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Volker M.

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Insgesamt 374 Bewertungen
Bewertung vom 26.07.2022
The Byzantine Harbours of Constantinople

The Byzantine Harbours of Constantinople


ausgezeichnet

„The Byzanthine Harbours of Constantinople“ ist die englische Ausgabe einer in Teilen bereits 2016 im Rahmen des DFG Förderprogramms „Häfen von der römischen Kaiserzeit bis zum Mittelalter“ auf Deutsch erschienenen Publikation. Byzanz mit seiner Hauptstadt Konstantinopel steht dabei in besonderer Weise für die Schnittstelle zwischen Okzident und Orient. Die seit 2004 erfolgten, sensationellen Ausgrabungen im Istanbuler Stadtviertel Yenikapi, bei denen bis heute über 40 antike Schiffe geborgen und viele neue Erkenntnisse zur Struktur und Nutzung eines der wichtigsten Häfen Konstantinopels gewonnen wurden, haben auch zu einer Neubewertung alter Befunde geführt, die im Rahmen dieses Buches ebenfalls aufgearbeitet werden konnten. Der Band versteht sich als aktuelle Anthologie der antiken Häfen Konstantinopels, zu dem die maßgeblichen Experten und Expertinnen insgesamt 15 Essays beitrugen.

Den Autoren gelingt es sehr anschaulich, die Entwicklung der Konstantinopler Häfen von der Spätantike bis in muslimische Zeit nachzuzeichnen, anhand archäologischer Befunde, zeitgenössischer Malerei und literarischer Quellenanalyse. Die Qualität und Quantität der Daten hat sich in den letzten 20 Jahren bedeutend vermehrt und liefert ein teilweise bemerkenswert feinteiliges Zeit- und Raumraster. Die Geschichte Konstantinopels war wechselhaft und einige historische Ereignisse, wie das Auftreten der Pest im Jahr 542 führten zu schnellem Verfall und entsprechender Umnutzung der Infrastruktur. Handelszentren und Verkehrsachsen wurden verlagert, Häfen und ganze Stadtviertel aufgegeben. Alleine ab 540 verlor die Stadt innerhalb weniger Jahre 80 % ihrer Bevölkerung. Aber es gab auch Phasen des Wiederaufbaus mit der Reaktivierung alter Strukturen.

Die Beiträge wurden professionell übersetzt, was die sprachlich und qualitativ sehr homogenen Texte erklärt. Sie lesen sich ausgesprochen flüssig, sind präzise und gut strukturiert. Jedem der Haupthäfen ist ein eigenes Kapitel gewidmet, mit umfangreichem Referenz-, sowie ergänzendem, meist historischen Bildmaterial, die kleineren Hafenanlagen, vor allem im Umland der Stadt, werden dagegen summarisch behandelt. Grund- und Aufrisspläne sind leider oft zu klein geraten, als dass sich die Legenden noch lesen ließen, sie erschließen sich manchmal erst im Kontext des jeweiligen Beitrags (wenn auch nicht immer).

Die Monografie ist fachlich auf dem neuesten Stand und lässt kaum Wünsche offen. Angesichts der massiven räumlichen Veränderungen, die Istanbul in den letzten 130 Jahren erfahren hat und bei denen wesentliches archäologisches Material durch rücksichtslose Stadtentwicklung unwiederbringlich verloren ging, ist dieser Tagungsband mit seinen zahlreichen faksimilierten historischen Plänen und Fotografien auch eine Arche, deren Daten mit großem Aufwand aus den Originalquellen gehoben wurden. Vor den Augen des Lesers entsteht ein sehr lebendiges und wechselvolles Bild einer Stadt, die sich den ökonomischen und politischen Anforderungen schnell und pragmatisch anzupassen wusste. Konstantinopel hatte bereits einen langen Abstieg hinter sich, als es 1453 in die Hände der Türken fiel. Ein Abstieg (und zeitweiser Wiederaufstieg), der sich in der Geschichte seiner zahlreichen Häfen ziemlich genau widerspiegelt.

