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Volker M.

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Insgesamt 374 Bewertungen
Bewertung vom 21.08.2022
Japan Reiseführer
Bizys, Ebony

Japan Reiseführer


ausgezeichnet

Ebony Bizys lebt seit über 10 Jahren in Tokyo und die Stadt wurde zu ihrer zweiten Heimat. Aber auch in anderen Teilen Japans kennt sie sich gut aus. Ihr Reiseführer „Japan“ ist ein sehr persönlich gefärbter „Best of“-Ratgeber mit einem deutlichen Fokus auf Cafés und Restaurants, die in irgendeiner Weise außergewöhnlich sind. Ebony war lange Zeit Art Direktorin von Vogue Living, einem Designmagazin für den gehobenen Geschmack und das merkt man der Auswahl an. Das Preissegment ist nicht immer gehoben, sondern oft im für Japan üblichen Rahmen, aber Ebony achtet auf Qualität und hat ein gutes Auge. Außerdem sucht sie nach typisch japanischem Design bzw. japanischen Eigenarten, die das jeweilige Etablissement hervorheben. Das gleiche gilt auch für die ausgewählten Geschäfte, die sie auswählt: Von kurios bis stylish ist alles dabei.

Es gibt auch Empfehlungen für touristische Sehenswürdigkeiten, aber die sind weniger spektakulär, sondern bedienen die zu erwartenden Top-Ziele. Selten liegen sie außerhalb von Großstädten, haben aber dafür den Vorteil der guten Erreichbarkeit. Es sind die großen Zentren zwischen Sapporo und Fukuoka, mit einem starken Fokus auf Tokyo und Osaka.

Zu allen Zielen gibt es die für Japan wichtigen Koordinaten: Adresse (nicht immer aussagekräftig), Telefonnummer (damit werden in Japan die Navis geführt) und Webadresse. Kleine Fotos illustrieren, was man geboten bekommt.

Der kleine Reiseführer im Anhang, mit „Wissenswertes“ betitelt, ist etwas spartanisch geraten. Zur Orientierung in Japan und der Reiseplanung ist das deutlich zu dünn, aber es gibt zumindest einen groben Eindruck.

Coronabedingt habe ich Japan jetzt seit drei Jahren nicht mehr gesehen und ich freue mich schon darauf, wenn die Grenzen wieder für Touristen geöffnet werden. Ebony Bizys sehr persönlich gefärbte, kulinarisch geprägte Auswahl wird mir sicher die eine oder andere Anregung geben, Teile Japans neu zu entdecken, die ich bisher weniger kannte. Überraschungen werden ganz sicher dabei sein. Dafür kenne ich Japan dann doch schon zu genau...

Bewertung vom 18.08.2022
Die Amphibien und Reptilien Europas
Glandt, Dieter;Trapp, Benny

Die Amphibien und Reptilien Europas


ausgezeichnet

Das in erster Auflage 2011 unter dem Titel „Grundkurs Amphibien- und Reptilienbestimmung“ erschienene Bestimmungshandbuch wurde nach Dieter Glandts überraschendem Tod jetzt mit neuem Titel (im Folgenden dennoch „Grundkurs“ genannt) vom Naturfotografen Benny Trapp aktualisiert herausgegeben. Der Band versteht sich ausdrücklich nicht als allumfassende Monografie über die Fauna Europas, sondern ist das Praxishandbuch, das im Gelände einsetzbar ist, aber z. B. nicht von jeder Art einen eigenen Steckbrief oder Fotos liefert. Diese „fehlenden“ Informationen ergänzt „Die Amphibien und Reptilien Europas: Alle Arten im Portrait“ (im Folgenden „Lexikon“ genannt), das ebenfalls von Dieter Glandt 2015 herausgegeben wurde und leider weder im Handel erhältlich noch als Neuauflage angekündigt ist. Dieser Band enthält u. a. auch ausführliche Artensteckbriefe, Verbreitungskarten und die zur genauen Identifizierung einiger Arten/Unterarten notwendigen Detailinformationen. Da beide Bände ausdrücklich komplementär konzipiert sind, ist dieses verlegerische Versäumnis sehr bedauerlich. Auf Nachfrage wurde mir zwar bestätigt, dass eine Neuauflage des zweiten Bandes in Planung ist, ein Erscheinungsdatum steht aber noch nicht fest. Auch antiquarisch ist der Band nicht zu finden.

