Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
heinoko
Wohnort: 
Bad Krozingen

Bewertungen

Insgesamt 587 Bewertungen
Bewertung vom 12.04.2020
Ein Jahr voller Wunder
Burton-Hill, Clemency

Ein Jahr voller Wunder


ausgezeichnet

Ein Schatzkästchen für alle, die neugierige Ohren haben

Dieses Buch wurde zu meinem ganz persönlichen Schatzkästchen – und ich hoffe inständig, dass es das auch für alle wird, die wache Ohren haben. Clemency Burton-Hill, die Autorin, hat mich musikalisch aus meiner Komfortzone herausgeholt, hat mich zum musikalischen Entdecker gemacht, ließ mich staunen oder fast Vergessenes wiederfinden. Einen vielschichtigeren, beglückenderen, gehaltvolleren Jahresbegleiter konnte ich mir gar nicht wünschen. Allen, die bereit sind, Musik und Neugier miteinander zu verbinden, lege ich das Buch sehr, sehr ans Herz.

Die Autorin, eine preisgekrönte Violonistin, Musikjournalistin und Moderatorin eines Klassik-Radiosenders auf BBC, hat für jeden Tag des Jahres ein Musikstück ausgewählt und dazu in kurzer, erfrischender Form Wissenswertes über den Komponisten, über das ausgewählte Stück , auch ihre persönlichen Gedanken zur ausgewählten Komposition beigefügt. Dies jeweils prägnant und unterhaltsam geschrieben, mit viel Wissen und Gefühl. Obwohl ich mich als ausgebildete Konzertsängerin über viele Jahre sehr intensiv mit klassischer Musik beschäftigt hatte, begegnete mir in diesem Buch so manch Unbekanntes, Fremdes, Ungewohntes. Und ich war überrascht, wie ich beim Hören des vorgeschlagenen Tagestitels anhand des Kommentares der Autorin Zugang fand zu Musikbereichen, die sich mir bislang nicht erschlossen hatten.

Ja, der Einwand ist richtig: das Buch kann man nicht hören. Aber Sie finden alles, zugegebenermaßen in unterschiedlicher Qualität, bei YouTube. Sie müssen sich also nicht bei AppleMusic anmelden, wie vom Verlag angeregt. Die vorgeschlagenen Musikstücke oder Ausschnitte aus großen Kompositionen sind immer nur wenige Minuten lang. Und doch lang genug, um sich bei YouTube einen ersten Eindruck zu verschaffen. Es liegt an Ihnen, ob und wann Sie einen solchen ersten Eindruck vertiefen wollen. Für den 29. Dezember wird zum Beispiel das Agnus Dei von Wojciech Kilar (1932 – 2013) vorgeschlagen. Der Komponist, wie wir von Clemency Burton-Hill erfahren, war besessen von der Idee, dass in einzelnen Tönen oder in einem Zusammenklang von ausgesuchten Tönen die tiefste Weisheit läge. Lassen Sie sich ein paar Minuten in meditativer Offenheit hinwegtragen auf einem Klangteppich, der „den Blick zugleich in die Vergangenheit und in die Zukunft richtet“. Am 30. Dezember hören wir von Arthur Sullivan (1842-1900), The long day closes, einen wehmütigen Chorgesang, passend zur nachdenklichen Stimmung zum Jahresende. Oder heute, am 10. April, das Allegro aus dem Konzert Nr. 7 in F-Dur für drei Klaviere von Wolfgang Amadeus Mozart, ein Stück, „das den Tag versüsst“, wie perlender Sekt…

Ich muss mich einfach selbst wiederholen: Einen vielschichtigeren, beglückenderen, gehaltvolleren Jahresbegleiter kann ich mir nicht vorstellen. Wunderbar!

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.04.2020
Kreizkruzefix
Pfundmeier, Monika

Kreizkruzefix


weniger gut

Sprachgeschwurbsel tötet Witz und Spannung

Ein Oberammergau-Krimi wird uns versprochen und „ein Regionalkrimi mit Biss und Herz“. Tja, darauf hatte ich in der Tat gehofft, obwohl mir das Buch mit seinem spinatgrün gefärbten Schnitt schon genug Warnung hätte sein müssen.

