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solveig

Bewertungen

Insgesamt 471 Bewertungen
Bewertung vom 22.09.2015
Helden und Götter
Scheffler, Ursel

Helden und Götter


sehr gut

Unterhaltsam und informativ


Klassische Sagen können nicht nur spannend, sondern auch sehr informativ sein: das beweist Ursel Scheffler, eine der bekanntesten deutschen Kinderbuchautorinnen, in ihrem neuen Buch. Mit einer Auswahl an Geschichten aus der Mythenwelt griechischer Götter und Helden verbindet sie auch Erklärungen zu Sternbildern und der Herkunft ihrer Namen. Auch Begriffe unserer heutigen Welt lassen sich bis in die Antike zurückverfolgen. So weiß jeder, der sich mit Computern auskennt, was ein „Trojaner“ ist. Aber wo hat dieser Ausdruck seinen Ursprung? Und woher hat unser Erdteil seinen Namen, „Europa“?

In moderner, kindgerechter Sprache lässt Ursel Scheffler alte griechische Sagen wieder lebendig werden. Sie versteht es hervorragend, diese in eine narrative Form zu bringen, die unmittelbar auf den Leser wirkt. Die Geschichten werden recht kurz nacherzählt, so dass auch bei jüngeren Kindern keine Langeweile aufkommt.
Neben spannender Unterhaltung vermittelt die Autorin in ideenreicher Weise weiterführendes Wissen und fügt den Texten Erläuterungen zu Sternbildern und Planeten an. Als kürzere Passagen heben diese sich auch farblich und grafisch von der jeweiligen Sage ab.

Das große Format des Buches und seine Aufmachung spricht Kinder im Grundschulalter besonders an: das Titelbild mit dem Motiv des Trojanischen Pferdes lockt mit „Action“, und die Vor- und Nachsatzblätter sind mit Abbildungen der Sternbilder geschmückt.
Wirkungsvoll ergänzen die großzügigen, luftigen Illustrationen in zarten Farben von Betina Gotzen-Beek den Text. Die Grafikerin beschränkt sich auf das Wesentliche in ihren Bildern und führt sie nicht zu detailliert aus, so dass genügend Raum für die kindliche Fantasie bleibt.
Am Ende des Buches gibt der Anhang, ein „Who is Who“ der griechischen Sagenwelt, noch einmal einen Überblick über Namen und Bedeutung der erwähnten Götter und Helden.

Mit ihrem neuen Buch motiviert Ursel Scheffler, Kinder und Kultur auf unterhaltsame Weise zusammen zu bringen.

Bewertung vom 18.09.2015
Herr Katz, Isolde und Ich
Hitzbleck, Henrik;Wacker, Kerstin

Herr Katz, Isolde und Ich


ausgezeichnet

Ein fröhliches Sachbuch für Kinder


Frisch, bunt und modern sieht es aus; wer würde auf den ersten Blick wohl ein Sachbuch hinter dem ungewöhnlichen Outfit vermuten?
Und doch, hier erfahren Kinder ab 6 Jahren, wie ein Buch entsteht. Amra, selbst ein Grundschulkind, gibt den jungen Lesern in ihrer saloppen, lockeren Sprache einen Überblick über die wichtigsten Herstellungsschritte. Das Thema „Wie entsteht eigentlich ein Buch“ entwickelt sich ganz natürlich aus der Geschichte des Mädchens Amra, das seine Idee, für den neugeborenen Cousin Thies ein Erinnerungsalbum herzustellen, umsetzen will. Dabei sind die Fachbegriffe und Erläuterungen thematisch in seine Bemühungen eingebunden.
Unterstützt durch großzügige, farbenfrohe Zeichnungen erleben wir mit, wie Amra die zahlreichen Tipps der Grafikerin Isolde zur Gestaltung des Layouts ausprobiert. Sehr anschaulich werden der Entwurf eines Layouts und verschiedene Schrifttypen erklärt. Was bedeutet eigentlich „Vorsatz“ oder „Bruch“? Die Illustrationen helfen, solche Fachbegriffe zu verdeutlichen. Komplizierter wird es, wenn es an das Drucken und Binden ihres Büchleins geht: da muss sich Amra zwischen Papierstärken und -farben entscheiden und den richtigen Einband wählen. Aber hier stehen ihr der Drucker Katz und der Buchbinder Obereisenbucher hilfreich zur Seite. Trotzdem gibt es für das Mädchen noch einige Probleme zu bewältigen, vor allem die Finanzierung ist nicht so einfach.
Komplizierte Zusammenhänge werden leicht und unkompliziert erklärt; zu schwierige technische Details werden weggelassen, so dass jedes Kind einen guten allgemeinen Überblick bekommt und nicht überfordert wird.
Zusätzlich gibt es noch eine Anregung für die jungen Leser: Wer einmal selbst ein kleines Büchlein herstellen und binden möchte, der kann der entsprechenden Anleitung zur Fadenheftung am Ende des Buches folgen.
Möglicherweise weckt Kerstin Wackers Buch die Neugier der Kinder auf noch weiter führende Informationen?!

