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Juti
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Insgesamt 631 Bewertungen
Bewertung vom 16.04.2021
Hamster im hinteren Stromgebiet / Alle Toten fliegen hoch Bd.5
Meyerhoff, Joachim

Hamster im hinteren Stromgebiet / Alle Toten fliegen hoch Bd.5


sehr gut

Der Witzemacher hat Schlaganfall

Zwei Dinge habe ich mich beim Lesen des Buches immer wieder gefragt:
Wie kann ein Autor, der eine Sexologie plant (ich hoffe, dass man ein Werk mit 6 Bänden so nennt), wissen, dass er zwischenzeitlich einen Schlaganfall bekommen wird, über den er im 5. Band schreiben wird. Meyerhoff wollte doch bestimmt über ein anderes Thema schreiben!
Und 2.: Passen seine Reisegeschichten in der Nacht auf der Intensivstation zum Thema?

Beim früheren Burgschauspieler darf man nicht fragen, ob sich das alles so ereignet hat. Wichtig ist, dass es lustig ist oder zumindest interessant. Letzteres bedurfte bei den Reisen genauere Angaben, damit ich als Meyerhofffan auf seinen Spuren durch Norwegen wandern oder durch den Senegal fahren kann.

Eine Krankheit ist für den Autor vielleicht das falsche Thema, auch wenn es keinesfalls langweilt, wie er mit seiner Tochter im Krankenwagen wartet, bis eine Klinik gefunden wird.

Richtig lachen musste ich aber erst auf S.200 als über Verkehrsminister Scheuers Pressekonferenz zu den niedrigsten Verkehrstotenzahlen berichtet wird, die durch „Renntraining für Senioren“ noch weiter gesenkt werden sollen. „Lieber an der Ampel flitzen, als wochenlang im Rollstuhl sitzen“ und „Wer zu langsam geht, den bestraft das Leben“ fällt dem Autor dazu ein. Noch schöner ist der Witz seines Sohnes, der für diesen Ort leider zu lang ist.

Mit besserer Gesundheit kommt Meyerhoff richtig in Fahrt und lässt uns teilhaben an einer Waschaktion für einen Herrn Wurz und an einem Besuch in der Mensa von Schlaganfallpatienten.
Anfangs dachte ich, der Autor hätte seine Spritzigkeit verloren, doch das rasante Ende erzwingt mindestens 4 Sterne.

Bewertung vom 13.04.2021
Caroline Schlegel-Schelling
Appel, Sabine

Caroline Schlegel-Schelling


sehr gut

Bewundernswerte Professorentochter

46 Jahre wurde Caroline nur, erlebte aber mehr als der 74jährige Vater.
Als Tochter von Professor Michaelis in Göttingen geboren, heiratet sie erst konventionell den Freund ihres Bruders. Mit dem Arzt Böhmert zieht sie nach Clausthal und bekommt 3 Kindern von ihm. Doch während der Schwangerschaft des dritten Kindes stirbt ihr Ehemann. Sie kehrt nach Göttingen zurück und folgt dann dem Bruder nach Marburg.

Die beiden jüngeren Kinder sterben früh, nicht ungewöhnlich im 18. Jahrhundert. Sie wird des Bruders überdrüssig und entscheidet sich zu ihrer Jugendfreundin Theresa Heyne mit dem Mann Georg Forster nach Mainz zu ziehen. Dort erlebt sie die Mainzer Republik mit und auch als ihre Freundin vor den preußischen Truppen flieht schreibt sie: „Wir bleiben – aus Neugier und weil wir ein gut Gewissen hatten – nehmlich reine Hände – wir sind nicht reich und ich bin arm.“ (110)

Zu spät flieht sie, wird vor Frankfurt von preußischen Truppen gefasst und in Königsstein im Taunus gefangen gehalten. Dort hilft zunächst ihr Lebensmotto „Wer sicher ist, die Folgen nie zu bejammern, darf thun, was im gut dünkt.“ (107) , dann ihr anderer Bruder, der ihre Freilassung beim preußischen König erreicht und schließlich August Wilhelm Schlegel, der die auch in ihrer Heimatstadt Göttingen Geächtete heiratet, um ihren Ruf zu retten. Caroline war nämlich von einer Liebesnacht mit einem Franzosen in Mainz schwanger. Wäre das öffentlich geworden, wäre ihr Leben in Gefahr gewesen.
Wie schlecht seinerzeit die Demokraten behandelt wurden, schreibt selbst der Vater ihrer nach der Flucht nun Exfreundin Professor Heyne: „Alle Greuel der Sanculotten werden von den Siegern und Aristokraten noch übertroffen werden.“

