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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 09.01.2008
Mittsommermord / Kurt Wallander Bd.8
Mankell, Henning

Mittsommermord / Kurt Wallander Bd.8


ausgezeichnet

Wie gut kennt man einen Menschen? Dass die Frage bei einem Kommissar wie Wallander an der falschen Stelle ist, er überraschend feststellen muß, daß er Kollege Svedberg nie gekannt hat, überrascht nicht. Wallander steht inmitten seines eigenen Sturms. Mit ihm hat Henning Mankell einen Helden erschaffen, der alles zum Scheitern notwendige mitbringen, wäre er nicht auf der anderen Seite ein so brillanter Ermittler. Der Fund dreier Leichen, die die Mittsommernacht gefeiert haben, die Darstellung ihrer verwesten Körper führt zu Anfang des Thrillers jenen Touch Suspense ein, den man von dem Genre erwartet. Im Verlauf der Handlung jedoch widmet sich Mankell immer mehr dem privaten Aspekt: Sei es der Eifersucht Wallanders, sei es den Geheimnissen seiner Mitarbeiter. Ans Tageslicht gezerrt, sehen sie alle plötzlich hilflos aus. Niemand ist sich dessen mehr bewußt als Wallander. Vor allem, als er dem Mädchen beizustehen versucht, das für ihn eine Art Brücke zum Selbstmord Svedbergs darstellt. Auch sie wird ermordet und das Entsetzen, wie wenig Wallander in einer gewaltbereiten Gesellschaft auszurichten vermag, lähmt diesen Kommissar nicht zum ersten Mal. Er rudert mehr durch seine Fälle und hofft, nicht zu ertrinken. In Mittsommermord sehen wir ihm dabei fasziniert zu. Es ist nicht das Spektakuläre, was diesen Thriller ausmacht. Vielmehr das unaufhaltsame Gefühl, dass Schritt für Schritt immer weniger von einem selbst übrig bleibt. Außer der Erinnerung. Und dem Wissen, dass da noch andere Tage kommen werden.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.01.2008
Im Namen der Toten
Rankin, Ian

Im Namen der Toten


ausgezeichnet

Es ist schon eine Kunst, so viele Romane um einen Serienkommissar zu bauen und dabei immer wieder neue Themenfelder zu besetzen, in denen er sich zu bewähren hat. Die Nähe zur Wiederholung geht Ian Rankin in seinem neuen Thriller geschickt aus dem Weg, indem er die Wirklichkeit eines G8-Treffens in der Nähe von Edingburgh in den Mittelpunkt rückt. Sie ist dabei weder Bühnenbild für eine Whodunit-Geschichte, noch Gegenstand Political Correctness: sie richtet Chaos an. Selbst George Bush tritt kurz auf. Auch bei Rankin sind die Guten gut und die Bösen böse, auch Im Namen der Toten legt sich Wirtschaftskriminalität den Deckmantel des Allgemeinwohls zu: Arbeitsplätze schaffen, sichern, Störenfriede ausschalten, Demonstranten fernhalten. Beim einem G8-Gipfel ist das schwer. Es kommen einfach zu viele demonstrieren. So versinkt Edingburgh schon nach kürzester Zeit im Chaos, tauchen die bewährten Schuldzuweisungen auf, müssen sich John Rebus und Siobhan Clark einem Serienkiller widmen, der es auf Sexualstraftäter abgesehen hat, außerdem wird ihnen untersagt, die Umstände des Todes eines Mitglied des G8-Trosses nach einem Sturz von der Burgmauer zu klären. Genau die richtige Herausforderung für einen John Rebus. Eine feine Ironie liegt der Geschichte zu Grunde: Es gibt nicht wenige in diesem Rechtsstaat, die wegsehen würden, wenn ausgerechnet ein Triebtäter ermordet wird, es gibt genug in einer Regierung, die wegsehen, wenn es dem großen Ganzen dient und einen von ihnen trifft. In diesem Umfeld zeigen Rebus und Siobhan all ihre Stärken, sie ecken an, sie gehorchen nicht, sie machen sich mit Menschen gemein, denen sie sonst fernbleiben und sie erfahren in Gestalt von Siobahns Eltern, wie leicht Gewalt einen verstummen läßt. Rankin besticht dabei durch seine Dialoge, denen Selbstironie, wie bitterer Witz auszeichnen und schärft den Blick für all die Straßen in Edinburgh, die nicht Princess Street heißen. Viel zu selten trauen sich Autoren so nah an die Wirklichkeit heran. Nachdem man Rankins Roman gelesen hat, kann man nur sagen: Geht doch.
Polar aus Aachen

