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TK

Bewertungen

Insgesamt 104 Bewertungen
Bewertung vom 27.08.2023
Terafik
Karkhiran Khozani, Nilufar

Terafik


ausgezeichnet

Die Grenze zwischen Nichtankommen und Nichtwegkönnen

Was für ein starker Debütroman, und eine perfekte Vorstellung einer neuen Stimme! So bietet dieses Buch einen tiefen biografischen Einblick in das Leben der Autorin und ihre Erfahrungen, während gleichzeitig ihre ganz persönliche Erzählweise und lyrische Sprache so wunderschön zur Geltung kommen.
Nilufar Karkhiran Khozani erzählt von einer Reise nach Iran, in das Land ihres Vaters, das ihr gleichzeitig völlig fremd ist, aber sich auch auf seine ganz eigene Weise, und mit der weit verzweigten väterlichen Familie, wie ein Zuhause anfühlt.
Sowohl ihr psychologischer als auch ihr poetischer Hintergrund verbinden sich zu einer wirklich berührenden Wahrnehmung der oft komplizierten Familienbeziehungen und der Frage nach Heimat, nach Zugehörigkeit.
Auch das widersprüchliche Wesen Irans selbst wird eindrücklich spürbar, und das Gefühl der Menschen, die zwischen Gehen und Bleiben entscheiden müssen. Der Titel, Terafik - traffic - ist großartig gewählt, für den realen unendlichen Straßenverkehr in den Städten Irans, aber auch symbolisch für die Reisen, die Ziele und Wege, die Strecken zwischen Menschen und Orten, die manchmal trotz räumlicher Nähe sehr weit sind, manchmal aber auch trotz großer Entfernung sehr nah.

Ein sehr intensiver, wirklich beeindruckender Roman!

Bewertung vom 24.08.2023
Das Licht zwischen den Schatten
Beck, Michaela

Das Licht zwischen den Schatten


gut

Große, bewegende Geschichte, leider unnötig ausschweifend

Ich liebe lange Familiengeschichten über mehrere Generationen, die mit der Zeitgeschichte verknüpft sind, daher hat mich "Das Licht zwischen den Schatten" in dieser Hinsicht definitiv nicht enttäuscht. Die vielen Wendungen der deutschen Geschichte von 1919 bis 1989, und wie sie die Schicksale der verschiedensten Menschen beeinflusst haben, sind in diesem Roman mit großer Reichweite, aber auch ganz persönlich anhand der drei Protagonisten Konrad, Brigitte und André erzählt.

Faszinierend sind die Leben aller drei Figuren und der Menschen, denen sie auf ihren Lebenswegen begegnen. Besonders interessant, wenn auch wirklich nicht sympathisch in ihren Entscheidungen, ist Brigitte, die man sehr gut als Produkt der Systeme und Gesellschaften, und nicht zuletzt der Familienverhältnisse, in denen sie aufgewachsen ist, verstehen kann. Ihr Weg, mit den immer falschen Abzweigungen, die sich auch auf die anderen Generationen auswirken, hat etwas unausweichlich Tragisches.

Das Buch bleibt über seine gesamte Länge sehr spannend durch die geschickt verwobenen Handlungsstränge und Lebensgeschichten, bei denen man sich erst nach und nach die Zusammenhänge sortieren kann.
Vielleicht allerdings auch, weil die Verbindungen und Verwirrungen doch manchmal etwas zu unnötig kompliziert, etwas zu unwahrscheinlich sind - aber das Leben schreibt die seltsamsten Geschichten, wer weiß?

Ähnlich wie die Handlung selbst war mir häufig auch der Satzbau etwas überladen und umständlich, was den eigentlich sehr gut lesbaren Erzählstil an vielen Stellen beeinträchtigt hat. Auch die häufig unnötige Verwendung von Anführungszeichen für sprachliche Ausdrucksmittel hat mich irritiert (etwa: in der Schwimmhalle "waren auch die Geräusche "enger" und "gedämpfter", "Er "rotzte" Sollmann all seine dunklen und lange verheimlichten Vermutungen vor die Füße").
Die gewählten Namen Emmely und Janis haben mich aufgrund ihrer (für die jeweilige Generation) unzeitgemäßen und unüblichen Schreibweisen jedes Mal ein bisschen aus dem Geschehen gezogen, was sicher eine Geschmacksfrage ist, aber auch schade.
Das Ende und das Zusammenknüpfen der Erzählstränge war mir dann ein bisschen zu übereilt und wirkte nur noch schnell zusammengefasst, was zu der ausholenden Erzählweise des vorhergegangenen Buches nicht so recht passen wollte.

