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yellowdog

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Insgesamt 1899 Bewertungen
Bewertung vom 26.04.2023
Das Café ohne Namen
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen


ausgezeichnet

Zentrum der Welt

Das Café ohne Namen heißt der neue Roman von Robert Seethaler, den ich schon mehrfach mit Begeisterung gelesen habe. Das Feld, Der letzte Satz, Ein ganzes Leben. Das waren großartige Romane und Das Café ohne Namen fügt sich da sehr gut ein.
Seethaler betrachtet dabei, wie die Menschen die Nachkriegszeit in Wien bewältigen. Derr Protagonist Robert Simon eröffnet 1966 ei gutgehendes Café, nur einen Namen hat es nicht.
Trotzdem wird das Café für ihn, seine Angestellte Mila und die Gäste zum Zentrum der Welt.
Eine Reihe von Figuren werden betrachtet, zum Beispiel der Ringer René, der Maler und Schwerenöter Mischa, Rose Gebhartl, Heide, der Angeber Arnie, ein Fleischermeister und weitere.
Und eines Tages taucht die junge Jascha auf, in die Robert sich verliebt. Doch die junge Frau trägt erhebliche Probleme mit sich herum.
Auch manchen der anderen Figuren folgt man über Jahre hinweg. Das ist wirklich gut gemacht. Man spürt die Routine des erfahrenen Autors.

Durch die Szenen im Café erhält man ein Porträt einer Generation.

Bewertung vom 26.04.2023
Der heutige Tag
Schubert, Helga

Der heutige Tag


ausgezeichnet

Helga Schubert beweist in Der heutige Tag - Stundenbuch der Liebe nochmals eindrücklich, dass ihr Gewinn des Ingeborg Bachmann-Preis kein Einzel- oder Zufallstreffer war.
Sie schreibt großartig, hat Ausdruck und einen eleganten Stil.
Die 80jährige Helga Schubert beschreibt Zusammenleben mit ihrem älteren Ehemann, den sie pflegt. Hinzu kommen Passagen der Erinnerung an Zeiten der Vergangenheit.
Es ist ein Buch des Alltags. Dramatisches wird zugunsten Tiefe und Wahrhaftigkeit ausgespart.

Das Hörbuch wird von Ruth Reinecke gelesen. Eine Qualität der Sprecherin ist, dass man beim Zuhören vergisst, das nicht Helga Schubert selber den Text liest. So sehr geht Ruth Reinecke in der Rolle auf.

Bewertung vom 24.04.2023
Sibir
Janesch, Sabrina

Sibir


ausgezeichnet

Die Rückkehr der Stimmen

Sabrina Janesch ist eine interessante Autorin und ihr Roman Sibir lockt schon mit dem gut gemalten Cover. Die Handlung geht von der Gegenwart aus, wirft jedoch schnell einen Blick in die Vergangenheit. Es geht viel um das Thema Herkunft und der Bedeutung der Vergangenheit.
Es gibt zwei Hauptfiguren: Josef Ambacher und seine Tochter Leila.
Es wird Josefs Geschichte geschildert, der als 10jähriges Kind mit seiner Familie nach Sibirien kam und später nach Mühlheim in Niedersachsen gelangte. Auch die Geschichte der Tochter Leila nimmt viel Raum ein.
Sabrina Janesch macht wirklich beeindruckende Beschreibungen.

Es ist ein konzentrierter,dennoch angenehmer Erzählton mit ein wenig Melancholie versetzt.
Man kommt schnell in die Geschichte hinein., Das liegt auch daran, dass die Figuren lebensecht wirken und man schnell Anteil an ihnen und ihrer Geschichte nimmt.

Bewertung vom 16.04.2023
Rauhnächte
Luik, Arno

Rauhnächte


ausgezeichnet

Der Journalist Arno Luik hat die Diagnose Darmkrebs bekommen.
Das bedeutet eine langwierige, anstrengende Therapie und Todesgefahr.
Daraus resultieren harte Nächte, in denen seine Gedanken nur um den Krebs kreisen.
Um sich abzulenken hat er angefangen Tagebuch zu schreiben.
Diese Eintragungen sidn die Grundlage für dieses intensive Buch.
Man erfährt von seiner Gefühlslage. Teilweise sind es aber auch politische Ereignisse, über die er reflektiert, z.B. der Ukrainekrieg und die Rolle der USA bei der Nordstreamsabotage, WM in Katar, Letzte Generation etc. Einiges, was er schreibt ist auch durchwegs eigenwillig und provokant, z.B. seine Enttäuschung über die Grünen.