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.01.2008
Östlich der Berge
Guterson, David

Östlich der Berge


sehr gut

Dass ist doch der Traum von uns allen: Wenn nichts mehr geht, ziehen wir uns zurück und sterben einsam in Würde. Abseits aller lebenserhaltender Maschine. Vor der Geißel Krebs ist niemand sicher. Sie packt einen überraschend im Genick und macht einem klar, wie kurz das doch war, was wir leben nannten. Und so begeben wir uns gerne mit Ben Givens auf eine Roadmovie-Story eigener Art, bewundern ihn für seinen Mut und leiden mit ihm an seiner Verzweiflung. David Guterson hat jedoch kein Abschiedsbuch, keinen weisen Roman der letzten Tage geschrieben. In seiner Geschichte besteht immer noch die Möglichkeit anderen Menschen zu begegnen, die Natur nicht nur im Vorbeirauschen zu erfahren, seine Zeit zu nutzen, egal wie beschränkt sie auch ist. Wenn wir Guterson Buch zuschlagen, haben auch wir mit unserer Zeit etwas anzufangen gewusst.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 09.01.2008
America
Boyle, T. C.

America


sehr gut

Der Roman hat bei seinem Erscheinen in Amerika für Aufsehen gesorgt. Der schonungslose Blick, mit dem Boyle das Fristen der illegalen Einwanderer am Existenzminimum bedacht hat, stieß auf wenig Gegenliebe. Der Autor bedient sich dabei des melodramatischen Stilmittels. Nicht nur der Schluß, als ausgerechnet die ausgereckte Hand eines Aussätzigen den Einheimischen aus dem reißenden Strom ziehen will, ist überdeutlich, auch zwischendurch tauchen immerzu Wendungen auf, die eines bezwecken: Den Leser bei der Geschichte zu halten, das Ansinnen des Autors zu vermitteln. Boyle ist ein rasanter Erzähler. Fast im Sinne Chandlers, der behauptete, wenn ihm nichts mehr einfalle, schicke er einfach einen mit einer Knarre, rein, zügelt Boyle seine Fantasie nie, er unterwirft sie, er schmückt sie detailbesessen aus. Dafür lieben seine Fans ihn, und es verlangt einem Respekt ab, dass er sein Schreiben immer wieder auch den Schattenseiten seines Landes widmet. Wer sich nur entspannen und unterhalten will, ist in den amüsanteren Romanen von ihm sicher besser aufgehoben. In America trifft man auf einen nachdenklichen Boyle, der ein düsteres Bild abseits der teuren und bewachten Wohnanlagen zeichnet, in denen wir uns, nachdem Schengener Abkommen in Europa auch so wohl fühlen. Wollen wir nur nicht hoffen, dass es zu regnen anfängt, und wir vielleicht eine Hand benötigen, die uns vor uns selbst rettet.
Polar aus Aachen

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.01.2008
Buddenbrooks. Sonderausgabe
Mann, Thomas

Buddenbrooks. Sonderausgabe


ausgezeichnet

Der Deutschen liebstes Kind. Wenn von Literatur geschwärmt, Lieblingsbücher genannt werden sollen, taucht auf vielen Listen Thomas Manns Buddenbrooks auf. Oftmals ist das Erfolgskonzept dieses Familienromans kopiert worden, ohne jedoch jenen durchschlagenden Erfolg zu verzeichnen, den Thomas Mann mit dem Erscheinen zu Anfang des 19. Jahrhunderts erzielte. Nicht nur zur rechten Zeit, am richtigen Ort angesiedelt auch von jener leichten Hand erzählt, die seinen späteren Romanen abhanden kommt. Der Verfall einer Familie, wie er es nennt, spiegelt die deutsche Seele von Standesbewusstsein, Aufbegehren und bürgerlicher Sicht auf die Welt, die Politik, die Gesellschaft, die Liebe. Wie leichtfertig wird das alles verspielt, wenn man nicht auf sich achtet. Dass dies nicht mal der Familie Buddenbrook gelingt, macht sie für uns so sympathisch. Die erste Generation baut auf, die zweite sichert, die dritte verspielt. Auch die Anfänge des 19. Jahrhunderts litten unter den globalen, wirtschaftlichen Veränderungen ihrer Zeit. Ein Fakt, dem sich jede Generation immer wieder stellen muß. so dass die Geschichte der Buddenbrooks hochaktuell bleibt, zumal Thomas Mann sie in Gesichter kleidet, die facettenreich und unterhaltsam sind. Ob die zwanziger, die fünfziger, die achtziger Jahre oder gleich das neue Jahrtausend, die Leser finden sich in einer der Personen wieder und gleiten an ihrer Hand durch den Roman. Wenn man sich fragt, was ein Buch braucht, um den Tod seines Autors zu überleben, darf man es hier ruhig immer wieder nachlesen.
Polar aus Aachen

