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Buchbesprechung
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Bad Kissingen
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Ich bin freier Journalist und Buchblogger auf vielen Websites. Neben meiner Facebook-Gruppe "Bad Kissinger Bücherkabinett" (seit 2013) und meinem Facebook-Blog "Buchbesprechung" (seit 2018) habe ich eine wöchentliche Rubrik "Lesetipps" in der regionalen Saale-Zeitung (Auflage 12.000).

Bewertungen

Insgesamt 368 Bewertungen
Bewertung vom 21.01.2018
Belgravia. Zeit des Schicksals
Fellowes, Julian

Belgravia. Zeit des Schicksals


weniger gut

Vielleicht kennt der deutsche Leser seinen Namen gar nicht, mit Sicherheit aber eines seiner erfolgreichsten Werke als Drehbuchautor: Julian Fellowes (68) schrieb die britische TV-Erfolgsserie „Downton Abbey“ (2010-2015), die 2011 sogar ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen wurde. Im November erschien nun im Penguin-Verlag die deutsche Taschenbuchausgabe seines 2016 erstmals veröffentlichten, bei uns als Spiegel-Bestseller vermarkteten Romans „Belgravia“. Doch leider empfand ich diesen Roman als recht enttäuschend: "Belgravia" ist nur ein „zweiter Aufguss“ des Downton-Abbey-Millieus. Die Handlung spielt mitten im 19. Jahrhundert [also zeitlich Jahrzehnte vor Downton Abbey] im vornehmen Londoner Stadtteil Belgravia, noch heute einer der wohlhabendsten Stadtteile, den wir schon aus der TV-Serie „Das Haus am Eaton Place“ (1971-1975) kennen. Wieder treffen hier alter Hochadel, neureiche Unternehmer und korrupte Dienstboten aufeinander und die Liebe sprengt natürlich alle Standesgrenzen. Also nichts Neues im britischen Königreich. Eine schwache Handlung kann in einer TV-Serie vielleicht durch prachtvolle Bilder, hübsche Kostüme und gute Schauspieler wettgemacht oder kaschiert werden, doch ein Roman muss allein durch Handlung und Sprachstil seine Leser überzeugen. Beides ist dem britischen Schriftsteller mit „Belgravia“ nicht gelungen. Es wiederholen sich vielmehr die aus der TV-Serie bestens bekannten Klischees, die Handlung ist austauschbar. Die erste Hälfte des Romans ist langatmig und mehr oder minder langweilig, in der zweiten Hälfte wird es dann etwas spannender. Kurz gesagt: Autor Julian Fellowes mag vielleicht eine gute Vorlage für eine weitere TV-Serie geschrieben haben. Doch auch wenn sich der Autor als Baron Fellowes of West Stafford und Peer des britischen Oberhauses in Geschichte und vormaligem Leben alter Londoner Adelshäusern auskennen mag: Ein wirklich guter Roman ist "Belgravia" leider nicht.

Bewertung vom 19.01.2018
Verschwörung in der Camargue (eBook, ePUB)
Holbe, Daniel; Tomasson, Ben

Verschwörung in der Camargue (eBook, ePUB)


