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miss.mesmerized
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Insgesamt 1245 Bewertungen
Bewertung vom 09.01.2021
Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
Schröder, Alena

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid


sehr gut

Hannah hat nur noch ihre Oma Evelyn, die mit 95 Jahren ihre letzten Tage im Seniorenheim erlebt. Als sie dort eines Tages einen Brief findet, ist sie mehr als erstaunt: eine Kanzlei will sich um die Restitution des in der Nazi-Zeit gestohlenen Kunstschatzes der Familie kümmern. Hannah wusste gar nicht, dass sie jüdische Vorfahren hatte. Hatte sie auch nicht, Evelyns Mutter hatte ihre Tochter einst bei der Schwägerin zurückgelassen, um in Berlin ein neues Leben zu beginnen und dort in die jüdische Kunsthändler-Familie Goldmann eingeheiratet. Zwischen Mutter und Tochter war der Riss nie mehr zu kitten und Evelyn wollte für immer alle Bände zerschnitten wissen, weshalb Hannah sich nun alleine auf die Suche nach der unbekannten Familiengeschichte macht.

Alena Schröder hat lange Zeit als Journalistin gearbeitet und nebenbei bereits eine Reihe von Sachbüchern und die Reihe der „Benni-Mama“ veröffentlicht. In ihrem Roman mit dem sperrigen Titel „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ greift sie ein bekanntes Sujet auf, das auch recht klassisch erzählt wird: die unbekannte Familiengeschichte aus der Nazi-Zeit, die im Wechsel mit der Gegenwartshandlung und der Enkelgeneration geschildert wird, wo man sich dem Mysterium der eigenen Vergangenheit annähert. Die Autorin setzt dies sehr ansprechend und routiniert um, ein Roman, den man gerne liest und der auch durchaus spannende Momente zu bieten hat.

Die Frauen der Familie sind ohne Frage alle auf ihre Weise eigenwillig. Zunächst Senta, die von dem schillernden Leben in Berlin träumt, dafür Sicherheit und Tochter aufgibt, aber in den schwersten Stunden pragmatisch und beherzt handelt. Leider ist es ihr nie gelungen, sich der Tochter zu vermitteln, nicht nur, weil Evelyn quasi keine Erinnerung an sie hat, viel mehr noch weil das schwere Zepter der bösartigen Tante sie zu sehr geprägt hat als dass sie als erwachsene Frau großzügig vergeben könnte. Die Erfahrungen als Kind haben sie hart gegen sich und andere werden lassen. Dass dies keine guten Voraussetzungen sind, um selbst eine zugewandte, liebende Mutter zu werden, war absehbar und so bleibt auch die Beziehung zwischen ihr und Silvia immer etwas unterkühlt, wenn sie auch zur Stelle ist, wenn sie gebraucht wird. Hannah hat ihre Mutter früh verloren, zu der Großmutter jedoch eine enge Verbindung, wenn diese auch an ihrem Lebensabend störrisch und unkooperativ bleibt. Der jungen Frau fehlt jedoch noch das Ziel im Leben, die Promotion plätschert vor sich hin, die Affäre mit ihrem Doktorvater ist auch eher einseitig und wenig zukunftsträchtig.

Der Handlungsstrang um die jüdische Familie Goldmann erzählt die Geschichte, wie es sie hundertfach gab. Zunehmende Restriktionen unter den Nazis, Publikationsverbot für Senta und ihren Mann in ihrem Verlag und letztlich die Enteignung und Deportation. Ein leider recht typisches Schicksal, das die nachfolgenden Generationen, sofern es sie denn gibt, mühsam aufarbeiten müssen.

Ein Roman über die unergründlichen Wege, die das Leben manchmal nimmt und die Gabelungen, die zu Entscheidungen mit ungewissem Ausgang zwingen.

