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solveig

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Insgesamt 472 Bewertungen
Bewertung vom 09.05.2016
Schischyphusch
Borchert, Wolfgang

Schischyphusch


ausgezeichnet

Bilderbuch für Liebhaber


„Schischyphusch“ ist der Titel einer humorvollen und zugleich nachdenklichen Kurzgeschichte, die aus Borcherts früher Prosa stammt und bereits 1947 in einer Jugendzeitschrift veröffentlicht wurde. Die vorliegende nostalgisch angehauchte, von Birgit Schössow illustrierte Ausgabe ist sicherlich die attraktivste. Konsequenterweise wird hier auch die alte Rechtschreibung beibehalten.
Aus kindlicher Sicht erzählt Wolfgang Borchert seine Erinnerungen an ein folgenreiches Zusammentreffen seines Onkels mit einem Kellner, „an einem sonnigen Sommertag nachmittags in einem großen, prächtigen bunten Gartenlokal.“ Aufgrund einer Kriegsverletzung lispelt der Onkel sehr stark und glaubt, dass sich der Kellner, der seine Bestellung aufnimmt, über ihn lustig macht, weil er ebenfalls lispelt. Es kommt zu einem Wortgefecht, das dem kleinen Wolfgang und seiner Mutter sehr peinlich ist. Doch schließlich klärt sich alles als Missverständnis auf; denn auch der Kellner hat einen Sprachfehler, allerdings von Geburt an. So kommen sich die ungleichen beiden Männer näher.
Birgit Schössow hat den Text der Kurzgeschichte in ganzseitige, zart-farbige Aquarelle gekleidet, die das Flair der 20er Jahre ausdrucksstark widerspiegeln. Borcherts poetische Sprache setzt sie in ebenso poetische Bilder um. Während sie die Atmosphäre eines lauen Sommertages und die Festtagslaune der Cafégäste vor dem Betrachter erstehen lässt, verbildlicht sie gleichzeitig Borcherts Beschreibung des peinlichen Berührtseins der Mutter, die Mimik von Kellner und Onkel. Auch der leise Humor des Schriftstellers findet sich in Schössows Illustrationen wieder. Die Künstlerin „erweitert“ seine Geschichte sogar um die Darstellung anderer Lokalbesucher, die neugierig der Diskussion zwischen Onkel und Kellner lauschen oder unbeteiligt ihre eigenen Gespräche führen. Liebevolle Details vervollständigen das Buch. So ist der Berg abgeräumten Geschirrs, gestapelt auf dem Büfett, sowie das schmutzige Kellnertuch aus dem Blickwinkel eines Kindes dargestellt („Ich war damals gerade so groß, daß ich die Nase auf den Tisch legen konnte.“). Vor- und Nachsatzblätter behalten ebenfalls das Motiv des Gartenlokal-Besuchs bei: sie sind mit Kaffee- und Limonadenflecken „bekleckert“ , sogar die aufgeschlagene Speisekarte ist abgebildet. Und noch ein Schmankerl: als Beobachter der Szenerie sitzen sich zwei berühmte Besucher im Gartencafé gegenüber, wenn auch erst auf der letzten Seite abgebildet: der Schriftsteller Wolfgang Borchert und Birgit Schössow, die Illustratorin, selbst.
Mein Fazit: Ein bezauberndes Bilderbuch für Erwachsene mit Sinn für Nostalgie und Humor.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.05.2016
Auf unsrer Wiese gehet was
Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich

Auf unsrer Wiese gehet was


ausgezeichnet

Charmant und witzig

Klapperdiklapp: Meister Adebar stakst über Wiesen und durch Teiche auf der Suche nach Nahrung. Aber merkwürdig: Die Beutetiere geben sich gewitzt und machen sich sogar über ihn lustig! Und wer verschönert sich da mit knallrotem Lippenstift?
Marian Kamensky, bekannt als Illustrator und Cartoonist für renommierte Schriften wie „Zeit“, „Spiegel“ oder „Focus“ , hat das wohlbekannte alte Kinderlied in lustige farbige Bilder umgesetzt.
Der Liedtext, den Heinrich Hoffmann von Fallersleben und Rudolph Löwenstein im 19. Jahrhundert gedichtet haben, ist in fantasievolle, ganzseitige Bilder eingebettet. Klare Formen und kräftige fröhliche Farben, wie Kinder sie lieben, lenken den Blick auf die unterschiedlichen Geschöpfe und ihr Treiben auf der Wiese. Obwohl der Storch auf Futtersuche ist, wirkt der kleine feuchte Kosmos Wiese und Teich harmonisch, ein intakter Lebensraum, und die Frösche scheinen eher amüsiert als verängstigt zu sein. Liebevolle Details laden zu Bildbetrachtungen und immer neuen Entdeckungen ein. Da macht es schon einem kleinen Kind (ab 2 Jahren) Spaß, gemeinsam mit den Eltern einen musikalischen Streifzug über Kamenskys Wiese zu unternehmen und ihre zahlreichen tierischen Bewohner zu erkunden. Wer die Melodie des Liedes nicht kennt, kann sich an den Noten, auf der Buchrückseite abgedruckt, orientieren.
Das stabile Pappbüchlein, im kinderfreundlichen A-5 Format hergestellt, hält auch kleinen, noch ungeschickten Kinderhändchen stand.
Mein Fazit: Ein schönes Bilderbuch für die Kleinsten, zum Erzählen, Entdecken und Erforschen!

Bewertung vom 04.05.2016
Das wilde Määäh und die Irgendwo-Insel / Das wilde Mäh Bd.3
Walder, Vanessa

Das wilde Määäh und die Irgendwo-Insel / Das wilde Mäh Bd.3


ausgezeichnet

"Irgendwo geht´s immer weiter"


Erwachsen werden ist ganz schön schwer! Im dritten und letzten Teil des „wilden Määäh“ befindet sich Ham, der wollige kleine „Wolf mit Hufen und Hörnern“ auf dem Weg zur Selbständigkeit. Damit seine Ziehmama, die Wölfin Rhea, nicht mehr traurig sein muss, macht er sich auf, um Papa Kip zu suchen, Rheas Partner, der seit der Geburt ihrer drei Jungen verschwunden ist. Hams Ziel ist die Sonneninsel, wo Kip sich aufhalten soll. Mit von der Partie ist sein Freund Flöckchen, der soeben ein Geheimnis erfahren hat, das ihn und seine Eltern betrifft. Aber auch die zwei Freundinnen Grazia und Tupfer begleiten sie auf dem Weg zur Insel. Ihre Reise ist nicht ungefährlich: sie müssen durch den Verfluchten Wald, in dem eine Bestie hausen soll, und danach über ein weites Meer. Ob es Ham gelingt, die Insel und Papa Kip zu finden?
Wieder einmal erzählt Vanessa Walder spannend, witzig und nachdenklich zugleich von Ham und seinen Freunden. Mit dem Heranwachsen des kleinen Schafes ändern sich auch die Probleme. Neben der Bedeutung von Freundschaft und Familie tauchen ernsthafte, tiefer gehende Themen auf, die jedoch kindgerecht und humorvoll verpackt sind. Auf äußerst witzige Weise verkleidet die Autorin etwa das Thema der Integration in eine Gemeinschaft. Die ausdrucksvollen Schwarz-Weiß-Zeichnungen von Falk Holzapfel, der auch die vorhergehenden Bände des „wilden Määäh“ illustriert hat, unterstreichen und verdeutlichen die tierischen Charaktere zusätzlich.
Das beherrschende Motiv der Erzählung aber heißt Abschied. Ham lernt Trennung in mehrfacher Hinsicht kennen: Es heißt, der Kindheit Lebewohl zu sagen und selbständig zu werden. Aber auch ein endgültiger Abschied steht ihm bevor, ein Thema, das Walder sehr sensibel anschneidet und durch die Lebensweisheit des klugen Flohs Cyrano abmildert : „Genieß das Leben. Sei da, solange du da bist. Es ist alles bloß ´ne Reise.“
Am Ende des Buches ist Hams Geschichte seiner Reise zur Irgendwo-Insel zwar fertig erzählt - aber seine eigene Entwicklung geht weiter, jetzt beginnt für ihn die Geschichte seines Erwachsenendaseins. Oder wie die die philosophische Wisentdame Rosalie es ausdrücken würde: „E unfeddische G´schischt. Nischt übt einen größeren Sog aus.“