Der Grundkurs teilt sich in zwei Hauptkapitel. Die Einleitung befasst sich sehr ausführlich mit den allgemeinen Lebensräumen von Amphibien und Reptilien, wobei zahlreiche Biotope aus ganz Europa gezeigt und mit bestimmten Charakterarten verbunden werden. Anschließend werden Feldmethoden der Faunenkartierung vorgestellt, insbesondere im Licht des Naturschutzrechts und vor dem Hintergrund methodischer Probleme, z. B. bei der Laichballenzählung oder der akustischen Individuenzählung. Ein besonderer Fokus liegt auf der Sicherheit im Umgang, wobei ausdrücklich auch die Sicherheit der Tiere im Fokus steht, nicht nur die des Menschen (Stichwort Schlangenbisse). Hier ist die sich rasant ausbreitende Chytridseuche bei jedem Fundkontakt ein erhebliches Risiko, besonders bei Personen, die häufigen oder beruflichen Kontakt mit Amphibien haben.

Der Bestimmungsteil behandelt nicht nur adulte Tiere, sondern auch Eier/Laich und (ältere) Larvenstadien, wodurch sich der Erfassungszeitraum noch einmal deutlich erweitert. Diese Aspekte werden z. B. im Lexikon weniger berücksichtigt, dagegen findet man nur in Ausnahmefällen Verbreitungskarten der Arten im Grundkurs, obwohl die Verbreitung ein wichtiges Element bei der Bestimmung ist. Textliche Angaben zur großräumigen Verbreitung wurden natürlich aufgenommen. Die Schlüssel sind in sinnvolle Abschnitte unterteilt, z. B. Schwanzlurche, Froschlurche, Schildkröten, Echsen, Schlangen etc.. Jeder einzelne Schlüssel ist dichotom (ja/nein-Entscheidungen) und enthält zahlreiche erklärende Zeichnungen bzw. Fotos, sowie ausführliche Textbeschreibungen, die weitgehend auf Fachsprache verzichten. Wo dies unumgänglich ist, gibt es Querverweise auf entsprechende Abbildungsseiten.
Hervorzuheben ist das Kapitel zu ungewöhnlichen Farbmorphen (untypischen Färbungen) und gelegentlich auftauchenden Mutationen. Ebenfalls hilfreich sind die mit QR-Codes hinterlegten Tonaufnahmen von charakteristischen Amphibienrufen, die natürlich nur bei Netzempfang zugänglich sind.

Da im Gelände nicht immer eine 100%ig eindeutige Entscheidung getroffen werden kann, was besonders für die ausgesprochen vielfältige Fauna Südeuropas gilt, empfiehlt sich die Aufnahme von Fotos, die anschließend mit dem Lexikon abgeglichen werden können (das für das Gelände definitiv zu schwer ist).

Um die Geländetauglichkeit des praxisnahen und intuitiv anwendbaren Grundkurses weiter zu steigern, könnte man überlegen, den Allgemeinen und den Systematischen Teil physisch zu trennen, oder zumindest einige Aspekte, wie z. B. Naturschutz, Handling und Erfassungsmethoden in das Lexikon auszulagern. Da beide Werke sowieso komplementär konzipiert sind, wären diese Themen aus meiner Sicht dort besse

Bewertung vom 09.08.2022
Antike Münzen sammeln
Haymann, Florian

Antike Münzen sammeln


ausgezeichnet

Eins vorweg: Als Wertanlage taugen antike Münzen nicht. Zum einen ist die Sammlerschaft für einen stabilen Markt einfach zu klein, zum anderen sind die Auf- und Abgelder bei Auktionen so hoch, dass man einen durchschnittlichen Wertzuwachs von 40 % braucht, um überhaupt Gewinne zu erzielen. Das ist die schlechte Nachricht.

Die gute Nachricht: Antike Münzen sind in ganz besonderer Weise mit der Geschichte verbunden, sie waren Wegbereiter für die Münzkunst und ihr stilistischer Einfluss reicht bis in die Gegenwart. Insbesondere die griechischen Münzen der Klassik haben teilweise eine Stempelschnittqualität, die erst wieder in der Renaissance erreicht wurde. Die Formen- und Variantenvielfalt ist unglaublich und das Wissen, das Numismatiker über die letzten Jahrhunderte zusammengetragen haben, ist es nicht weniger.

