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Ingrid von buchsichten.de
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Erkelenz

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Insgesamt 330 Bewertungen
Bewertung vom 28.09.2019
Grausame Spiele / Die Arena Bd.1
Barker, Hayley

Grausame Spiele / Die Arena Bd.1


sehr gut

„Die Arena – Grausame Spiele“ ist der erste Teil einer Dilogie der Engländerin Hayley Barker. Die Geschichte spielt im London der Zukunft, in etwa hundert Jahren. Zu dieser Zeit zieht ein Zirkus über die britische Insel, der vor bereits rund 40 Jahren gegründet wurde. In ihrer Arena finden jedoch keine Vorführungen wie wir sie heute kennen statt, sondern es wird den Zuschauern ein besonderer Nervenkitzel dadurch geboten, dass die Künstler ohne eine Absicherung auftreten oder per Losverfahren über den Ausgang einer Zirkusdarbietung bestimmt wird.

Hoshiko ist bereits seit ihrem fünften Lebensjahr im Zirkus. Sie ist eine Dreg, eine Migrantin, also jemand bei dem nicht wie bei den Pures rein englisches Blut in den Adern fließt. Die Dregs wurden von den Pures in den letzten Jahren zunehmend an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Unter den Kindern der Dregs finden Auswahlverfahren statt. Wer die körperlichen Voraussetzungen dazu besitzt, wird an den Zirkus gegeben, so wie Hoshiko. Sie hat dort unter den Dregs so etwas wie eine Ersatzmutter gefunden, die aber wenig älter ist als sie selbst. Und nach mehr als zehn Jahren dort, kümmert sie sich seit Kurzem selbst um eine Nachwuchsartistin. Doch jeden Tag stellt sie ihr Leben in der Manege auf die Probe, ein Entkommen gibt es nicht, alles wird strengstens bewacht und Kranksein ist nur in bestimmten Fällen erlaubt.

Ben ist so alt wie Hoshiko. Er gehört zu den Pures und das auf ganz besondere Weise, denn seine Mutter ist so etwas wie die Kultusministerin des Landes. Durch besonders rigides Verfolgen von Dregs möchte sie auf sich aufmerksam machen, weil sie sich dadurch Hoffnung auf den Platz der Präsidentin macht. Als der Zirkus nach London kommt, setzt Ben alles daran, an einer Vorführung teilnehmen zu dürfen. Schließlich gibt eine offizielle Einladung an die Familie ihm die Gelegenheit dazu. Und dann sieht er sich auf seinem Logenplatz plötzlich Hoshiko gegenüber, die um ihr Leben kämpft und die in ihm ungeahnte Gefühle weckt.

Durch die Trennung von Pures und Dregs zeichnet Hayley Barker ein düsteres Bild unserer Gesellschaft in der Zukunft, die sich aus unserer heutigen Situation heraus, mit Blick auf die Flüchtlingskrise, ergeben könnte. Bewusst führte sie mir als Leserin vor Augen, welche Auswirkungen Rassismus haben kann. Dazu nutzt sie das Stilmittel der Übertreibung, denn alles an ihrer Dystopie ist im Zusammenspiel mit den beiden Gesellschaftsklassen grausam und brutal. Nicht umsonst wird die Zirkusshow von der Autorin als die tödlichste auf der Welt beschrieben.

Einige Pures verallgemeinern ihre unberechtigte Wut auf die Dregs mit der Behauptung, dass diese alle Verbrecher seien. Individualität wird ihnen nicht zugestanden. In den Dregs schwelt der Hass und sie finden zunehmend Mittel und Wege zum Aufstand. Spannend war es für mich zu sehen, wie die Autorin Ben und Hoshiko und ihre gegensätzlichen Welten zusammenbringt. Symbolisch zeigt sie hier, dass es immer noch Pures gibt, die dazu in der Lage sind, sich ein eigenes Urteil nach eigenen Erfahrungen zu bilden. Der Mut dazu, sich öffentlich dazu zu bekennen, ist beachtenswert.

Die Kapitel wechseln ständig zwischen Ben und Hoshiko, die in der Ich-Form erzählen. So konnte ich mich gut in ihre jeweilige Gefühlslage hineinversetzen. Kleine Cliffhanger ließen mich schnell weiterlesen und trieben mich durch die Geschichte mit zahlreichen Wendungen.