Oberammergau, kurz vor Beginn der Passionsspiele, mitten in den Vorbereitungen und Proben. Da findet Theres Hack, grantige Metzgerin mit neumodischen Ambitionen, Sophie und Franz Thaller samt ihrem Hund getötet auf ihrem Hof. Das lässt sie, Theres, ins Visier der Ermittlungen geraten. Doch da gibt es noch ganz andere Personen, auf die die Kommissare Anton Sollinger und Toni Baurieder ihr Augenmerk richten sollten…

Das Gute zuerst: Tatsächlich wird der für den Leser überraschende Täter erst auf den letzten Seiten des Buches offenbart. Und es gibt für mich sogar einen Sympathieträger im Buch, nämlich Wolfin, eine irische Wolfshündin.
Doch ansonsten schleppen sich die Seiten so dahin, von Spannung keine Spur. Die Autorin spielt selbstverliebt mit ihrer Wortakrobatik und verliert dabei völlig aus den Augen, wie ein Krimi dramaturgisch aufgebaut werden sollte, um den Leser zu fesseln. Mit vielen Klischees und Überzeichnungen will Monika Pfundmeier Tradition und Moderne gegeneinander ausspielen, was dank der intoleranten Einseitigkeit nicht überzeugend wirkt. Leider macht das Sprachgeschwurbsel, das originell wirken soll, alles kaputt. „Der Schlaf kauerte sich irgendwo hinter den Kleiderschrank“ oder „Ein geschmiedeter Halter bettelte um eine Kerze“. Die Originalität der Sprache frisst die Lesbarkeit auf. Vielleicht sollte sich die Autorin ein anderes Genre suchen, wenn sie so große Freude an manirierten Sprachbildern hat. Für einen Krimi taugen sie jedenfalls nicht. Schade.

Bewertung vom 08.04.2020
Die Wunderkammer der Deutschen Sprache

Die Wunderkammer der Deutschen Sprache


ausgezeichnet

Eine prall volle Wundertüte

Ich gebe zu, ich bin sprachverliebt. Die oft zu hörende Verwechslung von „anscheinend“ und „scheinbar“ verursacht mir zum Beispiel regelrecht Schmerzen. Insofern war ich auf das Buch sehr gespannt. Ist es langweilig-öde? Ist es reine Wissensvermittlung? Oder was ist überhaupt eine Wunderkammer? Dass die Wunderkammer eine Wundertüte ist, prall vollgefüllt mit Sprachschätzen, war für mich eine freudige Überraschung, umso mehr, da sie dank einer gekonnten graphischen Gestaltung kein bisschen langweilig daherkommt.

Allem voran: Das ist ein Buch für viele Monate, ja länger noch, ein Buch, das man ein Leben lang immer wieder in die Hand nehmen kann und sollte. Um immer wieder aufs Neue auf Entdeckungsreise zu gehen, um sich zu amüsieren, um sich erstaunen zu lassen, um auf unterhaltsame Weise neue Achtsamkeit im Umgang mit Sprache zu erlangen. Was alles haben die beiden Autoren/Herausgeber da zusammengetragen: Über Nachtjargon in St. Pauli bis Homonyme und Homophone, über 10 Lieblingswörter von Autoren bis zur Auflistung von 55 verschiedenen Entenvögeln, über schwäbische Mundartwörter bis zu Titeln von Heftchenromanen, über Grabinschriften bis zu Schlusssätzen alter Märchen.