Bewertung vom 16.09.2015
Der Zauberfluch des Elfenkönigs / Bd.1
Walder, Vanessa

Der Zauberfluch des Elfenkönigs / Bd.1


ausgezeichnet

Fantastische Welt


Es ist eine heiße Sommernacht. Die 10jährige Ariane schläft unruhig und träumt, und dennoch ist es kein Traum: sie wird direkt aus ihrem Bett in einen Zauberwald verschleppt - von einem Drachen! Der Leser wird gleich zu Beginn des ersten Kapitels mit entführt, in eine fantastische Welt voller Zauberwesen und sprechender Tiere.
Gespannt verfolgt er mit, welche Abenteuer das kleine Mädchen im Nachthemd hier erwarten. Ariane, eigentlich als Geisel geraubt, schließt unerwartet Freundschaft mit Obligo, dem Drachen, möchte jedoch nichts lieber als nach Hause zu ihrer Familie zurückkehren. Der etwas leichtsinnige Obligo verliert sie jedoch unterwegs, und sie trifft auf andere gefährliche Wesen, die Wölfin Elvira und die Schlange Lukretia. Im Zauberwald herrscht eine aufgeheizte Stimmung; denn Tiere und Fabelwesen beschuldigen sich gegenseitig, die Oberhand gewinnen zu wollen. Dabei wünschen sich viele nur eines: ein friedliches Miteinander. Zwei, die ihre Freundschaft vor den anderen Bewohnern verheimlichen müssen, sind Kobold Knaster und Hase Theodor. Sie fassen schließlich einen mutigen Entschluss und geraten dabei in große Gefahr…
Mit Spannung, aber auch mit viel Humor leitet Vanessa Walder ihre Leser durch Arianes Abenteuer im Zauberwald. Neben der bangen Frage, ob es Ariane schafft, in die Welt der Menschen zurückzukehren, stellt die Autorin aber auch Themen wie Toleranz und Freundschaft auf den Prüfstand. Nur mit verlässlichen Freunden kann es dem einzelnen gelingen, Gefahren zu bestehen. Oder die Dinge sogar zu verändern!
Flott und packend geschrieben, trifft dieses Buch sicher den Geschmack vieler Kinder; denn zahlreiche Zauberwesen bevölkern den Wald und verleihen der kindlichen Phantasie Flügel.
Almud Kunerts liebevolle kleine Schwarz-Weiß-Zeichnungen illustrieren ergänzend den Text und geben den Zauberwald-Bewohnern auch grafisch Ausdruck. Im übrigen begleitet auf beinahe jeder Buchseite eine winzige umher schwirrende Elfe den kleinen Leser bei seiner Reise durch den Zauberwald. Auch die Zeichnungen in den weiteren Bänden der „Elfenkönig-Trilogie“ stammen von Almud Kunert.
Mein Fazit: Ein anregendes, spannendes Buch für alle, die phantasievolle Geschichten lieben!

