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SimoneF

Bewertungen

Insgesamt 401 Bewertungen
Bewertung vom 31.10.2024
Was ist ein Mensch?
Göhlich, Susanne

Was ist ein Mensch?


ausgezeichnet

„Was ist ein Mensch?“ fragt sich der kleine Goldhamster Poldi, der bei Maya lebt. Den Menschen, seinen Körper und seine Eigenheiten aus Sicht eines Tieres zu betrachten, fand ich eine sehr erfrischende Perspektive, aus der umfangreiches Wissen unterhaltsam und auch mit einer Prise Humor vermitteln werden kann.

Das recht großformatige Buch ist grafisch sehr ansprechend gestaltet, die Farben sind kräftig, ohne knallig zu sein, und die einfallsreichen Illustrationen ergänzen den Text wunderbar. Allerdings wirken manche Seiten aufgrund der Fülle an Informationen und Bildern etwas unruhig und überladen.

Das Buch vermittelt für die angestrebte Zielgruppe ab 6 Jahren erstaunlich viel Wissen und verwendet Fachbegriffe wie Spiegelneuronen, Hippocampus, Liquor und Amygdala, die auch in einem Glossar am Ende des Buches erklärt werden. Die Erläuterungen gehen deutlich tiefer als vergleichbare Bücher von Ravensburger und Co, und für sehr wissbegierige Kinder mit Durchhaltevermögen ist dies ein ganz hervorragendes Buch, mit dem man sich lange und ausführlich beschäftigen kann. Dennoch würde ich die Altersempfehlung eher auf ca. 8-12 Jahre ansetzen. Ich habe das Buch zusammen mit meinem 10-jährigen Sohn gelesen und auch als Erwachsene noch das ein oder andere gelernt. Für jüngere Kinder würde ich auf alle Fälle dazu raten, das Buch gemeinsam mit dem Kind zu entdecken, da es zum Selbstlesen doch recht ambitioniert ist.

Insgesamt bin ich wirklich begeistert, wie viel Mühe sich die Autorin Susanne Göhlich gegeben hat, komplexe Sachverhalte kindgerecht aufzubereiten und die Neugier auf Biologie und Medizin zu wecken. Sie traut den jungen Leser/innen viel zu, und das finde ich lobenswert, denn gerade im Grundschulalter sind der Wissensdurst und das Interesse an spannenden Begriffen bei vielen Kindern sehr hoch.

Bewertung vom 28.10.2024
Das Geheimnis der Weihnachtstage
Kitchin, C.H.B.

Das Geheimnis der Weihnachtstage


ausgezeichnet

Der junge Londoner Börsenmakler Malcom Warren ist über die Weihnachtsfeiertage in Beresford Lodge im Hampstead bei Mr Quisberg, einem betuchten Kunden, eingeladen. Neben dessen Frau und deren Kindern aus ihren beiden vorangegangenen Ehen finden sich noch drei weitere Gäste ein. Als Warren nach einem geselligen Abend am ersten Weihnachtstag erwacht, findet er eine Leiche auf seinem Balkon, und die weihnachtliche Stimmung der Gesellschaft ist passé…

Ich habe ein Faible für Krimis, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Großbritannien spielen und liebe Agatha Christie und Dorothy L. Sayers. „Das Geheimnis der Weihnachtstage“ hat mich gleich von Beginn an in die Atmosphäre der gehobenen englischen Gesellschaft entführt. Malcom Warren ist ein feinfühliger, aufmerksamer Beobachter, eher zurückhaltend und für einen Mann dieser Zeit recht zartbesaitet und emotional. Der Kriminalfall entwickelt sich spannend und ist geschickt konstruiert. Auch wenn ich in manchen Punkten früh die richtige Ahnung hatte, tappte ich lange Zeit bezüglich des Gesamtbildes im Dunkeln und hatte großen Spaß daran, bis zum Schluss mitzurätseln. Besonders gut gefiel mir, dass in diesem Roman auch die Polizei bzw. Scotland Yard nicht auf den Kopf gefallen ist.

Kitchin hat mit Malcom Warren als Protagonisten insgesamt vier Kriminalromane geschrieben, und „Das Geheimnis der Weihnachtstage“ (in der Reihe ist das Band 2) macht Lust auf mehr. Ich hoffe, dass auch die anderen drei bald auf Deutsch erscheinen werden.