7 von 11 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.01.2008
Die linkshändige Frau
Handke, Peter

Die linkshändige Frau


ausgezeichnet

Zu behaupten, bei der Erzählung Die linkshändige Frau von Peter Handke handele es sich um typische Betroffenheitsliteratur der späten Siebziger Jahre, oder um ein Spiegelbild der Literatur der Bundesrepublik, die nach dem Ansturm der 68er sich gerne um sich selbst drehte, wird der Erzählung nicht gerecht, zumal Handke in ihr all das aufbietet, was ihn ausmacht: Einen wunderbaren Umgang mit der Sprache, so wie die Fokussierung auf ein Thema, das vielseitig beleuchtet wird. Auch geht der Erzählung jener philosophische Tiefgang ab, dem Handke in seinen späten Roman verfällt. Vielleicht läßt sich später einmal an dieser Erzählung die Veränderung in Handkes Werk feststellen, die ihn fort vom Alltag hin zur Suche nach der Poesie des unverstellten Blicks führte. Hier jedoch zeichnet er einmal mehr einen Menschen bei der Loslösung dessen auf, das ihn zuvor auszumachen schien. Er erzählt vom Scheitern der Beziehung, einem Thema, das auch in den Jahrzehnten danach in der Literatur immer wieder in den Mittelpunkt gerät. Selten so ausgereift wie hier.
Polar aus Aachen

6 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.01.2008
Im Auftrag der Väter / Kommissarin Louise Boni Bd.3
Bottini, Oliver

Im Auftrag der Väter / Kommissarin Louise Boni Bd.3


weniger gut

Oliver Bottini schafft einen faszinierenden Einstieg in seinen neuen Kriminalroman Im Auftrag der Väter. Plötzlich steht ein Mann im Garten einer Familie, stellt im Verlauf ein Ultimatum und mordet. Doch die Spannung gerät in eine Sackgasse, es muß zu viel Hintergrundwissen, recherchiert und erzählt werden. so dass die Spannung trotz der Abriegelung des Heimatortes auf der Stelle tritt. Unbestritten ist, dass die Aufarbeitung der politischen Geschehnisse auf dem Balkan einen erschütternden Hintergrund der Vertreibung und Mitschuld bieten, daß die Wurzeln des Hasses bis in die Anfänge des vorherigen Jahrhunderts reichen, doch wirkt es beim Leser so, dass das Anliegen, die Verhangenheit zu beschwören, die Gegenwart erschlägt. Louise Bonis Alkoholvergangenheit mag einen Erstleser von Bottini faszinieren, doch nach der Lektüre des dritten Romans erscheint sie einem mehr als Beiwerk, tritt die Darstellung der Boni auf der Stelle. Auch wenn die Gefährdung diesmal von außen durch eine Bekannte sich nähert, die einen Rückfall erleidet. Zu häufig wird der Thrill lediglich behauptet: Au gleicht einer Festung wird ständig eingeschoben, so als traue der Autor seinem Aufbau selbst nicht. Vielleicht paßt die große Weltbühne nicht ständig in das beschauliche Leben der Freiburger Kriminalkommissarin, wenn es soviel Aufwand betrieben werden muß, die beiden zusammen zu führen.
Polar aus Aachen

4 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.01.2008
Stalins Geist / Arkadi Renko Bd.6
Smith, Martin Cruz

