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Bellis-Perennis
Wohnort: 
Wien

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Insgesamt 924 Bewertungen
Bewertung vom 12.02.2024
Der Kommissar und der Tod auf Cotentin / Philippe Lagarde ermittelt Bd.14
Dries, Maria

Der Kommissar und der Tod auf Cotentin / Philippe Lagarde ermittelt Bd.14


gut

Dieser 14. Fall für den ehemaligen Elitepolizisten Philippe Lagarde beginnt mit einem Prolog im Gefängnis von Cherbourg. Charline, eine verurteilte Gattenmörderin, die stets ihre Unschuld beteuert, erhängt sich.

Wenige Wochen später werden auf Kommissar Ludovic Cleroc zwei Anschläge verübt, die er verletzt überlebt. Eine pensionierte Richterin hat weniger Glück und wird mit ihrer eigenen Gartenschere erstochen.

Nachdem Cleroc ein Freund Lagardes ist, wird gemeinsam ermittelt. Es dauert, bis Cleroc endlich den Zusammenhang mit einem alten Verbrechen erkennt. Nun ist höchste Eile geboten, denn der damalige Anwalt, der so scheint es, versagt hat, ist ebenfalls in Gefahr.

Doch wer ist der Täter?

Meine Meinung:

Nachdem ich alle Vorgänger kenne, ist dieser Band wie ein Klassentreffen. Man hat sich länger nicht gesehen und doch gleich wiedererkannt. So geht es auch Odette, die einst mit dem bekannten Krimiautor Sébastien Gautier eine amour fou gehabt hat. Ausgerechnet dieser Mann hat den alten baufälligen Leuchtturm in Cotentin gekauft, renoviert und lebt jetzt in Odettes und Lagardes Nähe.

Nun, ich hätte von einem langjährigen Ermittler schon erwartet, dass er zackig den Zusammenhang mit dem alten Fall erkennt. Deswegen schwächelt dieser Krimi ein wenig an der Handlung. Das Rundherum wie Umgebung, die delikaten Speisen samt ausführlicher Weinbegleitung ist wie immer sehr gut. Lagarde darf ein bisschen Gefühl zeigen: Sorge um Odette und Eifersucht auf den Krimiautor.

Mein Verdacht, wer der Täter sein könnte, hat sich bestätigt.

Fazit:

Ein schöner Urlaubskrimi, dem ich gerne 3 Stern gebe. Möge der nächste wieder ein wenig spannender sein.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.02.2024
Unheiliges Land
Pouchairet, Pierre

Unheiliges Land


ausgezeichnet

Der Ort Nablus, eine Siedlung im Grenzgebiet zwischen Israel und dem Westjordanland, gilt als Hotspot von Unruhen. Zum einen, weil zahlreiche orthodoxe Juden dort Siedlungen errichten, die nicht immer legal sind und zum anderen, weil dadurch die dort lebenden Palästinenser, die kaum Beschäftigung haben, verdrängt werden. Vor allem die männliche Jugend ist empfänglich für Hassprediger und militante Führer, die ihnen das Blaue vom Himmel versprechen.

„Man hat die Nase voll von diesen Imamen. Sind nicht schon genug Moscheen in dieser Stadt gebaut worden? Wir brauchen Fabriken, Arbeit für unsere jungen Leute ... Von Moscheen kriegen sie keinen Job.“

Deshalb rücken, sobald jüdische Siedler ermordet werden, Angehörige des Schabak, des israelischen Inlandsgeheimdienstes aus, um die Täter zu fassen. Das ist nun der Hintergrund, vor dem dieser Krimi rund um die Ermordung der fünfköpfigen Familie Uzan spielt.

Eli Zimmermann, leitender Ermittler des Schabak sieht, wie viele andere Israelis, die ungezügelte Ansiedlung der ultraorthodoxen Juden als Gefahr für einen möglichen Friedensprozess mit den Arabern. Dennoch muss er gegen sie ermitteln und in einer Nacht und Nebelaktion werden drei junge Männer im nahe gelegenen Flüchtlingslager Balata verhaftet.

