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Lesendes Federvieh
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München
Über mich: 
Hinter dem Namen Lesendes Federvieh verbirgt sich das Blogger-Duo kathiduck und Zwerghuhn. Wir lesen querbeet alles, was uns zwischen die Finger kommt und veröffentlichen die Rezensionen dazu auf unserem Blog (lesendes-federvieh.de). Dort gibt es übrigens noch viele weitere Beiträge rund ums Thema Buch. :)

Bewertungen

Insgesamt 539 Bewertungen
Bewertung vom 26.02.2020
Die Frau in der Themse
Price, Steven

Die Frau in der Themse


sehr gut

London, 1885: Die schöne, aber nicht minder gerissene Gaunerin Charlotte Reckitt ist die Schlüsselfigur im Leben zweier scheinbar gegensätzlicher Männer. William Pinkerton ist ein berühmt-berüchtigter Detektiv aus Amerika und skrupelloser Verbrecherjäger. Adam Foole hingegen ist ein charmanter Dandy-Dieb der alten Schule mit jeder Menge Witz und Raffinesse. Für den einen war sie die große Liebe, die ihn Jahre zuvor grausam verraten hat, für den anderen ist sie die letzte Spur einer lebenslangen Besessenheit. Mit dem Fund der Frau in der Themse beginnt eine fulminante Jagd nach der Wahrheit.

Das wohl Bemerkenswerte an diesem Roman ist die Tatsache, dass der Kriminalfall eigentlich auf knapp hundert, mit der ein oder anderen falschen Fährte vielleicht auf gut 200 Seiten hätte abgehandelt werden können. Tatsächlich handelt es sich bei „Die Frau in der Themse“ aber um einen 928 Seiten starken Wälzer, in welchem jener Fall der zerstückelten Frauenleiche eher eine marginale Rolle einnimmt. Vielmehr werden die Lebensgeschichten zweier vielschichtiger Männer in epischem Ausmaße zwischen Gegenwart und Vergangenheit im Stile eines Gesellschaftspanoramas geschildert.

Die Charaktere sind vielfältig wie die Schauplätze selbst. Dank zahlreicher Rückblenden in die Vergangenheit der beiden männlichen Protagonisten Foole und Pinkerton sowie deren lebensechter Illustrierung findet man sich im Licht der Gaslaternen des lebensprallen viktorianischen Londons genauso wider wie im exotischen Südafrika der Glücksritter oder zwischen den Fronten des Amerikanischen Bürgerkrieges.

Adam Foole ist ein charismatischer Gentleman-Dieb, der mit seinen spektakulären Coups für Aufsehen sorgt und einem trotz seiner offenkundig zwielichtigen Geschäftszweige innerhalb kürzester Zeit ans Herz wächst. Dazu tragen auch seine beiden ständigen Begleiter, sein junges, pfiffiges Mündel Molly und sein treuer Freund, der brummige Riese Japheth bei.

Dahingegen erweckte der skrupellose, einzelgängerische Erbe der berühmten amerikanischen Pinkerton-Detektei William Pinkerton von Beginn an einen arroganten und zunehmend an wahnhafte Besessenheit grenzenden Eindruck, der sich im Laufe der Geschichte noch verschlimmern sollte. Mehr als einmal ertappte ich mich dabei, wie ich insgeheim dem Verbrechertrio die Daumen drückte. Denn je mehr Zeit man mit Pinkerton und Foole verbringt, je mehr man in ihren Strudel aus Schuld und Vergeltung hineingezogen wird, desto undurchsichtiger und verschieblicher werden die persönlichen Grenzen zwischen richtig und falsch.

Basierend auf zwei Legenden hat Steven Price mit schriftstellerischer Raffinesse einen historischen Spannungsroman rund um einen gewöhnlichen Mord geschaffen, der mit der authentischen Schilderung des Lebensgefühls und der nahezu hautnah spürbaren Atmosphäre des viktorianischen Londons kurz vor den spektakulären Whitechapel-Morden von Jack the Ripper sowie den facettenreichen Charakteren unterhält.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.02.2020
Nix passiert
Weßling, Kathrin

Nix passiert


sehr gut

Alex ist vor Jahren aus der Kleinstadt nach Berlin gezogen. Als ihn seine Freundin Jenny verlässt fällt er in ein tiefes Loch. Er braucht dringend Abstand. So beschließt er eine Ruhepause bei seinen Eltern in der Provinz einzulegen. Doch dort ist auch nicht alles Sonnenschein, seine Familie ist keine allzu große Hilfe, ebenso seine alten Freunde und bald schon holt ihn die Vergangenheit ein.

