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Glüxklaus
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Franken

Bewertungen

Insgesamt 612 Bewertungen
Bewertung vom 28.09.2021
Huhn voraus / Tschakka! Bd.1
Andeck, Mara

Huhn voraus / Tschakka! Bd.1


ausgezeichnet

Turbulent, frech und sehr witzig - ein großartiges Lesevergnügen

„Hey, ist es zu fassen? Ich bin das dritte Kind meiner Eltern! Und die wissen immer noch nicht, wie man mit Kindern umgeht?! Die müssen doch mitbestimmen dürfen.“

Eigentlich sollten Sommerferien doch was Schönes sein, aber diese Sommerferien stehen unter keinem guten Stern. Tabeas geliebtes Ferienhaus am Meer soll abgerissen werden, obwohl sich Tabea keinen gemütlicheren Ort vorstellen kann. Da fällt der Urlaub dort natürlich flach. Die Familie muss zu Hause bleiben. Doch als Tabea und ihr Freund Einstein auf ein ausgebüxtes Huhn treffen, das im nächsten Moment schon wieder weg ist, beschließen sie die Verfolgung aufzunehmen und das Huhn zu retten. Aber als Superhelden: Tabea wird zu Tschakka und Einstein zu Stoneman. Und kaum starten sie mit ihrer Mission, sind die Ferien überhaupt nicht mehr langweilig, denn das Leben als Superheld ist ein einziges Abenteuer.

Autorin Mara Andreck hat einen herrlich erfrischenden, spritzig-frechen Schreibstil. Die Geschichte wird von Tabea in Ich-Form erzählt, die mit ihrem ganz besonderen Humor überzeugt. Ihre originellen Formulierungen machen Spaß, so ist Einstein beispielsweise nicht klein, sondern „auf das Wesentliche reduziert“.
Das Buch ist dank Phine Wolffs Illustrationen sehr ansprechend und motivierend gestaltet. Auf jeder Seite gibt es kleine lustige, comicartige Bilder zu bestaunen. Das kreative Layout wirkt durch Pfeile, Sprechblasen oder Auflistungen auf den ersten Blick etwas „wild“, aber sehr abwechslungsreich. Die Schrift hat einen etwas größeren Zeilenabstand. Viele Wörter sind in einer anderen Schriftart gedruckt, sie werden auf diese Weise hervorgehoben. Alle Seiten sind - wie bei Comicromanen üblich- individuell aufgemacht, keine ist wie die andere.
Kinder ab acht Jahren werden die Geschichte alleine lesen können, zum Vorlesen ist sie auch schon für jüngere Mädchen und Jungen geeignet.


Tabea alias Tschakka ist ein temperamentvolles, aufgewecktes, pfiffiges Mädchen mit einem Kopf voller Ideen. Mit den Ferienvorsätzen ihrer Familie hat Tabea so ihre Probleme, ihr Bruder Leon will fit werden und seinem Bauch dem Kampf ansagen, Schwester Feli will ihre Namen verbannen und jetzt Fee heißen, ihre Eltern wollen das alte Sofa wegschmeißen. Tabea aber mag Beständigkeit: „Wieso muss plötzlich alles weg? Erst das Ferienhaus und dann auch noch alles andere. Das ist doch magaunökologisch. Haben die noch nie was von Recycling gehört?“
Tabea möchte sogar lieber noch was dazu, einen Hund nämlich.
Auch wenn sie nicht immer einer Meinung mit ihrem besten Freund Jonas alias Einstein ist, der fast genauso klug ist wie sein Namensgeber, sind Tschakka und Stoneman ein unschlagbares Team, das tut, was getan werden muss und sogar Fieslinge wie Nachbar Luis in die Schranken weist.

Tschakkas Welt muss man einfach mögen. Da geht es ganz schön turbulent, abenteuerlich, chaotisch und alles andere als langweilig zu. Und nebenher und völlig unaufdringlich macht sich Tschakka für Natur- und Umweltschutz stark, was in ihrem Fall sogar richtig Spaß macht. Sie hat durchaus recht, wenn sie meint, dass jeder nur ein bisschen tun muss, um die Umwelt zu schützen. Wenn jeder hilft, nutzt das viel, denn die Welt ist schön und hat es verdient, geschützt zu werden. Am Ende löst sich dann meiner Meinung nach alles etwas zu flott auf.
Insgesamt aber ein witziger, kurzweiliger, höchst unterhaltsamer Lesespaß. Ich will definitiv noch mehr von Tschakka und Stoneman lesen und freue mich darauf, wenn sie wieder die Welt retten.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.09.2021
Die Sache mit dem dritten L / Leo und Lucy Bd.1
Elbs, Rebecca

Die Sache mit dem dritten L / Leo und Lucy Bd.1


sehr gut

Von Schwierigkeiten mit dem Lesen und wahrem Zusammenhalt

Leo lebt in Köln-Chorweiler, im 15. Stock eines Mehrfamilienhauses, in dem auch Lucy wohnt, seine beste Freundin, die im Rollstuhl sitzt. Leo weiß nicht nur eine ganze Menge über das Universum, er ist auch ein begeisterter Skater. Leider ist sein eigenes Schrottboard ziemlich alt. Leo braucht dringend ein neues Board, er träumt vom XW 90. Das gibt es zufällig bei einem Vorlesewettbewerb zu gewinnen. Also beschließt Leo an dem Wettbewerb teilzunehmen, um das Board zu gewinnen. Die Sache hat nur einen gewaltigen Haken, Leo kann sehr schlecht lesen. Während Leo fleißig seine Lesefähigkeit trainiert, muss er sich noch mit anderen Problemen herumschlagen: In der Nachbarschaft werden Hunde entführt und Mama hat einen neuen Freund.