Bewertung vom 15.09.2015
Erben auf Italienisch
Pallavicini, Piersandro

Erben auf Italienisch


sehr gut

Komödie mit "Biss"


Ebenso exaltiert wie das Buchcover präsentiert sich dieser Roman.
Immerhin könnte sich Alfredo Pampaloni, ein in die Jahre gekommener, herrischer Unternehmer, der mit der Fabrikation von Käse reich geworden ist, einen Schlittschuh laufenden Butler leisten, der ihm seine täglichen Drinks auf dem Eis serviert. Vermögend und exzentrisch genug ist er.
Seine liebsten Erinnerungen drehen sich - nicht um seine Ehefrau und Kinder, nein, sondern um seinen exklusiven Bekanntenkreis der 60er Jahre. Wie er gern erzählt, pflegte Alfredo Umgang mit bekannten Schauspielern und Filmregisseuren, deren Namen aus einschlägigen Illustrierten bekannt sind; auch sein Idol, der Playboy Gunter Sachs, war darunter.
Nun, 80jährig, lädt das Familienoberhaupt seine Kinder und deren Familien in den abgelegenen kleinen Bergort Solària ein, um mit ihnen einige Tage in dem extravaganten Ferienhaus zu verbringen und beim Notar sein Vermächtnis zu hinterlegen. Anwesend sind seine als Wissenschaftlerin erfolgreiche Tochter Carla mit ihrem Sohn und ihrer Freundin, und ihr Bruder Rogeredo, Galerist und stets auf seinen Vorteil bedacht, mit seiner englischen Frau und den Zwillingssöhnen.
Mit boshaftem Humor erzählt Autor Piersandro Pallavicini aus Carlas Sicht von dem Familientreffen, das unter Alfredos selbstherrlicher Leitung böse Überraschungen bereithält. Salopp geschrieben, aber immer präzise formuliert, verpackt der Roman seine bissige Kritik an den „Schönen und Reichen“ in Satire. Auch das Bild der heilen Welt der italienischen Familie wird systematisch zerpflückt. Hier herrschen Neid und Misstrauen, Geld ist verschwunden und es gibt geheimnisvolle geschäftliche Transaktionen.
Ist der alte Patriarch, der selbst absolut nicht zimperlich ist in der Wahl der Mittel, seine Mitmenschen zu brüskieren und bloßzustellen, eher Held oder tragische Figur?
In filmreifen, teilweise grotesken Episoden eilt die „commedia italiana“, wie der Romantitel im Original lautet, in rasantem Tempo auf ihren Höhepunkt zu und wartet zum Schluss noch mit einer Überraschung auf.
Eine italienische Komödie mit „Biss“!

Bewertung vom 07.09.2015
Heirate nie in Monte Carlo
Greene, Graham

Heirate nie in Monte Carlo


sehr gut

Der Verlierer gewinnt alles


„O bitte, werde nicht reich“, sagt Cary zu ihrem Verlobten Bertrand. Die frisch Verliebten wollen ihre Hochzeit ganz bürgerlich in Maida Hill feiern und die Flitterwochen in Bournemouth verbringen. Doch es kommt anders; denn aus einer Laune heraus lädt sein Chef Dreuther, von seinen Angestellten nur der „Gam“ - der große alte Mann - genannt, seinen stellvertretenden Buchhalter in das mondäne Monte Carlo ein, um dort zu heiraten. Diese Idee, als Gratifikation gedacht, kann Bertrand schlecht ablehnen. Und so findet sich das junge Paar in einem exklusiven Hotel am Mittelmeer wieder, aber Dreuther taucht nicht zur vereinbarten Zeit auf. Um die teure Unterkunft und das Essen bezahlen zu können, muss sich Bertrand etwas einfallen lassen. Was liegt in Monte Carlo näher, als sein Glück im Casino zu versuchen?

Genussvoll und außerordentlich unterhaltsam erzählt Graham Greene, wie sich der Buchhalter und Zahlenliebhaber Bertrand vom Skeptiker zum Glücksspieler wandelt und, wie andere passionierte Spieler auch, sich bemüht ein unfehlbares System zu entwickeln. Locker und verspielt greift der Autor das alte Sprichwort vom „Glück im Spiel – Pech in der Liebe“ auf und bringt es in die Form einer flotten humorvollen Geschichte, die den Einfluss von Geld auf Charakter und Gefühle schildert.
„Loser takes all“ heißt der Originaltitel des kurzen Romans, der 1955 erschienen ist und ein Jahr später mit Glynis Johns (bekannt auch aus ihrer Rolle als „Mary Poppins“) und Rossano Brazzi in den Hauptrollen verfilmt wurde.
Wer ist hier wirklich Gewinner, wer Verlierer? Greenes Buch unterhält den Leser und erteilt ihm gleichzeitig eine Lehre - aber immer mit einem Augenzwinkern.