Bewertung vom 28.10.2024
Zauberei und Eulenschrei / Petronella Apfelmus Bd.12
Städing, Sabine

Zauberei und Eulenschrei / Petronella Apfelmus Bd.12


ausgezeichnet

Mein Sohn (10) ist ein riesengroßer Petronella-Fan, und so war klar, dass wir natürlich auch den neuesten Band unbedingt lesen möchten.

Petronella steckt über beide Hexenohren in Arbeit: In ihrer neuen Arzt-Praxis muss sie sich neben den üblichen Wehwehchen um die grassierende Glühnasenkrankheit kümmern, ein befreundeter Zauberer bittet sie, für ein paar Tage auf seinen Lehrling Mumpitz aufzupassen, und auch Lea und Luis brauchen Petronellas Hilfe. Zu allem Überfluss ist bei Mumpitz der Name Programm: Der Zauberlehrling hat nur Unsinn im Sinn und stiftet jede Menge Chaos.

Wir konnten von Anfang an in die Geschichte eintauchen und haben uns über das Wiedersehen mit liebgewonnenen Bekannten gefreut: Petronella und Lucius, die Apfelmännchen um Gurkenhut und natürlich die Kuchenbrand-Zwillinge. Auch Hexobine Höckerbein steckt ihre Nase wieder mit Vorliebe in Petronellas Angelegenheiten.

Ganz nebenbei vermittelt die Geschichte auch wichtige Botschaften und ermutigt dazu, Vorurteile abzubauen und andere nicht nach dem ersten Eindruck zu beurteilen. Außerdem zeigt sie, dass man Fehltritte durch gute Taten und Einsicht auch wieder ausbügeln kann.

Wie immer bietet auch Band 12 eine wunderbare Mischung aus Humor, Spannung und heimeliger Atmosphäre, die sich sowohl zum Vorlesen für die jüngeren Kinder oder zum ersten Selberlesen in der Grundschule eignet. Und auch ältere Kinder wie mein Sohn finden noch Gefallen daran. Auch ich habe als Erwachsene immer viel Freude daran, Petronellas Abenteuer gemeinsam mit ihm zu entdecken. Sehr schön gelungen sind auch wieder die schwarz-weißen Zeichnungen im Buch, die gerade bei den Kleinen für willkommene Auflockerung sorgen.

Wir können Band 12 rundum empfehlen!

Bewertung vom 28.10.2024
Die Vegetarierin
Kang, Han

Die Vegetarierin


gut

Yong-Hye führt in Seoul mit ihrem Mann eine durchschnittliche, leidenschafts- und ereignislose Ehe. Er arbeitet meist bis Mitternacht, sie kümmert sich um den Haushalt und hat einen Teilzeit-Job. Eines Tages beschließt sie, Vegetarierin zu werden. Dies erschüttert das Eheleben der beiden und wirkt sich auch auf weitere Familienangehörige aus…

Der Roman besteht aus drei Teilen, die jeweils aus der Sicht eines anderen Familienmitglieds erzählt werden. Der erste Teil nimmt die Perspektive von Yong-Hyes Mann ein, immer wieder unterbrochen durch kursiv gesetzte Einschübe von Yong-Hyes Träumen. Der zweite Teil wird aus der Sicht von Yong-Hyes Schwager geschildert, der dritte aus der Perspektive ihrer Schwester In-Hye.

Sehr interessant war für mich der Einblick in die südkoreanische Kultur. Yong-Hyes Familie ist streng patriarchalisch geprägt, als Frau hat man dem Ehemann zu gehorchen, ihn zu umsorgen und ihm ein angenehmes Heim und nahrhafte Mahlzeiten zu bereiten. Auch als Erwachsene schuldet man dem Vater Gehorsam. Der soziale Druck ist enorm, und wer aus der Reihe tanzt, wird geächtet, weil er Schande über die Familie gebracht hat. In diesem Sinne ist auch eine für uns im Westen so individuelle wie banale Entscheidung, vegetarisch (bzw. in Yong-Hyes Fall sogar vegan) zu leben, ein Affront gegen die Familie, ebenso wie der Entschluss, auf das Tragen eines BHs zu verzichten oder sich nicht zu schminken. Diese Stellen haben mich zum Teil emotional sehr bewegt und auch fassungslos gemacht, ist es für mich doch selbstverständlich, meine Entscheidungen selbstbestimmt zu treffen und hier klare Grenzen gegen Einmischungen Dritter zu ziehen.

