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Benutzername: 
Ingrid von buchsichten.de
Wohnort: 
Erkelenz

Bewertungen

Insgesamt 324 Bewertungen
Bewertung vom 11.03.2020
Qube
Hillenbrand, Tom

Qube


sehr gut

Der Science-Fiction-Thrillers mit utopischen Charakter „Qube“ von Tom Hillenbrand spielt drei Jahre nach den Ereignissen des zweiten Turing-Zwischenfalls im Jahr 2088, die Thema des Vorgängerbands „Hologrammatica“ waren. Damals erwachte ein längst zerstört geglaubter Klimacomputer erneut und versuchte die Weltherrschaft zu übernehmen. Natürlich stellte sich für mich vor Beginn des Lesens die Frage, ob die Welt die Künstlichen Intelligenzen inzwischen im Griff hat. Das es auch in „Qube“ wieder um eine ähnliche Problematik gehen wird, sagt bereits der Titel aus, der sich aus den Begriffen für Quantum und Cube zusammensetzt und so einen auf quantenmechanischen Prinzipien basierenden Hochleistungsrechner bezeichnet.

Der Londoner Journalist Calvary Doyle wird durch einen gezielt gesetzten Kopfschuss schwer verwundet. Der UNANPAI, einer Behörde, deren Aufgabe darin besteht, Künstliche Intelligenzen (KI) aufzuspüren, bleibt das nicht verborgen. Eventuell könnte das Verbrechen damit zusammenhängen, dass Doyle vor der Tat auf dem Gebiet der KI recherchiert hat. Zum Glück hat er Vorkehrungen getroffen und sein Wissen in einen Qube laden lassen, der ihm nun eingesetzt werden kann. Allerdings fehlt ihm die Erinnerung zwischen Gehirnscan und Kopfschuss. Fran Bittner, eine UNANPAI-Agentin, der bereits in „Hologrammatica“ eine wichtige Rolle zukam, wird mit den Ermittlungen beauftragt.

In weiteren Handlungssträngen lernte ich Clifford Torus kennen, einen reichen Unternehmer. Er ist ständig daran interessiert, die neuesten technischen Entwicklungen zu erwerben, vor allem diejenigen, die sein Leben erhalten und verlängern könnten. Außerdem zeigt Persia, eine Profi-Gamerin, ihr Können und mit dem Auserwählten Franek reiste ich in eine magisch anmutende Welt.

Das Lesen von „Qube“ fiel mir leichter im Vergleich zum Vorgängerband, was einerseits daran lag, dass mir die Science-Fiction-Welt von Tom Hillenbrand schon bekannt war und andererseits, dass es diesmal keinen Perspektivenwechsel zu einem Ich-Erzähler gibt. Hilfreich war auch ein Glossar am Ende des Buches, dass einige spezielle Begrifflichkeiten erklärt.

Es ist beeindruckend, mit welcher Detailverliebtheit der Autor seine Szenen ausformuliert, so dass sie bildlich vorstellbar werden. Sicher sind viele Ideen seiner Zukunftsvorstellungen nicht unbedingt neu, aber so geschickt kombiniert, dass sie denkbar sind. Die Storyline begeisterte mich zu Beginn des Thrillers, doch leider kam es in der zweiten Hälfte zu Längen, auch durch die Beschreibungen von Spielrunden.

Das Problem der Datensammlungen und Auswertungen durch Künstliche Intelligenzen ist heute schon spürbar. Der Thriller verdeutlicht, welche Risiken bestehen, wenn KI aufgrund ihrer vorgenommenen permanenten Selbstoptimierung sich irgendwann unserer Steuerung entziehen könnten. Dabei verarbeiten sie nicht nur die von uns eingegebenen Daten, sondern nehmen auch aus ihrer Umgebung beispielsweise über Sprache Angaben auf und wandeln sie in verwendbaren Code um. Für uns wird der kritische Umgang mit Daten umso wichtiger.

„Qube“ von Tom Hillenbrand ist ein komplexer Thriller, der durch seine vielen, detailliert beschriebenen und verbundenen Ideen über unsere Zukunft beeindruckt. Dabei wirft der Autor problematische Fragen auf zur Datennutzung und der Begrifflichkeit unseres Menschseins. Das Buch ist vor allem für Leser des Genres Science Fiction interessant, denen ich es gerne weiterempfehle. Die Geschichte ruft nach einer Fortsetzung.

Bewertung vom 29.02.2020
Hör mir zu, auch wenn ich schweige
Greaves, Abbie

Hör mir zu, auch wenn ich schweige


ausgezeichnet

In ihrem Roman „Hör mir zu, auch wenn ich schweige“ schreibt Abbie Greaves über das anhaltende Schweigen in der Ehe eines älteren Paars, das so viel Leere hervorruft und das schließlich viel Platz einnimmt bis es zu einer solchen Last wird, dass die Ehefrau darunter zerbricht. Dennoch wenden sich die Gesichter einer Frau und eines Manns auf dem Cover liebevoll einander zu. Sie scheinen dadurch im Gegensatz zur abweisenden Stille zu stehen und doch ist in der Geschichte so, dass Frank, dem Ehemann, die Worte fehlen, obwohl er seine Ehefrau wie an ihrem ersten Tag der Beziehung liebt. Mit Ausnahme des Prologs und des Epilogs erzählt Frank als Ich-Erzähler die Ereignisse der Gegenwart und im Rückblick, die später von Maggies Auszeichnungen unterbrochen werden.

