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Volker M.

Bewertungen

Insgesamt 374 Bewertungen
Bewertung vom 16.09.2022
Paradise Sands
Pinfold, Levi

Paradise Sands


ausgezeichnet

*** Dieses Buch wurde mir kostenfrei vom Verlag zur Verfügung gestellt. ***

Paradise Sands ist eine Geschichte, die Kinder genauso wie Erwachsene fasziniert. Es ist ein klassisches Märchen, versetzt in unsere Zeit, eindrucksvoll illustriert und mit einem unerwarteten Twist am Ende:
Ein junges Mädchen und ihre Geschwister geraten in die Fänge eines Zauberers, der sie in einem surrealen Tierreich festhält. Nur durch Selbstbeherrschung und Ausdauer kann das Mädchen den Fluch lösen, was ihr schließlich gelingt. Aber sie muss trotzdem einen Preis zahlen.

Levi Pinfolds liebevoll detaillierte und handwerklich überzeugende Illustrationen machen zahlreiche Anspielungen auf Ikonen der Kunstgeschichte, die zu entdecken die Erwachsenen herausfordert: Arnold Böcklins „Toteninsel“, da Vincis „Abendmahl“, Symbolismus, Surrealismus, es finden sich überall Anklänge.

Die Geschichte mag kurz sein, aber sie ist originell und künstlerisch sowohl leicht zugänglich als auch anspruchsvoll, je nachdem, mit welchen Augen man sie sieht und wie tief man eindringen möchte.

Bewertung vom 16.09.2022
Bauzeichnung und Rekonstruktion
Vignau-Wilberg, Peter;Vignau-Wilberg, Thea

Bauzeichnung und Rekonstruktion


gut

Der Bauzeichner, Architekt und Bauforscher Wilhelm Wilberg wurde bekannt durch die zeichnerische Rekonstruktion der Fassade der Celsius-Bibliothek in Ephesos. Erhaltene Briefe und Tagebücher haben seinen Nachfahren Peter Vignau-Wilberg veranlasst, eine Biografie zu verfassen, mit dem Ziel, Wilberg einen angemessenen Platz in der Archäologiegeschichte zu verschaffen.

Dies wird nur in Ansätzen erreicht. Die Biografie erschöpft sich weitgehend darin, Personen vorzustellen, denen Wilhelm Wilberg begegnet ist bzw. für die er gearbeitet hat. Ein Entwurf für eine Wandzeichnung für das Achilleion auf Korfu, den Wilberg für den Architekten der österreichischen Kaiserin schuf, führt beispielsweise zu einem ganzen Kapitel über Kaiserin Sisi, Kaiser Wilhelm (den Wilberg zumindest einmal getroffen hat) und die Nutzungsgeschichte des Achilleions. Nichts davon hat einen direkten Bezug zu Wilberg, füllt aber das sowieso schon sehr schmale Bändchen um weitere 11 Seiten.

Im Gegensatz zu seinen privaten Kontakten, Reisen, Ausflügen und Korrespondenzen bleiben die archäologisch-fachlichen Beiträge Wilbergs seltsam vage und unbestimmt. Die kurze Bibliografie im Anhang zeigt ein sehr übersichtliches Oeuvre; Wilberg war zwar an mehreren Ausgrabungen beteiligt, arbeitete mit berühmten Archäologen (Dörpfeld, Reisch, Schliemann), aber er scheint dort in eher untergeordneten Positionen tätig gewesen zu sein. Seine sichtbarste Position war die des ersten Sekretärs des Österreichischen Archäologischen Instituts, Nebenstelle Athen, die er bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs innehatte. Aber auch hier scheint er eher tüchtiger Verwalter denn Forscher gewesen zu sein. Nach dem Ersten Weltkrieg verliert der aus großbürgerlichem Hause stammende Wilberg durch eine Fehlinvestition seiner Frau sein gesamtes Vermögen und verbringt die Jahre bis zu seinem Tod 1956 ohne Anstellung und in finanzieller Not, ohne je wieder in nennenswertem Umfang wissenschaftlich tätig zu werden.

Die Biografie versucht die relative Bedeutungslosigkeit Wilbergs, der außer der Rekonstruktion der Celisus-Fassade keine signifikanten Spuren hinterließ, durch manchmal etwas ausufernde Beschreibungen von Begleitpersonen und deren Privatgeschichte, gesellschaftliche Kontakte und private Korrespondenzen zu füllen. Im Rahmen einer internen Familiengeschichte über einen lieben Vorfahren ist das ein gerechtfertigtes Vorgehen, der Klappentext des Buches vermittelt allerdings den Eindruck, hier würde eine historisch-wissenschaftliche Aufarbeitung eines bedeutenden wissenschaftlichen Konvoluts geleistet. Zumindest diese Biografie lässt davon jedoch nichts erkennen.