Doch so einfach ist es wieder nicht. Denn sowohl die beiden aus Frankreich stammenden Kriminalpolizisten Dany Cohen und Guy Touitou als auch die palästinensische Polizistin Maïssa, Tochter von Ahamd Marouane eines ehemaligen Mitstreiters von Yassir Arafat, werden als Beobachter nach Nablus entsandt.

Während der Schabak die Morde als terroristischen Akt einstuft, verfolgen Dany und Guy einen anderen Ansatz, denn der tote Familienvater war Chemiker in einer Pharmafirma, die Generika herstellt, und hat jede Menge Bargeld in seiner Gartenhütte versteckt.

Ein zweiter Handlungsstrang führt uns Leser nach Nizza, wo es zu mehreren, unter Drogeneinfluss begangene Gewalttaten kommt. Es ist zwar nicht so, dass Gewalt und Drogen an der Côte d’Azur ungewöhnlich wären, aber Crystal Meth in dieser besonderen Zusammensetzung ist doch recht neu. Als Capitaine Gabin Mournet entdeckt, dass diese Drogen möglicherweise aus dem Nahen Osten kommen, sind alle in Alarmbereitschaft. Denn hier scheint sich eine ungewöhnliche Zusammenarbeit anzubahnen und Gabin muss nach Israel.

„Das kommt uns völlig verrückt vor. Russische Juden arbeiten doch nicht mit Arabern zusammen.“
„Ich halte das nicht für unwahrscheinlich. Wenn es darum geht, ordentlich Knete zu machen, können die Ganoven sich schon verständigen.“

Trotz der verhärteten politischen Fronten zwischen Israel und den Palästinensern müssen sich die Polizisten zusammenraufen und, um den internationalen Drogenring zu sprengen, an einem Strang ziehen.

Meine Meinung:

Dieser höchst komplexe Krimi ist 2014 erschienen. Sehr geschickt sind die 2014 aktuellen Tatsachen in den Krimi eingeflochten. Allerdings verlangsamen sie die Krimihandlungen. Dennoch sind sie notwendig, um die komplexe Situation von Israelis und Palästinensern zu verstehen. Weder die einen, noch die anderen sind einheitlicher Meinung. So gibt es sowohl bei den Israelis zahlreiche Stimmen, die gegen die Ultraorthodoxen und ihre Siedlungspolitik sind. In einer solchen aufgeheizten Stimmung haben es Kriminelle leicht, ihre eigenen Geschäfte durchzuziehen.

„Der Gazastreifen ist ein Schandfleck für den Hebräischen Staat und für die Palästinensische Autonomiebehörde. Die Hamas regiert auf ihre Weise. Eiserne Faust und Religion. Da gibt es nichts zu lachen. Verschleierte Frauen, kein Alkohol, selbst lange Haare und Hüftjeans werden von den örtlichen Sicherheitskräften verfolgt. Paradoxerweise beklagt sich die internationale Gemeinschaft ständig über sie, unterstützt sie aber doch. Das ärgert Israel zutiefst. Und die Hamas ist auch das Schreckgespenst der Palästinensischen Autonomiebehörde und Mahmud Abbas. Sie haben Angst, dass sie gestürzt und die Hamas eines Tages die Macht übernimmt.“

Die wahren Ereignisse in den vergangenen zehn Jahren und besonders jene des Oktobers 2023, haben die Fantasie des Autors überflügelt. Die Hamas hebt bereits ihr brutales Haupt und beginnt unter den arbeits- und perspektivenlosen Jugendlichen mit der Rekrutierung von willfährigen Anhängern. Und solange es in deren Familien als ehrenhaft gilt, für Terroranschläge verhaftet und verurteilt zu werden, selbst wenn die Geständnisse falsch sind oder gleich zu sterben, wird sich wenig ändern.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem komplexen Krimi, der die instabilen Machtverhältnisse von 2014 im Nahen Osten aufzeigt, 5 Sterne.

