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sleepwalker

Bewertungen

Insgesamt 495 Bewertungen
Bewertung vom 02.11.2020
Ada
Berkel, Christian

Ada


ausgezeichnet

Ada ist schon Mitte 40, als sie sich wegen ihrer Schlafstörungen 1989 therapeutische Hilfe sucht. Zusammen mit ihrem Therapeuten taucht sie tief in ihr Leben ein, sucht Wurzeln und findet Antworten. So könnte man Christian Berkels neuen Roman „Ada“ sehr kurz zusammenfassen, was der Geschichte natürlich aber nicht gerecht würde. Denn in Berkels zweitem Buch nach „Der Apfelbaum“ steckt noch unglaublich viel mehr.
Ada wurde 1945, kurz vor Kriegsende geboren. Sie war zwar ein Kind der Liebe, aber ungewollt, da sich ihre Mutter Sala sich selbst nicht als Mutter vorstellen konnte. Dazu war Ada eine schwierige Geburt, sie musste mit der Zange geholt werden und dazu hatte sie einen in der Gebärmutter verstorbenen Zwilling, einen sogenannten Fetus papyraceus. Als Ada zwei Jahre alt war, zog ihre Mutter mit ihr nach Argentinien, da sie für sich als Halbjüdin in Deutschland keine Zukunft sah, als Ada knapp neun Jahre alt war, kehrten sie zurück. Schon in Argentinien hatte Ada das Gefühl, nicht dazu zu passen, was nach der Rückkehr nach Deutschland und dem danach folgenden Kulturschock noch viel schlimmer wurde. Bis in ihr Erwachsenenleben sucht Ada beständig ihre Wurzeln und ihre Identität und nicht zuletzt eine Antwort auf die Frage, wer denn eigentlich ihr Vater ist.
Vor fast zwei Jahren habe ich Christian Berkels autobiografischen Roman „Der Apfelbaum“ gelesen, jetzt hat er mit „Ada“ einen fiktiv-autobiografischen zweiten Teil nachgelegt. Sprachlich ist dieses Buch meiner Meinung nach ebenso gelungen wie der Vorgänger. Berkels Stil ist für mich aufgrund seiner gekonnten Wortwahl, seiner ausgefeilten Satzkonstruktionen und nicht zuletzt wegen seiner gelungenen Mischung aus Poesie, Nüchternheit und Bildgewalt enorm ansprechend, zumal Witz und Augenzwinkern an den richtigen Stellen nicht zu kurz kommen. Das Tempo ist zum Teil sehr hoch, weshalb es sich empfiehlt, die Geschichte langsam und gründlich zu lesen, damit erspart man sich das Zurückblättern, wenn man plötzlich den Faden verloren hat.
Inhaltlich ist das Buch mehr als eine melancholische, manchmal erschreckend düstere Identitätssuche. Es ist auch mehr als eine (fiktive) Biografie. Der Roman zeigt vielmehr kaleidoskopartig Facetten wie Erziehung und Psychologie, Politik und Zeitgeschichte, dazu Elemente aus Coming-of-Age-Romanen samt Drogenerfahrungen, Abnabelung von der Familie und Selbstfindung und die Probleme, die das Schweigen der Kriegsgeneration für die nachfolgenden Generationen mit sich brachte. Ada sitzt zwischen allen möglichen Stühlen. Nicht argentinisch, nicht deutsch, nicht jüdisch, nicht christlich, von der Mutter eher prüde erzogen – sie weiß nicht wer sie ist, was sie ist und wo sie dazugehört. In vielem ist sie (wie diejenigen, die „Der Apfelbaum“ gelesen haben, sicher bemerkt haben) ihrer Mutter ähnlicher, als sie ahnt. Hätten ihre Eltern einige Themen besprochen, statt sie „totzuschweigen“, hätte sich vermutlich einiges für Ada anders entwickelt, nicht zuletzt sie selbst.
Berkel schreibt als Mann aus Sichtweise einer Frau, was ihm selbst bei Themen wie Menstruation, Abtreibung und Fehlgeburt hervorragend gelingt. Sein alter Ego im Buch ist wohl Sputnik, Adas eher anonymbleibende kleine Bruder. Der wurde, genauso wie der Autor, 1957 geboren. Allerdings hat Berkel keine große Schwester, wohl aber einen großen Bruder. Dadurch ist „Ada“ sowohl biografisch als auch fiktiv, eine gekonnte Mischung aus tatsächlicher Familiengeschichte, Zeitgeschichte und Fiktion.
Für mich bleibt es allerdings etwas hinter „Der Apfelbaum“ zurück, was es aber nicht zu einem schlechten Buch macht. Mir sind nur manche Abschnitte zu langatmig, andere aber zu kurz beschrieben. Da gewichtet der Autor anders, als ich es mir gewünscht hätte. Aber trotzdem freue ich mich jetzt schon auf den dritten Teil, der wohl schon in Arbeit ist und vergebe aufgrund der hervorragenden Sprache und der zum Großteil ebenso hervorragend erzählten Geschichte und als Dank für einige Stunden Lesegenuss 5 St