Bewertung vom 16.09.2022
Grüne fahren SUV und Joggen macht unsterblich
Bauer, Thomas;Gigerenzer, Gerd;Krämer, Walter

Grüne fahren SUV und Joggen macht unsterblich


ausgezeichnet

*** Dieses Buch wurde mir kostenfrei vom Verlag zur Verfügung gestellt. ***

Die Medien sind voll von angeblich wissenschaftlich belegten Erkenntnissen. Reißerische Überschriften wie "Smartphones machen dumm" oder "Wer häufig googelt, riskiert seine Intelligenz" lassen die Frage offen, welche Studien diesen Aussagen zugrundeliegen und ob die plakative Verdichtung überhaupt stimmt. Das Autorenteam Thomas Bauer, Gerd Gigerenzer, Walter Krämer und Katharina Schüller entlarvt statistische Denkfehler, die aus Dummheit oder mit bewusster Absicht zu Fehlinterpretationen führen.

Zunächst stellen sie die Grundprinzipien statistischen Arbeitens vor, die schon einen großen Teil dieser Fehldeutungen erklären. Anhand von Beispielen untersuchen sie unklare oder falsch referenzierte Prozentangaben oder erklären den Zusammenhang zwischen Korrelation und Kausalität (In Afrika gibt es viele Störche und viele Kinder, also bringt der Storch die Kinder). Es sind auch hochaktuelle Fälle darunter, wie z. B. ob Mund-Nasen-Masken wirklich vor Corona schützen.

Beim Lesen habe ich mich häufiger an die eigene Nase fassen müssen. Kennt man die Grundprinzipien, die die Autoren in den nachfolgenden Kapiteln noch intensiver betrachten, bekommt man schnell ein Gefühl dafür, ob eine Aussage oder Statistik stimmig ist oder nicht. Statistiken sind fast nie neutral, sondern das Ergebnis von Entscheidungen und Absichten: Welche Daten will man darstellen und wie? Grafiken sind heute mit digitaler Hilfe schnell zusammengebastelt, ob sie die Wahrheit abbilden, ist eine zweite Frage.

Gigerenzer und Mitautoren gehen bei ihren Beispielen immer wieder auf die besondere Problematik der Corona-Pandemie ein. Bei aller Kritik scheuen sie sich aber den eigentlichen Verursacher der miserablen Datenqualität zu benennen: Die DSGVO, die den Datenschutz über den Gesundheitsschutz stellt. Übrigens hat sich daran nichts geändert. Deutschland ist das einzige Land in Europa, das durch die rigorose Auslegung der europäischen DGSVO faktisch gelähmt ist. In anderen Ländern herrscht diesbezüglich Pragmatismus, bei uns leider Fanatismus. Die Aussagefähigkeit von Statistiken ist aber immer nur so gut, wie die erhobenen Daten es zulassen.
Von politischen Aussagen mit angeblich statistisch unterfütterten Daten, z. B. zum Nutzen der Migration, zur Vermögensverteilung oder der Kriminalitätsstatistik lassen die Autoren zwar die Finger, aber wer das Buch verstanden hat, der merkt sehr schnell, dass auch hier besonders oft Unstatistik betrieben wird. Es geht den Autoren aber nicht um das Anprangern einzelner Aussagen oder Studien, sondern um die Vermittlung von statistischem Verständnis zum praktischen Nutzen im Alltag.

Mangelndes statistisches Denken ist ein weit verbreitetes Bildungsproblem. Auch unter Studenten und besonders bei Ärzten ist Zahlenblindheit verbreitet, die statistischen Grundkonzepte fehlen häufig und die wissenschaftsbasierte Risikokommunikation ist mangelhaft. Es graust mir beim Gedanken daran, wie viele Untersuchungen - insb. Röntgenuntersuchungen - unnötig sind, nur weil Ärzte Studien nicht richtig lesen und deuten können.

Insgesamt ein sehr hilfreicher Ratgeber, um die eigene Zahlenblindheit zu überwinden, Statistiken zu hinterfragen und plakativen Aussagen noch mehr zu misstrauen. Vor allem, wenn politische Überzeugungen statistisch "belegt" werden sollen.