Wenn ich in der „Wunderkammer“ blättere, stelle ich mir den legendären Will Quadflieg vor, wie er aus dem Buch in seiner unvergesslichen Sprach-Gestaltungs-Kraft Wortschätze hervorholt und sie uns zu Ohren bringt, Diamanten und Glassteine, glitzernd oder stumpf, transparent oder bunt, mit Leuchtkraft oder erloschen – unermesslicher Reichtum der deutschen Sprache. Will Qadflieg konnte das. Das Buch kann es auch. Es ist gleichermaßen Schatztruhe, Entdeckerlandkarte, Theaterfundus, ein Dachboden voller sprachlicher Fundstücke. Genial!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.04.2020
Offene See
Myers, Benjamin

Offene See


ausgezeichnet

Ein poetisches Kleinod

Ein kleines Buch ist das. Mit einem symbolträchtigen Cover, dessen Bedeutung sich erst im letzten Drittel erschließt. Mit einem für den Umfang des Buches geradezu gewaltig festen Einband, so als müsste der zarte, der leise Inhalt unbedingt beschützt werden. Und mit einem Lesebändchen, ungewöhnlich für 260 Seiten, und doch sehr gut, denn man braucht länger für dieses Buch, nein, man sollte länger brauchen für dieses Buch. Immer wieder für ein paar Seiten eintauchen in die berauschend schöne Sprache, dann das Lesebändchen einlegen und wieder ein Stück weit, durch die Poesie gestärkt, durch den Alltag gehen. Ja, solche Leser wünscht sich das Buch.

Es ist kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Der 16-jährige Robert will nach Beendigung der Schule für ein paar Wochen ausbrechen aus seinem vorbestimmten Lebensweg. Er will für eine begrenzte Zeit Freiheit erleben, bevor er sich dem Diktat der Familie ergibt, nämlich im Kohlebergwerk unter Tage zu arbeiten, so wie Generationen vor ihm. Er macht sich zu Fuß auf quer durch England bis zum Ort seiner Sehnsucht, der offenen See. Er lebt in, er lebt mit der Natur und staunt. Für eine kleine Mahlzeit übernimmt er Hilfsarbeiten. Und wandert weiter. Bis er Ducie kennenlernt, eine eigenwillige ältere Frau, die in einem heruntergekommenen Cottage lebt. Aus einer kurzen Rast wird ein ganzer Sommer, in dem er durch Dulcie und durch die Gespräche mit ihr ihre unkonventionellen Gedanken und Ansichten und damit eine ganz unerwartet neue Sicht auf die Welt erfährt. Dulcie bekocht ihn mit Schätzen aus der Natur und aus ihrer prall gefüllten Speisekammer, Robert beginnt mit Reparaturen rund ums Haus. Als er dabei ein Manuskript mit Gedichten findet, das Dulcie gewidmet sind, reagiert diese schroff und ablehnend…

Die Sprache dieses Buches macht in ihrer Schönheit fast trunken, eine große Leistung der beiden Übersetzer übrigens. Man möchte Satz für Satz, Bild für Bild sammeln und nie mehr vergessen. Es wird erzählt von Menschen, in deren Herzen der Krieg als „toxischer Samen“ verbleibt. Robert als alter Mann, der Kunst versteht als den „Versuch, den Moment in Bernstein zu gießen“. Und mit der Gewissheit, dass „im Schweigen die Poesie liegt“. Weise Gedanken verknüpfen sich mit ausgedachten Geschichten, Reales und Erträumtes vermischen sich mit Gefühlen. „Ein gutes Gedicht bricht die Austernschale des Verstandes auf, um die Perle darin freizulegen.“ Ein poetisches, feines und kluges Buch.

Bewertung vom 06.04.2020
Tutto Bene / Lukas Albano Geier Bd.1
Di Stefano, Andrea

Tutto Bene / Lukas Albano Geier Bd.1


ausgezeichnet

Atmosphäre und Genuss pur

Wer beim Lesen eines Krimis mehr Wert auf Lokalkolorit legt, auf atmosphärische Schilderungen, auf die Vermittlung eines besonderen Lebensgefühls, und dem es weniger wichtig ist, spannende Ermittlungsarbeit eines rätselhaften Falles zu verfolgen, der hat große Freude an dem vorliegenden Buch. Hinter dem Autorennamen Andrea Di Stefano verbergen sich zwei Brüder, die ihr Pseudonym (fast) so oft wechseln wie ihre T-Shirts und die offensichtlich ein Faible haben für genussvolles Erzählen.