Bewertung vom 29.10.2020
Berlin - Anfänge einer Großstadt (eBook, ePUB)
Ostwald, Hans

Berlin - Anfänge einer Großstadt (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Hans Ostwalds Berlin-Chronik aus den Jahren 1904 bis 1908 bestand ursprünglich aus 50 Bänden, die nicht nur von ihm selbst, sondern von namhaften Journalisten verfasst wurden. Thomas Böhm hat mit seinem Buch „Berlin-Anfänge einer Großstadt“ eine Art Zusammenfassung dieser Chroniken herausgegeben, eine eingedampfte Version, sozusagen eine Essenz des Ganzen.
Da Buch beinhaltet detailreiche Beschreibungen des Berlins zwischen Jahrhundertwende und den „Wilden Zwanzigerjahren“ und diese Beschreibungen lassen nichts aus. Randgruppen der Gesellschaft, Homosexuelle, Bordelle, Verbrechen und die Wohnungsnot sind nur wenige Beispiele der Themen, die, teils sogar bebildert, ihren Platz in dem Buch finden. Und manche der Themen sind heute genauso aktuell wie damals, wie etwa die Kriminalität, bezahlbarer Wohnraum und Wohnungsnot. Zwar sind die Zustände heute nicht ganz so drastisch, damals wohnten in manchen Wohnungen bis zu zehn Personen, aber Parallelen sind nicht von der Hand zu weisen.
Ostwalds Ziel war es, „Das Wesen der Großstadt Berlin im Kontrast zu anderen Großstädten herauszuarbeiten“, viele seiner Beschreibungen waren aber alles andere als werbewirksam, manche wirken sicher sogar eher abschreckend. Ich kenne Berlin nur aus den Erzählungen meiner Großeltern (Jahrgang 1902 und 1913), diese stammten aber aus den Nachkriegsjahren. Zeitzeugen der Jahre, aus denen Ostwalds Chroniken stammen, gibt es nicht mehr, daher sind authentische Berichte nur noch nachzulesen. Das macht dieses Buch nicht nur interessant, sondern auch wichtig. Noch dazu fand ich es trotz des Alters der Texte sehr gut und flüssig zu lesen, teils erschreckend, manchmal aber launig – immer aber informativ. Für alle, die sich für Berlin im Allgemeinen und für die Stadtgeschichte kurz nach der Jahrhundertwende im Besonderen interessieren, ist dieses Buch ein echtes Muss. Das „Sahnehäubchen“ für mich waren neben den tollen Texten aber die zahlreichen Bilder, die das Buch gekonnt abrunden. Für den Ausflug nach Berlin – geografisch und historisch, von mir 5 Sterne.