Außerdem sind ein Interview mit Angelika Schrobsdorff und eine Reportage über Georg Elser in dem Buch integriert.

Das Buch ist wegen seiner Thematik und der offenen Art, in der Luik schreibt, nahezu schonungslos. Das wird aber gemildert, weil Arno Luik einen Ton findet, der funktioniert.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.04.2023
Solange wir leben
Safier, David

Solange wir leben


ausgezeichnet

Die Geschichte der Eltern

Mit Solange wir leben hat der Bremer Autor David Safier die Geschichte seiner Eltern geschrieben.
Ich nehme an, dass die Eckdaten stimmen, es aber erzählerische Freiheiten gibt.
Dadurch kann er seine eigenwilligen, aber liebenswerten Figuren lebendig werden lassen.
Joschi erlebte schlimme Zeiten als Jude , seine Eltern überlebten nicht. Joschi ist ein Überlebenstyp und er will in der Nachkriegszeit in vollen Zügen leben.
Waltraud ist 20 Jahre jünger als Joschi, muss aber in der Nachkriegszeiten auch harte Zeiten durchmachen.
Es dauert fast bis zur Mitte des  Buches, bis sie sich kennenlernen. Da ist Waltraud schon Witwe und Joschi noch mit einer anderen verheiratet.

Es gibt einige Abschnitte in Wien, aber der Großteil der Handlung spielt in Bremen. Das ist sehr reizvoll, den  Bremen ist eine wundervolle Stadt.

Man spürt, wie wichtig dem Autor die Geschichte seiner Eltern war, die ihm dann auch sehr gut gelungen ist.

Bewertung vom 15.04.2023
Die Tage in der Buchhandlung Morisaki
Yagisawa, Satoshi

Die Tage in der Buchhandlung Morisaki


ausgezeichnet

Der Trost durch Bücher

Die Tage der Buchhandlung Morisaki ist ein interessanter, japanischer Roman über die Verarbeitung von Beziehungsproblemen.
Nachdem der Icherzählerin Takako von ihrem Freund, mit dem sie auch zusammenarbeitet, übel mitgespielt wurde, kündigt sie und zieht zu ihrem sympathischen Onkel, der ein Bücherantiquar führt.
Zuerst schläft sie nur stundenlang, für die Bücher interessiert sie sich nicht. Doch das ändert sich und schließlich lernt sie im Café nebenan neue Leute kennen, mit denen sie sich anfreundet.
In der zweiten Hälfte des Romans wird ihre Beziehung zur Tante Momoko wichtig, die nach jahrelanger Trennung zu ihrem Onkel zurückgekehrt ist.

Sowohl Onkel als auch Tante werden gut porträtiert als außerordentliche Menschen. Ich denke, das ist eine Stärke des Autors, während der Roman ansonsten überwiegend konventionell erzählt wird.

Einen Aspekt möchte ich noch gesondert erwähnen: Die Buchhandlung führt japanische Literatur der Frühmoderne, also von Autoren der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Das sind Namen, die den meisten westlichen Lesern vermutlich nicht soviel sagen. Einige von ihnen habe ich mir herausgeschrieben. Vielleicht begegne ich deren Bücher auch einmal in einem Antiquar.

Bewertung vom 15.04.2023
3000 Yen fürs Glück
Harada, Hika

3000 Yen fürs Glück


sehr gut

Japanisches Gesellschaftsporträt

Ein Roman mit dem Thema Geld und Bedeutung. Warum nicht. Aber letztlich ist es doch in erster Linie ein Gesellschaftsporträt, dass das zeitgenössische Japan zeigt.
Die ersten Abschnitte sind wirklich brillant. Die ju8ngen Mädchen Mithob und Maho bekommen von ihrer Großmutter jeweils 2000 Yen geschenkt, und was sie damit machen ist für die Großmutter kennzeichnend für den Charakter des Menschen.
In erster Linie stehen Mihos Gedanken im Vordergrund. Es ist auch eine Art Familienroman. Als Erwachsene erlebt sie, wie ihre Kollegin rausgemobbt wird. Eine leise Kritik an den japanischen Arbeitsmarkt, wahrscheinlich nicht so weit weg vom deutschen.