Lukas Albano Geier lebt in einem mittelalterlichen Turm hoch über dem Lago Maggiore. Ohne Treppensteigen geht hier nichts. Nicht bis hoch zum Turm und nicht im Turm selbst zu den einzelnen Zimmern. Lukas kann es sich leisten, seine Tage beschaulich zu verbringen, denn er hatte mit seiner Band einen weltweit erfolgreichen Sommerhit gelandet und daraufhin seinen Job als Zeugenschützer und Erfinder von konstruierten Lebensläufen in München aufgegeben. Doch mit genau dieser Vergangenheit wird er ungewollt konfrontiert, als eine Tote aufgefunden wird, auf deren Arm seine Telefonnummer geschrieben steht..

Zu diesem Buch fällt mir das Wort „Genusslesen“ ein. Denn es ist ein Genuss, sich lesend verführen zu lassen in die wunderschöne Gegend rund um den Lago Maggiore, in eine Art Urlaubsfeeling, in ein Lebensgefühl ohne Eile, mit Zeit für Straßencafés und Wein und Muße. Durch die atmosphärisch dichten Schilderungen meint man als Leser, direkt mit allen Sinnen die Fülle an Farben und Gerüchen aufzunehmen, die Hitze des Tages, die Kühle der Nacht auf der Haut zu spüren. „Der Lago Maggiore ist die Heimat der Sehnsucht.“ Der Schreibstil gefällt mir sehr gut. Er ist klar und bildstark. Hinter den lapidar daherkommenden Sätzen stecken herrlicher Humor und feine Sensibilität gleichermaßen. Und enorm viel Musikverständnis obendrein. Das einzige, das etwas zu kurz kommt, ist die Spannung, die nur gelegentlich aufblitzt. Mir hat sie jedoch nicht gefehlt. Mir hat das Buch ausnehmend gut gefallen.

Bewertung vom 03.04.2020
Die Maske der Schuld
Wind, Jennifer B.

Die Maske der Schuld


ausgezeichnet

So, genau so soll ein Thriller sein!
Von Band 1, Die Maske der Gewalt, war ich begeistert. Von dem jetzt vorliegenden Band 2, Die Maske der Schuld, bin ich noch begeisterter. Oder ich sage es ganz anders: Es ist für eine passionierte und anspruchsvolle Leserin wie mich unfassbar wohltuend, wenn bei einer Autorin wie Jennifer B. Wind Intelligenz, Kreativität und Sensibilität zusammen kommen. Dies wurde mir bei Band 2 noch mehr bewusst als beim ersten Band.
Nur ganz kurz zum Inhalt: Aus der Donau wird eine Leiche gefischt, die erhebliche Verletzungen, insbesondere am Schädel, aufweist. Richard Schwarz vom LKA kennt den Toten. Je mehr er in die Ermittlungen eintaucht, umso mehr erkennt er die Gefährlichkeit des Gegners. Die Pharmaindustrie, ominöse Wunderheiler und seine eigene Vergangenheit bringen Richard Schwarz zunehmend an seine Grenzen. Denn der Mörder ist felsenfest überzeugt von der Richtigkeit seines Handelns und lässt sich mit nichts davon abbringen.
Der Thriller ist fesselnd und perfekt durchkomponiert, der Spannungsbogen bleibt durchweg hoch, sodass man durch die Seiten jagt. Kurze Szenenwechsel, mitunter gemeine Ciffhanger, überraschende Wendungen, viel wörtliche Rede und gelegentlich aufblitzender Humor zeigen die ganze Bandbreite der Kunstfertigkeit der Autorin. Was mir hier in Band 2 besonders auffällt und was ich als sehr gewinnbringend empfinde, sind die mitunter eingeschobenen sachlichen Informationen, wie z. B. zum Thema Multiple Sklerose oder Cybercrime. Dass die Autorin mit viel Sachverstand und fleißiger Recherche auch an dieses Buch herangegangen ist, spürt man über alle Seiten hinweg sehr wohltuend. Die Personen werden farbig-vielschichtig dargestellt, nachvollziehbar in ihren Handlungen und Gedanken. Gekonnt-souverän leitet Jennifer B. Wind durch die verschiedenen Zeit- und Perspektivebenen, um die Geschichte in einen nervenzerfetzenden Showdown münden zu lassen.
So, genau so soll ein Thriller sein: Hart und gefühlvoll gleichermaßen, mit sich steigernder Spannung, psychologisch stimmig, mit einer vielschichtigen Handlung. Besser geht es nicht.