Ein sehr ambitionierter, gut recherchierter und weitreichender Roman, den ich gerne und gespannt gelesen habe, im Nachhinein in der Gesamtheit gesehen war es mir jedoch eventuell etwas zu viel des Guten.

Bewertung vom 23.08.2023
Cleopatra und Frankenstein
Mellors, Coco

Cleopatra und Frankenstein


weniger gut

Problematischer Hype

***Trigger-Warnungen: u.a. Alkohol- und Drogenkonsum, Depression, Suizid, explizite sexualisierte Gewalt***

Cleo und Frank: Cleopatra, Hinreißerin aller Männer trifft auf Frankenstein, Erschaffer von Monstern.

Der Roman ist stilistisch gut geschrieben, keine Frage, sowohl die Charakterisierungen als auch vor allem die Dialoge - Coco Mellors Erzählstimme ist für einen Debütroman tatsächlich sehr vielversprechend. Der Plot hat jedoch lange Zeit auf sich warten lassen und ist dann leider recht oberflächlich geblieben.

Für einen Roman, der als Großstadtromanze vermarktet wird, und demnach entsprechende Assoziationen und Erwartungen weckt, waren mir jedoch die Charaktere allesamt (bis auf Eleanor und Santiago, die allerdings nur Nebenrollen spielen) viel zu unsympathisch, und die Story ist doch recht deprimierend geraten. Dysfunktionale, destruktive Beziehungen, in denen die Beteiligten das jeweils Schlechteste in ihrem Gegenüber hervorbringen, sind für mich einfach nicht romantisch, und Drogen-Lifestyle ist mir auch sehr fern.
Versteht mich nicht falsch, eine ernstere, emotionalere und realistischere Darstellung einer Liebesbeziehung interessiert mich prinzipiell literarisch deutlich mehr als ein relativ seichter, fröhlich-bunter Liebesroman, aber auf eine so (unangekündigt, was ich auch problematisch finde) triggerreiche Lektüre war ich nicht vorbereitet und nicht in der passenden Lesestimmung, an einer bestimmten Stelle war ich sehr nah dran, das Buch endgültig wegzulegen.

Stilistisch auf jeden Fall eine sehr spannende Stimme einer neuen Autorin, aber mit diesem Werk ist für mich der große Hype noch nicht gerechtfertigt.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.08.2023
Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe
Knecht, Doris

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe


gut

Bestandsaufnahme

Doris Knecht erzählt hier, mittels ihrer Protagonistin, lebensnah verschiedene Betrachtungen einer Frau: über Familie, Eltern und Geschwister, zum eigenen Älterwerden, zum Erwachsenwerden der Kinder, zum Empty Nest, über Freundschaften und Beziehungen, das Leben als Alleinerziehende, die kleinen und größeren Veränderungen im Lauf des Lebens.

Von der Zusammenfassung bzw. dem Klappentext hatte ich mir allerdings ein sehr anderes Buch vorgestellt, mit einer zusammenhängenderen Handlung, statt einer Sammlung von Gedanken. Auch werden die Konflikte, die Suche nach der eigenen Wahrheit und der Wendepunkt des Lebens doch deutlich dramatischer angedeutet, als es der Roman dann letztendlich liefert. So ist die Protagonistin dem Rückblick auf ihr bisheriges Leben und der Bestandsaufnahme der Gegenwart doch sehr sachlich gegenübergetreten.

Stilistisch hat mir der Roman gut gefallen und war unterhaltsam zu lesen, aber so wirklich berührt hat er mich nicht. Vielleicht bin ich dafür noch am falschen Punkt in meinem eigenen Leben?
So befürchte ich, dass "Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe" bald auf meiner Liste der Bücher landen wird, die ich wieder vergessen habe.