Bewertung vom 21.07.2022
Mittagspause auf dem Mekong
Haug, Kristin;Töpper, Verena

Mittagspause auf dem Mekong


ausgezeichnet

28 Auswanderer erzählen ihre Geschichte. Es sind Geschichten aus aller Welt, aus den Technologiehochburgen genauso wie aus Entwicklungsländern. Eines ist allen Geschichten gemeinsam: Sie enden (bisher) im Glück, wobei man hier auch erkennen kann, dass Glück in gewissem Rahmen planbar ist. Die Protagonisten zeichnet ein hohes Maß an Flexibilität und Durchhaltevermögen aus und sie lassen sich wirklich auf Land und Leute ein. Sehr viele haben eine Beziehung mit Einheimischen, was die Integration erheblich erleichtert. Auf der anderen Seite gibt es keinen, der sagen würde, er wird selbst nach Jahrzehnten im Land und mit perfekter Sprachbeherrschung wie ein Einheimischer akzeptiert. Eine interessante Beobachtung, die offenbar ein tief verwurzeltes menschliches Bedürfnis nach Abgrenzung widerspiegelt, das hierzulande zunehmend gewaltsam unterdrückt wird. Wer auswandert, das ist eine der Lehren, bleibt ein Fremder. Aber das Fremdsein muss nicht in Unglück oder Einsamkeit enden. Die 28 Lebensläufe zeigen, wie man es richtig macht. Echte Katastrophen gibt es keine, auch wenn es bei weitem nicht immer glatt läuft. Die meisten Protagonisten sind jung, ungebunden (wenigstens zu Beginn des Abenteuers) und bereit, Risiken einzugehen. Ihre Jugend erlaubt es, gewisse Fehlschläge einzustecken und wieder von vorne anzufangen, was den Älteren in der Regel verwehrt ist. Noch etwas ist allen gemeinsam: Sie arbeiten. In allen vorgestellten Ländern wird man sofort ausgewiesen, wenn man keiner geregelten Arbeit nachgeht. Insgesamt kehren nur zwei Auswanderer wieder zurück, allerdings nicht als Gescheiterte, sondern um in Deutschland mit ihren Partnern etwas Neues anzufangen.

Das Buch ist kein Auswandererberater, es ist keine Länderkunde und auch kein Sensationsbericht. Die eingeschobenen Kapitel mit Interviewpassagen von Experten sind allgemein gehalten und dienen eher dazu, die Gedanken zu sortieren und falsche Vorstellungen zu korrigieren. Sehr erfreulich ist, dass auch die Auswirkungen von Corona schon berücksichtigt sind, denn die überwiegende Mehrheit ist direkt oder indirekt im Tourismus beschäftigt. Zum Glück waren fast alle schon wirtschaftlich etabliert und nutzen nun die „freie Zeit“, um zu renovieren, zu modernisieren oder neue Geschäftsfelder über das Internet zu erschließen. Flexibilität ist ein absolutes Muss und die besitzen wirklich alle erfolgreichen Auswanderer.

Die Texte sind sachlich, knapp und auf den Punkt formuliert. Keine Sozialromantik, keine Sensationspresse, sondern einfach so, wie die Dinge sind. Erfrischend unkompliziert, mit positiver Grundeinstellung und so bunt wie das Leben. Das Glück kann in der Ferne liegen, aber man muss auch die passende Persönlichkeit dafür mitbringen.

Bewertung vom 20.07.2022
Beth Chattos Kiesgarten
Chatto, Beth

Beth Chattos Kiesgarten


ausgezeichnet

Um es gleich voranzustellen: Nein, in Deutschland kann niemand Beth Chattos Kiesgarten unverändert nachbauen. Selbst in England ginge das nur in der extrem trockenen und wintermilden Region in Essex, deren Boden besonders kies- und schotterhaltig ist. In ihrem Buch beschreibt Beth Chatto sehr anschaulich, dass viele der Pflanzen, die bei ihr gedeihen, hochgradig spezialisiert sind und auch sie immer wieder Überraschungen erlebt, positive wie negative. Ein Kiesgarten ist, wie jeder Garten, ein ewiges Experimentierfeld.

Und so geht es Beth Chatto auch nicht darum, eine Kopieranleitung zu liefern, sondern sie vermittelt die Herangehensweise, wie sie ihren Kiesgarten angelegt hat. Wie selektiert man für den Standort (möglicherweise) geeignete Pflanzenarten? Wie gestaltet man Beete und pflegt sie über die Jahre hinweg? Nach der kurzen, allgemeinen Einleitung geht es dann tatsächlich in den Garten, beginnend im Frühjahr und in weiteren Kapiteln dann durch die übrigen Jahreszeiten. Sie beschreibt die jeweils dominierenden Aspekte, Leit- und Begleitstauden, sowie deren Vorzüge und Nachteile. Der Leser benötigt ein gutes botanisches Grundwissen, denn meistens verwendet Beth Chatto nur die botanischen Namen, was z. T. auch daran liegt, dass sie häufig Wildformen oder deren Selektionen einsetzt, die oft keinen heimischen Namen besitzen. Auch in Deutschland sind Namen ausländischer Pflanzen meistens gärtnerisches Marketing und ändern sich mit den Moden. Ein systematischer botanischer Name bleibt immer eindeutig und gleich (oder wenn er sich ändert, kann man in Synonymlisten nachschauen).

