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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 739 Bewertungen
Bewertung vom 03.08.2017
Das Gespräch
Ditfurth, Hoimar von; Zilligen, Dieter

Das Gespräch


ausgezeichnet

Das Vermächtnis eines selbstbestimmten Wissenschaftsautors

Hoimar von Ditfurth war einer der beeindruckendsten Wissenschaftspublizisten der Nachkriegszeit. Er hatte sich die kindliche Neugier bewahrt, die Geheimnisse der Natur und der menschlichen Existenz zu ergründen. Dabei gelang es ihm, isolierte Erkenntnisse der Spezialisten in einem interdisziplinären Zusammenhang darzustellen. Auf diese Weise hatte er stets die Bedeutung neuer Forschungsergebnisse für eine breite Leserschaft herausgearbeitet.

Das Buch besteht aus zwei Teilen und zwar aus der Vorgeschichte zum Interview aus dem Blickwinkel von Dieter Zilligen und aus dem Interview selbst. Das Interview mit Hoimar von Ditfurth entstand wenige Wochen vor dessen Tod. Biografische Elemente fließen in das Interview ein. Auffallend ist die Intensität des Gesprächs.

Von Ditfurth hat sich intensiv mit dem Thema Evolution beschäftigt und dabei bekräftigt, dass der Tod der Preis für die Entwicklung höheren Lebens ist. In diesem Sinne sieht er den Menschen als notwendigen Teil eines Entwicklungsprozesses, dessen Sinn der Mensch nicht verstehen kann. Aber als Teil der Geschichte habe der Mensch Anteil am Sinn dieser Geschichte.

Die Frage nach der Verantwortung des Menschen und die Frage nach dem Sinn des Lebens haben von Ditfurth nie losgelassen, wie auch in dem Interview deutlich wird. Teile des Interviews drehen sich um die Zeit des Nationalsozialismus. Dabei scheut von Ditfurth keine Verantwortung.

Die Frage nach dem Sinn ließ ihn in Konflikt geraten mit der Naturwissenschaft („Geist ohne Gehirn“). Letztlich hat von Ditfurth eine Karriere in der Wirtschaft aufgegeben, um das zu machen, was ihn besonders beschäftigt hat. „Weil ich einfach das Bedürfnis hatte, mich mit bestimmten Dingen geistig auseinanderzusetzen, ...“ (75) Diesem Entschluss verdanken wir zahlreiche populärwissenschaftliche Bücher.

Hoimar von Ditfurth ist gestorben, ohne Antworten auf existenzielle Fragen zu erhalten. Diesen Umstand beschreibt er als Zumutung. Das Buch ist das Vermächtnis eines verantwortungsbewussten, selbstbestimmten Wissenschaftlers, der mehr und mehr zum Mahner und Warner wurde.

Bewertung vom 02.08.2017
Brüder im All. Die Möglichkeiten des Lebens auf fremden Welten
Heinz Haber

Brüder im All. Die Möglichkeiten des Lebens auf fremden Welten


sehr gut

Haben wir Nachbarn im All?

Wer Leben in den Weiten des Universums für wahrscheinlich hält, muss noch längst nicht an fliegende Untertassen bzw. den Besuch Außerirdischer auf der Erde glauben. Professor Heinz Haber, bekannt aus zahlreichen Büchern und Fernsehsendungen der 1960er und 1970er Jahre, untersucht beide Fragen und kommt zu plausiblen Ergebnissen.

Nachdem Haber in seinen früheren Büchern den Aufbau der Erde [1] sowie den Mikro- [2] und den Makrokosmos [3] vorgestellt hat, widmet er sich jetzt der Frage nach kosmischem Leben außerhalb der Erde. Wie man es von ihm gewohnt ist, macht er das auf Basis der etablierten Naturwissenschaften.

Ist das Buch veraltet? Kalendarisch gesehen ja, auf der anderen Seite sind wir hinsichtlich der Frage kosmischen Lebens heute nicht schlauer als vor über 40 Jahren. Und dass es Wasser auf dem Mars gibt, wusste schon Heinz Haber zu berichten. (128) Letztlich sind bei dem zu behandelnden Thema nur Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich.

