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Dreamworx
Wohnort: 
Berlin

Bewertungen

Insgesamt 1369 Bewertungen
Bewertung vom 17.07.2021
Fräulein Mozart und der Klang der Liebe / Ikonen ihrer Zeit Bd.4
Maly, Beate

Fräulein Mozart und der Klang der Liebe / Ikonen ihrer Zeit Bd.4


sehr gut

Die begabte Nannerl Mozart
1766 Salzburg. Die 15-jährige Maria Anna Walburga Ignatia Mozart, genannt Nannerl, spielt neben ihrem jüngeren Bruder Wolfgang Amadeus in der Familie Mozart nur die „zweite Geige“, da sie ein Mädchen ist. Obwohl am Piano ausgesprochen begabt, wird Bruder Wolfgang vom Vater Leopold in allen Belangen gefördert und als Musikgenie an den durchlauchten Höfen Europas vorgestellt, denn in der Kunstszene war zur damaligen Zeit kein Platz für Frauen. Nannerl unterstützt Bruder Wolfgang in jeglicher Weise und ist ihm immer eine gute Ratgeberin. Männer machen der hübschen Nannerl den Hof, doch dann verliebt sie sich auf einem Ball ausgerechnet in Franz Armand d’Ipppold, den Direktor eines Jungeninternats. Als Lehrer ist es Franz nicht erlaubt, eine Ehe einzugehen und besonders wohlhabend ist er auch nicht, so dass er für Nannerl tabu ist. Doch die junge Frau gibt weder ihre Liebe auf, noch lässt sie sich die Musik verleiden, widmet sich weiterhin ihren Kompositionen und ihrem Klavierspiel…
Beate Maly hat mit „Fräulein Mozart und der Klang der Liebe“ eine unterhaltsame historische Romanbiografie vorgelegt, die sich der älteren Schwester von Wolfgang Amadeus Mozart widmet, die dem Allrounder vor allem musikalisch in Nichts nachstand, aber aufgrund ihres Geschlechts zur damaligen Zeit keine Chance hatte. Der flüssige, bildhafte und mitreißende, teils dialektgefärbte Erzählstil nimmt den Leser mit hinein ins 18. Jahrhundert, wo er bei der Familie Mozart in Salzburg einzieht und dort vor allem Nannerls Spuren folgt. Während ihr widerspenstiger, egozentrischer und verwöhnter Bruder Wolferl sich dem Diktat des Vaters beugen muss, der ihn fördert, puscht und mit ihm an die Höfe Europas reist, bleibt Nannerl nur die Position seiner Ratgeberin und starken Schulter, an der er sich zuweilen beklagen und ausweinen kann. Gerade die Rolle der Frau zur damaligen Zeit hat die Autorin besonders hervorgehoben. Sowohl die Kunst- als auch die Musikszene blieb allein Männern vorbehalten, auch wenn Frauen vielleicht sogar talentierter waren. Als Leser fragt man sich oftmals, wieviel Anteil Nannerl wohl an den musikalischen Schöpfungen ihres Bruders hatte. Obwohl Mozart an den adligen Höfen sehr gefragt war, ist es doch verwunderlich, wie viel Schulden sich nach und nach anhäuften und die Familie in die Bredouille brachten. Die Beschreibungen des damaligen Lebensstils, der unterschiedlichen Gesellschaftsschichten sowie der Konzertreisen und Maskenbälle sind der Autorin sehr gut gelungen, so dass der Leser während der Lektüre alles wie einen Film vor dem inneren Auge hatte.
Die Charaktere sind interessant in Szene gesetzt, sie wirken glaubwürdig ihrer Zeit angepasst und vermitteln dem Leser Authentizität. Nannerl ist eine selbstsichere, willensstarke und mutige Frau, die sich durch nichts beirren lässt. Sie nimmt sich immer zurück, ist für ihren jüngeren Bruder Anker und sicherer Hafen zugleich. Sie kennt keinen Neid und sieht oftmals über Verfehlungen ihr am Herzen liegenden Menschen hinweg. Sie ruht in sich selbst, was sie Zufriedenheit ausstrahlen lässt, auch wenn das Leben ihr oft genug Steine in den Weg legt. Bruder Wolfgang ist eher ein verzogener, kindischer, exzentrischer Kerl, der allerdings seine Schwester innig liebt und ebenbürtig behandelt. Seine genialen Kompositionen hat er mit Sicherheit auch seiner Schwester zu verdanken, die ihm musikalisch bestimmt ebenbürtig war.
„Fräulein Mozart und der Klang der Liebe“ ist ein unterhaltsamer, kurzweiliger historischer Roman, der Mozarts Schwester Nannerl wieder lebendig werden lässt. Der fiktive Teil überwiegt in der Geschichte zwar, doch löst er ein wunderbares Kopfkino aus und veranlasst den Leser nach der Lektüre zu weiteren Recherchen. Verdiente Leseempfehlung!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.07.2021
Zeit des Wandels / Die Alster-Schule Bd.1
Kröhn, Julia