Bewertung vom 27.04.2016
Mörderische Wahrheiten / Carlotta Fiore Bd.2
Prammer, Theresa

Mörderische Wahrheiten / Carlotta Fiore Bd.2


ausgezeichnet

Filmreif


„Mörderische Wahrheiten“ fördert Theresa Prammer in ihrem neuen Roman ans Tageslicht.
Sie lässt ihn genau zu dem Zeitpunkt einsetzen, an dem ihr Krimidebüt „Wiener Totenlieder“ endet: der ehemalige Kriminalkommissar Konrad Fürst erwacht aus dem Koma, in das er bei einem schweren Sturz gefallen war, und Carlotta Fiore, die möglicherweise seine Tochter ist, fühlt sich für den Rekonvaleszenten verantwortlich.
Der Verlust seines Gedächtnisses belastet nicht nur ihn selbst, sondern erschwert auch die Ermittlungen in den aktuellen Mordfällen an mehreren Teenagern. Mysteriöserweise erinnern die Taten an eine Verbrechensserie, die bereits mehr als zwanzig Jahre zurück liegt. Doch der damalige Täter, der noch von Fürst überführt wurde, ist bereits tot. Gibt es also einen Nachahmer? Fürst könnte helfen, doch er kann sich an nichts mehr erinnern. Schließlich gerät auch Carlotta in Gefahr…
Auch in diesem Krimi konfrontiert Prammer den Leser erfrischend offen und natürlich mit der Kaufhausdetektivin Carlotta Fiore, einem unkonventionellen, schwierigen Charakter, und ihren nicht immer unkomplizierten Beziehungen. Carlotta selbst schildert anschaulich, wie sie mehr oder weniger erfolgreich an mehreren Fronten gleichzeitig kämpft; zum einen scheint es in der Beziehung zu Hannes, dem Vater ihres Kindes, zu kriseln; zum andern bemüht sie sich auch um Konrad Fürsts Genesung. Und nun gerät sie auch noch unversehens - aber nicht unbeabsichtigt - in die Ermittlungen um ermordete Teenager. Dieser Einsatz führt sie in das Milieu der höheren Kreise der Wiener Gesellschaft. Mit ihrer direkten und lebhaften Art versteht Prammer es überzeugend, den Leser zu fesseln und mitfiebern zu lassen, wobei die Spannung bis zum Schluss erhalten bleibt. Soziale und psychologische Themen geben dem Roman tieferen Hintergrund. Wird Fürst seine Amnesie überwinden? Werden die Ermittlungen erfolgreich verlaufen?
Auch Theresa Prammers zweites Buch ist ein rundum fesselnder Roman - absolut filmreif!