Haber versteht es, Sachverhalte verständlich zu erklären. Er stellt die Entwicklung des Lebens auf der Erde in groben Zügen vor. Dabei überfordert er die Leser nicht. Auf der einen Seite wäre es Verschwendung, wenn nur die Erde bewohnt wäre, auf der anderen Seite sind wir verloren in Raum und Zeit und Kontakte eher unwahrscheinlich.

[1] Heinz Haber: „Unser blauer Planet“ (1965)
[2] Heinz Haber: „Der Stoff der Schöpfung“ (1966)
[3] Heinz Haber: „Der offene Himmel“ (1968)

Bewertung vom 31.07.2017
Der Stoff der Schöpfung
Haber, Heinz

Der Stoff der Schöpfung


sehr gut

Faszinierender Mikrokosmos

Um den Makrokosmos (Weltall) zu verstehen, ist ein Überblick über den Mikrokosmos (Atomaufbau) erforderlich. Professor Heinz Haber, bekannt aus zahlreichen Büchern und Wissenschaftssendungen insbesondere der 1960er und 1970er Jahre, liefert die notwendigen Grundlagen der Chemie und Physik auf verständliche Art und Weise.

Im Fokus stehen die Anfänge der Chemie bis hin zum Aufbau des Periodensystems der Elemente. Der systematische Aufbau der Bausteine der Natur wird erkennbar. Die Werke großer Forscher wie Robert Boyle und John Dalton werden beschrieben. Haber liefert einen historischen Abriss.

Die Übergänge zwischen Chemie und Physik sind fließend und so fehlen auch nicht Ausflüge in die Arbeiten von Max Planck, James Clark Maxwell und Werner Heisenberg. Die Natur macht Sprünge und die Physik muss mit dem Welle-Teilchen-Dualismus leben. Deutlich wird der Unterschied zwischen einem Lichtmikroskop und einem Elektronenmikroskop und auch der radioaktive Zerfall wird beschrieben.

Heinz Haber traf Otto Hahn und Fritz Strassmann im Deutschen Museum in München, wo sie die Apparatur zur Kernspaltung vorgestellt haben. Kaum zu glauben, dass mit so wenigen Geräten Forschung an vorderster Front betrieben wurde. Das Buch liefert einen kleinen aber verständlichen Einblick in die Geheimnisse der Materie und Energie. Wer es genauer wissen will, greift auf Fachliteratur zurück.

Bewertung vom 30.07.2017
Der offene Himmel. Eine moderne Astronomie

Der offene Himmel. Eine moderne Astronomie


sehr gut

Naturwissenschaftliche Grundlagen der Kosmologie

Mit der kopernikanischen Wende, also dem Wechsel vom geozentrischen hin zum heliozentrischen Weltbild, wurde die Neuzeit eingeläutet. „Im Gegensatz zu früher konnte nunmehr das Universum bei einer konsequenten Durchdenkung des kopernikanischen Systems nicht mehr geschlossen sein.“ (28) Die eigentliche Wende bestand in den Folgen für das Selbstverständnis der Menschen.

Heinz Haber, aus zahlreichen Wissenschaftssendungen der 1960er und 1970er Jahre bekannter Professor für Astronomie, beschreibt die historische Entwicklung der Erforschung des Weltraums und den Wandel im Denken der Menschheit auf Grund der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse. Seine Ausführungen sind verständlich und für eine breite Leserschaft geeignet.

Im Fokus stehen kosmische Steckbriefe der Sterne und Methoden zur Ermittlung der Basisdaten wie Entfernung, Masse, Größe, Leuchtkraft, Bewegung etc. sowie der Aufbau der Galaxien. Um das Große zu verstehen, ist auch ein Überblick über das Kleine (Atome) erforderlich. Anders ist die Energie, die bei der Kernverschmelzung freigesetzt wird, nicht zu verstehen.

Haber kommt in seinen Ausführungen ohne die Darstellung der Quantenphysik und der Relativitätstheorie aus. Das kann als Mangel interpretiert werden, ist aber letztlich der populärwissenschaftlichen Darstellung geschuldet. Insofern handelt es sich um ein Einstiegsbuch in die Kosmologie, welches wenige Vorkenntnisse erfordert. Die fehlende Aktualität des Buches spielt für die historischen Betrachtungen keine Rolle. Sie wirkt sich am ehesten im letzten Kapitel aus, wo es um grundsätzliche Fragen wie Entstehung, Endlichkeit und Unendlichkeit geht.