„Antike Münzen sammeln“ gibt einen hervorragenden Überblick von den ersten Münzen der griechischen Archaik bis zum Ende des byzantinischen Reichs. Der Praxisnutzen des Sammelns steht dabei ganz im Vordergrund. Es werden die strukturellen Grundlagen vermittelt (Nomenklatur, Prägetechnik) und alle Aspekte, die den Wert einer Münze bestimmen (Erhaltung, Seltenheit, Patina, Prägefehler, Fälschungen ...). Immer werden auch praktische Beispiele gezeigt, die das Beschriebene illustrieren, aber im Katalogteil gibt es auch noch weitere Hinweise und Beispiele.

Der Katalog ist im wesentlichen chronologisch aufgebaut und zeigt parallel zu der im Text beschriebenen numismatischen (oder historischen) Entwicklung reale Beispielmünzen aus dem Auktionshandel. Jede Münze ist in Originalgröße und in Farbe abgebildet, sowie mit den üblichen (Kurz)Beschreibungen, wie sie in Auktionskatalogen auftauchen. Die angegebenen Preise sind Zuschlagspreise aus Auktionen bis 2015, d.h. es fehlen noch die Aufgelder (üblicherweise um die 23 %), Preisentwicklungen nach 2015 sind nicht erfasst und Handelspreise sind dann noch einmal bedeutend höher. Mein Tipp: In aktuellen Auktionen bei erfahrenen Auktionshäusern fährt man am günstigsten.

Besonders fasziniert hat mich, wie sehr unsere heutige Münzkunst motivisch aus der Antike beeinflusst ist. Viele Prinzipien des Bildaufbaus oder der „Botschaft“ gelten heute wie vor 2500 Jahren. Genauso faszinierend ist, was Numismatiker aus Münzen herauslesen. Selbst das Gewicht lässt Rückschlüsse auf Krisen oder auch gewonnene Kriege zu. Interessiert hätte mich noch, wie die zahlreichen Münzstätten identifiziert wurden, aber irgendwo muss man auch eine Grenze ziehen.

Der hohe Praxisnutzen zeigt sich in den vielen Querverweisen auf meist kostenlose Internetressourcen, in denen man recherchieren kann. Darunter befinden sich ganze Fachbücher, Datenbanken, aber auch wichtige Artikel zu Einzelthemen. Erstaunlich viel Fachwissen ist online zugänglich. Die Bibliografie im Anhang des Buchs ist übrigens nicht weniger umfangreich.

Und noch eine gute Nachricht zum Schluss: Wenn man nicht zu hohe Ansprüche an die Qualität einer Münze legt, sind viele Stücke ausgesprochen preisgünstig zu erwerben. Selbst eBay lohnt einen Blick, denn immerhin sind etwa 90 % der dort angebotenen Stücke wirklich echt, nur eben qualitativ für den Auktionshandel zu minderwertig. Teure Anschaffungen sollte man allerdings aus fachkundigen Händen vorziehen.

Bewertung vom 08.08.2022
Der Botanische Garten Hamburg

Der Botanische Garten Hamburg


sehr gut

Der botanische Garten in Hamburg gehört zu den ältesten Einrichtungen dieser Art in Deutschland und wie auch in Köln oder Frankfurt verdankt er seine Existenz privatem Engagement. Anlässlich des 200-jährigen Jubiläums im Jahr 2021 erscheint dieser prächtig illustrierte Band mit einer umfassenden Darstellung der Geschichte und wissenschaftlichen Bedeutung dieses in vieler Hinsicht einzigartigen Gartens. Er versteht sich nicht als rein akademische Leistungsschau, sondern behält auch die Besucher im Blick, die die wunderschönen Gewächshäuser, pflanzengeografischen Sammlungen und Spazierwege zur Erholung nutzen. Seit dem Umzug nach Altona in den Sechzigerjahren sind die neuen Anlagen noch größer und weitläufiger geworden und viele Gehölze haben mittlerweile bereits eindrucksvolle Ausmaße angenommen.

