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⇢ Ich bin: Ex-Buchhändlerin, Leseratte, seit 2012 Buchbloggerin, vielseitig interessiert und chronisch neugierig. Bevorzugt lese ich das Genre Gegenwartsliteratur, bin aber auch in anderen Genres unterwegs. ⇢ 2020 und 2021: Teil der Jury des Buchpreises "Das Debüt" ⇢ 2022: Offizielle Buchpreisbloggerin des Deutschen Buchpreises

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Insgesamt 735 Bewertungen
Bewertung vom 25.03.2016
Totenfrau / Totenfrau-Trilogie Bd.1
Aichner, Bernhard

Totenfrau / Totenfrau-Trilogie Bd.1


sehr gut

In meinen Augen ist "Totenfrau" ein Thriller, der polarisiert.

Die Geschichte ist auf den ersten Blick nicht ungewöhnlich für das Genre (auch wenn es sonst meist Männer sind, die auf blutigen Rachefeldzug gehen, und nicht junge Mütter). Tatsächlich fand ich sie sehr spannend, mit enormer Sogwirkung! Sie ließ mich von der ersten bis zur letzten Seite einfach nicht mehr los, ich habe mich nie gelangweilt... Und deswegen liest man doch Thriller.

Nein, was ich so polarisierend finde, ist die Hauptfigur: Brünhilde Blum.

Denn Blum mordet.

Nicht aus Lust am Töten, sondern, weil sie es für zwingend nötig erachtet. Rache. Gerechtigkeit. Schutz möglicher künftiger Opfer der Widerlinge, die sie abschlachtet. Ihre Ziele fand ich nachvollziehbar. Zum Teil habe ich mich sogar mit Unbehagen dabei ertappt, dass ich ihre Methoden billigte oder gar insgeheim guthieß. Kann man - darf man! - rechtfertigen, was sie da tut? Ich habe mich oft gefragt, ob sie nicht andere Wege hätte finden können.

So polarisierend das ist, so faszinierend ist es meines Erachtens auch.

Die beinahe gelassene Selbstverständlichkeit, mit der Blum tötet, macht auf traurige Art Sinn. Sie ist als Kind nicht mit Liebe und Verständnis großgeworden, sie wurde abgerichtet zur perfekten Arbeitskraft. Statt mit Puppen zu spielen oder im Park zu schaukeln, musste sie im Bestattungsunternehmen des Vaters schon mit sieben Jahren Leichen waschen und mit zehn Münder zunähen. Spurte sie einmal nicht, wurde sie in einem Sarg eingeschlossen. Was klingt wie die abgedroschene Entschuldigung für den soziopathischen Bösewicht eines Buches, ist hier die Hintergrundgeschichte einer Heldin mit soziopathischen Zügen. Ich fand sehr originell, wie hier die Erwartungen auf den Kopf gestellt werden.

Fand ich Blum liebenswert? Nein. Fand ich alles gut, was sie tat? Nein. War sie eine interessante Protagonistin? Auf jeden Fall. Aber mitfühlen konnte ich mit ihr nur selten, trotz ihrer tiefen Liebe zu ihren Kindern und Mark. Trotzdem: ich fand sie unglaublich gut geschrieben, gerade weil sie es dem Leser nicht einfach macht. Die anderen Charaktere blieben für mich dagegen eher blass, bloße Randerscheinungen - Statisten in Blums Drama.

Heftige Emotionen kamen in vielen Szenen gar nicht bei mir an. Das lag sicher vor allem am ungewöhnlichen Schreibstil, denn der ist oft nüchtern, minimalistisch. Kurze Sätze. Dialoge, die aufs absolute Minimum reduziert werden.

Zitat:
- Wann kommst du wieder?
- Spät.
- Schwierige Dinge?
- Ja.
- Welche?
- Das willst du nicht wissen, Blum.

Und trotzdem: Ich liebe den Schreibstil und die prägnante "Stimme" des Autors. Sie hat etwas Drängendes, Atemloses, das mich immer wieder gepackt hat. Manchmal erwischten mich die kurzen, abgehackten Sätze eiskalt, wie ein Schlag ins Gesicht, während sich in anderen Szenen sogar eine unerwartete Poesie entfaltete.

Zitat:
Sie lächelt, weil sie weiß, dass es bald zu Ende geht. Dass sie aufhören werden zu schreien, dass endlich alles gut sein wird. Warm alles, glücklich fast. Da sind nur sie und der Himmel. Sonst nichts. Endlich leben.

Für einen Thriller ist die Geschichte sehr gradlinig, und sie hatte für mich nur wenige Überraschungen zu bieten; tatsächlich habe ich zwei unerwartete Wendungen am Schluss schon nach den ersten hundert Seiten vorausgeahnt. Ich fand auch nicht immer alles 100%ig glaubhaft. Blum hat geradezu unverschämtes Glück, ihr fliegen die Antworten oft nur so zu...

Ich kann mir meine eigene Faszination mit diesem Buch nur so erklären: man weiß eigentlich, was passieren wird, aber das ist auch nicht das Wichtige - was so fesselnd wie verstörend ist, ist Blums Abstieg in einen fatalen, immer schneller werdenden Zyklus der Selbstjustiz. Wie es sie verändert. Was von ihr noch bleibt.

