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Lilli33
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 499 Bewertungen
Bewertung vom 23.03.2018
Die Gabe / Aura Trilogie Bd.1
Benedict, Clara

Die Gabe / Aura Trilogie Bd.1


gut

Gute Idee - eher schwache Umsetzung

Inhalt:
Hannah ist 16 Jahre alt und schwärmt für einen älteren Jungen, der erst seit Kurzem ihre Schule besucht. Doch in Jans Nähe passieren ihr immer wieder Peinlichkeiten, und er mustert sie meistens eher abschätzig. Als Jan schließlich doch Interesse für Hannah zeigt, kann sie ihr Glück kaum fassen. Allerdings hat sie auch gerade eine besondere Gabe in sich entdeckt, die sie austesten und unter Kontrolle bekommen muss.

Meine Meinung:
Die ersten Seiten dieses Buches gefielen mir recht gut. Hannah und ihre Freundinnen, die Jungs, für die sie schwärmen, ihre Aktivitäten … das hatte etwas so Normales, Teeniehaftes, auf das ich mich gern einlassen wollte. Als Hannah dann ihre verborgene Gabe entdeckt, hätte es richtig spannend werden können. Doch leider verpufft diese Spannung ganz schnell wieder, was meiner Meinung nach unter anderem an den zu detailverliebten Beschreibungen der Autorin liegt. Manchmal wird fast minutiös der Alltag erzählt, was nur wenig zum Fortgang der Handlung beiträgt. So zieht sich der Hauptteil des Buches ziemlich in die Länge, ohne dass etwas Entscheidendes passiert.

Hannahs Umgang mit ihrer Gabe, deren Erforschung und Auslotung, hat mich immer wütender gemacht. Denn Hannah zeigt nur sehr wenig Verantwortungsgefühl und nutzt ihre Gabe schamlos zu ihrem eigenen Nutzen und zum Schaden anderer aus. Zwar denkt sie darüber nach, dass sie ihre Kraft nicht in bestimmten Situationen oder an anderen Menschen anwenden sollte, doch das ist immer wieder ganz schnell vergessen.

Auch Jan war mir alles andere als sympathisch. Er behandelt Hannah teilweise ziemlich aggressiv und übergriffig, was die ihm nach einer nichtssagenden Entschuldigung sofort wieder verzeiht. Hier wird Unverzeihliches einfach zu sehr verharmlost. Gerade für ein Jugendbuch kann ich das nicht gutheißen.

Auch der Schreibstil sorgte bei mir nicht für reine Lesefreude. Dafür dass aus Hannahs Ich-Perspektive erzählt wird, ist die Sprache viel zu gestelzt. So würde keine Jugendliche reden. Zum Beispiel hier:

„Nachdem sich Jans Eltern beiläufig nach unseren Plänen zur Abendgestaltung erkundigt und diese mit wenig Interesse zur Kenntnis genommen haben, fahren sie in ihrer blauen Limousine davon.“ (S. 179)

Ähnlich nüchtern und distanziert zieht sich die Sprache durch den ganzen Roman. Ich hatte dadurch Probleme, den Protagonisten wirklich nahe zu kommen.

Als ich schon fast am Aufgeben war, kam endlich Schwung in die Story. Eine nicht ganz überraschende Wendung sorgt auf den letzten 50 Seiten für den Pfiff, auf den ich die ganze Zeit gewartet hatte. Nun ist zu hoffen, dass es im 2. Band dann gleich so flott weitergeht.

„Aura. Die Gabe“ ist der 1. Band einer Dilogie. Der 2. Band soll bereits im Juni 2018 erscheinen.

Die Dilogie:
Aura 01. Die Gabe
Aura 02. Der Verrat

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.02.2018
Die silberne Maske / Magisterium Bd.4
Black, Holly;Clare, Cassandra

Die silberne Maske / Magisterium Bd.4


gut

Die ersten drei Bände dieser Reihe haben mir sehr gut gefallen, leider kann der 4. Band da nicht mithalten. Durch beiläufige Wiederholungen des bisher Geschehenen ist man schnell wieder in der Geschichte drin. Der einfache, kindgerechte Schreibstil lässt sich auch für Erwachsene gut lesen und wirkt absolut nicht öde.