Von Kathrin Wessling hatte ich bisher noch nichts gelesen. Doch der Klappentext von "Nix passiert" und das unkonventionelle Cover haben mich angesprochen. Welch ein Glück, denn die Geschichte von Alex hat mich tief berührt und zum Nachdenken gebracht.

Nachdem ihn seine Freundin verlassen hat, kommt er aus seinem Selbstmitleid nicht mehr heraus, und doch ist das erst der Anfang für ihn, um sich generell über sich selbst klar zu werden. Nach und nach stellt sich heraus, dass er seit seiner Jugend an Angst- und Panikattacken leidet. Dieses komplexe Thema schildert die Autorin einfühlsam und ehrlich. Ebenso sein Verhalten nach der Trennung von Jenny. Auch hier kommt man Alex nahe, schonungslos erzählt Kathrin Wessling wie er sich gehen lässt und irgendwie auf keinen grünen Zweig kommt. Sie tut dies mit einer modernen, kraftvollen und direkten Sprache, die die Geschichte absolut lebendig werden lässt. Ich hatte beim Lesen immer das Gefühl, Alex zu kennen und in seinem Kaff dabei zu sein. Solch eine Atmosphäre und Dichte herzustellen, muss man erst einmal schaffen. Das finde ich großartig.

Mir hat dieses Buch sehr gut gefallen, weil man sich darauf einlassen darf und muss. Es ist kein leichtes Süppchen, sondern eine gehaltvolle Portion Literatur, die auch nach der letzten Seite für mich noch viele Denkanregungen bereithält.

Fazit: Sprachgewaltig, direkt und nachhallend

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.02.2020
Ach, Virginia
Kumpfmüller, Michael

Ach, Virginia


ausgezeichnet

Die berühmte Autorin Virginia Woolfe lernte in ihrem Leben nicht nur Erfolg und Ruhm kennen, sie konnte sich auch den dunklen Seiten des Lebens nicht entziehen. Wie könnte sie ihre letzten Tage vor ihrem Tod verbracht haben? Genau damit beschäftigt sich diese Erzählung.

Michael Kumpfmüller ist ein beeindruckendes, leises und dennoch kraftvolles Porträt über die letzten zehn Tage im Leben von Virginia Woolf gelungen, das mich sehr berührt hat. Er tut dies mit einer wunderschönen Sprache, klar eindringlich und mitreißend zugleich. Genau so könnten sich ihre letzten Momente zugetragen haben. Nach einem kurzen Einblick in ihr Leben, nimmt der Autor den Leser mit zu Virginia, zu ihren Ängsten, ihren Vorstellungen und ihren inneren Konflikten und ihrer Zerrissenheit.

Demgegenüber steht ihre Familie, allen voran ihr Ehemann, die versucht sie zu verstehen und sie zu einer Therapie zu überreden. Diese Spirale zwischen der Todessehnsucht von Virginia und der Unvorstellbarkeit, dass sie es wirklich vollendet, sind so authentisch geschildert, dass für mich ihr Schritt durchaus begreifbar wurde. Aber auch die Hilflosigkeit ihres Ehemannes und das Verhalten der Ärztin, die sich immer wieder von ihr beruhigen und täuschen ließen, konnte ich nachvollziehen. Eine sehr gute Erzählung, die mich immer wieder zum Nachdenken innehalten ließ.

Fazit: Leises, exzellentes Porträt über Virginia Woolfes letzte zehn Tage

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.02.2020
Die Farbe von Glas
Lea, Caroline

Die Farbe von Glas


sehr gut

Island 1686. Nach dem Tod des Vaters müssen Rósa und ihre Mutter ums Überleben kämpfen. Eine Heirat mit dem reichen Händler Jón scheint der einzige Ausweg zu sein. Rósa begleitet ihn in sein Dorf, wo sie auf Ablehnung und eine Mauer des Misstrauens trifft. Es wird gemunkelt, dass Jón seine erste Ehefrau Anna ermordet hat. Die Dorfbewohner begegnen ihm mit Argwohn. Rósa leidet unter Heimweh und fürchtet sich in ihrer Kate, denn Jón lässt sie viel zu oft allein. Als das Dorf durch einen Schneesturm von der Außenwelt angeschnitten wird, geschehen ungeheuerliche Dinge - und Rósa kann sich nicht entziehen.

