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Buchdoktor
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Deutschland
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Romane, Krimis, Fantasy und Sachbücher zu sozialen und pädagogischen Tehmen interessieren mich.

Bewertungen

Insgesamt 612 Bewertungen
Bewertung vom 04.01.2017
Denken Sie jetzt nichts!
Jolander, Andrea

Denken Sie jetzt nichts!


sehr gut

Auf Andrea Jolander bin ich zunächst in anderen Buchgenres aufmerksam geworden durch ihre humorvolle Art, über Bücher zu plaudern. 'Denken Sie jetzt nichts' ist ihr drittes Buch in einer Reihe unterhaltsamer Titel über die menschliche Psyche und unsere Sorgen, von Außenstehenden für nicht normal gehalten zu werden. Inhaltlich bieten die Bücher Lesern wenig Neues, die sich bereits damit befasst haben, wie der Mensch und seine Mitmenschen ticken. Die 'unerhörte Neuigkeit' in Andrea Jolanders Büchern ist der humorvolle, wertschätzende Ton, in dem sie unterstreicht, dass die Menschen nun mal verschieden sind und jeder sich auf seinen gesunden Menschenverstand verlassen sollte. Dieser wohltuende Tonfall hat mir deutlich gemacht, dass uns im Zeitalter der Casting-Shows und der Selbstinszenierung in der virtuellen Welt das kostenlose und nebenwirkungsfreie Mittel offenbar verloren gegangen ist, uns gegenseitig anzuerkennen und unsere Unterschiedlichkeit zu akzeptieren. Wann haben Sie das letzte Mal einer jungen Mutter gesagt, dass sie tolle Kinder hat und ihre Sache gut macht?

Unsere Instinkte können uns "aus dem Bauch heraus" vor übereilten Entscheidungen und damit vor Schaden bewahren, sie können unsere Partner und Kollegen extrem nerven, aber nicht alle Nachrichten aus den Tiefen unseres inneren Archivs sind im Alltag noch aktuell, erfahren wir hier. Ein wichtiges Anliegen ist Andrea Jolander die Bindungstheorie und die niederschwellige Information breiter Leserschichten über Bindungsstörungen zwischen Eltern und Kind. Weit davon entfernt, Eltern Ratschläge geben zu wollen, lenkt sie ' stets wohlwollend ' ihre Leser zu einem Rückblick auf die eigene Kindheit, die Voraussetzung für das Hineinwachsen in die eigene Elternrolle ist. In vertraut annehmendem Tonfall geht es schließlich um die 12. Fee, die im Märchen zusätzlich in Dornröschens Leben getreten sein könnte, um unglückliche Entwicklungen der kleinen Prinzessin gerade noch rechtzeitig aufzufangen. Hier wird sehr anschaulich die Bedeutung der Rolle von Paten, Mentoren oder Unterstützern aufgezeigt für Menschen, die den Weg ins Leben mit ungünstigen Startchancen angetreten haben.

Ein locker zu lesendes und leicht verständliches Buch, das evtl. vorhandene Schwellen abbauen kann, sich mit Psychologie und Psychotherapie zu beschäftigen.

Bewertung vom 04.01.2017
Der Andere
Guterson, David

Der Andere


ausgezeichnet

David Guterson schreibt über den pazifischen Nordwesten der USA, eine Gegend, in der er selbst lebt – darum haben seine Bücher bei mir von vornherein einen Stein im Brett. „Der Andere“ hat mich zunächst zögern lassen, weil es nach Thoreaus „Walden“ in der Literatur bereits einige kauzige Einzelgänger gab, die sich aus der Zivilisation zurückziehen.