Die Handlung ist sehr spannend und mit einigen Überraschungen gespickt. Manches hatte ich wirklich nicht erwartet bzw. nicht an dieser Stelle damit gerechnet. Vieles fand ich allerdings auch nicht ganz ordentlich ausgearbeitet, gerade in der Mitte des Buches konnte ich mich mit einigen Szenen nicht gut anfreunden. Call und seine Freunde verhalten sich zum Teil nicht nachvollziehbar und manchmal einfach nur dumm.

Immer wieder blitzt aber auch ein Funken Humor durch, der die düstere Atmosphäre auflockert. Entweder sorgt Call dafür, indem er mal wieder in ein Fettnäpfchen tritt, oder Jasper, der manchmal so einen Blödsinn verzapft, dass man einfach lachen muss.

Call und seine Freunde müssen einiges durchmachen, aber natürlich ist es Call, der die Hauptlast zu tragen hat. Seine Zerrissenheit und seine Zweifel kann man dabei förmlich spüren.

Zwar ist dieser Band bisher der kürzeste (ein paar Seiten mehr wären schön gewesen), aber er bringt die Handlung ein gutes Stück vorwärts. Das Ende ist an einem guten Punkt, sodass wir nun gelassen darauf warten können, was uns im 5. und letzten Band noch erwartet. Ich freue mich auf jeden Fall schon darauf und hoffe, dass er mich wieder mehr überzeugen kann.

Die Reihe:
1. Der Weg ins Labyrinth
2. Der kupferne Handschuh
3. Der Schlüssel aus Bronze
4. Die silberne Maske
5. ???

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.01.2018
Before you go - Jeder letzte Tag mit dir
Swatman, Clare

Before you go - Jeder letzte Tag mit dir


gut

Aus der Idee hätte man mehr machen können

Inhalt:
Zoe und Ed sind seit 14 Jahren verheiratet, als Ed bei einem Unfall ums Leben kommt. Das Paar hat schwere Zeiten hinter sich und die Ehe war nicht mehr gerade glücklich. Doch Zoe ist verzweifelt und macht sich Vorwürfe, weil sie nicht mehr zur Rettung ihrer Beziehung getan hat und Ed am Tag seines Todes im Streit aus dem Haus gehen ließ.

Da schlägt sich Zoe böse den Kopf an und wacht 20 Jahre zuvor wieder auf, an dem Tag, als sie und Ed sich kennenlernen. Sie erlebt nun einige markante Tage ihrer Beziehung noch einmal und versucht, durch anderes Verhalten ihre Liebe zu retten und womöglich sogar Eds Tod zu verhindern.

Meine Meinung:
Bereits auf S. 10 musste ich zu Taschentüchern greifen, weil mich eine Szene total emotional überwältigte. Und ich war froh, zu diesem Roman gegriffen zu haben, denn Ich habe mir sehr viel davon erhofft. Die Idee, durch eine zweite Chance sein Leben zu ändern, gefiel mir sehr - die Umsetzung Clare Swatmans dann aber leider nicht so gut.

Das geht schon damit los, dass mir die Protagonisten, vor allem die Ich-Erzählerin Zoe, aber auch manchmal Ed, gehörig auf die Nerven gingen. Im Klappentext ist von einem Traumpaar die Rede - ich empfand sie eher als Albtraumpaar. Sie sind sich in den wichtigsten Dingen, wie Kinderwunsch oder wo sie leben, uneins und streiten sich ständig, trennen sich, um sich dann wieder zu versöhnen und sich ihre ewige Liebe zu versichern, die ich leider nicht spüren konnte.

Möglicherweise liegt das daran, dass Zoe eigentlich nur solche Tage ein zweites Mal erlebt, an denen es gehörig in der Beziehung kriselt und scheppert. Das erzeugt insgesamt eine eher miese Atmosphäre. Zudem berichtet Zoe, wie diese Tage beim ersten Mal verlaufen sind. Durch diese Berichtsform mit recht wenigen Dialogen blieb ich als Leserin ziemlich distanziert, ich konnte nicht in die Geschichte eintauchen, mich nicht mit einer Figur identifizieren.