Nach einigen geheimen Zwischenstationen wirkt Caroline im Haushalt der Brüder Schlegel mit an der Frühromantik in Jena. Das scheint das Fachgebiet der Autorin zu sein, den selbst einfache Besucher wie Novalis werden ausführlich zitiert.
In Jena lernt Caroline Schelling kennen, der auch zu ihren Ehemann Schlegel ein gutes Verhältnis hatte. Vielleicht hätte diese Dreierbeziehung länger gehalten, wenn nicht Carolines älteste Tochter bei der Kur in Bad Bocklet an der Ruhr gestorben wäre.
Vor allem Schlegels Bruder Friedrich, seine Frau Dorothea Veit und die Schillers machen zu allem Überfluss das illegale Verhältnis zwischen Schelling und Caroline für den Tod der Tochter verantwortlich.

Aber dank Goethe übersteht die Michaelistochter auch diese Krise, läßt sich von August Wilhelm scheiden – der danach mit Madame de Stael durch Europa reist - heiratet Schelling, zieht mit ihm erst nach Würzburg, dann nach München und stirbt schließlich beim Besuch der Schwiegereltern in Maulbronn wie die Tochter an der Ruhr.

Von dem Jenaer Freundeskreis dichtet keiner mehr, bis auf Brentano, der in einer Buchkritik von Caroline gewürdigt wurde und später die Heidelberger Spätromantik mitgründete. Aber das ist eine andere Geschichte.

Im Romantikteil werden mir zu viele Dichter zitiert, die nur einfache Gäste in Jena waren, ansonsten bin ich sehr zufrieden. 4 Sterne

Bewertung vom 04.04.2021
Wir in Kahlenbeck
Peters, Christoph

Wir in Kahlenbeck


gut

katholische Kaderschmiede

Nach der Lektüre von „Dorfroman“ wollte ich wissen, was der niederrheinische Autor über das bischöfliche Internat Gaesdonck schreibt. Offenbar mag der Autor es besonders, geografische Namen zu erfinden. Sein Internat heißt Kahlenbeck, sein Heimatdorf diesmal Henneward, der Wallfahrtsort Kevelaer Mariendorn, aber als er auch noch im Sommerurlaub des Internats die Schweizer Berge mit Kunstnamen versah, empfand ich ihn nur noch als Nervensäge.

Was aber beim Morsbachs „Gottesdiener“ ein wenig fehlte, kommt hier nicht zu kurz, vielleicht weil dieses Buch 10 Jahre später erschien. Im Gespräch mit dem Präses wird der Schüler Carl gefragt, ob er mit anderen Mitschülern schon an den Geschlechtsteilen gefasst habe, dieses sei ganz normal. Er soll sich nur vor den Mädels hüten.
Zweifellos darf bei pubertierende Hauptpersonen die Erfahrungen der Sexualität nicht fehlen, Carl lehnt Schwulitäten ab und lernt ein Mädchen kennen, das erst Küchenhilfe im Internat, dann mit in der Schweiz war und schließlich eine Ausbildung als Krankenschwester in Mariendonk macht.
Seine Mitschüler, die ihre Schule als Vorbereitung zum Priesterberuf sehen, sind aber teilweise vom anderen Ufer. Es wirkt so – und das in der Tat vorstellbar, dass die gleichgeschlechtliche Liebe als Vorbereitung auf ein zölibatäres Leben gefördert wird.

Nicht so prickelnd fand ich aber, dass seitenweise von jugendlichen über den theologischen Glauben debattiert wird, warum es keine Evolution gab und wie das mit der Sünde und der Beichte ist. Carls Vorliebe für Biologie und Musik übertrug sich auf den Ich-Erzähler im „Dorfroman“. Wenigstens werden wir hier von den Spielern von Borussia Mönchengladbach verschont.

Auf der Haben-Seite steht ein Einblick in die Sexualerziehung in katholischen Seite auf der Soll-Seite ist das Buch 200 Seiten zu lang. 3 Sterne.

Bewertung vom 31.03.2021
Die Orient-Mission des Leutnant Stern
Hein, Jakob

Die Orient-Mission des Leutnant Stern


gut

Unglaubliche Kriegslist

Was die „Ever Given“ in der letzten Woche geschafft hat, plante auch Leutnant Stern. Er wollte auf den Sueskanal einen Anschlag verüben, um die Nachschubwege der Briten im 1.Weltkrieg zu blockieren. Mit dieser genialen Idee wird er von den Weinbergen an der Westfront nach Berlin geschickt. Doch dann stellt sich heraus, dass das Osmanische Reich auf deutscher Seite in den Krieg eintritt und der Weg ins von den Briten besetzte Ägypten versperrt ist.