Bewertung vom 06.09.2015
Das Buch ohne Titel
Loos, Lina

Das Buch ohne Titel


ausgezeichnet

Humorvolle Zeitzeugen

„Ich möchte am liebsten für eine große Idee leben und für eine große Idee sterben … aber … ich habe keine Idee.“
Solchermaßen selbstkritisch äußerte sich einmal Lina Loos ihrem Lehrer gegenüber.

Geboren 1882 in Wien als Carolina Catharina Obertimpfler unterhält sie schon früh Kontakt zu einem Künstlerkreis, dem u.a. Peter Altenberg, Karl Kraus und Franz Theodor Csokor angehören. Knapp 20jährig als Schauspielschülerin heiratet sie den mehr als 10 Jahre älteren Architekten Adolf Loos. Die Ehe hält nur kurz, Lina will nicht nur seine Ehefrau und Muse sein, sie hat eigene Vorstellungen, wie sie ihr Leben selbstbestimmt gestalten will.

Die kurzen Geschichten und Anekdoten, zusammengefasst in ihrem „Buch ohne Titel“ , beschreiben auf liebenswerte, humorvolle Weise Episoden aus ihrem Leben mit Familie, Freunden und Theaterkollegen. Als Zeitzeugen präsentieren sie Alltag und Flair der Wiener Gesellschaft des beginnenden 20. Jahrhunderts. Mit Geist und Witz hält Lina Loos ihre Gedanken und Kritik zu vielen sozialen und gesellschaftlichen Themen ihrer Zeit fest und bringt sie ironisch verpackt zum Ausdruck. Pathos liegt ihr nicht: schnörkellos, stets im Plauderton erzählt, scheinen ihre Erzählungen leicht und wie soeben auf das Papier geworfen zu sein, sind aber hintergründig, oft selbstironisch und animieren den Leser zum Nach- und Weiterdenke. „Das Buch ohne Titel“ ist eines der Werke, die der Leser immer wieder einmal zur Hand nimmt.

"Ich ... begann zu schreiben - ein lustiges belangloses Buch. Gerne hätte ich ein wertvolles ernstes, für alle Menschen wichtiges Buch geschrieben ..." , erklärte Lina Loos einmal.
Belanglos ist diese Sammlung von Geschichten sicher nicht. Sie unterhält auf hohem Niveau. Ich wünsche diesem Buch recht viele Leser!

Bewertung vom 01.09.2015
Anton und Marlene und die wahrscheinlichen Unwahrscheinlichkeiten / Anton und Marlene Bd.1
Herden, Antje

Anton und Marlene und die wahrscheinlichen Unwahrscheinlichkeiten / Anton und Marlene Bd.1


ausgezeichnet

Phantasievoll und witzig

Ganz schön clever, der zehnjährige Anton und seine neue Schulfreundin Marlene!
Beide lernen sich bei der Umschulungsfeier in der 5. Klasse des Gymnasiums kennen und nehmen auch gleich aktiv an einem Schülerwettbewerb zum Thema „Nachhaltigkeit“ teil. Der steht allerdings unter keinem geringeren Motto als „Rettet die Welt!“ ! Tatsächlich gewinnen sie den Wettbewerb und werden gemeinsam mit ihren Eltern zur Siegerehrung eingeladen. Doch dort fallen ihnen einige ziemlich merkwürdige Dinge auf. Und es dauert auch gar nicht lange und schon stecken sie mitten in einem unwahrscheinlich aufregenden, gefährlichen Abenteuer …