Das Buch hat mir deutlich gezeigt, dass im Sprichwort "Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast" leider viel Wahrheit steckt.

Bewertung vom 16.09.2022
Four Books in a Box
Beuys, Joseph

Four Books in a Box


ausgezeichnet

*** Dieses Buch wurde mir kostenfrei vom Verlag zur Verfügung gestellt. ***

Es muss eine ziemlich auffällige Truppe gewesen sein, die sich im Januar 1974 in Richtung USA aufmachte: Joseph Beuys mit Hut, Klaus Staeck, berüchtigter Politaktivist und Plakatkünstler, sowie der gerade einmal 24 Jahre junge Gerhard Steidl, der erst fünf Jahre zuvor seinen später weltberühmten Verlag mit Druckerei gegründet hatte. Beuys hatte die zehntägige Reise in allen Details persönlich geplant, organisiert wurde sie ebenso minutiös vom New Yorker Galeristen Ronald Feldman. Es war für alle drei Teilnehmer die erste Begegnung mit den Vereinigten Staaten, die von den Medien mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wurde. Und nicht nur von den Medien: Gerhard Steidl, der mit 16 Jahren als Fotograf sein erstes Geld verdiente, begleitete die Pressekonferenzen, Vorlesungen und spontanen Happenings mit seiner Kamera. Dabei entstand auch das ikonische Bild, in dem Beuys im wehenden Pelzmantel über einen Bürgersteig hastet, der Hintergrund von der mitgezogenen Kamera verwischt - an Dynamik kaum noch zu übertreffen. Dieses Bild liegt der Vorzugsausgabe „Joseph Beuys“ als von Steidl signierter und limitierter Tritone-Druck bei. Tritone besitzt eine unübertroffene Breite an Grautönen und erreicht gleichzeitig ein tiefes Schwarz bei selbst mit der Lupe kaum wahrnehmbarer Rasterung. Es kommt einem originalen Fotoabzug so nahe, wie nur eben möglich, ein kleines Wunder der Drucktechnik.

Insgesamt enthält die Box vier Werke über Beuys, der 2022 seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte: „Beuys in America“ ist eine aktualisierte Ausgabe seines letzten persönlich kuratierten Buchs, das postum 1987 erschien und die fotografische Essenz der USA Reise darstellt. „Honey is flowing in all directions“ dokumentiert Beuys‘ gleichnamige Installation auf der documenta6 in Kassel (1977), ein monumentales Projekt, das den Künstler fast in den Ruin (und den Wahnsinn) trieb. Ebenfalls auf der documenta6 entstanden ist der „Periphery Workshop“, ein Ableger der „Free International University“, die Beuys 1973 als Reaktion auf seinen spektakulären Rauswurf an der Kunstakademie in Düsseldorf gründete. Beuys sah den freien Zugang aller sozialen Schichten zur Kunst eingeschränkt und hatte daher sämtliche Bewerber für seine Akademieklasse zugelassen, was zum Konflikt mit der Landesregierung führte. In der Free International University öffnete Beuys dann seine Vorlesungen in Kassel (wie übrigens auch schon in den USA) für jedermann. Die Kreidetafeln, die er damals beschrieb, wischte er anschließend wieder aus und so sind Gerhard Steidls Fotos tatsächlich die letzten Zeugen dieser politischen Performance.
„Das Wirtschaftswertprinzip“, der vierte Band im Konvolut, ist wiederum eine Installation oder eher ein Projekt, das seinen Ursprung in den Vorlesungen der Free University hat. Erstmals ausgestellt wurden die Wirtschaftswerte 1980. Die Neuauflage des Buchs mit den Fotos von Gerhard Steidl und dem äußerst präzise formulierten Beitrag zu Beuys‘ Kunsttheorie durch Jan Hoet und Bart De Baere, zeigt sowohl die einzelnen Elemente der „Wirtschaftswerte“ als auch den Vorgang der Installation im Museum Gent.