weniger gut

Wer's mag, mag's mögen! Wohl nicht jedermanns Geschmack dürfte der im Dezember im Knaur-Verlag erschienene eBook-Thriller "Verschwörung in der Camargue" von Bestseller-Autor Daniel Holbe und Ben Tomasson sein. Nach meinem Geschmack war er jedenfalls nicht, obwohl er in seiner Handlung fast etwas an Dan Browns Bestseller "Sakrileg" (The Da Vinci Code, 2003) erinnerte. Auch Holbes Thriller spielt in Südfrankreich, auch hier geht es um einen sakralen Geheimbund, dazu kommt eine Prise aktueller Terrorismus, und auch hier sind Archäologen die Hauptpersonen. Religiöser Fanatismus, Geheimbündelei, ungelöste Geheimnisse aus christlicher Geschichte und ein paar aktuelle Morde - alles eigentlich Punkte für eine spannende Geschichte. Aber leider war diese Geschichte allzu abstrus - wenn ich allein an den neuen Messias denke(!) - und deshalb - ganz im Gegensatz zu Dan Browns Romanen - von Beginn an alles ziemlich unwirklich und unglaubwürdig. Dazu wechselnde Zeiten, wechselnde Orte, immer wieder neue Personen und mehrere Handlungsstränge, die sich in kurzen Kapiteln häufig kreuzen. Dieser schnelle Wechsel erschwert den dramatischen Spannungsaufbau und hat mich auf Dauer eher ermüdet. Wie gesagt: Fans von Daniel Holbe und Freunde solcher Geschichten mögen diesen Thriller mögen. Mir hat er leider gar nicht gefallen.

Bewertung vom 16.01.2018
Zu viele Köche / Nero Wolfe Bd.5
Stout, Rex

Zu viele Köche / Nero Wolfe Bd.5


ausgezeichnet

Der Krimi-Klassiker „Zu viele Köche“ (1938) von Rex Stout (1886-1975), im November in neuer Übersetzung erschienen, ist bereits der zweite einer seit März 2017 vom Verlag Klett-Cotta mit „Es klingelte an der Tür“ (1965) begonnenen, unregelmäßigen Reihe von Neuausgaben des amerikanischen Schriftstellers, der mit seiner Romanreihe um den schwergewichtigen Privatermittler und eigenwilligen Orchideen-Liebhaber Nero Wolfe weltberühmt wurde. Im April folgt „Der rote Stier“, ebenfalls aus 1938. „Zu viele Köche“ ist der fünfte von Stouts insgesamt 33 Nero-Wolfe-Romanen, hinzu kommen noch einige Erzählungen, und ein wahrer literarischer Leckerbissen. In der gewohnt flapsig-humorvollen Erzählweise von Wolfes Assistenten Archie Goodwin, die an sich schon das lesen lohnt, sind wir Leser zu Gast bei einem Treffen der zwölf weltbesten Köche, zu dem Nero Wolfe als Ehrengast geladen ist. Nur diese besondere Einladung veranlasst den berühmten Privatdetektiv, erstmals seine Penthouse-Wohnung in Manhattan zu verlassen, in deren Dachgarten er seine Orchideen züchtet. Normalerweise bewegt sich Wolfe keinen Meter aus der Wohnung, sondern lässt seine Klienten und alle an einem Fall Beteiligten zu sich kommen. Allein der zu erwartende Gaumenschmaus lockt ihn diesmal auf die weite Reise in den Bundesstaat West Virginia. Doch statt sich ein paar Tage in dem Spa-Resort erholen und die Gaumenfreuden ausgiebig genießen zu können, muss Wolfe wieder einmal seine „grauen Zellen“ arbeiten lassen – diesmal von seiner Suite aus. Denn einer der Starköche wird während einer Soßen-Verkostung ermordet. Mindestens drei der weltberühmten und eitlen Köche, die im ständigen Konkurrenzkampf stehen und dem Opfer öffentlich den Tod gewünscht haben, kommen als Täter infrage, einer von ihnen wird schon bald festgenommen. Dass dann doch ein anderer als der Mörder entlarvt wird, haben wir allein dem Spürsinn Nero Wolfes zu verdanken. Was vordergründig wie ein amüsanter Krimi ähnlich denen Agatha Christies mit ihrem Superhirn Hercule Poirot erscheint, ist bei Rex Stout eine gut verpackte Auseinandersetzung mit der seinerzeitigen US-Gesellschaft und Staatspolitik, wobei in „Zu viele Köche“ der damals noch extremere Rassismus und die vom Autor geforderte staatsbürgerliche Gleichberechtigung von Schwarzen und Weißen das Kernthema sind. Damit wagt sich der politisch liberal eingestellte Schriftsteller, der zeitlebens für die Wahrung individueller Freiheitsrechte eintrat und seine Hauptfigur Nero Wolfe in den Romanen als Sprachrohr nutzt, im Veröffentlichungsjahr 1938 weit vor, werden doch Schwarze damals in weiten Kreisen der weißen US-Bevölkerung noch als „Nigger“ beschimpft. Stout dreht dieses Bild um und stellt dem ungebildeten, schielenden weißen Sheriff einen an einer Washingtoner Universität studierenden jungen Schwarzen gegenüber. Lesenswert ist hierzu das Nachwort von Literaturkritiker Tobias Gohlis (67). Alles in allem verdient der Verlag Klett-Cotta ein Kompliment, die Neuausgabe dieser Krimi-Klassiker in heutiger Zeit zu wagen – in einer Zeit, wo in modernen Thrillern kaum Geist und Witz, nur Blut und Psychotraumata gefragt sind. Die Nero-Wolfe-Krimis von Rex Stout scheinen deshalb aus der Zeit gefallen, sind tatsächlich aber gesellschafts- und staatspolitisch aktuell, bei aktuell zunehmendem Rassismus und Nationalismus vielleicht aktueller denn je. In jedem Fall aber sind diese Krimis literarische Leckerbissen und schon deshalb absolut empfehlenswert.