Bewertung vom 29.10.2020
Der steinerne Engel
Laurence, Margaret

Der steinerne Engel


ausgezeichnet

Hagar Shipley, die Hauptfigur von Margaret Laurences Roman „Der steinerne Engel“ ist 90 Jahre alt, lebt seit fast 20 Jahren mit ihrem Sohn Marvin und der Schwiegertochter Doris in ihrem eigenen Haus in der (fiktiven aber durchaus realistischen) kanadischen Provinz. Aber die Zeit bleibt nicht stehen. Die Enkelkinder sind aus dem Haus, ihr Sohn ist schon Mitte 60 und, obwohl Hagar es nicht so sieht – sie selbst wird auch nicht jünger. Zu den Zipperlein, die das Alter so mit sich bringt (sie ist nachts inkontinent, zunehmend vergesslich und nicht mehr so sicher auf den Füßen), kommt, dass auch ihr Sohn und die Schwiegertochter nicht mehr so belastbar sind, wie sie es einmal waren. Die Lösung für sie ist: Hagar soll in ein Seniorenheim ziehen. Doch die widerborstige Dame sieht das selbstverständlich anders.
Hagar nimmt den Leser in ihrem inneren Monolog mit auf eine Reise durch 90 Jahre Leben. So besteht dieses Buch aus zwei Handlungssträngen: der Vergangenheit und dem Jetzt und Hier. Beginnend mit der Zeit um ihre Einschulung, erfährt der Leser durch ihre Gedanken sehr viel über sie: ihre mutterlose Kindheit und Jugend (ihre Mutter starb bei ihrer Geburt) mit einem strengen Vater, der als Geschäftsmann erfolgreich war und ihr zwar eine höhere Bildung zuteilwerden ließ, sie dann aber davon abhielt Lehrerin zu werden. Daher stürzte sie sich mehr aus Rache in eine unglückliche Ehe, aus der zwei Söhne hervorgingen.
Das Buch ist nicht nur die Geschichte von Hagar als unbequeme, sture und dickköpfige Frau. Es ist unter anderem auch eine Geschichte über Emanzipation und Generationenkonflikt und den klischeehaften Kampf zwischen Schwiegermutter und –tochter. Und eine Geschichte übers Älter- und Altwerden, den Verlust von Selbstständigkeit und Körperfunktionen. Eine lustige, traurige, manchmal spannende, in der Hauptsache aber nachdenklichmachende Geschichte, die einen packt, fesselt und lange nicht mehr loslässt. Denn, so schwierig der Inhalt manchmal zu verdauen ist, die Sprache ist einfach und alltagsnah, der Textfluss gefällig und gut zu lesen. Für mich ist das Buch eine runde Sache und eine klare Lese-Empfehlung. 5 Sterne.

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Bewertung vom 26.10.2020
Verschollen in Palma
Kallentoft, Mons

Verschollen in Palma


schlecht

Emme, die 16jährige Tochter von Tim und Rebecka ist auf einer Partyreise nach Mallorca verschwunden. Tim gibt seinen Beruf, seine Ehe und sein Leben in Schweden auf und macht sich auf der Insel auf die Suche. Zum Zeitpunkt, an dem die Geschichte des Buchs „Verschollen in Palma“ von Mons Kallentoft spielt, ist Emme seit drei Jahren vermisst – ihr Vater schwankt gedanklich und gefühlsmäßig seither zwischen „sie ist tot“ und „ich muss sie finden“ hin und her. So ist das Buch eine Mischung aus einem Krimi und einem Psychogramm, denn neben ein bisschen Spannung bekommt der Leser einen tiefen Einblick in die Gefühlswelt verwaister Eltern.
Das Buch hätte wirklich gut, unterhaltsam und spannend werden können. Wurde es aber für mich leider nicht. Vielmehr las es sich für mich zäh, abgehackt und über große Strecken langweilig und schlicht unrund. Die Sprache fand ich gewöhnungsbedürftig, die Übersetzung manchmal holprig (kaum ein Leser weiß vermutlich, dass eine „Peitschenhiebverletzung“ ein Schleudertrauma ist) und insgesamt fand ich den Stil einfach nur anstrengend und nicht wirklich ansprechend.
Potenzial hätte die Geschichte sehr viel gehabt, so aber habe ich mich über viele Seiten durchgehangelt, nicht einmal die Charaktere konnten mich begeistern, sie fand ich teilweise blass und oberflächlich beschrieben oder schlicht unsympathisch. Die wohl geplante Serie um die Hauptfigur Tim Blanck werde ich wohl nicht lesen. Für die gute, wenn auch nicht neue, Idee und die enttäuschend schwache Umsetzung von mir 1 Stern.