Wer also über die nötigen botanischen Kenntnisse verfügt, der geht mit Beth Chatto durch ihre Beete und vor dem inneren Auge entstehen und vergehen mit jeder Jahreszeit neue Bilder. Sie hat einen ausgesprochen anschaulichen Stil, Pflanzenensembles und ihre Entwicklung zu beschreiben und integriert meist auch eigenes Erfahrungswissen über geeignete Standorte, Kombinationen oder Pflegemaßnahmen. Bei aller natürlicher „Wildheit“, die ihr Garten ausstrahlt, bleibt er dennoch ein Kunstprodukt, das der Pflege bedarf. Zahlreiche Abbildungen illustrieren den Text und rauben dem Leser gerne mal den Atem. Die Beete sind mit so unglaublich viel Geschmack und Fachkenntnis zusammengestellt, dass zumindest ich echte Minderwertigkeitskomplexe bekommen habe. Insbesondere Chattos untrügliches Gespür für perfekte Höhenstaffelung und die Verwendung abwechslungsreicher Blattstrukturen und -farben ist einfach nur bewundernswert. Ihre Schöpfung sieht das ganze Jahr über prachtvoll und doch sehr natürlich aus. Sie malt mit Pflanzen, wie ein Maler mit dem Pinsel.

„Beth Chattos Kiesgarten“ ist sehr inspirierend, steckt voller Erfahrungswissen und ungewöhnlicher Ideen, es ist eine Fundgrube selten verwendeter Pflanzenarten, die zwar hier nicht immer gedeihen, aber im Lauf der Zeit bekommt man ein Gespür dafür, wie Chatto ihre Pflanzen selektiert und kombiniert. Das Prinzip lässt sich nämlich auf jeden nur denkbaren Standort übertragen. Außer natürlich auf die traurigen Kieswüsten, die man heutzutage gerne als Vorgärten bezeichnet. Die haben mit Kiesgärten nichts zu tun. Aber wirklich gar nichts.

Bewertung vom 18.07.2022
Handbuch für Softwareentwickler
Krypczyk, Veikko;Bochkor, Elena

Handbuch für Softwareentwickler


sehr gut

Zur professionellen Softwareentwicklung gehört weit mehr als nur die Beherrschung einer Programmiersprache, das unterschätzen viele, die ihr Hobby zum Beruf machen wollen. Nicht umsonst spricht man von Software Engineering. Der Begriff lehnt sich an die Ingenieurwissenschaften an und bringt zum Ausdruck, dass die Disziplinen professionell und qualifiziert durchgeführt werden. Hierzu zählen die Planung, Anforderungsanalyse und -definition, Systemmodellierung und -implementierung, Qualitätssicherung, Projekt- und Konfigurationsmanagement - um hier nur einige zu nennen.

Das Autorenduo Veikko Krypczyk und Elena Bochkor behandelt auf fast 900 Seiten nicht nur die allgemeinen Aspekte des Softwarelebenszyklus, sondern widmen sich auch übergreifenden Technologien und Methoden, wie z. B. Webtechnologien, Apps für mobile Systeme und plattform- und geräteübergreifenden Technologien. Zusätzlich greifen sie auch aktuelle Trends wie Cloud-Computing oder Internet of Things auf.

Die Autoren setzen sich mit vielfältigen Themen auseinander, ohne sich in Details zu verlieren. So lehren sie z. B. keine konkrete Programmiersprache, sondern geben stattdessen einen guten Überblick über die heute verwendeten. Das Buch eignet sich daher vor allem für Einsteiger, die sich allgemein mit dem Thema oder mit einzelnen Aspekten vertraut machen wollen. Zum Vertiefen eines Themas geben die Autoren zwar Literaturempfehlungen, die aber aus meiner Sicht sehr dürftig ausfallen und keine fachliche Bewertung enthalten. Ein Einführungsbuch kann natürlich nicht alle Themenbereiche berücksichtigen, aber mir fehlen definitiv die wichtigen Kapitel Risikomanagement und Soft Skills. Defizite auf diesem Gebiet haben schon so manches Projekt scheitern lassen.