Da Beuys nie das physische Objekt in den Fokus stellte, sondern Kunst als Ausfluss politischer Ideen begriff, die er durch Performance bzw. die Auswahl vergänglicher Materialien auch zeitlich begrenzte, kommt das Foto Beuys‘ Ansatz wahrscheinlich näher als jeder Text und erst Recht als jedes Objekt. Es dokumentiert einen zeitlichen Ablauf, den ein Kunst“werk“ nicht mehr darstellen kann. Insofern gibt es zwei Bindeglieder für die vier im Schuber versammelten Bücher: Das sind zum einen die Personen Joseph Beuys, Klaus Staeck und Gerhard Steidl, die zeitlebens eng verbunden waren. Steidl sieht Beuys heute noch als seinen Ziehvater, mit Staeck macht er immer noch zusammen Bücher. Zum anderen ist es das Medium Fotografie, die Beuys‘ impulsive Lebendigkeit noch einmal erweckt und gleichzeitig den

Bewertung vom 16.09.2022
Oliver Jordan

Oliver Jordan


ausgezeichnet

*** Dieses Buch wurde mir kostenfrei vom Verlag zur Verfügung gestellt. ***

Der mit etwas Verspätung erschienene zweite Band der Oliver Jordan Monografie widmet sich dem Hauptkomplex, den Musikerportraits. Die Werke des in Köln und der Bretagne arbeitenden Künstlers sind absolut unverwechselbar, mit dickem, pastosem Farbauftrag, der wie mit einem Messer durchschnitten scheint, dabei die unterliegenden Farbschichten freilegt und schlierenartig vermischt. Die Gesichter werden dadurch keineswegs verunstaltet, sondern gewinnen durch die teilweise Auflösung von Konturen im eigentlichen Sinn „Vielschichtigkeit“. So, wie man durch eine beschlagene Fensterscheibe immer noch die Person dahinter erkennt, aber sie neu zu interpretieren lernt. Der erste Band erschien unter erschwerten Bedingungen in der ersten Corona-Welle, der zweite jetzt während des russischen Angriffskrieges in Europa – man darf sich für den geplanten dritten Band endlich wieder friedlichere Zeiten wünschen, auch wenn dafür leider nicht viel Hoffnung besteht. Der Herausgeber Ralf-Peter Seippel ist gleichzeitig Jordans bevorzugter Galerist und selber Sammler, hat also einen langjährigen Bezug zum Künstler, dem er im Interview biografische und kunsttheoretische Details entlockt. Zum Vorschein kommt ein freier Geist, der sich aber mit der kunstgeschichtlichen Vergangenheit direkter und persönlicher befasst, als das in der zeitgenössischen Kunst gegenwärtig die Regel ist. Und das nicht nur aus der handwerklichen Perspektive. Seine Motive sind das Who is Who der Musikwelt aller Zeiten und Genres: Jimi Hendrix, Neil Young, Bob Dylan, Mozart, Leonard Bernstein, Miles Davis, Iggy Pop u.v.m.. Oft sind es ikonische Gemälde, Selbstbildnisse, Fotos, die Oliver Jordan verfremdet, aber auf eine unmittelbar wiedererkennbare Art. Auf den Detailaufnahmen im Buch sieht man deutlich, wie die Farben ineinandergreifen und mit welcher Geschicklichkeit die Schichten aufgebaut sind. Mit dem mechanischen Wegkratzen und Modellieren mit dem Spachtel darf das Gemälde nicht unlesbar werden. Seit Mitte der Achtziger perfektioniert Jordan diesen Stil, nicht nur bei Portraits, sondern auch in der (Industrie)landschaftsmalerei. Egal, was er sich zum Thema nimmt, seine Handschrift bleibt stets unverwechselbar. Die Texte zeigen, was Oliver Jordan antreibt, sowohl mit seinen eigenen Worten als auch aus dem Mund von Wegbegleiter, Freunden und Familie. Symbolisch bringt das Aufreißen der Farboberfläche den Menschen hinter der Fassade zum Vorschein, und gerade deshalb nutzt Jordan auch allgemein bekannte „Ikonen“, um uns zum Nachdenken anzuregen, ob das, was wir sehen, dem dargestellten Menschen gerecht wird. In Zeiten des multimedialen Starkults ist die Frage genauso berechtigt wie bei Personen der historischen Vergangenheit.

Bewertung vom 16.09.2022
Sempre Italia
Mayes, Frances

Sempre Italia


ausgezeichnet

*** Dieses Buch wurde mir kostenfrei vom Verlag zur Verfügung gestellt. ***

Italien ist so vielfältig wie kaum ein anderes Land in Europa. Geprägt von vielen Kulturen, mit einer langen Geschichte, prachtvoll erhaltenen Altstädten und bunten Kulturangeboten gehört es zu meinen absoluten Lieblingszielen. Ein Land, das nie langweilig wird.