Bewertung vom 10.02.2024
Putins Krieg gegen die Frauen
Oksanen, Sofi

Putins Krieg gegen die Frauen


ausgezeichnet

Gleich vorweg, dieses Buch schildert die extreme Brutalität, die russische Soldaten mit Wissen und Billigung von Wladimir Putin gegen die ukrainische Bevölkerung einsetzt und ist daher nichts für Zartbesaitete. Dabei geht es vor allem um die Zivilbevölkerung, also Kinder, Frauen und alte Menschen, die tagtäglich unvorstellbaren Kriegsverbrechen ausgesetzt sind.

In folgenden Kapiteln schreibt Sofi Oksanen über die extreme Gewalt gegen Frauen und Kinder:

Der Einsatz sexueller Gewalt als Waffe
Von Soldaten zu Kriegsverbrechern
Homo putinicus
Crashkurs in russischem KoloniaIismus
Exportartikel

Sofi Oksanen berichtet über Vergewaltigungen von Frauen, Kindern und auch Männern, die an der Tagesordnung stehen. Extreme Brutalität durch russische Soldaten werde auch und vor allem gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt, um sie in den neu besetzten Gebieten einzuschüchtern. In den russisch besetzten Gebieten werden die Menschen vertrieben oder, wer sich wehrt, getötet, die ukrainischen Sprache verboten und Russen werden neu angesiedelt. Wir lesen über das Déjà-vu in den baltischen Staaten, die Terror und Russifizierung sowie Deportationen erleben mussten.

Sofie Oksamen zählt zahlreiche Beispiele vom Einsatz sexueller Gewalt gegen Kinder und Frauen, die ein „übliches Mittel“ zur Einschüchterung der Zivilbevölkerung durch feindliche Armeen ist, auf. Es darf hier nicht länger der Mantel des Schweigens über diese Kriegsverbrechen gebreitet werden. Heute ist es möglich, die Gräueltaten zu dokumentieren. Die Hoffnung und die Chancen, dass Russlands Straffreiheit ein Ende haben wird, bestehen. Die Kriegsverbrecher von Bosnien oder in Afrika sind letztlich verurteilt worden.

Welche Folgen die sexuelle Gewalt an Frauen und Kindern hat, kann u.a. in „Meine Stimme für das Leben“ des Friedensnobelpreisträgers Denis Mukwege sowie in anderen in dem ausführlichen Literaturverzeichnis angegebenen Werken nachgelesen werden.

Fazit:

Niemand sollte nach der Lektüre dieses Buches der finnisch-estnischen Autorin Zweifel an den Kriegsverbrechen von Putins Armee haben. Gerne gebe ich diesem erschütternden und aufwühlenden Buch 5 Sterne.

Bewertung vom 09.02.2024
Die Königin
Conrad, Sebastian

Die Königin


ausgezeichnet

Nofretete - Gemahlin des Echnaton und Ikone der Schönheit

In seinem Buch "Die Königin - Nofretetes globale Karriere" nimmt uns der Autor Sebastian Conrad auf eine Reise ins antike Ägypten mit, um den Hype dieses Bildnisses zu erklären.

In insgesamt sechs Kapiteln erzählt er den Werdegang einer Büste, die 1913 in einer Handwerkerwerkstätte in Tell al-Amarna gefunden worden ist, danach ihren Siegeszug angetreten hat, der bis heute anhält und ungeachtet aller Diskussionen um eine allfällige Restitution, zu einer Ikone der Schönheit ist.

Entdeckung
Ausstellung
Restitution
Nofretete global
Die afroamerikanische Nofretete
Globalisierung, Restitution und Nofretetes Zukunft

Mit diesem Buch zeigt uns der Autor, welche Faszination von dieser Frau ausgeht. Als die Büste vor exakt 100 Jahren der Berliner Öffentlichkeit erstmals präsentiert wird, ist der Andrang kaum zu bewältigen und der Besucheransturm im Ägyptischen Museum auf der Berliner Museumsinsel ist nach wie vor ungebrochen. Dabei hat die ägyptische Schönheit eine goldene Konkurrenz. 1922 entdeckt Howard Carter das ungeöffnete Grab Tutanchamuns mit all seinen Schätzen.

Sebastian Conrad geht den Fragen nach Restitution der Büste an Ägypten sowie der Vereinnahmung durch zahlreiche Institutionen oder Gruppen, deren Intentionen, Nofretete für sich in Anspruch zu nehmen, oft divergieren.