Bewertung vom 23.04.2016
Ohrfeige
Khider, Abbas

Ohrfeige


sehr gut

Hautnah


„Ich habe keine Wahl, obwohl dieser Planet riesig ist. In Bagdad konnte ich nicht bleiben, in Deutschland darf ich nicht bleiben.“
So lautet das Fazit, das der junge irakische Flüchtling Karim Mensy nach seinem drei Jahre und vier Monate währenden Aufenthalt in Deutschland zieht. Für Flüchtlinge scheint es keinen Platz für ein zufrieden stellendes, selbstbestimmtes Leben zu geben.
Sachlich, in deutlichen Worten lässt der Autor seinen Protagonisten persönlich von seinem Schicksal erzählen. Sein unkomplizierter, ungekünstelter Stil hilft dabei, leicht in die Geschichte hinein zu finden und flüssig zu verfolgen. Sehr bildhaft schildert Karim, wie er in Bayern strandet, obwohl sein eigentliches Ziel Paris war. Er erzählt seiner Sachbearbeiterin von der Ausländerbehörde Frau Schulz, die sozusagen stellvertretend den Platz des Lesers einnimmt, von den vielen Ortswechseln in immer wieder andere Lager und den Problemen, denen er als Flüchtling gegenübersteht.
Hautnah erlebt der Leser mit, welcher Art die Schwierigkeiten sind, die Karim im Alltag bewältigen muss: Geldmangel, starre Gesetze, die Bürokratie, den Papierkrieg, der nur mit einem Dolmetscher zu bewältigen ist. Der Flüchtling selbst wird selten als Mitmensch angesehen, sondern als ein Problem, das gelöst werden muss.
Und immer wieder Warten. Denn die Probleme drehen sich im Kreis: Mit dem Geld, das er vom Sozialamt erhält, kann er keinen Deutschkurs bezahlen; Ohne Deutschkenntnisse gibt es für den Abiturienten, der gern studieren möchte, keine vernünftige Arbeit; Einen bezahlten Deutschkurs bekommt er aber erst bewilligt, wenn er ein Jahr im Land gelebt hat - vorausgesetzt, sein Asylgesuch ist anerkannt. Als es nach drei Jahren schließlich so scheint, als könne er endlich beginnen, sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen, wird Iraks Diktator Saddam gestürzt und Karims Fluchtursache nichtig, er soll zurück in den Irak…
Abbas Khider greift das immer wieder aktuelle Problem der Flüchtlingspolitik auf - diesmal aus der Sicht eines Betroffenen.

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Bewertung vom 20.04.2016
Atlas der unentdeckten Länder
Gastmann, Dennis

Atlas der unentdeckten Länder


sehr gut

Abenteuer Reisen


Gibt es überhaupt Länder auf der Welt, die noch nicht entdeckt wurden? Wie weit muss ich reisen, um Länder zu besuchen, die weitgehend unbekannt sind und bislang vom Tourismus relativ unberührt blieben? Im „Atlas der unentdeckten Länder“ gibt Dennis Gastmann Antworten. Allerdings ist dieser Atlas kein trockenes Nachschlagewerk und beherbergt auch keine Sammlung von Landkarten. Im Gegenteil, er ist sehr kurzweilig; denn der Autor stellt eine Auswahl an „Exoten“ vor, die er bereist hat, und gibt herrlich bildhafte Schilderungen seiner Eindrücke wieder.
Zu seinen Entdeckungen gehören Inseln wie Pitcairn und Palau, die auf den ersten Blick paradiesisch wirken, auf den zweiten jedoch einiges an Problematik offenbaren. Aber er besucht auch bitterarme Länder wie etwa Karakalpakstan, dessen Wirtschaftsgrundlage – der Aralsee – mit jedem Jahr weiter austrocknet. Eine weitere interessante Stippvisite Gastmanns gilt Akhzivland in Vorderasien, das lediglich von zwei Bürgern bewohnt wird.
Allein und nur mit Neugier, Offenheit und einem Rucksack bepackt wagt sich der Reisejournalist in die Fremde - ein letztes Abenteuer! Und genauso liest sich sein Buch auch: spannend, abwechslungsreich und überaus lebendig.
Nicht die bekannten touristischen Sensationen rücken während seiner Reisen in den Mittelpunkt. Vielmehr machen die Begegnungen und Gespräche mit Bewohnern der Länder, deren beeindruckende Gastfreundschaft er (fast) immer genießt, seinen Reisebericht zu einem besonderen Erlebnis.
Auch von seinen eigenen spirituellen Erfahrungen in der Mönchsrepublik Athos, die den meisten Europäern zumindest dem Namen nach bekannt ist, erzählt er dem Leser, auf erfrischend offene und humorvolle Weise.
Gastmanns salopper Plauderton, meist mit einem (selbst-)ironischen Ton unterlegt, macht seine Schilderungen zu einem echten Lesevergnügen. Folgt man dem Nonplusultra-Reiseführer aller Rucksacktouristen „Lonely Planet“ , so gibt es für den furchtlosen Reiselustigen noch viele interessante (Mikro-)Länder zu entdecken. Vielleicht denkt der Autor also über eine Fortsetzung des „Atlas der unentdeckten Länder“ nach? Würde mich freuen!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.04.2016
Das Leben der Elfen
Barbery, Muriel