Zeit des Wandels / Die Alster-Schule Bd.1


ausgezeichnet

Schulalltag in Zeiten des politischen Wandels
1930-1939 Hamburg. Die junge, lebenshungrige Lehrerin Felicitas Marquardt ist ambitioniert und beseelt von dem Gedanken, ihre Schüler zum selbständigen Denken zu ermuntern und so deren Talente hervorzuholen und zu fördern. Gewaltsames Einbläuen und strenger Drill kommen für sie nicht in Frage. So hält sie es auch an der Alster-Schule, wo sie mit Hilfe der Fürsprache durch Studienfreund Emil eine Anstellung bekommen hat. Während Emil allerdings heimlich in sie verliebt ist und sich mehr von ihr erhofft, steht Felicitas mehr der Sinn nach Freiheit und Selbstbestimmung. Ihre zurückhaltende Freundin Anneliese, die ebenfalls an der Schule unterrichtet, hat dagegen ein Auge auf Emil geworfen und kann sich nichts Schöneres vorstellen, als eine eigene Familie zu haben. Das stellt die Freundschaft zwischen den beiden Frauen auf eine Bewährungsprobe. Als die Nazis immer mehr an Macht gewinnen, ziehen deren Parolen und Regeln auch bald an der Alster-Schule ein und verlangen von allen eine Entscheidung, auf welcher Seite sie stehen wollen…
Julia Kröhn hat mit „Zeit des Wandels“ den ersten Band ihrer historischen „Alster-Schule“-Dilogie vorgelegt, der nicht nur mit einer spannenden Handlung aufwarten kann, sondern auch mit einer akribischen Hintergrundrecherche vollends überzeugen kann. Der flüssige, farbenfrohe und gefühlvolle Erzählstil lädt den Leser zu einer Reise in die Vergangenheit ein, wo er sich in der Weimarer Republik wiederfindet, sich an Felicitas Fersen heftet und gemeinsam mit ihr eine fesselnde Zeit erlebt. Die akribische Recherche der Autorin macht sich schnell bezahlt, denn der Leser erhält einen guten Einblick in die damaligen Zustände an den Schulen, wo den Kindern der zu lernende Stoff stupide nach Lehrbuch eingetrichtert wurde und sie zudem auch noch körperlich gezüchtigt wurden. Felicitas ist ihrer Zeit weit voraus, denn sie möchte die Kinder beim Lernen nicht unter Druck setzen, sondern deren Wissen spielerisch hervorholen und ihre Talente fördern, so dass ihnen das Lernen Spaß macht und sie keinen Zwang darin sehen. Die Machtergreifung der Nazis hat auch dem Schulbetrieb einiges abverlangt, denn die Lehrer waren gezwungen, deren Gedankengut „unter die Schüler“ zu bringen. Auch an der Alster-Schule muss der Leser gemeinsam mit Felicitas erleben, dass kritische und auch jüdische Lehrer sowie Schüler nicht mehr erwünscht waren, sogar Gewalt ausgeübt wurde und sogar Felicitas‘ engste Freunde sich von dem Nazigedankengut einlullen ließen. Kröhn beschreibt dies alles so plastisch, dass beim Leser sofort das Kopfkino anspringt und man Geschichte leibhaftig mitverfolgt. Die durch die Nazis hervorgerufene und gewünschte Spaltung der Gesellschaft ist im Mikrokosmos Schule wunderbar mitzuverfolgen.
Die Charaktere sind facettenreich ausgestaltet und inszeniert, sie zeichnen sich durch menschliche Eigenschaften aus und machen es dem Leser leicht, ihnen zu folgen. Felicitas ist für ihre Zeit bereits eine emanzipierte, selbstbewusste und mutige Frau, die für ihre Prinzipien eintritt und ein selbstbestimmtes Leben führen will. Sie ist offen, impulsiv, freundlich und warmherzig. Emil ist ein netter, aber unsicherer Mann, der sich von den Naziparolen einfangen lässt. Anneliese ist eine ruhige, eher zurückhaltende und naive Frau, deren Hauptziel im Leben eine eigene Familie ist. Levi ist ein empathischer und fürsorglicher Mann, der sich um andere kümmert, aber er ist auch Jude und bekommt als einer der ersten die Macht der Nazis zu spüren.
Mit „Zeit des Wandels“ ist Julia Kröhn ein wunderbarer Start ihrer Dilogie gelungen. Neben einer exzellenten historischen Recherche besticht das Buch durch eine spannende und berührende Handlung, die den Leser mitnimmt, ihn bis zum Ende nicht mehr loslässt und er sich fragt, wie es wohl weitergehen wird. Absolute Leseempfehlung für einen Pageturner mit tollem Kopfkino!

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.07.2021
Sophies Café
Lowe, T. I.