Sprachlich ist das Buch eher einfach gehalten. Es lässt sich dadurch locker und flott lesen. Positiv fand ich natürlich die Message dieses Romans, dass man die Liebe nicht als selbstverständlich nehmen darf, sondern ständig etwas dafür tun muss, und dass man jeden Tag so leben sollte, dass man ihn nicht bereuen muss.

Bewertung vom 09.01.2018
Feuerfrühling
Martin, Peer

Feuerfrühling


ausgezeichnet

ACHTUNG: Dies ist der 3. Band einer Trilogie. Meine Rezension enthält SPOILER zu den ersten beiden Bänden „Sommer unter schwarzen Flügeln“ und „Winter so weit“. Bitte nur weiterlesen, wenn ihr die Vorgängerbände schon kennt.

Mitreißender Abschluss der Trilogie

Inhalt:
Calvin, Nuri, Kamal, Dschinan und die Kinder haben in Arsal im Libanon eine kleine Verschnaufpause, bevor sie wieder fliehen müssen. Die Stadt ist nicht mehr sicher, und eigentlich wollen Calvin und Nuri ja auch wieder nach Deutschland. Vor ihnen liegt eine beschwerliche und gefährliche Reise, auf der sie immer wieder machtlos der Willkür anderer ausgesetzt sind. Nicht wirklich ein Wunder, dass Calvins Wut wieder hochkocht und alles zu zerstören droht …

Meine Meinung:
Die ersten beiden Bände waren einfach großartig, und der dritte steht ihnen in nichts nach. Peer Martin versteht es, mit seinem tollen Erzählstil die Lesenden zu fesseln und ganz tief in diese Geschichte hineinzuziehen. Ja, man hat beim Lesen den Eindruck, mit den Protagonisten auf der Flucht zu sein und all die Ungerechtigkeiten, die ihnen widerfahren, am eigenen Leib zu spüren. So entwickelte auch ich eine unbändige Wut und konnte Calvin so gut verstehen. Es ist zu viel Schlimmes passiert, das muss einen Menschen seelisch kaputt machen. Immer öfter schleicht sich wieder die Gewalt in Calvins Denken und Handeln, was auch die Liebe zwischen ihm und Nuri belastet. Wir haben es hier also nicht mit einer süßen Romanze zu tun, sondern mit einer großen Liebe, von der man nicht weiß, ob sie den Irrsinn am Ende überstehen kann.

Parallel gehen die Ereignisse auch in Berlin weiter. Hier entwickelt sich Cindy zu einer starken Frau. Gegen Pascal wird wegen des Brandes im Asylbewerberheim ermittelt. Der Prozess steht bevor. Auch Nuri und Calvin wollen als Zeugen aussagen, doch dafür müssen sie rechtzeitig nach Deutschland gelangen. Bei all den Rückschlägen, die sie immer wieder hinnehmen müssen, ist das gar nicht so einfach.

Peer Martin verlangt viel von seinen Lesern. Was er erzählt, ist hart und belastend, kaum auszuhalten. Dabei decken sich die Erlebnisse seiner Figuren mit dem, was man immer wieder in der Zeitung liest oder in den Nachrichten hört. Gerade diese Realitätsnähe ist es, die die Lektüre schwer verdaulich macht. Denn auch wenn die Geschichte von Nuri und Calvin Fiktion ist, so ist doch alles auch irgendwie und irgendwo real.

Doch zum Glück lässt der Autor uns damit nicht im Regen stehen. Nach besonders schlimmen Ereignissen bekommen wir durch einen Perspektivwechsel wieder Hoffnung serviert. Auch die leichte, poetische Sprache sorgt für Schönheit in der schwarzen Realität. Und natürlich tragen auch die Kinder zur Auflockerung bei, die viele Dinge ganz unbedarft betrachten und mit ihren klaren Worten für ein Schmunzeln sorgen. Ganz besonders kann man hier den Stoffaffen ins Herz schließen, der so manche üble Situation in Wohlgefallen auflöst.