Das Leben der Elfen


sehr gut

Zwischen den Zeilen

„Non c´è uomo che non sogni“ - „Es gibt keinen Menschen, der nicht träumt.“
Mit diesem Zitat könnte man Muriel Barberys Roman kurz umschreiben. Denn was der Leser hier erlebt, gleicht mit all seiner Nebel- und Schattenhaftigkeit der Flüchtigkeit von Träumen.
Zwei kleine Mädchen wachsen als Findelkinder bei fremden Menschen auf; Maria bei einer Bauernfamilie in Frankreich, Clara bei einem Pfarrer in Italien. Ihre besonderen Begabungen werden von den Menschen ihrer Umgebung schon früh erkannt. Während Maria in völliger Harmonie mit der sie umgebenden Natur lebt, besitzt Clara die Gabe, mit ihrem Klavierspiel Bilder erstehen zu lassen und tiefe Gefühle zu wecken. Doch während die Mädchen langsam heranwachsen, lernen und mehr über sich und ihre Herkunft erfahren, ziehen dunkle Mächte auf, die Verderben und Vernichtung im Sinn haben. Eine Katastrophe kündigt sich an.
Mit wunderschönen, poetischen Worten und Sätzen verwickelt die Autorin den Leser in ein Gespinst aus Märchen und Realität. Sie webt ihn gewissermaßen in ein Netz aus natürlichen und übernatürlichen Vorgängen, verbindet Naturphilosophie und Kultur, stellt einfache, bodenständige Menschen neben elfenhafte Wesen. Dabei bleiben ihre Aussagen oft selbst ein wenig undeutlich und versteckt in dem mysteriösen Nebel, der ihre Erzählung durchwabert.
Die bildhafte Sprache zieht uns in ihren Bann, verzaubert uns. Doch der Roman fordert uns einiges mehr ab: nämlich viel Geduld und die Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen. Die Autorin erwartet von dem aufmerksamen Leser die Erkenntnis, dass wir uns wieder mehr bewusst machen müssen, was Menschen über zeitliche, örtliche und sprachliche Grenzen hinaus in Harmonie vereinen kann; nämlich Werte wie Natur und Kultur, Musik, Malerei und Poesie; in der Erzählung personifiziert in den Figuren Maria und Clara. Sie gilt es zu verteidigen und zu erhalten, sie bilden die viel beschworene Brücke zu gegenseitigem Verständnis. „Ich werde bewahren“ lautet daher auch der Schlusssatz des Romans.
„Das Leben der Elfen“ als Allegorie enthält meines Erachtens wichtige Anregungen zum Nach- und Weiterdenken.

