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Readaholic

Bewertungen

Insgesamt 357 Bewertungen
Bewertung vom 27.10.2017
Der Fall Kallmann
Nesser, Hakan

Der Fall Kallmann


ausgezeichnet

Hakan Nesser in Bestform

Nachdem seine Frau und seine Tochter bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen bzw. vermisst sind, hält Leon Berger nichts mehr in Stockholm. Eine ehemalige Kommilitonin, Ludmilla, die er zufällig wiedertrifft, erzählt ihm von einer freien Lehrerstelle an ihrer Schule in der Kleinstadt K. und Berger nutzt die Chance, bewirbt sich darauf und wird genommen.
Bald erfährt er, dass sein bei den Schülern äußerst beliebter Vorgänger an der Schule, Eugen Kallmann, unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen ist. Als Berger beim Ausräumen von Kallmanns Schreibtisch auf dessen Tagebücher stößt, ist sein Interesse geweckt und er beginnt, gemeinsam mit Ludmilla und einem weiteren Kollegen Kallmanns Leben und Tod unter die Lupe zu nehmen.
Vieles in den Tagebüchern erscheint ihnen wie Fiktion. Beispielsweise behauptet Kallmann, er könne erkennen, wenn ein Mensch ein Mörder ist, indem er ihm in die Augen blickt. Wo endet die Realität, wo beginnt die Fiktion? Sie stellen fest, dass keiner den Kollegen Kallmann wirklich gut gekannt hat, obwohl er mehr als 25 Jahre an der Schule tätig war.
Der Kriminalfall Kallmann, sofern es sich wirklich um einen solchen handelt, sowie weitere ungeklärte Verbrechen bilden das Gerüst dieses Romans, stehen jedoch nicht im Vordergrund. Liebhaber von möglichst grusligen und spektakulären Thrillern, in denen viel Blut fließt, werden an diesem Buch keine Freude haben. Die Personen und ihre Lebensumstände werden genau und äußerst humorvoll beschrieben.
Obwohl das Buch fast 600 Seiten umfasst und manchmal nicht sonderlich viel passiert, sondern vielmehr die Gedanken und das Seelenleben der einzelnen Personen beleuchtet werden, hat mir das Lesen jeder einzelnen Seite Spaß gemacht. Nesser ist ein Schriftsteller, dessen Bücher von gleichbleibend hoher Qualität sind. Ich habe jedes seiner Bücher gelesen, dieses hat mir sprachlich besonders gut gefallen, was nicht zuletzt der hervorragenden Übersetzung von Paul Berf geschuldet ist. Ein großer Lesegenuss für alle Nesser-Fans!