Bewertung vom 22.03.2016
Hamburg Rain 2084 Prolog. Der schwarze Regen (eBook, ePUB)
Wekwerth, Rainer

Hamburg Rain 2084 Prolog. Der schwarze Regen (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Mit nur 41 Seiten ist "Der schwarze Regen" quasi ein literarischer Appetithappen. Das eBook gewährt einen ersten Einblick in die düster-dystopische, futuristische Welt von Hamburg Rain, in der Hamburg zu einem Moloch mit 22 Millionen Einwohnern angewachsen ist - oder besser: gewuchert wie ein Krebsgeschwür. Die Gebäude sind ineinander verschmolzen zu einem Megakomplex, der sich 136 Ebenen hoch zum Himmel streckt, sich aber auch in tief in den Boden gräbt. Die Reichen leben an der Sonne, die Armen in verrosteten, stickigen Strukturen unter Tage.

Die kurze Geschichte zeigt dem Leser schon viel von dieser Zukunft; ganz nebenher werden Erfindungen wie der Nutrisator erwähnt, der aus Sojamehl und Geschmackstoffen jedes beliebige Lebensmittel herstellen kann, man erfährt ein wenig über die gesellschaftlichen Strukturen oder das verschachtelte Netz aus Gleitbahnen und Transportbändern, mit denen man sich durch die Stadt bewegt.

Der Prolog hat mich direkt gepackt. Ich fand die kleine Geschichte sehr spannend und originell geschrieben und hatte den Eindruck, dass diese Vision der Zukunft gut durchdacht und in sich schlüssig ist. Natürlich sind 41 Seiten zu wenig, um Charaktere und Welt näher kennenzulernen, aber sie machen auf jeden Fall Lust darauf! Und auch der Schreibstil hat mir gut gefallen, er liest sich flüssig und passt auch sehr gut zum futuristischen Setting.

Bewertung vom 22.03.2016
Verschwundene Seelen - Die Vergessenen der Wirklichkeit
Meyer, Annika

Verschwundene Seelen - Die Vergessenen der Wirklichkeit


gut

(2,5 von 5 Sternen, aufgerundet auf 3)

"Verschwundene Seelen" ist der Debütroman einer sehr jungen Autorin: Annika Meyer, Jahrgang 1999. Daher möchte ich meine Rezension damit beginnen, herauszuheben, was für eine Leistung es ist, in diesem Alter nicht nur die Kreativität, sondern auch die Selbstdisziplin aufzubringen, einen Roman zu schreiben und zu überarbeiten, einen Verlag dafür zu finden und das Buch tatsächlich zu veröffentlichen! Die erste Fassung der Geschichte hat sie sogar schon im zarten Alter von 13 Jahren aufgeschrieben. Ich halte sie für herausragend talentiert und bin mir sicher, dass wir in Zukunft noch viele interessante Werke von ihr zu erwarten haben.

Bereits nach wenigen Kapiteln war ich beeindruckt davon, wie reif sich ihr Schreibstil schon liest. Sie schreibt angenehm bildlich, flüssig und einfallsreich, kann eine Szene gut aufbauen und hat ein feines Gespür für Tempo und Spannungsbogen. Allerdings haben mich die zahllosen Wiederholungen von Wörtern oder Ausdrücken immer wieder gestört - da hätte ich mir mehr sprachliche Abwechslung gewünscht!

Die Grundidee ist vielleicht nicht ganz neu: Jugendliche werden auserwählt, bekommen magische Fähigkeiten und sollen die Welt retten. Aber die Autorin beschreibt das sehr bunt und vielfältig, mit vielen interessanten Wendungen und Ideen. Allerdings passieren in meinen Augen zu viele Dinge ohne tiefergehende Begründung oder Erklärung.

Für mich ist es gerade im Genre Fantasy enorm wichtig, dass die beschriebene Welt in sich schlüssig und durchdacht ist, denn nur so holt mich die Geschichte tatsächlich ab und erlaubt es mir, sie für den Moment zu glauben. Ich zweifle nicht daran, dass Annika Meyer viel Herzblut und Hirnschmalz in ihre Welt gesteckt hat - aber sie lässt mich meines Erachtens nicht genug daran teilhaben, wie sie "funktioniert".

Die Jugendlichen, um die es geht, sind alle sehr unterschiedlich: ein Nerd, eine modebewusste Oberzicke, ein kleines Mädchen, zwei Sportler und eben Alina, unsere Heldin, die ein ganz normaler Teenager ist. Eigentlich würden sie von sich aus wohl nichts miteinander zu tun haben wollen, und tatsächlich gibt es anfangs auch Reibungen und Konflikte, aber im Laufe der Geschichte wachsen sie immer mehr zusammen. Diesen Teil der Geschichte, mit Themen wie Freundschaft, Familie, Akzeptanz und Zusammenhalt, fand ich sehr schön geschrieben und unterhaltsam.

Alina, Jonas, Mia, Luna und Anton lernt man als Leser ziemlich gut kennen. Sie werden lebhaft und sympathisch beschrieben, und ich konnte gut mit ihnen mitfühlen. Die anderen Charaktere blieben für mich aber leider eher blass. Auch die Liebesgeschichte konnte mich nicht ganz überzeugen - ich konnte die Chemie zwischen Alina und Jonas einfach nicht spüren.