Frank und Maggie sind seit 40 Jahren verheiratet und haben gemeinsam schon manchem Sturm getrotzt. Frank ist Professor für Entwicklungsbiologie, ruhig und zurückhaltend, aber er lacht gern und liebt Ausflüge in die nahe und weitere Umgebung. Maggie ist Krankenschwester, aufgeschlossen und kontaktfreudig. Von heute auf morgen verstummt Frank. Vielleicht ahnt Maggi ansatzweise den Grund dafür, aber das Unausgesprochene steht im Raum und ihre Gedanken kreisen über die gemeinsame Bürde der letzten Jahre. Die Mauer des Schweigens wirkt auf sie belastend, ihr eigenes Handeln in der Zeit davor sieht sie als bedeutungsvoll und Schicksal gebend, so dass sie verzweifelt und keine Zukunft für sich sieht. Frank findet sie bewusstlos in der Küche und setzt alles daran, Maggie und seine Ehe zu retten.

Der Roman schildert die Geschichte einer langen Ehe, die geprägt ist von der miteinander geteilten Zeit und mit gemeinsamen Erlebnissen. Sie erzählt von den vielen Dingen, die man einander in all den Jahren aneinander zu schätzen gelernt hat und von den Eigenheiten des Partners, mit denen man sich arrangiert. Es sind die Ängste, die man miteinander geteilt hat, das gemeinsame Glück und die empfangene Freude, die mit der Zeit eine gewisse Annahme entstehen lässt, dass man stets glaubt zu wissen, wie der andere denkt und fühlt. Es bleibt aber auch der Hauch einer Ahnung, dass es Dinge gibt, die unerwähnt bleiben und dadurch ein unterschwelliges Störgefühl immer vorhanden bleibt, bei feinfühligen Personen mehr, bei anderen vielleicht weniger.

Im Roman „Hör mir zu, auch wenn ich schweige“ zeigt Abbie Greaves, dass Liebe allein manchmal nicht ausreicht und eine aufrichtige Kommunikation im Vertrauen zueinander, gegenseitiger Respekt und akzeptierter Freiraum in der Ehe wichtig sind. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Bewertung vom 29.02.2020
Nach Mattias
Zantingh, Peter

Nach Mattias


ausgezeichnet

Zu Beginn des Romans „Nach Mattias“ des Niederländers Peter Zantingh steht ein klarer Schnitt: Mattias ist tot. Daran bemisst sich die Zeiteinteilung seiner Freundin, seiner Freunde und Verwandten, für die es ein „mit“ und ein „ohne“ Mattias gibt. Der Autor erzählt aus acht Perspektiven mit neun Figuren, die im Mittelpunkt der jeweiligen Geschichte stehen. Der Blick auf seine Freundin und Lebenspartnerin Amber eröffnet und beschließt die Kurzgeschichten im Buch.

Lange bleibt verborgen, wie und wo Matthias gestorben ist, erst allmählich erhielt ich als Leser hierzu weitere Informationen. Der Raum um sein Sterben bleibt jedoch weit und unausgefüllt, genauso wie die Rollen, die er eingenommen hat und die jetzt nicht mehr zu füllen sind.

Die Charaktere, die Peter Zantingh selbst zu Wort kommen lässt oder auf denen sein Blick ruht, kennen den für eine Eventagentur arbeitenden Matthias nicht immer persönlich. Dennoch sind sie auf gewisse Weise mit ihm verbunden, eventuell auch nur durch Auswirkungen seiner Handlungen. Deutlich zu spüren ist der persönliche Bezug zu dem Verstorbenen durch die Tiefe der Trauer der jeweiligen Person. Obwohl der Schreibstil des Autors recht schnörkellos ist, beschreibt er die Emotionen mit treffenden und berührenden Worten.

Weil einige Figuren miteinander verwandt oder befreundet sind oder der gleichen Freizeitgestaltung nachgehen, kreuzen sich gelegentlich einige Wege. Daher findet die Entwicklung des Protagonisten einer der Kurzgeschichten eventuell später nochmal eine Fortsetzung, was ich sehr gut fand.

Auf der Trauerfeier von Matthias zeigt sich, dass die anwesenden Personen den Verstorbenen auf ganz unterschiedliche Weise gekannt haben. Die Erzählungen vermittelten mir ein Bild von ihm als Neuem gegenüber aufgeschlossen und zu spontanen Aktionen bereit. Er konnte gut zuhören, bot gerne seine Hilfe an, suchte den Konsens, doch er war auch ein Mensch mit Ecken und Kanten.