Aber es findet sich für Stern eine andere Aufgabe. Er soll mit islamischen Kriegsgefangenen nach Konstantinopel reisen, damit der Sultan Unterstützung hat, wenn er zum Dschihad aufruft. Im Buch wird stets „Djehad“ geschrieben. Aber die öffentliche Wirkung des Sultans ist gering, auf Seiten der Westmächte kämpfen weiter auch Mohammedaner. Der Witz an der geheimen Aktion ist, dass Sterns Leute als Zirkustruppe verkleidet unterwegs sind.

Nebenbei nimmt der Autor durch die Figur Schabinger auch den diplomatischen Zirkus auf Korn. So protestiert die deutsche Botschaft nicht gegen die Pogrome gegen die Armenier, die zu Beginn des 1. Weltkriegs in der Türkei geschehen.

Auf ganzen 227 Seiten wird die Geschichte erzählt, wobei allein 100 Seiten auf die Vorbereitung entfallen. Auch das Ende – Stern wird eine Reise nach Kerbela empfohlen, um auch die Schiiten am heiligen Krieg zu beteiligen – empfand ich ein wenig mühsam.
Gefallen hat mir aber, dass in einem „Paralipomena“ (was auch immer das Wort heißt) die Kurzbiografie einiger historischen Personen des Romans beschrieben werden. Das fehlte im Buch „Der Hammer“. Wegen der Längen am Anfang und Ende 3 Sterne, die Zugfahrt und das Treffen mit dem Sultan hätten als Novelle aber mehr verdient.

Bewertung vom 28.03.2021
Die Weizsäckers. Eine deutsche Familie
Noack, Hans-Joachim

Die Weizsäckers. Eine deutsche Familie


sehr gut

Der Mythos vom guten Nazi

Wer das Buch aufschlägt, sieht schon im Einband den Stammbaum der „Öhringer Linie“, der stolze sieben Generationen umfasst. Die ersten drei werden nur kurz behandelt bis wir vom Koch, der Müllersohn war, über den Stiftprediger und Tübinger Universitätskanzler mit der Familie Anfang des 20. Jhs zum württembergischen Ministerpräsidenten aufsteigen.

Hauptthema des Buches ist aber die 5. und 6. Generation, in der jeweils zwei Brüder bekannt wurden. Die Männer wirken deshalb am Gemeinwesen mit, weil sie „nicht Objekt sondern Subjekt sein“ wollen (31) heißt es am Anfang des Buches. Doch den Weizsäckers Opportunismus vorzuwerfen, wäre wohl falsch, weil sie „in vielen Bereichen hohe Kompetenz“ haben „und für solche Leute gebe es eben immer eine Verwendung“ (405), heißt es gegen Ende des Buches.

Ja, das letztes Kapitel behandelt als eine Art Epilog die siebte Generation und alle folgenden, viel zu kurz. Zwar wird erwähnt, dass alle Kinder einen akademischen Titel erworben haben, aber das Robert Präsident des Deutschen Schachbundes war, erfährt man nicht. Mich hätte interessiert, wie die Kinder eines Bundespräsidenten denken. Weiterer Aufstieg in der Politik ist nicht mehr möglich, also suchen sie ihre Aufgabe in der Wissenschaft. Das steht so nicht im Buch, sondern ist meine Interpretation. Auch der Anschlag auf Fritz geschah wohl nach dem Druck des Buches.

Ausführlich behandelt wird dagegen die Frage wie der Spitzendiplomat Ernst Heinrich sich während der Nazi-Zeit im Auswärtigem Amt verhalten hat. Zugutehalten wird man ihm, dass er immer versucht hat, eine Krieg zu verhindern und geschickt die Konferenz zur Sudetenfrage eingefädelt hat. Sein Bild trübt aber, dass er von Eichmann zwei Vorlagen zur Deportation französischer Juden nach Auschwitz unterschrieben hat. Sein Argument, dass er glaubte, dort ginge es den Juden besser, wird ihm heute niemand mehr abnehmen. Nur am Rande erwähnt wird seine spätere Rolle als Botschafter im Vatikan. Rolf Hochhuths Buch war meine Motivation für dieses und ich fürchte, dass die derzeit im Vatikan tätige Historiker-Kommission feststellen wird, dass Weizsäcker deutlich mehr hätte tun können.