Besonders beeindruckend fand ich einige Charaktere, die herausstechen, indem sie helfen. Da gibt es Menschen, die selbst kaum etwas haben, dieses Wenige aber gerne teilen. Es gibt aber auch Menschen, die es sich leisten können zu helfen und dies auch tun, während andere aus dem Unglück der Flüchtlinge noch Profit ziehen wollen.

„Es ist ziemlich einfach, ein guter Mensch zu sein, wenn man nicht fliehen muss. Und wenn man das nötige Kleingeld hat.“ (Der Dottore, S. 302)

Die Trilogie:
1. Sommer unter schwarzen Flügeln
2. Winter so weit
3. Feuerfrühling

Bewertung vom 22.11.2017
Der Sturm naht / Iskari Bd.1
Ciccarelli, Kristen

Der Sturm naht / Iskari Bd.1


sehr gut

Mir gefiel die Welt, in die uns Kristen Ciccarelli entführt, sehr gut. Sie wirkt magisch, orientalisch angehaucht und fast ein bisschen märchenhaft. Völker, die verfeindet sind. Ein Volk, das andere unterdrückt und versklavt. Und die wunderbaren Drachen. Dazu gibt es eine Menge Geheimnisse und Intrigen, die später nach und nach ans Tageslicht kommen und für viele Überraschungen sorgen. Ich war immer wieder erstaunt, wie schnell sich das Blatt wendet, weil eine Figur sich als gänzlich anders entpuppt, als ich zuerst dachte. Man kann dieses komplexe Konstrukt wirklich nicht von Anfang an durchschauen. Das ist toll gemacht.

Die Geschichte wird hauptsächlich aus Ashas Perspektive in der 3. Person erzählt. Trotzdem blieb mir die Protagonistin relativ fern. Ich konnte mir die Umgebung und selbst die Nebenfiguren besser vorstellen als Asha. Das mag vielleicht ein wenig damit zusammenhängen, dass sie mir nicht unbedingt sympathisch war. Was aber nicht ihre Schuld war, sie wurde eben so erzogen und braucht eine Weile, bis sie über ihren Schatten springen kann. Am Ende mochte ich sie :-)

Dabei ist Asha ein sehr interessanter Charakter. Das Volk fürchtet sie als Todbringerin. Sie hadert mit sich selbst und ihrer Rolle, die sie hasst. Doch tapfer bemüht sie sich, ihre Schuld aus Kindheitstagen abzutragen, indem sie Drachen für Drachen aufspürt und tötet.

Emotional viel näher waren mir zum Beispiel der Sklave Torwin, der sehr selbstbewusst wirkt und sich nicht so schnell einschüchtern lässt, aber auch Gefühle zeigen kann. Oder Ashas Bruder Dax, der schon als Kind für zu dumm gehalten wurde, um jemals den Thron besteigen zu können.

Interessant fand ich auch die alten Geschichten, die die Haupthandlung für ein paar Seiten unterbrechen und mehr von der Vergangenheit dieser Stadt und ihrer Bewohner erzählen.

„Iskari. Der Sturm naht“ ist der Auftaktband einer Trilogie.

Fazit:
Alles in Allem ist es eine spannende Geschichte mit vielen überraschenden Wendungen. Trotzdem konnte sie mich nicht restlos begeistern. Das gewisse Etwas, das mein Herz berührte, fehlte mir einfach.

Bewertung vom 06.11.2017
Kleine Stadt der großen Träume
Backman, Fredrik

Kleine Stadt der großen Träume


ausgezeichnet

Keine leichte Kost, aber absolut lesenswert

Inhalt:
Björnstadt liegt mitten im schwedischen Nirgendwo. Die Stadt lebt mit und für ihren Eishockey-Klub. Von einem Finalsieg der Junioren verspricht man sich enorme Investitionen und einen Aufschwung für die kleine Stadt. Deshalb ist der Kampfgeist groß – auf allen Ebenen.