Bewertung vom 19.10.2017
Swing Time
Smith, Zadie

Swing Time


gut

Zwischen den Welten
Die Ich-Erzählerin, deren Namen nicht genannt wird, wächst im Norden Londons auf, als Tochter einer schwarzen Mutter aus Jamaika und eines weißen Vaters. Die Mutter ist sehr ehrgeizig. Sie will studieren und Karriere machen, Mann und Kind sind dabei eher hinderlich. So wird die Tochter auch hauptsächlich vom Vater betreut, bekocht und erzogen.
Als kleines Mädchen lernt sie beim Ballettunterricht Tracey kennen, deren Vater schwarz und die Mutter weiß ist („richtig herum“, wie Tracey es nennt). Die beiden werden beste Freundinnen, wenngleich von Anfang an viel Konkurrenzdenken vorhanden ist. Bald stellt sich heraus, dass Tracey die begabtere Tänzerin von beiden ist, die sogar später an einer Tanzschule angenommen wird.
Die Beschreibung der Schulzeit ist ziemlich langatmig und enthält einige für meine Begriffe ziemlich abstoßende Szenen, so dass ich drauf und dran war, das Buch wegzulegen. (Stichwort „Scheidengrapschen“, meiner Meinung nach etwas unglücklich übersetzt, denn welches 9jährige Mädchen spricht denn von seiner „Scheide“?)
Mit Anfang 20 lernt die Protagonistin die Sängerin Aimée kennen, für die sie fortan für viele Jahre als persönliche Assistentin arbeitet. Ihr eigenes Leben gibt sie völlig auf, es sind nur noch Aimée und deren Bedürfnisse, die zählen. Tracey, die mittlerweile als Tänzerin in Nebenrollen auf der Bühne steht, sieht sie auch nur noch durch Zufall.
Aimée jettet durch die Welt, beginnt ein Hilfsprojekt für Mädchen in Afrika, und ihre Assistentin ist immer an ihrer Seite bzw. bereitet Aimées großen Auftritt vor. Die Ehe der Eltern ist längst geschieden, die Mutter ist politisch tätig, für persönliche Beziehungen bleibt keine Zeit.
Die Beschreibung der Verhältnisse in dem afrikanischen Dorf, in dem Aimée ihr Hilfsprojekt ansiedelt, gehört zu den Highlights des Buchs. Idealismus und Naivität treffen auf die Realität und das vollkommen andere Leben in einem armen afrikanischen Land, in dem außerdem Korruption und politische Vetternwirtschaft herrschen. Ein perfekter Nährboden für religiöse Fanatiker.
Bei ihren Aufenthalten im Dorf wohnt die Protagonistin bei der lebenslustigen Hawa, die mit Mitte 20 allerdings schon als alte Jungfer gilt, was Hawa mehr ausmacht, als zunächst ersichtlich ist.
Die Verhältnisse im Dorf werden zunehmend schwierig. Aimée hat ein Auge auf einen attraktiven jungen Mann geworfen und will ihn zu sich in die USA holen. Ihm gefällt ihre Aufmerksamkeit, doch er wünscht sich eine jüngere Frau und Kinder. Aimées Assistentin wiederum bekommt eine Liebeserklärung eines Mannes, für den sie nichts empfindet. Sie weist ihn ab, mit weitreichenden Folgen, wie sich herausstellt...
„Swing Time“ ist ein sehr vielschichtiges Buch, das hauptsächlich von starken Frauen handelt, die Männer spielen eine eher untergeordnete Rolle. Die starke Mutter, Aimée, sogar Tracey mit all ihren Problemen, sie alle prägen die Protagonistin, die am Ende des Buches vor einem Scherbenhaufen steht, jedoch endlich die Chance hat, ihr Leben nach ihren eigenen Bedürfnissen auszurichten.

Bewertung vom 03.10.2017
Der gefährlichste Ort der Welt
Johnson, Lindsey Lee

Der gefährlichste Ort der Welt


ausgezeichnet

Gefahren der anderen Art
Der gefährlichste Ort der Welt liegt nicht, wie man vielleicht annehmen sollte, in Kolumbien, Nigeria oder Syrien und die Gefahren, die dort lauern, sind weder Drogenkriege noch Heckenschützen oder Bomben. Der gefährlichste Ort der Welt liegt in der beschaulichen Bay Area nahe San Francisco, genauer gesagt, in Mill Valley, einem kleinen Ort am Fuße des Mount Tamalpais, an dem Ärzte, Börsenmakler und andere erfolgreiche Geschäftsleute mit ihren Familien leben. Und die Gefahren sind ganz anderer Art.
Zunächst einmal ist es in Mill Valley gefährlich, anders zu sein als die anderen. Dies erfährt der Achtklässler Tristan Bloch am eigenen Leib. Tristan ist nicht dumm, er ist einfach anders als die coolen Kids in seiner Klasse, die ihm das Leben zur Hölle machen, nachdem er einer Mitschülerin einen Liebesbrief schreibt. Calista, das Mädchen seiner Träume, beteiligt sich zwar nicht direkt an dem Mobbing, doch sie liefert ihn dem Spott der anderen aus und kommt ihm nicht zu Hilfe, was fatale Auswirkungen auf ihr weiteres Leben haben wird.
In jedem Kapitel des Buchs lernen wir die einzelnen Mitschüler und Peiniger Tristans kennen und erfahren, in welchem Umfeld sie aufwachsen. Die meisten kennen keine finanziellen Probleme, doch sie werden emotional vernachlässigt. Calistas Freundin Abigail beispielsweise bekommt ihre Eltern kaum zu Gesicht, denn sie leben berufsbedingt „nach New Yorker Zeit“. Dann gibt es noch die Eltern, die viel zu hohe Ansprüche an ihre Kinder haben und nicht erkennen, dass ihr Kind einfach nicht das Genie ist, das sie gerne hätten.
Wilde Partys, die aus dem Ruder laufen, und Drogen sind an der Tagesordnung und die rich kids, die eigentlich alle Chancen hatten, etwas aus ihrem Leben zu machen, geraten immer tiefer in den Sog der Selbstzerstörung.
Was zunächst wie ein Teenie-Roman beginnt, entwickelt sich schnell zu einem Psychodrama, das einen nicht mehr loslässt. Ein Buch, das ich kaum aus der Hand legen konnte.