Bewertung vom 03.01.2021
A Breeze Across the Aegean
Cole, Robert

A Breeze Across the Aegean


ausgezeichnet

After his wife’s death, Nicholas has lost the energy to live and fallen into a dark hole. When he takes a holiday on the Greek Island of Rhodes, the incredible happens. He meets a woman who immediately sparks something in him. They are on the ferry to Halki and agree to meet in the afternoon before taking the ferry back to Rhodes. Yet, Alessandra does not show up. Nicholas is disappointed but apparently, she did not feel the same as he did during their brief encounter. Back in England, he goes on with his life when one evening, he sees a report about a young woman gone missing – Alessandra. Could he have been the last person to see her alive? He contacts the police and the parents before he resolves to return to Greece and to have a look himself since no one seems to be really preoccupied. He cannot simply do nothing when the one person who brought back his will to live has gone missing. It does not take long for him to be sure that there is much more behind Alessandra’s disappearance than just a woman who decided to start a new life and cut all former strings.

Robert Cole’s debut novel is a mixture of suspenseful crime and interesting dive into ancient history. Nicholas’ search for Alessandra is strongly linked to the past of the Greek islands, old trade routes between Europe and the Middle East as well as modern trade – which is rather of the illegal kind. Stolen goods of inestimable value, belonging to the world heritage which in the turmoil of wars fall into the hands of shady businessmen. Some of the history is well known, a lot was also new to me and I found it wonderfully integrated into the thrilling search for the young archaeologist.

Strongest is certainly the atmosphere of the islands which offer such a long and great history which finds its place in the novel. Even though Nicholas is a bit naive at times and irresponsible at others, I found this characters quite charming to follow. He cleverly understands the evidence and draws the right conclusions leading step by step him closer to Alessandra and some very dangerous dubious men.

Not an absolutely thrilling psychological mystery, but rather an entertaining, yet nevertheless enthralling, trip into history.

Bewertung vom 01.01.2021
The Second Life of Inspector Canessa
Perrone, Roberto

The Second Life of Inspector Canessa


ausgezeichnet

It’s been decades since Annibale Canessa and his brother Napoleone have last talked. Now, the later has been killed, together with Giuseppe Petri, former member of the Camorra and serial killer. Annibale quit his job as Carabiniere after his biggest success because it was obvious to him that he could only get one fish at the time, but police as well as jurisdiction were full of people collaborating with the mafia and far from providing justice. But now, he has to act since it is obvious that the murder of his brother will not be cleared up by official institutions. Together with his former colleagues, Canessa goes on a mission which is bloody and which will stir up dirt. A lot of things have changed since the 70s and 80s when Italy was in the hands of the criminal organisations, but unluckily not all.

Roberto Perrone is an Italian journalist and writer who amongst other wrote the biography pf Gianluigi Buffin, the famous goalkeeper. “The Second Life of Inspector Canessa” is the first instalment of the Annibale Canessa series which strongly reminded me of the “Mani Pulite” investigations of the 1990s when masses of crimes of industry leaders and politicians were exposed and the corrupt system uncovered resulting in the end of the Prima Repubblica.

Annibale has to start his investigation from scratch, neither has he an idea why his brother was killed or why he was together with the former camorrista nor does he dispose of any means to investigate. He only has his sharp mind, two loyal former colleagues and Carla, a journalist not only eager to collaborate but also attractive. They uncover several leads which do not add up, more people die and also the small group is attacked. Quite obviously, nobody wants them to dig deeper, not the police, not the jurisdiction, not the mafia. But Annibale has not only lost his brother, he has strong conviction which he follows.

A complex and suspenseful thriller which is totally entertaining but also disillusioning – it does not take much to imagine that all this could be true.

Bewertung vom 01.01.2021
Der Bewohner
Jackson, David

Der Bewohner


ausgezeichnet

Nachdem er - wieder einmal – brutal gemordet hat, ist Thomas Brogan auf der Flucht vor der Polizei. Ein unmögliches Unterfangen in dem kleinen Wohngebiet. Doch dann findet er ein offenbar verlassenes Haus, in dem er sich verstecken kann. Bei seinem Erkundungsgang entdeckt er, dass die Dachböden der Nachbarhäuser zugänglich sind und so kann er die alte Elsie besuchen, aber auch Pam und Jack und natürlich Martyn und Colette. Diese fasziniert ihn besonders und er sucht sie sogleich als neue Spielgefährtin aus. Denn Brogan tötet nicht einfach, ein gibt seinen Opfern eine ehrliche Chance. Doch zunächst einmal muss er sich um Nahrung kümmern und die neuen Nachbarn beobachten. Bald schon kann das Spiel aber beginnen, wenn auch nicht ganz so wie er und die Stimme in seinem Kopf das geplant hatten.

