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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 30.01.2008
Schwemmholz / Kommissar Berndorf Bd.2
Ritzel, Ulrich

Schwemmholz / Kommissar Berndorf Bd.2


ausgezeichnet

Da soll noch jemand behaupten, deutsche Autoren könnten keine Kriminalromane schreiben. Ulrich Ritzel schafft es in Schwemmholz die deutsche Korruption zwischen Bauamt, Wirtschaft und Parteien so plastisch und sogleich spannend darzustellen, dass er den Vergleich mit angelsächsischen Autoren nicht zu scheuen braucht. In Kommissar Berndorf hat Ritzel nicht nur eine bärbeißige Figur erschaffen, die sich nicht abschrecken läßt, er zeigt ihn auch in all seinen menschlichen Schwächen. Um ihn herum, hat Ritzel eine schillernde Gruppe Mitarbeiter wie Tamara Wegenast, bleierner Vorgesetzter und Widersacher aufgebaut, die ein facettenreiches Bild von Ulm und seiner Umgebung bieten. Die genaue Kenntnis dieses Landstrichs trägt die Geschichte, in der zwar auch die Mafia auftaucht, aber eher am Rand als Beweis für die Nöte der heimischen Bauindustrie herangezogen wird. Der Verzicht auf spektakuläre geheime Mächte, die Schilderung des Alltags macht den Charme der Geschichte aus. In einem grenzenlosen Europa schleusen sich halt nicht nur Gewinne ein, die Konkurrenz der Billiglöhne führt den ein oder anderen vom Weg ab. Ritzel gelingt es die trockene Materie von Bauvorschriften, Gesetzesunterwanderungen, Korruption wie menschlichem Versagen Leben einzuhauchen. Er erzählt von gescheiterten Lieben und erzeugt Spannung, indem er immer wieder die Perspektive wechselt und einen im Ungewissen läßt, wie es weitergeht. Wer einen guten deutschen Kriminalroman sucht: Schwemmholz von Ulrich Ritzel.
Polar aus Aachen

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.01.2008
Das fünfte Flugzeug
Cooper, John S.

Das fünfte Flugzeug


weniger gut

Thriller über Verschwörungstheorien sind beliebt. Nicht erst seit dem Kennedy-Mord. 9/11 facht die Fantasie regelrecht dazu an. John S. Cooper widmet sich dem Genre mit der Idee eines fünften Flugzeugs, das über die Radarschirme irrte und spurlos verschwand. Max Fuller, Journalist auf der Suche nach einer zweiten Chance, von einem mysteriösen Anwalt kontaktiert, der den Piloten des mysteriösen fünften Flugzeugs vertritt, wird zum Helden auf der Flucht. Womit der Einstieg in eine spannende Geschichte geschrieben sein sollte, die sich jedoch im Verlauf selbst hemmt. Das Problem bei Verschwörungstheorien ist, das sie zumeist nahe an der Wirklichkeit angelegt sind und erst einmal beweisen müssen, warum sie der offiziellen Verlautbarung widersprechen. Das heißt, Fakten müssen geliefert und widerlegt werden, das heißt, dass viel über eine Sache geredet werden muss. Darüber ist Cooper der Spannungsaufbau abhanden gekommen. Vorausgesetzt man blickt irgendwann noch zwischen all den Flugplänen und technischen Details durch, stößt einem spätestens eine Figur wie Nick säuerlich auf, die angeblich bescheiden im Keller haust und die sich als Ausgeburt von Hintergrundwissen und Technikapostel herausstellt. Neben vielen besitzt er auch noch ein Auto mit Panzerglasscheiben. Er ist Fullers Famulus, der treue Helfer, der sich selbst im gecharterten Flugzeug Gedanken, um die Funktionsfähigkeit eines Handys bei den Maschinen des 9/11 macht. Morde werden wie bei einer Perlenschnur aufgezogen, bei denen die absurdesten in der Wohnung der Tochter des ermordeten Piloten stattfinden, wo sich gleich vier Männer gegenseitig erschießen. Leider wird die Story einer 9/11-Verschwörung von einer blassen Thrillerkonstruktion überlagert, so dass das Flugzeug gerade mal gestartet, schnell abstürzt.
Polar aus Aachen