Bewertung vom 16.01.2018
Das Jesus-Experiment
Roßbach, Bernd

Das Jesus-Experiment


gut

Eine spannende Feierabendlektüre mit kleinen Fehlern - mehr aber auch nicht - ist der am 16. Januar im noch jungen Feuerwerke-Verlag erscheinende Mystery-Thriller „Das Jesus-Experiment“ von Autor Bernd Roßbach. Der Hirnforscher Tom Jennings hat seine wissenschaftliche Arbeit so weit vorangetrieben, dass es ihm nun möglich ist, in Recalls die in Generationen vererbten und im Unterbewusstsein seiner Probanden gespeicherten Erinnerungen aufzurufen und mit Hilfe modernster Computertechnologie die Einzelbilder dieser tief vergrabenen Erinnerungen als Film zu visualisieren. Spannend wird es, als er auf eine Nachfahrin von Pontius Pilatus trifft und mit ihr als Probandin das wahre Gesicht von Jesus Christus offenbart. Natürlich stürzen sich nun wissenschaftliche Konkurrenten, mediengeile Investoren und der US-Geheimdienst CIA auf ihn und seine Forschungsarbeit, um diese für ihre jeweiligen Zwecke zu missbrauchen. Der Vatikan und vor allem christliche Radikale wie die Jesuiten fürchten die Wahrheit um Jesus wie der Teufel das Weihwasser und ängstigen sich um den Bestand ihrer christlichen Kirche und Religion, weshalb Jennings ausgeschaltet, sogar ermordet werden soll. Autor Bernd Roßbach schildert mit seiner Story die Gefahren einer futuristischen Szenerie, die einer multiplen Steigerung heutiger Kontrolle und Überwachung aller Nutzer von Internet und sozialen Medien gleichkommt. In seinem Roman werden nicht unsere Computer kontrolliert, sondern wir selbst, unsere Gedanken und Erinnerungen. Es droht die Gefahr, dass unsere Gehirne missbräuchlich manipuliert werden können, indem Erinnerungen gelöscht und falsche eingespeist, also unsere Identität ausgetauscht werden kann. - So weit ist es eine interessante und spannende Geschichte, die mit mäßigem literarischen Anspruch für gute Ablenkung am Feierabend sorgen kann. Sieht man über die typischen Klischees hinweg (wie: CIA hält lebenslänglich Verurteilte als Probanden in dunklen Kellerverließen, mordender Mönch, jesuitische Kreuzigungsszene in dunklen Katakomben), störten mich eher ein paar offensichtliche Fehler: Wenn statt des Begriffes „Apsis“ im Absatz gleich mehrfach die Falschschreibung „Aspis“ auftaucht, hat der Korrekturleser versagt. Oder wenn der jesuitische Peiniger Alvarez in einer Kammer der Pariser Katakomben zusätzlich zum Dämmerlicht einer Laterne noch mehrere Kerzen entzündet, dann aber durch Löschen nur einer Kerze für völlige Dunkelheit sorgt, dann hat hier der Lektor versagt. Nimmt man als Leser solche Fehler noch hin, um in der spannenden Geschichte weiterzukommen, die sich vielleicht sogar als Idee für einen amerikanischen Action-Film eignen würde, erscheint es aber dann doch etwas anmaßend, wenn der Feuerwerke-Verlag diesen Roman mit den Weltbestsellern von Dan Brown, Ken Follett oder auch nur Andreas Eschbach vergleicht. Alles in allem ist „Das Jesus-Experiment“ eine spannende Lektüre, wenn auch von nur mäßigem literarischen Wert. Was hätten Dan Brown oder Ken Follett aus dieser eigentlich spannenden Idee zaubern können ….