Sophies Café


ausgezeichnet

„Der beste Weg herauszufinden, ob man jemandem vertrauen kann, ist ihm zu vertrauen.“ (E. Hemingway)
Als Leah auf ihrer Reise in der Kleinstadt Rivertown in South Carolina Halt macht, hat sie bereits eine 10-jährige Odyssee von brutalen Misshandlungen und Gewalttaten durch ihren alkoholkranken Ehemann hinter sich. Eigentlich will sie sich dort nur etwas ausruhen und dann ihre Flucht fortsetzen, ist sie doch in dem Glauben, ihren Ehemann Brent in Notwehr erschlagen zu haben. Doch in Sophies Café findet sie in der Eigentümerin nicht nur eine Frau, die sie ohne Vorbehalte liebevoll umsorgt, sondern neben einem neuen Zuhause auch neue Freunde. Schon bald wohnt sie in einem Apartment und hilft Sophie in deren Café, wo sie auch den saloppen Anwalt Mason Crowley kennenlernt, der ihr voller Misstrauen begegnet, weil er eine schützende Hand über Sophie hält. Doch je mehr Leah sich in die Ortsgemeinschaft einbringt, umso mehr schwinden Crowleys Vorbehalte. Leah fühlt sich wohl in Rivertown, doch so wirklich will sie niemandem vertrauen. Wird es ihr mit Hilfe ihrer neuen Freunde gelingen, endlich ihr Glück zu finden und mit der Vergangenheit abzuschließen?
T. I. Lowe hat mit „Sophies Café“ einen Roman vorgelegt, der nicht nur mit einer sehr berührenden Geschichte unterhält, sondern auch mit viel Hoffnung und Warmherzigkeit überzeugen kann. Der flüssige, bildhafte und einfühlsame Erzählstil lädt den Leser von der ersten Silbe an ein, als Leahs unsichtbarer Schatten zu fungieren und so hautnah die Hölle mitzuerleben, die sie durch ihren Ehemann Brent erfahren muss. Die Tritte, Schläge, das Würgen und vor allem das Einsperren im Kleiderschrank schmerzt selbst den Leser körperlich bei der Lektüre und schürt das Entsetzen, wozu manche Menschen fähig sind. Leahs Verbleib in dieser Ehe bringt Unverständnis hervor, sogar Wut, doch kann man ihre Gedanken- und Gefühlswelt auch gut nachvollziehen, wenn man ihre Vergangenheit betrachtet. Die Autorin scheut sich nicht, ihre Handlung eindringlich an den Leser zu bringen, der bei vielen Szenen scharfe Bilder vor Augen hat. Mit viel Empathie lässt sie Leah in ein liebevolles Umfeld gelangen und zeigt auf, dass es Menschen gibt, die für andere ohne Vorbehalte einstehen, sie nicht im Stich lassen und Nächstenliebe wahrhaft leben. Die zwischenmenschlichen Beziehungen in dem kleinen Ort sind ebenso überzeugend wie realistisch dargestellt, so dass sich der Leser schnell als Teil der Gemeinschaft empfindet und ihre Fürsorge wie eine warme Umarmung empfindet. Der christliche Glaube wird unter den Bewohnern gelebt, hier kümmert man sich umeinander, lässt niemanden mit seinen Sorgen allein und fängt die Gestrauchelten auf, um ihnen Trost zu spenden. Die Handlung ist von Hoffnung, Liebe und Vertrauen durchzogen.
Die Charaktere sind sehr authentisch in Szene gesetzt, wirken mit ihren Ecken und Kanten realistisch und lassen den Leser ganz nah an sich heran, was ihm das Mitfühlen und –fiebern sehr leicht macht. Leah ist eine Frau, die schon einige Schicksalsschläge verkraften musste. Dadurch fällt es ihr schwer, anderen zu vertrauen. Sie wirkt unnahbar, ist jedoch hilfsbereit, schlagfertig und auch fürsorglich. Sie muss erst wieder lernen, an sich selbst zu glauben und auch daran, dass nicht alle Menschen ihr schaden wollen. Sophie ist ein wahrer Menschenschatz, ohne Vorbehalte und mit viel Einfühlungsvermögen gesegnet, steht sie denen bei, die Hilfe benötigen. Mason Crowley ist ein Mann mit vielen Facetten, genießt das einfache Leben und sorgt sich um die, die er liebt, aber er ist auch ein knallharter Anwalt, der die Wahrheit herausfinden will.
„Sophies Café“ ist eine zu Herzen gehende Geschichte, die den Leser durch die gesamte Gefühlspalette jagt. Eine fesselnde Handlung sowie realistische Charaktere lassen während der Lektüre die Seiten regelrecht an den Fingern kleben. Wunderbar empathisch erzählt, ist hier eine absolute Leseempfehlung mehr als verdient!

14 von 17 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.07.2021
Der Traum von Freiheit / Speicherstadt-Saga Bd.3
Lüders, Fenja

Der Traum von Freiheit / Speicherstadt-Saga Bd.3


sehr gut

„Im Abschied liegt die Geburt der Erinnerung.“ (Salvador Dalí)
Hamburg. Während das Kaffeekontor unter der bereits 12-jährigen Leitung von Mina Deharde gute Geschäfte macht und diese sich ebenso erfolgreich als erste Frau an der Hamburger Kaffeebörse beweist, greift die Machtübernahme des Naziregimes über ganz Deutschland immer mehr um sich. Minas Ehemann Frederik hat sich sehr verändert und führt ein Leben in Berlin, ihr Verhältnis zueinander hat sich in eine freundschaftliche Richtung entwickelt. Doch die politische Lage bekommt auch bald Mina zu spüren, die sich nicht nur um ihre Schwester sorgen muss, sondern auch um Edo, mit dem sie inzwischen glücklich verbandelt ist. Der Ausbruch des Krieges sowie die Zerstörung des Hauses durch einen Bombenangriff bringen Mina an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Doch auch andere Menschen bedürfen ihrer Hilfe, so dass die Gefahr für Mina und ihre Lieben immer größer wird…
Fenja Lüders hat mit „Der Traum von Freiheit“ den finalen Band ihrer historischen Speicherstadt-Trilogie rund um das Kaffeekontor vorgelegt, das erneut mit vielen geschichtlichen Details, Spannung und emotionalen Momenten den Leser gut zu unterhalten weiß. Der flüssige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil lädt den Leser nochmals ein, die Jahre 1925 bis 1948 in der Hamburger Speicherstadt zu verbringen, um dort die Geschicke von bereits liebgewonnenen Protagonisten wie Mina Deharde und ihren engsten Vertrauten hautnah mitzuerleben. Die Streifzüge durch Hamburg und die Speicherstadt sind wieder ausgesprochen farbenfroh und verursachen ein schönes Kopfkino beim Leser, während er der Handlung folgt. Der Autorin gelingt es wieder einmal, die gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten der damaligen Zeit sowie die Empfindungen innerhalb der Bevölkerung wunderbar mit ihrer Geschichte zu verknüpfen. Mina hat als Geschäftsfrau immer noch mit vielen Vorurteilen zu kämpfen, doch ist sie inzwischen eine geschickte Unternehmerin, die sich so schnell nicht einschüchtern lässt. Bedauerlicherweise packt die Autorin schon fast zu viel Dramatik in diesen letzten Band, so dass der Leser sich deshalb manchmal regelrecht erschlagen fühlt. Ebenso kontraproduktiv wirken sich die großen Zeitsprünge aus, denn die Handlung verliert dadurch einiges an Kraft, weil einige Dinge sich irgendwann in Luft auflösen, ohne wirklich aufgeklärt worden zu sein. Trotzdem ist die Geschichte wieder voller Spannungsmomente und überraschenden Wendungen, die den Leser in Atem halten.
Die Charaktere sind lebendig und realistisch in Szene gesetzt worden, wirken glaubwürdig und der Zeit entsprungen, so dass der Leser sich schnell wieder in ihrer Mitte wähnt und mitfiebern kann. Mina ist inzwischen eine starke, mutige, fleißige und manchmal eigenwillige Frau, die nicht nur ein gutes Händchen für die geschäftlichen Belange hat, sondern auch ihre Familie mit sanfter Hand zu führen und ihren Kopf durchzusetzen weiß. Ehemann Frederick hat sich vom Scheusal zu einem doch recht empfindsamen Kerl gemausert, dessen Wandlung man erst beim zweiten Blick glauben kann. Irma ist eine tapfere Frau, die Mina immer eine sehr enge Freundin ist. Aber auch die Schicksale von Anton, Agnes, Oma Hiltrud sowie Heiko und weiteren Protagonisten spielen in dieser Geschichte eine große Rolle.
Mit „Der Traum von Freiheit“ schließen die Pforten des Kaffeekontors in der Speicherstadt, der Leser muss sich von liebgewonnenen Protagonisten und einer sehr unterhaltsamen sowie dramatischen Familiensaga verabschieden. Geheimnisse, Liebe, historischer Hintergrund sowie Spannung und eine wahre Achterbahn der Gefühle bei dieser Saga gewiss. Verdiente Leseempfehlung!