Ich fand oft etwas unglaubhaft, was die Jugendlichen alles mit sich machen lassen. Im Prinzip wird ihnen gesagt: Ihr seid auserwählt, die Probleme zu lösen, die andere verschuldet haben. Dabei werdet ihr mit hoher Wahrscheinlichkeit sterben, aber da müsst ihr jetzt durch, stellt euch nicht so an. In einer Szene wird Alina von den Guten (!!) so hart ins Gesicht geschlagen, dass sie beinahe bewusstlos wird, in den Bauch getreten, niedergerungen und mit dem Messer bedroht. Ja, sie wehrt sich, und das erbittert - aber später entschuldigt sie sich dafür und macht dann doch, was von ihr verlangt wird.

Auch die Auflösung der Geschichte hat mich nicht gänzlich überzeugt, denn sie wirkt etwas übereilt, lässt vieles ungeklärt und beruht zum Teil auf etwas, das die Jugendlichen eigentlich schon die ganze Zeit wussten, aber irgendwie kollektiv vergessen hatten.

Bewertung vom 18.03.2016
Vollendet Bd.1
Shusterman, Neal

Vollendet Bd.1


ausgezeichnet

In einer nicht allzu weit entfernten Zukunft kommt es zu einem Glaubenskrieg zwischen Abtreibungsgegnern und -befürwortern. Nach neun Jahren wird der blutige Konflikt mit einem Kompromiss beigelegt: der Charta des Lebens. Hinter diesem positiv klingenden Namen verbirgt sich eine Gesetzesänderung, die alles Leben für unantastbar erklärt - jedenfalls bis zum 13. Lebensjahr. Abtreibungen sind ohne Ausnahme illegal, aus welchen Gründen auch immer, dafür können Eltern unerwünschte oder problematische Kinder zwischen deren 13. und 18. Lebensjahr ohne Angabe von Gründen "umwandeln" lassen - sozusagen rückwirkend abtreiben, indem das Kind schmerzfrei getötet und zerlegt wird. Das wird offiziell nicht als Tod betrachtet, da durch modernste Transplantationstechnologien 99,44% des Körpers wiederverwendet werden können, und das laut Gesetz auch müssen.

Jeder Teil eines "Wandlers" lebt also weiter - aber heißt das wirklich, dass er als Mensch noch lebt?

Organspende, Abtreibung, Definition und Wert des Lebens - brisante Themen, die Neal Shusterman in seiner verstörenden Dystopie nicht nur hochspannend verarbeitet, sondern dabei auch zum Nachdenken anregt. Ich fand die Grundidee nicht nur unglaublich originell, sondern auch sehr gut umgesetzt.

Die Geschichte folgt drei Jugendlichen, die aus unterschiedlichen Gründen umgewandelt werden sollen. Connor, weil er sich zu oft prügelt, schlechte Noten schreibt und sich gegen seine Eltern auflehnt. Risa, weil sie in einem überfüllten Waisenhaus lebt und ein paar der über 13-Jährigen schlichtweg umgewandelt werden müssen, um Platz für jüngere Kinder zu schaffen. Lev, weil er das zehnte Kind einer religiösen Familie ist, für die es ganz normal ist, Gott von allem, was sie haben, den zehnten Teil zurückzugeben...

Gerade dadurch, dass sie völlig verschieden sind, macht der Autor überdeutlich: dieses System ist falsch und unmoralisch, aus welchem Grund auch immer. Nichts kann so etwas rechtfertigen. Alle drei treffen manchmal falsche Entscheidungen, haben ihre Fehler und Charakterschwächen... Dennoch habe ich immer mit ihnen mitgefiebert, mitgefühlt, mitgelitten, und es bestand für mich nie der geringste Zweifel, dass sie das Recht haben, zu leben. Ich fand sie sehr überzeugend und glaubhaft geschrieben.

Die Geschichte beginnt spannend, und die Spannung flaut kaum einmal ab - es geht hier immerhin nicht nur um drei Jugendliche, die gejagt werden, sondern um Hunderte von Jugendlichen, die in Ernte-Camps sitzen und auf den Tod warten, wenn sich nicht ändert. Besonders packend, verstörend und eindringlich waren für mich die Passagen, die dem Leser einen Einblick in ein Ernte-Camp gewähren und ihm zeigen, wie "Wandler" ihre letzten Tage verbringen. Obwohl die Kinder dort nicht hungern müssen oder misshandelt werden, baut der Autor ein paar Dinge ein, die deutlich an Konzentrationslager erinnern. (So wie zum Beispiel musikalisch begabte Juden sich durch Auftritte Lebenszeit erkaufen konnten, können hier auch musikalisch begabte Kinder ihren Tod hinauszögern.) Schließlich erlebt der Leser sogar eine "Wandlung" direkt mit, und danach musste ich das Buch erstmal zuklappen, durchatmen und ein bisschen Abstand gewinnen. Schlicht und einfach grauenhaft. Und das, obwohl in dieser Szene nie von Blut die Rede ist, sondern von lächelnden Augen und ruhigen Stimmen...

Die Geschichte wird in eher einfachen Worten in der Gegenwartsform erzählt, und damit musste ich mich erst anfreunden! Nach ein paar Kapiteln war ich dann aber "drin", und danach fand ich es auch passend, denn so ist der Leser immer nah dran am Geschehen.

