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Benutzername: 
Glüxklaus
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Franken

Bewertungen

Insgesamt 576 Bewertungen
Bewertung vom 16.06.2021
Die streng geheime Tier-Quassel-Maschine / Emil Einstein Bd.1
Kolb, Suza

Die streng geheime Tier-Quassel-Maschine / Emil Einstein Bd.1


sehr gut

Ein geniale Erfindung, ein rätselhafter Detektivfall: bunte, originelle Geschichte mit netten Figuren

Emil Einstein macht seinem berühmten Nachnamen alle Ehre. Er ist ziemlich genial, wurde er doch schon mit fünf Jahren eingeschult. Sein Kopf sprudelt über voller toller Ideen für Erfindungen. Emils neuester Plan: er möchte eine Tier-Übersetzer-Maschine konstruieren. Denn zu gerne würde er wissen, was Maus Bertha, Kater Leonardo und der Waldkauzjunge Kauzi, den er im Wald gefunden hat, zu erzählen haben.

Autorin Suza Kolb schreibt lebendig, abwechslungsreich und kindgemäß. Die Geschichte wurde von Anja Grote wunderbar illustriert. Ihre farbenfrohen, teils ganze Seiten umfassenden Bilder machen einfach Spaß und motivieren. Es gibt auf ihnen sehr viele spannende Details zu entdecken.

Das Buch ist ein wenig höher und breiter als DIN A5, aber dennoch handlich. Ein bisschen größer als normal ist auch die Schrift, auch der Zeilenabstand ist leicht breiter als Standard. Geübte Leser ab sieben Jahren werden die Geschichte eigenständig erfassen können. Zum Vorlesen eignet es sich für Mädchen und Jungen ab fünf Jahren.

Emil ist ein überaus pfiffiges, schlaues und einfallsreiches Kerlchen. Er ist oft alleine, weil seine Eltern als Tierärzte viel arbeiten müssen. Mit anderen Kindern hat er wenig zu tun, dafür aber umso mehr mit verschiedenen Tieren. Emil stellt eine prima Identifikationsfigur für die Leser dar. Eine derart tolle Erfindung wie die Tier-Übersetzungs-Maschine (TÜM), mit der man Tiere verstehen kann, zu konstruieren, davon träumen sicherlich viele Kinder und so manche Erwachsene auch.
Mit Leonardo, Berta und Kauzi greifen sehr originelle und unterhaltsame tierische Charaktere ins Geschehen ein. Einen vegetarischen Kater wie Leonardo beispielsweise findet sich sonst eher selten.

Was haben die Tiere so erzählen? Warum ist Kauzi aus dem Nest gefallen? Was geht da im Wald vor?
Emils Abenteuer ist wirklich ziemlich aufregend, spannend und geheimnisvoll, schließlich darf kein Erwachsener von Emils Erfindung wissen.
Natürliche Feind- und Freundschaften in der Tierwelt werden hier kindgemäß thematisiert. Vielleicht würden ja manche Tiere wirklich ihre Essgewohnheiten ändern, wenn sie die Sprache und so die Bedürfnisse anderer Tierarten verstehen könnten? Die Tier-Quassel-Maschine bietet allerhand Potenzial für verschiedene Entwicklungen.
Meinen Kindern und mir hat die bunte, phantasievolle, mitreißende, ausgesprochen hübsch bebilderte Geschichte mit den netten Figuren und dem kleinen Bonus-Detektivfall jedenfalls gut gefallen. Wir würden uns über eine Fortsetzung freuen.

