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Wedma

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Insgesamt 546 Bewertungen
Bewertung vom 15.06.2018
Wofür es lohnte, das Leben zu wagen
Machemer, Hans; Hardinghaus, Christian

Wofür es lohnte, das Leben zu wagen


ausgezeichnet

Dieses Buch ist mein erstes Highlight des Lesesommers 2018. Sehr beeindruckend, stark, in vielerlei Hinsicht, v.a. was die Aussagen und die Schilderungen der Gegebenheiten der damaligen Zeit angeht. Der Titel passt zum Inhalt sehr gut.

Es ist ein Sachbuch, liest sich aber wie ein einmaliger Mix aus Horror, Thriller, Familiengeschichten uvm. Man sieht hier wieder einmal: Das wahre Leben hat schon die besten, aber auch die schrecklichsten Geschichten geschrieben.

Das Buch besteht hpts. aus den Briefen von der Front aus den Jahren 1941 und 1942. Sie sind nicht nur ein wichtiges und sehr lesenswertes Zeitdokument. Sie führen ihren Lesern vor Augen so vieles, und v.a. das, was man heute vllt gern ausklammert, worum man sich aber dringend kümmern sollte, um nicht in die Situation zu geraten, in der sich Helmut, der Verfasser der Briefe, befand: Eines Tages nach der Machtergreifung der Nazis sah es sich gezwungen, in den Krieg zu ziehen, um die wichtigen Abzeichen wie EK (Der Eiserne Kreuz) I zu erkämpfen und sonst genug Gründe zu liefern, die erlauben würden, seine Familie arisieren zu lassen. Helmuts Frau hatte jüdische Wurzeln, die Kinder waren auch entspr. eingestuft. Um sie gesellschaftlich wieder eingliedern zu lassen, was man durch die von den Behörden offiziell erteilte Arisierung bewerkstelligen konnte, ging er an die Front. Dort hat Helmut, eigentlich ein Augenarzt und nun Unteroffizier, seine Erlebnisse und Gedanken in vielen Briefen festgehalten. Diese, samt Fotomaterial, schickte er seiner Frau Erna, die die Schriftstücke dann nochmals abschrieb. Auch Erna schrieb Helmut an die Front. Die Briefe der Kinder sind ebenfalls dabei.

Helmut war ein begnadeter Schreiber: Die Texte lassen sich sehr gut lesen. Sie sind im Buch auch sehr geschickt angeordnet: Die Längeren werden von den Kürzeren abgewechselt, schwierige von den eher leichteren Inhalten abgelöst.
Manche Schilderungen schockieren zutiefst, manche unterhalten, viele stimmen nachdenklich. In ihrer Gesamtheit jedoch bringen sie Helmuts Leben und Wirken an der Front und seine Sicht der Dinge den Lesern zum Greifen nah. Man sieht, wie optimistisch sie anfangs waren, auch weil sie schnell und recht unproblematisch vorankamen. Sie versuchten, etwas Normalität in ihr Leben zu bringen, freuten sich über die Post und die Päckchen mit gutem Essen und anderen nützlichen Dingen von daheim. Man sieht aber auch, wie, durch Goebbels‘sche Propaganda irregeleitet, sie geglaubt haben, sie würden ihre Heimat verteidigen, als sie auf dem ukrainischen Boden kämpften und weiter gen Osten vordrängten. Wie deutlich anders es schon 1942 aussah. Helmuts Osterspaziergang Anfang April 1942 ist sehr beeindruckend, auch literarisch gesehen. Helmut erscheint nachdenklich und wehmütig, spricht vom allgegenwärtigen Tod und dem Wunsch, zu sich zurückkehren zu können. Die wahre Schreckensgestalt des Krieges hat der Leser, hier wie in der gesamten Länge des Buches, klar vor Augen.

Man kann noch viel über dieses Buch schreiben. Besser, man liest es selbst.

Es gibt einige s/w Fotos zwischen den Briefen, die das Geschilderte näherbringen. Die beigelegte DVD liefert noch mehr an Fotomaterial und Zeitdokumenten.