Auch sein Bruder Viktor hatte keine weiße Weste, weil er als Professor mit Euthanasie-Opfern forschte, angeblich ohne es zu merken. Er wurde vom Krieg bestraft, weil seine beiden Söhne im Krieg starben.
Von Ernst Heinrichs Kindern war der Erstgeborene Carl Friedrich ein Wunderkind und hat für die Nazis an der Atombombe geforscht, was er nachher bereute und zu einem überzeugten Pazifisten wurde. Heinrich verlor sein Leben im Krieg, so dass als zweiter Mann nur Richard übrig blieb, der den Krieg an der Front überlebte. Sein Weg führte in erst in die Wirtschaft bevor er in der Politik seine bekannte Karriere machte.
Mit Wehmut denke ich zurück an seine Präsidentschaft und was seine Nachfolger aus dem Amt gemacht haben. Ob Richard von Weizsäcker heute auch denken würde, dass es für eine demokratische Bürgergesellschaft das Amt des Bundespräsidenten gar nicht mehr braucht?

Leider können wir auf eine aktualisierte Neuauflage des Buches nicht mehr hoffen, weil auch der Autor nicht mehr lebt. Vielleicht war das Projekt zu ambitioniert, vielleicht hat er zu sehr von den Quellen der Familie gelebt, bei mir bleiben ein paar Fragen, daher 4 Sterne.

Bewertung vom 27.03.2021
Gottesanbieterin
Gomringer, Nora

Gottesanbieterin


ausgezeichnet

Sprachwitz mit CD

In Klagenfurt habe ich immer Mitleid mit der in der Kritikerrunde verloren wirkenden Lyrikerin.
Umso mehr freue ich mich als jemand, der aus Enttäuschung in letzter Zeit kaum noch Lyrikbände gelesen hat, über dieses Buch.

Schon der Titel um einen Buchstaben ergänzten Gottesanbeterin zeigt, wo es lang geht. Während das erste Gedicht noch die Eifersucht behandelt, kommt bereits in „Runtergezählt“ der Sprachwitz der Autorin zur Geltung. „Der Wochen Ende“ und das Wort „Urinstinkt“, dass sie an Urin stinkt erinnert sind weiter Sprachwitze.

Daneben ist Gomringer auch eine scharfe Beobachterin, wenn sie wie in „Was wirklich geschieht“ eine Dichterlesung beschreibt. Aktuelle Themen wie der Anschlag auf Charlie Hebdo werden ebenso behandelt, wie Themen des Glaubens, wobei das Christentum bei ihr stets im neuen Licht erscheint. So bekommt die Bruder-Klaus-Kapelle in der Eifel ein literarisches Denkmal

Am meisten beeindruckt mich, dass es kein Gesicht gibt, dem ich nicht ohne viel Nachdenkens einen Sinn abgewinnen kann. Dies mag auch an der CD liegen, durch die man weiß, ob das Gedicht schnell oder langsam gelesen werden muss. Unbedingt 5 Sterne.

Bewertung vom 24.03.2021
Gottesdiener
Morsbach, Petra

Gottesdiener


sehr gut

Seltsame Menschen

„Seltsame Menschen“ ist der Titel eines Buches über Pastoraltheologie. Und seltsame Menschen trifft auch unser „Gottesdiener“. Ich frage mich aber, ob die Menschen selbst im Bayerischen Wald dem Pfarrer noch all ihre Eheprobleme beichten. Denn dieses Buch über das Leben des Pfarrers Isidor Rattenhuber ist voll von Klatsch und Liebesbeziehungen unter seinen Schafen im Dorf Bodering.

Aber nicht nur seine Schafe, auch sein Mitbruder Gregor hat Probleme mit dem 6. Gebot. Und dann wäre da noch der andere Mitbruder Franz, der aber eher auf Männer steht, wenn auch nicht klar ist, ob das so praktiziert wird. Seltsame Menschen sind sicher auch die Geistlichen.

Das große Problem der im Zölibat lebenden Priester ist die Einsamkeit. Um diese erträglicher zu machen, leiden viele Geistliche unter Alkoholsucht. Aber da treffen sie bei der bayerischen Landbevölkerung auf viel Verständnis.

Das Buch streift theologischen Themen wie das Zweite Vaticanum und den Priestermangel nur am Rande. In ihrem letzten Buch hat die Autorin geschrieben, dass sie bei der Recherche zu diesem Buch auf Akten des Falls Groer gestoßen sei, der zur Aufdeckung von sexuellen Missbrauch in Österreich geführt hat. 2003 war davon in Deutschland noch nicht die Rede und es ist auch keine Thema des Buches.

Die Autorin beschreibt sehr gut den Alltag eines Landpfarrers. Da aber nichts in Erinnerung bleiben wird und ihr Buch „Justizpalast“ besser ist, vergebe ich 4 Sterne.

