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Juti
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HD

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Insgesamt 631 Bewertungen
Bewertung vom 27.11.2020
Der kretische Gast
Modick, Klaus

Der kretische Gast


sehr gut

Zu viel Zufall

Ich bin ein Modick-Fan. Seine letzten Bücher „Keyseerlings Geheimnis“ und „Konzert ohne Dichter“ konnte ich eine Bestnote geben. Bei diesem schon älterem Werk muss ich aber einen Stern abziehen. Der Grund liegt darin, dass die Verknüpfung der Urlaubsgeschichte des Sohn von Hollbach mit den Kriegserlebnissen des kretischen Gast unglaubwürdig erschient.

Hätte der Autor besser nicht daran getan diese Nebenhandlung wegzulassen? Das eigentlich spannende nämlich wie der Vater zu den Kriegsverbrechen steht, die sein Sohn aufdeckt wird gar nicht erzählt. Dafür viele romantische Liebesschnulze.

Doch wie bei Modick sonst auch ist die Historie gut recherchiert, so dass ich zustimmen könnte. So könnte es gewesen sein. Man bekommt Lust beim nächsten Kreta-Urlaub nach den Spuren der Vergangenheit zu suchen.

Vielleicht hat sich Modick die Kritik an diesem Buch zu Herzen genommen und die nächsten Bücher kürzer und prägnanter geschrieben. Wegen der Spannung im Mittelteil noch 4 Sterne.

Bewertung vom 20.11.2020
Edward Snowden
Harding, Luke

Edward Snowden


gut

Friedensnobelpreis für Snowden!

Diese Forderung steht nicht im Buch. Aber nachdem ich Snowdens Autobiografie gelesen habe, wollte ich dieses schon über 5 Jahre alte Buch endlich von meiner Leseliste streichen.

Wer Snowdens Buch gelesen hat, muss dieses Buch nicht mehr lesen. Es bestätigt aus der Sicht eines Journalisten, was Snowden geschrieben hat. Nach 5 Jahren interessiert auch nicht mehr, dass Merkels Handy abgehört wurde.

Ich vergebe dennoch drei Sterne, weil seinerzeit gut recherchiert wurde. Der Autor kann nichts dafür, dass ich es verdaddelt habe, dieses Werk als aktuelles Buch zu lesen.

Bewertung vom 14.11.2020
Privateigentum
Deck, Julia

Privateigentum


ausgezeichnet

Satire über das bürgerliche Leben

Bei uns in Heidelberg wurde ein neuer Stadtteil gebaut. In diesem Viertel stehen Passivhäuser, die so gut gedämmt sind, dass man im Winter keine Heizung braucht, im Sommer aber eine Klimaanlage, wenn man weniger als 35 Grad in der Wohnung haben möchte.

Ähnlich ergeht es der Ich-Erzählerin im Pariser Speckgürtel, deren Wasser unter der Straße umgetauscht wird, was aber nicht funktioniert, weswegen sie immer kalt duschen muss. Das Leben der Bewohner dieser Straße erinnert an Anke Stelling „Schäfchen im Trockenen“, wobei es unwahrscheinlich ist, dass die französische Autorin dieses Buch kennt. Während Stelling eine WG beschreibt, wird hier das Leben von auf einer Straße in einem Neubaugebiet geschildert, die aber alle zum wohlhabenden Teil der Gesellschaft gehören. Man lebt nahe Paris und hätte seine Ruhe, wenn nicht die gerade die Nachbarn eine Party feiern.

Das wiederum erinnert mich an eine Wanderung im Odenwald, wo ich Häuser in einem einsamen Tal sah. „Dich mein stilles Tal, grüß ich tausend Mal“, sagt das Volkslied, doch es war Samstag und der Lärm der Hobbyhandwerker zog unerbittlich den Berg hoch.

Zurück zum Buch: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“ ist das nächste Lied, das mir einfällt. Dies bezieht sich zum einen auf die neue Terrasse des Nachbarn, die den Garten der Erzählerin verdreckt zum anderen auf eine tote Katze und zu schlechter letzt auf eine verschwundene Nachbarin.