Fazit: Ein sehr lesenswertes Buch, das die Leser von den ersten Seiten an gefangen nimmt und noch lange nicht loslässt, auch nachdem die letzte Seite umgeblättert worden ist. Toll, dass man diese Briefe nun der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Man sollte sie unbedingt gelesen haben.

Bewertung vom 13.06.2018
Naturnahes Kochen - einfach, gut, gesund
Seitz, Erwin

Naturnahes Kochen - einfach, gut, gesund


gut

„Naturnahes Kochen“ von Erwin Seitz hat auf mich insg. einen guten Eindruck gemacht, wobei es einiges gibt, was zum Sterneabzug geführt hat.

Die Idee fand ich sehr gut, die Umsetzung ist auch recht nett. Viele schöne Bilder verleiten einen geradezu, im Buch immer weiterzublättern und die Rezepte auszuprobieren.

Das Buch ist auch wie ein Geschenk, hochwertig gemacht: Mit festem Umschlag, auf dem das schöne Coverbild direkt aufgedruckt ist, vorne und hinten, dickem Papier, auf dem die Fotos noch besser zur Geltung kommen. Für Einsteiger auf dem Gebiet eignet sich das Buch ganz gut.

Es gibt 24 Rezepte. Manche sind schon sehr einfach: „Haferlocken-Müsli mit Früchten“ und „Rührei mit Kräutern“, wohl etwas fürs Frühstück. Weiter gibt es zwei Salate: „Sommersalat“ mit Kopfsalat, Tomaten, Champignons, Avocado uvm, alles in Bio-Qualität; „Wintersalat“: mit Radicchio, Endivie, Orange, auch als Bio. Schon ist man bei Hauptgerichten, davon sind 6 mit Fleisch, wie z.B. „Gepökelter Schweinebauch auf Alblinsen mit Joghurt und Raz el Hanout“, „Wachtel auf Belugalinsen mit Holunderrahm und Haselnüssen“. 5 Gerichte mit Fisch bzw. Meeresfrüchten wie „Scholle, Krabbe, Queller auf Kartoffelstampf“, „Saibling auf Buchweizen-Risotto mit Bergkäse und Buttermilch“, „Spaghetti mit Kräuter-Pesto und Garnelen“. Der Rest ist vegetarisch bzw. vegan, z.B.: „Curryspinat mit Seidentofu und Cashewnüssen auf Basmati-Reis“. 4 Rezepte gibt es für Dessertspeisen, z.B. „Sommerliches Obst mit Buttermilch und Balsamessig“, „Exotische Früchte in Schokoladencreme mit Rum“ usw.
Die Rezepte sind einfach zuzubereiten. Sie sind gut durchdacht und verständlich beschrieben, auf max. 2 Seiten, mit Mengen- und Kochzeitangaben, sodass jeder Anfänger sie nachkochen könnte. Die Fotos der fertigen Gerichte und der Zutaten vor der Zubereitung sind auch dabei.

Der Anspruch des Autors an diese Rezepte: diese soll man in 30 Minuten zubereiten können. Bei den meisten scheint es zutreffend. Bei Cannellini-Bohnen jedoch, die zu Kabeljau, Oliven und Rosmarin-Sonnen-Blumenöl serviert werden sollten, ist es nicht der Fall. Man soll sie vorher 1,5 Stunden kochen. Das ist mir zu energieintensiv und wenig umweltfreundlich, wenn ich 100 Gramm Bohnen fürs Rezept so lange kochen muss. Man hätte durchaus andere Beilage nehmen können, die der 30 Minuten Regel durchaus genügen würde.

