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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 17.01.2008
Von fernen Ländern
Green, Julien

Von fernen Ländern


sehr gut

Ein Südstaatenepos. Wer jedoch mit Vom Winde verweht rechnet, wird enttäuscht werden. Obwohl Julien Green sich weitab von seinem sonstigen Terrain bewegt und den Roman in den Südstaaten der USA um das Jahr 1850 verankert, bleibt er sich jedoch treu, indem er selbst an diesem fernen Ort die Wirklichkeit verdüstert, ihr dunkle Geheimnisse auferlegt. So episch breit hat Julien Green in dieser auf mehrere Bände angelegten Generationen übergreifende Familiengeschichte nie erzählt. Sein Feld war der Mikrokosmos, die engen Mauern der seelischen Abgründe. Das verleiht dem langen Atem seelische Tiefe. Es handelt sich um ein Alterswerk, das sprachlich die Tragödie auf gewohnt hohem Niveau einfängt, gleichzeitig dem Leser jedoch etwas von einem Schmöker bietet, indem er die große Oper des Zeittableaus anstimmt. Man fällt in sie hinein, sieht sich mit den fremden Augen Elisabeths um, versucht zu verstehen, zu helfen, sich in Sicherheit zu wägen. Das Greensche Kammerspiel betritt die große Bühne und behauptet sich auch hier.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 15.01.2008
Das falsche Gewicht
Roth, Joseph

Das falsche Gewicht


ausgezeichnet

Wie steht es um die Redlichkeit eines Kleinbürgers? Gut, würde man im Allgemeinen behaupten. Denn sie, die Redlichkeit, ist alles, was er besitzt. Sie unterscheidet ihn von anderen. Sie hält seine kleine Welt zusammen. Mit ihr kann er sich über andere erheben. Joseph Roth erzählt von einem solchen Mann, der glaubt, dass die Welt sich eichen lässt, obwohl schon die eigene Frau längst ein falsches Gewicht in ihrer Ehe aufgelegt hat. Sind es die Gauner, die Deserteure, die Schmuggler, die ihn zu Fall bringen, oder nicht vielmehr er selbst. Hinter allen Geschichten von Joseph Roth steht der Untergang der Habsburger Monarchie. Auch sie schillernd, stolz, mächtig, bis sie urplötzlich feststellen mußte, dass sie sich überlebt hatte. Und so muß auch Anselm Eibenschütz feststellen, dass er in dem Beruf, den er seiner Frau zu liebe übernimmt, die Verlockungen so mächtig sind, dass er ihnen erliegt. Der Mann verliebt sich zuerst und wirft dann all das, was ihn ausmacht über Bord. Dass er ohne all das nicht zu Recht kommt, erkennt er zu spät. Jeder trägt ein Bild von sich vor sich her, und wer glaubt, ein völlig anderer zu sein, dem wird nicht selten vor Augen geführt, wie kurz das Glück doch sein kann. Joseph Roths Roman ist ein Meisterwerk über das große Glück, über das Aufbegehren gegen sich selbst und über die wunderbare Manie des Menschen sich glauben zu machen, das man eigentlich ganz anders leben will.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.01.2008
Das Kind
Fitzek, Sebastian

Das Kind


ausgezeichnet

Sieht man über das Anfangsmisstrauen hinweg, dass selbst Robert Stern befällt, wenn ein zehnjähriger Junge behauptet, er sei ein Mörder, das Verbrechen auch noch vor seiner Geburt zurückliegt, kommen dann noch Widergeburt, und ein verstorbenes Kind hinzu, das angeblich lebt, schlägt man den Thriller entweder zu oder will vor allem eins: Herausfinden wie Sebastian Fitzek, das alles auflöst. Die Personen, die er erschafft, kommen einem allzu bekannt vor. Da ist der Anwalt, der halbkriminelle Diskothekenbesitzer, die Frau, die man auf Grund seelischen Leids verschmäht hat und die einen um Hilfe ruft, und da ist der scheinbar übermächtige Gegner, der alles weiß und einen in ein teuflisches Spiel verwickelt. Fitzek gelingt es alles so spannend zu inszenieren, das man hinnimmt, daß Simon ihm etwas zu altklug geraten ist. Es ist zwar müßig anzumerken, dass Simon nicht wie ein zehnjähriger Junge spricht, oft lediglich dazu dient, die Geschichte anzutreiben, die Spannung Fragen und Antworten zu steigern, doch das Konstrukt zwischen einem zehnjährigen Totgeweihten und dem Sohn des Anwalts, der angeblich bei Adoptiveltern aufwächst, greift. Fitzek beweist hier, dass er das Genre beherrscht. Ein spannender Thriller besonders in den Moment, in denen er seinen Helden in eine ausweglose Lage manövriert.
Polar aus Aachen