Nach einem schrecklichen Vorfall müssen sich die Björnstädter entscheiden. Für Ruhm und möglichen Wohlstand – oder für die Wahrheit.

Meine Meinung:
„An einem späten Abend Ende März nahm ein Teenager eine doppelläufige Schrotflinte in die Hand, ging damit geradewegs in den Wald, richtete die Waffe gegen die Stirn eines anderen Menschen und drückte ab.“ (S. 7)

Mit diesem ersten Satz wird Fredrik Backman wohl die Aufmerksamkeit der meisten Leser erringen können. Ich zumindest war plötzlich hellwach und wollte möglichst schnell erfahren, wie es dazu kam.

Die ersten hundert Seiten, das muss ich leider sagen, waren dann ein wenig zäh. Es wird eine Vielzahl von Personen vorgestellt und die Bedeutung des Eishockey-Klubs herausgestellt. Es passiert noch nicht sehr viel. Später wird dann klar, dass man genau dieses Wissen braucht, um die Handlungsweisen der einzelnen Charaktere und die ganzen Entwicklungen in der Handlung verstehen zu können.

Bald hatte Backman mich dann wieder ganz in seinen Bann gezogen, wie ihm das schon bei seinen früheren Werken gelungen ist. Das liegt zum einen an seinem eindringlichen Schreibstil, mit dem er eine bedrückende Atmosphäre heraufbeschwört, zum anderen aber auch an der fesselnden und berührenden Handlung und den vielschichtigen Charakteren. Dabei wirkt alles so realistisch – diese Menschen könnten auch in deiner Stadt leben und die Dinge könnten sich so oder so ähnlich auch bei uns ereignen.

Mich hat besonders beeindruckt, wie sich die Charaktere im Lauf des Romans entwickeln. Einige sind von Anfang an gut bzw. böse, andere wechseln die Seiten. Toll finde ich, dass man alle Handlungsweisen gut nachvollziehen kann, auch wenn man sie nicht gutheißen mag und manche Person einfach nur auf den Mond schießen möchte. Der Autor schickte mich auf eine wahre Achterbahn der Gefühle. Ich hätte das ein oder andere Mal schreien können vor Wut, wollte mich an diversen Subjekten rächen, andere in den Arm nehmen und beschützen, musste aber auch mal schmunzeln und lachen oder mir eine Träne aus dem Augenwinkel wischen.

Gerade gegen Ende konnte Backman mich noch ein paar Mal überraschen. Seine Lösung des Dilemmas ist so genial wie einfach. Und ein Ausblick auf die nächsten Jahre rundet die Geschichte wunderbar ab.

Fazit:
Eine spannende, berührende, bedrückende und tiefgründige Geschichte, die ich gerne weiterempfehle.

Bewertung vom 14.10.2017
Winter so weit
Martin, Peer

Winter so weit


ausgezeichnet

Die Geschichte des ehemaligen Neonazis geht weiter

ACHTUNG: Dies ist der 2. Band einer Trilogie. Meine Rezension enthält SPOILER zum 1. Band „Sommer unter schwarzen Flügeln“. Bitte nur weiterlesen, wenn ihr den 1. Band schon kennt. Zwar werden nach und nach die Geschehnisse des 1. Bandes wiederholt, dies sehe ich aber eher als ein Wiederauffrischen der Erinnerungen. Man sollte „Sommer unter schwarzen Flügeln“ doch besser selbst gelesen haben, bevor man in den syrischen und deutschen Winter zieht, zumal es sich dabei um ein ganz großartiges Buch handelt.

Inhalt:
Nachdem Calvin beim Brand des Asylbewerberheims seine syrische Freundin Nuri verloren hat, will er ihr noch einen letzten Wunsch erfüllen. Er zieht los, um das „goldene Mädchen“ Dschinan aus dem zerstörten und umkämpften Syrien herauszuholen – eine tollkühne und lebensgefährliche Aktion.

Währenddessen lebt Nuris Familie mittlerweile in Berlin-Hellersdorf, wo die Asylbewerber weiterhin den Angriffen der Rechten ausgesetzt sind. Es gibt aber auch positive Kontakte zu Deutschen, die helfen wollen.