Eine gruselige Vorstellung hat David Jackson in seinem Thriller umgesetzt: ein heimlicher Mitbewohner, der in die Häuser schleicht, wenn keiner Zuhause ist, sich an den Lebensmitteln bedient, die Dusche benutzt und in Schulbladen rumschnüffelt. Er hinterlässt keine Spuren, manchmal ein ungutes Gefühl, aber lange Zeit bleibt er unentdeckt. Es ist zunächst ein einseitiges Katz-und-Maus-Spiel, doch unerwartet zeigen sich auch andere Seiten des Killers, die das Bild eines kaltblütigen Mörders differenzierter zeichnen.

Bisweilen hat der Thriller auch humorvolle Passagen, wenn Brogan droht entdeckt zu werden und auf der überhasteten Flucht in sein Versteck auf so manches Hindernis trifft. Ganz anders gestalten sich seine Besuche bei Elsie, die schwerhörige Dame überrascht ihn eines Nachts und glaubt ihr verstorbener Sohn sei zurückgekehrt. Fortan bekocht sie den Mörder und erweicht sogar sein Herz. Zum ersten Mal erfährt dieser Zuneigung, was er nicht einfach beenden kann und will. Bei Colette gestaltet sich der Fall anders, er findet sie attraktiv, aber da ist noch ein anderer Reiz, den er nicht einordnen kann, der ihn jedoch immer wieder zu der jungen Frau zieht. In seinen Entscheidungen ist er jedoch nicht frei, die Stimme in seinem Kopf, treuer Begleiter, der ihm stets Gesellschaft leistet, ist es, die die Entscheidungen trifft.

Ein Psychothriller, der seinen Namen verdient hat. Als Leser fühlt man sich sogleich unwohl bei der Vorstellung, dass jemand unbemerkt im eigenen Haus umherschleichen könnte, aber ebenso interessant ist diese Stimme, die eine traurige Ursache hat und Brogan letztlich genauso zum Opfer werden lässt. Gänsehaut und Unbehagen beim Lesen und ein unerwartetes Ende – eindeutige Leseempfehlung.

Bewertung vom 29.12.2020
The Wife Upstairs (eBook, ePUB)
Hawkins, Rachel

The Wife Upstairs (eBook, ePUB)


sehr gut

Jane is on the run, she hasn’t simply given up her old life, there are things which need to be forgotten und buried and never talked about. When she comes to Thornfield Estates, the McMansion area of Birmingham/Alabama, she sees a life which could hardly differ more from hers. Having grown up as a foster child, she has never known love and affection and surely not the riches she can observe in the families for whom she walks the dogs. One day, she meets Eddie Rochester who recently lost his wife Bea. They fall in love and suddenly, everything seems possible for Jane. Leading a carefree life, no worries about money anymore and a loving husband. But at times, she wonders if she sees something different, threatening in his eyes. Then, however, she remembers that she herself also has some secrets. Yet, there is a third person in that house also having secrets.

Rachel Hawkins does not hide that her novel is a modern version of Charlotte Bronte’s “Jane Eyre”. The names are identical and even parts of the characters’ biographies show large similarities, only small Adèle has been turned into a dog. The plot is not set among the British upper class but among the newly rich who are driven by greed, egoism and the conviction that they can have it all.

What I liked about this version of the classic plot is that Rachel Hawkins created some unexpected twists which keep suspense high and make you reassess the characters. You can never be totally sure about who is good and who is bad, actually, they are all some dark shade of grey. I would have liked the protagonist to be a bit more complex, Jane remains a bit plain and shallow throughout the novel for my liking even though the other characters repeatedly consider her rather clever and strong. On the other hand, everything around Bea was quite surprising and I actually adored the utterly malicious character.