Trotz einiger dramaturgischer Ungenauigkeiten ist die Dystopie „Die Arena – Grausame Spiel“ fesselnd, stimmte mich aber auch nachdenklich. Hayley Barker zeigt eine gespaltene Gesellschaft in der Zukunft, in der allein die Herkunft eines Menschen bestimmt, wer er zu sein hast. Die Begegnung der beiden Jugendlichen Ben und Hoshiko während einer Zirkusvorstellung bringt einen Stein ins Rollen von dem ich sehr gespannt bin, wohin er in der Fortsetzung, die ich unbedingt lesen möchte, rollen wird. Aufgrund der teilweise brutalen Szenen im Buch empfehle ich es erst für ältere

Bewertung vom 09.09.2019
Der Sprung
Lappert, Simone

Der Sprung


ausgezeichnet

In ihrem Roman „Der Sprung“ beschreibt Simone Lappert zu Beginn eine prekäre Situation, denn eine junge Frau steht auf dem Dach eines Hauses in Thalbach in der Nähe von Freiburg. Sie bleibt nicht ungesehen und Polizei und Feuerwehr sichern schon bald die Umgebung ab. Der polizeilichen Aufforderung, vom Dach zu steigen, kommt sie nicht nach. Immer mehr Menschen werden auf die junge Frau namens Manuela aufmerksam, denn nicht nur sie, sondern auch ich als Leser erwarteten ihren Sprung, der auch eintreten wird, wie der Prolog mich wissen ließ.

Der Titel des Buchs bezieht sich nicht nur auf diese Szene. Im weiteren Verlauf der Erzählung nimmt die Autorin auch Bezug auf eine Redewendung, die mehr oder doch weniger liebevoll für jemanden benutzt wird, der ein wenig verrückt ist. Diese Aussage nimmt auch Bezug zu Manuela.

Während die Zeit langsam verstreicht, stellte die Autorin mir in weiteren Handlungen Personen vor, die einen Grund haben, sich am Ort der Aufregung einzufinden. Ihre Geschichten sind unabhängig voneinander und fließen doch aufeinander zu und ineinander ein. Die kurzen Kapitel nehmen jeweils eine der Personen in den Fokus und ich wartete immer wieder ungeduldig darauf, dass der gerade zurückgelassene Erzählfaden wieder aufgenommen wird. Jede dieser Charaktere wird durch die unfreiwillige Vorstellung der jungen Frau in seiner Alltagsroutine gestört und zum Handeln aufgefordert. Dazu gehören nicht nur der Freund der Frau und ihre Schwester, sondern auch Anwohner, ein Polizist, Obdachloser, ein Arbeiter einer Fleischverarbeitung, eine korpulente 14-Jährige und ein italienischer Modemacher. Schon diese Aufzählung zeigt die Vielfalt der Figuren und genauso abwechslungsreich ist der ganze Roman gestaltet.

Die Autorin fabuliert auf hohem Niveau. Ihre Charaktere sind gut ausformuliert und reagieren nicht immer so, wie man es erwarten würde, was den Ablauf überraschend gestaltet. Dennoch bleibt sie realistisch und die Szenerie ist durchaus vorstellbar. Mit viel Feingefühl lässt sie ihre Figuren agieren und begründet deren Empfindungen.

Simone Lappert zeigt, dass auf vielfältige Weise anhand von Details Entwicklungen voneinander abhängen, unsere Wunschvorstellungen durchkreuzen und unabsehbar sind. Eine solche Geschichte macht buchsüchtig, denn sie ist so ansprechend gestaltet, dass man immer mehr davon lesen möchte und das Ende des Romans nur allzu schnell erreicht ist. Der Inhalt selbst stimmt nachdenklich und bleibt in Erinnerung. Gerne empfehle ich den Roman an alle weiter.

Bewertung vom 05.09.2019
Die schönste und die traurigste aller Nächte
Gomyde, Maurício

Die schönste und die traurigste aller Nächte


sehr gut

Die schönste und die traurigste aller Nächte war für Victor und Amanda, den beiden Protagonisten im gleichnamigen Buch von Mauricio Gomyde, die Nacht des Abschlussballs ihrer Schule in Brasilia/Brasilien im Jahr 1997. Beide sind 17 Jahre alt und in dieser Nacht küssen sie sich zum ersten Mal. Doch Victor weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass der Beginn ihrer Liebe gleichzeitig verbunden ist mit dem bevorstehenden Umzug von Amanda und ihrer Familie nach Kenia und zwar schon am nächsten Tag. Der Kontakt zueinander bricht ab. Zwanzig Jahre später erhalten beide eine Einladung zum Jahrgangstreffen. Obwohl beide Gründe haben, daran nicht teilzunehmen, entscheiden sie sich für eine Zusage, die ihr Leben komplett verändern wird.

Das zauberhafte Cover des Buchs entführte mich in das tropische Klima der Hauptstadt Brasiliens. Von Beginn an hat mich die Liebesgeschichte zwischen Victor und Amanda in seinen Bann gezogen. Beide sind sympathisch, vielleicht auch oder vor allem aufgrund des Schicksals, das jeder von ihnen trägt. Victor hat die Besonderheit, dass seine Gefühle ihn für Minuten und Stunden in eine andere Zeit tragen und er in der Gegenwart dadurch physisch nicht anwesend ist. Er kann sein Glück und seine Traurigkeit nicht beeinflussen und ist darum stark von Eindrücken seiner Umgebung abhängig. Glück bringt ihn in die Vergangenheit, Trauer in die Zukunft. Den Grund dafür sieht er in seiner Liebe zu Amanda. Er hat sich deshalb weitgehend eine Existenz fernab allen Trubels gesucht.