Meine Meinung:
Wie schon im 1. Band gibt es auch im 2. wieder zwei bis drei Zitate, die den einzelnen Kapiteln vorangestellt sind. Zitate, die zumeist schockieren und nachdenklich machen, aber auch auf das jeweilige Kapitel einstimmen. Am Ende des Kapitels findet man auch wieder Stichworte für die eigene Internetrecherche. Ich habe diese gerne genutzt, um weitere Hintergrundinformationen zu bekommen, die Geschichte funktioniert aber auch problemlos ohne dies. Wer sich die Mühe nicht machen will, kann also einfach darauf verzichten.

Calvin, der ehemalige Neonazi, der sich in das syrische Flüchtlingsmädchen Nuri verliebt hatte, macht eine starke Entwicklung durch. An seiner Seite erlebt man die Kriegsgräuel in Syrien hautnah mit. Hinrichtungen, Folter, Hunger und Krankheit begleiten seinen Weg auf der Suche nach Dschinan. Doch neben allem Schrecken gibt es auch immer irgendwo ein Fünkchen Hoffnung. Die Liebe zu Nuri hält ihn aufrecht, auch wenn er manchmal am Ende seiner Kräfte und schier hoffnungslos verzweifelt ist. Allerdings ist dieser Band naturgemäß weniger Liebesroman als sein Vorgänger.

Parallel dazu geht auch die Geschichte in Deutschland weiter. Oft werden ähnliche Szenen wie in Syrien beschrieben, die sich in Deutschland jedoch ganz anders auswirken. Diese krassen Gegensätze wurden toll herausgearbeitet und lassen einen auch viele Dinge besser verstehen.

Man trifft viele Charaktere aus dem 1. Band wieder. Sie entwickeln sich alle weiter. Es kommen aber auch neue hinzu, von denen ich einige sofort liebgewonnen habe und von denen mich andere auf Anhieb abstießen. Peer Martin versteht es, seine Figuren lebendig werden zu lassen. Er zieht einen tief in die Handlung hinein. Es wirkt (leider) alles sehr realistisch.

Sprachlich konnte Peer Martin mich wieder absolut begeistern. „Winter so weit“ ist eine Explosion der unterschiedlichsten Bilder. Es ist einfach genial, wie der Autor mit der Sprache spielt, Wörter kreiert, die es vorher nicht gab, die es aber unbedingt geben sollte. Peer Martin schreibt zuweilen sehr poetisch und verschnörkelt. In der arabischen Sprache ist das nicht ungewöhnlich, und somit passt es sehr gut zur Handlung.

Fazit:
„Winter so weit“ ist ein wichtiges Buch. Es nimmt einen emotional mit, schockiert, gibt Hoffnung, ist lehrreich – die ganze Palette. Es öffnet einem die Augen und wirbt um Verständnis. Sprachlich ist es herausragend. Peer Martin hat wieder ein ganz großartiges Werk geschaffen, das ich allen Lesenden ab 16 Jahren empfehlen möchte, am besten im Anschluss an den 1. Band.

Die Trilogie:
1. Sommer unter schwarzen Flügeln
2. Winter so weit
3. Feuerfrühling

Bewertung vom 11.10.2017
Darling Days
Wright, iO Tillett

Darling Days


ausgezeichnet

Berührend, schockierend, fesselnd

iO Tillett Wright wird 1985 in der New Yorker Lower East Side als Mädchen geboren - nicht gerade in einem Vorzeigeviertel. Die Eltern trennen sich bald, iO wächst bei der Mutter auf, die sich anfangs liebevoll und intensiv um ihr Kind kümmert und keine Mühen scheut, um es zu beschützen.