Die Geschichten spielen in einer unbenannten Stadt, nicht allzu weit vom Meer entfernt, wie beispielsweise in Utrecht, der Heimat des Autors. Beim Schreiben hört der Autor gerne Musik, die ihm auch zur Inspiration dient, und die er für dieses Buch in einer Playlist zusammengestellt hat.

Die Erzählungen sind realistisch und nachvollziehbar. Peter Zantingh lässt seinen Figuren ein Stück Hoffnung, in dem er einigen eine Aufgabe gibt, die für sie sinnerfüllend ist. Allerdings blieb mir der Charakter des Sohns einer der Protagonistinnen nicht ausformuliert genug, so dass mir dessen Handlungsmotiv unklar bilieb.

Peter Zantingh hat einen bewegenden Roman geschrieben über Trauer und verschiedene Arten, diese zu bewältigen. Die Geschichten im Buch „Nach Mattias“ zeigen auf, dass auch kleine Handlungen in unserem Leben von Bedeutung für andere Personen sind und eine verändernde Wirkung haben können, die nicht durch den Tod beendet wird. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Bewertung vom 28.02.2020
Marianengraben
Schreiber, Jasmin

Marianengraben


ausgezeichnet

Der Marianengraben im Pazifischen Ozean liegt 11.000 m tief und ist damit die tiefste Stelle des Weltmeers. Der „Marianengraben“ der Protagonistin Paula in Jasmin Schreibers gleichnamigen Roman ist nicht greif- oder sichtbar, aber mit der gleichen Tiefe wie sein Namensvetter hat er sich in ihrem Innersten eingegraben. Er ist dort, wo es ihr an Licht und Farbe fehlt, wo sie nicht genug Luft zum Atmen findet und wo ihr die Energie zum Leben entzogen wird, weil ihre unendliche Liebe zu ihrem Bruder über dessen Tod hinaus ihr die Kraft raubt. Die Tiefe des Marianengrabens betitelt die Kapitel des Buchs und ließ dadurch für mich als Leserin das langsame Auftauchen und Abstreifen der Dunkelheit von Paula auch nach außen hin sichtbar werden.

Der Unfalltod ihres über zehn Jahre jüngeren Bruders Tim hat bei Paula eine große emotionale Leere hinterlassen. Wieder und wieder fragt sie sich, ob ihre Anwesenheit am Unfallort den Tod von Tim hätte verhindern können. Als sie sich nach der Beerdigung endlich traut, das Grab zu dem für sie perfekten Zeitpunkt aufzusuchen, stellt sie fest, dass sie nicht wie gewünscht allein auf dem Friedhof ist. Bei dieser Gelegenheit lernt sie Helmut kennen, viermal so alt wie sie und mit einem klaren Auftrag, den er zu erfüllen gedenkt und der ihn schließlich mit seinem neuerworbenen alten Wohnmobil Richtung Berge in den Süden treibt. Paula begleitet ihn und schnell wird die Geschichte zu einem skurrilen Roadmovie.

Paula und Tim sind ganz unterschiedliche Charaktere. Während Paula kontaktscheu und ruhig ist, gerne liest und lernt, ist Tim ebenfalls neugierig auf das Leben, aber er schließt schnell Freundschaften und ist abenteuerlustig. Paula versucht an dem Status Quo vor dem Unfall festzuhalten. Das, was sie aktuell erlebt erzählt sie in Gedanken ihrem Bruder und stellt sich seine Reaktionen in entsprechenden Situationen vor und seine Rückfragen auf ihre Schilderungen. Entsprechend angepasst und einfach, aber brillant ist in diesen Abschnitten die Sprache im Zwiegespräch mit Tim. Sie kann ihn nicht aus ihren Gedanken lassen, denn sie stellt sich vor, dass die Größe des dann entstehenden Raums nicht zu füllen ist. Und immer wieder stellt sie sich die Frage ihrer Schuld. In der Geschichte ist spürbar, dass die Autorin sich mit dem Sterben als Ende unseres Lebens aktiv auseinandersetzt.

Helmut erscheint zunächst als schrulliger älterer Herr. Zunehmend entdeckt Paula jedoch Gemeinsamkeiten. Einige seiner eigenen Erlebnisse, die er im Laufe der vielen Jahre seines Lebens gesammelt hat, sind ähnlich denen seiner viel jüngeren Reisebegleiterin. Beide bleiben sich auf ihrer Fahrt selbst treu und dennoch ist deutlich spürbar, dass sie im Austausch ihrer Erfahrungen und Gefühle ein besseres Verständnis nicht nur voneinander, sondern über viele Dinge des Lebens finden.