Bewertung vom 11.04.2016
Das kalte Licht der fernen Sterne
Galkina, Anna

Das kalte Licht der fernen Sterne


sehr gut

Blick zurück


„Der Ort meiner Kindheit ist ein Städtchen unweit von Moskau. Zwanzig Jahre sind seitdem vergangen. Ich bin wieder hier.“
Mit dieser nüchternen Feststellung beginnt Anna Galkina ihren Debütman. Ihre Protagonistin Nastja tritt gleichzeitig mit dem Wiedersehen ihrer alten Heimat auch eine gedankliche Reise in die Vergangenheit an, während der sie den Leser an den Reminiszenzen an ihre Kindheit und Jugend im Russland der 80er Jahre und prägenden Abschnitten ihres Lebens teilhaben lässt.
Dabei beschwören ihre Erinnerungen, die als rasche Abfolge mal kurzer, mal längerer Szenen aufblitzen, ganz intensiv Farben, Geräusche und Gerüche. Der Leser nimmt Nastjas Umgebung und ihr Leben in Armut „mit allen Sinnen“ wahr, ungeschönt, drastisch, aber auch mit leisem Humor.
Deutlich spürbar ist der Reifeprozess des jungen Mädchens: Sind die Schilderungen des noch kleinen Kindes sehr knapp gehalten, so werden sie mit zunehmendem Alter der Erzählerin länger und detaillierter. Die teilweise autobiografischen, collageartigen Erzählungen decken viele Seiten des täglichen Lebens in der damaligen Sowjetunion ab, sie zeichnen ein teils tragisches und schreckliches, teils aber sehr poetisches Bild. In sachlichem, distanziertem Stil, mit einem ironischen Unterton, beschreibt Galkina sehr eindrücklich ein Soziotop diverser Charaktere, anschaulich und originell. Angenehm fällt auf, dass kein Selbstmitleid im Spiel ist; es ist eine Rückschau, in der die früheren Emotionen immer mehr verblassen.
Mein Fazit: „Das kalte Licht der fernen Sterne“ ist ein Roman, der gleichzeitig gut unterhält und verstört.

Bewertung vom 06.04.2016
Kreuzfahrt
Zindel, Mireille

Kreuzfahrt


sehr gut

Kreuzfahrt der Gefühle


Eine intensive „Kreuzfahrt“ der Gefühle beschert Mireille Zindel ihren Lesern in ihrem neuen Roman. Denn Meret, ihre Protagonistin, begegnet im Sommerurlaub ganz unvermutet Jan, mit dem sie gerne eine Affäre beginnen würde. Beide sind verheiratet und haben zwei kleine Söhne, leben sogar in derselben Stadt. Meret liebt Ehemann Dres und ihre Kinder sehr - und doch scheint ihr etwas zu fehlen. Zehn Jahre Ehe, Alltagsleben und Gewöhnung lassen sie ihr Leben als fade empfinden. Sie sucht den „Kick“, ein romantisches Abenteuer, um wieder Spannung in ihr Dasein zu bringen, und findet ihn in Jan. Doch beiden ist klar, dass sich die ungebundene Freiheit ihrer Jugend nicht zurückholen lässt. Beide wollen trotz ihrer heimlichen Beziehung ihre Ehe und die Sicherheit, die sie in ihr finden, nicht gefährden.
Wie ein Spiegel erscheint Merets Schilderung der Mittelmeer-Kreuzfahrt ihrer Bekannten Gaia, die sie wie einen Fortsetzungsroman erzählt; sie repräsentiert Wünsche und Träume von Frauen, die sich in einer ähnlichen Situation wie Meret und Romy, Jans Ehefrau, befinden.
Meret gibt ihre Gedanken offen und ehrlich wieder; in Form eines Briefes an ihren Geliebten formuliert sie klar, was sie nicht aussprechen kann. Schonungslos ehrlich, dennoch sensibel, beschreibt Zindel/Meret den Prozess des Suchens nach Liebe und Anerkennung, dem Auf und Ab der Gefühle, das an die Pubertät erinnert. Die Beziehung zu Jan, der eher zufällig ihr Leben „kreuzt“, wirkt dem „Soll-es-das-jetzt-gewesen-sein“-Gefühl der Midlife-Crisis zumindest zeitweilig entgegen. Wie mag ein solches Erlebnis ausgehen? Es ist ein sehr überraschendes Ende, das die Autorin ihrem Roman angedeihen lässt.
„Kreuzfahrt“ ist kein Roman, der sich leicht „herunter“ lesen lässt, aber er ist es ganz sicher wert, aufmerksam gelesen zu werden.