Rebecca Elbs schreibt in der ersten Person Präsens aus Leos Sicht. Ihre Sprache ist recht authentisch, liest sich wie das Tagebuch eines Zwölfjährigen. So verwendet sie häufig das Wort „dermaßen“ oder den Ausdruck „fett grinsen“, eher umgangssprachliche Redewendungen.
Sehr originell sind die Kapitelüberschriften. Jedes Kapitel ist mit einer Regel betitelt wie z.B. „Regel 5: Was man sich wünscht, muss man gehen lassen- wie Watruschki-Teig“.
Julia Christians hat zur Geschichte einige wenige Illustrationen gezeichnet. Ihre charakteristischen, individuellen Figuren mit den auffälligen Mündern sind witzig anzuschauen.
Die Kapitel haben unterschiedliche Längen, im Großen und Ganzen aber einen recht übersichtlichen Umfang. Die Schrift ist zur besseren Lesbarkeit minimal größer gedruckt. Kinder ab zehn Jahren werden das Buch sicher alleine bewältigen können.

Hauptfigur Leo hat es schwer. Seine Mutter hat wenig Zeit für ihn, den Vater kennt er nicht. Als leidenschaftlicher Skater muss er sich mit einem Schrottboard zufrieden geben und in der Schule wird er von seinen Mitschülern schikaniert. Leo glaubt zwar irgendwie daran, dass er das mit dem Lesen noch hinkriegt, aber manchmal fällt er auch in ein schwarzes Loch und verliert die Kontrolle. Für mich war Leo als Charakter gut nachvollziehbar, aber stellenweise empfand ich sein Verhalten als unsympathisch. Manchen Personen, die es gut meinen, stößt er ziemlich vor den Kopf. Leo entwickelt sich allerdings im Verlauf der Handlung, er zeigt Mut. Mut, unangenehme Dinge zu tun und Mut, sich für Fehler zu entschuldigen.
Leos Freundin Lucy ist eine erfrischende Figur. Sie sitzt im Rollstuhl, lässt sich aber davon nicht unterkriegen. Sie weiß immer das Richtige zu sagen, hilft Leo, wo sie kann, hat Verständnis für ihn und ein Talent, Menschen zu überzeugen. Auch Lucys Eltern die Blinows, die aus Russland stammen, sind für Leo da, versorgen ihn nicht nur mit russischen Backwerken. Die Spaghetti-Bolognese-Mittwoche bei den Blinows gehören für Leo fast ein Stück Heimat.
In Leos Haus wohnen viel Originale wie Frau Milchmeyer oder Herr Möllmenner, die sich ebenso auf ihre Art um Leo kümmern. Rebecca Elbs hat ein Händchen für Figuren, sie hat sich viele nette, originelle Persönlichkeiten ausgedacht.

Wird Leo tatsächlich den Vorlesewettbewerb gewinnen? Der Weg zum Wettbewerb ist nicht leicht. Neben dem Thema Legasthenie geht es um viele weitere Themen wie Mobbing, Wut, Analphabetismus, Alleinerziehende oder Menschen mit Behinderung. Der Plot entwickelt sich oft ziemlich überraschend und Leo erkennt, auf wen er sich wirklich verlassen kann. Die „Insel“ Köln-Chorweiler ist für Leo durch die Leute, die für ihn da sind, wie ein Anker. Wie Leo ist auch seine Geschichte sehr phantasievoll. Die Sache mit dem schwarzen Loch kommt allerdings anfangs ein wenig abstrakt herüber. Auch sind manche Handlungsstränge wie der Welpenklau vielleicht etwas zu viel des Guten und werden für meine Begriffe nicht ganz zufriedenstellend aufgelöst.
Trotzallem ist Leo und Lucy eine herrlich einfallsreiche, warmherzige und einfühlsame Geschichte übers Anderssein, Stärken, Schwächen, Freundschaft und Toleranz. Es hat Spaß ge

Bewertung vom 19.09.2021
Rembrandts Geliebte
Vlugt, Simone van der

Rembrandts Geliebte


sehr gut

Die tragische Geschichte der Geliebten Rembrandts packend erzählt

Geertje Dircx nutzt 1632 die Möglichkeit, ihre Heimatstadt Edam zu verlassen und nimmt eine Anstellung in einem Gasthaus an. Doch das ist nur die erste Station in ihrem Berufsleben, später sammelt sie Erfahrungen als Kindermädchen und landet schließlich im Haushalt des berühmten Malers Rembrandt, wo sie sich um Saskia, die schwerkranke Frau des Künstlers, und dessen Sohn Titus kümmert. Nach Saskias Tod beginnen Geertje und Rembrandt eine Beziehung, doch eine Heirat ist aufgrund von Saskias Testament unmöglich. Geertje vertraut Rembrandt, doch ihr Glück soll nicht von Dauer sein.