Amanda hingegen ist inzwischen in Argentinien zu Hause. Sie hat einige liebe Menschen verloren und Halt gesucht. Letztlich hat sie aber nicht die Erfüllung im Leben gefunden, die sie sich vorgestellt hat. Ihre Liebe zu Victor und die Vorstellung einer gemeinsamen Zukunft mit ihm bilden seit der verhängnisvollen Nacht ihren Maßstab für ihr persönliches Glück. Sowohl Amanda und Victor sind feinsinnige Menschen, die ein Faible haben für Künstlerisches und Kulinarisches. Bereits auf der Innenseite der vorderen Klappe im Buch findet sich ein romantisches Zitat vom Glück, weitere sind zwischen den Kapiteln des Romans zu finden, die auch das Leben der Hauptfiguren begleiten.

Die Geschichte entwickelte für mich ihren ganz eigenen Sog, der mich schnell weiterlesen ließ, um zu erfahren, ob es für Amanda und Victor eine gemeinsame Zukunft geben wird. Bald vergaß ich, dass es nach meiner Vorstellung vielleicht in der ersten Zeit andere Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zueinander gegeben hätte und die Beziehung der beiden überdauert hätte.

Das mystische Element der Zeitreisen bleibt realistisch ohne wissenschaftliche Erklärung. Ich hoffte und bangte für die beiden Protagonisten, dass sie Wege zueinander finden würden. Immer wieder flechtet der Autor unerwartete Wendungen ein, so dass das Lesen dieser bewegenden Geschichte für mich abwechslungsreich und unterhaltsam war. Gerne empfehle ich den Roman weiter.

Bewertung vom 04.09.2019
Levi
Buttjer, Carmen

Levi


ausgezeichnet

„Levi“ ist der Debütroman von Carmen Buttjer. Die Handlung spielt in Berlin in der Gegenwart. Im Mittelpunkt steht der 11-jährige Levi Naquin, der erst vor etwa einem halben Jahr mit seinen Eltern in die Bundeshauptstadt gezogen ist. Es sind Sommerferien, doch statt Levis Familie bei Ferienaktivitäten zu erleben, traf ich den Jungen und seinen Vater auf den ersten Seiten des Buchs bei der Beerdigung von Levis Mutter. Levi schafft es kaum, ruhig sitzen zu bleiben. In einer spontanen Aktion greift er die Urne, läuft damit nach Hause und richtet sich in einem Versteck auf dem Dach des Mehrfamilienhauses ein.

Bereits vor dem Tod seiner Mutter war das Leben von Levi gestört durch die ständigen Streitereien seiner Eltern. Es gelang ihnen nicht, die Differenzen untereinander vor Levi zu verbergen und große Probleme gab es schon beim Umzug nach Berlin. Die Erzählform wechselt zwischen den Kapiteln, einige erzählt Levi in der Ich-Form. Während seiner Schilderungen denkt er nicht ein einziges Mal an einen gleichaltrigen Freund und ich vermutete, dass er keinen hat. Stattdessen verbringt er einen Teil seiner Freizeit beim Kioskbesitzer Kolja gegenüber und nimmt Kontakt zu Vincent, einem Mitbewohner des Mietshauses auf.

Levi und sein Vater finden keine gemeinsame Kommunikationsebene, viele Dinge bleiben ungesagt, entwicklungsbedingt klafft der Spalt des Verständnisses füreinander immer weiter auf. Schon vor dem schrecklichen Tod der Mutter hat Levi begonnen, sich in eine eigene Welt einzuweben voller Tiere, manche davon gefährlich. In seiner Fantasie ist es spannend und es gibt immer was zu erleben. Doch die Grenzen zur Realität verschwimmen mitunter.

Kolja und Vincent sind auf ihre Art für Levi da, wenn er sie braucht, doch als Vorbilder für ihn dienen sie weniger. Beide sind von den eigenen Schatten der Vergangenheit geprägt. Sie sind zwar Anlaufstelle für Levi, doch sie können sein aufgewühltes Innenleben nicht in geordnete Bahnen lenken. Carmen Buttjer zeigt einfühlsam wie wichtig es für Heranwachsende ist, einen Vertrauten zu haben, der nicht nur zuhört, sondern auch mit viel Verständnis Fragen beantwortet und Werte zu vermitteln weiß, jemand dessen uneigennützige Liebe man spürt und der dabei hilft die Tiefen des Lebens zu überbrücken. Dabei bedient die Autorin sich einer feinsinnigen Sprache, die die andersartige Welt von Levi bildhaft aufzeigt.