0 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.01.2008
Körperzeit
DeLillo, Don

Körperzeit


weniger gut

Geschichten, die Menschen bei ihrer Trauerarbeit zeigen, rutschen leicht ins Melodramatische ab. Eine Gefahr, die bei einem ausgezeichneten Autor wie Don DeLillo nicht gegeben ist. Körperzeit kommt eher wie eine Gedankenspielerei daher, als das Gedächtnis eines Verstorbenen bei seiner Ehefrau auftaucht. Trotzdem verfängt die Handlung nicht richtig. Das intellektuelle Spiel wirkt an vielen Stellen zu konstruiert. Man ist facettenreichere Geschichten, bizarre Schärfe von DeLillo gewohnt. Zu gefangen in einem Konzept erscheint einem Körperzeit, so dass das Unwahrschenliche unwahrscheinlich bleibt. Nur etwas für eingefleischte DeLillio-Fans.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.01.2008
Gier
Disher, Garry

Gier


ausgezeichnet

Hier liegt der Ursprung für eine ganze Reihe von Wyatt-Roman, die Gray Disher geschrieben hat. Der große Coup, den Wyatt geplant hat, scheitert an jemanden, der sich überschätzt, der meint, er würde unter Wert verkauft und den großen Gangster spielen will. Es ist eine Welt des Mißtrauens, des Verrats, die Wyatt umgibt. Als er am Ende aus seinem Unterschlupft vertrieben wird, in dem er lange Zeit eine Rückzugsmöglichkeit besessen hat, wird er zum Desperado, zum Heimatlosen, der zwar zuvor auch keine Heimat besessen hat, der sich aber des Respekts seiner Schattenwelt sicher sein konnte. Nun jagen sie ihn und er seiner Art von Gerechtigkeit hinterher. Die nachfolgenden Romane der Reihe werden sich mit dieser Last herumschlagen. Nach den vielen Superhelden, den zerrissenen Genies auf Seiten der Polizei nun einmal ein Böser, der sympathische Züge aufweist. Gary Disher beschreibt ihn in einer Rasanz, die seinem Helden mehr Leser wünschen würde, vor allem dass sich einer seiner annimmt.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 23.01.2008
Flugrausch
Disher, Garry

Flugrausch


ausgezeichnet

Gary Disher nähert sich einem Fall nie nur von einer Seite. Er splittet seine Geschichte so geschickt auf, daß man seine Figuren allesamt mit Interesse verfolgt. Sei es Hal Challis, den seine Frau hat umbringen wollen, sei es die unglückliche Ehe eine seiner Kolleginnen, sei es das Vorleben seiner Gauner und Mörder, deren Lebensumstände mit genauso viel Verständnis beleuchtet werden, wie das seiner Helden. Aus dieser Vielfalt spinnt Disher einen spannenden Plot, der nicht selten einen banalen Ursprung hat. Da gibt es eine Lüge, da eine Drogenplantage, die zufällig entdeckt wird und ein Kartenhaus zum Einsturz bringt. Hal Challis gibt dabei weniger den messerscharfen Analytiker als den genauen Beobachter und nicht selten ist es das Unvermögen jener, die er zu überführen sucht, die es ihm ermöglichen sie verhaften. Wenn er nicht zu spät kommt und sie schon tot sind. Wer Kriminalromane mag, nicht ab gewaltsteigernde Thriller abonniert ist, findet in Gary Disher einen hervorragnden Partner an seiner Seite.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 23.01.2008
Milch und Kohle
Rothmann, Ralf