Der "Handbuch für Softwareentwickler" ist ein hilfreiches Einsteigerwerk für Studium und Berufsleben. Inhaltlich aktuell und verständlich werden bewährte Methoden und Techniken vermittelt. Bedauerlich ist, dass für das eBook als Bundle auf der Verlagswebseite ein Aufpreis fällig ist (nachträglich ist es nur zum Vollpreis erhältlich).

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.07.2022
Kunst - Kopie - Technik
Maier, Daniela C.

Kunst - Kopie - Technik


ausgezeichnet

Kopien sind fast so alt wie die Kunst. Der Wunsch, ein Meisterwerk selber zu besitzen, war schon in der Antike vorhanden und so gibt es heute deutlich mehr römische Kopien griechischer Bronzen als Originale. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde mit der Galvanoplastik ein Verfahren entwickelt, das die (semi)industrielle Vervielfältigung auch sehr kleinteiliger Vorlagen erlaubte und die Kunstkopie revolutioniert.

Daniela Maier untersucht in ihrer Dissertation die technische Geschichte der Galvanoplastik, insbesondere, welche Rolle die Kunstgewerbemuseen bei der Entwicklung spielten, welchen Stellenwert Reproduktionen in der Museumsdidaktik besaßen, wie sie den Sammlungsauftrag ergänzten und sich in der Folge neue Geschäftsfelder erschlossen.
Die öffentliche Rezeption der Galvanoplastik hat sich deutlich gewandelt. Während Mitte des 19. Jahrhundert die Kopie fast gleichberechtigt neben dem Original stand, ja sogar nicht einmal als solche gekennzeichnet war, gelten Kopien heute als minderwertig und „unecht“. Zu Beginn der Nutzung der neuen Technologie, so berichtet Maier, wurden Kopien nicht gemarkt, erst mit der breiten gewerblichen Vermarktung und dem Auftauchen von Kopien in Fälschungsabsicht gab es einen Kennzeichnungszwang. Sehr überraschend war für mich die Beobachtung, dass die Initiative galvanoplastischer Reproduktionen tatsächlich von den Kunstgewerbemuseen ausging, die einen ausgeprägt vermittelnden und gewerbefördernden Auftrag hatten. Die möglichst enzyklopädische Darstellung von Stilentwicklungen und Formvarianten war insbesondere bei Gold- und Silberschmiedearbeiten für viele Museen zu kostspielig und der Zugang über die Galvanokopien ein willkommener Ausweg. Die Belieferung (groß)bürgerlicher Privathaushalte kam später hinzu und wurde dann geschäftsmäßig eher (aber nicht ausschließlich) von Gewerbebetrieben ausgeführt, die mit den Museen bezüglich der Gutapercha-Gussformen kooperierten. Ebenfalls untersucht die Autorin, wie die Fälschungsdiskussion um 1900 die Wahrnehmung der (Galvano)kopie veränderte und wie sie später, als die Technologie bereits massentauglich war, auch zur nationalen Identitätsstiftung instrumentalisiert wurde.

Daniela Maier schreibt ausgesprochen anschaulich, ohne akademische Nebelkerzen zu werfen und kleidet einfache Sachverhalte nicht in kompliziertes Vokabular. Ihre Argumentation ist stets klar und nachvollziehbar, sehr strukturiert und mit wenigen Redundanzen. Sie hat einige Bildreferenzen in Archiven und historischen Gewerbekatalogen recherchiert und illustriert ihre Ausführungen entsprechend anschaulich. Das Thema ist überraschend komplex, vielschichtig und bietet nicht nur wissenschaftlich interessante Schlussfolgerungen, sondern auch dem Sammler wertvolle Hinweise zu Objektkategorien, Verarbeitungstechniken und Gewerbetreibenden.

Bewertung vom 15.07.2022
Die Geheimnisse von Pinewood Hill
Turkowski, Einar

Die Geheimnisse von Pinewood Hill


ausgezeichnet

„Pinewood Hill“ ist ein fiktiver Ort, in dem Einar Turkowskis Geschichte spielt. Der Erzähler schildert Erlebnisse aus seiner Kindheit in den Achtzigerjahren, als er mit seiner Familie nach Pinewood Hills zieht und langsam die geheimnisvolle Umgebung erkundet. Auf großen Grundstücken stehen verwunschene Häuser. Fast scheint es, als habe sich die Natur ihr Territorium bereits zurückerobert, denn Menschen sieht man nirgendwo. Aber selbst die unbelebten Dinge führen ein Eigenleben. Über allem schwebt eine unheimliche, surreale Atmosphäre, in der Phantasiewesen mit der realen Welt verschmelzen. Aber was dem Jungen zunächst Angst macht, verwandelt er mit der moralischen Unterstützung seines Bruders in eine kreative Kraft, die ihn letztlich dazu befähigt, seinen beruflichen Weg als Filmregisseur zu finden.