„Levi“ von Carmen Buttjer ist ein gelungenes Debüt, dass auf ergreifende Weise das Schicksal eines 11-Jährigen und seiner Eltern aufzeigt und mir wieder bewusst machte, dass der Verlust eines geliebten Menschen unersetzlich ist. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 28.08.2019
Drei
Mishani, Dror

Drei


ausgezeichnet

Der israelische Autor Dror Mishani bezeichnet seine Geschichte „Drei“ als „Detektivroman“, darüber wunderte ich mich zunächst. Warum die Bezeichnung dennoch treffend ist, lässt sich erst nach dem Lesen abschließend beurteilen. Entsprechend seines Titels ist die Erzählung in drei Teile gegliedert, in denen jeweils eine Frau die Protagonistin ist. Die drei Frauen haben eine Gemeinsamkeit: sie sind auf der Suche, jede auf ihre Art. Außerdem spielt ein Rechtsanwalt in jedem der Abschnitte eine Rolle. Der Haupthandlungsort ist Tel Aviv.

Der erste Teil des Buchs handelt von Oran, die nach einer Scheidung auf der Suche nach einer neuen Liebe ist und sich gleichzeitig sorgt, dass ihr Ex-Mann danach trachtet, den gemeinsamen Sohn für sich und seine neue Familie zu beanspruchen.

Im zweiten Teil steht Emilia im Mittelpunkt der Geschehnisse. Sie ist im lettischen Riga beheimatet und kam über eine Personalvermittlung nach Israel, die sie in die Pflege einer älteren Person vermittelt hat. Jetzt ist sie auf der Suche nach einer neuen Stellung, mit der sie ihren Lebensunterhalt sichern kann.

Ella, die Protagonistin des dritten Teils, schreibt mit 37 Jahren an ihrer Masterarbeit. Ihre Suche hat ganz andere Beweggründe als die von Oran und Emilia.

Die Figuren, die Dror Mishani beschreibt, stehen mitten im Leben. Er vermittelte mir ihre täglichen Ängste und Sorgen, die sich mit der Hoffnung vermischen, dass die Zukunft Möglichkeiten schaffen wird ihren Wunschvorstellungen näher zu kommen. Es ist ein Wechselbad der Gefühle, das die Frauen durchleben, dabei sind sie sehr verschieden. Obwohl jede von ihnen es schätzt, offen und ehrlich zu sein, sind es doch die kleinen Flunkereien von denen sie sich erwarten, dass sie ihnen einen Vorteil verschaffen und nicht weiter ins Gewicht fallen. Allerdings rechnen sie nicht immer damit, dass auch sie selbst durch solche kleinen Lügen betrogen werden könnten. Der Autor spielt mit Wahrheiten und Wünschen und sorgt auf diese Weise immer wieder für unerwartete Wendungen.

Während der Autor mich mit den Problemen einer alleinerziehenden Mutter konfrontiert, baut er subtil im Hintergrund Spannung auf. Im zweiten Teil erwartete ich bereits, dass er die Geschichte nicht geradlinig fortführen wird. Der letzte Abschnitt wechselt vom Schreibstil und Dror Mishani sprach mich als Leserin in der mir von ihm zugedachten Rolle mehrmals direkt an. Der Tonfall wird eindringlicher. Es kommt wieder zu einem überraschenden Twist.

„Drei“ von Dror Mishani entwickelte sich beim Lesen für mich zunehmend spannender, unerwartete Wendungen gestalteten den Roman interessant und lesenswert. Zuviel vom Inhalt kann ich nicht verraten, aber gerne spreche ich eine Leseempfehlung für den Roman aus.

Bewertung vom 22.08.2019
Blackbird
Brandt, Matthias

Blackbird


ausgezeichnet

In seinem Roman „Blackbird“ erzählt Matthias Brandt von einer Jugend am Ende der 1970er. Den Titel hat er einem Song der Beatles entlehnt, der ursprünglich auf Diskriminierung bezogen ist, hier aber auf die Krankheit des besten Freunds des Protagonisten abzielt. Auf einer Bank abhängen, bisschen Alkohol trinken und rauchen, was auch immer, so stellt es sich der 15-jährige Morten Schumacher, kurz Motte gerufen, vor, wenn er mit seinem Klassenkameraden Bogi nach der Schule zusammen ist. Noch während er zu Hause mit der Scheidung seiner Eltern konfrontiert wird, erkrankt sein Freund so schwer, dass erstmal nicht an gemeinsame Freizeitgestaltung zu denken ist. Im Lied der Beatles heißt es „Take these broken wings and fly“, diese Liedzeile wird sich auf andere Weise verwirklichen als Motte und seine Freunde es sich für Bogi gewünscht hätten.

Motte hat in kurzer Zeit viel zu verarbeiten. Körperlich nimmt er neuerdings ganz neue Dinge an sich wahr, doch darüber redet er nicht mit seinen Freunden, das ist nicht üblich. Natürlich ist ihm bewusst, dass die Änderungen sich aus seiner Entwicklung zum Erwachsenen herleiten. Bis er eines Tages ein heftiges Interesse für ein gleichaltriges Mädchen entwickelt. Um sich ihr zu nähern, benötigt er Hilfe und wendet sich mit Erklärungen einen Freund, was ihm nicht leichtfällt, weil dabei seine Empfindungen offen gelegt werden.