Autorin Simone Van der Vlugt schreibt aus der Sicht von Geertje in der ersten Person, ihre Ausführungen sind gut verständlich, flüssig und lebendig formuliert. Der Sprachstil ist um der besseren Lesbarkeit Willen etwas zu modern, um wirklich authentisch zu sein. Die Geschichte beginnt mit dem Anfang vom Ende, 1650 wird Geertje verhaftet. Im folgenden erzählt die Autorin dann chronologisch, wie es zu dieser Entwicklung kam.
Auf dem Cover des Romans ist ein Ausschnitt des Bildes „Junge Frau an einer halb offen Tür“ zu sehen, das entweder von Rembrandt selbst oder von seinem Schüler Samuel van Hoogstraten stammt und möglicherweise Geertje zeigt.

Normalerweise war das damalige Leben der Edamer Mädchen „überschaubar“ und „vorhersehbar“, doch Geertje wählt ein anderes. Sie entflieht der Enge und Langeweile der kleinen Stadt, um neue Pfade zu betreten und auf eigenen Beinen zu stehen. Ihre Arbeit im Gasthof erledigt die patente junge Frau zuverlässig. Sie wirkt fortschrittlich und modern, hofft insgeheim auf Liebe. Ehrgeizig nutzt sie ihre weiteren Möglichkeiten, wird Kindermädchen, gelangt schließlich nach Amsterdam. Von der großen Stadt ist sie zunächst überwältigt. Zu Kindern findet Geertje sofort einen besonderen Zugang. In Rembrandt, den genialen Künstler, der mit seinen Stimmungsschwanken oft unberechenbar ist, verliebt sich Geertje erst mit der Zeit. Der Maler wird sehr ambivalent dargestellt, erscheint nicht immer im besten Licht, mit ihm ist schwer warm zu werden. Geertje träumt dennoch von einer Ehe mit ihm, ist für seinen Sohn wie eine Mutter. Ihre Geschichte packte mich, ich mochte die Figur, fieberte mit ihr, hoffte auf Glück für sie. Geertje weiß selbst: „Aber Glück ist ein Zustand, der nie lange währt. Kaum hat man sich daran gewöhnt und nimmt es für selbstverständlich, heißt es aufpassen. Das weiß ich heute, damals wusste ich es nicht.“

Simone van der Vlugt kannte ich bisher nur als Autorin von spannenden und gut gemachten Krimis und Psychothrillern. Mit „Rembrandts Geliebte“ beweist sie, dass sie auch in der Lage ist, unterhaltsame, gut recherchierte historische Romane zu schreiben. Die wahre Geschichte ihrer Protagonistin Geertje Dircx, die sicher auch ein wenig „Dichtung“ enthält, hat mich ziemlich beeindruckt. Van der Vlugt stellt die Frau, deren Rolle weitestgehend unbekannt ist und die in der Literatur teilweise als manipulativ gesehen wird, als selbstbewusste Kämpferin, aber auch als Opfer eines unberechenbaren und rachsüchtigen Mannes dar, der übrigens im echten Leben in nicht weniger als 25 Rechtsstreitigkeiten verwickelt war. Für mich eine hochinteressante, fesselnde, tragische Romanbiographie einer außergewöhnlichen Frau, die den Maler Rembrandt von einer anderen, kritischen Seite zeigt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.09.2021
Dein Herz in tausend Worten.
Pinnow, Judith

Dein Herz in tausend Worten.


sehr gut

Leichte Romanze voller wunderbarer kleiner Gesten - ein „Hach-Buch“ zum Seufzen schön

„Es gibt keine Alternative zur Liebe. Das müsstest du doch wissen, so viel, wie du liest.“

Die extrem schüchterne Millie arbeitet als Bürohilfe bei einem kleinen Verlag. Zu ihren Aufgaben gehört es unter anderem, den Speicher aufzuräumen. Für Millie ist der Dachboden, in dem abgelehnte Manuskripte gelagert werden, nicht nur ein Dachboden, sondern ein magischer Ort, „der Raum des Vergessens“ voller Schätze. Millie liest leidenschaftlich gerne heimlich in den Manuskripten und schmuggelt die unveröffentlichten Bücher, die ihr gefallen, nach Hause. „Dein Herz in tausend Worten“ ist eine Geschichte, die es ihr besonders angetan hat. Millie versteckt in ihrem Stadtviertel Notting Hill Sätze aus dem Buch, um Menschen aufzuheitern. Zufällig entdeckt Bestsellerautor William Winter im Café eines der Zitate. Er ist der Verfasser des Buchs und möchte unbedingt herausfinden, wer seine Worte verteilt und aus welchem Grund. Das erste Treffen zwischen Millie und William passiert allerdings unwissentlich und verläuft ganz anders als erwartet….

Judith Pinnow schreibt gut verständlich und flüssig, teils in Ich-Form im Präsens aus Millies Sicht, teils schildert sie auch Williams Situation in der dritten Person. Mir fiel es nicht schwer, mich in die Geschichte hineinzuversetzen.