„Marianengraben“ von Jasmin Schreiber ist ein Roman über das Leben zu dem das Sterben dazugehört, ob absehbar oder unerwartet. Die Autorin schreibt über Trauer und über Glücksmomente. Sie findet eine eigene Art, der ergreifenden Erzählung an manchen Stellen einen heiteren Ton zu geben, der dem Roman eine gewisse Leichtigkeit verleiht und immer wieder über die berührenden und schmerzlichen Geschehnisse hinweg Fröhlichkeit einkehren lässt. Sehr gerne vergebe ich eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Bewertung vom 27.02.2020
Rote Kreuze
Filipenko, Sasha

Rote Kreuze


ausgezeichnet

Der Roman „Rote Kreuze“ von Sasha Filipenko spielt am Ende des Jahres 2000. Alexander ist einer der beiden Protagonisten, 30 Jahre alt und hat eine wenige Monate alte Tochter. Er ist von Beruf Fußballschiedsrichter und hat gerade eine Wohnung in Minsk neu angemietet. Auf seiner Wohnungstür ist ein gut sichtbares rotes Kreuz aufgemalt. Beim Versuch, die beiden Striche zu entfernen, begegnet er seiner Nachbarin Tatjana, die sich dazu bekennt, das Kreuz angebracht zu haben, damit es sie nach Hause führt. Sie ist die zweite Hauptfigur des Romans, schon 90 Jahre alt und an Alzheimer erkrankt.

Tatjana besteht darauf, dem jungen Nachbarn ihre Wohnung zu zeigen, von der Alexander überrascht ist und deren Ausstattung Fragen aufwirft. Die beiden kommen ins Gespräch und beginnen damit, über ihr Leben zu erzählen, wobei Alexander dabei zunächst zögerlich ist. Tatjana schildert ihr bewegtes Leben und ihren persönlichen Kampf für ihre kleine Familie in den Jahren der Stalin-Ära und den Jahren nach dem Tod des Diktators. Auch Alexander hat in den letzten Wochen und Monaten für seine kleine Familie gekämpft. Obwohl sich die Geschichten grundlegend unterscheiden, haben beide auch einiges gemeinsam.

Rote Kreuze ziehen sich durch den gesamten Roman, nicht nur in Form des Symbols zur Erinnerung an Alexanders Haustür. Der Titel bezieht sich ebenso auf das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, das im und nach dem Zweiten Weltkrieg Informationen über Verletzte und Kriegsgefangene gesammelt und zur Verfügung gestellt hat. Die Korrespondenz mit dem Komitee spielt eine wichtige Rolle im Buch, Sasha Filipenko hat den Wortlaut von Originaldokumenten in seinen Roman eingebunden, mit ihnen stützt er seine Forderung, die Erinnerung an die Gräuel des vorigen Jahrhunderts in den sozialistischen Sowjetrepubliken aufrecht zu erhalten.

Außerdem erinnern die Kreuze in ihrer übertragenen Form an das Leid, dass beide Protagonisten in ihrem Leben erfahren haben und nun mit sich tragen. In ihren Schicksalen trifft der Respekt gegenüber einer einzelnen Person des modernen Weißrusslands auf die Grausamkeiten des Sowjetregimes in der Mitte des letzten Jahrhunderts, die ein Leben auf gänzlich andere Art gemessen, beurteilt und bewertet hat.

Beiden Protagonisten gemeinsam ist auch, dass sie schwierige Entscheidungen zu treffen hatten. Tatjana hat entsprechend der gegebenen Lage im Geheimen entschieden, weil sie niemandem vertrauen konnte. Alexander, der einen Sinn für Gerechtigkeit hat, die auch in seinem Beruf zum Tragen kommt, hatte zwar die Möglichkeit Informationen und Rat öffentlich einzuholen, doch sein Beschluss wird nicht von jedem gutgeheißen, sondern findet auch kritische Stimmen.

„Rote Kreuze“ ist ein Roman gegen das Vergessen, nicht nur aufgrund der Alzheimererkrankung der Protagonistin Tatjana, sondern es ist ebenfalls ein Aufschrei gegen das kollektive gesellschaftliche Vergessen an die gefühllos veranlassten Repressionen in den sowjetischen Republiken vor einigen Jahrzehnten. Sasha Filipenko schreibt bedrückend und berührend, seine Geschichte bleibt in Erinnerung. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Bewertung vom 26.02.2020
Das Haus der Frauen
Colombani, Laëtitia

Das Haus der Frauen


ausgezeichnet

In ihrem Roman „Das Haus der Frauen“ von Laetitia Colombani spielt der „Palais de la Femme“ in Paris eine große Rolle. Die Autorin verbindet aktuelle fiktive Ereignisse mit und der Gründungsgeschichte des Hauses, das real existiert. Das Gebäude wurde in den ersten Jahren nach dem Bau auf unterschiedliche Weise genutzt, doch seit 1926 bietet die Heilsarmee hier in Not geratenen Frauen in heute 630 Zimmern eine Wohnmöglichkeit. Die christliche Freikirche konnte die Kosten für den Erwerb des Hauses und dessen nötiger Renovierung nur mit dem großen Engagement ihres Mitglieds Blanche Peyron aufbringen, die von ihrem Ehegatten mit allen Kräften unterstützt wurde.