8 von 9 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.07.2021
Dein Herz in tausend Worten.
Pinnow, Judith

Dein Herz in tausend Worten.


gut

Die heimliche Liebe zu Worten
Als „Allrounderin“ arbeitet die schüchterne Millie in dem kleinen Verlag Anderson & Jones und kümmert sich rührend um die Mitarbeiter, die sie allerdings kaum bemerken. Neben ihrer Tätigkeit kann sie ihrer Leidenschaft frönen, abgelehnte Manuskripte vor der Vernichtung zu bewahren und heimlich zu lesen. Als sie eines mit dem Titel „Dein Herz in tausend Worten“ liest, ist sie so bewegt von der Geschichte, dass sie beschließt, wenigstens einzelne Zitate aus dem Roman in Umlauf zu bringen und den Findern damit ein kleines Trostpflaster zu schenken. Allerdings hat sie die Rechnung ohne den Autor William Winter gemacht, denn der fühlt sich betrogen und will den Übeltäter auf jeden Fall finden. Doch dann trifft er auf Millie…
Judith Pinnow hat mit „Dein Herz in tausend Worten“ einen ganz netten Roman vorgelegt, der einem modernen Märchen gleichkommt und dem Leser einige unterhaltsame Momente beschert. Der flüssige, leicht melancholische Erzählstil gewährt dem Leser schnell Einlass in Millies Welt, wo er ihre Welt kennenlernt, in der sie sich aufgrund ihrer Schüchternheit in Bücher und Worte verliert, die ihre Einsamkeit für eine kurze Zeit in den Hintergrund schieben. Neben eingestreuten Auszügen aus dem abgelehnten Manuskript lässt die Autorin ganz langsam eine Romanze aus einer Zufallsbekanntschaft entstehen und ihre Hauptprotagonistin von Schritt zu Schritt immer mehr aus ihrem selbstgewählten Schneckenhaus heraustreten. Die muss erst einmal lernen, die Welt nicht nur auf sich wirken zu lassen, sondern auch an ihr teilzunehmen. Millies enge familiäre Bande zu ihrem Bruder sind empathisch in die Geschichte integriert und tragen viel zum Verständnis für Millies Verhalten bei. William, der Autor des Manuskripts, versucht mit seinen hingeschriebenen Worten seiner Seele Luft zu machen und seine Verletztheit damit irgendwie zu kompensieren, wenn es bisher auch nicht viel geholfen zu haben scheint. Die erst zufällige und dann intensiver werdende Begegnung der beiden trägt zur beidseitigen Heilung bei, mehr noch finden sich zwei Seelen, die vieles gemeinsam haben. Mit ihrem Setting greift die Autorin zu einem bewährten Ort zurück, denn der Londoner Stadtteil Knotting Hill steht nicht nur für eine schöne Umgebung, sondern ruft auch Assoziationen bezüglich des gleichnamigen Films hervor. Auch wenn die Geschichte etwas Zauberhaftes hat, so fehlt es ihr doch an einem Schuss mehr Romantik. Zudem verlaufen einige Dinge einfach so im Sande und man fragt sich, warum sie überhaupt erwähnt wurden. Insgesamt bedient die Handlung das Klischee eines modernen Märchens.
Die Charaktere sind lebhaft und glaubwürdig in Szene gesetzt, leider schaffen sie es nicht, den Leser mit ins Boot zu holen, der den Posten als stiller Beobachter bezieht und von dort dem Treiben zusieht, ohne jedoch groß mitzufühlen und zu fiebern. Millie ist eine sehr zurückhaltende und schüchterne junge Frau, was ihrer verständlichen Verlustangst zuzuschreiben ist. Sie hat nicht nur ein Herz für andere, die sie liebevoll, aber unauffällig, umsorgt, sondern vor allem für Bücher und Geschichten, für Worte, die ihr einsames Herz berühren. Bruder Felix kümmert sich rührend um sie, ist ihr Fels in der Brandung und immer für sie da. Ebenso ist Kollegin Rebecca mit ihrer impulsiven und fröhlichen Art schon fast sowas wie eine Freundin. William Winter ist ein zutiefst verletzter Mann, der den Glauben an die Liebe aufgegeben hat. Und dann gibt es noch Mrs. Crane, die wie die gute Fee aus dem Märchen wirkt.
„Dein Herz in tausend Worten“ ist märchenhaft, surreal, romantisch, aber auch manchmal schon fast so klebrig wie Zuckerwatte. Ganz nett zu lesen, allerdings ohne den Leser nachhaltig zu beeindrucken. Eingeschränkte Leseempfehlung!