Den Icherzähler Neil Countryman und John William Barry verbindet eine ungewöhnliche Freundschaft. Die beiden wachsen in Gesellschaftsschichten Seattles auf, die nicht unterschiedlicher sein könnten und selten Kontakt miteinander haben. Neils irisch-stämmiger Familien-Clan arbeitet in Handwerksberufen, während John Williams Vater ein hohes Tier bei Boeing ist und seine Vorfahren zu den Gründern der Stadt gehörten. Die beiden Jungen lernen sich als 16-Jährige zufällig beim Laufen kennen. Ihre Wege sind vorgezeichnet, John wird die Elite-Uni Lakeside besuchen und dort karrieredienliche Kontakte knüpfen, Neil als erster seiner Familie ein Studium abschließen und es selbst finanzieren. Als Neil als Mittfünfziger seine Erinnerungen an seine Freundschaft mit John niederschreibt, hat er ein Berufsleben als Lehrer hinter sich und mehr als einen Roman geschrieben, ohne sich unter Druck zum Veröffentlichen zu fühlen. Er scheint mit sich und seinem Leben im Einklang zu stehen. Vor kurzem hat Neil unerwartet ein unvorstellbar hohes Vermögen geerbt und ist durch seine Freundschaft zum „Eremiten von Hoh“ unfreiwillig berühmt geworden.

John William war schon als Jugendlicher anstrengend für seine Mitmenschen. Ohne den bekannten Familiennamen im Hintergrund hätte man seine Entwicklung zum Soziopathen und späteren Straftäter befürchten können. Ich habe mich auch gefragt, welche Aussichten ein Junge aus Johns Verhältnissen gehabt hätte, der sein Leben lang im Schatten des erfolgreichen Vaters stehen würde. Die Lust, seine körperlichen Grenzen auszutesten, verbindet John mit Neil; gemeinsam besteigen die beiden alle Gipfel der Olympic Mountains. Während Neil studiert, zieht John in einen Wohnwagenanhänger am Fluss Hoh, der nach einem Indianerstamm benannt ist. Schließlich setzt John noch eins drauf, zieht in eine abgelegene Höhle im Nationalpark und verwischt mit Johns Hilfe endgültig seine Spuren. Das Projekt wirkt amerikanisch-bizarr, denn John ernährt sich nicht etwa von Tieren und Früchten des Waldes, sondern schichtet einen üppigen Vorrat an Toilettenpapier in seiner Höhle auf, sowie eine mannshohe Wand aus Lebensmittel-Konserven. John bleibt auf Gedeih und Verderb von Neil als Botengänger abhängig, der ihn mit praktischen Dingen der zivilisierten Welt versorgt.

Neil hat damals bereits darüber nachgedacht, ob Johns Rückzug Symptom einer psychischen Erkrankung sein könnte. Er entscheidet sich jedoch gegen den Verrat seines Freundes an die Parkverwaltung und lässt John in den undurchdringlichen Wäldern zurück im Bewusstsein, dass sein Freund und Blutsbruder im Fall von Krankheit oder Unfall dort keine Überlebenschance hat. Schließlich durchqueren junge Männer ihres Alters Wüsten mit dem Fahrrad, ohne dass jemand an deren Geisteszustand zweifelt, sagt sich Neil.

Guterson analysiert eine ungewöhnliche Männerfreundschaft, die ein aufsehenerregendes Ende nimmt. Sein zutiefst philosophischer Roman verknüpft mehrere Zeitebenen, die nicht immer sofort klar voneinander zu trennen sind. Der inzwischen gealterte Neil baut in seine Geschichte Ansichten seiner Frau Jamie über John ein, Auskünfte einer Jugendfreundin Johns und befragt schließlich Johns betagten Vater über die Familie. Mehrere Handlungsstränge spielen zu unterschiedlichen Zeiten in Neils Leben. Eine lineare Erzählung hätte dem Reiz der Geschichte meiner Ansicht nach nicht geschadet. Ich habe den Roman mit Gewinn gelesen, empfehle ihn jedoch aufgrund des verschachtelten Plots mit einiger Skepsis.