„In der Figur der Nofretete kreuzen sich also zahlreiche, zum Teil miteinander konkurrierende Erwartungen und Ansprüche, genau das macht ihren Weltruhm aus. Die vielen verschieden Weisen, das Bild der ägyptischen Königin zu beschwören, machten sie in der ganzen Welt zu einem Symbol und verschafften ihr globale Resonanz. Viele Betrachtungen mochten sich auf Nofretete und „Ägypten“ beziehen - aber si verbanden damit jeweils eigene, zum Teil gegenläufige Ziele. Paradoxerweise war es gerade die Vielfalt dieser Bezugnahmen, die in ihrer Gesamtheit dazu führten, dass das charakteristische Profil mit der blauen Krone mehr oder weniger bis in den letzten Winkel der Erde als eine Ikone der Schönheit verstanden wurde. Mehr noch: Sogar die Stilisierung der Nofretete als Gegenentwurf zu den westlichen ästhetischen Standards führte letzten Ende dazu, die seit den 1920er-Jahren in Europa propagierte Vorstellung von der Universalität ihrer Schönheit, umso fester zu verankern.“

So spannt Sebastian Conrad den Bogen jener, die Nofretete für ihre Ziele vereinnahmen von der Weimarer Republik über das NS-Regime sowie die Nationalisten Ägyptens bis hin zu Intellektuellen in Kalkutta oder Mittelamerika und den Drag Queens der queeren Society bis hin zu Toni Morrison oder Beyoncé.

Meine Meinung:

Das Buch ist in gediegener Ausstattung als Hardcover mit Lesebändchen erschienen. Auf der Vor- und Nachsatzseite findet sich jeweils eine Landkarte Ägyptens, einmal aus dem Jahr 1350 vor Christus, der Lebenszeit Nofretetes und einmal aus der Gegenwart. Das Buch besticht durch seine akribische Recherche und den rund 80 Seiten Anmerkungen sowie Quellenangaben. Zahlreiche Fotos ergänzen dieses Sachbuch, das dem globalen Ruhm der Nofretete nachgeht.

Der Schreibstil ist fesselnd und keine staubige Angelegenheit, wie es manchmal in archäologischen Sachbüchern der Fall ist. Die lautstark geführten Diskussionen um eine mögliche Restitution an Ägypten finden ebenso Platz, wie die Kritik an der gnadenlosen Vermarktung eines Kunstwerkes.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem penibel recherchierten und gekonnt erzählten Sachbuch 5 Sterne.

Bewertung vom 07.02.2024
Zeit der Verwandlung
Bollmann, Stefan

Zeit der Verwandlung


ausgezeichnet

Autor Stephan Bollmann nimmt sich in seinem Buch „Zeit der Verwandlung“ einer faszinierenden Epoche Münchens an. Ab den 1890er-Jahren ist München der Sehnsuchtsort zahlreicher Künstlerinnen und Künstler. Während sich Berlin streng, also preußisch, gibt, scheint München so herrlich unkompliziert zu sein. Natürlich ist auch dort nicht alles Gold, was glänzt.

Für Frauen wie Franziska von Reventlow bietet München die große Freiheit, auch wenn die mittellose Lebenskünstlerin ihren Lebensunterhalt manchmal auch im Bordell verdienen muss. Man trifft sich, feiert, liebt Frauen und Männer gleichermaßen, malt, dichtet oder politisiert - der Aufbruch in die Moderne scheint nicht aufzuhalten zu sein. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges lässt zunächst noch die Puppen tanzen, das Ende 1918 ist bitter.
Wir begegnen zahlreichen literarischen Größen wie Frank Wedekind, Hedwig Pringsheim und ihrem zukünftigen Schwiegersohn Thomas Mann oder Rainer Maria Rilke. Auch die bildende Kunst ist mit klingenden Namen wie Wassily Kandinsky oder Gabriele Münter vertreten.
Es ist Platz für die Frauenrechtlerinnen wie Anita Augspurg sowie Anarchisten wie Erich Mühsam. Daneben wird dem Spiritismus Platz eingeräumt bis man ihn als Talmi entzaubert.
Stefan Bollmanns Buch bietet einen spannenden Einblick in diese Aufbruchsstimmung, einem Kaleidoskop ähnlich, das nie oberflächlich bleibt, sondern auch die Schattenseiten zeigt.