Einar Turkowskis Zeichnungen sind absolut unverwechselbar. Kunsthistorisch gehören sie in die Kategorie des magischen Realismus, mit hyperdetaillierten Bleistiftzeichnungen, in die subtil surreale Elemente eingewoben sind. Das können Fabelwesen sein, gutmütige oder auch gruselige, oft unter Verwendung von verfremdeten Größenverhältnissen, oder es ist die Natur selber, die den Leser zu beobachten scheint. Manchmal haben mich die Szenen und Texte an Simon Stålenhag erinnert, ohne die Sci-Fi-Elemente, aber mit dieser Atmosphäre unterschwelliger Bedrohung. Auch wenn es auf den ersten Blick wie eine Kindergeschichte wirkt (und als solche kann man sie durchaus lesen), enthält sie doch viele Referenzen, die Kindern noch nicht zugänglich sind, sodass die Story auch für Erwachsene interessant bleibt. „Pinewood Hill“ ist z. B. eine Wortschöpfung aus den Pinewood Studios in England und Hollywood Hills in L.A., beides Filmhochburgen, wie spätestens das letzte Bild beweist: Da sieht man eine aus mehreren ikonischen Versatzstücken zusammengesetzte Ansicht von Los Angeles bei Nacht. Ein weiteres Beispiel ist der Pegasus, der scheinbar einen dunklen Tunneleingang bewacht und den ängstlichen Jungen daran hindert, hindurchzugehen. Natürlich ist Pegasus das mythische Dichterross, das ihm eigentlich den Weg zeigt und nicht versperrt, aber es gibt auch noch weitere Referenzen aus Filmklassikern zu entdecken. Ich bin sicher, dass Turkowski hier Autobiografisches verarbeitet, denn seine surrealen Phantasiewelten, die für ihn so typisch sind, haben ihm als Kind ganz sicher auch Angst eingeflößt. Genau darum geht es in diesem Buch: Die Angst zuzulassen und sie zu einer positiven Energie umzuwandeln. Das geht aber nicht ohne Unterstützung und persönliche Anerkennung, die hier durch den Bruder geleistet wird.

Turkowskis Zeichnungen ziehen den Blick magnetisch auf sich und zwingen den Leser geradezu, auf die Suche danach zu gehen, was im Bild das Unterbewusstsein irritiert. Irgendwo lauert da etwas. Ganz sicher.

Bewertung vom 14.07.2022
Welcher Vogel singt denn da?
Bergmann, Hans-Heiner;Westphal, Uwe

Welcher Vogel singt denn da?


ausgezeichnet

Viele Vogelarten hört man eher, als dass man sie sieht. Beim morgendlichen Vogelkonzert im Frühjahr frage ich mich immer wieder, wo diese zahllosen Stimmen herkommen und wer dahinter steckt. Ornithologen können angeblich anhand des Gesangs Arten bestimmen, aber wenn ich bisher mit selbsterstellten Tonaufnahmen in den einschlägigen Foren um Rat bat, waren die Ergebnisse meistens widersprüchlich und manchmal auch komplett falsch, wie ich dann Tage später feststellte, wenn ich den Sänger auf einer Baumspitze mit dem Fernglas entdeckte. So einfach ist die Sache also nicht!

„Welcher Vogel singt denn da?“ ist sehr didaktisch aufgebaut. Zunächst erfährt man, warum Vögel eigentlich singen. Das klingt zuerst einmal nach Kindergarten, aber es steckt ein tieferer Sinn dahinter: Je nach Situation und Zweck singt ein und dieselbe Vogelart unterschiedlich. Es gibt z. B. einen Unterschied zwischen Ruf und Gesang und auch bei den Rufen verwenden manche Arten unterschiedliche Typen. Das wird dann in späteren Kapiteln noch einmal im Detail besprochen. Ebenfalls sehr ausführlich wird das Thema Sonogramme erklärt, wertvolle Bestimmungshilfen, die sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch ziehen. Wie man sie liest und interpretiert, wird an mehreren Dutzend Beispielen trainiert, die durch einem QR-Code bzw. eine Tondatei auf der Verlagswebseite auch mit Tonaufnahmen verknüpft sind. Testaufgaben üben das Lesen von Sonogrammen und bringen dem Schüler Schritt für Schritt immer komplexere Gesänge und Rufe bei. Es werden aber auch andere Techniken beschrieben, wie man das Memorieren, Hören und Analysieren von Vogelstimmen erlernen kann. Was für den einen leicht ist, kann für den anderen unüberwindlich schwer sein.