Bewertung vom 13.08.2023
Irgendwo wartet das Leben
Kelly, Erin Entrada

Irgendwo wartet das Leben


sehr gut

Aufwachsen und Sich-Selbst-Finden

"Irgendwo wartet das Leben" ist sehr gut lesbar und angenehm geschrieben, mit verschiedenen sympathischen, emotional nachvollziehbaren Charakteren.
Der Fokus, wie der Titel schon anklingen lässt, liegt auf dem Menschlichen und dem Zwischenmenschlichen: das Finden eigenen Identität, was gerade in einer Kleinstadt, wo jeder jeden schon immer kennt, besonders schwierig ist, der Gruppenzugehörigkeit, dem Navigieren von Freundschaften, Familienbeziehungen und Zukunftsplänen. Diese Aspekte sind sehr einfühlsam und berührend erzählt, so dass (fast) alle Figuren in ihren Eigenschaften und Intentionen mehrdimensional gesehen werden können.

Von der Handlung und inhaltlich hätte ich mir allerdings etwas mehr versprochen.
Die recht klassische Geschichte von Außenseitern, Cliquen und Mean Girls, den Schönen, den Sportlichen und den Unauffälligen, bedient so ziemlich alle Klischees und Tropes, die in so ziemlich allen Teenager-High-School-Serien, -filmen etc. auch zu finden sind, und dass, ohne diese Erzählschemata tatsächlich in einer neuen Form zu verwenden.
Sicher ist dieses Formelhafte in Hinblick auf die Handlung und die Botschaft ein Stück weit so gewollt, aber etwas weniger Vorhersehbarkeit und etwas mehr Überraschung hätten der Lektüre sehr gut getan. Meine Tochter war jedenfalls nicht besonders interessiert - es ist halt eine Geschichte im Schul- und Familienalltag, in der recht wenig aufregende Sachen passieren, vor allem wenn man eigentlich lieber spannungsreichere Genres liest.
Ich als Mutter hoffe allerdings, dass einige der Denkanstöße und Entscheidungsmomente doch irgendwo im Hinterkopf hängen geblieben sind. Die Bekräftigung, dass man gut so ist, genauso wie man ist, kann ja jedem, aber besonders Jugendlichen, nur guttun.

Eine schöne, wenn auch nicht sehr aufregende, Geschichte mit wichtigen Botschaften und berührenden Szenen übers Aufwachsen und Sich-Selbst-Finden.

Bewertung vom 13.08.2023
Das Pferd im Brunnen
Tscheplanowa, Valery

Das Pferd im Brunnen


ausgezeichnet

Mosaik aus vier Frauenleben

Valery Tscheplanowas Roman folgt einer ganz eigenen Erzählweise, als Lesende*r erlebt man sehr bildlich beschriebene, unmittelbar spürbare Vignetten, die einzelne Szenen komplett ausleuchten, während andere Momente dazwischen im Dunkeln bleiben.
Die Momentaufnahmen aus den Leben der vier Generationen von Frauen, in denen Männer kaum eine erwähnenswerte Rolle spielen, allesamt faszinierende Persönlichkeiten, setzen sich nach und nach zu einem Mosaik einer Familie zusammen, sind einander über die Zeit hinweg Spiegelbild, Echo und Erklärung, Ursache und Wirkung.
Die Beziehungen von Müttern und Töchtern, Großmüttern und Enkelinnen, geprägt vom Leben in Sowjetrussland und vom Leben als Frauen in einer Männerwelt, welches sie als Kampf erleben, wodurch sie folgerichtig Kämpferinnen sein müssen, sind bestimmt durch Eigenständigkeit und Eigensinn.
Gerade die Großmutter Nina, die starke, hartschalige Matriarchin, folgt der Einstellung, dass das getan wird, was getan werden muss, was die oder der Einzelne möchte, spielt dabei keine Rolle. So zeigt sie auch wenig Mütterlichkeit, sie versorgt Bedürfnisse, doch für Wärme oder Zuneigung bleibt kaum Raum oder auch emotionale Kapazität. Wie sich das auf die weitergegebenen, vererbten Werte und Emotionen der Familie auswirkt, ist faszinierend aus den Verbindungen zwischen den Generationen herauszulesen.

"Das Pferd im Brunnen" ist ein sehr empfehlenswerter autobiographischer Debütroman, der neben der feinsinnigen Beobachtung seiner Figuren auch durch eine sehr bildhafte, poetische Sprache beeindruckt.

Bewertung vom 13.08.2023
Blue Skies (deutschsprachige Ausgabe)
Boyle, T. C.