Ich bin ein großer Fan von Büchern, die eine besondere Atmosphäre ausstrahlen. Mit "Die Farbe von Glas" ist Caroline Lea eine solche Geschichte gelungen. Ich war von Anfang an eingesponnen in einem Kokon aus einer schaurig schönen und düsteren Stimmung, die perfekt zum sagenumwobenen Island passt. Die vielschichtigen, teils undurchsichtigen und unheimlichen Charaktere taten noch ihr übriges. Das ist für mich die perfekte Kulisse für Rósas Geschichte. Einem Leben, das in ruhigen Bahnen beginnt und durch die Heirat mit Jón eine einschneidende Wende nimmt. Welche Geheimnisse verbirgt ihr Ehemann und was geschah mit seiner ersten Frau.

Spannend und absolut mitreißend geschrieben, erlebt man Rósas wachsende Furcht, ihre Zweifel und Einsamkeit, ihr wachsendes Heimweh, sowie die Ablehnung der abergläubischen und engstirnigen Dorfbewohner. Man ist dabei im mythenreichen Island des Jahres1686 und spürt das Unheil förmlich heraufziehen.

Mir hat dieser Debütroman sehr gut gefallen, er lässt keine Sekunde Langeweile aufkommen und besticht für mich, wie schon zu Beginn erwähnt, durch seine Atmosphäre, die mir ein schaurig- schönes Lesevergnügen bereitet hat - und schlichtweg durch die gut durchdachte Geschichte selbst.

Fazit: Sehr lesenswertes Debüt

Bewertung vom 06.02.2020
Individuation
Berndt, Christina

Individuation


sehr gut

Das eigen Ich. Wer hat nicht schon mal über sich selbst nachgedacht. Bin ich eigentlich so, wie ich immer sein wollte oder gäbe es da nicht noch Potential? Kann ich meine eigene Persönlichkeit überhaupt beeinflussen? Ja, das geht. Um sich zu verändern und sich weiterzuentwickeln ist es nie zu spät - und genau das zeigt dieses Buch...

Bevor ich mit dem Lesen begann, habe ich erstmal über mein eigenes Ich nachgedacht. Wer bin ich eigentlich? Wo stehe ich gerade? Nun war ich richtig neugierig, was ich zum Thema Persönlichkeit erfahren würde. Von Anfang an hat mich dieses Buch gefesselt und zu so manchem Aha-Erlebnis geführt.

Die Autorin schaffte es mühelos wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse für den Laien informativ und gut verständlich aufzubereiten. Auflockernd wirken hier besonders die beiden Tests zur Authentizität und zu den Grundzügen der Persönlichkeit. Das hat mir sehr gut gefallen. Ebenso die Bezüge zu aktuellen Persönlichkeiten, wie Greta Thunberg.

Alles in allem ist „Individuation“ ein wirklich unterhaltsames, umfangreiches und sehr interessantes Buch, das lohnt immer mal wieder gelesen zu werden, damit man sich bewusst macht, dass man nie stehen bleiben sollte.

Fazit: Wissenschaft spannend wie ein Roman

Bewertung vom 27.01.2020
Klugscheißer Deluxe / Lehrer Seidel-Romane Bd.2 (eBook, ePUB)
Steffens, Thorsten

Klugscheißer Deluxe / Lehrer Seidel-Romane Bd.2 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Timo ist auf dem besten Weg etwas aus seinem Leben zu machen. Er unterrichtet sehr gerne als Aushilfslehrer an der Abendschule. Deshalb beschließt er mit 29 Jahren einen erneuten Versuch an der Uni zu starten und beginnt vollmotiviert ein Lehramtsstudium. Dort erwarten ihn nicht nur erheblich jüngere Studenten, sondern auch Dozenten, die es in sich haben. Ziemlich schnell bemerkt er, dass er sich mit der Uni und der Abendschule ein ordentliches Pensum aufgeladen hat - und dann ist da noch Sophie, sein Uni-Schwarm. Man sieht, Timo steht vor goßen Herausforderungen, die er auf seine gewohnte Art angeht...