4 von 11 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.01.2008
Tausend Morgen
Smiley, Jane

Tausend Morgen


ausgezeichnet

Erben ist nicht einfach. Dieses menschliche Dilemma beschäftigte schon Shakespeare, und es mutet schlüssig an, dass Jane Smiley ihre Geschichte so an King Lear anlehnt, dass man sich fragt, warum niemand vorher auf die Idee kam. Zumal es um Land geht, das Bild für Macht an sich. Die Tragödie der Töchter Ginny, Rose und Caroline wird dabei weniger von ihrer eigenen Machtbesessenheit entfacht, vielmehr wurzelt sie in der Schuld des Farmers Laurence Cook. Der Inzest belastet das Leben aller, selbst jenes der jüngsten Tochter, die von den Schwestern beschützt wurde. Wie Seelen zerfressen werden und sie selbst in dem Leben danach, in Ehen, Beziehungen wie die Maus vor der Schlange ausharren, zu Wutausbrüchen wie Unterwerfung neigen, kein Mittelmaß finden, wie ein Vater rücksichtslos seine Macht einsetzt, in dem er seine Kinder auszuspielen versucht, sie mit Geld, mit Zuneigung lockt und dahinter die hässliche Fratze des Hasses ruht, zeigt Smiley in eindrucksvollen Bildern. Ihre Sprache ruht dabei in sich. Sie schaut auf das Land, schaut darauf, was dieses Land mit den Menschen macht und läßt einen doch mit dem Vertrauen zurück, daß es dieses Land noch geben wird, selbst wenn die Menschen darauf sich gegenseitig aufgefressen haben.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 12.01.2008
In meinem Himmel
Sebold, Alice

In meinem Himmel


ausgezeichnet

Wer den Anlass kennt, dem der Roman zu Grunde liegt, kann nur über den Mut der Autorin erstaunt sein, sich dieser Geschichte zu stellen. Von Anfang an packt einen der Schrecken, über das, was geschehen ist, und vor allem über den leichten Ton, mit dem darüber berichtet wird. Er schärft den Blick dafür, was Menschen angetan wird, die das erleben müssen. Wie Susie Salmons Leben ausgelöscht wird, wie sie als Erzählerin neu aufersteht und zeigt, wie das Leben danach weitergeht, wie Wunden Schorf ansetzen, aber sich nicht schließen wollen, wie sich die Tatsache einmal mehr beweist, daß Sexualtäter im engsten Umfeld zu suchen sind und wie die Autorin der Versuchung widersteht, diesem seiner Strafe zukommen zu lassen, ist fesselnd beschrieben. Trotz aller Hightech-Methoden der Spurenanalyse bleiben viel zu viele Fälle unaufgeklärt. Wie die Angehörigen dann zurück bleiben und verkümmern, zeigt die Geschichte brutal. In der Mitte zerfasert sie zwar ein wenig, gegen Ende jedoch findet sie zu jenem rasanten Ton zurück, der Susie Salmons Familie, ihren Freunden jenes fragile Leben beschert, dass sie nie mehr loswerden, selbst wenn sie es wollen. Sie alle sterben ein wenig mit. Susie Salmons Martyrium, von dem sie so engelhaft aus ihrem Himmel erzählt, schnürt einem den Hals zu.
Polar aus Aachen

4 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.01.2008
Sturmhöhe
Bronte, Emily