Bewertung vom 24.03.2020
Das Rätsel von Ainsley Castle
Rahlens, Holly-Jane

Das Rätsel von Ainsley Castle


gut

Befremdliches Vexierspiel

Vorliegendes Jugendbuch für die Altersgruppe ab 11 Jahren, wie vom Verlag vorgeschlagen, hat mir Rätsel aufgegeben, nicht nur was Ainsley Castle betrifft. Ein geheimnisvolles, ansprechendes Cover, überhaupt die schöne Gesamtgestaltung verlockte mich und ließ mich, verstärkt noch durch den Klappentext, auf ein gutes, spannendes, überraschendes Jugendbuch hoffen.

Zum Inhalt: Lizzy musste mit Vater und Stiefmutter an die schottische Küste ziehen. Die Stiefmutter leitet dort ein riesiges Hotel. Lizzy ist unglücklich. Sie empfindet ihre Stiefmutter als echten Drachen, sie träumt schlecht, leidet unter merkwürdigen Schwindelanfällen und Erinnerungslücken. Als sie auch noch seltsame Mails bekommt, die genau das wiedergeben, was Lizzy soeben erlebt bzw. gedacht und gefühlt hat, wird die Situation immer unheimlicher. Glücklicherweise begegnet sie Mack, einem Computer-Nerd, der ihr helfen will, den seltsamen Vorgängen auf die Spur zu kommen. Doch da taucht Betty auf, ein Mädchen, das Lizzy bis aufs Haar gleicht…

Eigentlich hat das Buch alles, was ein Jugendbuch für diese Altersgruppe haben sollte. Es ist modern, in altersgemäßem Erzählstil geschrieben, spannend-abenteuerlich, mysteriös, überraschend und geheimnisvoll. Durch das Verschwimmen der Wirklichkeit in abstruse Geschehnisse, durch das willkürliche Überschreiten der Grenzen zwischen Realität und Fantasie wird das Buch jedoch zu einem seltsamen, fast möchte ich sagen befremdlichen Vexierspiel, dem zu folgen nicht wirklich gelingt. Zu vieles bleibt ungeklärt, bleibt rätselhaft. Dass es die Autorin darauf anlegt, dass die Protagonistin ihre Geschichte, das vorliegende Buch also, letztlich irgendwie selbst schreibt, mag in seiner Doppeldeutigkeit für erwachsene Leser ein geeignetes Thema darstellen, nicht aber für 11-Jährige, wie ich meine. Das Buch wirkt auf mich wie ein Entwurf, ein gedankliches Spiel mit Möglichkeiten, aber leider nicht wie ein konsequent durchgestaltetes Jugendbuch.

Bewertung vom 23.03.2020
Die Schule am Meer
Lüpkes, Sandra

Die Schule am Meer


ausgezeichnet

Mutiges Projekt in schwieriger Zeit

„Wir sehen nur das, womit wir uns beschäftigen“, so heißt es an einer Stelle im vorliegenden Buch. Sandra Lüpkes hat sich ausführlich beschäftigt mit einer historischen Begebenheit auf der Insel Juist und diese durch die Gestaltung in Romanform neu zum Leben erweckt. Mir hat die Beschäftigung mit diesem Roman neue Einblicke in eine Zeitepoche geschenkt, in der sich das spätere große Unheil mit Donnergrollen ankündigte, und dies auf einem Fleckchen Erde, von dem ich dies nie so erwartet hätte.