Der sympathische Timo Seidel ist inzwischen zum Klugscheißer Deluxe aufgestiegen. Er hat mir auch diesmal genauso kurzweilige und humorvolle Lesestunden bereitet wie in seiner royalen Phase. Nach wie vor nimmt er kein Blatt vor den Mund, bemüht sich aber etwas zurückhaltender zu sein und nicht mehr alles sofort zu kommentieren. Dabei entstehen natürlich herrlich komische Gedankengänge und Dialoge, wie etwa in der Straßenbahn. Klasse.

Seine Erlebnisse als Lehramtsstudent stehen dem in keinster Weise nach. Flott, witzig und mitreißend nimmt Thorsten Steffens seine Leser mit an die Uni und lässt sie an Timos Erfahrungen teilhaben. Aber nicht nur daran, denn schließlich unterrichtet Timo weiterhin "nebenberuflich" an der Abendschule und dort wird es schon dank Barbara nie langweilig.

Schmunzeln musste ich auch diesmal wieder bei Timos Begriffsdefinitionen, sie sind einfach super lustig und gleichzeitig auch herrlich scharfsinnig. Mein persönliches Highlight im Buch war Sophies Jahreszeitenrätsel. Einfach genial. Das sorgte für Heiterkeit in der ganzen Familie.

"Klugscheißer Deluxe" habe ich sehr gerne gelesen, denn Thorsten Steffens schafft es erneut mühelos die Balance zwischen lustig und ernsthaft zu halten. Darunter leidet auch nicht die Qualität der Erzählung, was bei Folgebänden ja oft der Fall sein kann. Deshalb freue ich mich schon auf den dritten Teil! Wer also gerne Humorvolles mit Anspruch liest, der ist beim Klugscheißer bestens aufgehoben.

Fazit: Gelungene Fortsetzung - witzig, spritzig, einfach gut!

Bewertung vom 26.01.2020
Washington Black
Edugyan, Esi

Washington Black


sehr gut

Barbados, 1830: George Washington Black ist ein schwarzer Sklavenjunge, der unter unmenschlichen Bedingungen auf einer Zuckerrohrplantage schuftet. Durch einen glücklichen Zufall wird er zum Leibdiener Christopher Wildes, der seinem Bruder, dem brutalen Plantagenbesitzer, nicht unähnlicher sein könnte. Er ist in erster Linie Naturwissenschaftler, sieht sich selbst als Erfinder sowie Entdecker und ist ein Gegner der Sklaverei. Der kluge Washington geht Christopher bei seinen Studien zur Hand und entdeckt dabei seine Leidenschaft für die Malerei. Als das ungleiche Paar gemeinsam mit einem selbstgebauten Luftschiff von der Plantage flieht, beginnt eine abenteuerliche Reise, die die beiden um die halbe Welt führen wird.

"Washington Black" habe ich tatsächlich schon vor einiger Zeit ausgelesen, doch dieser große Roman von Selbstfindung, Sklaverei, Freundschaft, Verrat und so vielem mehr ist etwas ganz Besonderes. So besonders, dass ich meine Gedanken erst einmal sortieren musste, um sie halbwegs verständlich darzustellen.

Es gibt ein paar geschichtsträchtige Themen, die in meinen Augen Minenfeldern gleichen. Neben dem Nationalsozialismus gehört auch die Sklaverei dazu. Manchmal fällt es schwer die Balance zwischen klaren Fakten, gängigen Vorurteilen und schriftstellerischer Freiheit zu halten, ohne dabei vorschnell zu verallgemeinern oder dem Leser die eigene Meinung aufdrücken zu wollen. Esi Edugyan jedoch konnte meine anfängliche Skepsis in Windeseile zerstreuen. Denn es ist ihr gelungen das ernste Thema der Sklaverei in eindringlichen Szenen sprachlich wie inhaltlich klischeebefreit und lebensecht zu schildern. Selbst wenn man wollte, kann man den Blick nicht von den Gräueltaten wie dem Aufspießen eines abgetrennten Kopfes abwenden. Es ist eine kritische Abrechnung mit einem düsteren Kapitel in der amerikanischen Geschichte – ohne erhobenen Zeigefinger aber mit viel Emotion.

