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sleepwalker

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Insgesamt 501 Bewertungen
Bewertung vom 08.09.2020
#BlackLivesMatter
Khan-Cullors, Patrisse;bandele, asha

#BlackLivesMatter


ausgezeichnet

Patrisse Khan-Cullors, die Co-Autorin des Buchs „#blacklivesmatter“ ist die Mitbegründerin der gleichnamigen Bewegung, die es nicht erst seit der Ermordung von George Floyd im Mai 2020 gibt, sondern die schon 2013, nach der Ermordung des 17jährigen Schülers Trayvon Martin, ins Leben gerufen wurde. Schon damals hatten sich Menschen vernetzt, die die Zustände nicht länger hinnehmen wollten, einen fairen, gleichberechtigen Umgang zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarben forderten.
Das Leben von Patrisse Khan-Cullors war seit ihrer Kindheit geprägt von (strukturellem) Rassismus. Ihre Familie wurde (wie so viele andere) immer wieder Opfer von Rassismus, Polizeigewalt und Polizeiwillkür, in der Folge musste die Familie mit den Traumata ihrer Lieben klarkommen. Wie vermutlich die meisten Menschen, hatte ich keine Ahnung, was Rassismus wirklich bedeutet. Was Polizeiwillkür wirklich heißt. Erschossen werden zu können, wenn man falsch abbiegt. Oder einfach so verhaftet werden zu dürfen, im Gefängnis Folter und Brutalität zu erleben. Wieso? Weil die Polizisten Lust darauf und Spaß daran hatten.
Dass es Rassismus gibt, was Rassismus dem Wortlaut nach ist – das wusste ich alles. Was Rassismus aber wirklich für Betroffene, Freunde und Familie bedeutet und bedeuten kann, das schildert die Autorin sehr deutlich, vor allem den „Umgang“ weißer Polizisten mit schwarzen Mitbürgern. Ja, denn eigentlich sind sie das auf dem Papier: MITbürger. Behandelt werden sie außerhalb der Gefängnisse oftmals wie Freiwild und, erst mal hinter Gittern, oft auch wie Sklaven und werden, zum Beispiel, als Feuerwehrleute in vorderster Front an die Flammen geschickt. Psychologische und psychiatrische Probleme, wie sie oft bei ehemaligen Soldaten auftreten (PTBS, Suchterkrankungen usw.) werden in Gefängnissen oft nur sehr unzureichend behandelt und bei schwarzen Straftätern nicht als Haftmilderungs- oder Haftausschlussgrund anerkannt.
Willkürliche Angriffe auf Schwarze, die viel zu oft tödlich enden, Folter und Misshandlungen auch in Gefängnissen und allgemeine Diskriminierung beispielsweise bei Arbeitsplätzen, Wohnungen und auch den Bildungschancen sind Themen, die Patrisse Khan-Cullors in ihrem Buch aufgreift. Vieles aus zweiter Hand, vieles hat sie aber selbst erlebt, nicht zuletzt durch die Erfahrungen ihres Bruders Monte und ihres (leiblichen) Vaters Gabriel. Und Diskriminierung gibt es nicht nur Menschen anderer Hautfarbe gegenüber – auch LGBTQ+-Menschen werden diskriminiert. Das greift die Autorin, die selbst queer ist, ebenfalls auf.
Ein schreckliches Buch, aber ein sehr gutes und wichtiges Buch. Pflichtlektüre für jeden, den die Bewegung #blm interessiert und der wissen möchte, was dahintersteckt. Eindrücklich und bedrückend geschrieben und nicht nur einmal musste ich es beiseitelegen und durchatmen, manchmal musste ich mir auch übers Gesicht wischen. Es rüttelt auf, macht wütend und traurig. Selbst im Jahr 2020 müssen Menschen um Leib und Leben fürchten, weil andere sich für überlegen und „besser“ halten? Für mich unfassbar! Das Buch hinterließ bei mir einen tiefen und bleibenden Eindruck – und leider auch eine gewissen Angst vor der Zukunft und um meine Freunde und Bekannte. Denn nicht nur in den USA läuft etwas grundlegend schief. Black lives matter! All lives matter! Die Opfer brauchen eine Stimme, denn, wie die Autorin schreibt: „Sie werden auf eine Weise schweigen, wie man das von Vergewaltigungsopfern kennt.“ Von mir klare 5 Sterne und keine Lese-Empfehlung, sondern sogar eine Aufforderung.

