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Juti
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Bewertungen

Insgesamt 631 Bewertungen
Bewertung vom 11.03.2021
Dorfroman
Peters, Christoph

Dorfroman


sehr gut

Name ist Programm

Selten gab es ein Buch, in dem der Inhalt so gut zum Titel passte. Im Buch heißt das Dorf Hülkendonck. In der realen Welt Hönnepel. Der Ort ist nicht deswegen berühmt geworden, weil Fußballgott Ailton am Ende seiner Karriere als Spieler des KFC Uerdingen beim SV Hönnepel-Niedermörmter antreten musste, worüber selbst Arndt Zeigler berichtete, sondern weil auf den Wiesen der Kirche der Schnelle Brüter gebaut wurde. Sonst wäre das Buch wohl auch nicht so interessant.

Und das wäre auch meine schärfste Kritik: Braucht es wirklich über 100 Seiten, um zu beschreiben, welcher Bauer welche Kinder, was im Fernsehen, wie die Spieler von Mönchengladbach heißen und welche Tiere in den Sendungen von Grzimek vorkamen? Als dann noch der Vater des Ich-Erzählers auf Platt mit seinen Kollegen schwätzte, hat es wirklich gereicht.

Eigentlich habe ich dieses Buch gelesen, weil ich wissen wollte, wie es im Protestcamp zuging. Und ab Seite 100 erfahre ich auch in jedem zweiten Kapitel von Juliane, der Freundin des Ich-Erzählers. Sie lebt im Camp in einer anderen Welt als der Dorfschüler, der in seiner Freizeit auf Schmetterlingsjagd aus wissenschaftlichen Zwecken ging, was natürlich spätestens alle 10 Seiten mal erwähnt werden muss. Der Vater des Schülers ist im Kirchenvorstand, der vom Bischof aufgelöst wurde, weil die Mehrheit das Kirchenland nicht zum Bau des Brüters verkaufen wollte. Ich will nicht schreiben, dass es gänzlich uninteressant war, wie das Dorf durch den Bau gespalten wurde, ich fand es aber zu ausführlich. Außerdem bauen neben dem Elternhaus des Protagonisten noch die Stauders, um zu zeigen, wie schwer die Integration von Zugezogenen im Dorf verläuft.

Was mich wundert, dass Denis Scheck, der Siegfried Lenz als Langweiler der deutschen Nachkriegszeit bezeichnet, dieses Buch empfiehlt. Auch Peters beschreibt zu viel. Da ich jedoch ebenfalls am Niederrhein aufgewachsen bin – wenn auch nicht in Hönnepel – und vieles wieder entdecken konnte, insbesondere den katholischen Konservatismus, will ich dem Buch trotz seiner Mängel 4 Sterne geben.

Ich habe auch überlegt, ob es nicht besser wäre die Geschichte in zwei Strängen zu erzählen. Einer von der Geburt des Ich-Erzählers bis zum Bau des Brüters und einer rückwärts von heute bis zum Bau. Vermutlich hätte mir das besser gefallen.

Bewertung vom 09.03.2021
Die Hoffnung
Vraa, Mich

Die Hoffnung


ausgezeichnet

Drei Geschichten zum Dreieckshandel

Wir haben im Geschichtsunterricht gelernt, dass Schwarze aus Afrika als Sklaven in die Zuckerplantagen Amerikas gebracht wurden. Der dort produzierte Zucker wurde nach Europa exportiert. Wie konkret das aussah, schildert der Däne Vraa in seinem Buch.

Der erste Handlungsstrang spielt 1787 als der dänische Kapitän Frederiksen mit seinem Schiff „Hoffnung“ diese Seefahrt macht, bei der es auf dem Atlantik aber zur Meuterei kommt.

Die zweite Erzählung spielt 1802, als besagter Kapitän nun mit seiner 15jährigen Tochter einen Kurztrip innerhalb Dänemarks machen will. Zu seinem Entsetzen stellt der schon durch eine Fahrt reich gewordene Frederiksen fest, dass der Sklavenhandel trotz Verbot des dänischen Königs immer noch stattfindet. Es läuft also auch auf dieser Reise nicht alles nach Plan.

Die dritte Geschichte spielt 1824, als ein dänischer Professor mit einem Bericht über die Sklavenarbeit im dänischen Westindien protestieren will, aber dann von einem Plantagenbesitzer eine Sklavin geschenkt bekommt.

Das alles wird nicht chronologisch erzählt, sondern in Form von Briefen und Tagebücher ineinander verschachtelt. Ich dachte erst, es würde nicht gut gehen und die Zeit der Briefromane sei vorbei. Aber das Buch ist reich an überraschenden Wendungen, die ich nicht spoilern wollte und so nicht über den Schiffarzt geschrieben habe, der 1787 seine Frau verliert.