Der Roman beginnt im Jahr 1925, als das Ehepaar Reiner zusammen mit dem Pädagogen Martin Luserke ihren Traum verwirklichen will, ein Internat auf der Insel Juist zu gründen. Sie möchten ihren reformerischen, ganzheitlichen Erziehungsidealen folgen, bei denen auch den musischen Fächern genügend Raum gegeben werden soll. Hierfür gewinnen sie den Musikpädagogen Eduard Zuckmayer, Bruder des Dichters Carl Zuckmayer. Ein hartes, entbehrungsreiches Leben beginnt. Kälte, Krankheit, Brandstiftung, hinterrücks getötete Haustiere, interne Spannungen, dazu die alltäglichen pädagogischen Herausforderungen - das ist ihr kräftezehrender Alltag. Die Insulaner begegnen dem Internat, seinen Schülern und vor allen Dingen seinen Lehrern, besonders der jüdischen Frau Reiner, mit Misstrauen. Je mehr nationalsozialistisches Gedankengut sich in den Köpfen der Insulaner festsetzt, desto problematischer wird das Leben für die Gemeinschaft…

Mich erinnerte von Anfang an das Erziehungsziel des Ehepaar Reiner an die Waldorfpädagogik von Rudolf Steiner, die auch der „Reformpädagogik“ zuzuordnen ist und im Jahr 1920 seinen Anfang nahm. Auch wenn die Bauprojekte auf Juist so viel ärmlicher waren, hatte ich immer irgendwie das Goetheanum, insbesondere seinen beeindruckenden Theaterbau in Dornach vor Augen. Allerdings findet man im Buch keinerlei Information, ob das Ehepaar Reiner von Rudolf Steiner inspiriert war..
Sandra Lüpkes Erzählstil ist sehr eindringlich und atmosphärisch dicht und lebendig, wobei die Autorin äußerst geschickt die historisch belegten und sorgfältig recherchierten Tatsachen vermischt mit fiktiven Personen und romanhaften Ausschmückungen. Wer Interesse hat an der Abgrenzung von Fakten zur Fantasie, der möge das aufschlussreiche Nachwort der Autorin lesen. Wobei mir die (erdachten) Schülerpersönlichkeiten farbiger ausgestaltet vorkommen als die (realen) Lehrerpersönlichkeiten, die für mich etwas blass blieben. Durch die Gratwanderung zwischen detailreich-dichten Schilderungen und einer gewissen Langatmigkeit ließen sich zwar manche Passagen etwas mühsam lesen, aber meistens gelang es mir, völlig abzutauchen in die Welt der Kargheit, der Anfeindungen, des Mutes und in die besondere Schönheit der Farben, des Lichts, der Sprache des Meeres und der Winde auf Juist. Mir hat dieser Roman sehr, sehr gut gefallen.

Bewertung vom 15.03.2020
Glanz der Ferne / Berlin-Trilogie Bd.3
Lorentz, Iny

Glanz der Ferne / Berlin-Trilogie Bd.3


ausgezeichnet

Gekonnt gestaltetes Zeitgemälde

Zu meinem großen Bedauern habe ich die Vorgängerbände „Tage des Sturms“ und „Licht in den Wolken“ nicht gelesen, wurde also sozusagen unwissend hineingeworfen in die Familien-Saga mit ihren zahlreichen Familienmitgliedern und freundschaftlichen oder weniger wohlwollenden Verbindungen. Da war mir das Personenverzeichnis am Ende des Buches durchaus hilfreich. Aber ansonsten erging es mir wie immer bei jedem Buch diesen Autoren-Ehepaares: Man beginnt zu lesen und es vergehen nur wenige Minuten, bis man in der Handlung versunken ist, bis man sich in einer anderen Zeit befindet.

Im vorliegenden Buch erleben wir die Jahre des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Berlin. Rätselhafte Auftragsstornierungen schränken die Geschäfte von Theo von Hartung immer mehr ein und bringen die Tuchfabrik letztlich in eine finanzielle Schieflage. Vicky von Gentzsch trägt ein schweres Los, denn ihre Mutter war bei der Geburt gestorben. Ihr Vater gibt ihr am Tod seiner geliebten Frau die Schuld, sie muss ein Leben wie Aschenputtel führen, umgeben von Ablehnung und emotionaler Kälte. Die Lieblosigkeit von Vater und Stiefmutter ließ sie zu einer unangepassten, aufbegehrenden Persönlichkeit heranreifen, die ständig die steifen Gesellschaftsregeln verletzt. Erst durch die Familie mütterlicherseits, durch ihre Großmutter Theresa und Tante Friederike, erfährt sie so etwas wie Herzenswärme. Doch das Glück hält nicht lange an…