Bewertung vom 04.09.2020
Patient Null - Wer wird überleben?
Kalla, Daniel

Patient Null - Wer wird überleben?


ausgezeichnet

Daniel Kalla, Autor von „Patient Null“, weiß, wovon er schreibt. Er ist selbst studierter Mediziner und ausgebildeter Notarzt. Sein Thriller ist daher erschreckend realistisch, fachlich einwandfrei – und dazu auch noch packend und gut geschrieben.
Aber von vorn. In Italien wird eine baufällige Abtei abgerissen und noch während die Bauarbeiten in Gange sind, werden Menschen krank. Schwer krank. Todkrank. Sie haben die Pest. Alana Vaughn der Expertin für Infektionskrankheiten bei der NATO, der italienische Arzt Nico Oliva versuchen, der Seuche mithilfe des WHO-Epidemiologien Byron Menke und der Zoologin Justine Williams Herr zu werden. Eines ist von Anfang an klar: wie vor Hunderten von Jahren wird auch hier die Krankheit durch Rattenflöhe verursacht. Und wie damals ist sie tödlich, denn der aktuelle Pest-Stamm yersinia pestis orientalis scheint gegen Antibiotika teilweise resistent zu sein. Und die Krankheit breitet sich schnell aus. Und nach und nach wird klar, dass jemand ganz gezielt die Erreger „verteilt“.
Vor allem wegen der aktuellen Corona-Pandemie ist dieses Buch mehr als nur ein Medizin-Thriller. Er zeigt auch die psychologische Komponente (wenn auch nicht allzu vertieft) einer solchen Krankheitswelle. Waren es damals die Juden, die für die Pest verantwortlich gemacht wurden, so sind es heute Muslime, die in den Augen „besorgter Bürger“ die Schuld tragen. Kommt mir sehr bekannt vor, dieses Szenario.
Die Charaktere fand ich allesamt sehr gut gezeichnet, die Schauplätze sind ebenfalls anschaulich beschrieben und ich konnte ich mir alles ziemlich gut vorstellen. Die Geschichte an sich ist erschreckend realistisch und aktuell, sehr spannend und gut geschrieben. Durch die Verflechtung des Jetzt-Handlungsstranges mit Tagebüchern von der Pestepidemie im 14. Jahrhundert am selben Ort schafft der Autor eine ganz spezielle Atmosphäre – man fühlt sich als Leser in beiden Zeitebenen ein bisschen zuhause.
Mich hat das Buch von der ersten Zeile an gefesselt, wie schon seinerzeit „Outbreak“ oder „Toxin“ von Robin Cook oder natürlich „Die Pest“ von Albert Camus. Von mir eine absolute Lese-Empfehlung und 5 Sterne.

Bewertung vom 04.09.2020
Wings of Silver. Die Rache einer Frau endet nie / Golden Cage Bd.2
Läckberg, Camilla

Wings of Silver. Die Rache einer Frau endet nie / Golden Cage Bd.2


ausgezeichnet

Nachdem mich der Vorgänger-Band „Golden Cage“ enttäuscht hatte, habe ich „Wings of silver. Die Rache einer Frau ist schön und brutal“ von Camilla Läckberg eine Chance gegeben. Faye lebt, nachdem sie im ersten Teil ihren ex-Mann ins Gefängnis gebracht hat, mit Mutter, Tochter und bester Freundin in Italien, hält 10% an der aus Rache gegründeten Firma „Revenge“ und könnte eigentlich ein sorgenfreies und unentdecktes Leben abseits von allem, vor allem weit weg von schwedischen Touristen, führen. Aber jetzt versucht jemand, den Spieß umzudrehen: just in dem Moment, als Faye mit ihrer Firma expandieren will, werden große Mengen ihrer Aktien verkauft und Revenge droht plötzlich eine feindliche Übernahme. Und damit nicht genug, denn Fayes ex-Mann Jack ist aus dem Gefängnis ausgebrochen.
Im Vergleich zum ersten Band fand ich den zweiten um Klassen besser. Ich habe ihn in kürzester Zeit verschlungen und fand ihn zum Teil atemberaubend spannend. Interessant (und eigentlich für das Verständnis des ersten Teils eigentlich nicht unwichtig) fand ich die Rückblicke auf Fayes Kindheit und Jugend, denn sie lassen den Leser ein bisschen hinter die Fassade schauen. Faye ist ein interessanter Charakter, wenn auch mir nicht sehr sympathisch. Ihre (ebenfalls aus dem ersten Band bekannte) Freundin Kerstin bekommt in diesem Teil etwas weniger Raum, sie scheint aber wesentlich netter. Aber alles in allem sind die Hauptcharaktere klar dargestellt, die Nebencharaktere bleiben allerdings eher blass.
Sprachlich fand ich das Buch dicht und rasant geschrieben, flott zu lesen und den Spannungsbogen nahezu konstant hoch. Für mich verlor die Geschichte nur bei den Sex-Szenen an Spannung, die hätte es meiner Meinung nach nicht gebraucht. Im Gegensatz zum ersten Teil fand ich das Buch enorm spannend, richtig gut zu lesen und es machte mir Lust auf mehr. Das eigentliche Ende der Geschichte ist stimmig und setzt einen passenden Schlusspunkt, aber eine Kleinigkeit bleibt offen, was auf eine weitere Fortsetzung schließen lässt. Von mir 5 Sterne.