Soléne ist 40 Jahre alt und eine erfolgreiche Rechtsanwältin. Sie ist in einer Kanzlei angestellt und dort als pflichtbewusst und ehrgeizig bekannt. Nach einem verstörenden beruflichen Ereignis wird bei ihr Burn-Out diagnostiziert. Als Teil einer Therapie wird ihr ein soziales Engagement empfohlen. So wird sie zur Briefeschreiberin im „Haus der Frauen“. Nach einem holprigen Start gewinnt sie zunehmend das Vertrauen der Bewohnerinnen und ihre Zweifel an der Tätigkeit werden zunehmend mit Anerkennung kompensiert.

Der Roman beginnt mit einem wahren Paukenschlag für Soléne. Ihr Leben ist geprägt von ihrer Arbeit in der Kanzlei, ihre Freizeit ist dadurch stark eingeschränkt. Sie ist überrascht, wie sehr die berufliche Krise sie mitnimmt. Nur zögerlich entscheidet sie sich für ein soziales Engagement. Ihr Auftreten in der ungewohnten Umgebung ist von Unsicherheit geprägt, ein Gefühl, dass sie kaum kennt. Je tiefer sie in die Hintergründe des Aufenthalts der Frauen im „Palast“ eintaucht, die aus ganz unterschiedlichen Gründen hier Unterkunft gefunden haben, desto mehr wird sie genauso wie ich als Leserin davon emotional berührt.

Auch wenn die Geschichten nur fiktiv sind, hat Laetitia Colombani es geschafft, bewegende Lebensläufe zu schildern, die nachdenklich stimmen. Soléne wird dadurch immer mehr deutlich, was wichtig ist im Leben und dass vor allem ein sicherer Aufenthaltsort dazu gehört.

Neben den ergreifenden erdachten Lebensberichten bindet die Autorin die Geschichte der Blanche Peyron in ihren Roman ein, der mich etwa hundert Jahre in die Vergangenheit führte. Blanche ist die tatsächliche Gründerin des Hauses, so wie es bis heute existiert. Als Person war sie mir bisher unbekannt. Sie ist eine starke Persönlichkeit, die zu ihren Lebenseinstellungen steht, sich über Konventionen hinwegsetzt und ihre Ziele unermüdlich mit immer neuem Eifer nachgeht. Mich hat sie als Person stark beeindruckt.

„Das Haus der Frauen“ von Laetita Colombani ist ein großartiger herzerwärmender Roman über die erfolgsgewohnte Anwältin Soléne, die nach einem persönlichen Krise eine ehrenamtliche Tätigkeit im titelgebenden Gebäude in Paris aufnimmt und dort Frauen in problematischen sozialen Situationen kennenlernt, deren Lebensgeschichten emotional tief zu Herzen gehen. Gleichzeitig ist er aber auch eine Würdigung der Lebensleistung der wenig bekannten Blanche Peyron, die eben jenen „Palast der Frauen“ in Paris gegründet hat. Gerne vergebe ich hierzu eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Bewertung vom 21.02.2020
Power
Güntner, Verena

Power


ausgezeichnet

Der Roman „Power“ von Verena Güntner handelt von einem Hund, der verschwunden ist. In dem Dorf, in dem das geschehen ist und das an einem Waldrand liegt, ist darüber zunächst nur seine Besitzerin betrübt. Doch das Buch macht seinem Namen alle Ehre, denn „Power“ bildet die treibende Kraft, die die Kinder des Orts schließlich geschlossen dazu bringt, ihn auf eine ungewöhnliche Weise zu suchen.
Kerze, die Protagonistin des Romans, ist elf Jahre alt und damit genauso alt wie Power. Sie lebt allein mit ihrer Mutter, die tagsüber zur Arbeit ist. Ihren gegebenen Versprechen kommt sie immer nach. Sie hat sich ihren Spitznamen gegeben, weil sie Verzweifelten, Enttäuschten und Bedrückten wieder Licht und damit Freude zurück in den Alltag bringen will. Dem Auftrag der älteren Dorfbewohnerin Frau Hitschke, nach ihrem Hund Power zu suchen, kommt sie daher gerne nach. Sie ist selbstbewusst, vorlaut und lebt ihre Rolle als Detektivin streng und übertrieben aus.
Das Ende der Geschichte ist nicht verwunderlich, denn das Ergebnis der Suche wird auf den ersten Seiten vorweggenommen. Dennoch ist die Erzählung bis dahin überraschend. In einem kleinen Ort, in dem jeder jeden kennt mit all seinen Eigenarten, Allüren, Freundschaftsbeziehungen und Abneigungen stehen die Sommerferien an. Für Kerze und die übrigen Kinder ist das eine eher langweilige Zeit. Keiner hat eine Urlaubsreise, der Tag liegt wie ein dunkles Loch vor einem, denn Aktionen in Form von Ferienspielen oder ähnlichen bieten sich hier keine an. Ich kenne das aus meiner eigenen Kindheit auf dem Dorf. Kerze aber bietet mit ihrer Suche eine prima Ablenkung vom Ferienalltagseinerlei. Ganz nebenher tut man auch noch Gutes, wenn man sich der Sache anschließt und einer Ortsbewohnerin vielleicht sogar ihren kleinen Liebling wiederbringen kann. So beginnt es.
Zunehmend übernimmt Kerze die Organisation der Gruppe der Kinder, von denen sich immer mehr der Suche anschließen, und gewinnt dadurch deren Vertrauen. Die Gruppe folgt ihren Anweisungen, aber mit steigender Verantwortung für die Entscheidung über Gerechtigkeit und die Übernahme von Schiedssprüchen ändert sich allmählich ihr Ton. Die Suche wird immer verbissener. Die Ideen von Kerze zum Auffinden des Hunds werden immer abstruser, aber keines der Kinder wagt gegen die Methoden aufzubegehren, der Druck der Gruppe auf Uniformität wächst.
Die Eltern sehen dem Treiben unterdessen tatenlos zu. In der von der Autorin aufgezeigten Welt, in der Erwachsene ihrer Rolle als Vermittler von Werten und Normen kaum nachkommen, testen die Kinder ihre Grenzen bis zum Äußersten aus und die Mütter und Väter rühmen sich ihrer erzieherischen Fähigkeiten und lehnen jede Hilfe ab, die nicht aus diesem Kosmos kommt.
Auf überspitzte Weise zeichnet Verena Güntner in ihrem Roman „Power“ die ungewöhnliche Art eines Zusammenschlusses von Kindern, zunächst mit einem erkennbar guten Sinn, später aber immer mehr aus dem Ruder laufend. Ihre Sprache ist beredt, klar und mit viel feinem Gespür fürs Detail. Die Geschichte regt zum Nachdenken an. Gerne vergebe ich hierzu eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 15.02.2020
Je tiefer das Wasser
Apekina, Katya