Bewertung vom 26.10.2020
Die Wahnsinnige
Hennig von Lange, Alexa

Die Wahnsinnige


ausgezeichnet

Mehr als ein halbes Jahrtausend ist die Geschichte von Johanna I. von Kastilien, genannt „Johanna die Wahnsinnige“ schon alt, die Alexa Hennig von Lange im gleichnamigen Buch erzählt. Aber das Buch ist keine Biografie der „Königin von Kastilien und León und der westindischen Inseln und des Festlandes am Ozean“ sondern vielmehr eine fiktive Erzählung aus einem kleinen Teil des langen Lebens der Regentin. Und ich fand die Geschichte trotz ihres Alters immer noch aktuell und konnte mich im Charakter der Hauptfigur in einigem wiederfinden.
„Das kastilische Volk ist nun nach all deinen Wutanfällen in großer Sorge, du könntest den Irrsinn deiner Großmutter geerbt haben“, sagt Philip der Schöne, Johannas Mann zu ihr. Was aber war tatsächlich der Irrsinn, an und unter dem sie litt? War sie wahnsinnig? Die Antwort auf diese Frage gibt der Roman nicht wirklich, allerdings bot er mir viel Stoff zum Nachdenken. Bislang war Johanna I. von Kastilien oder Johanna die Wahnsinnige mir völlig unbekannt. Jetzt habe ich sie als eine starke, unbeugsame Frau kennengelernt, die ihrer Zeit weit voraus war.
Sie versuchte früh, sich zu emanzipieren, ließ sich von niemandem etwas befehlen und lehnte sehr viele der damaligen Gepflogenheiten ab. „Sie war eine Frau ohne Mann. Keine Witwe. Keine unglückliche Geliebte. Auch keine Tochter, die überhaupt erst etwas wert war, wenn sie endlich von ihrer Mutter anerkannt wurde. Sie musste aufhören, auf etwas zu hoffen, das sich in ihrem Leben niemals einstellen würde: Liebe von ihrem Mann. Anerkennung von ihrer Mutter.“ – diese Sätze charakterisieren die Frau sehr gut und zeichnen ein deutliches Bild ihres Lebens. Einerseits des Strebens danach, als Mensch wahrgenommen und anerkannt zu werden. Andererseits weiß Johanna (zumindest der Buch-Charakter) aber auch genau, dass sie eben dies durch ihre Art (sie weigert sich unter anderem zu beten und zu beichten) nicht erreichen können wird. Dieser Zwiespalt ist im Buch sehr deutlich spürbar und hat mich sehr nachdenklich gemacht. Immer wieder bekam ich das Gefühl, sie sei nicht wahnsinnig, sondern wahnsinnig wütend, wahnsinnig traurig und alles in allem verzweifelt, gefangen zwischen einem Mann, den sie liebt (der sie aber immer wieder betrügt), den Kindern, die sie liebt (denen sie es aber nicht immer zeigen kann) und der Mutter, von der sie selbst immer nur geliebt, aber auch geachtet und geschätzt werden möchte.
Johanna erreichte einen Teil ihrer Ziele nur dadurch, dass sie ihre Ideale aufgab, also nicht die Welt veränderte, sondern sich selbst. Sie lebte viele Jahre nicht nur in einer Art inneren Gefangenschaft, sondern auch physisch eingekerkert. Dadurch ist das Buch weder eine Biografie noch ein historischer Roman, sondern eine sensible Betrachtung einer interessanten Frau, die aus den falschen Gründen in die Geschichte eingegangen ist – sie war nicht wahnsinnig, wenn auch vermutlich psychisch nicht ganz gesund. Die Buch-Figur Johanna und ihre Vorstellungen vom Leben passten einfach nicht in die Zeit, in der sie lebte. Für mich, ganz unabhängig von historischer Richtigkeit, ein starkes Buch, sprachlich gut und flüssig zu lesen, 5 Sterne.