Später hat das Buch ernüchternde Längen, bleibt auch unspektakulär.
Trotzdem ist 3000 Yen fürs Glück lesenswert, schließlich gibt es einige berührende Momente.

Das Buch schließt mit einem Kommentar der Übersetzerin sowie einer Übersicht über die handelnden Figuren und einem Glossar.

Bewertung vom 09.04.2023
Und trotzdem leben wir
Küpper, Michaela

Und trotzdem leben wir


sehr gut

Michaela Küpper wirft in ihrem gut lesbaren Roman „Und trotzdem leben wir“ einen Blick auf die deutsche Nachkriegsgesellschaft. Es sind harte Zeiten. Viele Männer sind tot oder in Kriegsgefangenschaft, die Frauen müssen sich und ihre Kinder allein durchkriegen.
Dazu gehört z.B. auch Eva Koch, die mal Lehrerin war, die Frisöse Erika Schott, dann noch Gerrit mit ihrer Mutter.
Die Zwangslage prägt die Frauen und sie sind entschlossene, selbstbewusst auftretende Persönlichkeiten.
Eine typische Figur der Zeit ist der sympathisch gezeichnete 14jährige Emil, ein Überlebenstyp, der mit seinem Fahrrad mutig Aufträge erledigt und sich stets schlitzohrig gibt.

Man bekommt einen Eindruck von der Zeit, wie man sie sich vorstellt. Manche der Motive sind schon etwas vergriffen, denn solche Romane gibt es schon einige. Aber auch Michaela Küppers Roman funktioniert.

Bewertung vom 08.04.2023
Alles wird gut
Politycki, Matthias

Alles wird gut


sehr gut

Matthias Politycki neuester Roman heißt Alles wird gut. Chronik eines vermeidbaren Todes. Ein Titel, der an Gabriel Garcia-Marquez erinnert und tatsächlich hat der Roman auch etwas Exotisches. Schauplatz ist der Süden Äthiopiens im Jahr 2020.
Der Protagonist heißt Josef Trattner, aus Wien, der jetzt schon 3 Jahre in Afrika arbeitet. Er ist ein überwiegend passiver Beobachter, bleibt zunächst kühl, reagiert wenig. Das kennzeichnet den Roman, bei dem man den Figuren zunächst nicht so nahekommt, wie in Polityckis letzten Roman „Das kann uns keiner nehmen“, der auch in Afrika handelte.
Dennoch beeindrucken mich die Figuren. Politycki kann markante Typen schaffen.

Trattner ist fasziniert von einer Frau der Suri, Natu. Wegen ihr bemüht er sich mehr, Afrika zu verstehen und durch seinen Blickwinkel nehmen wir Leser das uns fremde Äthiopien wahr. Der kommende Krieg liegt in der Luft, die Konflikte zwischen den Ethnien sind spürbar.

Meiner Auffassung nach bleiben sich Trattner und Natu fremd, sie haben auch nicht so viele gemeinsame Szenen im Buch.

Die größte Stärke des Buches sind die Beschreibungen der Umgebung. Das ist auch der Erfahrenheit eines Autors geschuldet, der schon viele Romane geschrieben hat.

Bewertung vom 05.04.2023
Helga Schubert über Anton Tschechow / Bücher meines Lebens Bd.4
Schubert, Helga

Helga Schubert über Anton Tschechow / Bücher meines Lebens Bd.4


ausgezeichnet

Helga Schubert, verdiente Gewinnerin des Ingeborg Bachmann-Preis 2020, spürt in diesem schmalen Buch dem Leben Anton Tschechows und seinem Werk nach und schildert sein Leben auf spannende Art. Das Besondere ist, dass sie Tschechow als Persönlichkeit wirklich Profil gibt. Das ermöglicht dem Leser eine Begegnung.

Aber Helga Schubert schreibt auch über sich und erläutert ihre Verbundenheit mit Tschechow. Und sie findet wirklich einen Ton für das Buch.
Deshalb ist es auch ein sehr persönliches Buch geworden, so dass man als Leser Dankbarkeit empfindet, dass sie es mit uns teilt.