„Sempre Italia“ ist eine Mischung aus Kultur-Reiseführer, Bildband und kulinarischem Ratgeber, mit zahlreichen Empfehlungen zu Restaurants, Weingütern und Agrarbetrieben, aber auch außergewöhnlichen Unterkünften. Anders als in den üblichen Reisehandbüchern findet man hier allerdings keine detaillierten Informationen über Preise, Adressen oder Webseiten (was diesen Büchern immer eine gewisse Verfallszeit gibt), sondern nur die Namen der jeweiligen Institution mit einer Kurzbeschreibung der Besonderheiten und manchmal auch einem Foto. Die meisten Bilder gehören aber eindeutig in die Kategorie „Appetitanreger“. Voller Atmosphäre wecken sie eigene Erinnerungen und vor allem die Reiselust, die in den vergangenen drei Jahren so schmerzlich unterdrückt wurde.

Die Kapitel untergliedern sich in die einzelnen Regionen mit ihren absoluten Highlights, aber auch mit sehr interessanten und weniger besuchten Insidertipps. Der Schwerpunkt liegt je nach Provinz auf dem kulinarischen Erlebnis oder bei Kultur, Kunst und Geschichte, so dass jeder Leser seine Präferenzen wiederfindet. Nur Partytourismus und Hochleistungssport findet keinen Widerhall, ansonsten hat dieser wunderschön illustrierte und mit viel Praxiserfahrung geschriebene Reiseführer für jeden Topf einen Deckel. Über das Register lassen sich sowohl Orte als auch Interessengebiete schnell wiederfinden.

Bewertung vom 16.09.2022
Trendradar KI
Klug, Andreas;Besier, Jörg

Trendradar KI


gut

*** Dieses Buch wurde mir kostenfrei vom Verlag zur Verfügung gestellt. ***

Die Autoren Andreas Klug und Jörg Besier haben im Frühjahr 2020 ein Schema entwickelt, um Anwendungen der Künstlichen Intelligenz nach Reifegrad zu beschreiben. Welche Systeme werden in Unternehmen eingesetzt oder fristen noch als Vision auf Powerpoint-Folien ihr Dasein? In aussagekräftigen Diagrammen bewerten sie auch das Nutzungspotential - von gering bis maßgebend.

Die Praxis der KI sieht in jeder Branche anders aus. Das Autorenteam hat im Zeitraum Juni 2021 bis März 2022 in virtuellen Roundtables mit Fachleuten ihre branchenspezifischen Trendradare entwickelt, insbesondere in den Branchen Banken und Finanzdienstleister (Marketing & Vertrieb, Kundenservice, Risikomanagement), Versicherungen (Verwaltung, Service, Schadenmanagement der Sachversicherer) und Gesundheit (Prävention, Diagnose, Screening, Therapie).
Ein Kapitel zum Trendradar Energieversorger ist zwar im Inhaltsverzeichnis aufgeführt, allerdings ist der Abschnitt leer, bis auf den Verweis auf eine (ebenfalls inhaltsleere) Webseite. Auf meine Nachfrage merkte einer der Autoren an, dass Trendradare dynamisch und nicht statisch seien, weshalb man die Inhalte nur auf der Webseite aktuell halten will, aber das gilt natürlich für jedes Thema des Buches. Für mich sieht es eher danach aus, als ob man es im Eiltempo auf den Markt wollte, was auch im Einklang mit den zahlreichen Rechtschreibfehlern und dem handgestrickten Seitenlayout stünde. Die auf dem Cover erwähnten "Digitalen Extras" gibt es bisher nicht.

Die Autoren bewerten KI als wichtigste technische Innovation des digitalen Wandels. Unternehmen müssen sich zwangsläufig früher oder später mit diesem Thema beschäftigen und es ist weniger die Frage, welche Berufsfelder die KI ablöst, sondern welche Art von Teilaufgaben durch Technisierung/KI übernommen werden. KI soll dabei als Unterstützung und weniger als Ersatz für den Menschen dienen. Auf eine kritische Auseinandersetzung des Spannungsfeldes verzichten die Autoren allerdings.

Klug und Besier erklären auch das von Kristian Hammond entwickelte „Periodensystem der KI“, wobei ich keinerlei Parallelen (außer dem Namen) zur Systematik im Periodensystem der Elemente gefunden habe und die Autoren es auch versäumen, diese vermeintliche Systematik in irgendeiner Weise mit ihrem „Trendradar“ zu verbinden.