Bewertung vom 13.01.2018
Mr. Gandys große Reise
Titchmarsh, Alan

Mr. Gandys große Reise


sehr gut

In Großbritannien ist Autor Alan Titchmarsh (68) ein bekannter Mann, nicht so in Deutschland. Den ausgewiesenen Garten-Experten kennt man auf der Insel seit 35 Jahren aus Hörfunk und Fernsehen, wo er sich spätestens seit knapp 20 Jahren durch mehrere Staffeln seiner eigenen Garten-Shows und durch viele Fachbücher einen Namen gemacht hat. Weniger bekannt in England und völlig unbekannt in Deutschland ist Alan Titchmarsh allerdings als Schriftsteller fiktiver Romane, obwohl er schon 2001 seinen ersten veröffentlicht hat. Im Oktober erschien nun die deutsche Fassung seines achten Romans „Mr. Gandys große Reise“ im Verlag HarperCollins. Es ist die charmant erzählte Geschichte des 55-jährigen Frührentners und gerade verwitweten Engländers Timothy Gandy, der nach über 30 Ehejahren einen persönlichen Neustart versucht und nach dem Vorbild des von ihm verehrten Schriftstellers Joseph Addison (1672-1719) und nach dessen Aufzeichnungen von 1700 auf eine Grand Tour durch Europa startet. Wofür Addison vier Jahre brauchte, will Gandy in nur wenigen Wochen schaffen, sich dabei von seinem früheren Leben und seinen erwachsenen Kindern zu lösen versuchen. Ob es gelingen wird? In Paris lernt er die faszinierende, 15 Jahre jüngere Francine kennen und verliebt sich prompt in sie. Auch in Monaco und Italien macht er schnell Bekanntschaften – ausgerechnet Timothy, der zeitlebens zurückhaltend und verschlossen war. Er beginnt ein neues, ein eigenes Leben, was er in über 30-jähriger Ehe aus Rücksicht auf seine dominierende Ehefrau und den Werdegang der drei Kinder nie geschafft, aber auch nie wirklich gewollt hat. Timothy wird auf seiner Reise zugänglicher, fast jugendhaft übermütig und entdeckt mit der Malerei längst vergessene Talente wieder. Hielt er sich früher mit seiner Meinung zurück, tauscht er sich nun mit seinen neuen Freunden aus und wird sogar bei einem jungen Liebespaar zum väterlichen Berater – eine Rolle, die es ihm den eigenen Kindern gegenüber nie wirklich auszufüllen gelang. Autor Alan Titchmarsh, selbst schon fast 70 Jahre alt, hat, aus seiner Lebenserfahrung schöpfend, aber ohne übermäßig tiefsinning zu werden, einen sehr lebensklugen Roman geschrieben, der sich aufgrund des lockeren Stils gut lesen lässt und sowohl älteren Lesern wie auch erwachsenen „Kindern“ empfohlen werden kann. „Mr. Gandys große Reise“ ist ein freundlicher Appell an alle Senioren, das für sie Beste, das für sie Sinnvollste aus den ihnen noch verbleibenden Jahren zu machen. Sich wenn möglich noch Wünsche zu erfüllen. Es ist aber auch ein Appell an erwachsene Kinder, die Senioren ihr eigenes Leben leben zu lassen. Nebenbei ist der Roman auch ein stimulierender Reiseführer durch Paris, die Cote d'Azur, Monte Carlo und Florenz, immer auch auf den Spuren von Joseph Addison oder des Schriftstellers E. M. Forster (1879-1970), Autor des Klassikers „Howards End“, an dessen Roman „Zimmer mit Aussicht“ (1908) unser Protagonist Timothy Gandy sich in Florenz gern erinnert.

