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solveig

Bewertungen

Insgesamt 472 Bewertungen
Bewertung vom 14.02.2016
Totenprediger / Eve Clay Bd.1
Roberts, Mark

Totenprediger / Eve Clay Bd.1


sehr gut

Schön schaurig

Psychopat oder Erleuchteter? Adrien White, seit sieben Jahren in der Klinik für Psychiatrie Ashworth in Liverpool eingesperrt, prophezeiht das Nahen der „Endzeit“ . Sie soll mit dem Erscheinen der „roten Wolke, die aus dem Bauch der Stadt aufsteigen“ wird, beginnen und zahlreiche Opfer fordern. Seine düsteren Vorhersagen teilt er der Polizistin Detective Chief Inspector Eve Clay mit, die den „Totenprediger“ einst wegen mehrfachen Mordes hinter Gitter gebracht hat. Gleichzeitig ermittelt Clay in einem brutalen Mordfall, dem eine ganze Familie zum Opfer gefallen ist. Während sie und ihr Team unter Hochdruck arbeiten, weil sie weitere Todesfälle befürchten, steigen dunkle Ahnungen in ihr auf; vage Erinnerungen an ihre Kindheit im Waisenhaus und seltsame Vorkommnisse und ihre auf mysteriöse Weise verschwundene Personenakte lassen sie nicht mehr los. Haben die Ritualmorde etwa eine Verbindung zu Eves ungeklärter Herkunft?
Eindrucksvoll beschreibt der Autor die schaurigen Ereignisse und schafft es spielend, beim Leser ein Gänsehautfeeling zu erzeugen. Roberts erzählt lebendig und packend.
So temporeich wie DCI Clays Ermittlungen ist auch Roberts´ Schreibweise: in rasantem Tempo führt uns der Autor mit seiner Protagonistin Eve durch Liverpools Vorstädte und Straßen. Mit den Kapitelüberschriften hat der Leser stets die unbarmherzig weiterlaufende Uhrzeit vor Augen und fiebert regelrecht mit Eves Team der Aufklärung entgegen.
Ein Thriller mit Gruseleffekt, für Leser mit guten Nerven!

Bewertung vom 14.02.2016
Auentod / Kommissar Voss Bd.2
Leo, Maxim

Auentod / Kommissar Voss Bd.2


sehr gut

Deutsch-polnische Seele


„Erst ist man blind, weil man die Wahrheit nicht kennt, und kennt man die Wahrheit, wünscht man sich, wieder blind zu sein.“
Diese bittere Erfahrung muss Kommissar Voss machen, als er mit der polnischen Pflegerin seiner Mutter und gleichzeitig Geliebten Maja einer Einladung zur Hochzeit in ihrer Heimat folgt. Doch in Cedynia, nicht weit von Voss´ Heimatort Sternekorp entfernt, wird seine Freundin von Unbekannten entführt. Unabhängig von der polnischen Kripo macht sich auch Voss auf die Suche nach Maja und wird mit erstaunlichen Informationen über sie konfrontiert, die ihn sehr bestürzen. Ihn beschleicht zunehmend das mulmige Gefühl, es mit einer völlig Fremden zu tun zu haben. Da muss er seinen Kurzurlaub abbrechen, um einen dringenden Fall im heimatlichen Bad Freienwalde aufzuklären: Der tödliche Sturz eines Informatikers vonm Baugerüst seines Hauses gibt Rätsel auf. So findet sich Voss in zwei Fälle involviert, die rein beruflichen Ermittlungen in der Mark Brandenburg halten ihn in Atem und zusätzlich seine inoffizielle Suche nach Maja. Doch da gibt es unschöne private Verwicklungen …
In ruhigem, stetigem Ton erzählt Maxim Leo von den verzwickten Ermittlungen und der eigenwilligen Arbeitsweise von Kommissar Daniel Voss. Mit diesem introvertierten Kommissar, einem Naturliebhaber und Freizeit-Ornithologen, seinen Zweifeln und Ängsten hat er eine authentische, glaubwürdige Figur geschaffen, deren Gedankenwelt und allmähliche charakterliche Wandlung der Leser gut nachvollziehen kann. Voss´ polnischer Gewährsmann beschreibt ihn gar als eine polnische Seele: „Eine sehnsüchtige, ein bisschen zerknitterte, leicht negative, furchtbar nostalgische und im Zweifelsfall äußerst kämpferische Seele.“
Packende Verfolgungsszenen wechseln mit eindrucksvollen Naturschilderungen im deutsch-polnischen Oder-Grenzgebiet. Flüssig geschrieben, dabei spannend und nicht ohne Humor räumt der Roman auch mit alten Vorurteilen auf.
„Auentod“, Kommissar Voss´ zweiter Fall, bietet mehr als dreihundert Seiten spannende Unterhaltung. Und der Leser, am Schluss des Buches angekommen, hofft inständig auf neue Folgen mit diesem sympathischen Ermittler!