Bewertung vom 21.03.2021
Städtebeschimpfungen
Bernhard, Thomas

Städtebeschimpfungen


weniger gut

Unerfüllte Erwartungen

Wie liebe ich doch Heinrich Heines Beschimpfung von Göttingen, die Stadt die bekannt für ihre Würste ist. So glaubte ich, dieses Buch sei eine Sammlung solcher schöner literarischer Glanzpunkte. Doch weit gefehlt.

Alle Beschimpfungen kommen von Thomas Bernhard. Manche werden grundlos „hässlich“genannt. Augsburg dagegen bezeichnet Bernhard als „Lechkloake“ und aus heutiger Sicht wundert der Leser sich mehr über die Proteste, die dieses Wort 1974 auslöste, als über die Beschimpfung selbst. Da fand ich es schon witziger, dass ein Augsburger behauptete, dass Goethes letzte Worte „Mehr nicht!“ gewesen wären (48f). Danach folgt wieder viel Leerlauf, u.a. über eine Diskussion in Berlin von 1968, bis auf S.62 erklärt wird, dass in Brügge vor 200 Jahre die Königin in Ohnmacht fiel, weil ein Chorknabe falsch gesungen hat. Nicht nur dieser Knabe wurde geköpft, sondern wegen der fehlende Genesung der Königin alle andere Chorknaben. „Jahrhundertelang“ gab es keine Chormessen in Brügge. Stimmt das so?

Dass in Bukarest die Reste eines Hotels nach einem Erdbeben eingeebnet wurden ohne vorher die Überlebenden zu befreien, hat nichts mit Beschimpfungen zu tun. In Darmstadt geht es nur um die Akademie und Dinkelsbühl ist wirklich langweilig.

In Düsseldorf wird nur eine Theateraufführung beschimpft, Frankfurt und Hamburg als die beiden deutschen Städte bezeichnet, die nicht „gänzlich unerträglich“ sind. In Graz, wo „niemand gewesen sei“ muss, sollen drei Philosophieprofessoren ihr Haus mit ihren Familien in die Luft gesprengt haben. In Kitzbühel soll sich eine Hotelangestellte in den Inn gestürzt haben, nachdem ihr die Belästigung eines Parisers Professors nicht geglaubt wurde, in Koblenz machte ein enttäuschter Reisender Werbung gegen die Pyramiden in Ägypten. „In Lissabon habe ich die schönste Zeit meines Lebens verbracht, aber doch nicht, wie in Rom, die beste.“ (107) London wird per Untergrundbahn beschrieben, aus Lübeck wurde der Autor für immer verjagt. „Ein Jahr Ludwigshafen/ das erniedrigte dich/ das hätte dir beinahe den Kopf gekostet“ (114), Oslo hat er nur wegen des Schreis besucht, Paris findet er „abscheulich“. „Was ihn an Passau nicht gefällt, schreibt er nicht. Salzburg hätte die höchste Selbstmordrate unter Schülern und Wien sei „ein riesiger Friedhof zerbröckelnder und vermodernder Kuriositäten!“ und „eine fürchterliche Genievernichtungsmaschine“ (163).
Es kommen noch eine Vielzahl von unbekannten österreichischen Städten vor, die keinen Nachhall hinterlassen.

Zwei Dinge gefallen mir an diesem Buch. 1. ist es schnell zu lesen und 2. konnte ich es von der Liste der zu lesenden Bücher streichen. Keinesfalls mehr als 2 Sterne.

Bewertung vom 20.03.2021
Atlas der erfundenen Orte (eBook, ePUB)
Brooke-Hitching, Edward

Atlas der erfundenen Orte (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Grandioses Meisterwerk

Der Name hält, was er verspricht. Mit gut kopierten und an den wichtigen Stellen durch eine Lupe vergrößerten Karten behandelt der Autor vorwiegend Inseln, die Seefahrer aus unterschiedlichsten Gründen entdeckt zu haben glaubten – und das zu einem annehmbaren Preis.

Mal wurde langsam ziehende Wolken, mal Nebel für Inseln gehalten. Einige Reisenden wollte auch nur ihren Bericht mit etwas Neuem auffrischen. Vor allem in der Polarregion kommen solche Inseln vor, die dort auch Eisberge gewesen sein können. Beim Vergleich mit anderen Bücher über die Arktis war ich vom detaillierten Wissen des Autors überrascht.

Im Buch fehlen auch keine mythischen Erzählungen wie Atlantis oder biblische Orte wie das Paradies. Also zu Recht 5 Sterne.