Bewertung vom 02.09.2020
Hypochonder leben länger
Hein, Jakob

Hypochonder leben länger


weniger gut

Ein unterhaltsames Buch über sein Leben als Psychiater zu schreiben, das war wohl die Intention von Jakob Hein mit seinem Buch „Hypochonder leben länger“. Teilweise hat er es auch geschafft, teilweise aber auch nicht. Er schildert, unterfüttert mit Geschichten aus seinem professionellen Alltag, seine Arbeit, die Probleme und Freuden, die sie mit sich bringt, vom Studium angefangen bis hin zur Selbstständigkeit. Außerdem schreibt er über einige fachtheoretische Aspekte seiner Arbeit. So weit, so interessant. Aber leider schafft der Autor für mich den Spagat zwischen Fach- und Unterhaltungsbuch nicht wirklich, er rutscht mal in die eine, mal in die andere Richtung, was mich als Leser manchmal etwas unbefriedigt zurückließ. Zwar spricht er den Leser immer wieder direkt an (er siezt ihn auch sehr höflich), aber trotzdem fand ich mich bei dem Buch außen vor.
So befindet er sich beruflich ebenfalls in einem Spagat aus Arzt, Zauberkünstler und Orakel. Seit über 20 Jahren ist er als Kinder- und Jugendpsychiater selbstständig und scheint, so kann man es aus dem Buch herauslesen, mit seinem Beruf zufrieden und glücklich zu sein. Allerdings werden auch kritische Zwischentöne laut und immer wieder kam bei mir während der Lektüre die Frage auf, was mir der Autor mit dem Buch eigentlich sagen will. Wie schwer sein Beruf ist? Ja, es ist an manchen Stellen schon ein bisschen Gejammer herauszulesen. Und dazwischen für mich leider kaum Neues, außer vielleicht, dass er als Psychiater auch Zahnschmerzen behandeln dürfte („Interessanterweise dürften wir Psychiater aufgrund der sogenannten Kurierfreiheit auch zahnärztliche Behandlungen vornehmen“). Das gruselte mich dann doch sehr.
Interessant fand ich seinen (leider sehr kurzen) Exkurs zu Hochbegabung und Hypersensibilität, seine Ausführungen über Placebo und Nocebo und die Tatsache, dass Psychiater oft auf Vorurteile und Ressentiments stoßen (dass sie alle „einen an der Klatsche haben“), Hypochonder tatsächlich länger leben (weil sie öfter zum Arzt gehen) und in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Menschen „wie Sie und ich“ herumlaufen, war mir alles nicht neu. „In jedem Fall finde ich meine Patientinnen und Patienten nicht unnormal“ – das will ich doch wohl hoffen! Schließlich wird seit Jahrzehnten gegen die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen gekämpft! Aber seine Abneigung gegen Prominente bringt er auf jeden Fall sehr deutlich und mehrfach zum Ausdruck.
Das Buch zeigt ehrlich die Probleme, aber auch die Chancen der Psychiatrie auf. Allerdings fand ich es nur leidlich interessant, aber weder unterhaltsam oder gar lustig. Als Grundlage für interessierte Leser sicher geeignet, für diejenigen, die schon grundlegendes Wissen haben ist es zu seicht und zu kurz gegriffen. Sprachlich fand ich das Buch nicht schlecht, aber ganz sicher auch nicht gut. „In den Zeitschriften gab es Berichte von Experten, die allein aus der Körperhaltung, in welcher ein Mensch im Bett schläft oder wie er sich einen Kaffeekrümel von der Lippe zupft, ablesen konnten, welche sexuellen Fantasien der Krümelzupfer zu verbergen suchte“ – was muss man beim Kaffeekochen denn alles falsch gemacht haben, damit man Kaffeekrümel an der Lippe hat? Und das war leider nicht die einzige unlogische Passage. Wenn das Buch abgesehen von diesen Holprigkeiten wenigstens Informationswert gehabt hätte, hätte ich von Herzen gern mehr als 2 Punkte gegeben, so bleibt es aber leider dabei.