Bewertung vom 04.01.2017
DuMont Reise-Taschenbuch Reiseführer Island
Barth, Sabine

DuMont Reise-Taschenbuch Reiseführer Island


ausgezeichnet

3. aktualisierte Auflage 2014

Handhabung:
Der Reiseführer aus der Reihe Dumont-Taschenbuch passt mit seinem sehr handlichen Format in die sprichwörtliche Jackentasche.
++ herausnehmbare Landkarte im Maßstab 1:900 000 ' Stand von 2014
++ sehr gute Verknüpfung des Texts mit Landkarte und Detailkarten

Gliederung
Wer mit der blauen Reihe Dumont Reise-Taschenbuch vertraut ist, findet die gewohnte Gliederung vor.
++ Vorauswahl von persönlichen Schwerpunkten und Reisezielen
++ Die ausführliche Darstellung folgt mit Beginn in Reykjavik einer kreisförmigen Reiseroute vom Süden, über den Osten bis in den Norden und endet im Hochland.
++ Empfehlung der 10 persönlichen Lieblingsorte der Autorin
++ sehr gute ganz- und halbseitige Farbfotos

Schwerpunkte
++ Sabine Barth hat in Island gelebt und gearbeitet. Ihre Landeskenntnisse und ihr Verständnis für die Besonderheiten der Isländer kommen ihrem Reiseführer zugute.
++ ausführlicheren Reportagen und Essays (Umfang eine Doppelseite) z. B. zu Geologie der Insel, Wikinger, geothermische Energie, Bankenkrise, Vulkane, isländische Literatur, Zeit der amerikanischen Besatzung, mit besonderem Blick auf ökologische Zusammenhänge
++ Neben Hotels gibt es Unterkunfts-Tipps auch zu Jugendherbergen und Campingplätzen, ein Preisrahmen wird genannt.
++ Positiv sind mir die Themen sterbende Wirtschaftszweige und ihre Ruinen und die Entwicklung des Walfangs aufgefallen. Zur Wirtschaftsgeschichte hätten die Kapitel gern etwas ausführlicher sein können.
++ Die Reihe setzt auf den persönlichen Kontakt zu den Lesern, die aufgefordert werden, Autor und Verlag eigene Erfahrungen mitzuteilen.

Aktualisierungen
... können auf der Verlagswebseite ohne Registrierung als pdf, epub oder iMobi heruntergeladen werden. Zur vollständigen Nutzung der Aktualisierung muss man sich registrieren. Da sich z. B. Öffnungszeiten oder Urteile über Restaurants schnell ändern können, zeugt dieser Ansatz von Fairness gegenüber Anbietern und vom Interesse des Verlags, Buchkäufer als Stammkunden zu binden.

Ursprünglich wollte ich ohne einen neuen Islandreiseführer nur mit Landkarte reisen. Ein Blick in die Neuausgabe des Dumont Reise-Taschenbuchs hat mir gezeigt, dass Sabine Barth und ich einen ähnlichen Geschmack bei der Auswahl unserer Reiseziele haben und dass es für mich unerwartet viel Neues zu entdecken gibt.

Bewertung vom 04.01.2017
Manchmal gibt es einfach Streit
Geisler, Dagmar

Manchmal gibt es einfach Streit


ausgezeichnet

Nicht nur Kinder streiten sich, sondern auch Erwachsene. Im Tierreich gibt es Auseinandersetzungen um einen Platz im Rudel. Zum Streit kommt es z. B., wenn Kinder etwas wollen, das ihnen Erwachsene nicht erlauben. Auseinandersetzungen zwischen Erwachsenen machen Kindern besondere Angst, weil sie sich oft schuldig an Konflikten fühlen. Dagmar Geisler zeigt uns in kleinen Detailzeichnungen genau, wie wir "dicke Luft" zwischen Menschen an ihrer Körperhaltung und ihrer Mimik erkennen können: eine faltige Stirn, heruntergezogene Mundwinkel, sich Anschweigen oder ungeduldig mit dem Fuß wippen. Wer lernt, bei anderen Zeichen von Verletzung wahrzunehmen, kann leichter darüber sprechen, was ihn selbst bewegt oder ängstigt. Streit kommt in den besten Familien vor, erklären die Eltern von Dagmar Geislers Hauptfigur, aber man kann Wünsche ausdrücken lernen, sich wieder vertragen und sich für sein Verhalten entschuldigen.