Bewertung vom 12.06.2021
Alles, was wir wissen und was nicht

Alles, was wir wissen und was nicht


sehr gut

Interessante, bunte und prall gefüllte Enzyklopädie für die ganze Familie

Die Welt ist voller Wunder. „Alles, was wir wissen und was nicht“ stellt einige davon vor und noch viel mehr. Das Buch ist eine umfangreiche Enzyklopädie der besonderen Art.
Im ersten Kapitel geht es um das „Universum“, seine Entstehung, Galaxien, Planeten, aber auch z.B. um Raumschiffe. Kapitel 2 widmet sich der „Erde“, ihr Inneres wird genauso thematisiert wie Berge, Gesteine, Wasser, Wetter oder Naturkatastrophen. Kapitel drei „Materie“ befasst sich mit Physik und Chemie: Atomen, Energien, der Schwerkraft oder einfachen Maschinen. Im Kapitel „Leben“ nimmt Biologie die Hauptrolle ein, es geht beispielsweise um Evolution, Pflanzen, Tiere oder den Regenwald. Die „Menschen“ stehen im Kapitel 5 im Fokus, ihr Körper, ihre Gefühle, ihr Glaube, Kunst, aber auch Geld, Arbeit oder Gesetze. Kapitel 6 nimmt die Leser mit auf eine Reise ins „Altertum und Mittelalter“: Mesopotamien, Stonehenge, die Alten Perser, Griechen oder Römer. Weiter geht es in Kapitel 7 mit „Modernen Zeiten“: Renaissance, Azteken, Meilensteine der Medizin oder die Weltkriege stellen hier u.a. die Themen dar. Den Abschluss bildet das achte Kapitel „Heute und Morgen“. Hier wird internationaler Handel genauso behandelt wie etwa Internet, Klimawandel, Energien oder die Zukunft.

Jede Doppelseite bezieht sich auf ein allgemeines Thema, das für Kinder ab ca. zehn Jahren relativ altersgemäß aufbereitet wurde. Auf den einzelnen Seiten sind kurze, recht gut verständlich formulierte Informationstexte abgedruckt. Einige Fremdwörter und Fachbegriffe werden Erwachsene jüngeren Lesern vermutlich genauer erklären müssen, aber die Abschnitte sind so interessant und vielfältig aufgemacht, bieten allerhand Bestaunenswertes, dass nicht jedes Wort exakt verstanden werden muss.
Zahlreiche Bilder und Grafiken gestalten die Seiten sehr abwechslungsreich und motivierend. Immer wieder werden bekannte Wissenschaftler vorgestellt, aktuelle Experten und Expertinnen kommen mit Kommentaren zu Wort.

Im Vorwort gesteht Herausgeber Christopher Lloyd ein „Morgenmensch“ zu sein. Er erzählt, dass er schon beim Aufstehen vor Neugier platzt. Und das ist wirklich gut nachzuvollziehen. Das Leben ist verrückt und aufregend, es gibt so viel zu erforschen und lernen. Das zeigt „Alles, was wir wissen und was nicht“ sehr eindrücklich.
Ein dickes Buch voller Wunder, zum Immer-wieder-Anschauen, Nachschlagen, Neueslernen und zum Einfach-nur-Schmökern. Verschiedene Disziplinen der Wissenschaft wie Physik, Biologie, Chemie, Geographie, Geschichte oder Wirtschaft werden in diesem bunt bebilderten Lexikon näher vorgestellt. Die unzähligen Fakten, Fotos, Rekorden machen Lust auf mehr Wissen und laden ein, Dingen auf den Grund zu gehen und Neues zu entdecken. Hier wird die Welt erklärt und dabei gleichzeitig begreiflich gemacht, dass es auch vieles Unerklärliche gibt und dass Wissen Grenzen hat. Ein absolut empfehlenswertes Buch für alle neugierigen Familien mit Forscher- und Wissensdrang.

Bewertung vom 01.06.2021
Als wir uns die Welt versprachen
Casagrande, Romina

Als wir uns die Welt versprachen


sehr gut

Ein besonderer Roadtrip zu Fuß mit interessanten Bekanntschaften und vielen Kindheitserinnerungen

Edna und Jacob gehören zu den Schwabenkindern. Sie stammen aus Bergdörfern und werden von ihren bitterarmen Familien vor dem zweiten Weltkrieg als Arbeitskräfte an einen Bauern in Oberschwaben verkauft. Das Leben auf dem Hof ist für beide hart und schrecklich. Sie nehmen sich vor, gemeinsam mit dem Papagei Emil zu fliehen. Jahrzehnte später erfährt Edna, die mittlerweile eine alte Frau ist, aus der Zeitung, dass Jacob einen Unfall hatte und in Ravensburg verletzt im Krankenhaus liegt. Sie macht sich zu Fuß von Südtirol aus auf den Weg, um Jacob im Krankenhaus zu besuchen und um ein Versprechen zu erfüllen, das sie ihm als Kind gab. Unterwegs trifft sie auf einige interessante Menschen und führt mit ihnen intensive Gespräche