Millie ist eine sensible Frau, die große Schwierigkeiten hat, mit anderen in Kontakt zu treten. Sie lebt im Hintergrund wie in einem Schneckenhaus, erinnert mich ein wenig an Hauptfigur Lucy aus „Während du schliefst“. Eigentlich wäre Millie gerne Lektorin, hegt sie doch für Bücher eine große Leidenschaft. Doch sie ist davon überzeugt, dass sie dafür nicht geeignet wäre: „Ich bin nicht besonders gut im Verhandeln oder überhaupt im Sprechen. Ich sage lieber nichts und beobachte“. Schräge, ungeschickte, rührselige Geschichten „rettet“ sie besonders gerne vor der Vernichtung, weil sie sie an sie selbst erinnern.
Krimiautor William Winter präsentiert in der Öffentlichkeit ein Bild von sich, das nicht seiner wahren Persönlichkeit entspricht. Von seinen Verletzungen, Träumen und Wünschen weiß niemand, davon erzählt sein Roman „Mein Herz in tausend Worten“.
Gut gefallen hat mir die Figur Mrs. Cramer, die so streng und kontrolliert wirkt, stets beschäftigt am Empfang sitzt und in jeder Hinsicht den Überblick behält, sie ist für Überraschungen gut. Sympathisch war mir auch Millies Bruder Felix, der immer für seine Schwester da ist und sie kennt wie kein anderer.

Hach! Judith Pinnow hat wieder das getan, was sie einfach sehr gut kann, sie hat eine leichten, süßen, mitreißenden Liebesroman mit viel Zuckerguss verfasst. Eine Geschichte wie das Drehbuch zu einer Hollywoodromanze. Kitschig ohne Zweifel, aber eine gefühlvolle Figur wie Millie braucht eben einfach eine Portion Kitsch zum Glück, nicht im Großen mit viel lautem Bämm, sondern im Kleinen und wohldosierter. Die sanfte Millie liebt es kleiner und bescheidener.
Judith Pinnows Roman überzeugt mit einigen wirklich schöne Ideen. Dass Millie es sich zur Aufgabe gemacht hat, abgelehnte Manuskripte zu retten, gefällt mir sehr. Denn hinter jedem Text steckt ein Mensch, der durchaus etwas zu sagen hat und der andere Menschen mit Worten berührt. Millie bringt den Personen hinter den Manuskripten Wertschätzung entgegen.
Lektor David zitiert im Buch Heinrich Heine: „Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die gewaltigste.“ Wie mächtig Bücher sind, ist immer wieder Thema im Roman. Bücher verleihen Flügel. „Wenn du schreibst, kannst du fliegen“, erklärt William, denn in ihrer Phantasie sind Menschen zu allem fähig. „Ich kann auch fliegen, wenn ich lese.“ entgegnet Millie. Recht hat sie.
Mich hat die nette, leichte Geschichte oft zum Lächeln gebracht. Ein „Hach-Buch“ zum Seufzen schön. Manchmal brauche ich unbedingt solche Bücher, sie machen die Welt ein bisschen heller.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.09.2021
Bis ans Ende aller Fragen
Hertz, Anne

Bis ans Ende aller Fragen


gut

Charmante, nette Grundidee, aber sehr unglaubwürdige Handlung

„Es ist nie zu spät so zu sein, wie man gern gewesen wäre“
Maxi hat sich als Kind ihre Zukunft genau ausgemalt: Sie wollte Ärztin werden, ihren heimlichen Schwarm Rafael heiraten und mit ihm eine Familie gründen. Doch die Realität sieht anders aus: Jetzt ist sie 44, Inhaberin eines Cafés in Hamburg und allein. Ihr langjähriger Freund Thomas hat sie wegen einer anderen verlassen. Als Maxi in ihrem Café eine Trauerfeier für einen sympathischen Witwer mit zwei Kindern ausrichtet, kommt Maxis Nichte Summer, die als Aushilfe im Café arbeitet, eine Idee. Maxi soll eine Trauergruppe besuchen und behaupten, ihren Mann verloren zu haben. Auf diesem Weg lässt sich doch bestimmt ein Witwer mit Kindern kennenlernen und Maxi kommt doch noch zu einer Familie. Dass Maxi sich tatsächlich überreden lässt, diese abstruse Idee in die Realität umzusetzen, bringt eine gigantische Liebeskatastrophe ins Rollen.

Anne Hertz schreibt flüssig, lebendig und leicht verständlich in der ersten Person Präsens. Zwischen den Passagen, die die aktuelle Handlung erzählen, sind dreißig Jahre alte Tagebucheinträge von Maxi abgedruckt, deren P.S. oft mit Fragen enden, was mir gut gefallen hat. Man lernt Maxi, ihr Leben, ihre Träume und Vorstellungen also sowohl als Kind als auch als Frau in den Vierzigern kennen.

In Protagonistin Maxi konnte ich mich zunächst gut hineinversetzen. Sie wirkt oft verplant, hadert damit, dass sich ihr Leben anders entwickelt hat, als sie wollte, ist aber eigentlich nicht unglücklich mit ihrer beruflichen Situation. Maxi kümmert sich rührend um ihre Kaninchen, liebt Kinder und geht einfühlsam auf sie ein. Auch ihr früheres Ich aus dem Tagebuch wirkt zwar sehr naiv und unbedarft, aber irgendwie liebenswert. Ganz anders präsentiert sich Maxi gegen Ende des Buchs. Ihre genervten und unsensiblen Reaktionen zum Schluss hin schreckten ab, Maxi wurde mir immer unsympathischer. Für mich war mich da nicht mehr nachvollziehbar, warum Maxi angesichts ihres unangenehmen Verhaltens so gut bei ihren Mitmenschen ankommt.
Maxis Nichte Summer mit ihren verrückten Ideen bringt frischen Wind in die Handlung. Sie kommt allerdings für eine Studentin recht unreif rüber, benimmt sich eher wie ein Teenager.