Bewertung vom 27.07.2017
Homo Deus
Harari, Yuval Noah

Homo Deus


ausgezeichnet

Ein visionäres Aufklärungsbuch

Mit dem Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ servierte Yuval Noah Harari den Lesern eine verständliche Reise durch die Menschheitsgeschichte. Angekommen in der Gegenwart, hisst Harari erneut die Segel und nimmt volle Fahrt auf in Richtung Zukunft. „Homo Deus“ ist die Geschichte der Menschheit von Morgen.

Harari beschreibt in der Agenda das Streben nach Gesundheit, Glück und Macht, linear extrapoliert auf Grundlage der Ideen und Hoffnungen der letzten dreihundert Jahre. In dem Hauptteil des Buches, bestehend aus drei Kapiteln, geht es um Visionen auf Basis neuer Ideen und Hoffnungen des 21. Jahrhunderts. „Die wirkliche Zukunft … könnte eine völlig andere sein.“ (95)

Zu Beginn seiner Ausführungen tritt eine gewisse Ernüchterung ein, wenn der Autor die Menschen mit den Tieren vergleicht. Was macht unsere Spezies so besonders? Der Autor bezeichnet Organismen als Algorithmen, ein Vergleich, der sich durch das gesamte Buch zieht. An dieser Stelle ist die Frage erlaubt, ob der Vergleich gerechtfertigt ist. Jedenfalls arbeitet die Naturwissenschaft auf dieser Grundlage und hat große Erfolge mit dieser Prämisse.

Wenn der Mensch keine Seele hat, wie die Grundprinzipien der Evolution nahe legen, wo liegt dann der prinzipielle Unterschied zur Tierwelt? Wenn Organismen als Algorithmen beschreibbar sind, können dann nicht auch Maschinen gebaut werden, die das gleiche leisten wie Menschen? Menschen zeichnen sich durch Bewusstsein aus. Ist da nicht zu vermuten, dass Tiere ebenfalls eine Form von Bewusstsein haben?

Die Themen Geist und Bewusstsein sind mit vielen Fragezeichen verknüpft und es gilt weiterhin das, was Gerhard Roth in „Das Gehirn und seine Wirklichkeit“ dazu schreibt. Bewusstsein ist das Eigensignal des Gehirns für die Bewältigung eines neuen Problems. Wenn aber Maschinen das gleiche und künftig noch viel mehr leisten als Menschen, wozu werden dann noch Wesen mit Bewusstsein benötigt?

Im zweiten Teil des Buches thematisiert Harari die Welt, die die Menschen geschaffen haben einschließlich der Glaubenssysteme, dabei liegt der Fokus auf dem Humanismus. Deutlich wird die Kraft von Glaubenssystemen, selbst wenn die Grundlage fragwürdig ist. „Die moderne Gesellschaft glaubt an humanistische Dogmen und nutzt die Wissenschaften nicht, um diese Dogmen in Frage zu stellen, sondern um sie zu implementieren.“ (272)

Im dritten Teil erklärt der Autor, warum sich der Pakt zwischen Wissenschaft und Humanismus allmählich auflösen wird und was an seine Stelle treten wird. In diesem pessimistisch klingenden Kapitel werden nach der Seele zunächst der freie Wille und dann das Ich infrage gestellt. Was ist dann der Sinn des Lebens? Die liberale Philosophie gerät ins Wanken.

Harari beschreibt die Auswirkungen der technologischen Entwicklungen auf die Gesellschaft, wenn die technischen Systeme übermächtig werden und sich Intelligenz von Bewusstsein abkoppelt. Die Menschen werden ihren wirtschaftlichen Nutzen verlieren, Individuen werden an Bedeutung verlieren und eine elitäre Gruppe wird entstehen. Bezogen auf den Humanismus heutiger Ausprägung handelt es sich um ein Horrorszenario.