Sturmhöhe


ausgezeichnet

Wuthering Heights. Allein der Name verspricht schon, dass wir uns nicht in einen gemütlichen Upperclass-Roman verirrt haben, dass der Held nicht auf einem Schimmel angeritten kommt, um seine Liebe zum Traualtar zu führen. Es weht ein rauer Wind durch diese Geschichte, die einem in ihrem Haß und den tragischen Folgen, fast wie ein Schauerroman vorkommt. Wäre da die Charakterzeichnung der einzelnen Figuren nicht so subtil und abgründig angelegt, wäre die Sprache nicht so formvollendet abgestimmt. Es fängt an, wie ein Roman von Charles Dickens enden könnte: Ein Junge wird schicksalsgezeichnet in eine Familie aufgenommen und wächst mit den eigenen Kindern auf. Das Fremde bringt jedoch Hass, Eifersucht und Rache mit sich. Der wahre Sohn bekämpft den angenommenen. Der angenommene Sohn verliert die Liebe der Tochter an einen Nachbarn, obwohl sie einander zugetan sind. Als lasse die Kargheit der Landschaft keine Schönheit. Es bedarf eines Ich-Erzählers, um alle Facetten anzuführen, dem Schrecken über Generationen nachzugehen, weil man nicht glauben will, was da passiert. Dass man den Roman fasziniert zu Ende liest, liegt an Emily Brontes Kunst, die Menschen in ihren Masken so zu zeigen, daß man die Haut dahinter noch sieht. Sie entblößt sie. Sie läßt sie rasen. Lieben. Scheitern.
Polar aus Aachen

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.01.2008
Schwarzrock
Moore, Brian

Schwarzrock


gut

Abseits altbekannter Winnetou-Romantik ist dies ein Roman für Liebhaber von Western-Filmen. Wenn ihn jemand zu Hand nimmt, trifft er auf einen Autor, der zu schreiben versteht, dessen Auseinandersetzung mit dem Katholizismus in vielschichtiger Form in seinen Büchern vorkommt und dessen Interesse beim Verfassen dieses Romans sicher weniger, dem Abbild des 17. Jahrhundert jenseits des Atlantiks galt, als dass ihm die Umstände sauer aufstoßen, in denen Missionierung damals stattfand. Die Wilden zu bekehren, mag das Anliegen manch westlich-demokratischen Eiferers unserer Tage sein. In Schwarzrock findet er die Auswüchse eines blutigen Dramas vor, zu dem blinder Glaube führt. Wer schützt unsere Zeit davor, ein ähnliches Bild im arabischen Raum zu hinterlassen? Jeder scheitert auf seine Weise, ob im 17. oder 21. Jahrhundert. Brian Moore hat sicher vollendetere Romane geschrieben, aber eines unterläuft einem bei ihm nie: man langweilt sich nicht.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.01.2008
Drei Schwestern
Tschechow, Anton Pawlowitsch

Drei Schwestern


ausgezeichnet

Wie schön ist doch die Provinz, schwärmen die Städter. Die Sommerfrische. Und die Menschen, die dort leben dürfen? Sie träumen von Moskau, den großen Bällen, dem wirklichen Leben. Olga, Mascha, Irina so unterschiedlich Chechov sie auch zeichnet, so tragen sie alle jene Melancholie in sich, die seine Bühnenfiguren prägen. Wegen des Vaters in die Provinz verschlagen, an der Seite eines Bruders, der sich in dieser Umgebung einzurichten versteht, indem er sich neben einer Heirat dem Glücksspiel verschreibt und das Erbe verspielt, bietet die Stationierung eines Regiments in dieser Abgeschiedenheit, die einzige Abwechslung. Doch so trügerisch stabil Chechovs Welten daherkommen, desto schneller stürzen sie ein. Die große Liebe zieht entweder mit dem Regiment ab, oder wird beim Duell erschossen oder immer nur herbeigesehnt. Die Drei Schwestern von Anton Chechov spiegeln eine Welt, bevor die großen Umwälzungen einsetzen. Fast spürt man einen Hauch von Revolution, die nicht sichtbar ist, doch kommen muß, damit sich etwas ändert. Nur bleiben die Menschen hier so wie sie sind. Olga, Irina, Mascha sind nicht darauf geeicht, ihr Leben zum Einsturz zu bringen. Sie nehmen sich überallhin mit, selbst wenn sie an Ort und Stelle bleiben. Als Drama bezeichnet ist das Stück doch eher eine Tragikkomödie. Mit ihm betritt die Provinz die Weltbühne.
Polar aus Aachen