Milch und Kohle


ausgezeichnet

Rothmann ist ein Romancier, ein Erzähler, der in bester Tradition so leicht mit seiner Geschichte daherkommt, als würde er sie einem bei einem Bier in der Eckkneipe erzählen. Es tauchten darin Momente auf, die einen Schmunzeln lassen und solche, die uns nachdenklich zurücklassen. Ende der Sechziger Jahre ist das Wirtschaftswunder bereits ein historischer Begriff, für einen Hauer im Ruhrgebiet haben längst härtere Zeiten angefangen. Zumal er sein erstes Leben als Melker hat wegen seiner Frau aufgeben müssen. Mit den Augen eines Fünfzehnjährigen werfen wir einen Blick auf eine Familie, wo die Mutter sich einen Fernseher, ihr Stück vom Kuchen und das Amüsement am Wochenende wünscht, um sich was aus dem Leben zu machen. Dass sie sich dabei auch noch ein kleines Verhältnis gönnt - soll ja schon vorgekommen sein. Was bleibt einem Pubertierenden da noch als selbst durch die Gegend zu ziehen, seine Art von Abenteuer zu suchen. Die Flucht aus dem Alltag gibt's zu allen Zeiten. Im Rückblick ist man erstaunt, wie sehr sie doch auch für die eigene Zeit zutraf. Ralf Rothmanns Stärke besteht darin, sie uns wie einen alten Freund nahe zu bringen, mit dem man gestritten, mit dem man sich versöhnt hat und mit dem man im Abstand der Jahre sich wieder auf ein Bier verabredet.
Polar aus Aachen

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.01.2008
Das Rätsel
Katzenbach, John

Das Rätsel


ausgezeichnet

Diesmal nähert sich Katzenbach dem Verbrechen von zwei Seiten. Er erzählt die Geschichte einer Familie, bei der die Mutter den Mann verlassen und die Kinder alleine großgezogen hat. Allerdings scheinen Schwester und Bruder im Alter nicht mehr viel miteinander zu tun zu haben. Dabei besitzen sie illustre Berufe: Jeffrey Clayton ist Profiler, während seine Schwester Susan sich auf das Verfassen von Rätseln spezialisiert hat, die auf verschlungenen Wegen einen Sinn ergeben. Bei dem Serienkiller, der ihr Leben in den Bann zieht, soll es sich um ihren verstorbenen Vater handeln, der offensichtlich seinen Tod nur vorgetäuscht hat und sich nun das zurückholen will, was ihm gehört und das ihm vorenthalten wurde. Allein wie Katzenbach den Moment beschreibt, indem Jeffrey an den Ort seiner Kindheit zurückkehrt und von dem jetzigen Hausbesitzer in den Keller geführt wird, um dort die Möglichkeit vor Augen geführt zu bekommen, dass sein Vater hinter einer versteckten Wand, seine Opfer gequält und gefangen gehalten hat, während oben das so genannte Familienleben weiter geführt wurde, ist exzellent beschrieben. Katzenbach bricht in seinen Romanen nie mit der Tür ins Haus, er entwickelt den Schrecken langsam, macht ihn alltäglicher. Die Angst, die sich in der Gesellschaft, die er beschreibt, wie ein Virus ausgebreitet hat, so dass fast jeder eine Waffe trägt, der Überwachungsstaat zu neuer Blüte aufsteigt, wird minutiös in diese Familiengeschichte eingebettet. Wer darf Vertrauen aufbauen, wenn wir selbst ihr entfliehen müssen? Das Rätsel ist ein versponnener, spannender Krimi, dessen Aufschlüsselung den Schrecken freilegt, der sich des Mittels der Serienmorde bedient, um eine Familie an den Abgrund zu führen.
Polar aus Aachen

4 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.01.2008
In der Wand
Salter, James