Nachdem man die Grundlagen verinnerlicht hat, darf man sich an den Bestimmungsschlüssel wagen. In einem dichotomen (Ja/Nein-Antworten) Schlüssel werden die Gesänge (nicht die Rufe!) der 22 häufigsten Brutvögel in Deutschland vorgestellt. Es gibt insgesamt über 300 Arten, es besteht also immer eine gewisse Unsicherheit, aber von diesen 22 sind jeweils auch vergleichende Tondateien hinterlegt. Der nachfolgende „Schlüssel“ enthält die Rufe UND Gesänge von 54 häufigen (und gut unterscheidbaren) Vogelarten. Im eigentlichen Sinn ist es kein Schlüssel, weil er nur tabellarische Listen enthält, die anhand einfacher Gesangsmerkmale sortiert sind. Ich verstehe das als ein erweitertes und immer differenziertes Gehörtraining, denn in den darauffolgenden Kapiteln wird noch erklärt, wie man seinen persönlichen Bestimmungsschlüssel auf dieser Basis weiter verfeinert und neue Arten aufnimmt. Hier helfen externe Webseiten, mit teilweise erstaunlich guten und vielfältigen Vergleichsaufnahmen weiter.

Problematisch sind aus meiner Sicht weniger die Gesänge als die (meist kurzen) Rufe, die wegen der Ähnlichkeit deutlich leichter zu verwechseln sind. Letztlich ist es wie überall: Man muss üben. Ich habe tatsächlich mittlerweile einige Stimmen zu unterscheiden gelernt, aber mir ist auch bewusst, dass dabei immer noch Unsicherheiten bestehen. Es gibt absolut eindeutige Kandidaten, aber es gibt viel mehr Vogelarten, deren Gesang so sehr variiert oder sich ähnelt, dass absolute Aussagen ohne aufwendige tontechnische Analyse schwer bis unmöglich sind. Das alleine zu wissen ist auch schon viel wert und relativiert so manche vehemente Feststellung selbsternannter Experten in den einschlägigen Foren.

Bewertung vom 14.07.2022
The Office - Das ultimative Boxset - Die komplette Serie
Gervais,Ricky/Freeman,Martin/Davis,Lucy/+

The Office - Das ultimative Boxset - Die komplette Serie


ausgezeichnet

David Brent ist der Boss. Er leitet die Zweigstelle Slough einer Papierfabrik und er hat die Sache im Griff. Seine Mitarbeiter vergöttern ihn und seinen lockeren Führungsstil, gleichzeitig hat er das Business immer knallhart unter Kontrolle. Eine Idealbesetzung für den Job.

Soweit die Selbstwahrnehmung.

Seine Kollegen (außer Gareth natürlich) würden ihn dagegen so beschreiben: David ist fast schon pathologisch selbstverliebt, lüstern, übergriffig, ohne soziales Einfühlungsvermögen, eitel und aufgeblasen. Er ist stinkfaul, inkompetent und seine Witze bekommen auf der Fremdschämskala die Höchstpunktzahl. Aber keiner sagt ihm die Wahrheit und das ist auch gut so, denn David ist sehr schnell beleidigt und kann Kritik auch in homöopathischen Dosen partout nicht vertragen.

Kommt ein bisschen bekannt vor? Richtig. Stromberg war eine freie Adaptation dieser Serie, nur dass er Versicherungsschäden bearbeitete und kein Papier verkaufte. Ja, und Stromberg hatte auch ein paar liebenswerte Seiten. Die hat David Brent definitiv nicht. Manchmal sitzt man mit angehaltenem Atem vor dem Bildschirm und fragt sich, wie er die Situation jetzt noch schlimmer machen kann und er schafft es mühelos. Stromberg war Schenkelklopfer-Comedy, The Office ist dagegen bitterer - wenn auch nicht weniger komisch - und es tut deutlich mehr weh. Die Distanz zwischen Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung erreicht hier unerreichte Dimensionen und das Tragische ist, dass selbst Davids Vorgesetzte es nicht merken. Man kennt solche Chefs in Ansätzen aus Erzählungen oder auch eigener Anschauung, aber im Gegensatz zu Stromberg (der ja durchaus unterhaltsam ist), möchte man David lieber nicht begegnen. Er ist die personifizierte Vollkatastrophe, allerdings ohne Konsequenzen für ihn. Daneben gibt es ein Panoptikum weiterer psychisch auffälliger Charaktere, sei es der speichelleckende Gareth, oder Dawn, die ihren Kollegen Tim zwar ständig anmacht, ihn aber kühl abblitzen lässt, sobald ihr Verlobter erscheint und natürlich Tim, der trotz Frust über sein verkorkstes berufliches und privates Leben den dringend nötigen Absprung nicht schafft. Die Geschichte balanciert geschickt zwischen Komödie und Tragödie, wobei die Tragödie tendenziell überwiegt.
Die deutsche Synchronfassung ist sehr gut gelungen und das Bonusmaterial absolut sehenswert! Ich glaube, die Dreharbeiten mit Rick Gervais waren anstrengend, um es freundlich zu formulieren...