Jene Abenteuerreise von Wash und Titch samt ihrer Forschungen und dem Ausbruch aus gängigen Konventionen erinnert an Jules Verne und ist in den Eigenheiten der Charaktere doch so einzigartig. Dreh- und Angelpunkt der Erzählung ist die faszinierende Beziehung von Christopher und Washington, die man wohl am ehesten als steten Wandel zwischen gegenseitiger Abhängigkeit, Zuneigung und Freundschaft beschreiben kann. Womöglich könnte man seitenweise Analysen ihres speziellen Verhältnisses anhand zahlreicher verschiedener Aspekte durchführen und doch würde man sich zwangsläufig in einem Punkt treffen: der Frage nach der Bedeutung von Freiheit. Dieses Motiv findet sich im Kleinen wie im Großen, in der Sklaverei wie in der Haltung von Meerestieren in Aquarien.

Wenngleich die Geschichte nicht perfekt, nicht rund ist, macht sie gerade jene Unvollkommenheit zu der ausdrucksstarken Erzählung, die in Erinnerung bleibt. Die Protagonisten machen Fehler, handeln scheinbar irrational und lassen zum Ende hin einige Fragen offen, doch genau diese fehlende Perfektion verleiht der Geschichte den Charakter eines Rohdiamanten und sorgt dafür, dass man sich gedanklich noch über die letzten Worte hinaus damit beschäftigt.

Unter dem hübschen Einband von "Washington Black" verbirgt sich ein wahrer Rohdiamant einer eindringlichen Erzählung, die vor dem Hintergrund der Sklaverei und einem höchstspannenden Abhängigkeitsverhältnis der Protagonisten Selbstfindung, Verrat, Freundschaft und die Bedeutung von Freiheit thematisiert.

Bewertung vom 06.01.2020
Aufbruch und Entscheidung / Die Charité Bd.2
Schweikert, Ulrike

Aufbruch und Entscheidung / Die Charité Bd.2


gut

Ich habe einen Roman über die Geschichte der Charité um die Zeit des Ersten Weltkrieges mit den typischen Krankheitsbildern sowie dem damaligen Stand der Forschungen mitsamt zweier starker Frauenfiguren erwartet. Tatsächlich musste ich mich dann aber durch langatmige Erläuterungen über die gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Situation des Deutschen Kaiserreiches kämpfen, die mich vielmehr an Lehrkapitel im Geschichtsbuch als an einen Roman erinnerten. Gegen kapiteleinleitende Worte, welche die Handlung in einen historischen wie gesellschaftspolitischen Kontext setzen, ist prinzipiell nichts einzuwenden. Allerdings möchte ich nicht seitenlang in Einzelheiten lesen welche Beschlüsse bei der letzten Parlamentssitzung beschlossen wurden oder in welcher Anordnung die Männer der Führungsriege im Saal sitzen. Es steht zwar Charité drauf, aber man bekommt wohl eher Ausschweifungen über die Frauenbewegung und den Marxismus sowie die Unruhen des anstehenden Krieges samt Mobilmachung vor die Nase gesetzt.

Dennoch bleiben die medizinischen Errungenschaften nicht ganz auf der Strecke. August von Wassermanns Nachweismethodik zur Diagnostik von Syphilis findet genauso Anklang wie der Einsatz der neuen Röntgentechnologie oder Rahel Hirschs Forschungen zur Verdauung großkorpuskulärer Nahrungspartikel. Womöglich liegt es an meinem verzerrten Studentenblick, aber verglichen mit den seitenlangen gesellschaftspolitischen Ausschweifungen kam mir die Medizin trotz allem zu kurz.

Selbst die beiden weiblichen Protagonistinnen können das Ruder leider nicht mehr herumreißen und die trockenen dozierenden Passagen auflockern. Mir hat die Lebendigkeit des ersten Bandes gefehlt, in welchem ich die Charaktere in Windeseile in mein Herz geschlossen und mit ihnen mitgefiebert habe.