Während viele Satiren immer weiter zuspitzen bis sie völlig unglaubwürdig werden, löst Deck dieses Problem, indem sie aus der verschwundenen Nachbarin einen Krimi macht, bei dem der Ehemann der Erzählerin verhaftet wird. Die Handlung dieser 40 Seiten ist so kompliziert, dass es Drehbuch für einen Tatort sein könnte.

Weil ich nicht alles verstanden habe, hätte fast einen Stern abgezogen. Da ich sonst aber zufrieden war und der erste Kritiker bin, lasse ich dann doch alle Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.10.2020
Die Scham
Ernaux, Annie

Die Scham


gut

Ausgezwitschert

Dieses Buch könnte das kürzeste der Welt sein. Im ersten Satz (S.9) wird das ganze Buch erzählt: „An einem Junisonntag am frühen Nachmittag wollte mein Vater meine Mutter umbringen.“
Ab Seite 14 geht es dann mehr um das Jahr 1952 als um die Szene selbst. Wenn Kritiker in diesem Buch ein davor und danach sehen wollen, dann frage ich, ob die Scham nach dem Ereignis nicht auch wegen des Ende der Kindheit der 12jährigen Annie einsetzt. Das ist aber nie ein Thema. Die Ich-Erzählerin wünscht sich zwar immer endlich einen Busen zu bekommen, aber ihren ersten Orgasmus erlebt sie erst zwei Jahre später, wie sie uns freimütig im letzten Satz mitteilt.

Lange Zeit verbringt das Buch im Jahr 1952 und ich als Leser frage mich, warum mich dieses Jahr so interessieren soll, nur weil die Hauptperson ein einschneidendes Erlebnis in dem Jahr hatte.
Mich wundert, dass Thea Dorn durch dieses Buch zum Ernaux-Fan geworden ist. Ich fand ihre ersten Bücher spannender. Aber wer nur autobiografisch erzählt, dem müssen irgendwann die Themen ausgehen. So fragte ich mich auch, ob dies Ereignis wirklich geschehen ist, aber letztlich ist das egal. Ich weiß auch, dass Ernauxs Bücher neu ins Deutsche übersetzt wurden und älter sind.

Erst gegen Ende des Buches bekam ich ein vergnügliches Leseerlebnis, als die Familie ihre erste Sommerreise macht und über ihre Verhältnisse lebt, ja sich im reicheren Milieu nicht auskennt.
Anders als Frau Dorn vergebe ich mit 3 Sternen die schlechteste Note, die ich je für ein Ernaux-Buch verteilt habe.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.10.2020
Permanent Record
Snowden, Edward

Permanent Record


ausgezeichnet

Verschlüsselungspflicht

Wenn sich nach der Lektüre eines Buches sich etwas in der Einstellung des Lesers verändert, dann hat es viel erreicht. Nach dieser Autobiografie denke ich zumindest darüber nach, ob ich nicht meine Emails verschlüsseln sollte und ob ich mich nicht nach einem Tor-Server erkundigen sollte.

Sonst bot die kurzweilige Lektüre das Leben eines faulen Genies, der seine Jugend vorwiegend am Computer verbracht hat. Ferner wird nicht vergessen, dass Snowden als Patriot seinem Land dienen wollte und dass er sich als einziger unter seinen Kollegen um die amerikanische Verfassung kümmerte. Und es freut mich, dass er sich dank Freundin Lindsay auch halbwegs wohl im Exil in Moskau fühlt.

Ich habe an diesem Buch nichts zu meckern. Wo Snowden drauf steht, ist auch Snowden drin. 5 Sterne

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Bewertung vom 20.09.2020
Die Welt des Baedeker
Müller, Susanne

Die Welt des Baedeker


sehr gut

Corona-Reisen

Wer schon nicht verreisen kann, der kann sich mit diesem Buch über das Reisen informieren. Noch dazu hat es den Vorteil, dass er in der Zeit von 1835 bis 1945 reist, was sonst schwierig ist.

Im Mittelpunkt steht der Reiseführer im roten Einband, doch sollen auch andere Guides nicht zu kurz kommen. Selbst die Satire über die Reiseführertouristen, die sich nur das Anschauen, was im Baedeker steht kommt nicht zu kurz.