Einige Romane des Autorenduos habe ich wirklich gerne gelesen, „Glückskekse“ oder „Die Sache mit meiner Schwester“ haben mich überzeugt. Dementsprechend neugierig war ich auf das neue Buch der Schwestern Frauke Scheunemann und Wiebke Lorentz. Der Roman vermittelt, dass es nie zu spät fürs Glück ist. Eine schöne Vorstellung. Auch die Idee, die Liebe in einer Trauergruppe zu suchen und immer wieder amüsante, naive Tagebucheinträge mit originellen Fragen am Ende einzuschieben, die Maxis früheres Ich beschreiben, finde ich nett und charmant. Daraus hätte man viel machen können. Die Autorinnen lassen für mich ihren Figuren und deren Beziehungen keinen Raum, sich zu entwickeln. Alles geht viel zu schnell: Menschen sind sofort verliebt, die unwahrscheinlichsten Zufälle reihen sich aneinander, alles fügt sich wie von Geisterhand. Intensive Momente mit romantischer Stimmung sind hier Fehlanzeige, stattdessen empfand ich die Handlung oft als an den Haaren herbeigezogen.
Ja, ich habe den Roman stellenweise genossen, so wie einen Fernsehabend, bei dem man sich aber permanent wundern muss, weil das, was da auf dem Schirm geboten wird, zwar unterhält, aber nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat und man sich irgendwie ein bisschen für dumm verkauft vorkommt. Für mich ist die übertriebene Handlung einfach zuviel des Guten, weniger wäre da mehr gewesen. Ich hätte mir weniger, dafür mehr tiefgründigere Figuren gewünscht, weniger übertriebene, dafür mehr nachvollziehbare Entwicklungen, weniger absurde Zufälle und dafür mehr Glaubwürdigkeit, weniger belanglose Plattitüden, dafür mehr nachvollziehbare Gefühle. Für mich leider kein Glanzstück, mit ihren anderen Romanen haben die Verfasserinnen bewiesen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.08.2021
Fräulein Mozart und der Klang der Liebe / Ikonen ihrer Zeit Bd.4
Maly, Beate

Fräulein Mozart und der Klang der Liebe / Ikonen ihrer Zeit Bd.4


sehr gut

Im Schatten des Genies - ruhige, lesenswerte Romanbiographie einer vergessenen Frau

Maria Anna, genannt Nannerl, ist die Schwester des weltberühmten Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart. Gemeinsam mit ihrem Bruder tritt die hochbegabte Pianistin bei zahlreichen Konzerten in ganz Europa auf. Doch im Mittelpunkt steht nur ihr Bruder. Als Nannerl den Lehrer Franz Ippold kennenlernt, verliebt sie sich sofort in den jungen, gebildeten und kultivierten Mann. Doch die Familie Mozart verfügt über wenig Vermögen, Nannerls Mitgift wäre sehr gering. Zudem darf Ippold aufgrund seiner aktuellen Stellung keine Ehe eingehen. Ob die Liebe der beiden trotzdem eine Chance hat?

Der Schreibstil der Autorin Beate Maly liest sich angenehm flüssig, gut verständlich und unkompliziert. Nannerls Geschichte wird chronologisch erzählt.

Nannerl hat wie ihr Bruder ein außergewöhnliches musikalisches Talent. Wenn sie am Klavier sitzt, verliert sie sich in der Musik, die Realität rückt in den Hintergrund. Doch Nannerl steht im Schatten ihres übermächtigen Bruders, worunter sie leidet. Ihr Vater Leopold hat nur Wolfgangs Karriere im Sinn. Als er Nannerl verwehrt, Wolfgang auf eine Konzertreise zu begleiten, begründet er dies so: „Außerdem soll die Reise dazu dienen, Wolfgang endlich den Ruhm zu verschaffen, der ihm zusteht. Er ist ein Ausnahmemusiker. Da ist es wenig hilfreich, wenn die große Schwester mit auf der Bühne steht.“ Nannerl ist verletzt, passt ihre Träume letztlich der Wirklichkeit an.

Auch wenn in dieser Romanbiographie nicht Wolfgang, sondern Nannerl im Fokus steht, spielt Wolfgang im Leben von Nannerl und seinen Eltern immer die Hauptrolle. Er beeinflusst deren Entwicklung und Schicksal maßgeblich. Der zweifellos geniale Komponist ist ein Wunderkind. Wenn Nannerl seine Musik zum besten gibt, erzählt sie der Welt von ihrem Bruder: „Mit jedem Tastenschlag gab sie seine Unbekümmertheit, seine Lebensfreude und seinen kindlichen Optimismus wieder.“ Wolfgang reißt mit, begeistert, aber er hat große Schwierigkeiten, sich in der realen Welt zurechtzufinden. Wie Vater Leopold treffend feststellt, steckt im erwachsenen Wolfgang das Gemüt eines Zehnjährigen. Er kann mit Geld nicht umgehen, lebt verschwenderisch, macht viele Schulden und seine Familie soll es dann richten. Nannerl erhält keine nennenswerte Mitgift, muss selber als Klavierlehrerin bei so manchen unangenehmen Schülerinnen arbeiten, um Geld zu verdienen. Erstaunlicherweise ist sie Wolfgang deswegen aber nicht böse. Sie versteht, dass Musik in seinem Leben der „unentbehrliche Mittelpunkt“ darstellt. Mozart einmal aus einer anderen Perspektive kennenzulernen, fand ich sehr aufschlussreich.