Bewertung vom 02.09.2020
Sandner, Carolin

"Hauen Sie sich auf die Flöte und singen Sie!" Einblicke in den Alltag einer Logopädin


ausgezeichnet

„Hauen Sie sich auf die Flöte und singen Sie“ – wen würde der Titel des Buchs von Carolin Sandner nicht neugierig machen? Und da ich über den Alltag einer Logopädin ohnehin so gut wie nichts wusste, bot sich die Lektüre geradezu an. Und ich wurde nicht enttäuscht.
Alles in allem ist das Buch eine mehr oder weniger beliebige Aneinanderreihung von Anekdoten aus Carolin Sandners beruflichem Alltag. Daher kann ich auf den Inhalt hier auch gar nicht wirklich eingehen. Von Schlaganfallpatienten, MS- oder ALS-Kranken, Menschen mit Parkinson oder Kieferfehlstellungen – alle sind beim Logopäden gut aufgehoben, denn Logopäden können so viel mehr als Lispeln oder Stottern behandeln. Die Autorin beschreibt bildhaft, manchmal zu bildhaft, die Menschen und die Krankheitsbilder, mit denen sie es zu tun hat. Zu bildhaft fand ich nämlich manchmal negative Aspekte beschrieben, vor allem, wenn es um Übergewicht oder, ganz besonders, um Körperausdünstungen geht. Natürlich ist es nicht angenehm, wenn der Gegenüber schlecht riecht, allerdings gehört das zum Leben und ich fand die Beschreibungen der Autorin manchmal herablassend, fast arrogant. Eines muss man allerdings sagen: sie hat (zumindest laut der Geschichten) nie jemanden im Regen stehen lassen. Jeder bekam seine Therapie – wenn auch nicht unbedingt von ihr.
Aber alles in allem fand ich das Buch eine gelungene Mischung aus Hintergrundwissen über Krankheiten und Störungen, die Menschen zum Logopäden bringen und Geschichten, die das (Berufs-)Leben so schreibt. Und wirklich überrascht hat mich, was alles zur Logopädie-Ausbildung gehört, denn „Neurologie/Psychiatrie, Phoniatrie einschließlich Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Audiologie und Pädaudiologie, Berufs-, Gesetzes- und Staatsbürgerkunde“ gehören ebenso dazu, wie Logopädie, die sich wiederum aus Aphasie, Dysarthrie, Dysphagie, Laryngektomie und Kindersprache zusammensetzt.
Manche Geschichten sind lustig, andere traurig und andere lassen einen mit einem Kopfschütteln zurück. Aber jede einzelne ist lesenswert und durchaus unterhaltsam. Ich habe aus diesem Buch (das eine Mischung aus Sachbuch und Kurzgeschichtensammlung ist) eine Menge neues Wissen mitnehmen können. Das Buch ist flott geschrieben, wie der Autorin der Schnabel gewachsen ist, viel Umgangssprache und Essener Platt. Charmant, wenn man es mag. Nur eines, und da geht mein Gruß an die Autorin und das Lektorat: die Übung am Stufenbarren heißt Felgaufschwung, nicht Feldaufschwung. Aber sonst fand ich das Buch sehr gut und vergebe gerne 5 Sterne.