Die Warenkunde, eher allgemein gehalten und kulturgeschichtlich geprägt, erstreckt sich über ca. 90 Seiten. Sie ist mit vielen bunten ganzseitigen Farbfotos versehen und aufgeteilt in: „Milch und Milcherzeugnisse“, „Getreide und getreideähnliche Pflanzen“, „Kartoffeln und Hülsenfrüchte“, „Gewürze“, „Pilze“ usw. Für jedes Thema gibt es ca. 2-4 Seiten Text, der erklärt, wie diese Produkte schmecken, wozu sie gut sind und was sie im Körper bewirken. Am Ende der Ausführungen zu jedem Thema findet man eine Seite mit Adressen der Höfe und Verkaufsstellen, auch in Internet, wo man diese Ware beziehen könnte. Einerseits praktisch, könnte man meinen. Andererseits ist es ganz klar Werbung. Bücher sind für mich der letzte Zufluchtsort, an dem ich nicht mit Werbeanzeigen und ähnlichem ungewollt konfrontiert werde. Und ich möchte, dass es auch weiterhin so bleibt.

Fazit: Für Einsteiger auf dem Gebiet mag das Buch ein nützliches und schönes Geschenk sein. Die Rezepte sind einfach und bestimmt sehr lecker, wenn man sie aus 1A Zutaten zubereitet.
Ich beschäftige mich schon länger mit naturnahem Kochen. Für mich war da nicht wirklich was dabei. Etwas wenig Rezepte insg.

Bewertung vom 07.06.2018
Die Toten von Athen / Detektiv Zafiris Bd.2
Kanaris, Leo

Die Toten von Athen / Detektiv Zafiris Bd.2


sehr gut

„Die Toten von Athen“ von Leo Kanaris ist ein recht spannender, atmosphärischer Krimi mit guter Portion Gesellschaftskritik und einem sympathischen Protagonisten.

Klappentext beschreibt den Anfang ganz gut: „Griechenland – authentisch und gefährlich.
Mario Filiotis, der sehr sozial und ökologisch gesinnte Bürgermeister der Insel Astypalea, kommt in Athen bei einem mysteriösen Fahrradunfall ums Leben. Privatdetektiv George Zafiris ist der festen Überzeugung, dass sein Freund ermordet wurde. Doch bei Marios Beerdigung liegt nicht der Tote, sondern ein antiker Goldschatz im Sarg. George Zafiris nimmt die Ermittlungen auf und gerät in ein Labyrinth aus Korruption, Betrug und Gewalt.“

Der Anfang war verlockend. Im Laufe der Geschichte gewann ich eher den Eindruck, dass es dem Autor wichtiger war, die gesellschaftskritischen Aspekte in den Vordergrund zu rücken wie die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die einfache Bevölkerung Griechenlands, die gesellschaftliche Zerrissenheit der Gutmenschen und die gute Organisation und perfekte Vernetzung der Verbrecher im Gegensatz zu ihnen. Die Ermittlungen an sich erschienen vor diesem Hintergrund eher zweitrangig, die Motive stellenweise etwas zu konstruiert. Das Ende war etwas unglaubwürdig und zu schnell abgewickelt.

Aber eine nette Reise voller Abenteuer in Griechenland ist dieser Krimi allemal geworden. Die Vielfalt der Orte, die George zwecks seiner Ermittlungen besucht, ihre sehr gut beschriebene Atmosphäre ist schon beeindruckend. Es ist, man wäre mit George vor Ort und schaute ihm über die Schulter. Auch die Diversität der Tätigkeiten ist positiv aufgefallen. Man ist bei der Olivenernte im Kreise der Familie und beim Ölpressen dabei, auch beim Beten mit den Mönchen auf Insel Athos, wohin den Zugang nur Männer haben dürfen, bei den flammenden Reden des Wirtes über die in der Gesellschaft fehlende Solidarität uvm. In den Krankenhäusern ist man recht oft: Am Anfang, wo es einem vermittelt wird, wie die medizinische Versorgung in Griechenland funktioniert, und am Ende beim verletzten George.

Die Figuren sind durchwegs gut gelungen. Wobei sie alle kommen wie Opfer des korrupten wie kaputten Systems vor. Der neue Assistent von George konnte mich jedoch nicht wirklich überzeugen, eher schemenhaft geblieben bis zum Schluss, bei dem ich mich motivieren musste, doch noch zum Ende zu lesen.