Damals herrschten andere Zustände, die Reichen schwelgten im Luxus, der überwiegende Teil der Bevölkerung musst hart ums Überleben kämpfen. Frauen wurden bevormundet, freie Entscheidungen waren aber auch für Männer nicht die Regel. Wer nicht aufpasste, dem drohte der Pranger oder weit Schlimmeres. Beate May stellt das sehr anschaulich heraus und macht zudem klar, dass es Nannerl doppelt schwer hatte. Das Leben an der Seite des Genies Wolfgang Amadeus war eine besondere Herausforderung. Nannerls Geschichte, ihr Weg, der so stark von ihrem Bruder beeinflusst und geprägt war, fesselte mich. Ihr Pragmatismus, das Beste und Vernünftigste aus ihren Möglichkeiten zu machen und ihre Gelassenheit, die Dinge so zu nehmen wie sie sind, ohne zu bereuen und zu hadern, hat mir imponiert. Einige Figuren und Entwicklungen sind fiktiv. Fest steht aber: Nannerl, die überragende Musikerin, die als Frau zur falschen Zeit geboren wurde, hat es verdient, mehr beachtet zu werden.
Ein leises, bescheidenes Leben, eine ruhige, aber absolut überzeugende und unterhaltsame Romanbiographie, die in eine andere Zeit mit viel schillerndem, aber oft nur oberflächlichem Glanz entführt. Ich möchte gerne noch mehr von dieser beeindruckenden Protagonistin Maria Anna Mozart erfahren.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.08.2021
Nordwestzorn / Soko St. Peter-Ording Bd.2
Jensen, Svea

Nordwestzorn / Soko St. Peter-Ording Bd.2


sehr gut

Authentisch, nordisch ruhig und dennoch packend

Anna Wagner ist zurück in Sankt Peter Ording. Als Leiterin der neu gegründeten Vermisstenstelle bearbeitet sie aktuelle und zurückliegende Vermisstenfälle, Kollege Henrik Norberg bietet ihr bereitwillig seine Unterstützung an. Annas erster Fall hat es gleich in sich: Vor mehr als fünfzehn Jahren verschwand der Junge Florian Berger aus einem Sommercamp. Drei Männer, unter anderem der Leiter des Sommercamps, gerieten damals ins Visier der Ermittlungen. Doch der Fall blieb ungelöst, Florian wurde nie gefunden. Nach jahrelanger Zeit im Ausland kehrt der damals Verdächtige Camp-Leiter Carsten Witt in seine Heimat zurück. Kurze Zeit später verschwindet er spurlos. Anna Wagner ist sich sicher, dass die beiden Fälle ganz eng zusammenhängen.

Svea Jensen schreibt klar, flüssig, gut verständlich und angenehm unaufgeregt. Dadurch entsteht eine ruhige, fast nordische Atmosphäre, die sehr gut zum Roman und seinem Handlungsort passt.
Die Autorin schildert als auktoriale Erzählerin das, was aktuell passiert. Aber immer wieder schiebt sie auch Rückblenden ein, Erinnerungen der vom Fall Betroffenen an die Vergangenheit. Meist beziehen diese sich wie im Prolog auf die Zeit des Verschwindens des Jungen. Dadurch fügen sich immer mehr wichtige Details zu einem Ganzen zusammen, nach und nach wird der Fall so „entwirrt“ und gelöst.

Kommissarin Anna Wagner ist eine sehr sympathische Erscheinung. Sie geht einfühlsam, offen und unaufdringlich auf andere zu, wirkt sehr ausgeglichen. So gewinnt sie zum Beispiel rasch das Vertrauen ihrer Vermieterin und Hendrik Norbergs Schwiegermutter Corinna Heckler. Henrik Norberg zeigt sich introvertierter als seine Kollegin, er lässt sich nicht in die Karten schauen, macht seine privaten Probleme mit sich aus. Über seinen Kummer wegen des Todes seiner Frau und die Differenzen mit seinem älteren Sohn spricht er kaum. Es dauert, bis er seine Mitmenschen an sich ran lässt, bis man mit ihm warm wird. Ihn einzuschätzen ist nicht leicht. Wagner und Norberg arbeiten - obwohl sie sich nicht lange kennen - effektiv und wie ein eingespieltes Team zusammen. Sie verstehen sich intuitiv auch ohne viele Worte. Die besondere Dynamik zwischen den beiden Figuren, ihr harmonisches Miteinander tragen entscheidend zum Ermittlungserfolg bei.
Mit Norbergs Widersacher, dem ehemaligen Polizisten Paulsen, und den früher mit dem Fall des vermissten Jungens betrauten Kommissaren Thomsen, Johannsen und Lürssen sowie den damals Verdächtigen Carsten Witt greifen interessante Charaktere ins Geschehen ein, die alle möglicherweise etwas zu verbergen haben und nicht mit offen Karten zu spielen scheinen.

