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Magnolia
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Bayern

Bewertungen

Insgesamt 622 Bewertungen
Bewertung vom 08.05.2023
Die Kinder der Luftbrücke
Weinberg, Juliana

Die Kinder der Luftbrücke


sehr gut

Zwischen hoffen und bangen

„Eine junge Mutter und ein amerikanischer Pilot zwischen Liebe, Schuld und Hoffnung.“ Diese Info lese ich vorab, die Routen der Berliner Luftbrücke in den Jahren 1948/49 zu den einzelnen westlichen Stützpunkten sind am hinteren Klappeninneren anschaulich dargestellt und auch das Cover veranschaulicht die Zeit der Rosinenbomber, die ihre von den Kindern sehnlichst erwarteten Schätze abwerfen.

Nora lebt mit ihren zwei Kindern im Westsektor Berlins zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester, auch ist deren Lebensgefährte die meiste Zeit bei ihnen. Die Wohnverhältnisse sind beengt, die Lebensmittel immer zu wenig, der tägliche Kampf ums Überleben gestaltet sich zunehmend schwierig. Sie schöpfen neue Hoffnung, als Nora als Übersetzerin bei den US-Alliierten am Flughafen Tempelhof arbeiten kann.

Der Alltag der Familie wird anschaulich geschildert. Durch ihre Arbeit bekommt Nora exklusive Einblicke in die Versorgungslage Berlins und als die Sowjets Berlin abriegeln, fehlt es an allem. Erst die von den Amerikanern organisierte Luftbrücke ermöglicht halbwegs ihr Überleben.

Die Piloten fliegen nonstop ihre Routen, bei den Pausen zwischendurch begegnet einer davon - Matthew - Nora. Beide fühlen sich zueinander hingezogen, was auch Noras Kolleginnen, allen voran eine neidische Intrigantin, nicht verborgen bleibt. Noch dazu ist Nora verheiratet, ihr Ehemann gilt seit Jahren als vermisst und doch will sie Matthew ihrer Familie näherbringen. Ihr kleiner Sohn ist gleich hin und weg von dem Piloten, die neunjährige Tochter dagegen lehnt in durchweg ab.

Neben den privaten Schicksalen erfahre ich so einiges über die Arbeit der Alliierten. Diese Infos sind gut verpackt in das tägliche Allerlei, geprägt von Momenten des Glücks, aber auch von Hoffnung und gleichzeitiger Hoffnungslosigkeit, von Schuldgefühlen und Pflichtbewusstsein. Es ist ein Auf und Ab der Gefühle und irgendwann trifft Nora eine weitreichende Entscheidung.

Die Charaktere sind eindrucksvoll geschildert, jeder einzelne ist lebensnah und glaubhaft dargestellt. Die damalige Situation kann ich aus heutiger Sicht dank der eindringlichen Beschreibung zwar nachvollziehen, hoffe aber gleichzeitig, dass dies endgültig der Vergangenheit angehört. Der einnehmende Schreibstil hat mich schnell in die Geschichte eintauchen lassen, ich habe mit Nora und den ihren gebangt, habe gehofft, dass sich trotz der widrigen Umstände doch noch alles zum Guten wenden möge. Auch wenn es vordergründig um eine Liebe geht, die auf dem Prüfstand steht, so sind die historischen Fakten mit eingeflossen, sie sind stets präsent, bilden das Gerüst, um das sich der Roman rankt. Eine fiktive Geschichte vor gut recherchiertem, geschichtlichem Hintergrund, den ich gerne weiterempfehle.

Bewertung vom 08.05.2023
Lorbeerglanz / Périgord-Krimi Bd.3
Dubois, Julie

Lorbeerglanz / Périgord-Krimi Bd.3


ausgezeichnet

Genussvoller Périgord-Krimi

Noch immer bin ich gedanklich in Saint-André-du-Périgord, der Wahl-Heimat der deutsch-französischen Kommissarin Marie Mercier. Julie Dubois, die Autorin von „Lorbeerglanz“, hat mich auch mit ihrem dritten Périgord-Krimi nicht nur gut unterhalten, sie hat mich auch tief eintauchen lassen in die idyllische Landschaft, hat mir Maries Kölner Familie näher gebracht und ihre Großtante Léonie hat mir mit so manch Köstlichkeiten Appetit auf mehr gemacht.