Währenddessen wird er aus seiner sicheren Zuflucht daheim gerissen. Ein Wohnungswechsel steht an und vor allem fehlen ihm die Frotzeleien mit Bogi. Sein Leben steht auf dem Kopf. Er möchte Lachen, er möchte Weinen und glaubt nicht daran, dass sich dadurch etwas zum Guten ändert. Er wird in die Rolle des Zuschauers gedrängt und verhält sich unbeholfen und linkisch. Doch eigentlich möchte er festgehalten werden, möchte bestätigt werden, aber es gibt keinen mehr, dem er derzeit vertraut und der Zeit dafür hat. Matthias Brandt ist es sehr gut gelungen Mottes Zwiespalt einzufangen und mir als Leser zu vermitteln. Bittersüß ist das Jahr für den Protagonisten, dass der Autor hier beschreibt. Es ist der Sound der 1970er den er hier einfließen lässt und an den ich mich gern erinnerte.

„Blackbird“ ist ein Coming-of-Age-Roman, der zeigt, dass man auf dem Weg zum Erwachsenwerden gleichzeitig von Liebe berauscht und am Boden zerstört sein kann. Matthias Brandt findet dazu einen jugendlich schnodderigen Ton, der beim Blues um die Geschehnisse, der Erzählung eine heitere Note verleiht. In vielem erkennt man sich selbst als Jugendlicher wieder, die männlichen Leser hier vermutlich noch etwas mehr. Obwohl die Geschichte in den 1970er spielt, sind die ganz großen Gefühle zeitlos. Gerne gebe ich dem Roman eine Leseempfehlung.

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.08.2019
Es wird Zeit
Kürthy, Ildikó von

Es wird Zeit


ausgezeichnet

In ihrem Roman „Es wird Zeit“ schreibt Ildikó von Kürthy darüber, dass es immer wieder Herausforderungen gibt, die das Leben mit sich bringt. Das bedeutet oft, dass man Bekanntes, vielleicht sogar Gewünschtes oder aber bequem Eingespieltes hinter sich gelassen werden will und die Entscheidung für einen Neuanfänge zu treffen ist. Die Rosen auf dem Buchumschlag stehen mit ihrer stolzen Pracht für glückliche Zeiten, zeigen aber auch durch ihre Dornen die Schattenseiten und Gefahren.

Für Judith Rogge, die Protagonistin des Romans, hat das Leben sich schon in vielen Höhen und Tiefen gezeigt. Sie ist fast fünfzig Jahre alt, wohnt seit fast zwanzig Jahren in Wedel bei Hamburg, wo sie seit genauso langer Zeit mit einem Zahnarzt verheiratet ist und mit ihm drei Kinder hat. Als ihre Mutter unerwartet stirbt, fährt sie zur Abklärung der Formalitäten und der anschließenden Beerdigung in ihre Heimat nach Jülich. Wider Erwarten trifft sie dort auf ihre frühere beste Freundin Anne. Erinnerungen an die alten Zeiten werden wach, aber das Erschrecken ist groß, als Anne von ihrer lebensbedrohlichen Krankheit erzählt. Dabei war sie es doch, die im Gegensatz zu Judith den perfekten Beruf und den besten Ehemann gefunden hatte. Judith stellen sich im Vergleich zu ihr viele Fragen, die dazu führen, dass sie überlegt, ob ein Neubeginn für sie nützlich und möglich ist, so wie sie ihn damals schon mal für angebracht gehalten hat ...

Bereits auf den ersten Seiten konfrontiert Ildikó von Kürthy mich mit dem Glück und Leid ihrer Hauptfigur, die ihre Geschichte in der Ich-Form erzählt. Der Umstand, dass ihre Ehe keine Liebesheirat war und ihre Freundschaft zu Anne zerbrochen ist, machte mich neugierig darauf, was vor vielen Jahren geschehen sein mag, bevor Judith ihr Leben in Wedel begonnen hat. Doch erst nach und nach setzte sich das Bild zusammen.

Judith ist ein Mensch, der sich immer geliebt fühlte und auch gerne geliebt hat. Doch jetzt sind ihre Kinder flügge geworden und mit dem Tod ihrer Mutter ist sie Vollwaise und verliert dadurch ihren Halt für seelische Tiefpunkte. Nicht nur Judith erlebt auf den Seiten des Romans ein Wechselbad an Gefühlen, sondern auch ich als Leser. Die Autorin lässt Judith häufiger innehalten, um die Gedanken schweifen zu lassen und eine innere Diskussion über alltägliche Dinge des Lebens zu führen, die ich sehr gut nachvollziehen konnte.