Fazit: Ein ganz guter, atmosphärischer Krimi, flott und recht gekonnt geschrieben. Die Spannung nimmt zum Schluss jedoch ab, und dieser fällt abrupt aus.

3,5 Sterne, die ich auf 4 aufrunde.

Bewertung vom 06.06.2018
Ein Start ins Leben (eBook, ePUB)
Brookner, Anita

Ein Start ins Leben (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

„Ein Start ins Leben“ (1981), den Debütroman von Anita Brookner, habe ich sehr gern gelesen. Es ist ein großartiges literarisches Werk voller Witz, Ironie und Humor, sowie Überlegungen, was ein gelungenes Leben eigentlich ist, messerscharfen Beobachtungen des menschlichen Verhaltens uvm.
Klappentext beschreibt den Kern des Romans treffend: „Die mittlerweile vierzigjährige Ruth Weiss ist schön, intelligent – und einsam. Die Literatursüchtige sucht bei Balzacs Heldinnen Antworten auf die Fragen des Lebens und der Liebe und sinnt darüber nach, wo in ihrer Kindheit und Jugend die Ursachen dafür liegen, dass sie zu einer so einzelgängerischen Existenz wurde. Dabei schien doch anfangs alles noch so hoffnungsvoll, als sie als junge Frau in Paris ein neues Leben begann …Schon Anita Brookners Romandebüt ist ein vollendetes Stück Literatur. Tessa Hadley zählte ihn im Guardian zu den fünf besten ihrer 24 Romane und nannte ihn ‚schwarzhumorig, düster, und sehr, sehr witzig.‘“
Schwarzhumorig würde ich den Roman nicht nennen. Humorig-ironisch, recht realistisch sind die Beobachtungen der Autorin, die sie meisterhaft verpackt und dem Leser großartig, auf ihre besondere Art präsentiert.
Viele Fragen gingen mir durch den Kopf: Ist es nicht die Ironie des Schicksals, dass Ruths Mutter, die einst erfolgsverwöhnte, allseits beliebte, schöne Helen so ein elendes, einsames Lebensende findet? Oder ist sie einfach selbst schuld, weil sie ihre prinzessenhafte Angst vor dem eigentlichen Leben nie abgelegt und keine andere Rolle für sich gefunden hatte? Ihr Mann George, der Helens Eskapaden stets sportlich nahm, sich davon aber weiter nicht beeindrucken ließ und eine Beziehung zu einer anderen Frau heimlich pflegte, die viel normaler war, ihn bekochte und sonst keine weiteren großen Ansprüche an ihn stellte, hatte offenbar ganz andere Vorstellungen vom gelungenen Leben. Sein Ende fiel aber ähnlich aus. Und Ruth, die eigentlich einen guten Start ins Leben in Paris hingelegt hatte, warum dann alles Retour und dieses Im-alten-Trott-versinken, wo sie doch schon so gut wie da raus war? Mit all diesen Fragen beschäftigt man sich noch länger, nach dem die letzte Seite umgeblättert wurde.
Das Ende war zwar etwas abrupt, aber bei literarischen Werken finde ich es weiter nicht besonders störend. Das Wichtigste wurde ja bereits gesagt.

Fazit: Ein sehr lesenswerter Roman, der etliche vergnügte und nachdenkliche Stunden seinen Lesern schenkt. Großartig geschrieben.
Gern lese ich weitere Romane der Autorin, v.a. „Hotel du Lac“ mit dem Anita Brookner den Booker Prise 1984 gewann.
Nachruf auf Anita Brookner, 2016, von ihrem einstigen Mitstreiter um den Booker Prise Julian Barnes, „Der Lärm der Zeit“, eine Art Romanbiographie von Dmitri Schostakowitsch aus seiner Feder habe ich im letzten Jahr kennengelernt, war auch sehr gut und hilfreich. Nach dem Roman las ich seine Zeilen nochmals. Dann kamen seine Ausführungen, wie Anita Brookner als Mensch war, da er sie persönlich kannte, und dass sie von der Presse in eine Schublade gesteckt wurde, in die sie eigentlich gar nicht passte, besser zur Geltung: „Es gab niemanden, der ihr auch nur ansatzweise vergleichbar gewesen wäre.“ Dies kann ich nun sehr gut nachvollziehen.