Die Beiträge zeigen sowohl historisches Bildmaterial als auch aktuelle Fotos aus Pflanzensammlungen und dem Herbarium, jeweils unter einer summarischen Überschrift: „Gartenlust“ erzählt die Entwicklung des Gartens unter seinen jeweiligen Direktoren und „Forschergeist“ fokussiert sich auf die Forschungsschwerpunkte des botanischen Instituts, natürlich auch auf die tropischen Orchideen und Mittagsblumen, von denen Hamburg besonders viele und seltene Arten kultiviert. Das Kapitel „Naturschutz“ berichtet von heimischen und exotischen Erhaltungszuchten, bei denen die Gärtner in Hamburg wirklich hervorragendes leisten. In diesem Zusammenhang muss ich die leider unqualifizierten woke-aktivistischen Vorwürfe der Autorin Ute Schmiedel aufgreifen, die ihren Text nicht nur perfekt gendert, sondern auch gerne die Leistung europäischer Forscher herabwürdigt. Ein historisches Foto von 1934, das einen afrikanischen Hilfsarbeiter und einen europäischen Botaniker zeigt, kommentiert sie zum Beispiel, es illustriere „das jahrhundertelange Machtverhältnis zwischen Menschen verschiedener Hautfarbe“. Der Forscher hat allerdings die Position damals nicht wegen seiner Hautfarbe, sondern aufgrund seiner wissenschaftlichen Leistungen bekommen. Wenn es 1934 in Südafrika qualifizierte einheimische Botaniker gegeben hätte, sähe die Sache sicher anders aus, aber im vorliegenden Fall ist es nur billiger Woke-Aktivismus, dessen Übergriffigkeit mittlerweile deutliche Züge von Totalitarismus aufweist.

Bis auf die aktivistischen Untertöne hat mir der Jubiläumsband ausgesprochen gut gefallen, da er auf leicht verständliche Weise die aktuelle Arbeit darstellt und geschickt mit der Historie verbindet. Der botanische Garten in Hamburg ist heute ein Zentrum mit weltweit anerkanntem botanischen Know-how. Wie vielfältig und auf welch hohem Niveau hier geforscht (und gelehrt) wird, das zeigen die Beiträge. Die Vielfalt und Farbenpracht der Flora dieser Welt zeigen die prächtigen Fotos. Bemühter Woke-Aktivismus darf da gerne draußen bleiben.

Bewertung vom 07.08.2022
Ein Dillinger in Indien. P. Heinrich Roth SJ (1620-1668)

Ein Dillinger in Indien. P. Heinrich Roth SJ (1620-1668)


ausgezeichnet

Der Jesuit Heinrich Roth reiste zwischen 1649 und seinem Tod 1668 in Agra insgesamt zweimal auf dem Landweg nach Indien. Die bemerkenswerte Leistung steht im direkten Zusammenhang mit der erweiterten Missionstätigkeit seines Ordens im 17. Jahrhundert und sollte ursprünglich eine kürzere und schnellere Alternativroute nach China als die Seeroute um Kap Horn erschließen, jedoch wurde das Projekt aus politischen Gründen später nicht weiter verfolgt. „Ein Dillinger in Indien“ zeichnet Roths Lebensweg nach, vor allem aber seine Reisetätigkeit, die sich anhand überlieferter Quellen in bemerkenswerter Detailliertheit rekonstruieren lässt. Hierbei setzen die Autoren nicht nur einen geografischen Fokus, sondern beleuchten auch die religiöse Motivation Roths und die Organisationsstrukturen und Hierarchien des Jesuitenordens. Gerade an Roths Beispiel lassen sich die Informationsflüsse und Entscheidungswege sehr gut nachvollziehen, indem seine Reisepläne mehrfach geändert werden mussten. Auch war sein Projekt wegen der politischen Risiken streng geheim, weshalb Roth mit seinem zeitweiligen Reisegefährten Johannes Grueber meist inkognito reiste. Insgesamt verbrachte er fast 20 Jahre in Indien, was ihn durch einen glücklichen Zufall auch in die Lage versetzte, die erste fremdsprachige Sanskritgrammatik zu verfassen. Zwar wurde dieselbe nie verlegt, aber bei seinem Aufenthalt in Rom nach der ersten Indienreise tauschte er sich intensiv mit dem Universalgelehrten Athanasius Kircher aus, der zahlreiche Informationen Roths und Gruebers in sein berühmtes Werk „China illustrata“ übernahm.