Eine phantastische Idee, ein spannender Plot, der sich rasant entwickelt, und sympathische Charaktere - das sind die Zutaten, aus denen Antje Herden ihr neuestes Kinderbuch komponiert hat. Mit viel Schwung und Witz schildert die Autorin Antons und Marlenes verrückte Erlebnisse. In ihrem (wie gewohnt) flotten, lockeren Stil und jugendlicher Sprache zieht sie junge Leser ab 10 Jahren mitten hinein in die unwahrscheinlichsten Ereignisse. Doch sie schlägt auch sensible Töne an, wenn es um Antons Gedanken, seine Wünsche und Ängste geht: die kann sicher jedes Kind nachvollziehen. Antons schlagfertige Art lässt die jungen Leser immer wieder schmunzeln, aber er hat auch eine weiche Seite, ist feinfühlend und hilfsbereit.
Illustratorin Regina Kehn verleiht den Buchfiguren zusätzlich Ausdruck: ihre humorvollen Vignetten unterstreichen und ergänzen den Text.

Wir warten schon gespannt auf weitere Abenteuer mit dem fröhlichen Gespann Anton und Marlene!

Bewertung vom 27.08.2015
Mog, der vergessliche Kater - Die schönsten Geschichten
Kerr, Judith

Mog, der vergessliche Kater - Die schönsten Geschichten


ausgezeichnet

Wo die Welt noch in Ordnung ist

Liebenswert, aber recht zerstreut: so präsentiert sich uns der Kater Mog. Als Mitglied der Familie Thomas wird er von allen geliebt - aber auch des öfteren getadelt; denn seine vergessliche und unbedachte Art beschert ihm und seinen Menschen so manches Missgeschick. In vier hübschen Geschichten, deren jeweiliges Ende von einer sehr kurzen Klaviermelodie angedeutet wird, erleben wir seine lustigen Abenteuer mit. Zum Glück wendet sich für Mog stets alles wieder zum Guten, so dass die kleinen Zuhörer zufrieden aufatmen können.

Es ist gar nicht so einfach, Judith Kerrs wunderbaren Bilderbuch-Klassiker in ein Hörbuch zu verwandeln. Man müsse „die Bilder mit der Stimme malen“, hat Katharina Thalbach einmal in einem Interview gesagt. Und genau das tut sie hier. Mit ihrer äußerst wandlungsfähigen Stimme versteht die Schauspielerin es auf unnachahmliche Art, dem Kater und seiner Familie soviel Leben zu verleihen, dass die Lesung im Kopf der Zuhörer Bilder dazu entstehen lässt; Bilder von Menschen und einer Umgebung, die auch kleineren Kindern bereits vertraut sind.
Mein Fazit: „Mog“ ist ein ausgesprochen gut gelungenes Hörbuch, in dem die Welt noch in Ordnung ist!

Bewertung vom 26.08.2015
Baba Dunjas letzte Liebe
Bronsky, Alina

Baba Dunjas letzte Liebe


ausgezeichnet

Baba Dunja - Eine bemerkenswerte Frau


In Tschernowo ist die Natur merkwürdiger als andernorts: es gibt nur wenige Vögel, dafür mehr Katzen; die Spinnen sind zahlreicher und weben andere Netze, die Tomaten werden größer … Auch die wenigen alten Menschen, die dieses Dorf bewohnen, zeichnen sich durch Andersartigkeit aus; denn wer würde nach einem schrecklichen Reaktorunfall freiwillig in kontaminiertes Gebiet ziehen?
Dennoch ist Baba Dunja die erste, die entgegen allen Ratschlägen und Bitten in ihr geliebtes, vertrautes Heim in Tschernowo zurückkehrt. Sie ist nicht mehr jung und hat nichts zu verlieren. Ihre Kinder und die Enkelin, die sie noch nie gesehen hat, leben außerhalb der Gefahrenzone im Ausland.
So verbringt Baba Dunja, die bereits die Achtzig überschritten hat, ein Leben in Selbstbestimmung und im Einklang mit sich selbst, mit ihrer kleinen, losen Dorfgemeinschaft, aber auch mit den Geistern „ihrer“ Verstorbenen, zwischen Gegenwart und den Fragmenten ihrer Erinnerungen. Als jedoch eines Tages ein Mann mit seiner kleinen Tochter auftaucht, mit der Absicht, sich in dem todgeweihten Ort niederzulassen, wird alles anders.