Eigentlich will Marie die Tage mit ihrer Familie genießen aber wie so oft kommt ihr auch diesmal ein Mord dazwischen. Der Tote ist kein geringerer als der Besitzer eines gut gehenden Sternerestaurants, er wurde mit einem prähistorischen Dolch ermordet. Schon mysteriös, dass er als leidenschaftlicher Sammler dieser kostbaren Raritäten ausgerechnet mit einem Stück antiker Kunst getötet wurde. Der sehr fein gearbeitete Dolch aus Stein, einem Lorbeerblatt nachempfunden, wurde ihm in die Brust gerammt. Marie fährt zu Edith Boisset, der Witwe des Ermordeten. Diese führt sie in das private Museum ihres Ehemannes, in dem er all die erworbenen Artefakte gehütet hat wie einen Schatz. Da Pierre durch den Stich einer Lorbeerspitze ums Leben kam liegt es nahe, dass ihm seine Sammelleidenschaft zum Verhängnis wurde.

Die Ermittlungsarbeiten gestalten sich schwierig, zumal ein zweiter, ähnlich gelagerter Mord, für zusätzliche Verwirrung sorgt. Verdächtige gibt es mehrere, eigentlich ist mir keiner so ganz geheuer, jedem würde ich alles zutrauen. Auch meine ich, das Mordmotiv zu erahnen und doch lässt sich der Kreis der möglichen Täter lange nicht eingrenzen. Und da taucht immer wieder ein geheimnisvoller Begriff auf, mit dem niemand was anfangen kann. Geschickt spielt die Autorin mit ihren Lesern, legt Fährten aus, die letztendlich ins Nichts führen. Die Aufklärung lässt lange auf sich warten und sie verblüfft – das Ende ist dann doch gut nachvollziehbar.

Maries engster Mitarbeiter Richard Martin, auf den sie sich blind verlassen kann, ist ihr auch hier eine große Hilfe, auch wenn ihn privat etwas zu bedrücken scheint. Und die Meinungsverschiedenheiten mit Michel, ihrem Liebsten, stören die ansonsten so perfekte Idylle zwischen den beiden. Neben der Ermittlungsarbeit sind die kleinen Nebenstorys, auch all die Köstlichkeiten, die Léonie Tag für Tag auftischt, das Salz in der Suppe, um im kulinarischen Jargon zu bleiben.

Da ich vor einiger Zeit „Kalte Blüten“, den Vorgängerband, gelesen habe, fühlt es sich an wie heimkommen nach einer längeren Reise. Marie und die ihren waren mir nach den ersten Seiten wieder vertraut, auch Léonie wird sich ähnlich gefühlt haben, als sie von ihrer Kreuzfahrt von Georges und den beiden Hängebauchschweinen Augustine und Joseph, beide geschniegelt und gestriegelt, begrüßt wurde – ein Empfangskomitee vom Liebenswertesten.

„Lorbeerglanz“ ist ein Krimi mit viel Lokalkolorit und einer sympathischen Protagonistin. Ja, auch hier wird gemordet und die Einzelheiten detailreich geschildert, genussreich aufgelockert durch all die kulinarischen Köstlichkeiten und die idyllischen Landschaftsbeschreibungen. Gerne bin ich wieder dabei, wenn Marie Mercier zu ihrem nächsten Fall gerufen wird.

Bewertung vom 03.05.2023
Mutterliebe
Selvig, Kim

Mutterliebe


gut

Die tollkühne Kiki will es wissen

Eine Mutter soll ihr Kind in den Wald gelockt und es dann erstickt haben. War das wirklich so? Was ist „Mutterliebe“ wert? Kiki Holland verfolgt als Gerichtsreporterin die Verhandlung, sie glaubt nicht daran, dass die angeklagte Mutter ihr eigenes Kind auf dem Gewissen hat. Es muss sehr viel mehr dahinter stecken.