An enjoyable read with a lot of Jane Eyre to be found and some new aspects which added to the suspense.

Bewertung vom 26.12.2020
Apeirogon
McCann, Colum

Apeirogon


ausgezeichnet

Zwei Väter, Rami Elhanan und Bassam Aramin, die unzählige Gemeinsamkeiten haben. Beide haben sie eine Tochter verloren, beide leben sie auf demselben Fleckchen Erde, beide wollen den anderen verstehen, beide wollen Frieden. Doch es trennen sie auch Welten: Rami ist Israeli, Bassam Palästinenser. Ramis Tochter wurde bei einem hinterhältigen Selbstmordattentat getötet, Bassams Tochter durch die Waffe eines israelischen Soldaten. Sie können sich nicht gegenseitig besuchen, das verbietet das Gesetz und an Checkpoints wird dies kontrolliert. In der Organisation “Parents Circle“ treffen sich Eltern wie sie, die durch den Konflikt ihre Kinder verloren haben und nur einen Wunsch haben: dass nicht noch mehr Eltern dieses Martyrium erleiden müssen.

Colum McCanns Roman ist eine Mischung aus Fakt und Fiktion. Die beiden Väter und ihre Töchter sind real, jedoch nicht alle Gedanken und Ereignisse, die geschildert werden. Auch wird die Handlung durch zahlreiche Fakten ergänzt, die Lexikon-gleich das Geschilderte untermauern und auch versachlichen. Bevor es zu emotional wird, tritt man wieder einen Schritt zurück. Man bewegt sich immer wieder hin und her in diesem Spannungsfeld, das auch durch die 1000 Kapitel, die zunächst aufsteigend, dann absteigend nummeriert sind, unterstützt wird. Dieser Wechsel des Blickwinkels ist es auch, der schon im Titel festgeschrieben ist: ein „Apeirogon“ ist ein Vieleck mit einer gegen Unendlich gehenden Anzahl von Seiten. In der Nahaufnahme sieht man eine Linie und einen Winkel, aus der Ferne stellt sich die Figur jedoch womöglich ganz anders dar. So auch der Konflikt, der sich aus der Ferne zwischen zwei Staaten oder Völkern abspielt, aus der Nähe betrachtet jedoch das Schicksal einzelner Menschen besiegelt.

Es ist nicht leicht zu fassen und zu verstehen, was Bassam und Rami erleiden. Dies wird durch Schleifen und Wiederholungen angedeutet, die gleich dem Leiden und gedanklichen Kreise-Drehen um immer wieder dasselbe Ereignis funktionieren. Smadar und Abir kannten sich nicht, zwischen ihren Todestagen liegen zehn Jahre und doch wurden ihre Schicksale miteinander verbunden; sie stehen auf verschiedenen Seiten desselben ermüdenden Konflikts und beide haben als junge Mädchen völlig sinnlos ihr Leben gelassen.

„Damals fehlte mir das Bewusstsein, um es mir einzugestehen, aber verstehen Sie? Ich war Ende vierzig, und zum ersten Mal in meinem Leben begegneten mir Palästinenser als menschliche Wesen. (...) ich erkannte sie als Menschen, die die gleiche Last trugen wie ich, dasselbe Leid empfanden. Ihr Schmerz war mein Schmerz.“

Zwei Seiten des Nahostkonflikts, gespiegelt in einem einzigen Roman. Eine Geschichte über Gewalt und Leid, aber auch über Vergebung und Aufeinanderzugehen. Ein politischer Roman, der jedoch das persönliche Schicksal ins Zentrum rückt und zeigt, dass viel zu oft die Menschen vergessen werden, die hinter politischen Entscheidungen stehen, die diese ausbaden und unter ihnen leiden. Auch McCann liefert keine Lösung, aber Hoffnung darauf, dass ein Wille vorhanden nicht, nicht noch mehr Leid zu produzieren. Für mich einer der literarisch ausgereiftesten und inhaltlich bedeutsamsten Romane des Jahres.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.12.2020
Hexenjäger / Jessica Niemi Bd.1
Seeck, Max