Was geschah wirklich mit Florian Berger? Und wo ist Carsten Witt?
Zwar nicht atemberaubend spannend oder außergewöhnlich actionreich, aber durchaus packend und mitreißend laufen die Ermittlungen zu den beiden Vermisstenfällen ab. Der solide, gut gemachte, runde Krimi mit nordischer Grundstimmung und ohne Krawall hat mich wie auch der Vorgänger „Nordwesttod“ einwandfrei unterhalten. Die Figuren, das Setting und der Plot wirken als Gesamtpaket authentisch und nachvollziehbar. Die angenehm ruhige Art und Weise, mit der Anna Wagner und Henrik Norberg zusammenarbeiten, die sich langsam und ganz behutsam entwickelnde Freundschaft der beiden überzeugt mich nach wie vor. Für mich ein stimmiger cosy Regionalkrimi. Ein Buch wie der Genuss einer Tasse Kaffe mit Blick aufs Meer. Ich habe von diesem Ermittlerteam noch lange nicht genug.

Bewertung vom 18.08.2021
Die Heimkehr der Störche / Die Gutsherrin-Saga Bd.2
Graw, Theresia

Die Heimkehr der Störche / Die Gutsherrin-Saga Bd.2


sehr gut

Eine große Liebe in unruhigen Zeiten - Zeitgeschichte spannend und mitreißend erzählt

Nach ihrer dramatischen Flucht aus Ostpreußen lebt Dora Twardy 1952 nun mit ihrer Familie auf einem Hof in der Lüneburger Heide. Doch wohl fühlt sie sich dort nicht. Mit der Bäuerin und Besitzerin des Hofes Frau Stübeck gerät sie regelmäßig in Konflikt. Dora bewirbt sich an verschiedenen Hochschulen für ein Studium der Tiermedizin. Lediglich die Ost-Berliner Humboldt-Universität lädt sie zum Vorstellungsgespräch ein. Dora entscheidet sich, mit Pflegetochter Clara nach Berlin zu ziehen. Dort erfährt die junge Frau, dass ihre große Liebe, der Fotograf Curt von Thorau, im Staatsgefängnis inhaftiert ist. Sie setzt alles daran, ihn besuchen zu dürfen. Doch der Preis dafür ist enorm hoch. Währenddessen wächst in der DDR die Unzufriedenheit im Volk. Es kommt zum Arbeiteraufstand, der auch für Dora gravierende Folgen hat.

Autorin Theresia Graw schreibt flüssig und klar. Ihr angenehmer und unkomplizierter Schreibstil ermöglichte es mir sofort, direkt in die Geschichte „einzutauchen“. Das ansprechende, melancholische Cover erinnert stark an das Titelbild des ersten Romans „So weit die Störche ziehen“.

Dora Twardy ist eine beeindruckende, starke Frau. Sie glaubt an Gerechtigkeit, gibt nicht auf, kämpft für das, was ihr wichtig ist. Vor allem anfangs wirkt sie ein wenig naiv, so ist sie fest davon überzeugt, dass sie in Ost-Berlin unbeschadet leben kann und dass die „Menschen in der DDR gleich und gerecht behandelt werden“.
Mit besonderem Ehrgeiz und viel Disziplin geht Dora ihr Studium an: „Es war keine Option, hier alles aufzugeben und reumütig nach Wielenstadt zurückzukehren, wenn sie ihren Traum erreichen und Tierärztin werden wollte.“
Zu Beginn begreift Dora noch nicht, wie stark die Menschen in der DDR vom Staat beeinflusst und kontrolliert werden. Sie als Tochter eines ostpreußischen Großgrundbesitzers steht durch ihre Herkunft erst recht unter besonders strenger Beobachtung.
Für ihre großen Liebe Curt ist Dora bereit alles zu tun. Was die enge Beziehung, die tiefe Verbindung der beiden ausmacht, wird in diesem Roman nicht direkt deutlich, die außergewöhnliche, starke Beziehung der beiden stand im Vorgängerband mehr im Fokus.
Gerade in der DDR muss sich Dora gegen staatstreue Genossen zur Wehr setzen, die ihr das Leben schwer machen. Aber sie trifft auch immer wieder auf Menschen, die ihre Qualitäten sofort erkennen, auf die sie sich verlassen kann und die sie unterstützen. Da auch die historischen Ereignisse eine wichtige Hauptrolle im Buch einnehmen, sind die Charaktere zwangsläufig nicht durchgehend vielschichtig gezeichnet. Manche Figuren sind nämlich nicht hauptsächlich durch ihre Persönlichkeit definiert, sondern durch das, was ihnen passiert oder durch ihre Aufgabe im „System“.

Was Dora 1952 bis 1954 in der DDR, an der Universität, während der Arbeiteraufstände und nach der Fußball-WM erlebt, das ist ohne Frage dramatisch, spannend, packend, oft regelrecht aufwühlend. Vor allem das Schicksal von Doras Bruder Erich, der stellvertretend für so viele Bürger der DDR steht, ging mir sehr nahe. Autorin Theresia Graw macht Zeitgeschichte unmittelbar begreiflich, emotional erfahrbar, für mich wirklich lebendig. Sie zeigt anschaulich am Beispiel ihrer Protagonisten, wie sich die Unzufriedenheit in der Bevölkerung angesichts der Mangelwirtschaft immer mehr steigerte, warum es zum Arbeiteraufstand kommen musste und was die Ereignisse für die Menschen konkret bedeuteten.
Auch wenn das Ende vielleicht ein bisschen dick aufgetragen sein mag, passt es dennoch zum Buch. Denn zu einem bewegten Leben wie Doras gehört eben ein außergewöhnliches Finale und kein 08/15 Ende. „Die Heimkehr der Störche“ ist ein gelungener Schmöker, ein großes Lesevergnügen, das ich allen Fans des Genres nur ans Herz legen kann. Es empfiehlt sich allerdings, zunächst den mindestens genauso lesenswerten Vorgänger zu lesen, um alle Aspekte der Handlung komplett n