Nach den ersten Seiten im Gerichtssaal geht es beklemmend weiter. Ich lese Schreckliches und doch zweifle ich, ob es sich denn wirklich so zugetragen hat. Es ist eine beinahe surreale Stimmung, als Sylvia mit ihren beiden Kindern bis an den Waldesrand fährt, um dann mit ihnen zu einem Waldspaziergang aufzubrechen. „Ich zeige euch einen besonderen Platz“ lockt sie die beiden immer tiefer hinein…

Von Sylvia lese ich zwischendurch immer mal wieder. Von ihrem Handeln, von ihren Gedanken, ihren Problemen und auch von ihrer Ehe. Finanziell ist sie gut gestellt, emotional sieht es allerdings ganz anders aus.

Die Hauptakteurin hier ist allerdings Kiki, die tollkühne Reporterin. Sie glaubt nicht an Sylvias Schuld und ermittelt auf eigene Faust. Sie schnüffelt herum was das Zeug hält, überschreitet Grenzen und das nicht nur einmal, es wiederholt sich ständig. Und keiner hält sie auf, sie gefällt sich in dieser Rolle, geriert sich als unverwundbar. Und genau dieses Zuviel schadet der eigentlich gut lesbaren Story. Daneben und dazwischen ist auch die Liebe in Form eines Maulwurfs dabei.

Es sind die Dialoge, die für Auflockerung sorgen. Diese haben mir mehr als einmal ein Schmunzeln abgerungen, die Stimmung an und für sich ist ein auf und ab der Gefühle. Als Justiz-Krimi im herkömmlichen Sinne sehe ich diese „Mutterliebe“ nicht unbedingt, auch wenn die Gerichtsverhandlung voranschreitet. Der Handlung kann ich durchweg gut folgen, das Autorenduo, das sich Kim Selvig nennt, punktet durch Wortwitz in einer lockeren, unterhaltsamen Sprache. Wäre da nicht dem Ende zu ein extremer Patzer passiert, der auch dem etwas zerstreuten Leser sofort unangenehm auffällt.

Es war ein kurzweiliges, vergnügliches Lesen. Kikis „Investigativer Journalismus“ war überzeichnet. Auch wenn ihr Charakter viel Potenzial aufweist, so sollte man nicht ständig in die Vollen gehen. Weniger wäre auch hier sehr viel mehr, die Figur Kiki um einiges glaubhafter gewesen. Gute Unterhaltung war es allemal.

Bewertung vom 03.05.2023
Die unglaubliche Grace Adams (MP3-Download)
Littlewood, Fran

Die unglaubliche Grace Adams (MP3-Download)


sehr gut

Der (nicht) alltägliche Wahnsinn

Im Mittelpunkt steht, wie es der Titel schon preisgibt, „Die unglaubliche Grace Adams“. Ihre Geschichte wird in verschiedenen Zeitabschnitten erzählt.

Lotte hat heute Geburtstag, sie ist die gemeinsame Tochter von Ben und Grace. Aber gemeinsam feiern ist nicht, Lotte ist mit ihrem Vater ausgezogen. Und Grace? Will ihr zu ihrem 16. Geburtstag unbedingt eine Torte schenken, eine ganz besondere Torte soll es sein. Und so hechelt sie durch gefühlt halb London mit diesem Backwerk in der Hand und versteht so gar nicht, dass weder Lotte noch Ben etwas von ihr wissen wollen. Warum das denn?

In Rückblenden erfahre ich von Grace und Ben, wie es mit ihnen begann und von Lotte, die sich bald zu ihnen gesellt hat. Und dann erfahre ich von der achtjährigen Lotte, von dem Band, das Mutter und Tochter verband. Grace habe ich nie als mainstream empfunden, sie hatte schon immer ihren eigenen Kopf und das war nicht immer zielführend. Im Laufe der Zeit waren so etliche Probleme zu bewältigen und die Schilderung dessen war ein kurzweiliges Hörvergnügen, denn ich habe mir Grace Geschichte von Tanja Fornaro vorlesen lassen.