Dem gesamten Buch haftet eine düstere, hoffnungslose Grundstimmung an, die Menschen sind einsam, melancholisch, desillusioniert, depressiv. Beziehungen werden aus eher rationalen Gründen denn aus tiefer Liebe geschlossen, man lebt nebeneinander her ohne wirkliches Interesse an den Gefühlen des Anderen, und eine gewisse Todessehnsucht schwingt mit.

Ich hatte zunächst erwartet, eine Erklärung für Yong-Hyes plötzlichen Sinneswandel hin zum Verzicht auf tierische Produkte zu erhalten. Diese folgte jedoch nicht, zumindest nicht in einem rationalen Sinne. Vielmehr durchzieht sämtliche Kapitel eine gewisse Sehnsucht nach der Verschmelzung von Mensch und Pflanzenwelt bzw. der Metamorphose vom Menschen hin zur Pflanze. Diese grotesk anmutende, irrationale und kafkaesk wirkende Komponente war für mich schwer fassbar.

Fazit: Insgesamt fällt es mir schwer, den Roman zu bewerten. Der Schreibstil hat mich durchaus gepackt, und die Einblicke in die koreanische Gesellschaft waren sehr interessant. Allerdings konnte ich mit der Sehnsucht nach der Verwandlung vom Menschen zum Baum nichts anfangen bzw. mir wurde nicht klar, was mir Han Kang damit sagen möchte.

Ich vergebe daher 3,5 Sterne.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.10.2024
Die Lungenschwimmprobe
Renberg, Tore

Die Lungenschwimmprobe


sehr gut

Normalerweise gehören historische Romane nicht zu meinen bevorzugten Genres, aber die Lungenschwimmprobe hat mich sofort angesprochen, da ich mich sehr für Medizin interessiere. Auch das Cover erweckt den Eindruck eines stark medizinhistorischen Schwerpunktes.

Diese Erwartung hat sich nur teilweise erfüllt. Der Roman geht sehr ausführlich auf die Biographien der einzelnen Protagonisten ein und auch auf das historische Rechtssystem. Die medizinischen Aspekte kommen mir hier ein bisschen zu kurz, ebenso wie die des Kindsmordes angeklagte Anna, auf die Renberg erstaunlicherweise relativ wenig eingeht.

Der Schreibstil war zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, da er sich an der damaligen Zeit orientiert, doch nach den ersten Kapiteln hatte ich mich gut eingelesen. Tore Renberg wechselt im Buch immer wieder die Perspektive und auch die Zeitebene, geht hierbei auch auf Details seiner Recherche ein. Diese Informationen hätte ich nicht unbedingt im Roman selbst gebraucht, sondern lieber kompakt in einem Nachwort gelesen.

Das Buch hat mitunter durchaus seine Längen, und der Schreibstil ist recht ausschweifend, so dass ich mir manches Mal gewünscht habe, der Autor hätte einige Stellen deutlich gestrafft. Es gab jedoch auch viele Kapitel, die mich richtig gefesselt haben, so dass ich nur so durch die Seiten geflogen bin.

Unverständlich ist mir jedoch, warum am Ende des Buches lediglich ein QR-Code angegeben ist, mit dem man u.a. zusätzliche Informationen über die historischen Figuren und Karten herunterladen kann. Diese wären mir als Anhang im gedruckten Buch lieber gewesen, da ein solcher das Buch komplettiert hätte. Angesichts des Buchumfangs wäre es hierauf auch nicht mehr angekommen.

Bezüglich der Bewertung bin ich etwas zwiegespalten. Was den inhaltlichem Schwerpunkt und Renbergs Erzählstil angeht, schwanke ich zwischen 3 und 4 Sternen. Da Renberg sehr ausdauernd und akribisch recherchiert hat und ich ihm hierfür Respekt zolle, vergebe ich letztlich 4 Sterne.

Bewertung vom 22.10.2024
Kaltblütig
Capote, Truman

Kaltblütig


ausgezeichnet

1959 schockiert der Mord an der vierköpfigen Familie Clotter in Holocomb die USA. Truman Capote widmete sich in "Kaltblütig" den Hintergründen dieses Verbrechens und schuf mit seinem Tatsachenroman ein neues Literaturgenre.
Das Buch besteht aus vier Teilen. Im ersten schildert Capote das Leben der Familie Clotter, im zweiten erfährt man Näheres über die beiden Täter, ihre Kindheit und Jugend, sowie über die Zeit zwischen dem Mord und ihrer Verhaftung. Der dritte Teil widmet sich dem Tathergang, der Polizeiarbeit und Täterermittlung sowie der Verhaftung der Täter. Der vierte Teil beinhaltet den Prozess und die spätere Hinrichtung und geht auf Besonderheiten des amerikanischen Justizsystems ein.