Bewertung vom 26.10.2020
Markus Kavka über Depeche Mode / KiWi Musikbibliothek Bd.9
Kavka, Markus

Markus Kavka über Depeche Mode / KiWi Musikbibliothek Bd.9


sehr gut

Nachdem ich schon mehrere Bücher aus der KiWi Musikbibliothek gelesen habe, habe ich mich sehr auf und über dieses Buch gefreut. Allerdings lässt es mich etwas zwiegespalten zurück. Natürlich sollen die Autoren (in diesem Fall Markus Kavka) ihre persönliche Bindung zu den Musikern/der Band beschreiben. Das gelingt ihm in diesem Fall meiner Meinung nach aber nur so semi-gut.
Für mich ist es zwar sehr interessant, mehr über Depeche Mode, vor allem über Kavkas Liebling Martin Gore, zu erfahren, aber alles in allem war es für mich ein Hauch zu viel Kavka und viel zu wenig Depeche Mode.
Dennoch: es war gut geschrieben, flüssig zu lesen, ich habe hinterher meine alten Depeche Mode CDs (ja, so alt bin ich) rausgekramt und durchgehört – für mich also eine lohnende Lektüre und dafür vergebe ich 4 Sterne.

Bewertung vom 26.10.2020
Antonia Baum über Eminem / KiWi Musikbibliothek Bd.8
Baum, Antonia

Antonia Baum über Eminem / KiWi Musikbibliothek Bd.8


sehr gut

Antonia Baum verbindet mit Eminem zugegebenerweise mehr als mich, denn seine Musik ist nicht ganz mein Fall – seine Persönlichkeit interessiert mich da schon eher. Deshalb habe ich mich auch sehr auf die Lektüre des Buchs „Antonia Baum über Eminem“ aus der KiWi Musikbibliothek gefreut. Allerdings muss ich sagen, dass sie es nicht geschafft hat, mir die Musik wirklich näherzubringen.
Was aber auf keinen Fall heißt, dass es ein schlechtes Buch ist, denn die innere Verbundenheit der Autorin mit Musik und Künstler war spürbar und durchaus interessant. Stilistisch liest sich das Buch für mich teilweise, als könnte es aus Eminems Feder stammen. Für Eminem-Fans ist das (leider wie alle Bücher der Reihe sehr kurze) Buch sicherlich Pflichtlektüre, für die, die es werden wollen, gibt es vermutlich bessere. Schließlich ist das Buch keine Biografie, soll und will es ja auch nicht sein.
Aber alles in allem fand ich das Buch sehr gut gelungen, interessant und gut und flüssig zu lesen. Die Interpretationen von Eminems Texten und deren Aussagen sind sehr individuell und schlüssig und haben mir zum Teil eine neue Sichtweise eröffnet. Von mir daher vier Sterne.

Bewertung vom 26.10.2020
Geburtstagskind / Ewert Grens ermittelt Bd.6
Roslund, Anders