Eisele Verlag, ET 07.09.2018, 256 S.

#NetGalleyDEChallenge.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.05.2018
Die Ladenhüterin (eBook, ePUB)
Murata, Sayaka

Die Ladenhüterin (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Diesen Roman der japanischen Schriftstellerin Sayaka Murata habe ich sehr gern gelesen und empfehle diesen auch gern weiter.
Klappentext beschreibt den Inhalt sehr gut.

Ich war sofort in der Geschichte drin und konnte mit Keiko in Japan der Gegenwart eintauchen. Keiko ist eine tüchtige Frau, die gern und auch recht viel arbeitet, immer pünktlich ist, großen Wert darauflegt, ihre Aufgaben perfekt zu erledigen, just so, wie es von ihr erwartet wird und ihr Leben auch nach dem ausrichtet, wie die Chefs des Ladens es sich wünschen. Man wird ja auch dafür bezahlt, dass man frisch und munter zur Arbeit erscheint. Sie hört und spürt den Laden. Sie verschmilzt schon fast mit ihm. Da denkt man, prima, sie hat ihre Berufung gefunden. Aber! Sie gilt in dieser Gesellschaft, unter ihren Bekannten und Verwandten, als Außenseiterin, als etwas Abnormales, denn sie arbeitet „nur“ als Aushilfe. Sie soll aber, so die Konventionen, entweder voll arbeiten oder heiraten und ein Kind oder zwei bekommen. Erst dann gilt ihre Pflicht an die Gesellschaft erfüllt, was ihr auch oft genug vermittelt wird. Dass sie von dieser erwarteten Norm abweicht, gilt es zu vertuschen, was ihre angepasste Schwester übernimmt, denn sie gibt vor, wie Keiko argumentieren soll, damit alle anderen Normalos sie auch halbwegs verstehen und akzeptieren können.

Spannend wird es, als Keiko Shiraha trifft. Er ist auch ein Außenseiter, aber von einer ganz anderen Art. Er ist ein Rebell. Er will sich gar nicht an diese Gesellschaftsnormen anpassen. Er verachtet sie. Sie sind ihm zu primitiv und archaisch. Keiko dagegen will sich weiter dahingehend anpassen, dass sie einen Mann bei sich wohnen hat, den sie evtl. auch heiratet, sie will also einen weiteren Schritt in Richtung der geforderten Normalität wagen.
Die beiden liefern sich solch aufschlussreichen Dialoge, dass ich sage, jeder soll diese bitte selbst lesen und sich eigene Überlegungen anstellen, worum es eigentlich in diesem Roman geht. Vllt um die persönliche Freiheit im heutigen Leben? Vllt um die schiere Unmöglichkeit, diese zu haben, denn die eigene Freiheit endet dort, wo die Unfreiheit des anderen beginnt? Was ist eigentlich ein erfülltes Leben? Was ist ein richtiges Leben? usw.
Der Roman ist auch deshalb großartig, weil er mit ganz knappen Mitteln auskommt. Mit sparsamen, aber sehr gekonnten Darstellungen der Tatsachen gibt Sayaka Murata so viel Stoff, so viel Raum zum Nachdenken über eine atemberaubende Vielfalt an Themen des heutigen Lebens! Das ist eine große Kunst.

Folgenden Satz aus dem Klappentext kann ich auf jeden Fall unterschreiben: „Mit leichter Feder und einem untrüglichen Gespür für die absurden Gesetzmäßigkeiten unseres Alltags zeichnet Sayaka Murata eine scharfsinnige Satire auf unser heutiges Leben.“ Diese distanzierte, fast trockene Feinhumorigkeit hat mich auch sehr beeindruckt.

Fazit: Ein großartiger Roman. Ein must read. Erstaunlich, dass nur 145 Seiten so viel schaffen können. Nach einer Pause lese ich „Die Ladenhüterin“ bestimmt nochmals.