Je tiefer das Wasser


ausgezeichnet

Der Roman „Je tiefer das Wasser“ ist das Debüt von Katya Apekina, die heute in Kalifornien lebt. Die Worte auf dem Cover sind hingepinselt, unregelmäßig, wie in Eile geschrieben. Ein Augenpaar schaut mich schräg dazu zwischen den Buchstaben an, viele gesehenen Dinge verbergend und dadurch neugierig machend auf die Geschichte zwischen den Buchdeckeln.

Die 16-jährige Edith, kurz Edie genannt, wohnt mit ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester Mae und ihrer Mutter Marianne in einem Vorort von New Orleans. Eines Tages findet sie ihre Mutter kaum noch bei Bewusstsein vor, weil sie versucht hat, sich umzubringen. Edies Eltern leben seit vielen Jahren getrennt, ihr Vater ist ein bekannter Schriftsteller und wohnt in New York. Nach der Einlieferung von Marianne in die psychiatrische Klinik haben die beiden Schwestern keine andere Möglichkeit als ihrem Vater Dennis in den Norden zu folgen. Während Edie bald schon ihre Freunde vermisst, lebt Mae auf, denn sie fühlt sich von Zwängen befreit.

Katya Apekina kehrt für ihre Erzählung zurück in das Jahr 1997, das eine besondere Bedeutung für Edie und Mae hatte und einen Wendepunkt in ihrem Leben darstellte. Während Edie über die aktuellen Begebenheiten aus dieser Zeit heraus erzählt, berichtet Mae aus dem Jahr 2012 im Rückblick auf die Ereignisse. Die Autorin lässt ihre Figuren tiefe Emotionen zeigen, dazu nutzt sie zum weiteren Verständnis der Handlungen ihrer Protagonisten verschiedene Perspektiven, um nochmals einen anderen Blickwinkel einzunehmen und dabei vielleicht ein weiteres Hintergrunddetail zu entdecken. Die unterschiedlichen Sichtweisen waren auch wichtig dafür, entgegengesetzte Meinungen nachvollziehen zu können. Hinzu kommen einige originelle Ergänzungen wie Tagebucheinträge, Telefonate und Briefe, die dem Roman eine ganz eigene Form geben.

Obwohl die beiden Schwestern sich sehr nahestehen, sind sie doch recht gegensätzliche Charaktere. Sie lieben sich, aber in anderen Situationen hassen sie sich. Ihre Eltern haben sich getrennt, als Edie vier Jahre alt war. Edie hat noch rudimentäre Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit ihrem Vater. Sie ist selbstbewusst und hat sich in der Schule Anerkennung erarbeitet. Ich konnte ihre Unzufriedenheit gut verstehen. Ihre zynischen Kommentare lassen ihre Frustration erkennen und geben der Erzählung manchmal einen auflockernden Unterton. Während sie sich auf die Seite der Mutter stellt und an deren baldige Genesung und Heimkehr glaubt, freut Mae sich über die Chance, ihren Vater besser kennen zu lernen. Zusätzlich bietet er ihr eine interessante neue Umgebung. Bei ihrer Mutter fühlte sie sich eingeengt, denn sie ist nicht so unternehmenslustig wie ihre Schwester und bekam durch ihre häufige häusliche Anwesenheit oft Aufgaben von Marianne zugeteilt. Äußerlich ähnelt sie ihrer Mutter, die bereits in jungen Jahren maßgeblich den kreativen Schreibprozess des Vaters beeinflusst hat. Mae sieht sich in der gleichen Rolle. Während Edie sich auflehnt und ihre Wut gelegentlich überhandnimmt, wirkt Mai demgegenüber verträumt und zieht sich mitunter in sich selbst zurück.