Bewertung vom 02.10.2017
Manchmal musst du einfach leben
Forman, Gayle

Manchmal musst du einfach leben


ausgezeichnet

Wenn der Körper streikt
Maribeth ist 44, Mutter von 4-jährigen Zwillingen, berufstätig und mit einem Mann verheiratet, der sie kaum entlastet. Als sie einen Herzinfarkt erleidet, macht sie daher zunächst einmal weiter wie bisher, in der Hoffnung, es könnte sich um vorübergehende Symptome handeln. Schließlich ist sie unersetzlich. Denn wer soll die Kinder aus dem Kindergarten abholen, sich ums Abendessen kümmern und die tausend anderen Dinge erledigen, die ihren Alltag ausmachen, wenn nicht sie? Doch es hilft alles nichts, sie muss am offenen Herzen operiert werden.
Nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus wünscht sie sich nichts mehr, als sich erholen zu können, doch alle in ihrer Umgebung sind der Meinung, sie sollte sich zwar noch schonen, aber im Grunde doch dort weitermachen, wo sie aufgehört hat, niemand erkennt, wie schlecht es ihr wirklich geht. So kocht sie, bringt die Kinder ins Bett und holt bei strömendem Regen Medikamente aus der Apotheke, weil ihre Mutter, die eigentlich gekommen ist, um ihr zu helfen, Angst hat, sich zu erkälten...
Nur die Krankenschwester Luca versteht ihre Lage und rät ihr, mehr an sich selbst zu denken. Und so fasst Maribeth einen radikalen Entschluss: sie packt eine Tasche und verlässt ihr altes Leben. Sie zieht nach Pittsburgh, wo sie unter ihrem Mädchennamen ein kleines Apartment mietet, nur in bar zahlt, damit sie nicht gefunden werden kann und sich ganz darauf konzentriert, wieder gesund zu werden. Sie lernt neue Leute kennen, bleibt aber auf Distanz. Sie denkt über ihr bisheriges Leben nach, über Dinge und Menschen, die ihr wichtig sind, und wagt es, Nachforschungen über ihre leibliche Mutter anzustellen.
Normalerweise werden Mütter, die ihre Kinder einfach verlassen, von der Gesellschaft verurteilt und als Rabenmütter bezeichnet. Für jemanden, der die Hintergründe nicht kennt, ist Maribeth mit Sicherheit der Inbegriff einer Rabenmutter. Doch da man als Leser alles aus Maribeths Blickwinkel erlebt, wird klar, dass sie aus Selbsterhaltung so handelt. Sie braucht diese Auszeit, um nicht unterzugehen.
Es ist zwar schwer vorstellbar, wie jemand von heute auf morgen einfach seine Familie verlassen kann, aber ich habe viel Empathie mit Maribeth empfunden und das Buch an einem Tag verschlungen.