Ildikó von Kürthy schreibt mit einem Augenzwinkern über manche Ereignisse. Hier und da überspitzt sie Situationen, die auf diese Weise die darin enthaltene Aussage nur noch mehr vor Augen führen. Gleichzeitig schafft die Autorin es, mir die tiefe Traurigkeit von Judith über den Tod der Mutter und die Krankheit ihrer Freundin zu vermitteln. Die Autorin ist etwa im gleichen Alter wie ihre Hauptfigur und weiß genau worüber sie schreibt, denn vieles hat sie so oder ähnlich selbst. Die Widmung auf den ersten Seiten des Buchs richtet sie an einen lieben Menschen in ihrem Leben, die Zuneigung zu ihr glaubte ich in den Zwischenzeilen der Erzählung zu spüren.

„Es wird Zeit“ ist ein Roman über Freundschaft, Heimat, Wohlbefinden, Glück, Lebensträume, aber auch Traurigkeit über verpasste Chancen und Verlust geliebter Menschen. Jeder Leser wird sich in der ein oder anderen Situation wiederfinden, so wie ich. Dadurch stimmt die Erzählung stellenweise nachdenklich, obwohl der Grundton heiter ist. Der Prolog setzte von Anfang an eine gewisse Spannung, ob der zu klärenden offenen Fragen in der Vergangenheit der Hauptfigur. Zur Klärung flogen die Seiten dahin und unterhielten mich aufs Beste. Gerne empfehle ich den Roman weiter.

Bewertung vom 14.08.2019
Die Leben der Elena Silber
Osang, Alexander

Die Leben der Elena Silber


ausgezeichnet

Mit dem Roman „Die Leben der Elena Silber“ von Alexander Osang näherte ich mich beim Lesen der möglichen Wahrheit über den Lebensweg der im russischen Gorbatow geborenen Jelena Viktorowna Krasnowa. Bereits der Umschlag deutet an, dass so ein erzähltes Leben sich aus vielen Bildern, die da im Kopf hängen bleiben, zusammensetzt. Jelena, Elena, Lena, je mehr Buchstaben ihr Vornamen verliert, desto mehr Menschen verliert sie, die ihr bisher Halt gegeben haben, denen sie vertraut hat und von denen sie hilfreich unterstützt wurde. Den Blick immer auf die Zukunft gerichtet, umschifft sie viele Hindernisse. Die Sorge um ihre Familie begleitet sie ständig, durch die politischen Wirrungen des letzten Jahrhunderts muss sie sich immer wieder anpassen. Dennoch ist sie nicht die einzige Protagonistin des Romans, ihr Enkel Konstantin ist eine weitere Hauptfigur.

Jelena wird Anfang des vorigen Jahrhunderts geboren. Im Alter von zwei Jahren wird ihr erzählt, dass ihr Vater, Seiler von Beruf und Vertreter der Meinung der Landbevölkerung, von Beamten der Stadt hingerichtet wurde, weil er auf der Seite derjenigen stand, die über Anweisungen des Zaren gelästert hatten. Um weiteren Übergriffen zu entgehen, flieht die Mutter mit Jelena und ihrem Sohn nach Nischni Nowgorod.

Im Sommer des Jahres 2017 kehrt der Filmemacher Konstantin Silber von einer Reise in die Ukraine zurück. Von seiner Mutter Maria erfährt er, dass sein Vater aufgrund seiner Krankheit ins Heim ziehen wird, was für ihn eine wenig vorstellbare Situation ist, denn damit verbindet er die Endlichkeit des Lebens. Mit seiner beruflichen Karriere ist er unzufrieden und auf der Suche nach einem das Publikum ansprechenden Thema.

Ausgehend von den beiden obigen Anfängen des Romans ergänzen sich die Geschichten nun einerseits in der Gegenwart auf der Suche nach dem Wahrheitsgehalt, andererseits in kontinuierlich fortschreitenden Szenen aus der Vergangenheit. Eine Übersicht der wichtigsten Familienmitglieder auf den ersten Seites des Buchs half mir dabei, die Charaktere namentlich und zeitlich besser einzuordnen, auf den Innenseiten ist eine Landkarte mit den Handlungsorten gedruckt, die die Reisen der Familie nachvollziehen lassen.

Jelena ist beim Pogrom an ihrem Vater selbst nicht anwesend, aber sie spürt die Angst ihrer Mutter vor den Schergen, die größer ist als die vor einem Neuanfang. Für Jelena ist dieser Tag ein strenger Einschnitt in ihr Leben, dessen Bedeutung sie in ihrem kindlichen Alter noch nicht erfassen kann. Sie entwickelt sich zu einer starken Frau. Die häusliche Umgebung ändert sich örtlich für sie in den nächsten Jahren mehrfach. Durch ihren Beruf erlangt sie Unabhängigkeit vom Elternhaus. Schließlich heiratet sie einen deutschen Ingenieur, dem sie Mitte der 1930er Jahre nach Berlin folgt, als der Krieg bereits seine langen Schatten voraus wirft.