Im Zeitalter vernetzter Datenbestände wissen Computer mehr über den einzelnen Menschen als er selbst. Das ist die Geburtsstunde des Dataismus, einer Datenreligion. Wie Entscheidungen entstehen, kann nicht mehr nachvollzogen werden, Verantwortung kann nicht mehr Individuen zugeordnet werden. Es entsteht eine unkontrollierte Eigendynamik wie Schirrmacher sie in „Ego“ für die Börse beschrieben hat. Statt „Freiheit des Menschen“ heißt das neue Credo „Freiheit der Information“.

Harari schreibt geistreich, denkt selbstständig und das ist heute nicht selbstverständlich. In einer Rezension können nur Facetten dieses visionären Buches angerissen werden. Es ist als Diskussionsgrundlage sehr zu empfehlen.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.07.2017
Der Pfau
Bogdan, Isabel

Der Pfau


gut

Leichte Unterhaltung ohne wirkliche Höhepunkte

Die Geschichte spielt in den schottischen Highlands. Lord und Lady McIntosh betreuen in ihrem abgelegenen Landsitz zusammen mit ihrer Haushaltshilfe Aileen Feriengäste. Da sie Tiere mögen, haben sie sich fünf Pfauen angeschafft, die neben Hund und Gans auf dem weitläufigen Gelände herumstolzieren. Ein Pfau spielt verrückt und reagiert aggressiv auf die Farbe Blau. Damit ist der Rahmen abgesteckt für künftige Ereignisse.

Eines Tages kommt eine Delegation einer Investmentbank zusammen mit einer Köchin und einer Psychologin zu Besuch, um abseits der Zivilisation Seminare über Teambuilding abzuhalten. Sowohl die Umgebung als auch die Art der Veranstaltungen kommen nicht bei allen Teilnehmern an. Für Abwechselung und Unterhaltung sorgen die Tiere. So macht die Leiterin der Delegation bereits bei ihrer Ankunft Bekanntschaft mit der Hausgans.

Die Geschichte ist im Stil einer Komödie aufgebaut. Einen Gesamtüberblick über die Ereignisse haben nur die Leser. Die Protagonisten erkennen nur Bruchstücke der wahren Abläufe und denken sich den Rest. Von der dadurch sich entwickelnden Spannung lebt die ganze Geschichte. Es mangelt jedoch an dramatischen Höhepunkten, wo die Auswirkungen des Unwissens auf die Spitze getrieben werden.

So entsteht der Eindruck, dass andere Autoren aus dem Plot mehr gemacht hätten. Die Geschichte plätschert zu sehr im Gleichklang dahin und enthält zu viele Wiederholungen. Auch wenn der Roman unterhaltsam ist, sind Ähnlichkeiten mit Monty Python nicht erkennbar. Die Beschreibungen der Charaktere sind zu schwach und ehrlich gesagt tat es mir leid, dass der verrückte Pfau so früh sterben musste.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.07.2017
Die Illusion zu wissen
Piattelli-Palmarini, Massimo

Die Illusion zu wissen


sehr gut

Im Bann mentaler Tunnel

Kognitionspsychologen analysieren, wie wir denken und Entscheidungen treffen. Dabei wird deutlich, dass unsere Vernunft nicht vom Himmel gefallen ist, sondern sich im Zuge der Evolution und von deren Mechanismen geprägt, entwickelt hat. Wir denken nicht so rational, wie wir es glauben, sondern unterliegen zahlreichen Täuschungen. Von diesen Täuschungen handelt das Buch.

Massimo Piattelli-Palmarini, promovierter Physiker, hat sich auf das Thema Kognition spezialisiert und zeigt den Lesern die Grenzen der Vernunft auf. Er bezeichnet die Illusion, rational zu denken, als mentalen Tunnel. Irrationale Denkweisen können sehr hartnäckig sein, wie der Autor an zahlreichen Beispielen deutlich macht. Rationalitätstheorien, in denen irrationale Denkweisen systematisch untersucht werden, befinden sich im Wandel.

Der Autor stellt kognitive Täuschungen vor, die etwas mit Denkroutinen zu tun haben, erläutert asymmetrisches Schätzen, zeigt menschliche Schwächen bei der Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten auf und stellt verschiedene Effekte vor, bei denen wir in mentale Tunnel geraten. Die Tücken der Wahrscheinlichkeit können dazu führen, dass selbst Fachleute ins Schwimmen geraten.