Der Band wurde mit größter Sorgfalt und vielschichtigem Ansatz verfasst. Er ist nicht nur als qualifizierte Sekundärliteratur von Interesse, sondern erschließt auch die im jesuitischen Zentralarchiv in Rom und im Bayerischen Staatsarchiv vorhandenen Dokumente von und über Heinrich Roth, die hier erstmals publiziert werden, zusammen mit ausführlichen Regesten bzw. in deutscher Übersetzung. Die organisatorisch schwer zugänglichen Texte werden so erstmals auch einer breiteren Öffentlichkeit erschlossen. Sie sind gleichzeitig die Grundlage der ausführlichen biografischen Rekonstruktion, die in mehreren Beiträgen bearbeitet wurde. Herausragend in Detailliertheit und Eindringtiefe ist dabei das Kapitel Paul Oberholzers über die Quellen im jesuitischen Zentralarchiv, der mit detaillierter Sachkenntnis über die internationale Organisation des Jesuitenordens im 17. Jahrhundert glänzt.
Andere Autoren beleuchten die Rolle Roths als erstem Sanskritisten des Westens und den bedauerlichen Umstand, dass seine Grammatik fast 300 Jahre lang unentdeckt blieb, den ebenso bedeutenden und interessanten Lebensweg seines Reisegefährten Johannes Grueber, die Geschichte der frühen jesuitischen Indienmissionen, sowie die Baugeschichte seines bis heute erhaltenen Geburtshauses.

„Ein Dillinger in Indien“ ist die bislang umfangreichste und qualifizierteste Monografie über Heinrich Roth. Bis auf einige wenige, der Pandemie zuzuschreibende Lücken (das Brüsseler Jesuitenarchiv konnte leider nicht konsultiert werden), wird dieses Werk wohl für lange Zeit das definitive Wort zum Thema bleiben.

Bewertung vom 05.08.2022
Splendid White

Splendid White


ausgezeichnet

Bereits 2019 kamen 192 historische Elfenbeinwerke aus dem Besitz Reiner Winkler ins Liebighaus, noch zu Lebzeiten des Sammlers, der die Stücke zu einem symbolischen Preis abgab. Diese Neuzugänge katapultierten das Liebighaus schlagartig in die Spitzenliga des Segments barocker Elfenbeinschnitzereien, war doch Winklers fachkundig kuratierte Sammlung anerkanntermaßen die bedeutendste Privatsammlung weltweit. Ausgestellt und bereits in einem prachtvoll illustrierten Katalog teilweise publiziert („White Wedding“ ISBN 978-3777432489), kamen mit dem Tod Winklers im Mai 2020 weitere 21 Exponate hinzu, die dieser bis zum Schluss behalten hatte. Es sind vor allem Portraitmedaillons und religiöse Motive, von denen einige auch schon im ersten Band vertreten waren.

„Splendid White“ ist nun der zweite und abschließende Band, der Winklers Sammlung, die mittlerweile zur Dauerausstellung des Liebighauses gehört, vollständig erschließt. Gegenüber den bereits 1984 und 1994 von Christian Theuerkauff veröffentlichten Bänden über Winklers Sammlung ist der Bestand noch einmal um sechs Exponate erweitert, vor allem aber ist das Bildmaterial diesmal von herausragender Qualität. Viele Makroaufnahmen zeigen selbst feinste Details, die Ausleuchtung ist perfekt, teilweise gibt es sogar rückseitig beleuchtete Ansichten, die wieder völlig neu wirken (und in dieser Wirkung auch künstlerisch angelegt waren). Es ist die absolute Krönungsklasse virtuoser Elfenbeinschnitzerei, die da ins Liebighaus gelangt ist.

Alle Stücke, sowohl die im Depot verwahrten als auch sämtliche Objekte aus dem ersten Band von 2019, werden durch kurze Steckbriefe im Gesamtkatalog beschrieben. Datierung, Künstler und Ort, Maße und Signaturen, Inventarnummer und Bibliografie, sowie die brillanten Fotografien im Hauptteil liefern ein umfassendes Bild, das zusammen sogar den persönlichen Augenschein übertrifft. Alle Signaturen, auch die des ersten Bandes, finden sich als Makro im Anhang, ein Personenregister bildet den Abschluss.

„Splendid White“ führt auch in seinen Textbeiträgen die Sammlung Winkler zusammen, indem sie zum einen den Fokus auf die Sammlerpersönlichkeit setzen, zum anderen die (kunst)geschichtliche Bedeutung der neu hinzugekommenen Werke strukturiert aufarbeiten. Gerade in diesem Zusammenhang wird klar, dass eine ethische Diskussion, ob Elfenbeinarbeiten überhaupt eine Existenzberechtigung haben, nicht retrospektiv nach heutigen Wertmaßstäben geführt werden kann. Die Sammlung Winkler steht ganz in der Tradition barocker Kunstkammern und dass sie in dieser Form nun dauerhaft zusammenbleibt, ist ein seltener Glücksfall.