Bewertung vom 19.09.2017
Als der Teufel aus dem Badezimmer kam
Divry, Sophie

Als der Teufel aus dem Badezimmer kam


sehr gut

Amüsant, außergewöhnlich und gewöhnungsbedürftig
Die Leseprobe versprach ein amüsantes Buch über die arbeitslose und am Hungertuch nagende Journalistin Sophie. Vor allem die Wortneuschöpfungen, die Sophie ihrer Mutter in den Mund legt, fand ich höchst gelungen: kraquäken, widernörgeln, unkzürnen, bellschnauzen, anfeuermutigen... Der Übersetzerin ist hier ebenfalls ein großes Lob zu zollen.
Wir erfahren, wie es ist, wenn man mit ein paar Euro den Rest des Monats über die Runden kommen muss. Diesen Teil der Geschichte fand ich interessant. Auch Sophies sexbesessener Freund, mit dem sie selbst allerdings eine platonische Beziehung unterhält, ist amüsant, will er doch unbedingt in Sophies Roman vorkommen. Sehr lustig: die Beschreibung seiner Zufallsbekanntschaft mit der lustgesteuerten Sirine, die er später unter ganz anderen Vorzeichen wiedertrifft.
Allerdings konnte mich das Buch nicht durchgehend fesseln. Immer wieder kamen Passagen, mit denen ich so gar nichts anfangen konnte, zum Beispiel, als Sophie über zwei Seiten hinweg aufzählt, mit was für Männern sie keine Beziehung eingehen kann oder die Passage, der das Buch seinen Titel verdankt. Ich bin wirklich sehr gespalten, was dieses Buch anbelangt. Denn das Buch enthält auch geniale Beschreibungen, beispielsweise eine Anleitung für eine effektive Andiedeckestarrung.
Was mir dann jedoch gar nicht gefallen hat, ist der Schluss, bei dem ich den Eindruck hatte, die Autorin wusste ganz einfach nicht, wie sie dieses Buch zu Ende bringen soll.
"Als der Teufel aus dem Badezimmer kam" ist ein sehr ungewöhnliches Buch, das wohl vor allem Literaturkritikern, nicht aber der breiten Masse gefallen wird.

Bewertung vom 11.09.2017
In einem anderen Licht
Burseg, Katrin

In einem anderen Licht


gut

Das Echo der Zeit

Die Journalistin Miriam hat bei einem Angriff im Nordirak ihren Mann, der ebenfalls als Journalist arbeitete, verloren. Da sie in ihrer alten Redaktion alles an ihn erinnert, wechselt sie das Ressort und arbeitet nun in der Redaktion einer Frauenzeitschrift. Dort ist sie verantwortlich für die Berichterstattung und Vorbereitung für eine Preisverleihung. Stifterin ist die zurückgezogen lebende Hamburger Senatorswitwe Dorothea Sartorius. Während Miriam versucht, ein Interview mit Frau Sartorius zu bekommen, erhält sie Briefe, in denen sie aufgefordert wird, Dorothea Sartorius nach einer gewissen Marguerite zu fragen.
Als sie es tatsächlich schafft, Frau Sartorius zu einem Interview zu treffen, ist sie äußerst angetan von ihr. Auf die kryptischen Briefe angesprochen, verrät Dorothea Sartorius ihr den Nachnamen der Frau, die die Briefe mit Elisabeth unterzeichnet hat.
Um ihrem 5-jährigen Sohn Max, der ebenfalls unter dem Verlust des Vaters leidet, eine Freude zu machen, meldet Miriam sich zusammen mit ihm zu einem Drachenbaukurs an. Dort lernt sie den charismatischen Bo kennen, der sie wiederum mit der Bewohnerin eines nahegelegenen Klosters bekanntmacht, die ihr einiges über Dorothea Sartorius’ Vergangenheit erzählt. Miriam ist schockiert, denn plötzlich erscheint deren Lebensgeschichte in einem ganz anderen Licht. Welches Bild der Senatorswitwe soll sie ihren Leserinnen präsentieren? Miriam befindet sich in einem Gewissenskonflikt...
Die Leseprobe und die Idee des Buchs fand ich zunächst sehr ansprechend, allerdings konnte mich die Umsetzung nicht so richtig überzeugen. Zu Anfang verliert sich die Autorin zu sehr in Details und wortreichen Beschreibungen. Die Trauer Miriams wird als Rabe, der in ihrer Brust lebt, beschrieben, ein für meine Begriffe treffendes Bild. Allerdings wird dieses Bild im Lauf des Buchs so überstrapaziert, dass es irgendwann nur noch nervt.
Die vielen Zufälle oder schicksalshaften Fügungen waren auch zuviel des Guten und daher wenig glaubhaft. Es war allerdings interessant, über die 1970er Jahre in Deutschland und die damalige politische Stimmung im Land zu lesen.
Mein Fazit ist, dass dieses Buch nicht schlecht ist, man muss es allerdings nicht unbedingt gelesen haben.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.09.2017
Kreuzschnitt / Bogart Bull Bd.1
Borge, Øistein