Bewertung vom 17.03.2016
Feuerstimmen
Hardebusch, Christoph

Feuerstimmen


sehr gut

Die einfallsreiche Welt zog mich schnell in ihren Bann. Mir gefiel, dass hier bis ins kleinste Detail alles stimmig und durchdacht erscheint: nicht nur die Geographie des Landes, die Politik oder das Magiesystem, sondern auch Dinge wie Sternbilder, Essen, Kleidung, Mythen und Sagen. Erst, wenn eine Welt in sich schlüssig und glaubhaft ist, kann ich so richtig in die Geschichte eintauchen und mich auch auf die fantastischen Aspekte einlassen, und das machte der Autor mir sehr einfach.

Christoph Hardebusch bringt viele interessante Ideen ein, die man so nicht in jedem zweiten Fantasybuch liest. Originell fand ich zum Beispiel, dass es hier abgesehen von den vier üblichen Elementen Erde, Feuer, Wasser und Luft noch das Element der Harmonie gibt, das dazu bestimmt ist, die anderen vier zu einen und zu unterstützen, und dass jedes dieser Elemente von einem Drachen verkörpert wird. Darüber hinaus liegt auch in der Musik, die allen Dingen innewohnt, die aber nur wahre Barden wahrnehmen können, eine ganz eigene Magie.

Die Handlung ist überwiegend sehr spannend umgesetzt, mit vielen rasanten Kampfszenen, die der Autor so packend und wortgewaltig beschreibt, dass man sie quasi vor sich sehen kann! Allerdings gab es für mich auch ein paar Durststrecken, in denen die Geschehnisse mir zum Teil etwas vorhersehbar erschienen. Das liegt aber sicher vor allem daran, dass die beiden wichtigsten Charaktere der Geschichte, Aidan und Elena, eben eine klassische Heldenreise antreten, wie sie in vielen Fantasybüchern vorkommt.

Aidan halte ich für einen sehr lebendigen, glaubhaften Charakter. Pfiffig, frech und manchmal respektlos, aber auch liebenswert und im tiefsten Herzen selbstlos. Er war mal ein großer Sänger, bekannt und verehrt, aber dann geschah etwas, wodurch er große Schuld auf sich lud. Dieser Zwiespalt machte ihn für mich umso interessanter, und dadurch gewann er meines Erachtens auch an emotionaler Tiefe. Er sträubt sich dagegen, ein Held zu sein, und doch ist es ihm vorherbestimmt.

Seinen besten Freund Revus habe ich auch direkt ins Herz geschlossen, denn es ist einfach rührend, mit welch bedingungsloser Freundschaft er an Aidan hängt. In meinen Augen ist ganz wunderbar, dass die Freundschaften in diesem Buch so wunderschön und wichtig sind wie die Liebesgeschichte!

Aidan und Revus sind beileibe keine Heiligen. Sie haben in der Vergangenheit so manche Gaunerei begangen, gehören jedoch trotzdem unbestreitbar zu den Guten. Ich fand großartig, wie sie sich im Laufe der Geschichte entwickeln!

Einen Großteil dieser Geschichte sehen wir durch Elenas Augen. Sie ist eine junge Königin der Gesegneten Inseln, die sich auf eine Queste begibt, um ihr Königreich zu retten. Sie war mir sympathisch, aber manchmal ein wenig zu perfekt: sie ist schön, mutig, selbstlos, intelligent, charismatisch, eine exzellente Kämpferin... Genau wie Aidan muss sie viele gefährliche Situationen bestehen, aber im Gegensatz zu ihm erlebt sie in meinen Augen keine große innere Wandlung, und das hat mir einfach gefehlt. Sie ist meines Erachtens am Ende der Geschichte immer noch der gleiche Mensch, der sie am Anfang war.

Ihre Leibwächterin Kaleona empfand ich als ein wenig blass. Sie ist Elena treu ergeben, aber über diese bedingungslose Treue hinaus habe ich nicht den Eindruck, sie wirklich kennengelernt zu haben. Dennoch würde ich sagen, dass die Freundschaft der beiden Frauen mich berührt hat.

Die Liebesgeschichte ist an sich schön und romantisch geschrieben, dennoch tat sie sich schwer damit, mich zu überzeugen - der Funke sprang für mich einfach nicht so recht über.

Der Schreibstil ist oft sehr humorvoll, was mir gut gefiel - ich liebe es, wenn Fantasy sich nicht immer so ernst nimmt, sondern auch etwas zum Lachen bietet! Der Autor beherrscht aber durchaus auch die ernsteren Tonarten. Ich fand den Schreibstil sehr ansprechend: wortgewaltig, bunt und lebhaft.

Bewertung vom 16.03.2016
Kirschblüten und rote Bohnen
Sukegawa, Durian

Kirschblüten und rote Bohnen


ausgezeichnet

Wie kann ich den Zauber des Buches erklären? Denn zauberhaft ist es in meinen Augen: melancholisch und dennoch voller wunderschöner, positiver Momente. Das liegt sicher vor allem an den Charakteren, die es alle nicht leicht im Leben hatten, damit völlig unterschiedlich umgehen und letztendlich in einer ungewöhnlichen, aber gerade dadurch tiefgründigen Freundschaft zusammenfinden.

Sentaro ist in seiner Jugend auf die schiefe Bahn geraten und hat ein paar Jahre im Gefängnis absitzen müssen. Das ist lange her, aber er fühlt sich immer noch gefangen, denn Schulden und ein Gefühl der Verpflichtung fesseln ihn an seine Arbeit als Dorayaki-Bäcker, obwohl er immer von einem Leben als Schriftsteller geträumt hat.