Politische Korrektheit darf man bei The Office nicht erwarten, aber das macht die Story in der heutigen, auf Stromlinie gebrachten „Comedy“ sehr erfrischend. Man kann sein Publikum auch ohne politischen Holzhammer zu sozialverträglichem Verhalten erziehen, aber Satire wird ja in unserem Land leider schon länger nicht mehr verstanden. The Office ist Satire in Reinform.

Bewertung vom 13.07.2022
Praxisleitfaden Projektmanagement
Lang, Conny;Schöps, Marita

Praxisleitfaden Projektmanagement


ausgezeichnet

Warum scheitern viele Projekte? Ursachen sind vor allem unklare Zieldefinitionen, laufende Änderungswünsche, aber auch Wissensdefizite beim Projektmanagement. Viele Projekte werden von ungeplanten Ereignissen aus dem Plan geworfen und in Zeitnot wird dann oft falsch entschieden.

Die Autorinnen Conny Lang und Marita Schöps, beide Projektprofis mit mehr als 15 Jahren Berufserfahrung, zeigen mit ihrem "Praxisleitfaden Projektmanagement" wie erfolgreiches Projektmanagement aussieht und geben mit vielen Vorlagen und Checklisten konkrete Hilfestellungen bei der Durchführung von Projekten.

In den kommenden Jahren geht man davon aus, dass bis 2030 weltweit 25 Millionen zusätzliche Projektleiter benötigt werden. Dieser hohe Bedarf wird häufig dazu führen, dass viele Mitarbeiter von heute auf morgen zum Projektleiter "befördert" werden, ohne eine entsprechende Ausbildung auf diesem Gebiet zu haben. Schnelle Hilfe ist gefragt und hier bietet sich dieser Praxisleitfaden an. Kurz und bündig werden alle wesentlichen Themen des Projektmanagements entlang der einzelnen Projektphasen angesprochen: von der Projektdefinition, -organisation und -vorbereitung, über den Projektstart (Kick-off) und der Projektplanung bis hin zur Durchführung und dem Projektabschluss. Natürlich ersetzt dieses Buch keine vollständige Schulung und schon gar keine eigene Praxiserfahrung, aber mit den vielen Vorlagen und Checklisten (im Buch komplett abgedruckt; können auf der Verlagswebseite heruntergeladen werden) bieten die Autorinnen einen Schatz an hilfreichen und in der Praxis bewährten Instrumenten. Der Projektleiter kann sich dann nach Belieben heraussuchen, was ihm für das jeweilige Projekt hilfreich erscheint.

Der starke Praxisbezug ist sowohl den einzelnen Kapiteln als auch dem Werkzeugkasten anzumerken. Die für den Einstieg unnötigen Informationen werden ausgespart und es wird sofort erläutert, was in der Praxis funktioniert und was nicht. Im letzten Kapitel liefern die Autorinnen eine hilfreiche Zusammenfassung mit den wichtigsten Punkten, die ein Projektleiter beachten sollte.

Das Buch ist hervorragend strukturiert, übersichtlich, didaktisch mit vielen Orientierungsgrafiken und Merkboxen gut aufgebaut und gerade für den Neueinsteiger sehr verständlich geschrieben. Mit dem Leitfaden erhält der Leser eine praxisbezogene und vor allem kompakte Einführung in das Thema Projektmanagement. Insbesondere der umfangreiche Werkzeugkasten mit aussagekräftigen und teils komplexen Vorlagen, Checklisten und Beispielen ist in der Projektmanagementliteratur einmalig und zahlt sich aus.