Bewertung vom 18.08.2021
Der Himmel ist hier weiter als anderswo
Pauling, Valerie

Der Himmel ist hier weiter als anderswo


gut

Neuanfang mit Hindernissen im Alten Land

„Sie wandte sich ab. Der Garten, der sich sanft zum Fluss senkte. Die knorrigen Apfelbäume. Der Pavillon am Wasser, ein Schmuckstück. Die überhängende Weide am Ufer. In ihren Augen war es ein Paradies.“

Als Jan, der Mann der Geigerin Felicitas, Fee, ganz unerwartet stirbt, steht diese plötzlich mit vier Kindern alleine da. Dann wird ihr auch noch die Wohnung in Hannover wegen Eigenbedarfs gekündigt und schließlich verliert sie ihren Job als Musiklehrerin, weil sie seit Jans Tod nicht mehr in der Lage ist, ihre Geige zu spielen. Fee beschließt, neu anzufangen und kauft sich vom Erlös der Lebensversicherung ihres Mannes einen Gasthof im Alten Land. Doch leider ist das Anwesen in schlechterem Zustand als angenommen und nicht alle Familienmitglieder leben sich gleichermaßen schnell in der neuen Umgebung ein.

Autorin Valerie Pauling schreibt verständlich, meist in klaren, einfachen, mitunter allerdings etwas „abgehakten“ Sätzen. Mir gelang es rasch, einen Bezug zur Geschichte zu entwickeln und mich in das Geschehen hineinzuversetzen.

Fee steckt tief in der Krise. Sie muss sich um vier Kinder im Alter von fünf bis sechzehn Jahren kümmern und hat außer ihrer besten Freundin Viola, die in Afrika lebt und arbeitet, keine engen Vertrauten. Seit ihr Mann starb, während sie auf einem Konzert Geige spielte, kann sie ihr früher so geliebtes Instrument nicht mehr anfassen. Sie ist in ihrer Trauer gefangen, scheint wie gelähmt. Zunächst blieb ich ihr gegenüber etwas distanziert, konnte sie wegen ihrer Verschlossenheit schwer einschätzen. Doch im Laufe der Geschichte litt ich immer mehr mit ihr, hoffte für sie, dass ihre lange Pechsträhne ein Ende findet. Fees vier Kinder sind völlig unterschiedliche Charaktere. Golo, der Jüngste, ist offen, schließt schnell Freundschaften, seine Schwester Martha wirkt ein bisschen „nerdig“, interessiert sich mehr für Tiere als für Menschen. Rieke, die Zweitälteste, ist sehr umtriebig, aktiv, engagiert und steckt voller Ideen. Rasmus, der Älteste, hat überhaupt keine Ahnung davon, was er wirklich möchte und was nicht. Die Figuren erfüllen einige Klischees, wirken eher stereotyp als tiefgründig, sind aber durchaus nachvollziehbar gezeichnet.

„Der Himmel ist hier weiter als anderswo“ ist für mich ein Eskapismus-Roman. Einige Parallelen finden sich zu den Romanen von Jenny Colgan, die für das Genre steht wie kaum eine andere Autorin. Auch bei Colgan verlassen Städterinnen ihre Heimatstadt nach einem Schicksalsschlag, um auf dem Land ihr Leben komplett umzukrempeln. Fee wagt ebenfalls den Neuanfang, ist aber anfangs innerlich noch nicht richtig bereit dazu. Im Laufe der Handlung hat sie mit zahllosen Widrigkeiten zu kämpfen, da kommt einiges zusammen. Stark erinnert der Plot auch an Jojo Moyes Roman „Der Klang des Herzens“. Bei Moyes entscheidet sich eine frisch verwitwete Geigerin, die ihr Instrument nicht mehr spielen kann, mit ihrer Familie für den Umzug in ein baufälliges Haus auf dem Land. Moyes Roman hat mich emotional aber etwas mehr mitgerissen und berührt, macht insgesamt ein „bisschen mehr her“. Auch wenn Paulings Geschichte an einigen Stellen mehr Tiefe vertragen hätte - ich hätte mir beispielsweise intensivere und substanziellere Gespräche zwischen Fee und ihren Kindern gewünscht- hat mich der Roman insgesamt unterhalten und ich habe ihn über weite Strecken gerne gelesen. Am Ende fügt sich nach all den Verwirrungen und Komplikationen alles recht schnell. Die Vorstellung, dass Landleben wie Medizin heilend auf die Seele wirken kann und dass es durchaus die Möglichkeit gibt, auch mitten im Leben neu anzufangen, hat mir gefallen und gutgetan. Unterm Strich ein leichter, solider, kurzweiliger Eskapismus-Roman über einen Neuanfang mit einigen Hindernissen und Herausforderungen, der vom Landleben träumen lässt.