Fazit:

Diesem faszinierenden Spaziergang durch die Kulturgeschichte der Boheme Münchens um die Jahrhundertwende gebe ich 5 Sterne.

Bewertung vom 07.02.2024
Die Schwabinger Morde / Fräulein Anna, Gerichtsmedizin Bd.2
Aicher, Petra

Die Schwabinger Morde / Fräulein Anna, Gerichtsmedizin Bd.2


ausgezeichnet

Anna Zech ist nun unverzichtbare Assistentin in der Münchener Gerichtsmedizin, zumal im August 1914 der Große Krieg begonnen hat, und die ersten Männer, darunter auch einer der Gerichtsmediziner einrücken. Noch ist die Euphorie groß und die meisten glauben, in wenigen Monaten wieder zu Hause zu sein. In diesen Wochen häufen sich die Kindstötungen und Selbstmorde von ledigen Frauen. Doch das Neugeborene, das auf dem Sektionstisch liegt, ist bei der Geburt gestorben. Die dazugehörige Mutter wird gesucht, denn

»Auch die Aussetzung eines Kinds ist schließlich strafbar. Die Zahl der Kindstötungen steigt in letzter Zeit leider an. Weil die Männer im Krieg sind, wissen viele Frauen anscheinend kaum noch, wie sie die Kinder ernähren sollen, die sie haben. Geschweige denn, wie sie ein weiteres Mäulchen stopfen könnten, das sie noch dazu daran hindert, eine Stelle anzunehmen. Das wird in den nächsten Monaten sicher noch schlimmer werden.« Er lächelte bitter. »Einmal ganz abgesehen davon, dass sicher viele Verlobte in der Nacht, bevor sie sich den Tornister auf den Rücken schnallten, von ihren Mädchen zärtlichen Abschied genommen haben. Mit manchen unerwünschten Folgen.«

Anna und der Journalist Fritz Nachtwey mit seinem adeligen Doppelleben beginnen zu recherchieren und stoßen wenig später auf den vermeintlichen Selbstmord eines jungen Mädchens, just in dem Gebäudekomplex, in dem zuvor der tote Säugling gefunden worden ist. Und ausgerechnet der Mann, der vielleicht Licht ins Dunkel bringen könnte, ist tot. Je tiefer sie in die Geschichte eindringen, desto mehr Geheimnisse kommen an den Tag.

Meine Meinung:

Dieser zweite Fall für Anna und Fritz hat mir sehr gut gefallen. Autorin Petra Aicher zeichnet ein ziemlich realistisches Bild von München dieser Zeit. Vor allem in Schwabing hat sich neben den Arbeitern ab der Jahrhundertwende eine bunte Künstlerszene entwickelt, in der auch unkonventionelles Leben möglich ist. In dieses ist ein zweiter Handlungsstrang eingebettet, der die Ablehnung von gleichgeschlechtlicher Liebe thematisiert. Ein auch für die Polizei nicht näher greifbarer Geheimdienst sammelt Informationen zu homosexuellen Männern, verfolgt sie nach §175 und lässt ihnen rasch ihre Einberufungsbefehle zustellen. Auch politisch Auffällige, wie erklärte Sozialisten und Kommunisten werden in die geheime Kartei aufgenommen. Dafür sind zahlreiche Spitzel angeworben, die es mit ihren Anzeigen auch übertreiben, um von ihren eigenen kriminellen Machenschaften abzulenken. Diesmal hält der Fall den Leser durchgehend in Atem. Ich hatte recht schnell einen Verdacht, wer der Drahtzieher der Ereignisse sein könnte. Es werden einige falsche Spuren gelegt und erst nach und nach fügen sich die Puzzleteile zueinander.