Kreuzschnitt / Bogart Bull Bd.1


ausgezeichnet

Die Schatten der Vergangenheit
Der norwegische Kommissar Bogart Bull verliert bei einem Autounfall Frau und Tochter. Er betäubt seinen Schmerz mit Alkohol, schafft es jedoch, mit Hilfe seines Vaters und seiner Vorgesetzten wieder trocken zu werden.
Um ihn aus der gewohnten Umgebung zu holen und den brillanten Ermittler wieder zum Vorschein zu bringen, der er einmal war, schlägt seine Chefin ihn als Sonderermittler von Europol vor, der in Fällen ermitteln soll, in denen norwegische Staatsbürger im Ausland ums Leben kommen.
Bulls erster Fall führt ihn nach Südfrankreich, wo ein reicher Norweger ermordet und seine Leiche geschändet wird. Bald darauf geschieht ein weiterer Mord. Da der oder die Täter dem Anschein nach keine Spuren hinterließen, beginnt die Suche nach der Nadel im Heuhaufen...
Ein weiterer Handlungsstrang spielt in Frankreich während des zweiten Weltkriegs, als die Nazis Frankreich besetzt hielten. Der Leser wird Zeuge eines äußerst brutalen Racheakts einer deutschen Eliteeinheit an Résistancekämpfern. Nichts für schwache Nerven!
Eine weitere Handlung findet Anfang des 20. Jahrhunderts statt und beschreibt eine Gemeinschaft von Künstlern um Matisse, Munch und andere.
All diese Handlungsstränge werden kunstvoll miteinander verwoben.
Der Autor versteht es, den Leser mit seinem äußerst kurzweiligen Erzählstil und einer spannenden Handlung bis zuletzt zu fesseln. Ich hoffe sehr, bald mehr von ihm lesen zu können.