Es ist besagter Geburtstag von Lotte, an dem die unglaubliche Geschichte spielt. So einiges geht schief und Grace lässt Stationen ihres Lebens Revue passieren. Sie ist eine Powerfrau, emotional, zuweilen eigensinnig, spürt ihrem bisherigen Dasein mit allen erdenklichen Höhen und Tiefen nach. Sie hat genug Probleme – aber unterkriegen ist für sie keine Option.

„Wunderbar wahnsinnig“ trifft es auf den Punkt. Ihr Trip durch London ist zuweilen herrlich schräg, es waren entspannte Hörstunden und nicht nur die Autorin hat einen guten Job gemacht, auch Tanja Fornaro hat mich mit ihrer einfühlsamen Erzählweise tief in Grace Geschichte eintauchen lassen.

„Grace kann alles. Außer ruhig bleiben.“ Ja, diese Aussage kann ich nach dem Hören nur bestätigen. Ein wenig verrückt, ein wenig eigensinnig – der (nicht) alltägliche Wahnsinn.

Bewertung vom 29.04.2023
Mit zitternden Händen (eBook, ePUB)
Giolito, Malin Persson

Mit zitternden Händen (eBook, ePUB)


sehr gut

Dramatisch, hoffnungslos, erschütternd

„Beeilen Sie sich, verdammt noch mal… Er stirbt.“ Der Anrufer ist total verstört, weint heftig, er kann nicht genau beschreiben, wo er sich befindet, wohin die Rettung kommen soll. Mit viel Einfühlungsvermögen gelingt es dann doch, die richtige Stelle zu orten.

Billy und Dogge kennen sich seit langer Zeit, seit ihrer Kindheit auf dem Spielplatz. Auch wenn ihr familiärer Hintergrund nicht unterschiedlicher sein könnte, so sind sie doch Freunde. Billy entstammt einer Einwandererfamilie, die Eltern von Douglas, Dogge genannt, sind gut situiert und auch wenn diese ihrem Kind finanziell alles bieten können, so bleibt die Wärme und die Geborgenheit auf der Strecke. Billy dagegen wächst voller Liebe und Fürsorge auf und doch lassen sich die beiden noch nicht strafmündigen Jungen in einen Sog aus Kriminalität hineinziehen, angelockt durch Geld und jederzeit verfügbaren Drogen. Sie schauen voller Achtung auf Mehdi, der sie das Schießen lehrt, der sie gerne für Raubzüge einsetzt, der lange Arm des Gesetzes reicht für die beiden Kinder noch nicht, sie können wegen ihres jungen Alters nicht belangt werden. Doch irgendwann will Billy aussteigen, seine Mutter steht hinter ihm…

Alles beginnt, als der Schuss bereits gefallen ist. Es scheint so, als ob er seinen Freund erschossen hat und doch bleibt der Todesschütze nebulös. In Rückblicken erfahre ich von den beiden Jungen, wie sie sich kennenlernen, wie sie ticken und wie sie sich immer mehr in Straftaten verstricken, ihr vermeintlicher Mentor benutzt sie nur zu gerne für seine Zwecke.

In wechselnden Perspektiven erhalte ich immer mehr Einblick in das Handeln und die Denkweise der einzelnen Akteure, die Geschichte wird schrittweise aufgebaut. Das charakteristische der Figuren wird zunehmend sichtbar, der einmal in Gang gesetzte und irgendwann nicht mehr zu stoppende Prozess hin zur Tat scheint gar nicht anders möglich zu sein, zu weit haben sie alle sich vorgewagt, sich in kriminelle Machenschaften verfangen.

Was ist Recht, was ich Gerechtigkeit. Da wird ein Ladenbesitzer über Jahre terrorisiert, er wendet sich nicht nur einmal an die Behörden und stößt stets auf taube Ohren. Es wird gar nicht oder zu spät reagiert, das Rechtssystem wird regelrecht vorgeführt. Es erschüttert, wohin ein junges Leben führen kann. Man trifft die falschen Leute, vertraut denen und deren Versprechen, lässt sich nur zu leicht blenden, ein Entkommen ist schier unmöglich.