Bewertung vom 23.05.2018
Mit anderen Augen (eBook, ePUB)
Körner, Fabian Sixtus

Mit anderen Augen (eBook, ePUB)


sehr gut

„Mit anderen Augen“ von Fabian Körner habe ich insg. gern gelesen und kann das Buch gut weiterempfehlen, v.a. an die Eltern, deren Kinder nicht so ganz gesund auf die Welt gekommen sind.
Etwas ungewöhnlich ist dieses Werk von der Form her, ein Mix aus: 1) Reiseberichten, wie man sie vllt in einigen Reiseblogs liest, i.e. Aufenthalte in Simbabwe, auf Mali, in der Dominikanischen Republik; 2) Beschreibungen der Lebenserfahrungen, i.e. die Geburt von Yanti, Abenteuer einer ganz anderen Art. Die erste, pessimistische Reaktion der Eltern, als sie erfuhren, dass die Kleine Downsyndrom hat; 3) Ein Ratgeber in Sachen positiver, richtiger Lebenseinstellung und Problembewältigung, gerade wenn man kein vollkommen gesundes Kind hat.
Die Reiseberichte, obwohl auch mit so manchen politischen Gegebenheiten und persönlichen Erfahrungen, Beschreibungen exotischer Landschaften angereichert, konnten mich wenig fesseln. Aber die Geschichte um Yanti, und wie ihre abenteuerdurstigen Eltern zu einer positiven Einstellung kommen, wie es da weitergeht, insb. nach dem Treffen mit der Mutter einer erwachsenen Tochter mit Downsyndrom, die erzählt hat, dass sie zuletzt vor dreißig Jahren im Urlaub war und sonst kein lebenswertes Leben seitdem hatte, all diese Dinge haben mich gefesselt und bis zur letzten Seite getragen. So schön und bewegend war zum Schluss zu lesen, was auch sehr überzeugend rübergebracht wurde, dass Yanti ein besonders einnehmendes, fröhliches Wesen hat und gleich positiv und freundlich angenommen wird!
Vieles liegt an den Eltern und an ihrem Umgang mit dem Downsyndrom des Kindes, liest sich deutlich aus den Zeilen von Fabien Körner heraus. Hier wurde auch gezeigt, dass eine richtige Lebenseinstellung die entscheidende Rolle spielt. Das eigene Leben gleich aufzugeben, wenn es nicht so ganz glatt läuft, gehört nicht dazu. Reisen mit solchen Kindern ist kein Problem, wenn man sich selbst nicht im Weg steht, wie die Reise in die Dominikanische Republik mit Baby Yanti zeigt. Auch das Reisen auf eigene Faust und Campen lässt sich prima gestalten. Es wurde gar von einem Mann aus Spanien berichtet, dass er trotz des Syndroms ein Lehramtstudium abgeschlossen, Vorträge zum Thema Inklusion gehalten, eine Sendung moderiert hat uvm. Fabian und seine Frau sehen in Spanien in einem Supermarkt eine Frau mit Downsyndrom, die allein einkaufen geht und sich sonst sehr souverän gibt.
Das Buch macht auf jeden Fall Mut all den Eltern, deren Kinder nicht so ganz gesund auf die Welt gekommen sind.

Es sagt ganz klar: Man darf das eigene Leben nicht aufgeben. Es geht weiter, und es seid ihr, die dafür verantwortlich sind, dass ihr euer Leben nach euren Vorstellungen lebt und glücklich werdet.

Alles in allem ist es ein gutes, vielfältiges, bereicherndes Leseerlebnis geworden. Die Texte sind gut. Ich konnte sie prima lesen. Die Sprache ist klar, griffig, bildhaft, sodass das Kopfkino gleich startet und bis zur letzten Seite anhält. Ich kann hier gute vier Sterne vergeben.