Stalins Geist / Arkadi Renko Bd.6


ausgezeichnet

Der kalte Krieg ist vorbei, doch die alten Seilschaften funktionieren noch, während sich die neuen bereits den eigenen Verbrechen widmen. Stalins Geist taucht in der Moskauer U-Bahn auf und mit ihm eine verklärte Vergangenheit, die Arkadi Renko vertreiben soll. Er macht dies nicht ganz freiwillig, wird mit seiner Lebensgefährtin Eva erpresst, der von Staatsantwalt Surin die Aufenthaltsgenehmigung entzogen werden kann, wenn er sich nicht fügt. Ausgerechnet diese Eva ist die Geliebte Isakows, seines Widersachers, der als Kriegsverbrecher mitten im Wahlkamf steht und als Senator unangreifbar würde. Die Spuren dieses Thrillers ragen weit in den zweiten Weltkrieg wie in die russische Gegenwart hinein. Während Tschernobyl Eva verseucht hat, erscheint Rußland unter Putin so marode, dass das Land sich vornehmlich der Ränke um Einfluß und Absicherung der Macht widmet. Martin Cruz Smith hat in seinem Arkadi Renko einen Ermittler geschaffen, der uns mit in die Verstrickungen des neuen Russlandes führt. Ein faszinierender Thriller über private Mordaufträge an die Polizei, Tschetschenien, über Massengräber und Massaker, über zwei Männer und eine Frau, bei dem der Autor einmal mehr unter Beweis stellt, wie spannend die Gegenwart erzählt werden kann, so daß man mehr über Russland erfahren will und bestens unterhalten wird.
Polar aus Aachen

1 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.01.2008
Schau nicht zurück / Charlie Resnick Bd.2
Harvey, John

Schau nicht zurück / Charlie Resnick Bd.2


ausgezeichnet

John Elder ist nicht zu beneiden. Da sucht er die Abgeschiedenheit in Cornwall auf, um Abstand zu seinem vorherigen Leben zu finden, doch Familie und Beruf zerren ihn immer wieder in ihre Mitte zurück. Diesmal ist es nicht ein ungelöster Fall, der ihm keine Ruhe läßt und in den seine Tochter Katherine auf schreckliche Weise verwickelt wird, diesmal wird eine befreundete Polizistin ermordet und verfängt sich seine Tochter auf Grund der Spätfolge der Ereignisse in Schrei nicht so laut im Drogensumpf. John Harvey schafft es einen spannenden Thriller zu konstruieren, der über die persönliche Verbindung seines Helden John Elder den Leser an die Geschichte bindet. Wieder führt er uns in die Abgründe männlicher Sexualität, die sich jedoch nicht in Serienmorden, vielmehr in den Auswüchsen männlicher Macht in Beziehungen äußert. Es sind gleich mehrere Fälle, die scheinbar nur locker miteinander verbunden sind, deren Wurzeln bis in die Abgründe krimineller polizeilicher Machtausübung reichen. Elder muß sich helfen lassen und hilft. Die Ausgewogenheit zwischen Scharfsinn und Ohnmacht schafft ein faszinierendes Portrait. Wenn Elder gegen Ende des Romans angeboten bekommt, längerfristig in einer neu geschaffenen Task Force mitzuarbeiten, die sich unaufgeklärten Verbrechen widmet, schlägt er dies ebenso aus, wie er vor dem Angebot zu einem gemeinsamen Konzertbesuch mit einer Kollegin zurückschreckt, bei der sich womöglich mehr als nur eine Nacht ohne Verbindlichkeiten ergeben könnte. Dieser Mann bleibt auf der Flucht vor dem, was ihn ausmacht. John Elder wird hoffentlich wiederkommen und dank seines Autors als Bereicherung empfunden werden.
Polar aus Aachen

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.12.2007
1974 / Yorkshire-Ripper-Saga Bd.1
Peace, David

1974 / Yorkshire-Ripper-Saga Bd.1


ausgezeichnet

Wir Pulp Fiction den Kriminalfilm umkrempelte, indem er sich des Genre bediente, um mit Versatzstücken aus alten Filmen einen rasanten neuen Ansatz zu bieten, legt uns David Peace mit seiner vierbändigen Chronologie einer Mordserie, deren erster Band 1974 ist, einen berauschend anderen Ansatz vor, das Verbrechen und seine Verfolger zu betrachten. Wie bei Shakespeare gibt es kein gut und böse, alle haben sie Dreck am stecken, reicht ihnen das Wasser bis zum Hals. Nur die einen stehen etwas tiefer in der dunklen Seite der Nacht als die anderen. Peace kann Dialoge schreiben, kann Sprache so einsetzen, das sie vor allem einem dienen: Dem Tempo, der Spannung. Er läßt alles Überflüssige weg und oft erfährt man aus dem, was nicht gesagt, nicht erwähnt wird, die entscheidende Information. Peace spielt mit seinen Lesern, schreit ihnen ins Gesicht, bist du von der ganzen Gewalt, dem Blut, dem Häßlichen angewidert, dann schau Fernsehen, da schlagen sie sich in die Fresse und verspritzen kein Blut. Sicher kein Buch für zarte Seele. Aber aufregend wie selten eines zuvor.
Polar aus Aachen

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.