Bewertung vom 01.08.2022
Im Rausch des Vergnügens
Mortimer, Ian

Im Rausch des Vergnügens


ausgezeichnet

Bisher habe ich mit großer Begeisterung zwei Bücher von Ian Mortimer gelesen: über das englische Mittelalter und über das elisabethanische Zeitalter. „Im Rausch des Vergnügens“ ist der neueste Band, der das Regency behandelt, das 1790 mit der ersten Episode des Wahnsinns von König Georges III. beginnt (und man erstmals seinen Sohn als Regenten in Betracht zog) und mit dem Tod von George IV. im Jahr 1832 endet. Es ist eine Epoche, die in vielem der unseren ähnelt: Es war eine Zeit der politischen Unsicherheit, des technologischen Umbruchs, bitterer Armut und maßloser Verschwendungssucht.

Ian Mortimer kann noch mehr als in den Vorgängerbänden aus dem Vollen schöpfen, denn die Datenlage ist ungleich besser. In Großbritannien (plus Irland) gab es zahlreiche staatliche Zensusprojekte, die auch regelmäßig wiederholt wurden, das Bürgertum entdeckte seine Identität und dokumentierte das eigene Privatleben in nie gesehener Detailliertheit und die Verwaltung des Empire wurde in jeder Hinsicht perfektioniert. Eine Unmenge an Daten lässt sich daraus extrahieren und Ian Mortimer ist Meister darin, solche Informationen aus der Fachliteratur zu heben und anschaulich und elegant aufzubereiten. Seine Herangehensweise nutzt vor allem persönliche Schicksale und Biografien als Ankerpunkte, um daraus dann allgemeine Schlussfolgerungen zu ziehen. Das geht einem viel näher, als wenn man nur Tabellen und Listen vorgesetzt bekäme, die zwar dasselbe aussagen, aber keine emotionale Bindung beim Leser erzeugen. Mortimers Stil mischt unter diese Fakten immer auch romanhafte Passagen, in denen er z. B. die Zustände in den Straßen, die Geräusche, Düfte und Farben beschreibt und er dokumentiert anhand charakteristischer Beispiele die Veränderungen über den betrachteten Zeitraum. Das kann die städtische (oder ländliche) Architektur betreffen, gesellschaftliche Veränderungen, Moden oder auch neue Technologien. Alle Bereiche des täglichen Lebens (und Sterbens) werden irgendwann beleuchtet und wie ich anfangs schon sagte, die Datenfülle ist noch einmal gegenüber Mittelalter und elisabethanischem Zeitalter deutlich vermehrt, so dass das Bild noch schärfer wird und Mortimer noch differenzierter in die einzelnen Gesellschaftsschichten blicken kann.

„Im Rausch des Vergnügens“ ist aus meiner Sicht das beste der drei Bücher geworden. So anschaulich und lebendig wie ich noch selten allgemeinverständliche Geschichtsvermittlung gelesen habe und dabei auch unerwartet aktuell. Geschichte wiederholt sich natürlich nicht, aber ein bisschen reimt sie sich eben doch.

Bewertung vom 31.07.2022
Unser Grüner Planet
Attenborough,David (Presenter)

Unser Grüner Planet


ausgezeichnet

Auch wenn die Serie gerade erst beim ZDF lief, lohnt sich die Blu-ray trotzdem: Im Fernsehen waren die Folgen um jeweils 10 % gekürzt, damit sie in das Programmschema passten, die Blu-ray ist dagegen vollständig und es gibt sehenswertes Bonus-Material (Making-of).

Es ist nicht das erste Mal, dass David Attenborough die Welt der Pflanzen ins Visier nimmt: 1995 erschien „Das geheime Leben der Pflanzen“, eine schon damals eindrucksvolle Entdeckungsreise in die verborgenen Mechanismen, mit denen Pflanzen ihr Überleben sichern. „Unser grüner Planet“ nutzt 25 Jahre später neueste Filmtechnologie, um noch mehr Details zu zeigen, die dem Auge bisher verborgen blieben. Sei es mit spektakulären Drohnenflügen oder mit Kamerafahrten gekoppelten Zeitrafferaufnahmen, die die BBC auch schon bei anderen Naturdokus eingesetzt hat. Nicht nur die Bildauflösung hat sich seit 1995 dramatisch verbessert, sondern auch der Aufwand, der getrieben wurde, um etwas wirklich Neues zu schaffen. Diesmal ist Sir David übrigens wieder persönlich vor der Kamera, was angesichts seines Alters (er ist derselbe Jahrgang wie die Queen...) eine Sensation an sich ist. Natürlich krabbelt er nicht mehr auf allen Vieren durch den Dschungel, wie früher, aber alleine ihn zu sehen und ihm zuzuhören, macht einen glücklich. Apropos zuhören: Attenborough spricht ein so makelloses Englisch, dass man sich wirklich nach Möglichkeit das Original anhören sollte, es lohnt sich wirklich.