Bewertung vom 02.09.2020
Simone de Beauvoir
Kirkpatrick, Kate

Simone de Beauvoir


ausgezeichnet

Ich gebe zu, Simone de Beauvoir kannte ich vor der Lektüre des Buchs nur deshalb, weil sie eine Beziehung zu Jean-Paul Sartre hatte, dessen Buch „Geschlossene Gesellschaft“ ich wiederum in der Oberstufe gelesen habe. Aber natürlich war Simone de Beauvoir viel mehr als „Freundin von“. Sie war selbst eine äußerst bemerkenswerte und interessante, eigenständige Persönlichkeit.
Kate Kirkpatrick hat in ihrer Biografie Simons de Beauvoirs Leben und Werk in einer ansprechenden Art beschrieben. Lesbar, verständlich und tatsächlich auch durchaus unterhaltsam, gespickt mit Fußnoten und unzähligen Querverweisen – eine gelungene Mischung aus Sachbuch und Roman.
„Beauvoirs Memoiren zufolge sagte Sartre Beauvoir im Herbst 1929, sie sei ein Doppelwesen.“ – das Gefühl hatte ich beim Lesen der Biografie immer wieder. Schon in ihrer Kindheit war Beauvoir hin- und hergerissen zwischen ihrem Wissensdurst und ihrer Rolle als katholische Tochter, „Bildung und Erfolg hätten ihr nicht nur Achtung eingebracht: Sie waren auch mit Gefühlen tiefer Einsamkeit und Orientierungslosigkeit verbunden.“ Das setzte sich später fort, als sie nach abgeschlossenen Studien versuchte, sich in der Welt und vor allem auch in der Welt der Philosophie einen Namen zu machen und sich zu emanzipieren. Ihr Bestreben war es, einen eigenen Weg zu finden und zu gehen, sich von keinem sagen zu lassen, was und wer sie sein sollte. „So sah sich Simone mit widersprechenden Erwartungen konfrontiert: Um als Frau erfolgreich zu sein, musste sie kultiviert und gebildet sein; aber nicht zu kultiviert, nicht zu gebildet“, sie wollte raus aus der Frauenrolle und sich ihrem Vater beweisen, der Schopenhauers Einstellung teilte, der Frauen als „das zweite Geschlecht“ bezeichnete und vermutete, dass „Frauen Talent haben könnten, aber niemals Genie“. Und auch in ihrer Beziehung zu Sartre war sie immer zwiegespalten.
Kate Kirkpatrick hat mit ihrem Buch ein ganz herausragendes Werk über eine herausragende Persönlichkeit geschaffen, eine Persönlichkeit, die (viel zu) lange nur als „Freundin von“ bekannt war. Manchmal ist das Buch etwas trocken und zu sachlich, die wahre Persönlichkeit Beauvoirs kann man dann eher erahnen als herauslesen. Aber alles in allem fand ich das Buch gut zu lesen, unterhaltsam und vor allem aufschlussreich. Ich habe definitiv viel daraus mitnehmen können. Über die Philosophie im Allgemeinen, Sartre und Beauvoir im Besonderen und fast noch mehr über Zeitgeist und Emanzipation. Simone de Beauvoir war so viel mehr als „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht“, denn man wird auch nicht als feministische Ikone geboren, sondern erarbeitet sich diese Bezeichnung hart und ausdauernd. Nicht nur einmal habe ich beim Lesen darüber nachgedacht, was sie wohl zur momentanen Genderdebatte wohl zu sagen gehabt hätte und zu der Aussage, dass Geschlechter nur ein gesellschaftliches Konstrukt sind. In der Diskussion hätten wir einen Geist wie ihren gut gebrauchen können.
Abgesehen von ihrer philosophischen Leistung geht die Autorin (selbstverständlich) auch auf die Beziehung Beauvoirs zu Jean-Paul Sartre ein. Sie erklärte wohl einmal einer ihrer Schülerinnen ihr Verhältnis folgendermaßen: „dass sie sich liebten, sich aber ihre Freiheit bewahren wollten, weshalb sie nicht heirateten und andere Geliebte hatten.“ Bis zuletzt lehnte sie das Konstrukt der Ehe ab, neben der Beziehung zu Sartre unterhielt sie weitere Beziehungen, darunter auch welche zu Frauen. Allerdings befürwortete sie (für mich unverständlich) die Entkriminalisierung der Pädophilie. Trotzdem schafft es die Autorin mit nüchterner und sachlicher Sprache (übrigens dankenswerterweise gendergerecht), mir Beauvoir sehr nahe zu bringen. Als Intellektuelle, als (zeit)kritische Philosophin, aber auch als Ikone des Feminismus ihrer Zeit. Eine absolute Lese-Empfehlung und von mir 5 Sterne.