Das Bilderbuch für Kinder ab 5 Jahren ist ein erster Schritt dazu, in der Familie Konflikte auszutragen und über eigene Gefühle zu sprechen. Um Streitigkeiten unter Kindern geht es im Buch nur am Rande, als die Hauptfigur selbst im Kindergarten wütend wird, weil zu Hause Streit herrscht. Sehr gelungen finde ich, wie Verständnis für Auseinandersetzungen zwischen Erwachsenen geschaffen wird. Die Hauptfigur ist in Kleidung und Auftreten geschlechtsneutral, der Kindergartenfreund an seinem Vornamen als Junge zu erkennen. Die genderneutrale Darstellung mit ihrem Versuch eines Mittelwegs zwischen klassisch pinker und dunkelblauer Kinderwelt finde ich sehr ansprechend. Beim Thema Konfliktlösung für das Kindergartenalter hat sie m. A. nach jedoch auch Nachteile; denn gerade in diesem Alter sind Konflikte selten geschlechtsneutral.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.01.2017
Alles so leicht
Haston, Meg

Alles so leicht


sehr gut

Zur Behandlung ihrer Essstörung ist Stevie von ihrem Vater überstürzt in eine Spezialklinik in New Mexico eingewiesen worden. Wie eine massiv psychisch erkrankte Siebzehnjährige buchstäblich in die Wüste geschickt wird, hat bei mir zunächst große Vorbehalte gegenüber Meg Hastons Buch ausgelöst. Stevie, früher Stephanie, fühlt sich am Unfalltod ihres Bruders schuldig und hat beschlossen, sich bis zu seinem ersten Todestag zu Tode gehungert zu haben. Während sie sich äußerlich einigermaßen den rigiden Strukturen des Klinikalltags anpasst, verfolgt sie zielgerichtet ihren persönlichen Plan, den sie in ihrem Tagebuch dokumentiert. Indem Stevie über ihr trickreiches Ringen gegen ihre Therapeuten und die strengen Regeln der Therapie-Einrichtung in der Ichform erzählt, gibt sie den Lesern ihre geheimen Gedanken preis, die sie vor ihrer Einzeltherapeutin zunächst verheimlichen kann. Stevie tut sich sehr schwer damit, sich auf die Therapie einzulassen. So berichtet sie z. B. von ihrer Therapeutin lange nur als SK (Seelenklempner), statt Anna bei ihrem Namen zu nennen. Es ist nicht zu übersehen, dass Stevies Wohngruppe im Therapiekonzept eine wichtige Rolle spielt und dass von den Mädchen erwartet wird, auch die Schicksale und Krankheiten ihrer Mitpatientinnen anzuerkennen. Offenbar ist das Aufbegehren gegen den Ablauf der Therapie, das Beharren auf einer anderen Diagnose und der dringende Wunsch nach einer Sonderrolle Teil von Stevies Erkrankung und damit einer der kritischen Punkte, an denen ihre Therapie ansetzen wird. In Rückblenden wird zunehmend deutlich, welche Ereignisse Joshs Unfall vorausgingen und dass Stevies Essstörung nur einen Mosaikstein von mehreren in einer therapiebedürftigen Familienkonstellation bildet. Auch die Rolle, die Stevies Freundin Eden in der Vorgeschichte spielte, muss noch genauer beleuchtet werden. - Stevie ist intelligent genug, die Therapiebemühungen immer wieder zu unterlaufen. Da sie außerdem eine extrem genaue, kritische Beobachterin ihrer Mitmenschen ist, lesen sich ihre Tagebucheintragungen ebenso spannend wie beklemmend. Sie scheut sich dabei nicht, ihre Zwänge zu notieren, die zwanghaften isometrischen Übungen, das ständige Messen und Überprüfen ihrer Muskeln und Knochen. Die Spannung der Handlung entsteht aus dem Rätseln, was damals vor 11 Monaten mit Josh passierte, dem Mitfiebern, ob Stevie sich wirklich das Leben nehmen wird und der Dynamik innerhalb der Mädchengruppe. Meg Haston trifft die Innenwelt ihrer 17-jährigen Protagonisten punktgenau, so dass junge Leser/innen sich sicher gut mit Stevie identifizieren können. Die dargestellten US-amerikanischen Verhältnisse fand ich aus meiner Sicht als Europäerin sehr befremdlich. Beispiel dafür ist das Trainieren "normalen" amerikanischen Essverhaltens mit Erdnussbutter, Backmischungen und Knack- und Backbrötchen, die ich eher als gestörtes Essverhalten einstufen würde. Meg Haston wird keine normalen, natürlichen Lebensmittel kennen, so dass man ihr Szenen wie diese nur schwer ankreiden kann. Ich nehme der Autorin allerdings übel, dass sie am Ende einer hochemotionalen, spannenden Handlung in dem Moment einknickt, als Anna mit Stevie über die Ursachen ihrer Essstörungen sprechen soll. Die Erklärung, dass Mädchen magersüchtig würden, weil sie von ihrem Leben als Frau überfordert wären, empfinde ich schlicht als feige; denn sie ignoriert die Verantwortung einer Gesellschaft und ihrer Mädchencliquen für das gestörte Körperbild, unter dem Stevie bereits lange vor dem tragischen Tod ihres Bruders litt. - "Alles so leicht" gelingt es, ein realistisches Bild einer Therapie in einer geschlossenen Einrichtung für Jugendliche aus der Sicht der Patientin zu zeichnen und jugendliche Leser damit gegen eine verbreitete "Legendenbildung" über psychiatrische Kliniken zu wappnen. Ein bewegendes Buch, das mit dem kombinierten Kernthema aus Essstörung und geplantem Selbstmord jedoch auf Betroffene eine fatale Triggerwirkung ausüben könnte.