Die Hauptfiguren dürfen sich weiterentwickeln. Schmunzeln musste ich, als Fritz nun im Auftrag der Polizei mit dem Gendarmen Martin Stöttner nach Berchtesgaden fahren darf. Auch im Leben von Fritz ändert sich einiges. So steigt Christiane von Arnsberg, die Witwe seines besten Freundes Heinrich, in die Geschäftsführung seiner Zeitung ein. Da könnten sich noch einige Konflikte aber auch Chancen entwickeln. Daneben kümmert sie sich um Anna Schwester Franziska, was Anna so gar nicht recht ist. Aber, Geld regiert die Welt und wer keines oder zu wenig davon hat, ist leicht zu überreden. Wir werden sehen, welche Hintergedanken Christiane hegt, die für die damalige Zeit sehr fortschrittliche Ideen hat.

Weiters dürfen wir historisch belegten Personen wie Erich Mühsam begegnen. Wer mehr über München und Schwabing um die Jahrhundertwende sowie über die illustre Gesellschaft erfahren möchte, dem sei das Buch „Zeit der Verwandlung“ von Stefan Bollmann empfohlen.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem zweiten Band aus der Reihe „Fräulein Anna, Gerichtsmedizin“, der mich bestens unterhalten hat, 5 Sterne.

Bewertung vom 05.02.2024
Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah
Cho, Nam-joo

Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah


gut

Nachdem die südkoreanische Autorin Cho Nam-Joo mit "Kim Jiyoung, geboren 1982" einen Bestseller geschrieben und in ihrer Heimat eine neue feministische Bewegung ausgelöst hat, werden nun auch ihre anderen Werke übersetzt. Letztes Jahr habe ich „Miss Kim weiß Bescheid“ gelesen und ich war nun auf "Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah" gespannt.

Das Buch hat mich ein wenig zwiegespalten zurückgelassen. Einerseits wird Go Manis Familie als arm beschrieben, andererseits besitzt sie Haus und Grund. Auch wenn das Haus sehr klein ist, bildet es doch ein Vermögen. Warum es so erstrebenswert sein soll, in eine Wohnung in einem Hochhaus zu ziehen, erschließt sich mir nicht ganz. Ja, eine solche Wohnung hat bestimmt mehr Komfort (Stichwort Sitztoilette).

Go Manis Mutter wird als zurückgeblieben beschrieben, weil sie keiner bezahlten Beschäftigung nachgeht. Doch sie scheint eine gewisse Bauernschläue zu haben. Wie könnte sie sonst das Schulgeld für ihre Tochter auftreiben?

Die Geschichte wird nicht chronologisch erzählt. Immer wieder gibt es Zeitsprünge. Die Charaktere erschließen sich mir auch nicht wirklich, da ich mich mit der asiatischen Mentalität nicht gut auskenne.

Von Menschen, die ihre Arbeit verlieren und das aus Scham verschweigen, habe ich schon mehrmals gehört. In meinem erweiterten Bekanntkreis gab es ein Ehepaar, dessen Mann ebenfalls gekündigt worden ist und der täglich mit der Aktentasche unter dem Arm die Wohnung verlassen hat, um den Schein in die Arbeit zu gehen, für seine Frau und die Nachbarn aufrechterhalten hat. Die beiden sind nach einiger Zeit aus Wien weggezogen.

Fazit:

Diesem nüchternen Roman über Armut und verlorene Träume, der sich so oder ähnlich auch in einem europäischen Sozialbau abgespielt haben könnte, gebe ich 3 Sterne.

Bewertung vom 05.02.2024
Geteilte Träume / Kinderklinik Weißensee Bd. 4
Blum, Antonia

Geteilte Träume / Kinderklinik Weißensee Bd. 4


ausgezeichnet

Wie der Untertitel „Geteilte Träume“ andeutet, spielt dieser Abschlussband im Berlin der ersten Nachkriegsjahre.
Die Ärztin Marlene und ihrem Mann Maximilian ist es gerade noch rechtzeitig vor der Verhaftung durch die sowjetische Besatzung gelungen, in den alliierten Teil Berlins zu flüchten, da man ihnen vorwirft, als adelige Großgrundbesitzer mit den Nazis kollaboriert zu haben. Als dann Maximilian an einem Herzinfarkt stirbt, bricht Marlenes Welt endgültig zusammen. Marlene und ihre Schwester Emma leben nun jeweils im anderen Teil Berlins und haben sich nichts mehr zu sagen. Die Politik hat das zuvor innige Verhältnis der Schwestern nachhaltig zerrüttet.