Capote hat akribisch recherchiert, Vernehmungsprotokolle und Akten studiert, und sich eingehend mit den Hintergründen auseinandergesetzt. Er hatte zudem die Gelegenheit, die Täter im Gefängnis zu besuchen und diese ausführlich zu interviewen.

Der Schreibstil von „Kaltblütig“ ist nüchtern, sachlich-neutral; Capote betrachtet alles aus der Distanz, er wertet nicht. Als Leserin war ich dennoch emotional sehr ergriffen. Ich habe mitgefühlt mit der Familie Clotter, die so sinnlos aus dem Leben gerissen wurde, mit ihren Verwandten und Freunden, den Bewohnern von Holocomb, die nach der Tat in großer Angst lebten, bis die Täter nach Monaten gefasst waren. Auch war ich hin- und hergerissen in meinen Gefühlen bezüglich der Täter. Die teils schwierigen Lebensumstände, in denen sie aufgewachsen waren, ließen mich in zweiten Teil immer wieder etwas Mitgefühl für sie empfinden. Dem gegenüber stehen die unfassbare Brutalität und emotionale Kälte, mit der sie eine unschuldige Familie auslöschten.

Im Vergleich zu vielen effekthascherischen True-Crime-Büchern der heutigen Zeit, die auch einen gewissen Voyeurismus bedienen, empfand ich Capotes ausgewogenen, sachlichen Stil als sehr angenehm. Man spürt, dass er Wert darauf legt, allen Beteiligten gerecht zu werden und eine Stimme zu geben. Er hat einen wegweisenden Tatsachenroman geschaffen, der auch nach über 50 Jahren nichts von seiner Faszination eingebüßt hat.

Bewertung vom 22.10.2024
Frisch ermittelt: Der Fall Hartnagel / Heißmangel-Krimi Bd.3
Franke, Christiane;Kuhnert, Cornelia

Frisch ermittelt: Der Fall Hartnagel / Heißmangel-Krimi Bd.3


ausgezeichnet

Mit „Frisch ermittelt: Der Fall Hartnagel“ folgt der dritte Band der Krimireihe um Martha Frisch, die im ostfriesischen Leer der 1950er Jahre eine Heißmangelstube betreibt. Ich habe bereits die beiden Vorgängerbände gelesen und freue mich jedes Mal, die „alten Bekannten“ wiederzutreffen.

Dr. Hartnagel war ärztlicher Leiter des örtlichen Kinderheimes, in dem kleine Kinder für Erholungskuren untergebracht waren. Eines Tages wird er tot im Park der Einrichtung aufgefunden. Marthas Neffe Hans ist als Wachtmeister wieder in die Ermittlungen eingebunden, Martha hält in ihrem Salon Augen und Ohren offen, und auch ihre Enkelin Annemieke hat eine Idee, wie sie zur Lösung des Falles beitragen kann…

Dem Autorinnenduo gelingt es, die Atmosphäre der frühen Bundesrepublik wieder aufleben zu lassen: Rock’n’Roll und Milchbars mit Jukebox, Ahoi-Brause und zelebrierte Fernsehabende mit Häppchen – alles Dinge, die ich nur aus den Erzählungen meiner Mutter kenne. Aber auch ernste Themen werden nicht ausgespart, und so wird auch der Mief, der noch in der Gesellschaft steckte, sichtbar: Die Verschickungskinder in den Kinderheimen standen unter dem strengen Regiment der Ärzte und Schwestern. In vielen Köpfen herrschte noch das alte Gedankengut, Seilschaften aus der Nazi-Zeit existierten noch immer, für den Erhalt des Persilscheins wurde geklüngelt. Und auch wenn mit dem Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes 1958 ein erster wichtiger Schritt getan war, ist diese noch lange nicht in allen Köpfen angekommen, und die Frauen mussten sich weiterhin ihre Rechte erkämpfen.

Mich hat der Krimi so gefesselt, dass ich ihn in einem Rutsch binnen eines Tages komplett gelesen habe. Ich konnte ganz in die 50er Jahre abtauchen und habe bis zum Schluss mitgerätselt. Sehr gut gefällt mir auch, dass sich durch alle Bände ein kleiner horizontaler Erzählstrang rund um Martha und die Menschen aus ihrer Umgebung zieht. Dennoch kann man auch als Neueinsteiger/in mit Band 3 starten; hilfreich ist dann sicherlich das Personenverzeichnis ganz am Ende des Buches.