Katya Apekina erzählt in ihrem Roman „Je tiefer das Wasser“ darüber, wie zwei Töchter die psychische Erkrankung der Mutter auf sehr unterschiedliche Weise verarbeiten. Dabei wird mit anhaltender Krankheit und der damit verbundenen neuen Eindrücke in einer fremden Umgebung die Geschichte immer schmerzhafter für die beiden. Die Autorin hält durch immer neue Wendungen die Erzählung durchgehend interessant und konnte mich mit der besonderen Gestaltung des Romans überzeugen. Er ist tiefgehend und ergreifend, nimmt sensible Themen in den Fokus und stimmt dadurch nachdenklich. Sehr gerne empfehle ich das Buch weiter.

Bewertung vom 29.01.2020
Der Trip
Barton, Fiona

Der Trip


ausgezeichnet

Der Thriller „Der Trip“ der Engländerin Fiona Barton ist der dritte Band einer Buchserie bei der die Journalistin Kate Waters von der Daily Post ihre eigenen Wege geht, um zu den Ermittlungen des Teams der Kriminalpolizei, das von Detective Bob Sparks geleitet wird, beizutragen. Der vorliegende Fall handelt von zwei jungen Frauen aus Winchester, die direkt nach ihrem Schulabschluss auf einen Backpacking-Trip nach Thailand reisen.
Die Erzählung beginnt im Juli 2014, nicht ganz eineinhalb Jahre nach dem Epilog des vorigen Teils „The Child“. Es wird an einigen Stellen während der aktuellen Fallermittlungen zwar auf die bisherige Zusammenarbeit von Bob Sparkes und Kate Waters hingewiesen und ein paar Details erwähnt, aber Vorkenntnisse der ersten beiden Bände sind nicht erforderlich, um den Geschehnissen mühelos folgen zu können. Wie bisher versucht Kate als Journalistin wieder, die Erste zu sein, die mit den Betroffenen der Opfer spricht und daraufhin ihre Story schreibt.
Fiona Barton erzählt aus unterschiedlichen Perspektiven in denen sie verschiedene Protagonisten in den Mittelpunkt rückt. Die Titel der Kapitel geben an, welche Person jeweils im Fokus steht. Zum ersten Mal in der Serie übernimmt dabei Kate die Ich-Perspektive. Bob als „Der Polizist“ und Lesley O’Connor, deren Tochter Alex sich den Thailandtrip gewünscht hat, als „Die Mutter“ sind weitere Hauptfiguren. Parallel dazu schiebt die Autorin Kapitel ein, die in Bangkok spielen und in denen sie die Geschichte der beiden jungen Frauen erzählt ab ihrer Ankunft in der Thailändischen Hauptstadt. Auf diese Weise erfuhr ich zunehmend mehr über die Freundschaft von Alex und Rosie zueinander, ihren Vorstellungen über ihren Aufenthalt und ihren neuen Freunden vor Ort. Der Erzählstrang gibt Hintergrundinformationen, die das Bild des Verbrechens später abrunden werden.
Die Ermittlungen von England aus, die versuchen den Fall im fernen Thailand aufzuklären, gestalten sich mühevoll, denn Bangkok zeigt seine quirlige und undurchschaubare Seite. Daneben baut Fiona Barton einige parallele Nebenschauplätze ein, deren Handlungen aber nicht zur Aufklärung des Falls beitragen und dadurch leider zu ein paar Längen führen. Nach einem ruhigen Beginn des Thrillers steigert sich die Spannung zwar zunehmend, wird aber immer wieder leicht ausgebremst durch die Einschübe der täglichen Ereignisse rund um die beiden Freundinnen. Zwar konnte ich die Sorge der beiden Elternpaare nachvollziehen, jedoch wurden mir die Figuren nicht wirklich sympathisch. Ich fand den Thriller nicht ganz so mitreißend wie die beiden vorigen Teile der Serie.
Die Autorin thematisiert die Rolle der Eltern bei der Erziehung, bei der mit zunehmendem Alter der Kinder das Vertrauen zueinander immer wichtiger wird. Auch die Rolle der Sozialen Medien und die Wirkung von öffentlichen Postings wird gezeigt, wobei sie eine wichtige Funktion im Rahmen einer Fallermittlung einnehmen können. In jedem der Fälle der vorliegenden Serie habe ich einiges über investigativen Journalismus erfahren, so auch hier. Aber diesmal konnte mir Kate als Ich-Erzählerin auch ihre Gefühle vermitteln, die sie als Journalistin an vorderster Front des Falls empfindet. Ich konnte ihren Zwiespalt spüren zwischen Mutterrolle und ihrer der Wahrheit verpflichteten Arbeit.
„Der Trip“ von Fiona Barton ist mehr als ein Thriller, der nur eine Tatermittlung beschreibt. Die Autorin versteht es, aktuelle Themen in die Ereignisse einzubinden. Auch deshalb ist das Buch lesenswert. Eltern werden ihre Ängste um ihre heranwachsenden Kinder wiedererkennen. Die Frage, ob man anders unterstützend hätte tätig werden müssen, steht im Raum und stimmt nachdenklich. Gerne empfehle ich ihn an Fans von Thrillern und Krimis weiter.