"Unser grüner Planet" reiht sich in seiner Botschaft nahtlos an „Das Leben auf unserer Erde“ an, die mittlerweile ikonische Naturdoku von 1979, die auch Attenboroughs Ruhm begründete. Man kommt aus dem Staunen einfach nicht mehr heraus, mit welcher Raffinesse das Leben (diesmal das pflanzliche) seine Nischen findet, wie es die Reproduktion sicherstellt, wie sich Pflanzen tarnen, wehren, täuschen und zu Aktionen fähig sind, die wir ihnen nie zutrauen würden. Attenboroughs Liebe zur Natur wird in jedem gesprochenen Satz erkennbar, seine Sorge um ihren Erhalt und vor unwiederbringlichem Verlust. Es sind leider nur fünf Episoden, sortiert nach großen Lebensräumen (im „geheimen Leben der Pflanzen“ waren es damals die Überlebensstrategien), aber am Schluss habe ich mir gewünscht, es gäbe noch mehr als fünf davon auf unserer Erde.

David Attenborough hat alleine 2022 noch an vier weiteren mehrteiligen Produktionen mitgewirkt. Ich habe keine Ahnung, wie er das körperlich in seinem Alter schafft, aber er ist noch immer mit derselben jugendlichen Begeisterung bei der Sache. Ein bemerkenswerter, bewundernswerter Mann und eine weitere bemerkenswerte, bewundernswerte Serie der BBC.

Bewertung vom 30.07.2022
Wassertürme
Becher, Bernd;Becher, Hilla

Wassertürme


ausgezeichnet

Der Schirmer/Mosel Verlag ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Fotografen Bernd und Hilla Becher heute international wahrgenommen werden als Begründer und wichtigste Vertreter der Düsseldorfer Photoschule. Ihre stilbildende, wenn nicht sogar wahrnehmungsbildende Industriefotografie ist in allen großen Sammlungen zeitgenössischer Fotografie vertreten und erzielt auf Auktionen Höchstpreise.
Auch wenn die insgesamt neun Bände umfassende Reihe bei Schirmer/Mosel keineswegs als Catalogue raisonné gedacht und zu verstehen ist, bildet sie doch eine sehr umfassende und strukturierte Übersicht über das Gesamtwerk. Jeder Band ist einem Industrietypus gewidmet, von Hochöfen, über Fabrikhallen bis zu Gasbehältern und eben Wassertürmen. Alle Kategorien verbindet, dass sie gemeinsame Strukturelemente haben, die sie sofort als zugehörig erkennen lassen. Gleichzeitig besitzen alle Architekturen individuelle Merkmale, die sie unverwechselbar machen. Manchmal wird die Hand eines Architekten sichtbar, der ästhetische Prinzipien verwirklicht, aber meistens sind es Zweckbauten, sie sich einer Örtlichkeit oder technischen Randbedingungen anpassen müssen. Man kennt solche Typusindividuen auch aus anderen Bereichen, z. B. bei Leuchttürmen, die auch sofort als solche erkennbar sind und doch gleicht keiner dem anderen. Die Faszination, die Menschen für Leuchttürme hegen, lässt sich problemlos auch auf andere Industriebauten übertragen.

Bernd und Hilla Becher, die tatsächlich eine symbiotische Beziehung pflegten und stets als Paar genannt werden, haben nicht nur unsere Sehgewohnheiten der Industriefotografie geprägt, sie waren auch technisch brillant. Das sieht man auch den Lithos im Buch an, die die ausgewogenen Kontraste mustergültig auf mattglänzendem Papier wiedergeben, ohne störende Spiegelungen, auch feinste Details durchzeichnend. Es wurden insgesamt 223 Aufnahmen ausgewählt, aus ganz Deutschland und den USA, aufgenommen über einen Zeitraum von 25 Jahren bis etwa 1985 und doch mit einer einheitlichen stilistischen Linie, dass man glaubt, sie wären gezielt für eine einzige Ausstellung entstanden. Bernd und Hilla Becher besaßen eine selbst aus großer Entfernung sofort wiedererkennbare künstlerische Handschrift.