Dem Autor gelingt es, ein fiktives Frauenschicksal über Jahrzehnte hinweg ergreifend aufzuzeigen. Dabei ist seine Erzählung inspiriert von seiner eignen Familiengeschichte. Seine Schilderung ist bewegend, aber durch das Einflechten einiger heiterer Begebenheiten gelingt es ihm, seine Erzählung stellenweise aufzulockern. Seinen Fokus richtet er auf die Menschen, die das Schicksal tragen, dass ihnen durch die aktuelle politische Lage vorgegeben scheint. Seine Protagonistin Jelena bekennt sich nie bewusst für eine Richtung in der Politik, sie handelt, um sich selbst und ihre Liebsten zu schützen. An der Seite ihres Mannes führt sie ein wohlsituiertes Leben, doch auch hier stellt sie fest, dass sie durch Konventionen gebunden ist. Nichtwissen wird für sie zuweilen zur Überlebensfrage. Schon früh stellt sie fest, dass es häufig besser ist, Geheimnisse für sich zu behalten. In der Kommunikation mit ihren Töchtern verlässt sie ihr Mut, denn die Erinnerungen an bestimmte Dinge in ihrem Leben sind nahezu unbeschreiblich. Unzureichende Sprachkenntnisse und dadurch fehlende Übersetzungsmöglichkeiten ergänzen die mangelnde Kontin

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.08.2019
Something in the Water - Im Sog des Verbrechens
Steadman , Catherine

Something in the Water - Im Sog des Verbrechens


sehr gut

Something in the water“ ist ein Thriller der Engländerin Catherine Steadman, der eine subtile Spannung aufbaut, die sich vor allem aus dem Umstand ergibt, dass die Protagonisten Erin und Mark in ihren Flitterwochen bei einem Ausflug eine Tasche aus dem Wasser fischen mit einem brisanten Inhalt. Schon der Untertitel des Buchs „Im Sog des Verbrechens“ deutet an, dass eine verwerfliche Tat weitreichende Konsequenzen haben wird.

Erin ist Dokumentarfilmerin, Mark ist Bankkaufmann. Sie sind schon seit einigen Jahren in einer festen Partnerschaft. Wenige Wochen vor der lang ersehnten, pompös geplanten Hochzeit wird Mark arbeitslos. Aus Furcht davor, dass die Kosten unbezahlbar werden, kürzt er sowohl das Budget für die Feierlichkeiten wie auch die Tage der Flitterwochen im Luxushotel auf Bora Bora. Erste Drehtage zu einem Film über drei Strafgefangenen, die vor ihrer Entlassung stehen, verlaufen für Erin nach Plan. Schließlich heiraten beide und begeben sich auf Hochzeitsreise. Der Fund der Tasche, verbunden mit einer grausamen Entdeckung im Wasser, bringt beide in eine emotional angespannte Ausnahmesituation.

Aus dem Prolog wusste ich, dass Erin ein Grab für ihren verstorbenen Ehemann schaufelt. Meine Neugier war dadurch natürlich geweckt, um zu erfahren, was in der Zeit zwischen dem Fund und dem Schaufeln mit dem verliebten Paar geschehen ist. Erin erzählt die Geschichte als Ich-Erzählerin, so war ich als Leserin immer an ihrer Seite. Sie liebt ihren Beruf, obwohl der Verdienst eher bescheiden ausfällt. Dank der Einkünfte von Mark kann sich das Paar einen gewissen Wohlstand leisten. Erin reagiert zunächst recht naiv auf die Bedenken von Mark in Bezug auf zukünftige Ausgabenbeschränkungen.

Bei einigen ihrer Gedankengänge, wie beispielsweise zur weiteren Verwendung des Inhalts der gefundenen Tasche, wendet die Protagonisten sich direkt an den Leser, besorgt um dessen Verständnis. Oft konnte ich ihre Handlungen gut nachvollziehen, aber manchmal erschienen mir die Entscheidungen dieser intelligenten Frau unlogisch. Allerdings muss man berücksichtigen, dass Erin in kurzer Zeit viele, mehr oder weniger schnelle Entscheidungen zu treffen hat, die sie gefühlsmäßig stark mitnehmen. Auf die große Freude über ihre Heirat folgt die Enttäuschung durch die Entlassung ihres Manns, bald darauf ist sie Stolz über den Fortschritt ihrer Arbeit verbunden mit Nervosität vor den ersten Interviews mit den Straftätern. In den Flitterwochen versucht sie ihre Tiefenangst zu überwinden und genießt in vollen Zügen die bevorzugte Behandlung im Hotel und die Idylle. Ihre Gefühle fahren also Achterbahn.

Die Autorin verliert sich bei ihren Schilderungen in vielen Einzelheiten, die gelegentlich die Handlung ausbremsen, manchmal aber, wie im Fall des Aufenthalts auf Bora Bora, zum Träumen einladen oder, wie bei den Schilderungen der Dreharbeiten, inhaltlich interessant waren. Die Geschichte verläuft weitestgehend unblutig. Dem Ende fehlte ein wenig die Würze, weil es vorhersehbar ist.