Bewertung vom 28.08.2020
Ich hoffe, ich versau das! (eBook, ePUB)
Cease, Kyle

Ich hoffe, ich versau das! (eBook, ePUB)


schlecht

Kyle Cease war mir vor der Lektüre seines Buchs „Ich hoffe, ich versau das“ kein Begriff. Allerdings muss ich sagen, dass er mir auch hinterher vermutlich nicht in (guter) Erinnerung bleiben wird. Er ist Schauspieler, Comedian und inzwischen Motivationscoach und Vortragsredner. Und nach zwei Filmen und mehreren Comedy Alben hat er beschlossen, auch noch zu schreiben. Nach der Lektüre seines ersten Buchs (inzwischen hat er mit „Illusion of money“ zumindest auf englisch nachgelegt) bin ich mir nicht sicher, ob das die beste Entscheidung war und ob er nicht besser bei seinem Leisten hätte bleiben sollen.
Insgesamt konnte mich an dem Buch nichts begeistern. Der Autor ist für mich ein selbstbeweihräuchernder, selbstverliebter Selbstdarsteller. Sein Buch bietet an keiner Stelle wirklich Neues, sondern wärmt in der Hauptsache Althergebrachtes auf, noch dazu ist es nicht einmal gut geschrieben. Schon ganz zu Anfang die Aussage „Ich bin bei einem großen Verlag untergekommen, weil sie in meiner Vorstellung waren und es ihnen gefallen hat, wie ich auf die Bühne gegangen bin und dem Publikum die reine Wahrheit erzählt und es gleichzeitig zum Lachen gebracht habe.“ – wer ist denn „sie“ – die Verlage? Waren die wirklich in seiner Show? Alle?
Und es wird danach nicht wirklich besser. Holprige Sätze, viel zu triviale Aussagen, die auch noch viel zu flapsig formuliert sind, als dass man sie ernstnehmen kann – ich konnte an dem Buch nichts Tiefgründiges finden oder etwas, was ich auch nur annähernd daraus hätte mitnehmen können. Noch nicht einmal lustig finden konnte ich es. Oberflächlichkeit (wie zum Beispiel die häufige Erwähnung seines Sixpacks), Binsenweisheiten und Dinge, die nun wirklich jeder schon einmal wo anders gelesen hat, machen den Großteil des Buchs aus. Für mich ist das Buch teilweise wie eine Dauerwerbesendung und eine Enttäuschung durch und durch. 1 Stern und absolut keine Lese-Empfehlung.

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Bewertung vom 27.08.2020
Ich rede von der Cholera
Heine, Heinrich

Ich rede von der Cholera


ausgezeichnet

Heinrich Heine war ab 1831 als Journalist in Paris tätig und daher vor Ort, als dort 1832 die Cholera ausbrach. Als Journalist befasste er sich mit der Epidemie, denn er blieb auch noch in Paris, als alle, die es sich leisten konnten, die Stadt verlassen hatten. Allerdings nicht, weil er besonders mutig war, sondern, wie er sagte: „ehrlich gesagt, ich war zu faul“. So bekam er einen direkten Einblick in die Krankheit und das Sterben, das er auf wenigen Seiten schildert. Er schildert die Geschehnisse journalistisch-nüchtern und weitgehend deskriptiv, nicht wertend.
Er schreibt über Fake News (damals noch als Mundpropaganda), Panik und die Suche nach Schuldigen – mutet seltsam bekannt an. „[…]da vernahm man plötzlich das Gerücht: die vielen Menschen, die so rasch zur Erde bestattet würden, stürben nicht durch eine Krankheit, sondern durch Gift. Gift, hieß es, habe man in alle Lebensmittel zu streuen gewusst, auf den Gemüsemärkten, bei den Bäckern, bei den Fleischern, bei den Weinhändlern. Je wunderlicher die Erzählungen lauteten, desto begieriger wurden sie vom Volke aufgegriffen“. So vieles scheint sich zu wiederholen, so vieles kommt einem bei der Lektüre bekannt vor.
In Paris war die Seuche nicht ernst genommen worden, als in London, Russland und dem Baltikum schon viele Menschen daran gestorben waren. 100%ig kann man die damalige Situation zwar nicht auf die heutigen Zustände mit Corona übertragen, da hat die Medizin inzwischen zu große Fortschritte gemacht, aber dennoch zeigt das Buch einige verstörende Parallelen, vor allem bezüglich des Umgangs der Bevölkerung mit der Krankheit.
Das Büchlein (das ursprünglich ein Zeitungsartikel mit dem Titel „Französische Zustände“ war) hat es trotz der Kürze in sich, vor allem wegen der Aktualität in der momentanen Situation, auf die sich Herausgeber Tim Jung in seinem Vorwort bezieht. Es kann aufklären und aufrütteln, traurig, wütend und betroffen machen. Auf jeden Fall sollte man es dringend lesen und eventuell daraus lernen. Allerdings schreibt Heine „Angst ist bei Gefahren das Gefährlichste.“ – über vorsichtig sein und Respekt vor der Krankheit schreibt er leider nichts, dabei wäre das vermutlich – damals wie heute – der Königsweg. Von mir 5 Sterne.