"Mische einen Teil Einhorn, drei Teile Gewittersturm, zwei Teile verwundeter Kampfstier, dann hast du so ungefähr den Vibe, der meine Mutter umgab." (S. 22)

iO merkt schon früh, dass er kein Mädchen ist, aber zum Jungen fehlt ihm der passende Körper. Hin- und hergerissen zwischen den Geschlechtern laviert er sich an der Seite seiner Mutter durch die ersten Jahre, und die sind in einem Umfeld von verschiedensten Künstlern nicht wirklich konventionell. Doch mit der Zeit ist iOs Mutter mit der ständigen Geldnot, Wohnungsproblemen und dem Kind überfordert. Immer öfter kommt es zu Streit und bösen Worten in der kleinen Familie. Für iO, der schon mit sich selbst und seiner Identität nicht klarkommt, gibt es nur einen Ausweg …

"Das sind die Darling Days, wenn alles gut ist und das Ungeheuer schläft." (S. 109)

Die „Erinnerungen“ iO Tillett Wrights beginnen in diesem Buch bereits vor seiner Geburt und werden chronologisch bis ins Jahr 2008 erzählt. Der Autor berichtet schockierend offen von seiner Suche nach dem eigenen Ich, von Drogen und Sex, aber auch von Familie und Freundschaft.

Die Sprache ist sehr intensiv und vermag die Lesenden zu fesseln, einfach weil das Erzählte so authentisch klingt. Die ganze Härte dieses Lebens kommt hier zum Ausdruck. Ich konnte nicht anders, als mit iO mitzufühlen und hoffte mit jeder Seite, dass es endlich aufwärts gehen möge mit ihm. Schon durch die detaillierten Beschreibungen, aber auch durch die eingestreuten Fotos, bekommt man ein gutes Bild von den Personen.

Fazit:
Ein sehr lesenswertes Buch für alle, die sich für andere Menschen interessieren und gerne über den eigenen Tellerrand hinaussehen. Hut ab vor dieser starken Persönlichkeit, die sich nicht unterkriegen ließ, sondern ihren eigenen Weg gesucht und gefunden hat.

Bewertung vom 02.10.2017
Stimme der Toten / Judith Kepler Bd.2
Herrmann, Elisabeth

Stimme der Toten / Judith Kepler Bd.2


ausgezeichnet

Hochspannender Kriminalroman

Inhalt:
Judith Kepler, Putzfrau mit der Zusatzqualifikation Tatortreinigung, soll die Spuren eines Todessturzes in einer Berliner Bank beseitigen. Dabei fällt ihr etwas auf, was der Polizei entgangen ist, und aus dem vermeintlichen Selbstmord wird ein möglicher Mord. Damit steckt Judith Kepler schon ganz tief in einer Verschwörung, denn sie gerät ins Blickfeld eines gewissen Bastide Larcan, der über ihre Vergangenheit Dinge weiß, die eigentlich der Geheimhaltung unterliegen.

Meine Meinung:
„Stimme der Toten“ ist der Nachfolgeroman von „Zeugin der Toten“ aus dem Jahr 2011. Man kann ihn aber problemlos ohne Vorkenntnisse lesen.

Mit dem Prolog, der sechs Jahre zuvor spielt, erhalten wir einen kleinen Einblick in Judiths Familiengeschichte, gerade so viel, wie man wissen muss, um die nachfolgenden Ereignisse zu verstehen. Dabei geht es schon gleich hochspannend los.

Diese Spannung hält Elisabeth Herrmann über die ganze Länge des Romans. Judith und mit ihr der Leser kommen kaum einmal zum Durchatmen. Judith findet sich in einer sehr unangenehmen Lage wieder. Zum einen wird sie zur Mithilfe beim Hacken der CHL-Bank gezwungen, dann kommt sie auch noch Neonazis in die Quere, und über allem liegt die Ungewissheit, was ihr als Kind wirklich passiert ist, wer Schuld daran trägt, dass sie ihre Eltern verloren und eine katastrophale Kindheit und Jugend erleiden musste.

Elisabeth Herrmann hat hier ein geniales Netz der verschiedenen Charaktere gesponnen. Diverse Geheimdienste mit aktiven sowie ehemaligen Mitarbeitern sind an der Geschichte beteiligt, und es ist unklar, wer wie mit drin hängt. Wem kann Judith vertrauen, wer steht hinter ihr, wer benutzt sie oder einen der anderen Beteiligten für seine Zwecke? Mir hat dieses Verwirrspiel ausgesprochen gut gefallen. Die Autorin konnte mich immer wieder auf falsche Fährten locken und mich auch immer wieder überraschen, weil sich so manche Person als ganz anders erwies, als ich zuerst dachte.