Das Kinderkrankenhaus Weißensee steht nun unter sowjetischer Führung und Emma, die schon früher den sozialistischen Ideen nahe gestanden ist, ist dort Pflegeleiterin. Nun soll ihre Tochter Elisabeth „Lissy“ als Ärztin in der Kinderklinik beginnen.

Wenig später häufen sich die Fälle von Kinderlähmung, einer Krankheit, die auch Lissy in ihrer Kindheit betroffen hat und die sie nur mit eiserner Disziplin überwunden hat.

Obwohl der sowjetische Klinikleiter ständig das Kollektiv lobt, das die Klinik ohne entsprechende Mittel und Medikamente betreibt, ist es doch das Engagement von Emma, das den Betrieb des Krankenhauses mithilfe ihres Improvisationstalentes sowie ihrer Bekannten aufrechterhält.

Meine Meinung:

Antonia Blum ist es sehr gut gelungen, die Zustände im Berlin kurz vor der Gründung der DDR darzustellen. Zunächst sind alle froh, den Krieg überlebt zu haben. Man wartet noch auf den einen oder anderen Heimkehrer. Als sich die Lage im sowjetischen Sektor Berlins nicht ganz so entwickelt wie gehofft, beginnt es Emma und Kurt langsam zu dämmern, dass sie eine Diktatur gegen eine andere getauscht haben. Man droht den beiden mit einschneidenden Konsequenzen, die auch Lissy betreffen, wenn Kurt das Schreiben kritischer Zeitungsartikel nicht sofort einstellt.

Die Epidemie der Kinderlähmung ist nicht nur in Deutschland aufgetreten, sondern auch in Österreich. In meinem persönlichen Umfeld kenne ich einige, die daran erkrankt sind. Die Mutter und Tante meiner Freundin (Jahrgang 1938 und 1939), ein Bürokollege (Jahrgang 1939) und meine Cousine (Jahrgang 1948). Alle vier Betroffenen haben unterschiedlich schwere Beeinträchtigungen davongetragen.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem gut gelungenen Abschluss dieser Reihe rund um die Schwestern Marlene und Emma 5 Sterne.

Bewertung vom 03.02.2024
Mama Odessa (eBook, ePUB)
Biller, Maxim

Mama Odessa (eBook, ePUB)


gut

Im Mittelpunkt dieser Familiengeschichte steht der Schriftsteller Mischa Grinbaum, Sohn bzw. Enkel einer russisch-jüdischen Familie. Die Familie Grinbaum durfte, wie zahlreiche andere, 1971 aus der UdSSR ausreisen. Allerdings blieb Jaakow Gaikowitsch Katschmorian, Mischas Großvater zurück. Natürlich sind Literatur und das Schreiben Themen, doch vor allem geht es um die Konflikte in Eltern-Kind-Beziehungen, um Familiengeheimnisse und der Geschichte der Juden in Russland.

Meine Meinung:

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich bin mit diesem Buch nicht richtig warm geworden. Die Ankündigung des Verlages, einen Roman von „großer Leichtigkeit“ vor sich zu haben, hat sich meiner Meinung nach nicht erfüllt. Vielmehr machen sich enttäuschte Hoffnungen und komplizierte Familienstrukturen breit. Als Wienerin kann ich mich an die Zeit, Anfang der 1970er-Jahre erinnern, in denen zahlreiche orthodoxe Juden auf ihrem Weg nach Israel in Wien gestrandet sind.

Ein wenig erinnert der Schreibstil an ein Tagebuch, das allerdings nicht chronologisch geschrieben ist. Der Roman erzählt von enttäuschten Hoffnungen, denn eigentlich wollte Gena Grinbaum, Mischas Vater, nach Israel auswandern. Doch die Familie kommt nur bis Hamburg und findet im Grindelviertel eine neue Bleibe, ohne zu wissen, dass sie auf den Spuren der ehemals blühenden jüdischen Gemeinde Hamburgs wandeln.