Geburtstagskind / Ewert Grens ermittelt Bd.6


sehr gut

Spannend, vor allem der Anfang und der Schluss – zwischendrin ein paar Längen. Ich mag Krimis und ich liebe Skandinavien – also wähnte ich mich mit „Geburtstagskind” von Anders Roslund auf der sicheren Seite. Und ich wurde nicht enttäuscht. Das Buch ist ein vielschichtiger Krimi, V-Männer, Waffenhandel und Hinrichtungen sind nur einige der Themen, die darin vorkommen. Wirklich viel möchte ich zum Inhalt gar nicht sagen, da wäre vermutlich jedes Wort zu viel und jeder Satz ein Spoiler. Auf jeden Fall ist eines klar: das Buch ist voller Geheimnisse. Geheimnisse um einen 17 Jahre alten Mehrfachmord, den nur ein fünfjähriges Mädchen überlebte (damals das „Geburtstagskind“), einen Einbruch (scheinbar) ohne Beute, weitere Morde und natürlich das größte Geheimnis überhaupt: wie hängt das alles zusammen? Fast auf der allerletzten Seite findet alles in einem überraschenden aber sehr stimmigen Schluss seine Auflösung. Ich fand das Buch am Anfang unglaublich gut und packend, in der Mitte etwas schwächer und dann gegen Ende, als die Kapitel rasant mit einem Countdown über 72 Stunden überschrieben sind, wiederenorm spannend. Die Charaktere hervorragend ausgearbeitet und klar und gut beschrieben. Leider fehlten mir zu Kommissar Ewert Grens ein paar Hintergrund-Informationen, vor allem bezüglich seines Privatlebens, was vermutlich im ersten Teil der Reihe erklärt wird, den ich aber nicht kenne. Allerdings kann man das Buch problemlos auch ohne Vorkenntnisse verstehen und das tat meiner Lese-Freude wenig Abbruch. Weniger gut fand ich die Übersetzung, die nahm mir zum Teil wirklich den Spaß am Lesen und sie wird der tatsächlichen Qualität des Buchs leider auch nicht gerecht (ich habe dasselbe Buch auch in der dänischen Übersetzung gelesen, die ich an manchen Stellen wesentlich treffender fand). Für mich war es dennoch ein sehr gutes und spannendes Buch und ich vergebe daher 4 Sterne.

Bewertung vom 07.10.2020
Seelen unter dem Eis
Korten, Astrid

Seelen unter dem Eis


ausgezeichnet

„Mein größter Traum ist … dass ich nie zufrieden sein werde“ – diese Aussage kennzeichnet das Leben von Tom Döbbe, dem 40jährigen Hauptcharakter in Astrid Kortens neuem Werk „Seelen unter dem Eis“. Und jetzt sitzt er im Todestrakt, wartet auf seine Hinrichtung in einer Woche, sinniert auf Anraten eines Gefängniswärters über sein Leben nach. Er bringt seine Gedanken für die Nachwelt zu Papier, „denn Geheimnisse gedeihen nicht in der kalten schwarzen Erde.“. Tom war früher der Chef einer großen und erfolgreichen Werbeagentur und Dozent für kreatives Schreiben. Jetzt ist er nur noch eines: ein Mörder. Denn seine Geliebte Amal ist tot, nach seiner Hinrichtung wird seine Frau Helen sein nicht unbeträchtliches Vermögen erben – und er hat alles verloren, sogar sein Leben. Wie es dazu kam, zeichnet er in der Todeszelle auf.
„Seelen unter dem Eis“ ist das dritte Buch von Astrid Korten, das ich gelesen habe und unterscheidet sich von ihren anderen völlig (die anderen beiden Bücher waren reine Krimis). Zwar ist überall in diesem Buch eine unterschwellige Grundspannung vorhanden, vor allem ist es aber ein unglaublich tiefes Psychogramm, die Geschichte über den Absturz eines erfolgreichen und zielstrebigen Menschen, von einem, der gerne manipuliert und die Fäden in der Hand hat. Und dann gerät er mit seiner Studentin Amal an jemanden, der ein noch besserer Puppenspieler und Manipulator ist, als er selbst. Astrid Korten schafft eine gekonnte Mischung aus dem tatsächlichen Lebenslauf ihres Hauptcharakters, seinen Gedanken und den Geschehnissen, die dann zum Tod seiner Geliebten führten. Ein Buch voller Emotion und Manipulation, das mich nachhaltig bewegt hat.
Ein Abschnitt gegen Ende verwirrte mich allerdings. „Ich betrat Wilsons Zimmer und ging zu seinem Schreibtisch. Auf der rechten Seite lag der Holzkompass, mit dem er Zirkel auf die Tafel zeichnete.“ – wie man mit einem Kompass überhaupt etwas zeichnen kann, noch dazu Zirkel, weiß ich nicht. Später schreibt die Autorin mal was über Zirkel, mal über Kompass. Da ist meiner Meinung nach wohl etwas schiefgelaufen. Aber das ist die einzige Stelle, über die ich in dem ganzen Buch gestolpert bin.
In diesem Zusammenhang darf natürlich auch der allgemeine Aspekt der Todesstrafe nicht fehlen, so schreibt die Autorin über Hinrichtungen, speziell die durch die Todesspritze, den Sinn der Todesstrafe und selbstverständlich den ethischen Aspekt. Bis auf den oben genannten für mich völlig konfusen Abschnitt ist das Buch hervorragend geschrieben und wäre, wenn das Thema an sich nicht so schwere Kost wäre, sehr leicht und flüssig zu lesen. So aber musste ich es manchmal aus der Hand legen und tief durchatmen. Ein starkes und gutes Buch über ein schwieriges und großes Thema, von mir eine absolute Lese-Empfehlung und 5 Sterne.