Die Autorin rollt das Thema des tragischen Reaktorunglücks in Tschernobyl von der Seite überlebender Opfer her auf, die, vom Unfall überrascht, ihre Heimat verlassen müssen. Baba Dunja will sich nach ihrer erzwungenen Flucht aus Tschernowo nicht länger vorschreiben lassen, wo sie zu wohnen hat: „Das Gute am Altsein ist, dass man niemanden mehr um Erlaubnis zu fragen braucht …“ Sie besteht darauf, dort ihren Lebensabend zu verbringen, wo sie den größten Teil ihres Lebens zugebracht hat, selbst wenn dieser sterbende Ort von der Zivilisation fast abgeschnitten ist und die Bewohner auf viele Annehmlichkeiten verzichten müssen; selbst wenn der Preis dafür bedeutet, dass der Kontakt zu ihren Kindern auf gelegentliche Briefe beschränkt ist: an dem Ort, der ihre „letzte Liebe“ ist. Wie ihre Nachbarn im Dorf will sie nur eines: unabhängig und in Ruhe ihr restliches Leben leben, sich an den kleinen Dingen des Alltags erfreuen und ihren Gedanken nachhängen. Ihre praktische, zupackende Art und ihr lebensbejahendes, optimistisches Wesen machen Baba Dunja zu einer Institution des Dorfes, unentbehrlich.

So ruhig und gleichmäßig wie Dunjas Leben in Tschernowo erzählt die Autorin ihre Geschichte. Die Sprache, die Alina Bronsky ihrer Titelheldin verleiht, klingt schlicht, manchmal gar naiv, aber stets stecken Erkenntnisse darin, die belegen, wie intensiv Baba Dunja über ihre Umwelt und sich selbst nachdenkt. Bei aller Abgeklärtheit verfügt die alte Frau zudem über eine gute Portion Humor und Ironie. Und es überzeugt den Leser zutiefst, wenn sie erklärt: „Ich habe alles gesehen und vor nichts mehr Angst. Der Tod kann kommen, aber bitte höflich.“

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.08.2015
Das Geheimnis des Genter Altars
Wrede, Klaus-Jürgen

Das Geheimnis des Genter Altars


gut

Das Rätsel der "Gerechten Richter"

Wredes Roman knüpft an einen im Jahre 1934 tatsächlich begangenen Kunstraub an: damals wurde das Bild der „Gerechten Richter“ , eine Außentafel des berühmten Genter Altars der Brüder van Eyck, entwendet. Das Original ist bis heute nicht wieder aufgetaucht.
Der Autor verbindet die starke Symbolhaftigkeit, die in den Gemälden mehr oder weniger verborgen ist, mit geheimnisvollen Vorgängen aus der Zeit Tempelritter im Mittelalter und mit aktuellen Bemühungen einflussreicher verbrecherischer Organisationen, die gestohlene Tafel aufzuspüren und ihr Geheimnis zu lüften.
Der gewaltsame Tod ihres Adoptivbruders Juri in Köln bringt die Künstlerin Mara in Verbindung zu dessen Freund Daniel. Beide suchen ein Motiv für die Mordtat und stoßen dabei auf Hinweise, die sie zunächst nach Gent führen und schließlich weiter nach Südfrankreich. Doch auf ihrer Suche nach der Wahrheit schweben sie stets in Lebensgefahr…

Geschickt verwebt der Autor historische Ereignisse mit Fiktion. Zu Beginn erlebt der Leser Historie hautnah und der jeweils erzählten Epoche atmosphärisch angepasst.
Wredes flüssige Erzählweise zieht den Leser leicht ins Geschehen und hält ihn in Atem. Das Setting zeigt sich fantasievoll, die Landschaft in Frankreich gut beschrieben. Allerdings gerät so manche Episode für meinen Geschmack dann zu fantastisch und konstruiert und es fallen einige Ungereimtheiten auf. Die Romanhelden bleiben trotz ausführlicher Schilderung ein wenig farblos, wirken nicht sehr echt.
Dennoch fühlt sich der Leser gut unterhalten und der genau recherchierte geschichtliche Tatsachen-Hintergrund gibt der Geschichte einen interessanten Touch.