Die Autoren schließen ihr Buch mit relativ unspezifischen Umsetzungshilfen sowie allgemein formulierten Fallstricken und häufigen Missverständnissen ab. Die Informationstiefe ist gerade so wenig ausführlich, dass man im Zweifel lieber die Dienstleistungen der Autoren in Anspruch nehmen möchte. Insgesamt fehlt mir die didaktische Linie.

Das Layout des Buches wirkt auf mich nicht überzeugend. Viele Leerzeilen und Absätze blähen die Seitenzahl künstlich auf und die Textstruktur erschließt sich dadurch erst auf den dritten Blick. Der Schreibstil pendelt zwischen bemüht locker und hölzern, es wird ein bisschen verkrampft gegendert und die schon erwähnten Rechtschreibfehler lassen ein qualifiziertes Lektorat schmerzlich vermissen. Das Buch wirkt durchgehend wie mit heißer Nadel gestrickt.

Die Trendradare sind sehr interessant und geben einen aktuellen Überblick über den Reifegrad der Technologie. Ob sie als Richtschnur für Entscheidungsträger taugen, wird angesichts der rasanten Entwicklung davon abhängen, ob die Autoren ihr Versprechen einlösen, auf ihrer Webseite aktuelle Informationen nachzuliefern.

Bewertung vom 16.09.2022
Die Wahrheit über unser Essen
Spector, Tim

Die Wahrheit über unser Essen


ausgezeichnet

*** Dieses Buch wurde mir kostenfrei vom Verlag zur Verfügung gestellt. ***

Tim Spector ist in Großbritannien eine Institution zum Thema Lebensmittel. Der Wissenschaftler und Arzt berät staatliche Gremien und ist medial ungefähr so präsent wie Karl Lauterbach bei Lanz.

„Die Wahrheit über unser Essen“ räumt auf mit teilweise tief verwurzelten Lebensmittel-Mythen, die schon seit Jahrzehnten überliefert, aber erst seit Kurzem wissenschaftlich hinterfragt werden. Macht Fett wirklich fett? Ist Kalorienzählen eine gute Diätstrategie? Sind Vitamine in Pillenform gesund? Nicht wenige Ernährungsmythen sind das Resultat penetranter Lobbyarbeit durch die Industrie, von der auch Tim Spector sich nicht reinwaschen kann. Zumindest ist ihm diese Einflussnahme mittlerweile aufgefallen und er macht rückgängig, was rückgängig zu machen ist. Leider ist die britische (und amerikanische) Administration nicht ganz so flexibel und so werden unsinnige Projekte wie die „Lebensmittelampel“ weiter vehement propagiert, obwohl deren sinnvolle Ausrichtung und Nutzen längst widerlegt sind. Ich muss nicht erwähnen, dass unsere erzieherisch und ideologisch überkompetente Bundesregierung solche Maßnahmen ebenfalls gegen alles Wissen durchpeitscht.

Der Ernährungswissenschaft, mit der ich mich selber auch schon sehr lange kritisch auseinandersetze, mangelt es, ähnlich wie bei Medizinern, vor allem an wissenschaftlicher Qualifikation, was an den ungezählten, schlecht designten und unqualifiziert ausgewerteten „Studien“ abzulesen ist, deren halbseidene Schlüsse gerne in den Medien lautstark herumposaunt werden. In vitro-Untersuchungen, die unmittelbar auf den Menschen übertragen werden, winzige Probandengruppen, deren Individualergebnisse auf die Allgemeinbevölkerung projiziert werden, Zufallsbeobachtungen in nicht dafür ausgelegtem Studiendesign, die zu Hauptbeobachtungen umgedeutet werden, statistisch unsaubere (oder ganz fehlende) Datenanalyse - die Liste könnte ich beliebig fortsetzen und genau in diese Wunden legt Tim Spector sehr wortgewaltig und pointiert seinen Finger.

Die Kapitel lesen sich flüssig und sind qualifiziert begründet. Der Normalverbraucher kann viele Überraschungen erleben, von „was die Oma schon immer falsch gemacht hat“ bis hin zu den neuesten Untaten der Europäischen Kommission und deutscher Gesundheitsminister. Europa ist allerdings nicht mehr prioritär auf dem Schirm von Tim Spector, der den Brexit bereits verinnerlicht hat. Er fokussiert lieber über den Atlantik und nimmt dafür die FDA in die Mangel, die ebenfalls am Tropf der Großindustrie hängt.