Bewertung vom 14.02.2016
Das Mädchen mit dem Fingerhut
Köhlmeier, Michael

Das Mädchen mit dem Fingerhut


sehr gut

Berührend


Der Eindruck von Verlorenheit wird bereits im Buchcover zum Ausdruck gebracht: ein Mädchen mit großen traurigen Augen sieht den Leser eindringlich an. Hinter dem Kind: nichts, das etwas über sie oder ihren Aufenthalt aussagt, nur neutrale weiße Gardinen vor einem kleinen Fenster.
Ebenso „weiß“ wie dieser Hintergrund ist die Vergangenheit des sechsjährigen Mädchens, das allein durch eine große europäische Stadt irrt, ohne die Landessprache zu sprechen oder selbst verstanden zu werden.
Wo kommt es her, wer ist es eigentlich? Sie weiß es selbst nicht, sondern tut, was ihr der „Onkel“ aufträgt: an einem Marktstand um Essen betteln. Doch eines Tages wartet „Yiza“, wie sich Kind nennt, vergeblich darauf, dass er sie wieder abholt, und läuft ziel- und planlos durch die Winterkälte der fremden Stadt, bis sie aufgegriffen und in einem Kinderheim untergebracht wird. Hier trifft sie auf den vierzehnjährigen Schamhan, der sich in ihrer Sprache mit Yiza verständigen kann und ihr einen Fingerhut schenkt, ein kleiner Schatz und Trost für sie. Unter Schamhans Führung fliehen die beiden gemeinsam mit dem etwas jüngeren Arian aus dem Kinderheim …
In einer schlichten, einfachen Sprache und Satzbau , die dem kindlichen Gemüt der kleinen Yiza entsprechen, erzählt der Autor von dieser kleinen Gruppe elternloser Kinder am Rande der Gesellschaft, die sich zusammengetan hat, um wenigstens ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen: Essen, Schlafen, Trinken und sich gegenseitig ein bisschen Wärme zu geben.
Sehr sachlich beschreibt er den täglichen Überlebenskampf der Kinder, wie sie versuchen, sich möglichst unauffällig durchzuschlagen und dennoch aufgegriffen werden.
Gerade die Einfachheit der Sätze und knappen Formulierungen lässt ihre Bedeutung intensiver wirken und ruft ein starkes Mitgefühl des Lesers hervor.
Die nüchterne Feststellung „Sie ist ein Liebling. Ich bin kein Liebling. Und du bist auch kein Liebling“ des im Straßenleben erfahrenen Schamhan enthält viel Bitterkeit. Ja, noch ist Yiza in dem „niedlichen“ Alter, in dem ihr trauriger Anblick die Herzen der Erwachsenen anrührt.
Was aber geschieht, wenn sie älter ist, so wie Arian und Schamhan? Was wird aus ihr?
Das Ende ist offen; es bleibt dem Leser überlassen, darüber nachzugrübeln.