Hexenjäger / Jessica Niemi Bd.1


ausgezeichnet

Als der berühmte Autor Roger Koponen wegen einer Lesung viele hundert Kilometer von der heimischen Villa in Helsinki entfernt ist, wird seine Frau Maria bestialisch ermordet. Jessica Niemi ist als erste am Tatort und begegnet sogar noch dem Täter, was sie jedoch erst später realisiert. Brisant an dem Tatort ist nicht nur die bizarre zur-Schau-Stellung des Opfers, sondern dass Maria genau so den Tod gefunden hat, wie es in den Thrillern ihres Mannes beschrieben war. Hat der Autor dieses mit seinem Text provoziert? Dieser zeigt sich erschüttert und soll noch in der Nacht in die finnische Hauptstadt zurückkehren, doch unterwegs wird er zum Opfer und hingerichtet wie eine seiner Figuren. In der Trilogie gibt es noch weitere Morde, das Team um Jessica Niemi ahnt schnell, dass dies kein einfacher Fall wird und bald wird auch schon klar, dass die Ermittlerin selbst im Fadenkreuz des Täters zu stehen scheint.

Max Seeck ist finnischer Autor mit deutschen Wurzeln und zählt in seiner Heimat schon zu den bekanntesten Thriller-Autoren, aber auch über die Grenzen des nordischen Landes hinaus kann der er überzeugen. „Hexenjäger“ ist der zweite Roman in deutscher Übersetzung und der Auftakt zur Reihe um Jessica Niemi. Die Protagonistin selbst fällt dabei ziemlich aus dem Raster der typischen Ermittlerinnen. Immer wieder schleichen sich kurze Kapitel in die Handlung ein, die sie als junge Studentin in Venedig präsentieren. Sie verheimlicht ihren Kollegen ihre Herkunft und sogar ihre Wohnung, neben der eigentlichen Thriller Handlung ein weiteres Mysterium, das sich erst am Ende lüftet.

Besonders reizvoll finde ich immer, wenn ein Roman mit der Fiktion von Literatur arbeitet und in die Handlung weitere fiktive Ebenen eingeflochten werden. In „Hexenjäger“ ist es die „Hexenjagd“ Trilogie des Autors Roger Koponen, die offenbar die Vorlage und den Anreiz für den oder die Täter liefert. Das Muster der Morde ist schon vorhanden, die Polizei weiß eigentlich, wonach sie suchen muss, und ist doch dazu verdammt, machtlos zuzusehen, wie immer mehr Opfer auftauchen. Doch es findet sich keine Erklärung für ihre Auswahl, auch die recht schnell geäußerte Verbindung zu Jessica erschließt sich nicht. Weshalb schickt ihr Vorgesetzter Erne sie nach Hause und lässt sie dort unter Polizeischutz stellen, wo sie doch eigentlich die Ermittlungen leiten sollte? Vieles bleibt rätselhaft, zahllose Spuren führen in unterschiedliche Richtungen, ohne ein Muster erkennen zu lassen.

Vielschichtige Figuren, Morde, die rasch aufeinanderfolgen, Okkultismus und Satanismus gepaart mit einem verdächtigen Autor – spannende Zutaten, die sich nahtlos zu einer überzeugenden Geschichte zusammenfügen. Ein Thriller aus dem eisigen Norden, perfekt für kalte Wintertage.

Bewertung vom 24.12.2020
The Harpy
Hunter, Megan

The Harpy


ausgezeichnet

Lucy is a loving wife and mother of two small boys. Even though she at times regrets not having finished her doctorate, her life is quite close to perfect, at least from the outside. Until she gets a voice message informing her of her husband Jake’s affair with his colleague. Jake immediately admits everything, yet, it wasn’t a single misstep, but actually three. They agree not to give up everything they have built up and Lucy is allowed to hurt him three times, too. What he does not know is that forever, she has been fascinated by harpies, the mythological creatures symbolising the underworld and evil. Thus, Lucy’s revenge is not small but a thoroughly made-up, destructive plan of vengeance.