In der Wand


ausgezeichnet

Salter ist ein Stilist. Das mag auf den ersten Moment abschreckend klingen, wer seine Romane gelesen hat, wird erstaunt sein, wie meisterlich einfach gestrickt seine Sätze nachklingen. Kaum ein Autor eignet sich deswegen besser, um sich dem Bergsteigen zuzuwenden. Es geht, um Freiheit, um Selbstüberwindung, karges Leben und Entscheidungen, die man lieber weiter vor sich her schieben würde. Faszinierend schildert Salter, wie sich Rand von seiner Familie trennt, um das Leben zu führen, für das er sich berufen fühlt. Er besitzt kein Geld, ist manisch auf das Leben im Berg fixiert und kann Schicksalsschläge wie Cabots Sturz nicht akzeptieren. In der Welt der Berge ist das Leben hart, aber einfach. Es richtet sich nach dem Wetter und Felsvorsprüngen, es geht nach oben oder nach unten. Und ist man Mitglied in einer Seilschaft, muß man sich seinem Partner auf Leben und Tod anvertrauen. Das Leben unten im Tal ist weitaus kompliziert und so flieht Rand ins Extreme. Salter kann Dialoge schreiben, Landschaft wie Charaktere mit wenigen Sätzen umreißen und läßt uns manchmal mit ein paar Worten zurück, die wir einfach nicht mehr loswerden.
Polar aus Aachen

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.01.2008
Brasilien
Updike, John

Brasilien


schlecht

Brasilien enttäuscht. Vor allem jene Leser, die Updikes Rabbit Romane, Ehepaare oder einige seiner Kurzgeschichten kennen. Man liest erstaunt die krude Geschichte einer schwarz-weißen Liebe, die ihren Ursprung an der Copacabana findet. Natürlich ist die Familie dagegen, natürlich gelingt die Flucht und es geschehen allerlei Abenteuer, die die Geschichte würzen sollen. Updikes Sprache bleibt dieselbe. Doch wer hofft die Atmosphäre der amerikanischen Geschichten zu finden, sieht sich dessen Herzstück beraubt: Es kommen keine Amerikaner darin vor, die es zu sezieren gilt. Updike verfällt einem touristischen Bilderbogen, unter dem der Autor sich ein fernes Land vorstellt. Als sich durch einen Schamanen auch noch weiße in schwarze Haut, schwarze in weiße verwandelt, sind wir endlich dort angekommen, wo Updike von Anfang an hinwollte: in der Allegorie.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 17.01.2008
Zappas letzter Hit
Göhre, Frank

Zappas letzter Hit


ausgezeichnet

Zumeist werden Kriminalromane konstruiert. Am Anfang steht der Mord, der rückwärts verschleiert wird, und es gibt einen Mann oder eine Frau, die zur Aufklärung schreitet. Nicht selten mit einer Schwäche behaftet oder unglücklich verliebt. Frank Göhre hingegen konstruiert nicht, er komponiert. Er benötigt keine Pathologen, die den Schrecken en detail wiedergeben, keinen Serienkiller, der ein Spiel mit den Ermittlern treibt, nicht mal ein ausgeklügeltes Rätsel, das es zu entziffern gilt, sein Chor besteht aus dem Alltag. Aus einer Vielzahl von Stimmen setzte er in Zappas letzter Hit eine spannende Hintergrundgeschichte über Hamburger Seilschaften in Szene und billigt augenzwinkernd, dass man nach Parallelen in der Wirklichkeit sucht. Trotz der teilweisen Überlappung der Erzählstränge schafft es Göhre, dass die Geschichte sich in einem Zug liest und die Spannung hoch bleibt. Die Rache einer Tochter, die dunklen Seiten eines Innensenators, die Machenschaften eines Investors bilden dabei das Herzstück, während eine Unzahl an Nebenfiguren das Milieu bereichern, der Autor gekonnt verschiedene Erzählstile einsetzt, als habe er in ihnen den Spiegel für die bunte Mixtur menschlicher Charaktere gefunden, die eine Stadt wie Hamburg ausmachen.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.