Bewertung vom 09.02.2016
Im Himmel gibt es Coca-Cola
Nichol, Christina

Im Himmel gibt es Coca-Cola


ausgezeichnet

Wein oder Coca Cola


„Mein Name ist Slims Achmed Makaschwili, und ich komme aus der Kleinstadt Batumi am Schwarzen Meer.“
Mit diesen Worten beginnt der Protagonist des Romans ein langes Schreiben an Hillary Clinton, in dem er ausführlich über Kultur und Lebensbedingungen seiner Heimat Georgien berichtet. Der junge Anwalt für Seerecht schreibt diesen sehr persönlichen Brief als Beitrag zu einem Wettbewerb und um „ein bisschen Hoffnung in unseren Herzen lebendig zu erhalten“. Zwar ist Slims stolz auf seine georgischen Wurzeln und Traditionen, aber nicht blind für die unhaltbaren Verhältnisse in seinem Land: es herrscht hohe Arbeitslosigkeit, seine Landsleute sind gewöhnt an Kriminalität und Korruption. An vielen lebenswichtigen Dingen mangelt es, aber die Menschen sind findig und improvisationsfreudig, bleiben optimistisch und feiern gern mit ihrem heimischen Wein. Slims erhofft sich mit Hilfe seines Briefes an Clinton die Teilnahme an einer Unternehmenstagung in Amerika, wo er glaubt, den Schlüssel zu beruflichem und wirtschaftlichem Erfolg finden zu können; vor allem aber mehr über westliche Rechtsprechung zu erfahren. Und tatsächlich gehört er zu den Auserwählten, die im Land der Coca Cola Erfahrungen sammeln dürfen. Ob hier seine Träume und Erwartungen erfüllt werden?
In leisen Tönen, aber dennoch sehr bildhaft und ausdrucksstark, schildert die Autorin ein Jahr aus Makaschwilis Leben, der die Schicht der gut ausgebildeten jungen Leute seines Landes repräsentiert. Nichols Debutroman steckt voller Witz und (Galgen-) Humor, wobei aber stets leicht melancholische Untertöne mitschwingen. Dies ist kein „Action“-geladener Roman. Mit echter Wärme und Empathie gibt die Autorin Einblick in Alltagsleben und Probleme, Atmosphäre und Patriotismus eines kleinen, in den Weltnachrichten kaum beachteten Landes, das normalerweise kaum wahrgenommen wird.
Slims Sicht der Dinge wirkt nicht anklagend, sondern fatalistisch. Das immer wiederkehrende Thema des häufigen Stromausfalls und das Warten auf Strom wird zum Symbol für das Warten auf (positive) Veränderungen in Politik und Wirtschaft. Mit „Waiting for the Electricity“, wie der Originaltitel des Romans lautet, erhielt Christina Nichol in den USA die Auszeichnung „Rona Jaffe Foundation Writer´s Award“ - zu Recht.

Bewertung vom 09.02.2016
Die Zelle
Winner, Jonas

Die Zelle


sehr gut

Die Zelle


„Ich habe mich von dieser Nacht nie mehr erholt….die Ereignisse haben sich in mein Leben gefressen und lassen sich nicht mehr herauschneiden.“
Zwanzig Jahre nach seinen schrecklichen Erlebnissen in Berlin zieht Sammy Grossman dieses Fazit und fasst einen folgenschweren Entschluss.
In einer bedrückenden Rückschau erzählt der Protagonist des Romans von dem Albtraum, den er als elfjähriger Junge in seinen Sommerferien erlebt hat. Durch Zufall entdeckt er in dem Bunker, der zu dem Haus seiner Eltern in Berlin gehört, ein minderjähriges Mädchen, entführt, eingesperrt und misshandelt. Sammy hat seinen geliebten Vater in Verdacht, dem Mädchen „Yoki“ das angetan zu haben. Er beschließt, das Mädchen aus seiner Zelle zu befreien, doch es ist von einem Tag auf den anderen verschwunden. Weder der Mutter noch dem älteren Bruder kann der Junge sich anvertrauen und schweigt daher zunächst. Doch dann lernt er die gleichaltrige Marina kennen. Sie schenkt seinen Erzählungen Glauben, mit fatalen Folgen…
Eine düstere, unheilvolle Stimmung zieht sich durch Sammys Geschichte. Geräusche, Gerüche, mehr oder weniger klar wahrgenommene Bilder: all das verschmilzt zu einem diffusen Gefühl der Bedrohung und des Unbehagens. Sehr geschickt inszeniert der Autor Jonas Winner eine quälende Atmosphäre der Unsicherheit und Verwirrung. Er versetzt den Leser in die intensive Gedanken- und Gefühlswelt des Kindes, in der sich Realitär und Phantasie vermischen. Im weiteren Verlauf des Berichtes hat der Leser immer mehr Mühe, zwischen Realem und Irrealem zu unterscheiden. Das Zusammenspiel von (subjektivem) Erleben des Kindes und den tatsächlichen Vorgängen um Sammy herum lässt den Leser fast bis zum Schluss im Ungewissen und erzeugt eine gewisse Dramatik.
Winners packender, dennoch lockerer Schreibstil hält den Leser in Spannung und Erwartung - bis zum (logischen) Ende des Romans. Ein mitreißender Psychothriller für Leser mit guten Nerven.