Bewertung vom 29.01.2020
Robin und Lark
Ohlin, Alix

Robin und Lark


ausgezeichnet

Der Roman „Robin und Lark“ der gebürtigen Kanadierin Alix Ohlin erzählt die Geschichte der beiden titelgebenden Schwestern. Das Cover vermittelte mir den Eindruck, dass die Schwestern sich gegenseitigen Halt bieten und dennoch ein Vertrauen zueinander besteht, das es ermöglicht sich ohne vorherige Erklärung voneinander lösen zu können, ohne dabei im übertragenen Sinne tief zu fallen.
Die Geschichte spielt zwischen zwei Staaten, einerseits im Süden Kanadas und andererseits im Westen der USA. Das Buch gliedert sich in vier Kapitel, wobei das erste den Titel „Davor“ trägt. Nicht nur die Betitelung warf die Frage danach auf, vor welcher Begebenheit sich das Geschehen ereignen wird, sondern auch der erste Satz weckte meine Neugier, denn darin erwähnt Lark als Ich-Erzählerin des gesamten Romans, dass Robin und sie in die Lebensgeschichte von Scottie verbandelt sind. Wer Scottie ist, erfuhr ich erst am Ende des Buchs.

Lark ist vier Jahre älter als Robin, die beiden haben verschiedene Väter. Weil ihre Mutter Marianne nach dem frühen Tod von Robins Vater alleinerziehend ist und dabei berufstätig bleibt, sind die beiden Mädchen schon als Kinder stundenweise allein zu Hause. Lark schlüpft als Ältere dabei in eine beschützende Rolle. Ihre Bindung zueinander wächst, doch mit zunehmendem Alter gehen die Interessen der Mädchen immer weiter auseinander. Während Lark sehr gute Noten in der Schule erhält und einem Studium in den USA entgegenstrebt, entdeckt Robin die Musik für sich. Ihre Begabung im Klavierspiel wird entdeckt. Noch einmal finden die beiden Halt beim anderen, bis ihre Wege sich scheinbar endgültig trennen.

Alix Ohlin hat den Charakter ihrer beiden Protagonistinnen sehr gut ausformuliert. Sie lässt Lark die Geschehnisse als Erwachsene im Rückblick erzählen und schaut dabei auf die Zusammenhänge, warum ihre Lebensgeschichten sich so unterschiedlich entwickelt haben. Eine entscheidende Rolle, die die beiden Frauen geprägt hat, ist ihre Mutter, die die ihr in den 1970ern Jahren gesellschaftlich üblichen zugedachten Mutterrolle nicht akzeptiert und sich in verschiedenen Berufen ausprobiert. Aufgrund einer Reisetätigkeit ist sie später immer weniger Zuhause. Ihre mütterliche Liebe äußert sich eher ungewöhnlich mit sarkastischen und groben Antworten auf Fragen ihrer Kinder. Mit wechselnden Partnern ihrer Mutter lernen Robin und Lark umzugehen. Bindungsfähigkeit entwickeln beide auf ganz verschiedene Weise.

Während Lark durch ihren Schulfleiß auffällt und gern die stille Beobachterin bleibt, ist Robin eigenwillig, ohne scheu und findet daher schnell Freundschaften. Jedoch ist es schwierig, ihr uneingeschränktes Vertrauen zu erhalten. Einfühlsam lässt die Autorin Lark als Erzählerin ihre Gefühle beschreiben: bei der Loslösung von ihrer Familie, beim ersten Date, beim Auszug zum Studium, bei der Entdeckung ihrer Berufung und dem Eintauchen in eine neue künstlerische Welt bis hin zu einem geheimen Wunsch. Ihre Empfindungen über Entscheidungen, die Robin für sich selbst trifft, prägen Lark. Jeder Schritt war für mich durch die geschilderten Begründungen nachvollziehbar. Immer wieder überraschte mich Alix Ohlin mit neuen unvorhergesehenen Wendungen.

„Robin und Lark“ ist ein bewegender und nachhallender Roman über zwei Schwestern, die auf ihre je eigene Weise einen Weg zur Selbstverwirklichung finden. Es ist aber auch ein Roman über die Mutterrolle, dem Suchen nach wahrer Liebe und dem Wunsch nach Anerkennung für die eigene Fähigkeiten. Gerne empfehle ich das Buch weiter.