Romina Casagrandes Roman „Als wir uns die Welt versprachen“ liest sich angenehm und unkompliziert. Die Autorin schildert Ednas aktuelle Situation, ihre Reise nach Ravensburg und lässt sie in Rückblenden von ihrer Kindheit erzählen. Dabei webt sie immer wieder viele schöne, weise, traurige, manchmal fast poetische Sätze zum Nachdenken in ihre Geschichte mit ein.

Edna ist eine wirklich besondere Frau mit extrem starken Willen. Die Zeit auf dem Bauernhof ist für sie mit schrecklichen Erinnerungen und harter Arbeit verbunden. Sie hat dort nie ihren Platz gefunden, hielt sich stets für unzulänglich: „Ednas Bestimmung schien es zu sein, rastlos von einem Ort zum anderen zu schwirren wie eine Biene auf der Suche nach ihrem Stock, bemüht, alles gut zu machen, da sie doch zu nichts gut war.“
Die Figur Edna hat mir imponiert. Obwohl sie schon sehr alt ist, hat sie ihren Mut und ihre Tatkraft nicht verloren. Sie tut alles, um zu Jacob zu kommen. Eine beeindruckende Frau, ein Weggefährte fasst es treffend zusammen: „Sie haben alles daran gesetzt, so schnell wie möglich an ihr Ziel zu kommen. Das nennt man Beharrlichkeit. Klar, das hat sicher auch was von Verrücktheit, aber nur für Menschen mit wenig Phantasie. Dabei ist es doch eine Frage von Herz. Und von Mut. Sie haben ihren Traum und kämpfen dafür. Wie die Allergrößten.“

Ednas Reise ist ein wie ein Roadtrip zu Fuß, eine Art Pilgerreise. Edna trifft auf ganz unterschiedliche Leute, denen sie Teile ihrer Geschichte erzählt und die Edna wichtige Gedankenanstöße mitgeben. Jede Begegnung verändert einen Menschen, inspiriert ihn, das wird hier sehr deutlich. Allerdings haben die Begegnungen auch viel Märchenhaftes an sich, sie wirken nicht wirklich realistisch, müssen sie vielleicht aber auch gar nicht. Letztendlich weiß Edna:
„Das wirkliche Leben war kein Märchen. Manchmal geschahen die Dinge ohne logischen Zusammenhang, man musste darauf achten, den Felsbrocken auszuweichen und sich nicht erschlagen zu lassen.“
Das Schicksal der Schwabenkinder ging mir sehr nahe. Grausam, dass auf den Höfen so vielen Kindern ihre Kindheit gestohlen wurde, viele Kinde mussten entsetzlich leiden, einige bezahlten mit dem Leben. Romina Casagrande macht auf diesen unbekannten Teil der Geschichte Südtirols zurecht aufmerksam.
Auch wenn nicht alle Stationen von Ednas Reise hundertprozentig überzeugend geschildert wurden, so hat mir Ednas Geschichte doch recht gut gefallen. Sie liefert einige Anregungen zum Nachdenken über das Leben und macht trotz mancher dunkler Kapitel Mut: „Wo etwas endet beginnt das Neue und was zuweilen grausam erscheint, geschieht manchmal um Gutes zu bewirken. Nur eins ist wichtig, Frau Edna, man darf nie stehen bleiben. Und ich glaube, dass sie diese Lektion gut gelernt haben.“

Bewertung vom 29.05.2021
Wächter der Lüfte / Falcon Peak Bd.1
Wolz, Heiko

Wächter der Lüfte / Falcon Peak Bd.1


gut

Harry Potter trifft auf Animox: Hochspannung zum Schluss, aber wenig einnehmende Hauptfiguren