Einziger Mangel ist, dass es im Buch keine Karte vom dänischen Westindien gibt. Heute sind es die amerikanischen Jungferninseln und der Leser tut gut, dies mal zu googeln. Dennoch 5 Sterne.

Bewertung vom 08.03.2021
Gedanken
Pascal, Blaise

Gedanken


schlecht

Wundersam

Ich habe diese Buch eigentlich nur gelesen, weil ich hörte, dass Pascal geschrieben habe, dass der Mensch nicht ruhig in einem Zimmer sitzen kann. Als ich das Zitat fand, habe ich es beruhigt zu Seite gelegt. Ein Aphorismensammler wird manch schönen Satz finden. Wie allerdings dieses Buch auf die Zeit-Liste der 100 wichtigsten Bücher kommt, ist mir ein Rätsel. 1 Stern

Bewertung vom 08.03.2021
Fallensteller
Stanisic, Sasa

Fallensteller


weniger gut

Was für einen Roman nicht reichte

Nachdem ich von Nobelpreisträgerin Munro Kurzgeschichten gelesen hatte, freute ich mich auf Stanisic, den ich als Autor von „Herkunft“ schätze. Und in der Tat blitzte sein Können auf, wenn er etwa in der ersten Erzählung auf die Doppeldeutigkeit des Satzes „Ich würde die Kiste anmalen“ hinweist.

Die Qualität seiner Erzählungen schwankt. Dass die letzte die beste ist, will ich bestreiten. Völlig missraten fand ich, die Reise des Herr Horvath, der auf einer Brasilien-Reise auf einmal von Rumänien träumt. Zweifellos sind die Gedanken frei, doch bei mir kam es so an, dass der Autor mit der Figur einen Roman schreiben wollte, wofür es aber inhaltlich nicht gereicht hat.
Ein ähnlicher Gedanke kam mir bei den drei Geschichten mit Mo. Ich fühlte mich an „Tschick“ erinnert, aber auf deutlich niedrigerem Niveau.
Die längste Geschichte des Fallenstellers hat mir dagegen besser gefallen, obwohl ich seinen Roman „Vor dem Fest“ noch nicht kenne. Wieder sind es die kleine Nebensächlichkeiten, wie der gestorbene Radfahrer am Mont Ventoux, die herausragen.

Mir fehlte aber außer beim Fallensteller die Handlung. Im Billardcafé gewinnt ein Russe das letzte Spiel, nachdem er vorher alle verloren hat. Kommt doch bekannt vor. Und im Gegensatz zu Munro fehlt stets eine Schlusspointe. 2 Sterne

Bewertung vom 05.03.2021
Aus Liebe zu Deutschland
Abdel-Samad, Hamed

Aus Liebe zu Deutschland


weniger gut

Wissenschaftliches Gequassel

Sein Buch über Integration habe ich gern gelesen, mit diesem Buch hatte ich gewisse Probleme.

Das liegt auch daran, dass er mit Winkler offenbar den falschen Historiker zu diesem Buch interviewt hat. Winkler habe ich von meiner Liste der zu lesenden Bücher gestrichen.

Dass der Dreißigjährige Krieg die deutsche Urkatasstrophe sei (38), behauptet nicht nur er. Doch glaube ich, dass man in der Geschichte nicht so weit zurückgehen darf, weil die ältere Geschichte in der Bevölkerung gar nicht präsent ist.

Viel gravierender aber ist, dass Geschichte immer die Geschichte der Sieger ist. Für Deutschland bedeutet das bis ins 20. Jahrhundert die Geschichte Preußens. Und Preußen steht für die Niederschlagung der Demokratiebewegung in Deutschland. 1848 wird das im Buch angedeutet, doch die Mainzer Republik 1792 wird vergessen. Die „Befreiungskriege“ gegen Napoleon haben den preußischen Staat befreit, doch bei den gehorchenden Untertanen wäre Napoleon beliebter gewesen, wenn er nicht auch seine Macken gehabt hätte.

Die nationale und die demokratische Bewegung waren in Deutschland alles andere als identisch. Und eine Erinnerungskultur an frühe deutsche Demokraten ist in Deutschland nur schwach ausgebildet. Dies vorausgeschickt kann der Leser ohne Bedenken mit dem 3. Kapitel des Buches anfangen, wo er die Spaltung der Gesellschaft betrachtet. „Bürger vs. Citoyen“, „Der unsichtbare Bürger vs. Wutbürger“ und „Freiheit vs. treue Gefolgschaft“ sind die ersten Überschriften.