Der historische Teil, in dem das Nazi-Massaker an den Juden von Odessa 1941, dem der Großvater wie durch ein Wunder entkommt, und ein KGB-Giftanschlag auf Gena, der allerdings seine Ehefrau trifft, ist recht gut erzählt.

Fazit:

Dieser Roman hat mich leider nicht wirklich gepackt, daher nur 3 Sterne.

Bewertung vom 03.02.2024
Die Spiele
Schmidt, Stephan

Die Spiele


gut

Dieses Buch ist kein typischer Krimi im Sinne von Opfer-Täter-Ermittler-Aufklärung, sondern ein Politik-Krimi, dessen Vorgeschichte bis in die ehemalige DDR reicht.

Was ist passiert?

Im Dunstkreis um die Vergabe der Olympischen Spiele von 2032 wird der deutsche Enthüllungsjournalist Thomas Gärtner von der Polizei in Shanghai des Mordes an dem Charles Murandi, seines Zeichens IOC-Funktionär aus Mosambik, bezichtigt. Gärtner hat Gedächtnislücken, doch ein Video zeigt ihm beim Verlassen von Murandis Hotelzimmer.

Der Ermittler Frank Luo will (oder muss?) den Fall so schnell wie möglich zu einem Abschluss bringen und die Wahrheitsfindung spielt wenig Rolle.

Meine Meinung:

Autor Stephan Schmidt hat sich in diesem Krimi zweier heißer Eisen angenommen. Zum einen die höchst undurchsichtigen Auswahlverfahren und Zuschläge für Großveranstaltungen wie Olympische Spiele und/oder Weltmeisterschaft und Ähnliches. Das zweite heiße Eisen sind die Machenschaften der ehemaligen DDR, die Gastarbeiter hauptsächlich aus Vietnam und Mosambik (und anderen Ländern) geholt hat, sie schuften hat lassen, und sie nach Ablauf der Arbeitsverträge, wieder in ihre Heimatländer abgeschoben hat, nicht ohne die Arbeiter, um Teile ihres Einkommens geprellt zu haben.

Die Charaktere sind fast alle ziemlich undurchsichtig. Der Journalist Gärtner macht da keine Ausnahme. Eine besonders eigenartige Rolle spielt der Ermittler Frank Luo, dessen Gedanken hauptsächlich um sein exzessives Sexleben kreisen. Dieses bringt die Handlung überhaupt nicht weiter und deshalb finde ich es unnötig, dem einen solch breiten Raum in dem Krimi einzuräumen. Sex sells nicht nimmer.

Wir Leser werden in Rückblicken in die komplexen Handlungsstränge eingeführt, doch das Ende wirkt ein wenig überhastet. Der wirkliche Mörder scheint davon zukommen, während Gärtner als Bauernopfer lebenslang bekommt.

»Thomas Gärtner ist kein Mörder und kein Spion. Wir werden weiterhin mit allen journalistischen Mitteln daran arbeiten, die Hintergründe des Falles aufzuklären und unseren Mitarbeiter freizubekommen.« (S. 324)

Obwohl der Krimi reine Fiktion ist, treten die vormalige Kanzlerin Angela Merkel und zahlreiche andere deutsche Politiker ziemlich prominent auf. Das irritiert ein wenig.

„Alle real existierenden Personen in diesem Roman, auch die Bundeskanzlerin, wurden von mir frei erfunden. Bei den anderen Figuren hingegen habe ich mich eng an die Vorgaben meiner Fantasie gehalten.“ (Stephan Schmidt im Nachwort).

Gut gefällt mir die Angabe der Quellen, aus denen sich der Autor inspirieren hat lassen. Das interessiert mich.

Das Cover ist mir ins Auge gestochen. Der Titel kann in mehrfacher Hinsicht interpretiert werden: Die Olympischen Spiele als solches, die Spielchen darum herum, die politischen Spielchen, die diversen Politiker von Ost und west spielen. Vielleicht haben auch Murandi und Gärtner zu hoch gepokert und verloren.

Fazit:

Die Ideen zu diesem Politik-Krimi haben mir gut gefallen, die Umsetzung eher weniger, daher gibt es nur 3 Sterne.