6 von 9 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.07.2021
Die Damen vom Pariser Platz
Weng, Joan

Die Damen vom Pariser Platz


ausgezeichnet

"Das macht die Berliner Luft so mit ihrem holden Duft..." (Bolten-Baeckers/Lincke)
1926 Berlin. Die humanistisch gebildete Gretchen lässt die Provinz hinter sich, um dem Ruf ihrer Freundin Henni in die schillernde Metropole zu folgen und dort ihrem Leben etwas mehr Pep zu geben. Nach dem Einzug als Untermieterin bei Frieda Notter, findet sie auf Umweg über den Schönheitssalon von Helen Broos eine Anstellung als Tippfräulein bei der geheimnisvollen und sagenumworbenen Nachtclubsängerin Isis mit dem von Narben entstellten Gesicht, die ihre Memoiren verfasst haben möchte. Von Beginn an bewundert Gretchen ihre neue Arbeitgeberin und rätselt, wer der selbstbewussten Sängerin wohl das Gesicht zerschunden haben könnte, denn Isis hat immer neue Geschichten darüber auf Lager. Derweil benimmt sich Henni Gretchen gegenüber völlig unmöglich, behandelt sie von oben herab und sonnt sich mit ihrem Pianisten-Freund Fred, der bei Gretchen schnell für Herzrasen sorgt. Zu Hennis Freundeskreis gehören zudem Erik und Stoffel. Schon bald ist Gretchen mitten im verrückten Berlin angekommen und erlebt so allerlei…
Joan Weng hat mit „Die Damen vom Pariser Platz“ einen wunderbar unterhaltsamen und temporeichen historischen Roman vorgelegt, der nicht nur die Goldenen Zwanziger im alten Berlin wieder zum Leben erweckt, sondern auch mit einer bunten Schar von Protagonisten aufwartet, die man als Leser sehr gern begleitet. Mit flüssigem und farbenprächtigem Erzählstil katapultiert Weng den Leser mitten hinein ins Geschehen, wo dieser sich Gretchen als Schatten an deren Fersen heftet, um ihren Neustart in der pulsierenden Metropole und deren Eroberung mitzuerleben. Schon bald taucht man ab in die Welt der Bohemiens und der (Über-)lebenskünstler und lernt illustre Gestalten wie die geheimnisvolle Sängerin Isis kennen, die mit großem Selbstbewusstsein ihre Gesichtsvernarbung vor sich her trägt und deren Ursache mit immer neuen Geschichten für andere zum Rätsel werden lässt. Eigentlich ist Gretchen ja ihrer Freundin gefolgt, vielleicht wäre sogar ihr Traum von einem Studium über kurz oder lang möglich, doch gerade Henni lässt sie von Beginn an ziemlich im Stich und trägt die Nase ziemlich weit oben. Die zwischenmenschlichen Beziehungen der unterschiedlichsten Protagonisten puschen die Geschichte immer weiter voran, so dass der Leser sich kaum von den Seiten lösen kann. Dabei ist die Entwicklung der diversen Charaktere wunderbar zu beobachten, und während man ihrer Berliner Schnauze lauscht, streift man mit ihnen durch die Künstlerszene oder das Nachtleben.
Die Charaktere sind so schillernd und bunt wie die Geschichte der Autorin, mit ihren Ecken und Kanten wirken sie sehr realistisch und ihrer Zeit angepasst. Der Leser fühlt sich schnell unter ihnen wohl und folgt ihnen auf Schritt und Tritt, um nicht einen Augenblick zu verpassen. Gretchen ist zu Beginn unbedarft und etwas naiv, dabei aber sehr gebildet. Sie braucht einige Zeit, um Selbstbewusstsein zu erlangen, doch ist sie immer liebenswürdig und gutmütig, was man einer auch auszunutzen weiß. Vermieterin Frieda ist eine Frau mit Herz und Schnauze, die das Leben pragmatisch sieht und sich nichts vormacht. Jedoch kommt es oftmals dann doch anders! Gretchens Freundin Henni ist eine arrogante, egoistische und gehässige Person, die in Wolkenkuckucksheim lebt und nicht damit rechnet, auch mal auf die Nase zu fliegen. Fred ist zwar ein Träumer, doch bleibt er auch Realist. Isis ist das personifizierte Mysterium, die sich immer wieder neu erfindet und dabei ein Selbstbewusstsein an den Tag legt, von dem sich so mancher etwas abschneiden könnte. Erik weiß, was er will, doch fehlt ihm noch der Mut, es offen für sich einzufordern.
„Die Damen vom Pariser Platz“ ist eine interessante Zeitreise ins Berlin der Zwanziger Jahre, wo der Leser auf Illustre Charaktere und allerlei Geheimnisse stößt und in rasantem Tempo von einem Schauplatz zum anderen jagt. Ein wunderbares Kopfkino, das bestens unterhält! Toll gemacht,

4 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.07.2021
Erben wollen sie alle
Hennig, Tessa