Nach einem historischen Exkurs bemängelt er die immer noch weit verbreitete Untertanenmentalität und wünscht sich ein Wahrnehmung der Freiheit, vor allem der Meinungsfreiheit und nennt als Beispiel, dass Stille im Schloss Bellvue herrschte, als Abdel-Samad dem Bundespräsidente nach dessen Gratulation des iranischen Regimes widersprach. Von anderer Seite nähert er sich demselben Thema wie mein letztes besprochene Buch von Morsbach.

So ist das 4.Kapitel mit Hildegard von Bingen, dem Bamberger Rathaus, Luthers Rede in Worms, dem Hambacher Fest, Stuttgart 21 und dem Hambacher Forst als Beispiele von zivilem Widerstand ein Höhepunkt des Buches. Seine Beispiele zur Meinungsfreiheit im folgenden Kapitel sind erschütternd und wutzig zugleich. Leider geht dieses Kapitel schleichend in die Integrationsdebatte über. Da ich sein vorheriges Buch gelesen habe, erfahre ich nichts substantiell Neues.

Wer S.78-130 liest, liest ein gutes Buch. Da ich auch den Rest gelesen habe, kann ich leider nur 2 Sterne vergeben.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.03.2021
Der Elefant im Zimmer
Morsbach, Petra

Der Elefant im Zimmer


ausgezeichnet

Zivilcourage

Die von mir geliebte Romanautorin stellt in diesem Buch die Frage, wie man sich gegen Machtmissbrauch wehren kann. Sie selbst war als Mitglied der bayerische Akademie zu dieser Frage gekommen, weil ihr nach einem Satz im Protokoll verboten wurde, Buchvorstellungen durchzuführen. Das beschreibt sie ausführlich in diesem Buch und dank ihrer Recherche zu ihrem Roman „Justizpalast“ kennt sie sich auch in rechtlichen Frage aus. Einerseits hat mir gefallen, wie die Autorin selbst Position bezieht und nicht klein beigibt, andererseits ist dieses Thema so weit von meiner Wirklichkeit weg, dass ich doch die juristischen Details übersprungen habe.

Übersprungen habe ich auch in meiner Kritik die für mich wesentlich interessanteren ersten beiden Kapitel. Zunächst wird behandelt, wie die pädophile Neigung des Wiener Kardinals Groer ans Licht der Öffentlichkeit kam. Eines seiner Opfer meldete sich zu Wort, als keiner mehr damit rechnete. Anstatt die Tat zu leugnen, stellten seine Mitbrüder den Schaden für die Kirche in den Mittelpunkt ihrer Wutrede. Doch da es längst Gerüchte gab, die von ehrwürdigen Benediktinermönchen an die Bischöfe weiter geleitet wurden, war der Kardinal nicht zu halten. Als Reformkatholik erstaunt mich aber, dass er dennoch als Prior eines Klosters weiterarbeiten sollte. Erst der Protest eines anderen Mönches schaffte mit Hilfe der Öffentlichkeit die Versetzung von Groer auf Altenteil.

Das zweite Kapitel verwundert noch mehr. Offensichtlich hat das Ehepaar Harderthauer, bei dem die Frau bayerische Sozialminister war, durch einen im Modellbau versierten Patienten einer psychiatrischer Klinik durch dessen Arbeitstherapie Millionen verdient.
Seltsam ist, dass die einzige kritisierende Beamtin schnell versetzt wurde und wenn sich nicht Justizopfer Mollath an die Modellbau gewandt hätte, wäre wohl nichts ans Licht gekommen.
Noch seltsamer ist, dass uner parlamentarisches System für solche Fälle einen Untersuchungsausschuss vorsieht, in dem in diesem Fall aber nicht einmal die Opposition ein Interesse hatte, den Fall aufzuklären, so dass wichtige Akten nicht eingesehen und vermutlich später vernichtet wurden. Dank des Vertreter der Freien Bürger und dessen Anwalt, die beiden keine Karriere mehr vor sich hatten, ist das Versagen des Ausschusses aber gut dokumentiert.

Ich bewundere die Autorin für dieses mutige Buch und wünsche mir gerade in unseren Verwaltungshierachien mehr Menschen, die den Mund aufmachen, um Missstände zu beheben. Ich wünsche mir Vorgesetzte, die das nicht als Machtverlust ansehen, sondern eine Fehlerkultur pflegen.
Das wünsche ich auch der katholische Kirche, fürchte aber, dass bei den Geistlichen Hopfen und Malz verloren ist. Trotz der ausführlichen Gesetzesbeschreibungen wegen des Mutes 5 Sterne.