A couple of years ago, I read Megan Hunter’s post-apocalyptic debut “The End We Start From” and liked it a lot, thus I was eager to read her latest novel “The Harpy” which did more than fulfil my expectations. The atmosphere is burning, the idea of the dreadful mythological creatures always looming over the action. Quite often, the harpy is used to depreciate a nasty woman. Lucy can be considered nasty in what she does, however, the betrayal she has to endure is no less harmful.

Of course, Lucy’s revenge is the central aspect of the plot. Yet, it is not just their marriage that is under scrutiny, the whole circle Lucy and Jake move in comes to a closer inspection. Superficial friendships which end immediately end when someone does not comply with the unwritten rules, feigned sympathy and kindness – isn’t this world an awful one to live in? Plus the reduction of an intelligent woman to caring mother who becomes invisible as a woman and is considered little more than a domestic worker for the family, a life surely man find themselves in involuntarily.

From a psychological point of view, the novel is also quite interesting, depicting Lucy’s transformation from loving housewife to independent and reckless avenging angel. She frees herself from the clichés she has lived to so long and goes beyond all boundaries. A beautifully written brilliant novel that I enjoyed thoroughly.

Bewertung vom 20.12.2020
Eroberung
Binet, Laurent

Eroberung


ausgezeichnet

Wir alle haben sie studiert, die Geschichte Europas und die Eroberung der Welt. Mutige Männer, die dahinsegelten, um ferne Länder zu entdecken und zu unterwerfen, um ihnen die zivilisierte Hochkultur der alten Welt nahezubringen. Was aber wäre gewesen, wenn alles ganz anders verlaufen wäre? Die Wikinger noch vor Kolumbus Südamerika entdeckt hätten und die Inkas sich gen Osten aufgemacht hätten, um erst Portugal und dann ganz Europa zu unterwerfen? So manch ein Herrscher hätte nicht schlecht gestaunt, ebenso die Vertreter der Heiligen Kirche – und deren Gegner. Ein fuchsteufelswilder Luther muss zusehen, wie statt seiner Thesen die Kunde des Sonnengottes angeschlagen und damit der neue Glaube besiegelt wird.

Laurent Binet ist ein Meister darin, die Geschichte neu zu erfinden und einen alternativen, wenn auch bisweilen aberwitzig anmutenden Verlauf zu schildern. Schon mit „Die siebte Sprachfunktion“ konnte er mich restlos begeistern, nun beschränkt er sich nicht auf die kleine Welt der Linguisten, sondern geht ans Eingemachte. Und das wieder einmal mit präziser und messerscharfer Beobachtungsgabe und pointierten Formulierungen.

„Doch die Geschichte lehrt uns, dass wenige Ereignisse es der Mühe wert erachten, sich rechtzeitig anzukündigen, darunter manche, die sich jeglicher Vorhersage entziehen, und dass letztlich die allermeisten sich damit begnügen, einfach einzutreten.“

So manches in der europäischen Geschichte wäre uns erspart geblieben oder schlichtweg besser gelaufen, hätten wir Binets Version der Historie erlebt. Die Inquisition beendet, Toleranz zum leitenden Motiv gemacht und Frieden, der eigentlich immer nur ein Traum war. Daneben wird das heliozentrische Weltbild per Dekret verordnet und die Mystifizierung der jungfräulichen Braut und der unbefleckten Empfängnis ein Schlusspunkt gesetzt.

Viele große Namen haben ihren Auftritt in dem Roman, der 2019 mit dem großen Preis der Académie française ausgezeichnet wurde. Man kann immer wieder nur schmunzeln, wie Laurent Binet uns einen Spiegel vorhält und die Absurditäten aufzeigt, die wir als gegeben hinnehmen. Virtuos reihen sich sie Ereignisse aneinander, die bekannte und belegte Fakten neu interpretieren. Diesbezüglich finde ich den deutschen Titel leider auch etwas zu begrenzt, es geht nicht nur um „Eroberung“, sondern wie das Original schon sagt, um die Frage, was eigentlich „Zivilisation“ sein soll und vor dem Hintergrund von Inquisition, Kreuzzügen und Imperialismus ist diese mehr als berechtigt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.