Als die alte Tokue sich als Aushilfe bewirbt, will er davon erst nichts wissen. Ihre zu Klauen verkrümmten Hände würden nur die Kunden abschrecken, glaubt er. Aber dann gibt sie ihm ihr selbstgemachtes An zu kosten - die rote Bohnenpaste, mit der man Dorayaki füllt -, und das ist für Sentaro eine wahre Offenbarung. Zum ersten Mal ahnt er, dass auch das Backen von Dorayaki ein edles Handwerk sein kann.

Tokue spricht immer freundlich, strahlt eine unglaubliche Lebensweisheit und postive Einstellung aus, und doch verbirgt sich in ihrer Vergangenheit ein tragisches Schicksal, über das Sentaro und Wakana (und mit ihnen der Leser) erst so nach und nach mehr erfahren. Dieser Teil der Geschichte war für mich sehr spannend und lehrreich, aber ich möchte noch nicht zu viel darüber verraten!

Die Freundschaft zwischen Sentaro und Tokue fand ich wunderbar geschrieben: rührend, aber nicht kitschig, authentisch und dennoch von behutsamer Poesie. Tokue zeigt Sentaro, dass man sich auch in schweren Zeiten ein Stück weit für Freiheit und Glück entscheiden kann. Sentaro gibt ihr das Gefühl, etwas an die nächste Generation weitergegeben zu haben, und damit ihrem Leben einen Sinn.

Das Schulmädchen Wakana stößt erst später dazu. Sie wirkt ungewöhnlich ernsthaft für ihr Alter, und zuhause scheint das Geld knapp zu sein. Ich hätte gerne noch mehr über sie erfahren, denn sie war mir sehr sympathisch!

Normalerweise würde ich in meiner Rezension jetzt von Originalität und Spannungsbogen sprechen, aber ich finde es schwierig, diese Kriterien auf das Buch anzuwenden.

Wenn man die Handlung zusammenfasst, passiert strenggenommen nicht viel. Den ersten Teil könnte man zum Beispiel umschreiben mit: "Ein unglücklicher Mann verbringt jeden Tag damit, Dorayaki zu backen, stellt eine alte Frau mit deformierten Händen als Angestellte ein und lässt sich von ihr beibringen, besseres Bohnenmus zu kochen. Eine Schülerin aus einer armen Familie wird zur Stammkundin."

Das klingt an sich wenig aufregend, aber tatsächlich übte das Buch auf mich einen unwiderstehlichen Sog aus; ich konnte es bis in die frühen Morgenstunden einfach nicht beiseite legen. Es geht gar nicht so sehr darum, was passiert - der Sinn und Zauber des Buches liegt meines Erachtens zwischen den Zeilen, wenn man sich nur unvoreingenommen darauf einlässt. Und das lohnt sich! Verschiedene Leser können sicher verschiedene Botschaften für sich herausziehen, und die meine war: sei achtsam dem Leben gegenüber.

Den Schreibstil habe ich als klar und leicht empfunden, mit feinem Humor und ohne viel Pathos. Wie schon gesagt, ein Buch der leisen Töne, das es dennoch versteht, Emotionen zu wecken.

Am Ende bleibt vieles offen, was vielleicht nicht jedem Leser gefällt. Aber dennoch fühlte sich die Geschichte für mich nicht unfertig an, denn jeder Charakter hat seine ganz eigene Reise erlebt, mit seinem ganz eigenen persönlichen Wachstum.

Bewertung vom 14.03.2016
Das Dorf der Mörder / Sanela Beara Bd.1
Herrmann, Elisabeth

Das Dorf der Mörder / Sanela Beara Bd.1


sehr gut

Das Buch ist in zwei Handlungsstränge aufgeteilt, die zwar Berührungspunkte haben, aber erst gegen Ende wirklich zusammenlaufen. Einer folgt der ehrgeizigen jungen Polizistin Sanela Beara, der andere dem unsicheren Diplompsychologen Jeremy Saaler. Das fand ich hochinteressant und es funktioniert in meinen Augen auch sehr gut, denn der Leser kann die Geschichte dadurch aus zwei sehr unterschiedlichen Blickwinkeln verfolgen.

Sanela ist nur eine kleine Streifenpolizistin, die eigentlich gar keine Befugnis dazu hat und sich dennoch wild entschlossen in den Fall verbeißt, koste es, was es wolle. Wenn sie ohne Erlaubnis ins Haus eines Verdächtigen einbrechen muss, dann ist das eben so! Ihr Vorgesetzter Gehring vergleicht sie mehr als einmal genervt mit einem kläffenden, kleinen Terrier, und sie schrappt immer haarscharf an einer Dienstaufsichtsbeschwerde entlang.

Eigentlich fand ich es gut, dass sie immer ihrem Bauchgefühl und ihrem moralischen Kompass folgt, andererseits habe ich doch manchmal den Kopf über sie geschüttelt! Sie kann und will sich nicht einfügen in die hierarchischen Strukturen der Polizei - was ich allerdings auch wieder verstehen konnte, denn sie hat die Erfahrung gemacht, dass ihr ohnehin niemand zuhört.

Mir gefiel sie gerade deswegen so gut, weil sie ein sperriger, unbequemer Charakter ist; sie hat dadurch Biss und wird nie langweilig.