„Mit zitternden Händen“ zeichnet ein düsteres Bild, die Charaktere sind bis auf die Eltern von Dogge allesamt glaubhaft dargestellt. Diese jedoch waren leider zu klischeehaft als reiche, dem Nachwuchs gegenüber ignorante, dem Alkohol und Drogen zugewandte, feierfreudige Emporkömmlinge ohne jegliches Gewissen beschrieben, was mich äußerst irritiert hat. Dies jedoch ist mein einziger Kritikpunkt in der ansonsten überzeugenden Story.

Bewertung vom 26.04.2023
Das Café ohne Namen (eBook, ePUB)
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Stimmige Milieustudie

Im „Café ohne Namen“ werden Geschichten erzählt und einige davon hat Robert Seethaler in besagtem Café, das eigentlich gar keines ist, aufgeschrieben. Hier gehen ganz normale Menschen ein und aus, sie unterhalten sich, trinken was, auch so manches Mal über den Durst. Und sie machen Brotzeit, Jause wird das wohl in Wien genannt.

Wir schreiben das Jahr 1966, es ist schon eine ganze Weile her. In Wien treffen wir auf Robert Simon, den Gelegenheitsarbeiter auf dem Karmelitermarkt. Er wohnt zur Untermiete bei einer Witwe und greift zu, als ihm eine Gastwirtschaft angeboten wird. Sein Café, wie er es nennt, hat Zulauf vom ganzen Viertel. Es gibt nicht allzu viel, Bier und Wein und auch alkoholfreie Getränke reichen vollkommen aus, daneben schmiert er Schmalzbrote mit und ohne Zwiebel, auch die eingelegten Salzgurken gehen gut und im Winter kann er nicht genug Punsch einkochen, das Rezept hat ihm die Witwe verraten.

Irgendwann verirrt sich Mila auf der Suche nach Arbeit hierher, so mache Gestalt hält Ausschau nach Liebschaften und Jascha, die immer noch von Tito schwärmt, will eine Taube retten. René, der Ringkämpfer, wird Stammgast und der Fleischer von gegenüber, der schon wieder Nachwuchs bekommt, beklagt diesen Umstand einmal mehr. Der alte Georg wird in seinem Suff Zeuge, wie die Reichsbrücke mit einem gewaltigen Rumms einstürzt, um nur einiges aufzuzählen – ein buntes Völkchen trifft sich hier.

Wien erholt sich vom Krieg, der mittlerweile zwanzig Jahre vorbei ist und wir treffen auf Menschen voller Sehnsucht. Es herrscht Aufbruchstimmung. Robert Seethaler gibt seinen Figuren all das mit, was das Leben ausmacht. Sie sind mit ihren Sorgen, aber auch mit ihrem Lebensmut greifbar. Er ist ein exzellenter Geschichtenerzähler. Sein unaufgeregter Erzählstil vermittelt ein stimmiges Gesamtbild, eine Melange aus all den Schicksalen, aus all den Charakteren, die im „Café ohne Namen“ aufeinandertreffen.

Bewertung vom 26.04.2023
Erinnere dich! (eBook, ePUB)
Reiter, Max

Erinnere dich! (eBook, ePUB)


sehr gut

Fakt oder Fiktion?

Was geht hier vor? Manipulation? Oder doch eher ein Anstoß, endlich das längst Vergangene, das tief Vergrabene an die Oberfläche zu lassen? „Erinnere dich!“ Ein Psychothriller, der einen zuweilen den Atem stocken lässt!

Ein Abi-Treffen steht an und Arno Seitz, Dozent an einer Uni in Berlin, zieht es eher nicht zu seinen ehemaligen Kommilitonen. Er fährt dann trotzdem und trifft seine damaligen Freunde wieder. Zu viert waren sie meist unterwegs, so auch bei einer Wanderung, bei der Maja verschwand. Zwanzig Jahre sind seitdem vergangen, Majas Schicksal ist ungeklärt.

Ein durch und durch perfides Spiel nimmt seinen Anfang, als Arno aus der Post ein Handy fischt, das er bald wieder vergisst. Und dann ertönt als voreingestellter Klingelton „When the saints go marching in“ – Lost & Found ruft an. Er nimmt ab. „Erinnere dich!“ sagt die Stimme, Majas Stimme.