Dr. Rahel Hirsch, die sich als eine der ersten weiblichen Ärztinnen an der Charité gegen ihre männlichen Kollegen behauptet, hätte eine schillernde Figur abgeben können, doch bei mir ist der Funke leider nicht übergesprungen. Die knapp 550 Seiten hinweg blieb sie mir zu blass, zu farblos, sie war vielmehr der Schatten der inspirierenden Person, die sie hätte sein können. Das lag nicht an ihr selbst, sondern wohl eher daran, dass man zu häufig zwischen den einzelnen Erzählperspektiven hin und her springt und sich die Jahresuhr kontinuierlich weiterdreht ohne dass man als Leser die Möglichkeit hat bei der jeweiligen Person anzukommen und sie näher kennenzulernen. Es wird zwar deutlich, dass sie ihren männlichen Kollegen gegenüber aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt wird, jedoch bleibt einem gewissermaßen der Weg zu ihrer Gefühlswelt versperrt. Sie steckt Rückschläge ein und macht ganz normal weiter als wären es nichts als Lappalien. Aber was treibt sie an kontinuierlich weiterzukämpfen und sich nicht unterkriegen zu lassen? Wieso fährt sie nicht ein einziges Mal aus der Haut – noch nicht einmal ihren Vertrauten gegenüber?

Demgegenüber war die lebensfrohe Barbara beinahe ein offenes Buch, die mit ihren Überzeugungen und Ideen sinnbildlich für die Frauen der Arbeiterklasse steht. Ihr quirliger Charakter mit der direkten Art und der Berliner Schnauze war stellenweise vielleicht ein bisschen anstrengend, aber dennoch ist sie diejenige, die der Geschichte Leben einhaucht.

Obwohl ich das ganze Jahr über auf den Erscheinungstermin von „Die Charité – Aufbruch und Entscheidung“ hingefiebert habe, konnte mich das Buch leider nicht vollkommen überzeugen. Wer gerne mehr über die gesellschaftspolitische Situation in der ausgehenden Kaiserzeit mit dem Schwerpunkt Frauenbewegung, Marxismus und Mobilmachung im Ersten Weltkrieg lesen möchte, ist hiermit sicherlich gut bedient. Mir persönlich waren die dozierenden Passagen jedoch eindeutig zu zahlreich und haben der Medizin und den Charakteren ihren Raum genommen.

Bewertung vom 31.12.2019
Die Frauen von Skagen
Lund, Stina

Die Frauen von Skagen


ausgezeichnet

Skagen, Ende des 19. Jahrhunderts: Marie Triepke stammt aus einer wohlhabenden Familie, die ihrer Tochter eine künstlerische Laufbahn ermöglicht, obwohl dies zur damaligen Zeit schier undenkbar schien. Unter der Aufsicht ihrer jungen Gesellschafterin Asta darf sie einen Kunstunterricht besuchen, bei dem sie den charismatischen Maler Peder Severin Krøyer kennenlernt. Damit beginnt eine dramatische Liebesgeschichte, die Maries und Astas Leben verändern wird, sondern auch Einfluss auf die bildende Kunst Europas haben wird..

Skagen 2018: Die junge Vibeke liebt Kunst, sie möchte unbedingt Malerei studieren und nicht die Farbenfabrik ihres Vaters in Hamburg übernehmen. Durch dir Hilfe ihrer ebenfalls kunstbegeisterten Mutter zieht es sie nach Skagen, um dort Malerei zu studieren. Um ihr Studium zu finanzieren, kellnert sie in einem Cafe. Dort entdeckt sie ein unbekanntes Bild, das, so vermutet sie, von der von ihr sehr geschätzten Malerin Marie Krøyer stammt. Zusammen mit dem Besitzer des Cafes, Thore, versucht sie das Rätsel zu entschlüsseln.

Stina Lund hat mit "Die Frauen von Skagen" einen wunderbaren Roman geschrieben, der sich mit den sogenannten Skagen Malern beschäftigt. Einer skandinavischen Künstlergruppe, deren Skagen-Bilder durch eine ganz besondere Lichtkomposition bestechen, denn dieses einzigartige Licht und die daraus resultierenden klaren und atemberaubenden Farben gibt es nur in dieser dänischen Kleinstadt hoch oben in Nordjütland.