Bewertung vom 27.08.2020
No Sound - Die Stille des Todes / Caleb Zelic Bd.1
Viskic, Emma

No Sound - Die Stille des Todes / Caleb Zelic Bd.1


gut

Caleb Zelic und sein bester Freund Gary Marsden arbeiten zusammen als Privatermittler. Jetzt ist Gary tot, seine Ermordung erinnert an eine Exekution. Caleb hat seine Leiche gefunden und gerät sofort in den Fokus der ermittelnden Polizisten. Hatte Gary Geheimnisse? Schließlich wurde schon früher gegen den Polizeibeamten ermittelt – damit fängt das Buch „No sound“ von Emma Viskic an. Aus dem Klappentext war klar, dass Caleb gehörlos ist, was zum ersten Mal erst am Ende des ersten Kapitels zur Sprache kommt. Das gibt dem Buch ein gewisses Alleinstellungsmerkmal gibt, denn ich kann mich nicht erinnern, schon einmal einen Thriller mit einem gehörlosen Ermittler gelesen zu haben.
Allerdings bleibt die Behinderung des Hauptcharakters das einzige Alleinstellungsmerkmal des Buchs. Insgesamt konnte es mich mit der Geschichte nicht wirklich packen. Es ist leidlich spannend, aber alles in allem kommt nichts drin vor, was man nicht schon unzählige Male wo anders gelesen hat. Stellenweise verwandelt sich der Thriller dann auch fast in einen Liebesroman rund um Caleb und seine Ex-Frau Kat, die beide sehr klar und sympathisch beschrieben werden. Die zahlreichen weiteren Charaktere bleiben, mit Ausnahme von Calebs Kollegin Frankie und ihrem Alkoholproblem, eher blass und ungreifbar, diese fand ich aber von Anfang an nicht sehr sympathisch und eher undurchsichtig.
Sehr gut ausgearbeitet finde ich Calebs Gehörlosigkeit und seine damit verbundenen Schwierigkeiten, die tatsächlich zum Teil anders geartet sind, als man sich als Hörender vorstellen kann. Unsaubere Aussprache macht Probleme beim Lippenlesen, Absetzen von Notrufen ist schwierig (man kann zwar seinen Text „aufsagen“, hört aber keine Reaktion) und „Ableismus“ und Diskriminierung sind da nur wenige Beispiele dessen, womit Menschen mit Behinderungen kämpfen müssen („McFarlane strich die Seite seines Notizbuchs glatt und malte langsam Buchstabe für Buchstabe darauf. Sehr groß, wie für ein Kind. Er unterstrich die beiden Wörter und drehte das Buch dann herum“ – Caleb ist gehörlos, lesen kann er durchaus!).
Die psychologische und soziale Komponente des Buchs konnte mich weitaus mehr begeistern als der halbgare Kriminalfall. Dabei hätte das Buch sehr großes Potenzial gehabt. Auch sprachlich habe ich daran nicht auszusetzen, es ist flüssig zu lesen und unterhaltsam, die Autorin verwendet Umgangssprache, vereinzelt auch Kraftausdrücke oder Fäkalsprache. Auf die eine oder andere Person hätte sie eventuell verzichten können, allerdings werden einige Charaktere nur eingeführt, um dann sehr schnell und gewaltsam zu Tode zu kommen. Alles in allem klappt die Umsetzung des Plots nicht so richtig wirklich gut und am Schluss schien der Autorin die Lust oder die Zeit oder beides auszugehen. Was am Anfang sehr schleppend läuft, überschlägt sich gegen Ende fast und lässt mich als Leser mit vor Spannung trockenem Mund aber dennoch ein bisschen unbefriedigt zurück. Zwar ist der Schluss stimmig aber im Vergleich zum Rest des Buchs hektisch und überstürzt. Und leider fehlt ein konstanter Spannungsbogen, da wäre also noch sehr viel mehr Potenzial vorhanden gewesen, das die Autorin leider bei weitem nicht ausschöpft. Dennoch vergebe ich für die gute Idee, die immer mal wieder aufflammende (aber dann packende) Spannung, die psycho-soziale Komponente und die nette Liebesgeschichte zwischendurch 3 Sterne.