Bewertung vom 07.01.2018
13 Stufen
Takano, Kazuaki

13 Stufen


ausgezeichnet

Als Entdeckung für den deutschen Buchmarkt darf man wohl den japanischen Schriftsteller und Drehbuchautor Kazuaki Takano (53) bezeichnen, dessen bereits 2001 in Japan veröffentlichter Debütroman „13 Stufen“ im November endlich auch auf Deutsch beim Penguin-Verlag erschienen ist. Auslöser für diesen zeitlichen „Nachzügler“ war wohl der 2015 erzielte Erfolg mit Takanos bisher letztem Roman „Extinction“, der damals Rang 4 der Spiegel-Bestsellerliste erreicht hatte. Auch Takanos Erstling „13 Stufen“ hatte in Japan großen Erfolg und war prämiert worden. Seine deutsche Ausgabe hat der Verlag wohlweislich nicht als Krimi, sondern als Roman eingestuft, handelt es sich doch nur vordergründig um einen spannenden Kriminalfall. Das eigentliche Thema ist die in Japan seit Jahrzehnten andauernde Diskussion um die Abschaffung der Todesstrafe: Japan ist neben den USA und China die einzige Industrienation, in der die Todesstrafe noch vollstreckt wird. Im Dezember gab es wieder zwei Hinrichtungen, eine sogar an einem Minderjährigen. Ausgangspunkt in „13 Stufen“ - der deutsche Titel steht für die 13 Instanzen in Japan von der Urteilsverkündung bis zur Vollstreckung – ist die anstehende Hinrichtung eines unschuldig wegen Mordes zum Tod Verurteilten. Jetzt erhalten der ehemalige Gefängnisaufseher Nangō und der auf Bewährung entlassene Mikami über einen Anwalt den Auftrag eines Unbekannten, den wahren Täter zu finden. Die Suche des ungewöhnlichen Ermittlerduos mit unerwarteten Wendungen und auf zahllosen Irrwegen führt letztlich zum Ziel. Doch ist diese Handlung für Autor Kazuaki Takano eher nebensächlich und nur Mittel zum Zweck: Ihm geht es um die Frage, ob unsere Gesellschaft das Recht auf Vergeltung hat. Muss Mord zwingend mit Mord vergolten werden? Gott vergibt, wir Menschen nie? Wenn auch die Todesstrafe in Deutschland seit fast 70 Jahren kein Thema mehr sein mag, ist dieser ausgezeichnete Roman doch auch für uns lesenswert. Autor Takano versteht es meisterlich, uns Lesern durch die Auswahl seiner Protagonisten und deren in der Handlung geschilderte Denkweise die unterschiedlichen Argumente und Sichtweisen für und gegen die Todesstrafe nachvollziehbar aufzuzeigen und sachlich gegeneinander abzuwägen – aus Sicht des Gefängnisaufsehers, der selbst zwei Hinrichtungen durchführen musste, aus Sicht eines Mörders, aus dem Blickwinkel der Familien des Täters als auch der Hinterbliebenen des Mordopfers sowie aus Sicht des Staatsanwalts, der Strafverfolgungsbehörden und des Justizministeriums. Deutlich stellt sich der Autor auf die Seite der Gegner, doch auch die Befürworter der Todesstrafe kommen gleichgewichtig zu Wort. Kazuaki Takanos Erstlingsroman „13 Stufen“ dürfte auch deutsche Leser nicht unberührt lassen und nachhaltig beschäftigen. Das Buch hätte eine frühzeitigere Übersetzung verdient gehabt.