Bewertung vom 23.08.2017
Dann schlaf auch du
Slimani, Leïla

Dann schlaf auch du


ausgezeichnet

Beklemmende Tour de Force
Das Buch beginnt mit einem Paukenschlag: zwei kleine Kinder wurden ermordet, offensichtlich von ihrem Kindermädchen. Nach diesem schockierenden Auftakt erfährt der Leser in Rückblenden Details über das Leben der Nanny, Louise, sowie des jungen Paares Myriam und Paul mit ihren Kindern Mila und Adam.
Louise zu finden erscheint dem Ehepaar zunächst wie ein Segen. Die Nanny, die immer gepflegt und pünktlich ist, von den Kindern geliebt wird, der nie etwas zu viel ist und die zudem hervorragend kocht und die Wohnung in Schuss hält. Myriam und Paul werden von ihren Freunden um sie beneidet.
Doch nach und nach erscheinen kleine Risse in der perfekten Fassade. Der Leser ahnt schon vor Myriam und Paul - spätestens bei der Schilderung des grausamen Versteckspiels, das Louise mit den Kindern spielt -, dass mit ihr etwas nicht stimmen kann. Paul, der eines Tages früher als sonst nach Hause kommt, erwischt Louise dabei, wie sie die kleine Mila wie eine Prostituierte geschminkt hat. Er ist entsetzt, doch es folgen keine Konsequenzen. Auch Myriam macht unangenehme Erfahrungen mit dem Kindermädchen, das sich mehr und mehr in ihrem Leben breitmacht, indem sie sogar manchmal die Nacht in der Wohnung verbringt.
Alle warnenden inneren Stimmen werden ignoriert. Die Kinder lieben ihre Nanny, und für Paul und Myriam gehen die Bequemlichkeit sowie ihre Karrieren vor.
Mit atemloser Spannung verfolgt man als Leser die unheilvolle Entwicklung, weiß man doch von Anfang an, in welcher Katastrophe sie enden wird.
„Nun schlaf auch du“ ist ein faszinierendes Buch, das man kaum aus der Hand legen kann. Man taucht tief ein in die Welt der arbeitenden jungen Ehepaare, die ihre Karriere über alles andere stellen, und die diametral entgegengesetzte Welt der Kindermädchen aus aller Welt, die sich um die Kinder dieser Ehepaare kümmern und deren Sorgen ganz anderer Art sind. Die virtuose Erzählweise der Autorin sowie die hervorragende Übersetzung aus dem Französischen machen dieses Buch zu etwas ganz Besonderem.

Bewertung vom 23.08.2017
Töte mich
Nothomb, Amélie

Töte mich


sehr gut

Modernes Märchen
„Töte mich“ von Amélie Nothomb liest sich wie ein modernes Märchen. Es geht um die Familie des Grafen Neville. Die beiden älteren Kinder, Oreste und und Électre, sind so schön und begabt, dass sie aufgrund ihrer Vollkommenheit keinen Partner finden, während die Jüngste, Sérieuse, ihrem Namen (die Ernste) alle Ehre macht und mit ihren 17 Jahren keinen Spaß am Leben hat.
Sie beschließt, die Nacht im Wald zu verbringen, weil sie ausprobieren will, ob diese Erfahrung Gefühle in ihr weckt. Dort wird sie allerdings mitten in der Nacht von der Wahrsagerin Rosalba gefunden, die sie mit nach Hause nimmt und am nächsten Morgen den Grafen benachrichtigt. Rosalba ermahnt den Grafen, sehr zu dessen Missfallen, sich besser um Sérieuse zu kümmern und gibt ihm die ungebetene Weissagung auf den Weg, dass er auf dem in wenigen Tagen stattfindenden Empfang auf dem Schloss einen Gast töten wird. Obwohl Neville nicht viel von Rosalba hält, versetzt ihn die Vorstellung, jemanden zu töten, in Angst und Schrecken. Er fängt an, sich Gedanken zu machen, wer seiner Gäste das beste Opfer wäre, denn er ist der festen Überzeugung, dass er diesem Schicksal nicht entgehen kann. Sérieuse, die dem Leben sowieso nichts abgewinnen kann, bittet ihn, sie zu töten...
„Töte mich“ ist voller hintergründigem Wortwitz und Anspielungen, es macht viel Vergnügen, den wortgewandten Schlagabtausch zwischen den einzelnen Personen zu lesen. Obwohl die Geschichte so skurril ist, dass sie mit der Realität wenig zu tun hat – welcher Vater überlegt sich ernsthaft, dem Wunsch seiner jüngsten Tochter zu entsprechen und sie umzubringen? – macht es Spaß, sie zu lesen. Im Übrigen ist sie auch ganz hervorragend aus dem Französischen übersetzt.
Was mir auch richtig gut gefällt, ist das Cover: eine junge Frau, deren Kleid und Kopftuch dasselbe Muster wie die Stofftapete hat, vor der sie steht, und die somit fast mit dem Hintergrund verschmilzt.
Bis auf ein paar Längen – den Dialog zwischen dem Grafen und Sérieuse, in dem sie ihn davon überzeugen will, sie zu töten, fand ich sehr ermüdend – hat mir das Buch gut gefallen. Auf jeden Fall ist es ein Buch, das aus der Masse hervorsticht!