Bewertung vom 25.08.2020
Ans Vorzelt kommen Geranien dran / Online-Omi Bd.14
Bergmann, Renate

Ans Vorzelt kommen Geranien dran / Online-Omi Bd.14


sehr gut

Rüstige Rentner auf Campingtour
Nach der Kreuzfahrt mit Gertrud muss Online-Omi Renate Bergmann der lieben Gerechtigkeit halber auch mal mit den Gläsers, also mit Ilse und Kurt, verreisen. 80 ist zwar das neue 60 und sie sind vielleicht auf der Zielgeraden ihrer besten Jahre, aber Zelten kam dann aus medizinischen Gründen (Ersatzteile im Körper, Blockaden und überhaupt: das Alter!) doch nicht infrage. Also muss ein Wohnmobil her. Auch wenn Kurt mit seinen 87 Jahren den Schlafwagen besser nicht mehr fahren sollte, er ist ja schon mit dem Koyota ein bisschen überfordert. Herr Alex wässert Katerle und die Pflanzen. Oder auch nicht. Vorsichtshalber nimmt Frau Bergmann die Geranien mit. Weil sie für teuer Geld gedüngt wurden und damit der Platz rund um den Schlafwagen hübsch und einladend wird. So auch der Titel: „Ans Vorzelt kommen Geranien dran“. Und auf geht’s.
Und weiter geht es wie man es von Renate Bergmann gewohnt ist. Sie kommt wild von Hölzchen auf Stöckchen, rauscht mit der Kirche ums Dorf und kein Thema bleibt außen vor und kein Auge trocken und muss mit einem „wo war ich“ den Rückweg zum Thema wiederfinden. Ob jetzt Anglizismen („I-Beiks“), hippe Vornamen, die nicht mal die liebenden Eltern aussprechen können („Säwännah Bijonzie“) oder dass es in der Gemeinschaftsdusche keine Duschhocker gibt – Frau Bergmann kommt nicht nur in der Gegend rund um den Campingplatz herum, sondern auch in allerlei Themen. Jedem, der mal auf einem Campingplatz war, kommt sicher das eine oder andere bekannt vor. Ein penibler Platzwart, nervige Nachbarn und das Problem mit dem Ausrichten der Satellitenschüssel auf dem Dach vom Camper – kennen Se alle, oder?
Und jeder, der mal eine Oma hatte, kennt sicher auch einiges. Mir kam es auf jeden Fall manchmal so vor, als läse ich über meine eigene Oma. Die ist inzwischen 92 und damit gut zehn Jahre älter als Frau Bergmann und nicht ganz so kultig, aber in der Familie schon irgendwie legendär. „Oma, bist du es?“ – wollte ich an manchen Stellen schon rufen. Da habe ich gelesen, dass Ilse Schlagkante in die Paradekissen macht, Frau Bergmann aber nicht. Okay, dann kann Renate Bergmann nicht meine Oma sein.
Ja, vielleicht ist das Thema mit dem 14. Band der Reihe inzwischen ein bisschen abgenutzt und der Charakter ausgereizt. Aber die Wortschöpfungen, die bissigen Kommentare und die tatsächlich vorhandene auch ernstzunehmende Kritik (Esoterik-Geschwurbel von Renates Tochter Kirsten, Anglizismen in der Sprache, dass Schokoladentafeln nur noch 90 statt 100g schwer sind und Kindernamen, die nicht mal die liebenden Eltern aussprechen können) sind immer noch erfrischend und kreativ. Ich fand das Buch obwohl es tatsächlich nicht viel Handlung (aber sehr viel Drumrum) hat, sehr unterhaltsam, locker-flockig zu lesen und manchmal musste ich herzhaft lachen. Sehr lustig auch die „Vertipper“ von Frau Bergmann (wer gerne mal die Autokorrektur nutzt, kennt dieses Problem), da wird aus naiv Navi, aus Rente Renate und der Angetraute wird mal ganz flott zum Angegrauten. In geringerer Dosierung sehr lustig, zu viel davon macht es dann eher nervig. Aber alles in allem hat mich das Buch sehr gut unterhalten, daher vergebe ich 4 Sterne.