Auch der Schreibstil ist toll. Viele Dialoge lassen die Figuren lebendig wirken. Die Sprache ist nicht simpel, aber trotzdem einfach zu lesen.

Von ein paar Kleinigkeiten abgesehen, wo ich Judith hätte schütteln können, weil sie im Begriff war, etwas wirklich Dummes zu tun, hat mich dieser Kriminalroman von Elisabeth Herrmann mal wieder rundum begeistert. Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung.

Die Judith Kepler-Reihe:
1. Zeugin der Toten
2. Stimme der Toten

Bewertung vom 21.09.2017
Was man von hier aus sehen kann
Leky, Mariana

Was man von hier aus sehen kann


ausgezeichnet

Ein Roman zum Lachen und Weinen, so prall wie das Leben

Inhalt:
Luises Großmutter Selma kann den Tod vorhersehen. Immer wenn ihr ein Okapi im Traum erscheint, stirbt am nächsten Tag jemand im Dorf. Wen wird es dieses Mal treffen? Die abergläubische Elsbeth? Den Optiker, der alles erklären kann? Die immer schlecht gelaunte Marlies? Oder den alten Bauer Häubel, der sowieso findet, dass seine Zeit gekommen ist? Wie auch immer, das ganze Dorf ist in Aufruhr. Es werden letzte Vorbereitungen getroffen, Geständnisse gemacht, Liebe erklärt. Mit dem, was dann passiert, hat aber keiner gerechnet …

Meine Meinung:
Ich habe mir dieses Buch aufgrund der vielen positiven Meinungen besorgt. Von Anfang an gefielen mir die Geschichte und vor allem auch Mariana Lekys Schreibstil sehr gut, aber ganz so euphorisch wie manch andere Rezensierende war ich auf den ersten hundert Seiten noch nicht. Doch dann schlug ein Ereignis wie eine Bombe bei mir ein und es war um mich geschehen. Mir wurde immer klarer, warum andere Lesende so begeistert von dem Roman sind.

Da ist zum einen der herrlich leichte und etwas poetische Schreibstil, der einen durch die Seiten fliegen lässt. Erzählt wird aus der Sicht von Luise. Anfangs ist sie erst zehn Jahre alt, am Ende etwa dreißig. Hier hat mir auch der zu Beginn kindliche Blick auf die Geschehnisse gut gefallen.

Dazu kommen die ganz wunderbar vielschichtigen Charaktere dieser kleinen Dorfgemeinschaft im Westerwald. Jeder kennt jeden. Jeder weiß, wie er mit den Marotten der anderen umgehen muss. Man sorgt füreinander und kümmert sich.

Ich beschloss, Martin später zu heiraten, weil ich fand, der Richtige sei der, der einem das Hinsehen erspart, wenn die Welt ihren Lauf nimmt. (S. 52)

Und schließlich ist es die Handlung an sich, die mich berührt hat. Sie ist einerseits alltäglich, andererseits aber auch etwas Besonderes. Es gibt so viele schöne Momente, aber auch sehr traurige. Mariana Leky hat mich mit ihrem Roman auf eine Achterbahn der Gefühle geschickt. Ich habe mit den Protagonisten gebangt, habe über sie gelacht und mit ihnen Rotz und Wasser geheult.

Selten habe ich ein so berührendes und tiefsinniges Buch mit einer solchen Leichtigkeit gelesen. Ich habe jede einzelne Figur in mein Herz geschlossen und werde sie in den nächsten Tagen ganz sicher vermissen. Denn sie wirken so lebendig, so authentisch, dass ich beim Lesen das Gefühl hatte, sie schon ewig zu kennen.

Fazit:
„Was man von hier aus sehen kann“ ist ein wunderbar berührender Roman, der einen lachen und weinen lässt, mit einer klugen und tiefgründigen Geschichte und herrlich verschrobenen Figuren, die man einfach gern haben muss.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.