Und im Zweiten Weltkrieg wird der Baedeker verdächtig, dass alle Ziele, die bei ihm 3 Sterne haben, von der Luftwaffe angegriffen werden. Doch wie jeder weiß, vergibt der Baedeker selbst fürs beste Reiseziel nur 2 Sterne. Auch mit diesem Buch kann der Autor es nicht verwechselt haben, weil ich ihm 4 Sterne gebe. Für 5 Sterne hatte es zu viele Längen.

Bewertung vom 12.09.2020
Eine Frau
Ernaux, Annie

Eine Frau


sehr gut

leichte Spätsommerlektüre

Ich mag kurze Bücher, da die langweiligen Stellen fehlen. Annie Ernaux wurde so zu einer meiner Lieblingsautoren. Ihr unaufgeregter Erzählstil bezaubert auch dieses Buch.

Nachdem sie in „Der Platz“ über die Geschichte ihres Vaters geschrieben hatte, folgt nun die Geschichte ihrer Mutter. Bei ihrem Vater stand der Konflikt des Arbeiter mit der studierenden Tochter im Mittelpunkt. Das klingt auch hier an, aber da die Mutter ihre Tochter bei der höheren Bildung unterstützt, liegt der Schwerpunkt dieses Buches auf den sozialen Aufstieg, den die Mutter dank ihrer Arbeit im eigenen Laden geschafft hat. Dass sie deswegen nicht immer Zeit für ihre Tochter hatte war der Preis.
Beeindruckend auch, wie sie die Alzheimer-Krankheit ihrer Mutter am Ende des Buches beschreibt.

Ich will dennoch dem Buch nur 4 Sterne geben, weil dem Leser der vorigen Bücher ein wenig das wirklich Neue fehlt.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.09.2020
Forster - Humboldt - Chamisso

Forster - Humboldt - Chamisso


weniger gut

Was man von Reiseliteraturforschung erwarten darf

Eigentlich frage ich mich, welchen Sinn ein Sachbuch über Reisen hat, wenn die Originale lustiger und informativer, kurz besser sind als die Forschungsergebnisse selbst. So muss sich der fragen, der Forster kennt und Humboldts Biografie gelesen hat, was er wirklich Neues erfährt.

Die Detailliebe der deutschen Gelehrten des 21. Jahrhunderts übersteigt sicher, die der damaligen Zeitgenossen, doch wer nach einem halben Jahr fragt, was von diesem Buch hängen geblieben ist, der wird zwei Wörter hören: Nicht viel.

Ebenso viele Sterne erhält dieses Buch.

Bewertung vom 07.09.2020
Metropol
Ruge, Eugen

Metropol


ausgezeichnet

Im Wartesaal des Todes

Dieses Bild von Volker Weidermann passt am Besten zu der Geschichte von Charlotte, der Großmutter des Autors, die von 1936 mehr als ein Jahr im Moskauer Luxushotel, das sie als Luxusgefängnis empfindet, miterlebt, wie nach und nach ihre Nachbarn, andere Bekannte und Arbeitskollegen immer nachts von den Mitarbeitern des Geheimdienstes abgeholt werden. Da es im Hotel nur Mittagessen gibt, muss sie mit Schlange stehen, wenn sie einkaufen geht. Und die Geschichte wie ihre sozialistischen Schuhe mit Pappsohlen von einem bürgerlichen Handwerker korrigiert werden, ist ein weiterer Höhepunkt.
Nur kurz darf Charlotte ihr "Gefängnis" verlassen, als sie eine Arbeit findet in der Redaktion als ins Deutsche übersetzende Journalistin. Als aber ihre Bekannte Hilde Tal verhaftet wird, verliert auch sie ihre Stelle.

Wir hören vom Richter eines Militärgerichtes, der mit der Frau eines Angeklagten schlafen will, die ihre Ehre für die Freiheit ihres Mannes opfern will und der trotzdem am Todesurteil festhält. Der deutsche Schriftsteller Feuchtwanger, der zufällig einige Zeit im Zimmer neben der Hauptdarstellerin wohnt, hält diese stalinistische Schauprozesse sogar noch für gerecht.

Insa Wilke hat anscheinend bessere Bücher über den Stalinismus gelesen, Thea Dorn liest ein Recht zum Zweifel heraus. Ich ziehe erstaunt meinen Hut und vergebe als Neuling im Stalinismus mit Vergnügen 5 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.