Es sind sehr beklemmende Szenen und ich frage mich nicht nur einmal: Warum wirft Arno dieses vermaledeite Handy nicht einfach weg? In ein tiefes Gewässer damit, die Person, die sich hinter Lost & Found verbirgt, zwingt ihn zurück in die Vergangenheit. Maja war seine Freundin und bald stellt er alles, was zwischen ihnen war, in Frage. Hat er Schlimmes verdrängt? Oder was genau bezweckt diese Unbekannte hinter Majas Stimme?

Zunächst nimmt Max Reiter seine Leser mit an die Uni und sein Edgar-Allan-Poe-Seminar, lässt an seiner gerade zu Ende gehenden Fernbeziehung teilhaben, das erste Drittel des Thrillers ist dazu da, Arno und sein jetziges Leben kennenzulernen. Schon interessant, aber diese Etappe hätte durchaus kürzer sein können.

Doch je weiter ich lese, desto mehr werde ich in das diabolische Spiel hineingesaugt. Und auch für Arno ist es wie ein Sog, dem er sich nicht mehr entziehen kann, zu tief ist er schon drin. Hat diese Person, diese Telefonstimme, lange, viel zu lange geschwiegen und will endlich Klarheit, will die Wahrheit aus ihm herauskitzeln? Will sie ihm schaden, ihn in einen Abgrund führen, ihm suggerieren, dass er ein Mörder ist? Sind es tief verborgene Erinnerungen oder wird er geschickt manipuliert? Arno weiß es selbst nicht mehr, seine Selbstzweifel nehmen zu. Und er meint, sich zu erinnern - an längst verschüttete Ereignisse, die er erfolgreich verdrängt hat.

Nach dem für meinen Geschmack zu gemächlichen Anfang nimmt die Story Fahrt auf, ein teuflisches Psychospiel nimmt seinen Lauf. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet, keiner ist so ganz durchschaubar. Lediglich eine Nebenhandlung um einen jungen Studenten ist ein wenig drüber, diese Story in der Story hätte der Autor gerne weglassen können, auch wenn er sie geschickt ins Geschehen hineinmanövriert.

Ein Psychospiel. Verstörend, perfide, nach anfänglichen Längen gut und dicht erzählt.

Bewertung vom 26.04.2023
Als wir Vögel waren (eBook, ePUB)
Banwo, Ayanna Lloyd

Als wir Vögel waren (eBook, ePUB)


sehr gut

Magie und Mystik zwischen Leben und Tod

„Als wir Vögel waren“ ist der erste Roman aus der Feder von Ayanna Lloyd Banwo - ihre Wurzeln sind in Trinidad. Auch wenn sie seit kurzem in London lebt, so bleibt sie ihrer Heimat verbunden. Die vielschichtig angelegte Erzählung ist Leben und Tod, ist Magie und Phantasie.

Yejides geliebte Großmutter verzaubert sie schon als Kind mit geheimnisumwobenen Geschichten und dieses Mystische, verstandesmäßig nicht sofort Fassbare, schlängelt sich immer mal wieder dazwischen. „Als ich klein war, hat meine Granny oft eine Geschichte über sprechende Tiere und einen großen Krieg erzählt. In der Geschichte wird die Welt durch den Tod zerrissen, die Lebenden schaffen es nicht mehr, die Toten aufzuwiegeln. Da verwandeln sich die Vögel der alten Zeit in Corbeaux – Aasvögel – und vertilgen die Toten. Das Gleichgewicht ist wiederhergestellt…“

Um viele, um verschiedene Arten von Liebe geht es, auch und vor allem um Darwin und Yejide, zwei junge Außenseiter. Port Angeles auf Trinidad ist ihre Heimat, ihrer beider Leben könnte unterschiedlicher nicht sein und es dauert eine ganze Weile, bis sie sich begegnen.