Blue Skies (deutschsprachige Ausgabe)


sehr gut

Wenn die Natur zurückschlägt

Eine zusammenhängende Meinung zu diesem Buch zu fassen ist mir sehr schwer gefallen, da es sich für mich ziemlich deutlich in zwei parallele Ebenen aufgeteilt hat.
Die Beschreibung der erschreckend nahen, bedrohlich realistischen Welt, in der Natur und Klima zurückschlagen, fand ich sehr spannend, und in ihrer Wirkung auf die Menschen in den verschiedendsten Situationen sehr eindringlich und verstörend beschrieben. Die Atmosphäre, in der Hitze, Trockenheit, Feuer und Wasser zu eigenen Charakteren werden, ist wirklich stark und beeindruckend.
Die Handlung, die den menschlichen Figuren folgt, ist für mich demgegenüber ziemlich abgefallen. Die Handlung an sich war durchaus spannend, aber ich konnte mich einfach mit keiner der Figuren identifizieren, da sie entweder einfach recht blass oder aber aktiv unsympathisch waren. Dadurch hat mir das emotionale Interesse an ihren Erlebnissen gefehlt.
Vielleicht ist aber auch genau das Ziel dieses Buches - dass sich Lesende auf Seiten der Natur, des Planeten wiederfinden, der die Menschen am besten loswerden sollte.

Bewertung vom 12.08.2023
Dunkel der Himmel, goldhell die Melodie / Die Dresden Reihe Bd.1
Stern, Anne

Dunkel der Himmel, goldhell die Melodie / Die Dresden Reihe Bd.1


gut

Stimmungsvolles Bühnenbild, aber leider eher enttäuschende Handlung

Die Leben der Menschen, die in der Dresdener Semperoper zusammentreffen, auf und hinter der Bühne, im Publikum, im Glanz der Lichter und im Dunkel der Gassen - das klang nach einer sehr stimmungsvollen, spannenden Geschichte für mich!
Die Erzählweise, die historische Stadtviertel und ihre Menschen zum Leben erweckt, kennt man von Anne Stern bereits, und so liest sich auch dieser Roman wieder sehr stimmungsvoll.
Leider war mir die Geschichte insgesamt etwas belanglos. Es wurden zwar viele interessante Figuren mit individuellen Wünschen, Zielen und Schwierigkeiten vorgestellt, auch die sozialen und politischen Konflikte, die sich aus einer Ständegesellschaft ergeben, wurden aufgebaut, sowie die Rolle von Frauen und Mädchen, die sich in den Konventionen einer männlich dominierten Welt bewegen müssen. Nachdem dies alles, inklusive der Liebesgeschichte, zwar etwas vorhersehbar war, aber doch eine gute Ausgangssituation für eine spannende Geschichte, ist allerdings dann nicht wirklich viel passiert. Die Handlung insgesamt wirkt etwas unfertig, etwas unvollständig, als würde noch ein weiterer Teil folgen?
Vielversprechender Beginn, sozusagen ein starkes Bühnenbild, aber die Aufführung war letztendlich eher unbefriedigend und daher etwas enttäuschend.

Bewertung vom 12.08.2023
Perlenbach
Caspari, Anna-Maria

Perlenbach


gut

Rückkehr in die Eifel

"Perlenbach" erzählt die Geschichte des Eifeldorfes Wollseifen, das wir schon in "Ginsterhöhe" kennengelernt haben, weiter. Dieser Roman lässt sich allerdings auch ohne Kenntnis des ersten problemlos als eigenständiges Buch lesen, denn:
Diesmal steht die Generation vor Albert Lintermann im Mittelpunkt, sein Vater Wilhelm sowie dessen Kindheitsfreunde Luise und Jacob.
Das Buchcover finde ich optisch sehr schön und passend zur Reihe, allerdings ist das Kinderbild etwas verwirrend gewählt, da im Nachhinein kein Bezug zur Geschichte zu finden ist.

Anna-Maria Casparis unaufgeregter Erzählstil, der mir schon im ersten Buch sehr gefallen hat, war auch hier wieder sehr angenehm zu lesen. Auch die Atmosphäre vom Ende des 19. Jahrhunderts und die historischen Begebenheiten waren sehr stimmig als Hintergrund der Handlung.
Es war sehr schön, noch einmal jüngeren Versionen der Wollseifener zu begegnen, und einige Hintergründe und Entwicklungen zu erfahren, die zu den Ereignissen in "Ginsterhöhe" geführt haben.