Bewertung vom 15.05.2018
Charakterfrage
Specht, Jule

Charakterfrage


sehr gut

Das Buch gibt eine gute Vorstellung davon, wie die Psychologen heute eine Persönlichkeit beurteilen, was die Studien heute über eine Persönlichkeitsentwicklung sagen können, was sie als belegt betrachten und was sich eher als Falschwissen entpuppt.

Etwa 222 Seiten des Textes sind in 6 Kapitel aufgeteilt: „Kann ich Persönlichkeit verändern?“ (7 S.); „Was ist Persönlichkeit?“ (4 S.); „Die Big Five“ (15 S.); „Die Persönlichkeit und ihre Entwicklung über die Lebensspanne“ (63 S.); „Die Persönlichkeit im weiteren Sinne“ (115 S.); „Die Persönlichkeit verändern“ (13 S.). Aus dieser Aufstellung kann man u.a. entnehmen, dass es sich hier um die Persönlichkeit dreht, so wie sie heute die Psychologen beurteilen, mit Hinblick auf die Frage, ob man, und wenn ja, wie, die Persönlichkeit verändern kann. Darauf wurde im letzten Kapitel eingegangen.

In „Big Five“ wurden diese im Sinne von „Emotionale Stabilität“, „Extraversion“, „Offenheit für neue Erfahrungen“, „Verträglichkeit“, „Gewissenhaftigkeit“ besprochen. Zu jedem dieser Merkmale wurde ein Persönlichkeitstest angeboten, bei dem man den eigenen Grad der Ausprägung dieser ermitteln kann.

Im 4. Kapitel geht es knapp aber prägnant um die Persönlichkeitsentwicklung, anfangend mit der Entwicklung vor der Geburt, über Kindes-, Jugend-, jungen Erwachsenen-, mittleren Erwachsenen-, und endend mit hohem Alter. Hier gibt es allerlei interessante Erkenntnisse aus den Studien, z.B.: „Bisher ist nicht belegt, dass ein Kind besonders gesprächig, musikalisch oder sportlich wird. Weil es im Mutterleib bereits entsprechend geprägt wurde. …Trainings, die dem ungeborenen Kind bereits Mozart oder chinesische Sprache nahebringen wollen, eher ein Symptom überambitionierter Kindes-Optimierung… S. 39. Da gibt es noch paar gute Sätze über die Weisheit und dass diese nicht unbedingt mit hohem Alter zusammenhängen muss, s. S. 91. Gerade dieses Kapitel fand ich aufschlussreich und bereichernd, auch weil ein Menschenleben einem vor Augen geführt wird, was in o.g. Phasen üblicherweise passiert, was die Studien der Psychologen zu den Zusammenhängen bestimmter Merkmale wie „Big Five“ zu berichten haben uvm.

Auch das 5. Kapitel, in dem über das Selbstwertgefühl, das subjektive Wohlempfinden, die Kontrollüberzeugung und Intelligenz gesprochen wird, ist spannend und durchaus erkenntnisreich. Bei IQ Angaben und Intelligenztests räumt Jule Specht auf: „Aussagen wie ‚Ich habe einen IQ von 142!‘ sind daher mit großer Vorsicht zu genießen und erst dann informativ, wenn zum einen bekannt ist, um welchen Intelligenztest es sich handelt, und zum anderen Informationen zur Messgenauigkeit dieses Tests vorliegen.“ S. 201. Weiter spricht sie von unterschiedlichen Auffassungen von Intelligenz, wie sich Intelligenz entwickelt uvm.

Der Stoff ist sehr zugänglich vermittelt worden. Das Buch liest sich wie eine Art Gespräch unter Freundinnen.

Mich haben so manche Verallgemeinerungen und Annahmen etwas irritiert. Oft wurden die Ergebnisse der US-amerikanischen Studien herangezogen, um die Thesen zu belegen. Die unterliegende Annahme hier, dass diese ohne weiteres auch für Vertreter anderer Nationen, Alters-, Berufs- usw. Gruppen gelten sollen, was eigentlich nicht oder nicht immer oder eher selten der Fall ist. Klar geschieht es hpts., weil es keine vergleichbaren dt Studien gibt. Wenn es diese gab, wurden sie hier herangezogen.