Bewertung vom 11.07.2022
Die besten Aktien der Welt - 3A
Seilern, Peter

Die besten Aktien der Welt - 3A


ausgezeichnet

In Zeiten der Niedrigzinspolitik der Notenbanken, steigender Inflation und unsicheren Rahmenbedingungen (Corona, Russland/Ukraine-Krieg, Energiekrise, China/Taiwan) ist es für den Anleger kaum mehr möglich, Geldanlagen mit einer positiven Rendite zu finden – erst recht nach Abzug von Steuern, Kosten und der Inflationsrate. Statt Wertzuwachs rückt zunehmend die Vermögenssicherung in den Fokus. Zur Diversifizierung zählt aber immer noch eine breite Geldanlage in Aktien, zumal der Aktienmarkt bisher (!) noch jede Krise gemeistert hat. Ohne viel Aufwand lohnt es sich für den Anleger in breit gestreute Aktien-ETF investieren (z.B. auf den Referenzindex MSCI World), die aber dann die Rendite des Marktes nicht wesentlich übertreffen werden. Wer mehr möchte, kann sich einen aktiv gemanagten Fonds suchen und darf hoffen, dass dieser auch eine versprochene Mehrrendite bringt. Alternativ kann man selbst auf die Suche nach Einzelaktien gehen, in der Hoffnung, keine teuren Fehlgriffe zu machen.

Peter Seilern ist ein seit Jahrzehnten erfolgreicher Fondsmanager, der heute ein Vermögen von rd. 2,5 Milliarden Dollar verwaltet. Die Rendite seines Fonds ist beeindruckend und Kursrückschläge wie bei der Finanzkrise 2008/09 oder der Corona-Pandemie wurden schnell wieder kompensiert. In seinem Buch "Die besten Aktien der Welt" lüftet Seilern sein Erfolgsgeheimnis und erläutert seine "Quality Growth"-Strategie, um hochwertige Wachstumsunternehmen auch in Krisenzeiten zu finden. Anhand von zehn Goldenen Regeln beschreibt Seilern sein Auswahlverfahren, um mit Aktien langfristig gute Renditen zu erzielen. Seine Strategie ist für den Anleger gut nachvollziehbar, allerdings nur, wenn auch das entsprechende Wissen rund um Bilanzen und Kennzahlen vorhanden ist. Eine weitere Voraussetzung ist, dass der Anleger auch an aktuelle (und korrekte) Daten herankommt, was häufig nicht ohne Kosten geht. Nach Aussage von Seilern bleiben nach seinen Kriterien von rd. 50.000 Aktien, die in den OECD-Staaten gelistet sind, nur wenige Unternehmen übrig - nämlich 5 bis 6 Dutzend (einige davon nennt er in seinem Buch). Das gleicht dann schon einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Hat man in ein Unternehmen investiert, muss man die Einhaltung der Kriterien regelmäßig überprüfen. Der Investor muss alle Anzeichen, die eine Verschlechterung der Wettbewerbssituation bedeuten können, genau beobachten und ggf. auch den Mut haben zu verkaufen, im ungünstigen Fall auch mit Verlust.
Dem Leser wird schnell klar, dass die Quality Growth-Strategie arbeits- und kostenintensiv ist und der Seilern-Fonds die vielleicht bessere und bequemere Variante darstellt.

Seilern räumt auch mit vielen Mythen auf. So werden Anleger häufig dafür kritisiert, dass ihr Portfolio nicht ausreichend diversifiziert ist. Aber der eigentliche Wert der Diversifikation liegt im Schutz des Anlegers vor seiner eigenen Unwissenheit. Je weniger er weiß, desto diversifizierter sollte er aufgestellt sein (vgl. ETF-Anlagen). Das Portfolio eines Quality Growth-Investors wird sich aber auf nur 20 bis 30 Aktien konzentrieren und ganze Branchen meiden, weil erst nach ausgiebigen Analysen in die Einzelunternehmen investiert wird.
Des weiteren sollte man Dividenden grundsätzlich mit Misstrauen begegnen (und da unterscheidet sich der Ansatz deutlich vom Value-Investing), da dieses ausgeschüttete Geld nicht mehr vom Unternehmen reinvestiert werden kann, um damit neue Erträge zu generieren. Anleger sind oft von der oberflächlichen Anziehungskraft hoher Dividendenerträge geblendet, die das Unternehmen "ausbluten" lassen.

Mir hat Seilerns Buch gezeigt, dass es sich mit der richtigen Strategie auch in Krisenzeiten lohnen kann, in wenige Einzelaktien zu investieren, um in der Aufschwungphase die Verluste wieder schnell zu kompensieren. Allerdings ist die Suche nach den Gewinneraktien sehr arbeitsintensiv und bedarf - gerade in unruhigen Zeiten wie heute - konstanter Wachsamkeit.