Jeremy kam mir dagegen erst sehr passiv und farblos vor. Er hat den Beruf des Psychologen eigentlich nur ergriffen, weil sein einflussreicher Vater ihn dazu gedrängt hat. Er kann selber gar nicht erkennen, dass er dafür tatsächlich beträchtliches Talent hat und der Beruf für ihn sogar Berufung sein könnte. Im Laufe der Handlung blüht er aber immer mehr auf, entwickelt Charakter und eigene Meinungen. Die konnte ich zwar nicht immer nachvollziehen, aber ich fand sie trotzdem interessant!

Beide Protagonisten waren mir auf ihre eigene Art sympathisch, und ich fand sie glaubhaft und komplex geschrieben.

Aber die interessantesten Charaktere waren für mich die geständige Mörderin und ihre Schwester, denn die konnte ich überhaupt nicht einschätzen. Beide können blitzschnell umschalten zwischen drastisch widersprüchlichen Verhaltensmustern. Großäugige Unschuld und ätzende Aggression, sanfte Freundlichkeit und rasender Zorn… Und dennoch macht ihr Verhalten von Seite zu Seite immer mehr Sinn.

Der Mord, mit dem das Buch anfängt, ist nur die Spitze des Eisbergs, denn eigentlich hat alles schon viele Jahre zuvor in dem winzigen Dörfchen Wendisch Bruch seinen Anfang genommen. Ohne schon zu viel verraten, kann ich sagen: es geht um die Abgründe menschlichen Verhaltens und die spannende Frage, ob man erst durch Taten schuldig wird oder schon durch Wegsehen.

Der Schreibstil hat mich schon im Prolog gefangen genommen! Für einen Krimi fand ich ihn eher ungewöhnlich - manchmal fast malerisch, oft mit dichter Atmosphäre. Wenn eine Szene es verlangt, verwendet die Autorin auch schon mal einen nüchternen oder kargen Schreibstil, aber selbst dann hat er meines Erachtens immer noch eine eindringliche Sprachmelodie.

Eine Sache, die mich leider sehr gestört hat, war die Liebesgeschichte; diese konnte mich überhaupt nicht überzeugen. Sie ging mir zu schnell, hatte für mich einen ungesunden Beigeschmack und wurde mir letztendlich auch zu kitschig.

Ein bisschen getröstet hat mich die Dynamik zwischen Sanela und ihrem Chef, denn die fand ich glaubhaft, interessant und fast ein bisschen rührend. Bis zum Schluss will er ihr am liebsten den Kopf abreißen, weil sie immer wieder im Alleingang losprescht, aber ganz heimlich und widerwillig bewundert er sie auch für ihre unnachgiebige Entschlossenheit.

Bewertung vom 08.03.2016
Die Nacht brennt
Butler, Sarah

Die Nacht brennt


ausgezeichnet

Die Geschichte beginnt und endet mit den Unruhen, die 2011 London und andere englische Städte erschütterten, ausgelöst vom Aufruhr nach der Erschießung eines jungen farbigen Mannes durch die Polizei. Was mit friedlichen Demonstrationen begann, breitete sich aus wie ein Buschfeuer und führte zu zügellosen Krawallen, Vandalismus und Plünderungen, die mit der Erschießung rein gar nichts mehr zu tun hatten. Vielerorts brannte die Nacht tatsächlich wortwörtlich.

Ich fand sehr originell, wie die Autorin diese Unruhen als Hintergrund benutzt für die Geschichte eines zornigen Teenagers, der am liebsten die ganze Welt kaputtschlagen und die Ruinen dann noch abbrennen würde! Die Erschießung des jungen Farbigen interessiert ihn nicht die Bohne - in seinem Kopf und Herz ist nach der Ermordung seines besten Freundes kein Platz für Mitgefühl gegenüber einem Fremden. Nichts hat da mehr Platz außer qualvollem Verlust, ohnmächtiger Hilflosigkeit und rasendem Hass... Und der will raus, raus, raus.

Das Buch ist hochspannend - ich habe es verschlungen! -, aber vor allem geht es an die Nieren. Man kann gar nicht anders, als mitzufühlen, denn die Autorin beschönigt nichts, sondern lässt den Leser alles ungefiltert miterleben.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Kieran, der Stick ("Stock") genannt wird, weil er so dünn ist. Er lebt mit seiner Mutter in einer heruntergekommen Sozialsiedlung, in einer schäbigen kleinen Wohnung - während sein Vater mit seiner neuen Familie ein Bilderbuchleben in einer wohlhabenderen Gegend führt. Die Mutter leidet seit dem Tod von Sticks Schwester Sophie an Zwangsstörungen, und so muss er sich eher um sie kümmern als umgekehrt, was ihn heillos überfordert. Was er mit seiner Zukunft machen will, weiß er nicht, denn eigentlich will er nur weg hier, raus aus seinem verkorksten Leben.

Stick macht es dem Leser oft nicht leicht, ihn zu mögen: Komasaufen, bedeutungsloser Sex auf versifften Kneipenklos, Kiffen und Aggression. Aber in seinem Umfeld ist das eigentlich total normal, denn auch seine Freunde sind zornige junge Menschen, die für sich keine Zukunft sehen. Da steckt ganz viel Sozialkritik drin, aber ohne erhobenen Zeigefinger. Mir gefiel, wie schonungslos ehrlich und dennoch mitfühlend die Autorin die Jugendlichen beschreibt! Stick ist mir sehr ans Herz gewachsen, obwohl ich ihn manchmal gerne geschüttelt hätte - denn im Grunde ist er ein netter Junge, der es verdient hätte, mal ein bisschen Glück zu erleben.