Bewertung vom 09.02.2016
Zeichen der Zeit
Scheuring, Christoph

Zeichen der Zeit


ausgezeichnet

Eindrucksvolle Zeitreise

Es ist eine spannende Reise in die Vergangenheit, die Christoph Scheuring hier unternimmt, so bildhaft geschrieben, dass man das Gefühl hat, selbst mitten in eine vergangene Epoche versetzt worden zu sein.
Scheuring entführt den Leser in das Königreich Sachsen zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und lässt ihn drei Jungen jener Zeit ein Stück ihres Lebensweges begleiten. Jakob, aufgewachsen in bitterer Armut, trifft auf Adam, der in einem Waisenhaus groß geworden ist. Gemeinsam schlagen sie sich nach Dresden durch, in die große Stadt, in der beide eine aussichtsreichere Zukunft zu finden hoffen. Es wird eine lange und gefahrvolle Re

ise, bei der sie mit wohlwollenden aber auch bösartigen Menschen in Berührung kommen und jeder für sich viele Probleme bewältigen müssen.
In Dresden kreuzen sich Adams Wege mit denen Ferdinand Adolphs, der das Glück hat, von verständnisvollen und aufgeschlossenen Lehrern betreut zu werden. Ferdinand Adolph Lange, eine historische Persönlichkeit, sieht die „Zeichen der Zeit“ im technischen Fortschritt; einheitliche Maßeinheiten und präzise arbeitende Uhren sind sein Lebensziel. Alle drei Jungen sind hochbegabt, jeder auf seine eigene Weise, und alle drei versuchen hartnäckig ihren größten Wunsch zu verwirklichen: Wissen zu erlangen, um Fortschritt zu erreichen.
Mit seiner eindrucksvollen Sprache und dem klaren Schreibstil versteht es der Autor wunderbar, dem Leser die Atmosphäre des deutschen Vormärz´ zu vermitteln; akribisch recherchierte Fakten führen dem Leser in deutlichen Bildern eine Welt der feudalen Herrschaftssysteme und Korruption, Missernten und sozialen Verelendung, Massenfluchten in die Städte und Auswanderungen vor Augen. So erlebt er aus der Sicht der Protagonisten ebenfalls die „Zeichen der Zeit“ - Unruhen der hungernden Bevölkerung und Reformbestrebungen.
Ein sensibler Roman, der uns ein Stück Zeitgeschichte - verwoben mit dem Schicksal dreier Knaben aus dem Volk - nahe bringt.

Bewertung vom 02.02.2016
Das Schlossgespinst / Anwalt Fickel Bd.3
Hess, Hans-Henner

Das Schlossgespinst / Anwalt Fickel Bd.3


sehr gut

Erfrischend frech


„Ich deichsel das schon.“ Ganz optimistisch und voll Selbstvertrauen gibt sich Fickel, Strafverteidiger und „Terminhure“ am Meininger Amtsgericht, als er den Fall der alten Elfriede Langguth annimmt. Die Rote Elfriede, wie sie als Bürgermeisterin zu DDR-Zeiten genannt wurde, hat den Schlossverwalter und Vorsitzenden des Historischen Vereins auf Herausgabe ihres Eigentums - eines Original-Notenblattes von Brahms - verklagt. Allerdings kommt die überzeugte Kommunistin nicht mehr in dessen Besitz: sie stirbt. An Altersschwäche? Oder steckt vielleicht mehr dahinter?
Um das herauszufinden greift der Fickel auf recht unbürokratische Methoden zurück.
Auch Kriminalrat Recknagel ermittelt, wobei ihm sein Bauchgefühl die Richtung weist. In Kooperation mit der Oberstaatsanwältin Gundelwein, die pikanterweise Fickels Ex-Ehefrau ist, begibt er sich auf Spurensuche. Allerhand dunkle Geheimnisse kommen dabei ans Tageslicht.
In salopper Sprache und flottem Stil hat der Autor Hans-Henner Hess eine quicklebendige Geschichte geschrieben: einen Kriminalfall, der sich in der biederen thüringischen Stadt Meiningen abspielt. Die Aufklärung des mysteriösen Todesfalles führt den Leser bis in die gut vernetzten, höchsten Gesellschaftskreise und bietet dem Autor zahlreiche Möglichkeiten, seinen Text mit satirischen Kommentaren und Details zu Kleinstadtleben und (speziell ostdeutscher) politischer Vergangenheit und Gegenwart im allgemeinen und besonderen zu spicken.
Im Vordergrund stehen dabei die witzigen, teilweise boshaften Schilderungen der Mitwirkenden und die frechen Seitenhiebe auf (insbesondere) den Kreis der Juristen.
Eine Besonderheit in diesem Kriminalroman sind die Fußnoten. Diese erklären nicht nur Fachbegriffe oder DDR-Fachjargon, sondern geben dem Autor gleichzeitig Gelegenheit zu eigenwilligen, ironischen Interpretationen.
Voll kleiner Nadelstiche ist „Das Schlossgespinst“ eine Lektüre für Leute, die Satire mögen, ein Roman, der nicht nur oberflächlich unterhält.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.01.2016
Strangers On A Bridge
Donovan, James B.

