Brunnen


ausgezeichnet

Mosaik aus vier Frauenleben

Valery Tscheplanowas Roman folgt einer ganz eigenen Erzählweise, als Lesende*r erlebt man sehr bildlich beschriebene, unmittelbar spürbare Vignetten, die einzelne Szenen komplett ausleuchten, während andere Momente dazwischen im Dunkeln bleiben.
Die Momentaufnahmen aus den Leben der vier Generationen von Frauen, in denen Männer kaum eine erwähnenswerte Rolle spielen, allesamt faszinierende Persönlichkeiten, setzen sich nach und nach zu einem Mosaik einer Familie zusammen, sind einander über die Zeit hinweg Spiegelbild, Echo und Erklärung, Ursache und Wirkung.
Die Beziehungen von Müttern und Töchtern, Großmüttern und Enkelinnen, geprägt vom Leben in Sowjetrussland und vom Leben als Frauen in einer Männerwelt, welches sie als Kampf erleben, wodurch sie folgerichtig Kämpferinnen sein müssen, sind bestimmt durch Eigenständigkeit und Eigensinn.
Gerade die Großmutter Nina, die starke, hartschalige Matriarchin, folgt der Einstellung, dass das getan wird, was getan werden muss, was die oder der Einzelne möchte, spielt dabei keine Rolle. So zeigt sie auch wenig Mütterlichkeit, sie versorgt Bedürfnisse, doch für Wärme oder Zuneigung bleibt kaum Raum oder auch emotionale Kapazität. Wie sich das auf die weitergegebenen, vererbten Werte und Emotionen der Familie auswirkt, ist faszinierend aus den Verbindungen zwischen den Generationen herauszulesen.

"Das Pferd im Brunnen" ist ein sehr empfehlenswerter autobiographischer Debütroman, der neben der feinsinnigen Beobachtung seiner Figuren auch durch eine sehr bildhafte, poetische Sprache beeindruckt.