Über J erfährt der Leser nicht ganz so viel, denn sie schottet sich ab, spricht nicht gerne über sich, aber zwischen den Zeilen wird doch deutlich, dass ihr Familienleben auch nicht so rosig ist.

Stick und J tragen beide viel emotionalen Ballast mit sich rum. Wahrscheinlich fühlen sie sich deswegen direkt voneinander angezogen, weil sie sich unbewusst ineinander wiedererkennen. Inmitten des ganzen Chaos ist ihre Beziehung überraschend zart und romantisch, aber nicht unproblematisch.

Es gibt zwar nur wenige Sexszenen, aber für ein Jugendbuch fand ich die erstaunlich detailliert und direkt, und zum Teil eher nüchtern oder sogar abstoßend. (Wie schon gesagt, versifftes Kneipenklo...)

Der Schreibstil ist vielfältig: mal knapp, nüchtern, emotionslos, sogar vulgär und ordinär, aber auch bildgewaltig, poetisch und atemberaubend gefühlvoll, pfiffig und witzig... Er bringt die verschiedensten Situationen glaubhaft rüber und bleibt dabei immer ganz nah dran an Stick und seinen widersprüchlichen, chaotischen Gefühlen - sie purzeln sozusagen ungefiltert aufs Papier, und das fand ich großartig, authentisch und überzeugend.

Das Ende bleibt relativ offen. Erst ganz zum Schluss trifft Stick eine Entscheidung, die den Grundstein für etwas Neues legt - aber was das genau sein wird, das erlebt der Leser nicht mehr mit. Das kann man mögen oder nicht, und ich musste auch erst darüber nachdenken, fand es dann aber passend.

Bewertung vom 07.03.2016
Die Elite / Selection Bd.2
Cass, Kiera

Die Elite / Selection Bd.2


weniger gut

Der erste Band der Reihe war für mich so ein Buch, für das man gerne auf Schlaf verzichtet, um stattdessen nur so durch die Seiten zu fliegen. Ich fand die Mischung aus Dystopie und Castingshow originell, unterhaltsam und spannend, und ich hielt die Hauptfigur, America Singer, für ein sympathisches, intelligentes Mädchen, mit dem sich sicher viele junge Leserinnen identifizieren können.

Leider, leider hat mich der zweite Band aber schwer enttäuscht.

Schon im ersten Band hätte ich den Schwerpunkt der Geschichte gerne etwas verschoben - weniger Castingshow, mehr Dystopie. Ich wollte mehr über die Hintergründe all dessen erfahren: warum wurde das Kastensystem eingeführt, warum wurde die Demokratie zugunsten einer Monarchie abgeschafft, was genau sind die Pläne der Rebellen...Meine Erwartungen an den zweiten Band waren, dass er mir genau diese Dinge erklärt, aber das erfüllte er nur zum Teil. Zwar wird all das angesprochen, ja, aber eher oberflächlich, und stattdessen steht das Liebesdreieck zwischen America, Aspen und Maxon imer und immer wieder im Mittelpunkt.

Um ganz ehrlich zu sein, ist mir America in diesem Band unsäglich auf die Nerven gegangen, denn sie lebt in einem diktatorischen Kastensystem, könnte endlich etwas bewirken - und verschenkt ihre Möglichkeiten, weil sich ihre Gedanken stattdessen um ihre eigenen verwirrten Gefühle drehen.

Sie bekommt durch die Teilnahme an der Selection die einmalige Chance, sich über die Politik ihres Landes zu informieren, aber sie stöhnt über die schwierigen Berichte, die sie lesen soll, und greift auch eher widerwillig zu den Büchern. Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass sie mal die Ärmel hochkrempelt und sich wirklich anstrengt, sich das unbezahlbare Wissen zu erarbeiten! Als sie die Aufgabe erhält, ein wohltätiges Projekt zu gestalten, fällt ihr schlicht und ergreifend nichts ein - ihr, die selber erlebt hat, mit welchem Schwierigkeiten die niederen Kasten zu kämpfen haben! Sie fragt Aspen, Maxon und ihre Zofen nach Ideen, und letztendlich fordert sie eine enorme Umwälzung, ohne sich die geringsten Gedanken darüber zu machen, wie sich diese Umwälzung tatsächlich realistisch umsetzen ließe.

Sie fragt sich öfter, ob sie wohl eine gute Prinzessin wäre, und meine Antwort wäre: Nein, America, das glaube ich nicht. Nicht, weil sie nicht intelligent genug wäre, aber sie erschien mir unfähig, entschlossen Entscheidungen zu treffen und das große Ganze im Blick zu behalten.

Sie kann sich auch zwischen Aspen und Maxon nicht entscheiden, und so fordert sie von beiden immer wieder mehr Zeit, mehr Zeit, mehr Zeit... Zeigt einer von beiden aber auch nur das leiseste Interesse an einem anderen Mädchen, schäumt sie vor Eifersucht! Ich fand sie zum Teil richtig manipulativ, denn wenn sie den Eindruck hat, sie könnte Maxon vielleicht verlieren, geht sie sofort hin und deutet an, dass sie sich ja eigentlich schon so gut wie für ihn entschieden habe... Romantisch fand ich das nicht mehr.