„Wassertürme“ erscheint nun schon in der 5. Auflage. Die besondere Faszination für den Blick der Bechers auf eine heute fast vollständig untergegangene Industrielandschaft lässt sich wohl am besten nachvollziehen, wenn man die Denkmäler des ungebremsten Fortschrittsglaubens noch aus eigener Anschauung kennt. Insofern schwingt neben der Bewunderung für die grafische Klarheit der Fotografien (und der Bauten!) und ihre technische Brillanz auch ein wenig Nostalgie mit. Zumindest ist das bei mir der Fall.

Bewertung vom 27.07.2022
Adrenalin-Junkies und Formular-Zombies
DeMarco, Tom;Hruschka, Peter;Lister, Tim

Adrenalin-Junkies und Formular-Zombies


ausgezeichnet

Die erste Auflage von "Adrenalin-Junkies und Formular-Zombies" mit einer Sammlung von Mustern für gutes und schlechtes Projektverhalten erschien 2007. Seitdem haben sich die Entwicklungsprozesse weiterentwickelt. Starre Vorgehensweisen sind seltener und agile Methoden populärer geworden. Einer der Gründe sind sicherlich die unflexiblen Vorgehensmodelle wie CMMI oder das V-Modell, die eine erhebliche Vorplanung erforderten, sehr bürokratisch waren und daher nicht immer beliebt waren.
Auch die Corona-Pandemie hat die Arbeitsweisen verändert und den Trend zum Home-Office zwangsweise beschleunigt. Die anfangs ungewohnten und teils auch nicht stabilen Technologien haben sich weiterentwickelt und ermöglichen es uns nun, auch räumlich getrennt zu arbeiten und z. B. durch Videokonferenzen doch effizient zusammenzuarbeiten. Ob sich dieser Trend nach der Pandemie halten wird, wird sich zeigen. Das Verhalten von Mitarbeitern hat sich allerdings bereits verändert - sowohl positiv als auch negativ.

Das Autorenteam um Tom DeMarco hat seinen Besteller überarbeitet, um diesen Veränderungen Rechnung zu tragen. Ihr Buch ist kein Ratgeber zum Projektmanagement oder Projektcontrolling, sondern fokussiert sich auf den Faktor Mensch, die „social skills“ von Führungskräften und gruppendynamische (Fehl)steuerungen in Projekten. Verhaltensweisen, die 2007, im Jahr der Erstausgabe noch weit verbreitet waren, wurden aus der Neuauflage herausgenommen, andere sind dafür hinzugekommen.

Die einzelnen Kapitel sind inhaltlich unabhängig und man kann sie in beliebiger Reihenfolge lesen. Die kryptischen Überschriften lassen anfangs nicht erkennen, worum es in dem Beitrag thematisch geht (z. B. "Wiki-Gärtner", "Die Kühlschranktür" oder "Die Kreuzschlitzschraube"), besitzen aber einen hohen mnemotechnischen Wiedererkennungswert, wenn man der Situation dann im eigenen Projekt begegnet.

Als "Papierfabrik" bezeichnen die Autoren beispielsweise die falsche Annahme, dass sich der Projektfortschrift an der Menge der produzierten Dokumente zeigt. "Formular-Zombies" greift den Titel des Buches auf und meint Projekte, die stärker darauf bedacht sind, ein standardkonformes Dokument auszufüllen, als über die vermittelten Inhalte nachzudenken. Natürlich differenzieren die Autoren auch dieses Thema, denn Checklisten und Vorlagen haben natürlich ihre Berechtigung.

Die Fachbeiträge sind informativ und eingängig geschrieben und berücksichtigen auch neue technologische und gesellschaftliche Entwicklungen, die sich im Verhalten der Mitarbeiter widerspiegeln.

Mit dem Kauf des Buches erhält man einen individuellen Code, mit dem sich das zugehörige eBook als PDF-Datei herunterladen lässt. Die so erzeugten eBooks werden zwar in der Kopfzeile mit der E-Mail-Adresse personalisiert, sind dafür aber DRM-frei.

Die Autoren haben ihren Projekt-Klassiker entstaubt und in die heutige Zeit übersetzt. Sie beleuchten gutes und schlechtes Verhalten in Projekten, erklären soziale Gruppenmechanismen und geben dem Leser zahlreiche Denkanstöße, um eigene Arbeitsweisen zu hinterfragen.