Ein echter Fauxpas ist aus meiner Sicht, dass Spector in seinem sehr ausführlichen Vorwort alle Ernährungsmythen, die er im Folgenden detailliert behandelt, schon vorwegnimmt und damit von Anfang an eine Menge Spannung abbaut. Als zusammenfassendes Nachwort hätte dieses Kapitel besser gepasst. Inhaltlich gibt es von meiner Seite keine Kritikpunkte. Solche Bücher müsste es öfter geben, dann wären wir ganz sicher alle gesünder.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.08.2022
Büchermachen mit Günter Grass
Steidl, Gerhard

Büchermachen mit Günter Grass


ausgezeichnet

Günter Grass ist als bedeutendster Schriftsteller seiner Generation nicht erst seit dem Nobelpreis 1999 im allgemeinen Bewusstsein verankert. Deutlich weniger präsent ist seine herausragende Doppelbegabung als bildender Künstler: Er hatte eine abgeschlossene Ausbildung als Steinmetz und Grafiker und seine Lübecker „Werkstatt“ bestand aus einer Raumflucht, die den unterschiedlichen Arbeitsgebieten gewidmet war: Eine Töpferei, ein Stehpult zum Schreiben, Zeichentische und sogar frische Lithographiesteine hatte er stets griffbereit. Grass war ununterbrochen kreativ, wobei Wort und Illustration im Lauf der Zeit eine zunehmend untrennbare Einheit bildeten. Bücher waren für ihn Gesamtkunstwerke, die er, seit er 1986 das erste Mal mit Gerhard Steidl zusammenarbeitete, in jedem Produktionsschritt intensiv begleitete. Steidl, einer der international renommiertesten Drucker und Verleger, schuf eine Umgebung, in der vom Seitenlayout über Typografie bis zur Materialauswahl alle Phasen der Entwicklung und Herstellung eines Buches verfügbar waren, was Günter Grass offenbar sehr schätzte. 1993 wechselte er vom Luchterhand Verlag nach Göttingen zum Steidl Verlag, wo seitdem auch die Weltrechte liegen.

„Büchermachen mit Günter Grass“ ist in erster Linie der illustrierte bibliografische Katalog der bei Steidl erschienenen Werke, aber gleichzeitig auch ein Überblick über den Schaffensprozess, mit dem die beiden Perfektionisten Bücher konzipierten und realisierten. Angefangen bei den Blindbänden, die Steidl regelmäßig zur Verfügung stellte und in denen Grass die handschriftliche Erstfassung seiner Texte und Skizzen festhielt, bis hin zur Umschlaggestaltung. Dokumentiert sind sämtliche Titelbild-Varianten mit ihren jeweiligen Ersterscheinungsdaten, exemplarische Innenseiten, Material- und Ausstattungsinformationen, Seitenzahlen, Einbandmaßen und ISBN-Nummern. Zusätzlich sind die signierten Vorzugsausgaben erfasst, sowie einige originale Arbeitsmaterialien, wie z. B. Skizzen oder ein Arbeitsplan (nach dem Grass äußerst diszipliniert und termintreu vorging). Mein persönliches Highlight sind einige faksimilierte Seiten aus den genannten Blindbänden. Grass‘ charakteristische, oft schwer lesbare, aber äußerst grafische Schrift, kombiniert mit seinen spontanen, strichsicheren Zeichnungen, hat eine künstlerische Qualität, die aus meiner Sicht eine eigene Publikation wert wäre. Auch für die Literaturforschung wäre das übrigens ein wertvolles Element, macht es doch Grass‘ iterativen Schaffensprozess sehr anschaulich. Jedem Werk stehen kurze Inhaltsangaben zur Seite, die z. T. auch die Rezeptionsgeschichte oder Besonderheiten der Ausstattung aufgreifen. Nicht berücksichtigt sind spätere, inhaltsgleiche Auflagen und spezielle Kombinationsauflagen, wie z. B. „Mein Jahrhundert“ mit dem Fotoband zur Nobelpreisvergabe, die 1999 gemeinsam im Schuber erschienen. Zur besseren Übersicht findet sich im Anhang noch eine tabellarische Auflistung aller Erstausgaben.

„Büchermachen“ zeigt Grass‘ virtuose Vielseitigkeit als mehrfachbegabter Künstler. In dieser Intensität hat wohl kaum ein Schriftsteller vor ihm den Schaffensprozess seiner Bücher begleitet und diesen einen derart persönlichen Stempel aufgesetzt. Wer genau hinsieht, der erkennt Grass‘ Handschrift in vielen Details. Seine Bücher sind schon äußerlich unverwechselbar und das wird nirgendwo so deutlich wie in diesem Werkkatalog.