Bewertung vom 04.01.2017
That Night - Schuldig für immer
Stevens, Chevy

That Night - Schuldig für immer


sehr gut

Als Toni Murphy nach 16 Jahren Haft auf Bewährung entlassen wird, ist sie 34 Jahre alt. Verurteilt wurden Toni und ihr Freund Ryan wegen des Mordes an Tonis jüngerer Schwester, allein aufgrund von Zeugenaussagen. Beide haben damals vor Gericht ihre Unschuld beteuert. Toni lebt während ihrer Bewährungszeit in einem Freigängerhaus in Victoria auf Vancouver Island; der Kontakt zu Ryan ist ihr untersagt. Ein Wiederaufnahmeverfahren kann und will ihre Familie sich nicht leisten. Falls Ryan und Toni unschuldig sein sollten, leben Täter und Zeugen noch immer unbehelligt in der Heimatstadt der beiden. Tonis und Ryans Rückkehr nach Campbell River, eine Kleinstadt von 30 000 Einwohnern, lässt deshalb Übles befürchten.

In Rückblenden berichtet Toni als Icherzählerin von der Zeit vor dem Mord an Nicole. Stets machte Toni als Jugendliche Ärger, während Nicole es schaffte, sich oberflächlich anzupassen, um Auseinandersetzungen mit den Eltern aus dem Weg zu gehen. Toni plant, möglichst bald finanziell unabhängig zu werden und mit Ryan zusammenzuziehen. Ihre Beziehung zum Bad Boy Ryan festigte damals Tonis Ruf als Mädchen, das immer Ärger macht, so dass nach Nicoles Tod niemand ihren Unschuldsbeteuerungen glaubte. Ausweglos breitet sich auch nach Tonis Haftentlassung ihr schlechter Ruf über ihr gesamtes Leben aus. Ähnlich wie in "Gone Girl" stehen sich hier skrupellose Mobber als das personifizierte Böse und ihr hilfloses Opfer gegenüber.

Toni ist während ihrer Haftstrafe älter geworden, aber nicht reifer. Durch die unreflektierte Sicht aus der Ichperspektive wirkt ihre Vorgeschichte auf den ersten 200 Seiten wie eine Teeniegeschichte. Ohne innere und äußere Spannung fand ich diese Tonlage für einen Thriller sehr mühsam zu lesen. Eine weitere Perspektive hätte die Rückblende erheblich straffen können und mehr Raum für einen kritischen Blick auf Nicoles Opferhaltung gelassen. Dass in einem Kapitalverbrechen gegen zwei sehr junge Menschen allein von zwei Kleinstadtpolizisten ermittelt wurde, wirkt auf mich als europäischen Leser mehr als sonderbar.