Strangers On A Bridge


ausgezeichnet

Klug, spannend, lehrreich


„Allen amerikanischen Anwälten gewidmet, die hilflosen, armen und verachteten Menschen Beistand gewähren“ - mit diesen Worten beginnt der Autor sein Buch. Selbst von Beruf Jurist, weiß er sehr genau, worauf er sich einlässt, als er in der Zeit des Kalten Krieges die Verteidigung des sowjetischen Spions Abel übernimmt: er sieht sich mit vielen Anfeindungen konfrontiert; denn Abel gilt als Staatsfeind. Dennoch setzt er sich energisch für seinen Klienten ein und vertritt dessen Interessen sowohl in dem heiklen Prozess als auch im anschließenden Berufungsverfahren. Auch später zeigt sich sein diplomatisches Geschick, mit dem er den Austausch Abels gegen den amerikanischen Agenten Francis Gary Powers auf der Glienecker Brücke in Berlin organisiert.
Mehr als die Hälfte des Buches beschäftigt sich mit den Vorbereitungen und dem Prozess der Vereinigten Staaten von Amerika gegen Rudolf Ivanovich Abel alias Mark (alias Martin Collins, alias Emil R. Goldfus). Sehr detailliert und sachlich beschreibt Donovan anhand von Tagebucheintragungen, die er während dieser Zeit notiert hat, den Verlauf des Gerichtsverfahrens. Dem Angeklagten droht die Todesstrafe; Donovan und seine assistierenden Anwälte wollen sie mit aller Kraft verhindern. Während des Aufsehen erregenden Prozesses, der im Jahre 1957 beginnt, und der Zeit danach bis zum Austausch der Agenten fünf Jahre später lernt der New Yorker Rechtsanwalt seinen Mandanten und dessen Persönlichkeit gut kennen. Die Jahre, die dem Prozess folgen, bis zum Austausch sind etwas weniger ausführlich dargestellt.
Donovans Buch ist sicher nicht ganz einfach zu lesen, aber es versetzt den Leser in einen sehr spannenden, interessanten Abschnitt Zeitgeschichte mit vielen Einblicken sowohl in die Tages- und Rechtspolitik der 50er und 60er Jahre, als auch (ein wenig) in sein Privatleben. Sachlich, schnörkellos, doch mit einem speziellen trockenen Humor, schildert der Anwalt das vorsichtige Taktieren von Sowjetunion und USA im Umgang miteinander und das Misstrauen, das zwischen den beiden Staaten herrscht.
Die Beschreibung seines Berlin-Aufenthaltes und seiner Abstecher nach Ostberlin geben die Atmosphäre des Kalten Krieges wirkungsvoll wieder.
Auch wenn inzwischen die Berliner Mauer gefallen ist: Diese Neuausgabe seines bereits 1964 in den USA erschienenen Buchs ist auch heute wert, gelesen zu werden. Spionage ist ein Thema, das keineswegs der Vergangenheit angehört …

Bewertung vom 29.12.2015
Voll krass deutsch
Maier-Bode, Martin

Voll krass deutsch


sehr gut

Kritik mit Augenzwinkern


Eine nationale deutsche Identität - was ist darunter zu verstehen? Gibt es das überhaupt: „typisch deutsch“?
Auf der Suche nach Antworten bereist der Autor, bekannt als Kabarettist in Berlin und Düsseldorf, sämtliche Regionen Deutschlands, um nach deutschen Eigenschaften zu fahnden und die Wurzeln zu ergründen.
Material findet er reichlich: In neun „Lektionen“ behandelt er alltägliche, aber auch ganz aktuelle Themen (wie etwa die Angst vor Überfremdung) und zieht am Ende jeder Lektion ein kurzes Fazit.
Mit viel Witz nimmt Maier-Bode (typisch?) deutsche Eigenarten und Schwächen aufs Korn, klärt die regionalen Unterschiede und entdeckt Verbindendes. Dabei bildet sein fundiertes geschichtliches Wissen einen soliden Hintergrund zu den einzelnen Stippvisiten.
Bissig rechnet er mit vielen Missständen ab, kommentiert geistreich, natürlich auch überspitzt - bleibt dabei aber stets fair. Kurz, eine kritische Bestandsaufnahme mit einem Augenzwinkern!
Dieser lockere Integrationskurs entlässt uns schließlich mit der Gewissensfrage: Was empfinde ich selbst bei meinem „coming-out“ als Deutscher - im Zeitalter der Globalisierung?

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