„Emmanuel (Darwin) ist er. Ein Name, der auf ihrer Zunge süß und schwer klingt.“ „Sag nicht Ma´am zu mir, sag Yejide.“

Es ist eine leise Geschichte. Man meint, dass nicht viel passiert und doch geschieht eine ganze Menge. Emmanuel, der sich Darwin nennen lässt, lebt in ärmlichen Verhältnissen mit seiner Mutter, die von seiner Arbeit in Fidelis nichts wissen will. Und auch er schämt sich, hier arbeiten zu müssen, aber die Schlange der Arbeitssuchenden ist lang, zu lang. Er, der bis soeben ein Rastafari war, verwandelt sich auch äußerlich, schneidet sich die Haare und die Vergangenheit radikal ab. Er ist nun Totengräber und mit ihm gehe ich abends, bevor er das Tor zusperrt, über den Friedhof, auch um keinen einzuschließen.

Die zweite Hauptakteurin hier ist Yejide. Sie ist umgeben von starken Frauen. Vor allem die Verbindung zu ihrer Großmutter war von Liebe und absolutem Vertrauen geprägt. Und auch ihre Mutter, die eher kühle Distanz ausstrahlt, gibt ihr Ratschläge wie diesen: „Lauf. Nimm deinen Mann, nimm dich und lauf. Sollen die Toten die Toten begraben.“

Man sollte sich Zeit gönnen, sich in Ruhe der Geschichte widmen. Der Umgang mit dem Tod ist in einer uns eher fremden Kultur ein anderer, es ranken sich viele Mythen um ihn. „Alle Geistergeschichten sind Liebesgeschichten…“ so lese ich im Nachwort und nachdem ich dieses Buch zugeklappt habe, verstehe ich diese Aussage, vorher wäre ich eher verwirrt gewesen.

Es ist eine magische Liebesgeschichte und noch mehr… Über das Leben und Sterben, den Überlebenskampf, mit zuweilen nicht immer ganz legalen Mitteln, erzählt die Autorin in einer bildhaften, gut lesbaren Sprache, in einem gemächlichen Tempo. Magisch und mystisch angehaucht.

Bewertung vom 25.04.2023
Diabolisch
Wagner, Jonas

Diabolisch


ausgezeichnet

Rache!

Jonas Wagner hat nach „Böse“ mit „Diabolisch“ wieder einen Thriller vorgelegt, der an Spannung kaum zu toppen ist.

Schon das Cover ist beklemmend, deutet es doch auf eine Enge, ein Eingesperrtsein hin, alles in einem blauen Licht beleuchtet und die ersten Seiten nehmen diese Stimmung direkt auf: „Liebes Tagebuch, Alex ist nicht heimgekommen…“. Wir schreiben das Jahr 1995, es sind die tollen Tage im Februar.

Jahre später sitzt die Tochter am Krankenbett ihrer Mutter. Mit letzter Kraft flüstert diese: „Ich verzeihe dir, hörst du“. „Ja, aber ich verzeihe dir nicht“ kommt es von der Tochter zurück. Was dieser kurze Dialog zu bedeuten hat, warum die beiden Aussagen über allem schweben, wird bald deutlich, auch wenn sich mir die ganze Tragweite dahinter erst ziemlich dem Ende zu erschließt.

Die kurzen Abschnitte wechseln vom Gestern ins Heute, dazwischen lese ich Tagebucheinträge, geschrieben von der damals 7jährigen Lotte, sie ist die Schwester von Alex. Eigentlich sollte ihr Vater sie abholen, aber er hatte anderes zu tun und so sind die beiden Kinder auf sich alleine gestellt. Es ist kalt, es dämmert schon und kein Auto hält an…

Siebenundzwanzig Jahre danach: Polizeioberkommissarin Larissa Flaucher ermittelt in einem mysteriösen Fall von Kindesentführung, das ein grausames Verbrechen nach sich zieht. Aber nicht genug damit, weitere fürchterlich zugerichtete Tote werden aufgefunden, alle sind sie keines natürlichen Todes gestorben. Was ist hier los in diesem kleinen Dorf Holzhausen? Ein ganzes Ermittlerteam mietet sich vor Ort ein und doch scheint es, dass der unbekannte Mörder sein Unwesen ungehindert fortsetzen kann. Natürlich ist die Presse immer zugegen, sie schreibt vom Killerkaff.