Bewertung vom 22.02.2021
Universitätsmamsellen
Kleßmann, Eckart

Universitätsmamsellen


sehr gut

Seltsame Fehler

Die Töchter der Göttinger Professoren waren schon kluge Frauen. Wieso sollten auch kluge Väter dumme Töchter hervorbringen? Nur glücklich war das Leben der in den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts geborenen Frauen aber nicht. Oder soll es so sein, dass wir ausgerechnet die Schicksale betrachten, die kein Glück in der Ehe fanden?

Was wäre, wenn die Michaelistochter Caroline in ihrer erster Ehe mit Ehemann Böhmert glücklich im Harz geblieben wäre, wenn dieser nicht früh gestorben wäre? Die deutsche Frühromantik in Jena müsste umgeschrieben werden.

Außer Dorothea Schlözer, die einen angeblich reichen Lübecker heiratete und nach Göttingen mit französischem Liebhaber zurückkehrte, als ihr Kaufmann bankrott machte, sahen sich die Damen in Mainz wieder, wo 1792 die erste demokratische Regierung herrschte.
Allerdings fand sie kein Gefallen bei den Preußen, vor denen die Heyne-Tochter mit Forster verheiratet mit Liebhaber Huber in die Schweiz flüchtete. Caroline blieb bei Forster, der nach Paris entsandt wurde. Mit Mete Liebeskind verließ sie die Stadt, wurde verhaftet und in der Feste Königsstein gefangen genommen.

Ich kann den gesamten spannenden Inhalt nicht wiedergeben. Ich hab das Buch gerne gelesen, wundere mich aber über einige chronologische Unstimmigkeiten. Kein Experte in der Materie weiß ich aber, dass Vater Michaelis mit Lichtenberg befreundet war. Warum der Autor August Wilhelm Schlegel Wilhelm anstatt August nennt, wird sein Geheimnis bleiben.

Ich hoffe, dass nicht noch andere seltsame Fehler dem Autor unterlaufen sind. Deswegen für ein spannendes Buch nur 4 Sterne.

Bewertung vom 16.02.2021
Tanz der seligen Geister
Munro, Alice

Tanz der seligen Geister


sehr gut

Nettes Debüt einer Literaturnobelpreisträgerin

1968 erschien dieses Buch in Kanada, 2010 in Deutschland und noch heute sind die Kurzgeschichten zeitlos. Meistens handeln sie von einem heranwachsende Mädchen als Ich-Erzählerin, dass mal mit ihrem Bruder dem Vater auf der Farm hilft, mal mit einer Freundin und rotem Kleid zum Tanz geht, mal mit dem Vater Verwandte besucht und sich mal als Babysitterin dem Alkohol hingibt.

Fast immer fand ich den Anfang mühsam, aber bis auf einmal lohnte sich immer der Schluss, wenn er auch manchmal wie bei der Erzählung mit dem Dienstmädchen „Sonntagnachmittag“ etwas seltsam ist.

Da ich die Geschichte, deren Ende mir nicht gefiel, nicht mehr finde, bekommt das Buch 4 Sterne, einen ziehe ich wegen der teilweise langatmigen Anfänge ab.

Bewertung vom 15.02.2021
Robinson Crusoe
Defoe, Daniel

Robinson Crusoe


ausgezeichnet

Klassiker mit unbekannten Wendungen

Ich möchte auf eine Inhaltsangabe verzichten und nur darauf hinweisen, dass dieses große Werk viel mehr Themen enthält als einen einsamen Mann auf einer Insel.

Schon zu Beginn lobt der Vater von Robinson das Mittelmaß, das seinen abenteuerlustigen Sohn aber nicht von der Welterkundung abhält. In Afrika wird das Pech in Gefangenschaft bei den "Negern", in Brasilien wird dann das Glück als Farmer eines Ausreisenden behandelt. Und erst als er noch mehr Sklaven für seine Plantagen haben will, erleidet er Schiffbruch. Immer wieder sinniert er auf der Insel über Gottes Vorhersehung, die Robinson für sein früheres Leben bestraft.

Den bekannten Teil des Klassikers weise ich darauf hin, dass das Buch nicht mit Crusoes Rettung endet, sondern in Europa mit Freitag an seiner Seite weiter geht. Das letzte Kapitel behandelt den Kampf mit einem Bär und Wölfen im Winter in den Pyrenäen, als Robinson seine letzte Heimfahrt nach England von Lissabon, wo er dank des gerechten alten portugiesischen Kapitäns zu Reichtum gekommen ist, über Land antritt.

Natürlich 5 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.