Ich freue mich jetzt schon auf ein Wiedersehen in Band 4!

Bewertung vom 22.10.2024
Die Winterschwestern
Bertrand, Jolan C.

Die Winterschwestern


gut

Das wunderschön gestaltete Cover versprach eine nordisch-märchenhafte Wintergeschichte, die uns in der Zeit der Wikinger entführt. Auch die Gestaltung des Buchinneren ist sehr ansprechend, die stilistisch außergewöhnlichen Illustrationen sind durchgehend farbig, und eine Landkarte zu Beginn hilft bei der Orientierung.

Mein Sohn (10) und ich haben das Buch gemeinsam gelesen. Der Prolog um die beiden Winterschwestern beginnt märchenhaft und macht neugierig auf mehr. Danach beginnt die Geschichte um den zehnjährigen Wikingerjungen Alfred, der gerne Streiche spielt und in Gott Loki einen Bruder im Geiste hat. Als in Alfreds Dorf immer mehr Dinge verschwinden und die Bewohner die Trolle als Diebe in Verdacht haben, macht sich Ragnar, Alfreds Onkel (und eine Trans-Person), auf den Weg, um die Trolle zu finden und ihre Raubzüge zu beenden. Alfred folgt ihm heimlich nach…

Ab hier wird der Plot zunehmend mystisch, und die Erzählung ist insbesondere für die jungen Leser/innen teilweise recht verworren. So ist es in Kapitel 4 schwer zu unterscheiden, ob Alfred eine Vision hat, träumt oder Teile wirklich erlebt. Die Handlung wird in den folgenden Kapitel sehr fantastisch, Menschen verwandeln sich in Tiere, Himmelskörper werden von Tieren verschlungen usw. Mein Sohn verlor ab diesem Zeitpunkt die Lust und wollte nicht mehr weiterlesen, und ich kann ihn verstehen. Wir schätzen Bücher mit magischen und phantasievollen Elementen, aber die Handlung selbst muss für uns logisch nachvollziehbar und einigermaßen glaubhaft sein. Das war hier leider nicht der Fall. Auch die Geschichte an sich wirkte eher oberflächlich und zuweilen holprig, ein echter Lesefluss, der uns ein vollständiges Eintauchen ermöglichte, kam nicht zustande. Sprachlich ist das Buch eher einfach gehalten und die Charaktere haben wenig Tiefe.

Fazit: Wer sehr gerne in mystische Winterwelten abtaucht, ein Faible für Übersinnliches hat und gerne die Grenzen der Logik überschreitet, wird sicherlich Gefallen an diesem Buch finden. Wir gehören leider nicht dazu.

Bewertung vom 18.10.2024
Wohnverwandtschaften
Bogdan, Isabel

Wohnverwandtschaften


sehr gut

Die Zahnärztin Constanze trennt sich von ihrem Freund und zieht aufgrund des schwierigen Hamburger Wohnungsmarktes in eine WG mit Murat, Jörg und Anke. Erst mal, vorübergehend. Denn eigentlich möchte sie eine klassische Zweierbeziehung, keine Erwachsenen-WG.

Isabel Bogdans Schreibstil ist ungewöhnlich. Jedes Kapitel wird aus der Perspektive eines WG-Mitglieds erzählt, folgt in dessen Sprachduktus seinem Gedankenstrom, seinen Gefühlen und Erinnerungen. Hierdurch erfährt man als Leser sukzessive mehr über das Leben der Person, erhält kleine Einblicke in seine Vergangenheit, während gleichzeitig vieles im Ungewissen bleibt. Im Gegensatz hierzu sind immer wieder einzelne Kapitel in Dialogform geschrieben und geben Gespräche der WG-Bewohner aus ihrem Alltag wieder.

Ich muss gestehen, dass ich anhand der Kurzbeschreibung nicht erwartet hatte, dass das Buch das Thema „Demenz“ als Schwerpunkt hat, und immer wieder habe ich mich gefragt, ob die Kapitel aus Sicht des demenzkranken Protagonisten tatsächlich der Realität entsprechen könnten. Was geht im Kopf Demenzkranker vor? Merken sie in lichten Momenten, dass ihr Gedächtnis schwindet, wie es das Buch suggeriert? Die Frage ist wohl schwer zu beantworten.
Es ist schön zu lesen, wie harmonisch und fürsorglich sich alle um den Erkrankten kümmern, doch habe ich leise Zweifel, dass dies im realen Leben auch so wäre. Ich nehme an, dass die WG viel eher auseinanderbrechen und jeder seiner Wege gehen würde.