Die Beschränkung auf die Ichperspektive lässt Chevy Stevens Thriller in der ersten Hälfte wie ein durchschnittliches Jugendbuch wirken. Die einseitige Sicht des Opfers von möglicherweise falschen Zeugenaussagen finde ich zwar psychologisch interessant, meinem Anspruch an einen Thriller wird der Plot damit nicht gerecht.

Bewertung vom 04.01.2017
Oma lässt grüßen und sagt, es tut ihr leid
Backman, Fredrik

Oma lässt grüßen und sagt, es tut ihr leid


ausgezeichnet

Elsa kommt mit Erwachsenen besser klar als mit anderen Kindern oder Lehrern. Kein Wunder, dass sie in der Schule Probleme hat. Richtig Ärger bekommt Elsa aber erst, wenn ihre Oma in die Schule kommt, um Elsas Lehrern ihre außergewöhnliche Enkelin zu erklären. Dass diese temperamentvolle Oma Probleme mit Autoritäten hat, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Wenn andere loben, Oma sei fit für ihr Alter, weiß man deshalb nie genau, ob das als Lob oder Kritik gemeint sein soll. Doch Elsa durchschaut genau, dass Außenstehende eine Oma für etwas durchgeknallt halten, die World of Warcraft spielt und beim Monopoly mogelt. So wie Oma gestrickt ist, kann es auch mit ihrer perfektionistischen Tochter, Elsas Mutter, nur Ärger geben. Als eine Pippi Langstrumpf des Internetzeitalters wirkt Elsa für ein Kind in ihrem Alter erfrischend herablassend gegenüber den Schwächen Erwachsener. Von Elsa wird erwartet, dass sie sich in der Schule anpasst, doch ihre Oma lebt ihr vor, dass man genau das nicht tun sollte. Menschen, die normal sind, bewegen nichts, meint Elsas Oma. Um Elsa zu trösten, die in der Schule schikaniert wird, hat Oma sich Miamas, ein Phantasieland voller Märchen und Märchenwesen ausgedacht. Die Landeswährung dort sind Geschichten, und zu Miamas gehört der magische, tröstliche Kleiderschrank, in den Elsa sich flüchten kann.

Warum Oma mit dem Chaos wunderbar zurechtkommt, aber im Alltag überfordert ist, erfährt Elsa, als Oma von ihrem Beruf erzählt. Man hat ihr als Jugendliche erklärt, was Frauen alles nicht können und nicht dürfen. Genau diese Dinge hat Oma getan, Medizin studiert und als Kinderärztin in armen Ländern gearbeitet. Elsas Mutter blieb als Kind in Schweden zurück, während ihre Mutter in fernen Ländern Kindern das Leben rettete - und hasste den Beruf ihrer Mutter.

Nach einem Aufsehen erregenden Vorfall im Zoo muss Elsa sich nun darauf vorbereiten, dass Oma nicht mehr lange zu leben hat. Nur Elsa kann Omas letzte Wünsche erfüllen und dazu muss sie wie auf einer Schnitzeljagd wichtige Menschen aus Omas Leben kennenlernen. Das Verknüpfen von Omas Hilfseinsätzen und ein paar ihrer gestrandeten Schützlinge aus Kindersicht hat Krimicharakter und scheint für so ein kleines Mädchen fast zu viel zu sein. Die Handlung scheint kein Ende zu nehmen, vielleicht, weil man als Leser immer noch auf ein Happy End wartet.

Wer sich dafür interessiert, was im Kopf einer kessen Siebenjährigen vorgehen könnte, sollte hier beherzt zugreifen, aber darauf vorbereitet sein, dass dieses unbewusst höchst ironische Persönchen sehr drastisch mit Angst, Trauer, Wut und Eifersucht zu kämpfen hat.