Catherine Steadman ist ein gut konstruierter Thriller mit unterschwelliger Spannung über ein Beziehungs-Drama gelungen. Das Buch ist unterhaltsam und lesenswert trotz kleinerer Schwächen, darum spreche ich gerne eine Leseempfehlung aus.

Bewertung vom 14.09.2018
Guten Morgen, Genosse Elefant
Wilson, Christopher

Guten Morgen, Genosse Elefant


ausgezeichnet

Der Engländer Christopher Wilson nimmt den Leser in seinem Roman „Guten Morgen, Genosse Elefant“ mit in die Sowjetunion ins Jahr 1953. Es ist das Ende der Stalinzeit und der Protagonist Juri erlebt diesen Zeitraum aus einer ganz besonderen persönlichen Sicht. So schmückt denn auch ein fünfzackiger roter Stern das Cover des Buchs, hier als Symbol für eine kommunistische beziehungsweise sozialistische Weltanschauung. Unterbrochen wird der Stern durch einen Löffel. Er steht für den Job des Vorkosters, den Juri einnehmen wird. Die Elefanten im oberen Bereich sowie der Titel beziehen sich auf den Tarnnamen, den der damalige Diktator der Sowjetunion von einem Mitarbeiter erhält und damit dessen Gewichtigkeit betont.

Juri Romanowitsch Zipit ist Halbwaise. Mit seinem Vater, dem Hauptveterinär des Zoos, wohnt er in einer Dienstwohnung neben den Tiergehegen. Er ist zwölf Jahre alt als er durch Zufall zum Vorkoster des „Stählernen“, der sich gerne Wodsch nennen ließ, wird. Eine gewisse geistige Beschränkheit, hervorgerufen durch einen Unfall als Kind, kombiniert sich bei Juri mit Intelligenz und Gerissenheit. Sein Gesicht wirkt auf Betrachter vertrauenserweckend und auch der Wodsch ist von ihm stark eingenommen. Welche Vorzüge und Nachteile die ihm übertragene Aufgabe hat, kann er sich bei Arbeitsaufnahme noch nicht vorstellen.

Juri erzählt seine Geschichte mit Blick auf die ein Jahr zurückliegenden Ereignisse. Auf diese Weise konnte ich mich als Leser im Laufe der Schilderung, die zunehmend bedrückender wird und ihm Vieles abverlangt, immer wieder seines Überlebens der Ereignisse versichern.

Christopher Wilson gelang es mit seinem Roman mich gleichzeitig zu erheitern und tieftraurig zu stimmen. Juri hat eine unvoreingenommene gar naive Art seine Umwelt wahrzunehmen. Er weiß, dass er oft zu viel redet und Menschen dazu bringt, ihm ihre Geheimnisse anzuvertrauen. Schon zu Beginn gibt er einen kurzen Einblick in die Möglichkeit der Instrumentalisierung seiner Altersklasse im sozialistischen Staat durch die Lehrer. Der Autor wählt seinen Protagonisten bewusst jung um uns als Leser aufzuzeigen, dass uns niemand, auch nicht die Eltern, schützen können, wenn man in das Blickfeld der Mächtigen gerät, so unschuldig und unerfahren auch unser Geist noch sein mag. Den einzigen Schutz bieten Machtträger mit konträren Ansichten, die sich gegenseitig ausspielen. Gesprochene oder geschriebene Worte können große Freude oder verheerenden Schaden anrichten. Ohne zu hinterfragen oder weitere Einblicke zu gewinnen schildert Juri das feine Ränkespiel um die, im übertragenen Sinne, Plätze in der ersten Reihe beim nahenden Abgang des Generalsekretärs des Zentralkomitees. Hass, Neid und Rache sind dabei die Triebfedern. Den Leser beschwört Juri zu seinem Mitwisser, was der Erzählung von Anfang an etwas Geheimnisvolles gibt.

Der Autor vermag es mit der Kunst der Übertreibung seinem Roman einen humorvollen Anstrich zu geben, doch als ich mit Juri tiefer in die Schmiede der Macht eindrang wurde mit Angst und Bange. Hier ist nur noch widerspruchslose Pflichterfüllung angesagt, nach Belieben besteht die Möglichkeit Unerwünschte auszusortieren. An dieser Stelle möchte ich dem Übersetzer Bernhard Robben ein Lob aussprechen, der es geschafft hat, den speziellen Humor und die Feinsinnigkeiten des Romans ins Deutsche zu transportieren. Bei näherem Hinsehen verschmelzen Fiktion und gelebte Vergangenheit der Erzählung. Dieser Umstand brachte mich ins Grübeln darüber, dass es auch heute noch vergleichbare Regierungssysteme wie das geschilderte gibt. Juris unbedarfte Art zeigte mir die Hilflosigkeit des gewöhnlichen Einzelnen in einem solchen Staat. „Guten Morgen, Genosse Elefant“ stimmt nachdenklich, bleibt noch lange in Erinnerung und daher empfehle ich es gerne weiter.