Die Rückblenden lassen Schlüsse auf die jetzigen Morde zu und bald meint man, die Zusammenhänge zu sehen. Das, was damals geschah, fließt unweigerlich in die jetzigen Taten mit ein. Jonas Wagner verwebt geschickt die losen Fäden, lässt hinter die Kulissen blicken. Aber nur so viel wie unbedingt nötig. Es bleiben Fragen offen, des Rätsels Lösung erschließt sich ziemlich spät. Rache ist das Motiv, das alles überlagert, das Jahrzehnte überdauert. Der Autor lässt tief blicken, er zeigt so manch teuflische Seite seiner Charaktere aufs Anschaulichste.

„Diabolisch“ ist Spannung pur ab Seite eins. Ein Thriller, den ich wieder mal am Stück konsumiert habe, ein Weglegen war nicht möglich. Ein perfides Spiel, das gekonnt die menschlichen Abgründe inmitten einer vermeintlichen Dorfidylle durchleuchtet. Eine gut durchdachte Story, absolut fesselnd erzählt.

Bewertung vom 25.04.2023
Der treue Spion / Offizier Gryszinski Bd.3 (MP3-Download)
Seeburg, Uta

Der treue Spion / Offizier Gryszinski Bd.3 (MP3-Download)


sehr gut

Vergnüglicher Spionagekrimi

„Der treue Spion“ erzählt von „Gryszinski und seinem schwierigsten Fall“ - für mich ist es der erste Fall mit ihm. Nachdem ich die ersten zwei Bände versäumt habe, war ich doch neugierig auf Gryszinski. Trotz des Neueinstiegs hatte ich nie das Gefühl, Gravierendes verpasst zu haben. Ich lasse mich also ganz auf diesen historischen Krimi ein, der in zwei Zeitebenen erzählt wird.

Harper Audio hat diesen spannenden Kriminalfall in der Hörbuchfassung aufgelegt, routiniert vorgetragen von Michael Schrodt. Diese ungekürzte Hörbuchfassung hat eine Spieldauer von 13 Stunden und 20 Minuten.

Gleich mal gehe ich zurück ins Jahr 1986, als ein französischer Diplomat aus einem Münchner Hotel spurlos verschwindet. Gryszinskis Ermittlungen führen ihn bis nach St. Petersburg und drüber hinaus, den Spuren eines russischen Paares folgend. Es geht um Geheimpläne – wo sind sie abgeblieben? Jahrzehnte später tritt Fritz in die Fußstapfen seines Vaters, auch er in geheimer Mission unterwegs. Was seinem Vater damals nicht gelang, wird nun er fortsetzen.

Es geht für Gryszinski quer durch Europa und darüber hinaus – neben München führt ihn seine Tätigkeit nach Paris und Wien, auch Konstantinopel und wie schon erwähnt Petrograd werden von ihm anvisiert. Es ist später dann der Sohn, der direkt von der Front abberufen wird, um den lange zurückliegenden, noch immer unaufgeklärten Fall zu lösen. Er kann sich frei bewegen, stößt auf wenig Widerstand, was in dieser Zeit doch eher schwierig gewesen sein dürfte - diese historischen Eckpunkte übergehe ich mal großzügig. Das Hörbuch und die ganze Geschichte um Gryszinski in beiden Zeitebenen haben mir gut gefallen, ich bin mit ihnen weit gereist und das sehr gerne.

„Mit welch kolossalem Irrtum diese Geschichte begann…“ höre ich mit Vergnügen, ich begebe mich auf eine Reise in die Vergangenheit. Schon der Erzählstil ist dieser Zeit angepasst, ohne altbacken zu wirken. Nicht Hektik bestimmt ihr Leben, es ist eher beschaulich, Schrodts angenehme Stimme und sein lebendiger Vortrag tun ein Übriges. Die vielschichtigen Charaktere, allen voran Vater und Sohn, kommen authentisch rüber, die Geschichte baut sich langsam auf.

„Die Menschheitsgeschichte ist voll von Falschmeldungen in der ganzen Vielfalt ihrer Formen“ und diese falschen Identitäten, all die unterschiedlichen Wahrnehmungen und noch mehr werden aufs Unterhaltsamste dargeboten. Ein historischer Krimi, der gut unterhält und –soviel sei verraten - schlussendlich auch diesen Fall aufklären wird.