Bewertung vom 26.08.2022
Boyfriend Material Bd.1
Hall, Alexis

Boyfriend Material Bd.1


sehr gut

Luc O’Donnell braucht einen Freund. Und zwar einen vorzeigbaren Freund, denn sein Arbeitgeber, eine Wohltätigkeitsorganisation, für die er Spenden einwirbt, ist es leid, dass wegen Lucs medienwirksamer Eskapaden reihenweise die Spender abspringen. Also trifft Luc mit Oliver Blackwood, der für ein berufliches Event ebenfalls eine Begleitung braucht, eine Vereinbarung auf Zeit: Besser eine Fake-Beziehung als gar keinen Mann im Arm. Doch aus der simulierten Vertrautheit wird bald mehr. Viel mehr.

„Boyfriend Material“ ist eine leichte Gay Romance, mit sympathischen Charakteren, die in ihrer zunächst erzwungenen Beziehung nicht nur reifen, sondern ganz unerwartet Erfüllung finden: Der „erwachsene“ Oliver, der als Anwalt mit beiden Beinen im Leben steht, das nicht nur im übertragenen Sinn „aufgeräumt“ ist, und im Gegensatz zu ihm der chaotische Luc, der von Selbstzweifeln und Minderwertigkeitskomplexen geplagt, gar nicht merkt, dass er ein falsches Leben im richtigen führt. Obwohl sich beide anfangs emotional auf Distanz halten wollen, schließlich sind sie nur Fake-Freunde, merkt der Leser schnell, dass sie das ideale Paar sind. Sie harmonieren wunderbar miteinander und die gegenseitige Anziehung lässt sich immer schwerer überwinden - bis nach einigen Verwicklungen aus Fake Realität wird.

Alexis Hall schreibt mit Einfühlungsvermögen und einem sicheren Gespür für witzige Dialoge und skurrile Charaktere, auch wenn aus meiner Sicht ein paar Szenen etwas übers Ziel hinausschießen. Die Geschichte ist insgesamt stimmig, vor allem, wenn man den Zynismus der britischen Oberschicht kennt, und die schrittweise Annäherung der beiden Hauptfiguren ist gut nachvollziehbar. Die Story spielt weder in dunklen Hinterzimmern noch in Schwulenbars, nicht hinter Mülltonnen oder im Strichermilieu, es gibt auch keine promiske Bettspringerei, sondern sie beschreibt eine monogame Zweierbeziehung in bürgerlichem Umfeld, die auf tiefer Zuneigung und gegenseitigem Vertrauen beruht - der besten Basis für eine langlebige Partnerschaft. Wem das zu langweilig ist, der darf gerne was anderes lesen. Ich habe die 500 Seiten in einem Rutsch gelesen, auch wenn natürlich schnell klar wird, wo der Hase langläuft. Alexis Hall schreibt so nachvollziehbar aus der Sicht von Luc, dass es richtig Freude macht, die verlorene Seele auf der Suche nach ihrem wahren Ich zu begleiten.

Die Übersetzung zeigt sehr schön, wie Gendern den eigentlichen Sinn völlig verdrehen kann. Wenn z. B. von „Spendenden“ statt von Spendern geredet wird und das ausgerechnet bei einem Personenkreis, der gerade seine Spende zurückgezogen hat (und damit eben nicht mehr „spendend“ ist), trägt die aktivistisch erzwungene Sprachvergewaltigung nicht gerade zur Verständigung bei. In die gleiche Kategorie gehört auch Alexis Halls Vorabbemerkung, dass die vereinzelten Referenzen auf Werke von J. K. Rowling zu einer Zeit geschrieben wurden, als deren transfeindliche Twitterbemerkungen noch nicht bekannt waren und dass sich der Autor von der Person UND IHREN WERKEN distanziert. Diese rückwirkende Condamatio Memoriae ist totalitär und leider in gewissen Kreisen mittlerweile gesellschaftsfähig. Es wird dazu führen, dass letztlich niemand mehr öffentlich tragbar ist. Alexis Hall sollte das auch für die eigene Karriere im Auge behalten. Nobody is perfect. Wenn aber nur noch moralisch perfekte Menschen eine Existenzberechtigung haben, wird es bald sehr einsam auf unserer Erde... und sterbenslangweilig.