Mit ihrem klaren, fließenden Erzählstil und den herrlichen Landschaftsbeschreibungen ist man in Skagen dabei, sowohl in der Vergangenheit als auch heute. Stina Lund hat diese Magie perfekt eingefangen. Ich war schon ein paar Mal in Skagen, es ist einfach unglaublich schön dort zu sein, auch das Kunstmuseum ist klasse.

Sie nimmt den Leser mit in die 1880 er Jahre zu diesen berühmten Skagen Malern, mit auf ihre Reisen, aber auch in die Künstlerkolonie in Skagen selbst. Demgegenüber steht in einem zweiten Handlungsstrang die junge Vibeke, die Malerin werden möchte und im Skagen des 21. Jahrhunderts eine Kunstakademie besucht. Die beiden Geschichten fließen gekonnt ineinander, ich konnte gerade durch die Gegenwartsgeschichte auch die Kunstleidenschaft der Skagen Maler besser verstehen. Anhand von Vibekes Gefühlen und Emotionen kann man sehen, wie wichtig es für einen Künstler ist, malen zu dürfen. Es gibt einfach keinen anderen Weg.

Stina Lund ist mit "Die Frauen von Skagen" ein eindrucksvoller und einfühlsamer Künstlerroman gelungen, der historische Fakten gekonnt mit schriftstellerischen Freiheiten verknüpft. Für mich sind die Maler P.S. Krøyer und seine Frau Marie oder Michael Ancher lebendig geworden, so könnten sie in der Künstlerkolonie gelebt und gearbeitet haben. Ich bin ein großer Fan dieser Künstlergruppe und ich finde die Autorin hat das Besondere an ihren Arbeiten hervorragend dargestellt.

Fazit: Leuchtend hell wie das Licht in Skagen

Bewertung vom 30.12.2019
Die schöne Tote / Polizeireporterin Harper McClain Bd.2
Daugherty, Christi

Die schöne Tote / Polizeireporterin Harper McClain Bd.2


sehr gut

Die Polizeireporterin Harper McClain arbeitet bei den Savannah Daily News. Mitten in der Nacht wird sie zu einem Mordfall gerufen, eine junge Frau wurde im Herzen der Stadt erschossen. Voller Entsetzen muss Harper feststellen, dass sie der Toten schon begegnet war, denn Naomi Scott, eine Jurastudentin, jobbte in derselben Bar wie Harpers beste Freundin Bonnie. Für die Polizei ist schnell klar, dass der Täter nur Naomis Freund sein kann. Doch geht es wirklich so einfach? Naomis Vater ist da ganz anderer Ansicht, er hält Wilson Sheperd für unschuldig. Dafür sieht er im Sohn eines mächtigen Staatsanwaltes den wahren Täter. Harper begibt sich auf eine gefährliche Wahrheitssuche...

"Die schöne Tote" ist der zweite Band aus der Thrillerreihe um die Polizeireporterin Harper McClain und ich bin auch diesmal wieder total begeistert. Harper recherchiert erneut in einem faszinierenden Kriminalfall, der mich mit raffinierten und geschickt eingebauten Details bis zum Schluss in Atem hielt. Schauplatz ist wieder Savannah mit seinen efeuumrankten Villen, den verwunschenen kleinen Plätzen und der schwülen Hitze. Schon nach ein paar Seiten ist man von diesem besonderen Südstaatenflair gefangen.

Alle Charaktere sind sehr gut ausgearbeitet, sie haben Ecken und Kanten und wirken absolut authentisch. Harper überzeugt mit ihrer sympathischen und klugen Art, ich habe sie gerne dabei begleitet, den Täter zu überführen. Aber nicht nur dabei, sondern auch bei ihrem ganz persönlichen Fall, die Zusammenhänge am Mord an ihrer Mutter und dem Unbekannten, der ihr wie ein Schatten folgt, zu begreifen. Stück für Stück kommt ein wenig Licht ins Dunkle. Ich bin schon gespannt, ob das Geheimnis im nächsten Band gelöst wird. Es gibt also auch diesmal eigentlich wieder zwei Fälle, die für Nervenkitzel sorgen.

Fazit: "Die schöne Tote" ist ein klasse Thriller, gut durchdacht und bis zur letzten Seite mitreißend.