Leider muss ich im Vergleich zum ersten Band deutliche Abstriche in der Bewertung machen. Zum einen hat mir die Art, das historische Weltgeschehen und Abläufe mittels Tagebucheinträgen einzuordnen, die mir bei "Ginsterhöhe" schon teilweise sehr künstlich vorkam und aus der Handlung herausfiel, hier noch weniger gefallen, da für mich viele Einträge einfach sehr unnatürlich für ein privates Tagebuch klingen.

Zum anderen, und das ist der größere Aspekt, hatte ich große Schwierigkeiten mit der Figur des Jacob. Sicher hat man es als [Spoiler!] homosexueller, recht feminin auftretender Mann mit einer Behinderung Ende des 19. Jahrhunderts sehr schwer. Das Leben einer jungen Frau, die überall auf Hürden trifft, die ihrem Ziel, Ärztin zu werden, im Weg stehen und die für jeden Schritt kämpfen muss, oder das Leben eines Bauernsohnes aus einer kinderreichen, ärmlichen Familie, ist jedoch auch nicht gerade leicht gewesen, so wie die Leben noch vieler anderer.
Dass Jacob, dem als Fabrikerbe immerhin viele Türen offen stehen (regelmäßige Reisen nach Paris, um seine "Neigungen" dort frei auszuleben, zum Beispiel), die andere junge Männer in seiner Situation nicht gehabt hätten, konstant unglaublich selbstmitleidig und egozentrisch auftritt und es selbstverständlich und kaum erwähnenswert findet, dass alle sich aufopferungsvoll um ihn kümmern, hat ihn für mich sehr unsympathisch gemacht.
Auch von der Geschichte selbst wurde sein Verhalten und das Mitleid der anderen Figuren ihm gegenüber als völlig normal dargestellt, nicht etwa als potentieller Konflikt. Die Textstellen, in denen es um ihn ging, haben mich daher häufig sehr geärgert, was schade ist, da ich die Geschichte der anderen beiden Charaktere, Wilhelm und vor allem Luise, sehr gerne verfolgt habe.

Insgesamt ein gut erzähltes Stück Zeitgeschichte und eine berührende Beobachtung, wie sich Freundschaften im Erwachsenwerden verändern, wie sich Leben auseinanderentwickeln und Träume und Pläne sich ändern müssen, leider für mich sehr durch eine persönliche Antipathie getrübt.

Bewertung vom 06.08.2023
October, October
Balen, Katya

October, October


ausgezeichnet

Wild, wunderschön und magisch

October ist eine ganz wunderbare Protagonistin, und ihre verzaubert wirkende, wild und frei beschriebene Lebenswelt mit ihrem Vater im Wald, die aus der gegenwärtigen Zeit gefallen scheint, ist genau der Ort, an dem sie mit sich im Einklang lebt.
Wie sie es schafft, auch im Großstadtalltag, von dem sie erst völlig überwältigt ist, das Magische zu finden, Freundschaften und Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen und sich auf neue Freuden einzulassen, ist von Katya Balen unglaublich einfühlsam und berührend geschrieben.

Der Schreibstil, in dem Besonderheiten in Satzbau und Zeichensetzung auffallen, spiegelt, wie die Autorin in der Anmerkung am Ende erklärt, Octobers Art die Welt zu sehen und zu denken wieder. Ich fand dieses Stilmittel sehr gelungen, um die besondere Wahrnehmung von neurodivergenten Menschen darzustellen. Interessanterweise mochte gerade mein eigenes neurodivergentes Kind diese Schreibweise nicht besonders, sie ist allerdings auch eher diejenige, die großen Wert auf komplette sprachliche Korrektheit legt. Insgesamt denke ich allerdings schon, dass junge Menschen im Lesealter wie hier ab 11 Jahren durchaus auch besonderere Texte und literarische Mittel gut lesen bzw. mit ihnen in Berührung kommen können.

"October, October" ist eine alterslose, zauberhafte Erinnerung daran, dass wir Glück und ein Zuhause an verschiedenen Orten finden können, wenn wir es zulassen, und dass man sich ein bisschen Wildheit und Freiheit überall behalten kann, auch wenn es vielleicht schwerfällt.

"Wild und frei sein bedeutet für alle etwas anderes, ob man zurückgezogen im Wald lebt oder durch die Straßen der Stadt wirbelt. Nicht alles hat ein perfektes Ende, das weiß ich, und ich weiß auch, dass es für manche Dinge einen perfekten Ort gibt und für andere nicht, dass all das sich aber auch ändern kann."