Bewertung vom 30.12.2017
München
Harris, Robert

München


ausgezeichnet

Nach seinem 1992 veröffentlichten Debütroman „Vaterland“, erst kürzlich als Taschenbuch wieder neu herausgegeben, und dem 1995 folgenden Spionagethriller „Enigma“ ist 20 Jahre und einige Bücher später nun „München“ der dritte Roman des britischen Schriftstellers Robert Harris (60), der sich mit Hitler-Deutschland befasst. In seinem im Oktober 2017 beim Heyne-Verlag erschienenen Politthriller über das Zustandekommen und den Abschluss des Münchner Abkommens im Herbst 1938 geht es um Hochverrat und Unbestechlichkeit, um Loyalität und Vertrauensbruch, um moralische Standfestigkeit und die manchem vielleicht unmoralisch erscheinenden Zwänge der Realpolitik. Wie in seinen früheren Romanen verwebt der auf historische Thriller spezialisierte Autor auch in „München“ in gewohnt faszinierender Weise wieder Fakten und Fiktion, dass man als Leser so manches Mal kaum zu unterscheiden vermag. Gerade aber dies ist Harris' Erfolgsgeheimnis, wodurch auch „München“ wieder zu Recht zum Bestseller wurde. Eindrucksvoll und spannend beschreibt Harris aus britischer Sicht, wie der englische Premier Chamberlain den deutschen Reichskanzler Hitler fast überfallartig zu einem kurzfristigen Treffen am 29. und 30. September 1938 in München zwingt, gemeinsam mit dem französischen Premier Daladier und dem italienischen Diktator Mussolini. Ziel des Treffens ist ein Abkommen über die friedliche Überlassung des Sudetenlandes an das Deutsche Reich bei gleichzeitigem Verzicht des von Hitler gewollten Krieges unter Inkaufnahme des Verrats an den Tschechen. Denn sowohl England als auch Frankreich waren 1938 in Truppenstärke und Ausrüstung noch nicht kriegsfähig. Schnell wird dem Leser deutlich, dass nicht Ehre und Moral die Tagespolitik der Alliierten bestimmt, sondern ausschließlich die subjektiven Interessen des eigenen Landes. Auch der fiktiv in die real-historische Handlung eingebaute junge Offizier Paul von Hartmann, Mitglied der Widerstandsgruppe um General Hans Oster, kann trotz Vorlage eines streng geheimen Protokolls über Hitlers kriegerische Eroberungspläne den britischen Premier nicht überzeugen, gegen den scheinbar noch beeinflussbaren Diktator vorzugehen, zumal das Schicksal der Sudetendeutschen die Engländer nicht berührt. „Ich fürchte, Sie müssen noch einige Lektionen in politischer Realität lernen“, nimmt Chamberlain dem jungen Idealisten jegliche Illusion. „Britain first“ kommt da dem Leser unweigerlich in den Sinn. Mit Robert Harris wird man zum Teilhaber des Geschehens im Münchner Führerbau. Man beobachtet die in den Fluren bei Häppchen und Bier sich langweilenden Delegationsmitglieder. Minuten später steht man als Leser unsichtbar in der Ecke des Sitzungssaales, in dem die Landesführer verbissen verhandeln. Sogar in seiner kleinbürgerlichen Privatwohnung am Prinzregentenplatz in Bogenhausen ist man an Hitlers Seite. Denn auch diese hat sich Harris bei seinen Recherchen angesehen. „München“ ist ein Politthriller, der durch seine detailgenaue Wirklichkeitsnähe begeistert und mit seiner Handlung fesselt. Nicht zuletzt lernt man ganz beiläufig ein bedeutsames Kapitel deutscher Geschichte.