Fazit: Das Buch ist durchaus aufschlussreich und lesenswert, gerade weil es den Lesern Werkzeug gibt, das die Psychologen für die Beurteilung der Persönlichkeit nutzen (können), und so manches Neues zu dem Thema verrät. Das Buch ist klar für Einsteiger auf diesem Gebiet geschrieben worden. Aber auch Fortgeschrittene können hier einiges für sich mitnehmen.

Gekürzt gemäß der Anforderung von buecher.de

Bewertung vom 14.05.2018
Die Frauen am Fluss
Webb, Katherine

Die Frauen am Fluss


sehr gut

In diesem neuen Roman von Katherine Webb findet man im Grunde alles, was man von einem englischen Frauenroman erwartet: spannende, starke Frauenfiguren, Atmosphäre samt Sittengemälde der zwanziger Jahre des letzten Jh., mehrere Liebesgeschichten. Hinzukommen der Mord und die privaten Ermittlungen.

Es geht erst sehr gemächlich los, was an sich schön und entspannend wirkt. Das Eintauchen in die Atmosphäre der damaligen Zeit gelingt mühelos. Man ist in Irenes Erinnerungen bei ihrem Erwachsenwerden und Nach-dem-wohlhabenden-Mann-in-London-Ausschau-halten hautnah mit dabei. Wie es damals so war, eine junge Frau zu sein, mit all den heute als Anachronismen geltenden Dingen, deutlich werdend auch beim gestörten Verhältnis zu ihrer Mutter, steht klar vor Augen.

Nach Irenes Heirat begleitet man sie in die Dorfidylle Slaughterford auf das Anwesen ihres Mannes Alistair. Ein ruhiges, schönes Leben nah an der Natur. Doch wie es sich nach und nach herausstellt, die Idylle trügt. Und als Alistair brutal ermordet wird, und Irene gemeinsam mit ihrer neuen Freundin Pudding nach dem Mörder sucht, da tun sich die Abgründe auf.

Über diese Freundschaft der ungleichen Frauen, die einander dort ergänzen, wo die Defizite, in welcher Hinsicht auch immer, auftauchen, war nett und ermunternd zu lesen. Da sich die Polizei als unfähig erwies, haben sich die zwei jungen Frauen zusammengetan. Was sie herausgefunden haben, das hätten sie anfangs wohl kaum für möglich gehalten.

Irene kam sympathisch rüber, obwohl sie erst distanziert und etwas kühl rüberkam. Eine realistische Darstellung, denn die damalige Erziehung forderte die jungen Frauen der „besseren Gesellschaft“, sich so zu verhalten. Von zarter und schmaler Statur beweist sie die innere Stärke und Talent zu eigenhändigen Ermittlungen. Auch Pudding, so ziemlich das genaue Gegenteil zu Irene, mit ihrer schlichten Art, aber guten Portion Neugier und der stark ausgeprägten Fähigkeit, logisch zu denken, habe ich gerngehabt. Pudding ist so fest entschlossen, ihrem im ersten Weltkrieg zum Invaliden gewordenen Bruder zu helfen, dass sie einen sofort mitreißt und durch die Geschichte trägt. In dem Sinne weist der Roman auch eine deutliche anti-Krieg Note auf, denn er führt die tragischen Konsequenzen für die einfachen Leute aus dem Dorf und ihre Familien deutlich vor Augen.

Zum Schluss gab es Überraschungen, mehrere, der besonderen Art. Die Auflösung kann man nicht unbedingt klassisch nennen, sie hat aber auch durchaus ihre Reize. Vielleicht auch deshalb wird mir dieser bemerkenswerte Roman von Katherine Webb lange im Gedächtnis bleiben.

Fazit: Ein netter, atmosphärischer, spannender Frauenroman, den frau gern abends oder am verregneten Wochenende durchschmökern kann. Für Fans der Autorin und englischer Frauenromane ein Muss.
Lassen Sie sich einfach überraschen.