Erben wollen sie alle


sehr gut

"Wer im Alter noch herzhaft lacht, macht sich bei seinen Erben unbeliebt." (Alexander Onassis)
Die 75-jährige geschiedene Bianca hat ihren Lebensmittelpunkt in einer Finca im mallorquinischen Sóller und erst vor kurzem in dem Rentner Wolfgang, genannt Wolfi, eine neue Liebe gefunden, mit dem sie gern ihre Zeit verbringt und für die Zukunft noch so große Pläne hat. Wäre da nur nicht die liebe Verwandtschaft, die sich schon um ihr Erbe betrogen sieht, wenn Muttern das Geld mit einem Fremden verjubelt. Kurzerhand fallen sie zu Biancas Geburtstag alle auf Mallorca ein, um Fürsorge vorzutäuschen und ein Auge auf Mutter und die Moneten zu haben. Doch Bianca ist welterfahren genug zu wissen, was Sache ist und stellt ihre Bagage auf die Probe, denn nur wer sich wirklich um sie sorgt, soll was vom Vermögen abkriegen. Um das herauszufinden, lässt sich die rüstige lustige Witwe so einiges einfallen…
Tessa Hennig hat mit „Erben wollen sie alle“ einen unterhaltsamen und recht tiefgründigen Roman vorgelegt, der eine humorige Steilvorlage des normalen Lebens ist und dabei so einige alltägliche Lebensprobleme in sich vereint. Flüssig, farbenfroh und mit einigem Witz nimmt die Autorin den Leser mit auf die malerische spanische Insel, um dort Bianca sowie ihr Umfeld kennenzulernen. Durch wechselnde Perspektiven bekommt der Leser nicht nur Einsicht in die Gedankenwelt der einzelnen Protagonisten, sondern weiß auch um die Gefühle, die den einzelnen umtreiben. Die Autorin hält ihrer Leserschaft mit ihrer Geschichte einen Spiegel vor, denn wie es nun einmal so ist: wo es was zu holen gibt, sind alle schnell zur Stelle, das Hauen und Stechen geht los, um nur bloß nicht zu kurz zu kommen. Dem Leser schwillt oftmals der Kamm, denn das Anspruchsdenken der Kinder geht einem schon gehörig gegen den Strich. Obwohl bisher nichts fürs Erbe geleistet, haben Sohn Stefan und Tochter Anja schon genaue Vorstellungen davon, was ihnen angeblich gehört und was sie vielleicht sogar damit anstellen wollen. Dabei ist Bianca schließlich noch quicklebendig und hat eigene Pläne mit ihrem Eigentum. Neben bildhaften Landschaftsbeschreibungen, die dem Leser einiges an Urlaubsfeeling vermitteln, bringt die Autorin neben den Erbstreitigkeiten zusätzlich Themen wie Altersarmut, Einsamkeit, Alzheimer und Altenpflege in ihrer Handlung unter, die für Biancas Altersgruppe eine große Rolle spielen.
Die Charaktere sind glaubwürdig und lebensnah gezeichnet, so dass der Leser das Gefühl hat, sie schon länger zu kennen und mit Interesse der Geschichte folgt. Bianca ist mit 75 noch sehr agil und unternehmungslustig. Sie besitzt Humor, Freundlichkeit, Cleverness sowie Altersweisheit, was ihr dabei hilft, manche Situation gelassener zu nehmen als sie eigentlich ist. Enkelin Luisa hat ein einnehmendes Wesen und ein manchmal loses Mundwerk, aber sie liebt ihre Oma sehr. Sohn Stefan und Tochter Anja haben mit ihren eigenen Familien selbst so viel um die Ohren, dass sie die Besuche bei ihrer Mutter immer wieder nach hinten schieben. Auch Wolfi, Teresa und Felix spielen in dieser Geschichte tragende Rollen und machen die Handlung insgesamt schön rund.
„Erben wollen sie alle“ ist ein humoriger, aber auch nachdenklich stimmender Roman, der nicht nur mit einer Familiengeschichte und bunten Charakteren unterhält, sondern Themen anspricht, die mitten aus dem Leben gegriffen sind und uns alle angehen. Verdiente Leseempfehlung!

5 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.07.2021
Die Architektin von New York / Bedeutende Frauen, die die Welt verändern Bd.3
Hucke, Petra