Die Beschäftigung mit den Schwächen der Kognition trägt dazu bei, der eigenen Wahrnehmung und Deutung gegenüber kritischer zu werden. Das Buch enthält zahlreiche Beispiele für mentale Tunnel. Vermisst habe ich ausführliche Erläuterungen zu den Ursachen, die über Stichworte wie Evolution, Vorurteile, Gewohnheiten etc. hinausgehen. Das Thema kratzt am eigenen Weltbild und ist spannend.

Bewertung vom 04.07.2017
Die Natur ist unser Modell von ihr
Braitenberg, Valentin; Hosp, Inga

Die Natur ist unser Modell von ihr


sehr gut

Interdisziplinäre Überlegungen zu Möglichkeiten und Grenzen der Erkenntnis

Das Buch besteht aus Essays von elf Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen zu Grenzfragen der Erkenntnis. Im Fokus stehen erkenntnistheoretische Fragen, z.B. wie die Welt in unser Bewusstsein gelangt und wie unser Erkennen der Welt unser Weltbild prägt. Die Naturwissenschaften beeinflussen massiv die Philosophie, wie der Physiker Peter Mulser im Vorwort deutlich macht. "Aus naturwissenschaftlicher Sicht gesehen ist moderne Philosophie im Sinne vergangener Jahrhunderte schwerlich vorstellbar; sie greift nicht mehr." (13)

Ernst von Glasersfeld beschreibt seine Position des radikalen Konstruktivismus. Er moniert, dass es keine von uns unabhängige Realität geben kann, die dennoch für uns erkennbar ist. Als Beispiel erläutert er ein Gottes-Paradoxon byzantinischer Weiser, welches bereits im 3. Jahrhundert bekannt war. Die reale Welt bezeichnet er, wie im Titel seines Beitrags angedeutet, als "Black box". Der Konstruktivismus, wie er ihn vertritt, ist ein Modell des Denkens.

Der Psychologe Thomas Bernhard Seiler beschäftigt sich mit der Frage, wie Weltbilder entstehen. Dabei handelt es sich um allgemeine Betrachtungen zur Welterfahrung und nicht um kosmologische Weltbilder. Sind wir selbst die Schöpfer unserer Weltbilder? Er bezeichnet Weltbilder als komplexe Wissensstrukturen, unterscheidet verschiedene Arten von Wissen, thematisiert die Kulturabhängigkeit von Weltbildern und analysiert die Zeit als Raster des Welterlebens.

Können Naturgesetze, die für den Bereich der unbelebten Natur erschlossen wurden, zu einem Verständnis der belebten Welt führen? Diese Frage untersucht der Physiker Alfred Gierer in seinem Beitrag. Er hält eine Reduktion der Biologie auf die Physik nicht für möglich. Damit grenzt er den Reduktionismus ein, ähnlich wie das schon der Biologe Ernst Mayr in seinem Buch "Die Entwicklung der biologischen Gedankenwelt" getan hat.

Einen sehr anspruchsvollen Beitrag leistet die Mathematikerin Eva Ruhnau. Sie beschäftigt sich mit bewusstem Zeiterleben des Gehirns (Gleichzeitigkeitsfenster) und der Zeit aus physikalischer Sicht. Das bewusste Jetzt hat eine zeitliche Ausdehnung. Schon Einstein hat sich intensiv mit der mentalen und der physikalischen Zeit beschäftigt. Ruhnaus Ziel ist es, einen Beitrag zum Materie-Bewusstsein-Streit zu leisten.

Andrea Sgarro, Professor für Computerwissenschaften, erläutert, wo es Ungewissheit, Unvollständigkeit oder Unentscheidbarkeit in der Mathematik gibt, wie die Wissenschaft mit diesen Effekten umgeht und wie die Weltsicht dadurch beeinflusst wird. Er schlägt die Brücke von der Logik zum menschlichen Gehirn und stellt dessen Fähigkeit heraus, mit Ungewissheit umzugehen.

Bei Physiker Claus Kiefer stehen die Pfeile der Zeit im Fokus. Er erläutert, warum sich die Scherben einer Tasse, die auf den Boden gefallen ist, nicht wieder von selbst zusammenfügen. Wie ist das vereinbar mit den zeitumkehrsymmetrischen Gleichungen der Physik? Die Leser erfahren außerdem, dass die Nahrungsaufnahme dazu dient, die eigene Entropie niedrig zu halten.