Die Geschichte zog sich für mich oft sehr, denn abgesehen von Americas zwiespältigen Gefühlen passiert über lange Strecken eigentlich nicht so arg viel. Die Rebellen greifen ein paar Mal an, aber das läuft im Prinzip immer gleich ab: große Panik, alle Mann in die Schutzräume, ein paar Verletzte oder Tote, zurück zur Dreiecksgeschichte und Beschreibungen von schönen Kleidern, komplizierten Frisuren und dekadenten Bällen, während draußen Leute hungern und sterben. Für mich kam da keine rechte Spannung auf. (Außerdem sollte man meinen, dass die Palastwache inzwischen auf die Idee gekommen wäre, einfach mal ein paar Wachposten aufs Dach zu stellen, damit die Angriffe nicht immer so völlig überraschend kommen.)

Den Schreibstil fand ich dagegen wieder sehr ansprechend, flüssig und angenehm zu lesen. Die Autorin beschreibt die Geschehnisse mit viel Liebe zum Detail und lebendigen Bildern.

Bewertung vom 04.03.2016
Die Ernte des Bösen / Cormoran Strike Bd.3  (Restauflage)
Galbraith, Robert

Die Ernte des Bösen / Cormoran Strike Bd.3 (Restauflage)


ausgezeichnet

Kaum eine Krimi-Serie hat mich in den letzten Jahren so sehr begeistert wie diese. Obwohl die ersten drei Bände mit jeweils fast 700 Seiten ziemlich fette Wälzer sind, habe ich sie alle innerhalb weniger Tage inhaliert!

Die Geschichten, die "Robert Galbraith" (alias JK Rowling) erzählt, sind unglaublich vielschichtig und intelligent geschrieben, mit vielen falschen Fährten und clever versteckten Hinweisen, die man erst rückwirkend versteht. Dabei sind die Bücher aber auch richtig packend, manchmal sogar knallhart und dreckig. Dieser dritte Band erschien mir deutlich brutaler als die ersten beiden Bände, greift aber nicht auf billige Schockeffekte und unnötigen Ekel zurück.

Cormoran Strike reiht sich in meinen Augen ein in die Liste solcher Detektive wie Sam Spade, Phillip Marlowe, Lucas Davenport usw. Er ist brilliant, aber auch sarkastisch, schwierig und manchmal sogar unsympathisch. Er hat starke Moralvorstellungen, ist aber auch abgebrüht und desillusioniert genug um zu wissen, dass er sie manchmal nicht durchsetzen kann. Er schockiert Robin mehr als einmal mit seiner scheinbaren Skrupellosigkeit, aber ich als Leserin hatte den Eindruck, dass er nicht wirklich gefühllos ist, sondern einfach gelernt hat, nur die Schlachten zu schlagen, bei denen zumindest eine kleine Chance besteht, sie zu gewinnen.

Trotz all seiner Macken mochte ich Strike (wenn auch nicht immer), konnte mit ihm mitfühlen, spürte seinen Zorn auf den Mörder, seine Angst um Robin, und seine Hilflosigkeit gegenüber dem drohenden Ruin seiner Detektei.

Robin Ellacott war für mich allerdings wieder der eigentliche Star des Buches! Ihre Begeisterungsfähigkeit und ihre intensiven Gefühle springen geradezu aus den Seiten, und darüber hinaus ist sie auch noch clever, mutig, einfallsreich und entschlossen. Natürlich hat sie nicht Strikes Erfahrung und vergaloppiert sich daher manchmal in unnötig gefährliche Situationen, aber das macht sie in meinen Augen nur umso menschlicher und sympathischer.

Etwas zu viel Raum nahm für meinen Geschmack der ewige Konflikt zwischen Robin und ihrem Verlobten Matthew ein, was dieses Mal noch ergänzt wurde durch einen ähnlichen Konflikt zwischen Strike und seiner neuen Freundin, sowie heimlichen Überlegungen von Robin und Strike, ob sie sich vielleicht doch vom jeweils anderen angezogen fühlen.


Interessant fand ich wiederum, wie geschickt und perfide der Mörder einen Keil zwischen die beiden treibt, indem er deutlich macht, dass er Robin als lohnendes Opfer sieht. Dadurch wird sie für Strike zur Last, denn er hat das Gefühl, sie aus der Ermittlung heraushalten und beschützen zu müssen, was Robin wiederum zur Weißglut treibt.

Wir sehen viele Szenen aus der Sicht des Mörders, was ich sehr interessant fand. Der Autorin gelingt es, dem Leser eine Einsicht in das perfide Weltbild des Täters zu geben, ohne schon seine Identität zu verraten! Und ich habe bis ganz zum Schluss völlig im Dunkeln getappt, wer sich dahinter denn nun verbirgt...

"Robert Galbraith" schreibt einfach großartige Charaktere. Da gibt es kein Schwarzweiß, sondern nur endlose Abstufungen von Grau - auch ein Kleinkrimineller, der mit Drogen handelt, kann einem schon mal fast Tränen der Rührung in die Augen treiben. Die Dialoge sind schlicht fantastisch, glaubhaft und prägnant.

Der Schreibstil hat mich ohnehin wieder rundum begeistert - da stimmt einfach alles, vom Sprachrhythmus bis zu den locker eingeflochtenen und doch atmosphärischen Bildern, und für mich ist das Kopfkino vom Feinsten.