P. S.: Man muss Ove nicht lieben, um Elsa zu lieben.

5 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.01.2017
DuMont Reise-Taschenbuch Reiseführer Schottland
Eickhoff, Matthias

DuMont Reise-Taschenbuch Reiseführer Schottland


ausgezeichnet

4. überarbeitete Auflage 2014

Handhabung:
Der Reiseführer aus der Reihe Dumont-Taschenbuch
++ ... passt mit seinem sehr handlichen Format in die sprichwörtliche Jackentasche,
++ ... hat eine herausnehmbare Landkarte im Maßstab 1:900 000, Stand von 2014, die eine sehr vernünftige Auswahl von Campingplätzen verzeichnet und stabil genug ist, um mehrere Wochen Nutzung zu überstehen.
++ ... und punktet mit einer sehr guten Verknüpfung der Texte mit Landkarten und Detailkarten.

Gliederung
Wer mit der blauen Reihe Dumont Reise-Taschenbuch vertraut ist, findet die gewohnte Gliederung vor.
++ Vorstellung der persönlichen Schwerpunkte des Autors: Edinburgh, Glasgow, Inverness u. a. Städte, der Cairngorms National Park, markante Burgen und Wandergebiete.
++ Die ausführliche Darstellung folgt in 8 Kapiteln mit Beginn in Edinburgh einer kreisförmigen Reiseroute vom Süden, über den Südosten, in den Norden und endet in den südwestlichen Highlands.
++ Die persönlichen Lieblingsorte des Autors, an denen sich mit den Füßen und mit der Seele baumeln lässt, richten sich schwerpunktmäßig an Naturliebhaber und wirken sehr beschaulich.
++ sehr gute ganz- und halbseitige Farbfotos

Schwerpunkte
++ Der Autor hat mehrere Bücher über Schottland verfasst, u. a. einen Wanderführer.
++ In ausführlicheren Reportagen und Essays (Umfang eine Doppelseite) geht es im Einzelnen um die Unabhängigkeitsbestrebungen Schottlands, die Entstehung des Edinburgh Festivals, R.L. Stevenson und Sir Walter Scott, Robert Burns, die Highland Games, das Ungeheuer von Loch Ness, Maria Stuart und Elisabeth I., Glasgow, die schottische Wirtschaft, Ölförderung, Schauplätze historischer Schlachten, Destillen.
++ Neben Restaurants und Hotels findet man Unterkunfts-Tipps auch zu Jugendherbergen und Campingplätzen, ein Preisrahmen wird genannt.
++ Mit grünem Hintergrund abgesetzt stellt Matthias Eickhoff persönliche Tipps vor, zumeist landschaftliche Highlights und u. a. einen Schiffsausflug.
++ Die Reihe setzt auf den persönlichen Kontakt zu den Lesern, die aufgefordert werden, Autor und Verlag eigene Erfahrungen mitzuteilen.

Aktualisierungen
... können auf der Verlagswebseite ohne Registrierung als pdf, epub oder iMobi heruntergeladen werden. Zur vollständigen Nutzung der Aktualisierung muss man sich registrieren. Da sich z. B. Öffnungszeiten oder Urteile über Restaurants schnell ändern können, zeugt dieser Ansatz von Fairness gegenüber Anbietern und vom Interesse des Verlags, Buchkäufer als Stammkunden zu binden.

Fazit
Das Dumont Reise-Taschenbuch sollte zur ersten Orientierung dienen und zur Entscheidung, ob Natur oder Kultur Schwerpunkte eines Schottland-Urlaubs sein werden. Die Hinweise auf konkrete Unterkünfte habe ich bisher nicht genutzt. Der Band hat seine Aufgabe zu meiner Zufriedenheit erfüllt; das Verhältnis von Kultur und Natur empfinde ich - auch nach der Nutzung des Reiseführers in der Praxis - als ausgewogen. Gefehlt haben mir als Schottland-Greenhorn für erste allgemeine Reisevorbereitungen genauere Angaben über Camping in Schottland.