"Die Verwechselung von Realität und Virtualität wirkt sich auch auf die Entwicklung des politischen Lebens aus." (205) Informatikprofessor Guiseppe O. Longo erweist sich damit 1995 als weitsichtig. Er thematisiert in seinem Essay die Wechselwirkung von Erkenntnis und Informationstechnik und beschreibt die Informationsrevolution.

Die Essays sind anspruchsvoll und vielseitig. Ist die Natur unser Modell von ihr? Eine Antwort gibt der Hirnforscher Gerhard Roth in seinem Essay: "Wir erleben die Welt als unmittelbar gegeben, als ein einheitliches Ganzes ... Demgegenüber zeigt die Hirnforschung, dass die Wahrnehmungswelt ein Konstrukt des Gehirns ist." (99)

Bewertung vom 26.06.2017
Das Hausbuch des schlesischen Humors

Das Hausbuch des schlesischen Humors


sehr gut

„Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ (Otto Julius Bierbaum aus Grünberg / Schlesien)

Das Buch enthält eine Sammlung von schriftlich und mündlich überlieferten Geschichten, Anekdoten, Sprichwörtern und Gedichten von bekannten und unbekannten Autoren aus Schlesien über das Land und die Menschen in Schlesien. Herausgeber ist der aus Oppeln stammende Schriftsteller Alfons Hayduk (1900-1972).

Ziel ist es, den Lesern den typischen schlesischen Volkshumor näher zu bringen. Die Schlesier werden als „derb und und tapsig, geradezu und hinterpfiffig“ (7) beschrieben. Die Geschichten sind teilweise in schlesischer Mundart verfasst, was das Verständnis ein wenig erschwert. Das schlesische Wörterbuch im vorletzten Kapitel des Buches ist da sehr hilfreich. Die Leser erhalten auch einen Eindruck davon, welche Ausdrücke aus Schlesien sich zum Allgemeingut entwickelt haben.

Das Buch enthält, auf zwölf Kapitel verteilt, Lesenswertes zur Historie, zu Breslau, zu Kulinarischem, zum Leben in der Schule, zur Bürokratie, zu Ehe und Familie, um Beispiele zu benennen. Es geht in diesem Buch nicht um Flucht und Vertreibung, sondern um die sprichwörtlich gute alte Zeit und den zeitlosen schlesischen Humor.

Bewertung vom 15.06.2017
Soziopathen sterben selten
Pomej, S.

Soziopathen sterben selten


sehr gut

Schauergeschichten

Soziopathen sind Menschen, die andere Menschen belügen, betrügen und manipulieren, um das zu bekommen, was immer sie wollen, und sie tun das mit Herzenskälte. Sie verhalten sich antisozial, oftmals kriminell. Sie instrumentalisieren ihr Umfeld, ihr eigenes Wohlbefinden hat höchste Priorität.

Sterben Soziopathen selten, wie der Buchtitel suggeriert? Ich denke, sie sterben nicht aus. Das ist auch der Eindruck am Ende des Buches. S. Pomej schreibt Schauergeschichten, makaber, manchmal melancholisch, manchmal mit einer Portion schwarzem Humor garniert. In der Realität gibt es Menschen, die sich so verhalten, wie S. Pomej sie beschreibt.

Es handelt sich um 25 Kurzgeschichten aus unterschiedlichen Lebensbereichen. Das Besondere ist, dass die Leser am Anfang nicht wissen, wie die Geschichten sich entwickeln werden. Das macht neugierig und bindet die Leser. In „Uralter Trick“ (133) wird der Enkeltrick auf den Kopf gestellt, „Abreise“ (63) handelt von einer Verabschiedung und ist sehr melancholisch und „Lebensrettung“ (27) ist eine makabere Geschichte, in der die Rettung in Anführungsstrichen gesetzt werden könnte.

Mein Favorit ist „Lauter liebe Leute“ (203), die längste Geschichte des Buches. In dieser Erzählung macht der Pfleger Hudson einschneidende Erfahrungen mit schwierigen Menschen in einem Geriatriezentrum. Geld ist nicht alles, möchte man meinen. Das Buch eröffnet tiefe Einblicke in die Natur des Menschen und ist lesenswert.