Auch wenn sich das Buch in eine für mich unerwartete Richtung entwickelte, hat es auf mich einen regelrechten Sog entwickelt. Ich habe es tatsächlich an einem halben Tag ausgelesen und war ganz erstaunt, als ich die letzte Seite erreicht hatte.

„Wohnverwandtschaften“ ist ein warmherziges, einfühlsames Buch über eine alternative Wohnform auch jenseits der Studentenjahre, die im besten Fall zu einem verantwortungs- und rücksichtsvollen Miteinander führt und vor Vereinsamung bewahren kann.

Bewertung vom 17.10.2024
Mami braucht 'nen Drink - erst recht an Weihnachten / Tagebuch einer gestressten Mutter Bd.5
Sims, Gill

Mami braucht 'nen Drink - erst recht an Weihnachten / Tagebuch einer gestressten Mutter Bd.5


sehr gut

Weihnachten - kein anderes Fest ist so sehr mit Erwartungen aufgeladen und bietet dementsprechend so viel Potential für Enttäuschungen. Auch Ellen hat jedes Jahr wieder ihre idealisierte Vision eines Weihnachtsfestes mit der Familie vor Augen – rotwangige Kinder, die mit freudestrahlenden Augen vor dem festlich geschmückten und hell erleuchteten Weihnachtsbaum stehen, glockenhell Weihnachtslieder singend, dazu ein opulentes, perfekt gelungenes Festmahl an der festlich gedeckten Tafel, während draußen der zarte Pulverschnee vom Himmel fällt und alles in ein märchenhaftes Weiß taucht. Doch Jahr für Jahr kommt alles anders, und dieses Jahr kommen nicht mal die inzwischen erwachsenen Kinder.

Gill Sims nimmt mit viel Sinn für Humor den alljährlichen Weihnachtsstress aufs Korn. Ellens skurrile Mischpoke, die die ganze Bandbreite abdeckt von der durchgeknallten Hippie-Schwägerin, die gerne spärlich bekleidet Naturgottheiten huldigt, bis zur hysterisch-perfektionistischen Schwester, sorgt zuverlässig für Chaos. Auf übersteigerte Erwartungen folgt die Ernüchterung, die alljährlich mit Baileys, Gin Tonic und Whiskey kompensiert wird. Die Figuren und Situationen sind hierbei stark überspitzt gezeichnet. An der einen oder anderen Stelle wäre mir ein etwas subtilerer Humor lieber gewesen, da sich die Übertreibungen mit der Zeit etwas abnutzen, aber das ist sicherlich Geschmackssache.

Der Roman bietet aber nicht nur leichte, kurzweilige Unterhaltung, sondern wartet auch mit ernsteren Untertönen auf. Vermutlich wird sich jede Leserin auf die ein oder andere Weise in Ellen wiederfinden und sich an Weihnachtsfeste erinnern, bei denen die hoffnungsvolle Vorfreude mit der harten Realität kollidierte und es statt weihnachtlicher Eintracht vor allem Streit, Tränen, ein misslungenes Essen und enttäuschte Beschenkte gab. Gill Sims zeigt, dass die idealisierte und romantisierte Vorstellung von Weihnachten ein Konstrukt der Konsumindustrie ist, das vor allem gegenüber Müttern einen hohen Druck aufbaut und unerfüllbare Erwartungen stellt, die letztlich nur enttäuscht werden können und schlimmstenfalls zu großen Selbstzweifeln führen. Dabei würde ein bisschen mehr Gelassenheit zu deutlich entspannteren und damit für alle harmonischeren Festtagen führen.

In diesem Sinne ist „Mami braucht ‘nen Drink – erst recht an Weihnachten“ eine wunderbare Lektüre zur Vorweihnachtszeit, die uns humorvoll daran erinnert, das Weihnachtsfest lockerer anzugehen und uns von äußeren Zwängen freizumachen. Dann stehen die Chancen für ein vielleicht etwas chaotisches, aber heiteres Weihnachtsfest im Kreise der Familie gut – und für alle Fälle gibt es Glühwein!