Bewertung vom 29.12.2017
Die Vergessenen
Sandberg, Ellen

Die Vergessenen


ausgezeichnet

Um Recht und Gerechtigkeit, um Vergeltung und Rache, um die Möglichkeit zur Versöhnung geht es in dem im Dezember im Penguin-Verlag erschienenen Roman „Die Vergessenen“ von Ellen Sandberg. Seit Jahren bekannt für ihre Regionalkrimis um den Münchner Kommissar Konstantin Dühnfort, wechselte Schriftstellerin Inge Löhnig unter dem Pseudonym Ellen Sandberg nun das Genre. Die Vergessenen in diesem spannenden Familienroman sind die unzähligen Opfer zweier nur beispielhaft genannter Verbrechen in Zeiten des Nazi-Regimes und des Weltkrieges, die in ihrer Art völlig unterschiedlich sind, in vielen Fällen aber bis heute ungesühnt blieben. Der in München lebende Manolis Lefteris, seit Jahren einem Anwalt als „Mann für besondere Fälle“ im rechtsfreien Raum behilflich, erhält den Auftrag, für einen Mandanten versteckte Akten zu beschaffen. Manolis ist der Sohn des einzigen, damals erst achtjährigen Überlebenden des Massakers einer deutschen Wehrmachtseinheit, die 1944 die Einwohner eines griechischen Dorfes aus Vergeltung für einen Partisanenangriff grausam ermordeten. Mehrfache Versuche, dieses Massaker von der deutschen Bundesregierung offiziell als Kriegsverbrechen anerkennen zu lassen, blieben erfolglos. Das ungesühnte Schicksal seiner Familie prägte bis heute Manolis' Leben. Auf seiner Suche nach den versteckten Akten trifft er auf die Journalistin Vera Mändler, die, ebenfalls auf der Suche nach den Akten, Geschehnisse in einer psychiatrischen Heil- und Pflegeanstalt bei München zu Zeiten des NS-Regimes aufdeckt, in der ihre Tante Kathrin als 20-jährige Schwesternschülerin bis Kriegsende tätig war. In mehreren, kapitelweise in die aktuelle Kriminalhandlung eingefügten Erinnerungen Kathrins erfahren wir Leser von der durch den Anstaltsleiter Karl Landmann vorgenommenen Selektion „unwerten Lebens“: Sowohl psychisch-kranke Erwachsene als auch Kinder mit Down-Syndrom wurden auf Weisung des NS-Regimes durch gezielte Unterversorgung umgebracht. Auch Karl Landmann kommt wie so viele Nazi-Verbrecher ohne Strafe davon und lebt nach dem Krieg unter neuer Identität ein sorgenfreies Leben als erfolgreicher Unternehmer. Zwar ist die Handlung des Romans fiktiv und wie ein Krimi zu lesen, doch sind die in Rückblenden genannten Ereignisse des Jahres 1944 verbürgt, auch wenn die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar und das griechische Dorf Distomo bewusst umbenannt wurden. Der Autorin Ellen Sandberg alias Inge Löhnig ist mit „Die Vergessenen“ ein lesenswerter Roman um die immer wieder sich uns aufdrängende Frage gelungen: „Wann endet Schuld, wo beginnt Versöhnung?“ Denn die einen wollen vergessen, die anderen können es nicht – auch nicht nach 80 Jahren. „Das Leben hat einen Rückspiegel“, hat Manolis Lefteris oft feststellen müssen.