Bewertung vom 04.10.2020
Helle und der falsche Prophet / Kommissarin Helle Jespers Bd.3
Arendt, Judith

Helle und der falsche Prophet / Kommissarin Helle Jespers Bd.3


sehr gut

Mit „Helle und der falsche Prophet“ hat Autorin Judith Arendt einen soliden Krimi abgeliefert. Obwohl es schon der dritte Teil um Kommissarin Helle Jespers von der Polizeistelle Skagen ist, konnte ich der Handlung problemlos folgen, Vorkenntnisse braucht man praktisch keine, und wenn doch, bringt einen die Autorin auf den Stand der Dinge. Die Handlung ist vielschichtig, daher möchte ich darauf nur wenig eingehen. Da ist auf der einen Seite Helle. Sie und ihr Mann Bengt leiden etwas am „Empty nest syndrome“ – die Kinder sind aus dem Haus und der Hund ist alt und hinfällig. Auf der anderen Seite sind da Nick und Jemi, die auf der Flucht sind. Unterwegs nehmen die beiden die Tramperin Merle mit. Und dann überschlagen sich die Dinge: Merle wird tot aufgefunden. Und über allem schwebt Hiob, der Chef einer obskuren Sekte.
Erst einmal vorneweg: ich fand das Buch spannend. Abgesehen von ein paar Fehlern (die Jyllands-Posten schreibt sich mit Bindestrich) und sprachlichen „Unebenheiten“ fand ich es auch sehr flüssig zu lesen („Im Waschraum öffnete er den Kaltwasserhahn und ließ sich das eiskalte Wasser über die Pulsadern laufen, so lange, bis das Schwindelgefühl und die Übelkeit einigermaßen verschwunden waren.“ Er ließ sich das Wasser höchstens über die Unterarme laufen, die Pulsadern liegen tiefer unter der Haut.). Der Spannungsbogen war sehr konstant. Nicht übermäßig hoch, ein handfester, bodenständiger Krimi eben. Ein Bisschen wie eine Fahrt auf einer Dänischen Autobahn mit Tempolimit. Die Charaktere waren sehr gut ausgearbeitet, jeden stattet die Autorin mit einer Besonderheit aus. Allerdings konnte die Hauptfigur bei mir nicht wirklich punkten, ich fand Helle nicht sehr sympathisch und ihren Umgang mit anderen oft anstrengend und taktlos. Ihr Privates nimmt für meinen Geschmack auch ein bisschen viel Raum in dem Buch ein, zumal es nicht wirklich etwas zum Krimigeschehen beiträgt.
Schade fand ich auch, dass es sehr wenig Dänemarktypisches gab, höchstens die gängigen Klischees. Ja, jeder duzt jeden (dabei gibt es auch im Dänischen eine formelle Ansprache und nicht nur das „du“), die Handlung spielt an bekannten Dänischen Orten wie Skagen oder Kopenhagen – aber so grundsätzlich hätte das Buch fast überall auf der Welt spielen können. Die Geschichte an sich ist ganz sicher nicht neu und folgt dem bewährten Krimi-Rezept: Sekten von der Art der „Heiligen Flamme“ samt „Guru“ plus Liebesgeschichte, plus Leiche, plus Flucht, plus Ermittler mit eigenen Problemen gleich spannend. Der Schluss war stimmig und hat mich teilweise überrascht. Das Buch ist keine große Literatur aber gute Unterhaltung für Urlaub oder Feierabend mit nicht 100% ausgeschöpftem Potenzial und Luft nach oben. Von mir aber trotzdem 4 Sterne.