Es ist zu bewundern, wie es das Schriftsteller-Ehepaar bei jedem neuen Roman aufs neue schafft, ein Szenario zu gestalten, das dank akribischer Recherche historisch stimmig und dank des farbig-lebendigen Schreibstils so intensiv geschildert wird, dass man als Leser sofort eintaucht in das jeweilige Zeitgefühl, im vorliegenden Buch in die wirtschaftlich und politisch bewegte Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts. Aber nicht nur der Zeitgeist nimmt gefangen, auch die Protagonisten werden in ihren individuellen Persönlichkeiten so treffend, so vielschichtig und psychologisch stimmig dargestellt, dass der Leser gar nicht anders kann, als sie zu mögen oder abzulehnen, als mit ihnen zu bangen, mit ihnen zu hoffen oder zu verzweifeln. Und aus der emotionalen Bindung, die der Leser zu den handelnden Personen aufbaut, entwickelt sich eine ganz besondere Lese-Spannung, der man sich nicht entziehen kann.

Bewertung vom 13.03.2020
#klimaretten
Grießhammer, Rainer

#klimaretten


gut

Ein überlebens-wichtiges Thema, aber …

Der Autor hat sich große Mühe gegeben, die Friday-for-Future-Generation anzusprechen. Er zieht alle Register, um das Buch als leicht lesbar zu tarnen. Moderne Gestaltung, Infoboxen mit Hashtag-Überschriften und Farbwechsel, Diagramme und Cartoons laden ein zur schnellen Information. Warum nur glaube ich, dass die Jugendlichen eher nur die Tabellen #klimaChecker benutzen werden, um andere auf ihr Fehlverhalten hinzuweisen, während sie es durchaus für selbstverständlich halten, von einem Elternteil zur Schule, zum Sport oder sonstwohin mit dem Auto chauffiert zu werden oder keineswegs bereit sind, auf die neuesten Markenklamotten zu verzichten? Warum hat der Autor nicht den Mut gehabt, den Jugendlichen ganz konkrete Aufgaben zuzuschreiben?
Und warum nur diese nervige Schreibweise mit den „Gender-Sternchen“?

Das Buch ist klug gemeint. Der Autor versucht, das komplexe Thema komplex zu bearbeiten und dennoch in übersichtliche Kapitel zu unterteilen. Dass Verhalten und Verhältnisse geändert werden müssen, wissen wir allerdings längst zur Genüge. Und dass wir nicht darauf warten sollten, dass die Politik alles für uns regelt, wissen wir eigentlich auch.

Hat mir das Buch neue Erkenntnisse gebracht? Nein! Alles habe ich so oder ähnlich bereits gelesen oder gehört.
Der Herr Professor gehört sicher einer Gehaltsklasse an, die es ihm mühelos ermöglicht, jederzeit die neuesten stromsparenden Elektrogeräte anzuschaffen. Der Otto Normalverbraucher kann bei vielen Empfehlungen im Buch nur müde lächeln, weil weder seine Finanzlage noch seine Arbeits- oder Wohnsituation ihm die Umsetzung ermöglichen.

Im Übrigen: Reine Informationsvermittlung verändert den Menschen nicht. Das Buch holt die Menschen nicht da ab, wo sie stehen. Denn all die, die weiterhin auf ihre Urlaubsreise per Flugzeug oder Kreuzfahrtschiff pochen, all die, die auf ihren Luxus-Grill reichlich Fleisch auflegen wollen, all diese Menschen werden viele gute Gründe nennen, warum sie darauf keinesfalls verzichten wollen. Sie werden von diesem Buch nicht erreicht, denn sie werden es schlichtweg nicht lesen. Und ehrlich gesagt, ich würde es ihnen auch gar nicht empfehlen.