Die Architektin von New York / Bedeutende Frauen, die die Welt verändern Bd.3


gut

"Die Baukunst soll ein Spiegel des Lebens und der Zeit sein." (Walter Gropius)
1865 New York. Die Stadtteile Manhattan und Brooklyn sind durch den East River getrennt und nur durch den Fährbetrieb miteinander verbunden. Dass die Überquerung des Flusses gerade im Winter eine große Herausforderung und nicht ganz ungefährlich ist, bekommt die jung verheiratete Emily Roebling am eigenen Leib zu spüren. Als die Stadt den Bau einer Hängebrücke von Brooklyn nach Manhattan plant, bekommt Emilys Schwiegervater, der Architekt John Augustus Roebling, den Auftrag für den Entwurf und den Bau der Brücke. Sein Sohn Washington reist mit Emily sogar nach Europa, um Emily nicht nur seine alte thüringische Heimat zu zeigen, sondern sich vor allem viele Brückenkonstruktionen anzusehen. Als John Roebling 1870 stirbt, übernimmt Washington die weitere Durchführung zur Fertigstellung der Brücke, doch als er schwer erkrankt, will Emily ihm seinen größten Wunsch erfüllen und leitet entgegen jeglichen Widerstand die Baustelle der Brücke…
Petra Hucke hat mit „Die Architektin von New York“ einen unterhaltsamen und informativen historischen Roman mit einem Mix aus Fiktion und belegten Personen vorgelegt, der sich mit dem Bau der Brooklyn Bridge befasst. Jeder, der diese Hänge- und Schrägseilbrücke schon einmal überquert hat, ist von ihrer Konstruktion und Schönheit beeindruckt. Der flüssige und farbenfrohe Erzählstil lässt den Leser eine Zeitreise antreten, um sich im New York des 19. Jahrhunderts wiederzufinden, wo er auf Emily, ihren Ehemann Washington und Schwiegervater John Roebling trifft und im Zeitraum von 1865 bis 1883 so einiges erleben darf. Gerade noch einem winterlichen Fährunglück entkommen, darf man als Leser an der Seite von Emily die Planungen und Vorbereitungen zum Bau der Brücke hautnah miterleben. Emily ist ihrer Zeit weit voraus, interessiert sich für technische Ausführungen, Statik und Architektur, was bei ihren Mitmenschen damals eher ein Naserümpfen hervorrief, denn die Rolle der Frau sollte die einer Ehefrau und Mutter sein. Umso interessanter zu beobachten, wie Emily sich immer mehr Fertigkeiten und Ingenieurskenntnisse aneignet, um dann in die Rolle ihres erkrankten Mannes zu schlüpfen und den Bau fertigzustellen. Die Autorin hat die damalige Zeit sehr gut eingefangen und lässt beim Leser ein ansprechendes Kopfkino entstehen. Jedoch nehmen die vielen technischen Informationen oftmals überhand, werden langatmig ausgeführt, so dass nach und nach bei der Lektüre Langeweile aufkommt. Interessant sind dagegen Schilderung der damaligen Wohnverhältnisse der Bevölkerung, der Kampf um das Frauenwahlrecht, der Besuch der Weltausstellung sowie Emilys Engagement in Frauen- und Wohltätigkeitsorganisationen, gerade diese Einschübe lockern die Handlung etwas auf. (Wenn man selbst weiter recherchiert, erfährt man übrigens, dass Emily sogar 1899 sogar einen Abschluss in Jura absolvierte.) Der Buchtitel ist zudem recht irreführend, denn Emily war keine ausgebildete Architektin.
Die Charaktere bleiben leider durchweg recht blass und gehen in der Geschichte fast unter. Der Leser ist dazu verdammt, auf Distanz und in der Rolle des Beobachters zu bleiben. Emily ist eine offene, selbstbewusste und starke Frau, die sich nicht in Schubladen einsortieren lässt, sondern ihren eigenen Weg geht, auch wenn sich ihr immer wieder Widerstände in den Weg legen. Sie hat einen wachen Verstand und saugt alle nötigen Informationen auf. Washington ist ein heller Kopf, der sich einiges bei seinem Vater abgeschaut und dessen Liebe zum Planen und Bauen geerbt hat.
„Die Architektin von New York“ ist für all jene, die sich sehr für historische Bauwerke und Architektur interessieren, eine wahre Fundgrube an Informationen. Farblose Charaktere sowie fehlende Emotionalität ergeben dagegen nur eine mäßig unterhaltsame Geschichte, auch wenn geschichtlich belegte Persönlichkeiten mit eingebracht werden. Eingeschränkte Leseempfehlung!

3 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.07.2021
Hier wohnt das Glück
Hansen, Dagmar

Hier wohnt das Glück


ausgezeichnet

"Das Glück deines Lebens hängt von der Beschaffenheit deiner Gedanken ab." (Marcus Cicero)
Nachdem sie jahrelang ihre Mutter aufopferungsvoll gepflegt hat, weiß die 61-jährige Berlinerin Sylvie nach deren Tod erst einmal nichts mit sich anzufangen, zumal sie auch noch in den Ruhestand gegangen ist. Da ist Luftveränderung nötig, um wieder zu sich selbst zu finden und dann mutig einen Blick in die Zukunft zu wagen. Auf einer Internet-Häusertauschbörse wird sie auf einen Zirkuswagen aufmerksam, der in Angelsby an der Flensburger Förde beheimatet ist und schlägt sofort zu. Mit Besitzer Arne ist sie sich nicht nur schnell einig, die beiden verstehen sich von Beginn an gut. Während sich Sylvie auf den Weg in ihr neues Domizil macht, zieht Arne in ihre Berliner Stadtwohnung. Doch die von Sylvie geplante Auszeit will sich einfach nicht einstellen, denn nicht nur Ziegen, Katzen und ein Hund bringen schon ihre Ankunft durcheinander, sondern auch Arnes alleinerziehende Nichte Jördis nebst Anhang lassen Sylvie nicht gerade zur Ruhe kommen. Auch Arne ruft immer wieder an, um einfach nur zu quatschen, oder ihre geplanten Unternehmungen werden durch Wildschweine sabotiert. Aber irgendwie liegt gerade hier der Reiz, denn die Ablenkungen von ihrem wohlfeilen Plan bringen Sylvie nicht nur auf andere Gedanken, ganz klammheimlich fühlt sie sich von Tag zu Tag wohler und freundet sich schon bald mit den Einheimischen an. Ob sie in Angelsby ein neues Zuhause finden wird?
Dagmar Hansen hat mit „Hier wohnt das Glück“ einen unterhaltsamen Roman vorgelegt, der mit viel Empathie und Feingefühl das Leben beschreibt, wie es meistens stattfindet. Der flüssige, farbenfrohe und mit Humor bestückte Erzählstil platziert den Leser schnell als unsichtbaren Begleiter an Sylvies Seite, wo er ihr bei der Häusertauschaktion über die Schulter sieht, um dann mit ihr gemeinsam das Abenteuer „Angelsby“ in Angriff zu nehmen. Schon die Anreise entpuppt sich als kleines amüsantes Fiasko, bei Sylvie die Stadtpflanze mehr als deutlich raushängen lässt und man sich als Leser fragt, wie lange sie das wohl durchhalten wird. Die Autorin hat ein geschicktes Händchen für Situationskomik, denn die arme Sylvie wird so manches mal „gebeutelt“, ob nun durch Ziegen, Wildschweine oder auch nur durch Jörgis und ihre Blagen. Dafür schleicht sich andererseits mit Arnes Telefonaten ein wenig Romantik ein, die Sylvies durch die Jahre arg strapazierte Seele streicheln. Die Geschichte lebt auch von den zwischenmenschlichen Beziehungen, denn neue Begegnungen und Bekanntschaften lassen sich Sylvie dort immer wohler und heimischer fühlen, während die Anstrengungen der letzten Jahre so langsam immer mehr von ihr abfallen. Mit bildhaften Landschaftsbeschreibungen lässt die Autorin den Leser vom Leben am Wasser träumen und den alten Zirkuswagen direkt vor sich sehen. Aber vor allem geht das Herz auf, denn die Geschichte ist wie aus dem Leben gegriffen und spiegelt Menschen im Hier und Jetzt wider.
Die Charaktere sind lebendig und glaubwürdig gestaltet, sie überzeugen vor allem mit ihren menschlichen Wesenszügen, die sie dem Leser schnell ans Herz wachsen lassen. Sylvie hat sich jahrelang aufgeopfert und ihre eigenen Wünsche zurückgestellt, doch nie ihren Mut und ihre Weltoffenheit verloren. Mit 61 steht sie mitten im Leben und besitzt noch Wagemut und Lebensfreude. In Jördis und ihrem Anhang findet sie eine kleine Ersatzfamilie. Hauke ist ein Unikum, der sagt, was er denkt, wobei er öfters den Schalk im Nacken sitzen hat. Aber auch Maria, Arne und Grete tragen ihren Teil dazu bei, dass die Handlung abwechslungsreich und unterhaltsam ist.
„Hier wohnt das Glück“ ist durch und durch ein Roman zum Wohlfühlen und Mitfiebern, denn neben den schönen Landschaftsbeschreibungen punktet die Geschichte vor allem mit Protagonisten, die viel Charme und Herz versprühen. Sehr empfehlenswert!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.07.2021
Wildblütenzauber
Töpfer, Anne

Wildblütenzauber


ausgezeichnet

Und jedem Neuanfang wohnt ein Zauber inne (frei nach Hermann Hesse)
Als ihre Mutter Barbara bei einem Autounfall ums Leben kommt, bricht für knapp 30-jährige Sarah eine Welt zusammen. Einzig ihre gleichaltrige Freundin Doreen, mit der sie zusammen aufwuchs und die ihr fast wie eine Schwester ist, gibt ihr den nötigen Halt, den Verlust einigermaßen zu verkraften. Auf der Beerdigung trifft Sarah zum ersten Mal auf ihre Großtante Rosa, von der sie bisher nichts wusste und die sie einlädt, sich bei ihr zu melden oder sie in Nürnberg zu besuchen. Die Tage nach der Beerdigung verbringt Sarah bei Doreen an der Ostsee in Mecklenburg-Vorpommern, lernt durch das Auffinden des Labradorwelpen Daisy dessen Herrchen Florian mit Tochter Leonie kennen, und wagt zudem mutig gemeinsam mit Doreen den Schritt in die Wohnung ihrer Mutter, um sich um Formalitäten zu kümmern. Dabei findet sie nicht nur einen Grundbuchauszug über ein Haus in Nürnberg, sondern auch das Testament von Barbara, das einige Überraschungen für Sarah bereit hält…
Anne Töpfer hat mit „Wildblütenzauber“ einen berührenden Roman vorgelegt, der nicht nur die Trauerverarbeitung und das Leben nach einem großen persönlichen Verlust sehr authentisch beschreibt, sondern auch optimistisch stimmt für die Zeit danach, wenn sich plötzlich neue Möglichkeiten auftun oder neue Menschen ins Leben treten. Der flüssig-leichte, farbenfrohe und gefühlvolle Erzählstil lässt den Leser schnell an die Seite von Sarah und Doreen gleiten, um als unsichtbare Dritte zu verfolgen, wie sich die beiden Freundinnen gegenseitig stützen und Zeit miteinander verbringen. Es ist wunderschön zu beobachten, wie die zwei in alten Zeiten schwelgen, liebevoll über die Tote reden und ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Ein Verlust will verarbeitet werden, denn die Wunde, die er hinterlässt, wird immer schmerzen. Umso heilender sind Gedanken an liebevolle Worte und Situationen, bei denen man nochmals die ganze Wärme durchleben kann. Dies darzustellen ist der Autorin mit wunderbarer Empathie sehr gut gelungen, gleichzeitig webt sie neben der Trauerbewältigung interessante Begegnungen mit in ihre Geschichte ein. Die neuen Bekanntschaften sind mal was für enge Freundschaften, aber auch etwas fürs Herz – da spielt der Wink des Schicksals mit. Ein Testament mit explosivem Inhalt sorgt zudem dafür, sich auf alte Familiengeheimnisse zu konzentrieren, um diese ans Licht zu bringen.
Auch mit ihren Charakteren beweist die Autorin ein gutes Händchen. Sie alle wirken authentisch und wie aus dem Leben gegriffen, so dass der Leser das Gefühl hat, einige von ihnen schon länger zu kennen. So folgt er ihnen gern sowohl durch traurige als abenteuerlustige Zeiten und nimmt regen Anteil am Geschehen. Sarah hat gerade einen herben Verlust erlitten, der sie besonders empfindsam und verletzlich macht. Gleichzeitig steht sie an einem Wendepunkt in ihrem Leben und muss Entscheidungen treffen. Doreen teilt Sarahs Verlust, ist ihr eine wahre Stütze und wirkt ausgeglichen und pragmatisch. Mandy ist ein Backtalent, die mit ihren süßen Köstlichkeiten die Seele streichelt. Florian mitsamt Leonie und vor allem Daisy bringen neuen Schwung in Sarahs und Doreens Leben. Nachbar Bernd entpuppt sich als liebenswerter Kerl, der seine eigenen Probleme hat, bei dem ihm die Freundinnen etwas unter die Arme greifen.
„Wildblütenzauber“ ist rundum ein tiefgründiger Wohlfühlroman, der sich nicht nur um Trauer und Verlust dreht, sondern vor allem um neue Freunde, Möglichkeiten und Entscheidungen sowie das Lüften eines Geheimnisses. Sehr feinfühlig und empathisch erzählt, taucht der Leser erst wieder auf, wenn die letzte Silbe gelesen ist. Absolute Leseempfehlung!

17 von 20 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.