„Eine ungeheure Energie schoss durch Kendricks Adern und versetzte jede Zelle seines Körpers in Schwingung. Kendrick fühl­te sich, als würde er auseinandergenommen und neu zusammen­ gesetzt. Allerdings verspürte er keine Schmerzen. Im Gegenteil, er hatte nie etwas Angenehmeres erlebt. Es fühlte sich richtig an.“

Der dreizehnjährige Kendrick geht seit diesem Schuljahr an die Mount Avelston School. Sein Vater ist dort der neue Headmaster, der Schulleiter. Das macht es für Kendrick, der adlige Vorfahren hat, natürlich auf der Schule nicht gerade leicht. Sein Mitschüler Clarence Dippdale und dessen Freunde provozieren ihn permanent. Die Mount Avelstone School ist eine ganz besondere Schule: Die Internatsschüler, die im weißen Flügel der Schule wohnen, pflegen eine jahrelange Feindschaft zu den Bewohnern des schwarzen Flügels. Als Kendrick seinen Mitschülerinnen heimlich auf den nahe gelegenen Falcon Peak folgt, macht er eine erstaunliche Beobachtung. Die Mädchen können sich in verschiedene Vögel verwandeln. Und damit nicht genug: Kendrick erfährt, dass auch seine Mutter zu den „Aves“ zählte und die Gestalt eines Falken annehmen konnte. Kendricks Lehrerin ist fest davon überzeugt, dass auch Kendrick ein Vogelwandler ist. Es stellt sich heraus, dass sie Recht behalten soll....

Autor Heiko Wolz schreibt gut verständlich, aber auch mitunter ein wenig „ausladend“, was recht gut zur magischen, mystischen Thematik passt. Ich würde das Lesealter bei zehn Jahren ansetzen. Die vielen englischen Ausdrücke erschweren jüngeren Kindern möglicherweise das flüssige Lesen.

Die Charaktere in „Falcon Peak“ haben sehr viel Potential. Menschen, die zu Vögeln werden können, das ist unheimlich faszinierend. Schon allein dieser Umstand macht die Figuren reizvoll. Leider wurde dieser Vorteil nach Meinung meiner Kinder und mir nicht genutzt. Ja, Kendrick und seine Mitschülerinnen haben es nicht leicht, sie befinden sich in der Pubertät, haben mit sich, dem Erwachsenenwerden und den Herausforderungen des Lebens als Aves zu kämpfen. Kendrick hat früh seine Mutter verloren, er hat Schwierigkeiten, sich anzupassen, fühlt sich in seiner Haut nicht wohl, wirkt heimatlos. Dass er sich im Umgang mit anderen nicht unkompliziert und gefällig gibt, ist verständlich. Leider war er uns auch sonst nicht recht angenehm, er blieb uns weitestgehend fremd. Ebenso erlebten wir seine Mitschülerinnen, ob es die überaus ehrgeizige Ivy ist, die besessen von der Vorstellung ist, etwas Besonderes zu sein oder die provokante Sienna, die nicht immer fair spielt. Uns war keine der Hauptfiguren richtig sympathisch und daher konnten wir uns nicht so in die Geschichte hineinversetzen, wie wir uns das gewünscht hätten. Die zahlreichen durchaus netten Nebenfiguren wie Bahar, Scarlett, Kelly, Amber oder Chloe waren für uns zudem schwer voneinander zu unterscheiden.

Das Setting der Reihe ist durchaus interessant. Ein Internat auf einer Burg, verfeindete Schüler aus verschiedenen Wohntrakten, das erinnert stark an Harry Potter. Menschen, die sich in Tiere verwandeln gibt es ebenso auch in anderen Reihen, z.B. in Animox. Der Traum vom Fliegen ist ein ganz besonderer, den jeder wohl schon einmal hatte. Für Kendrick wird er Wirklichkeit. Die Grundidee des Buchs ist gut, aber nicht neu, die Handlung ebensowenig. Gerade zum Schluss beim aufregenden Finale von „Wächter der Lüfte“ kommt zwar extreme Spannung auf, aber durchgehend fesseln und überzeugen konnte uns die Geschichte leider nicht. Uns fehlte das Mitfiebern mit den Hauptfiguren, die sich selbst und ihren eigenen Erfolg oft zu wichtig nehmen und dabei das Zusammenwirken mit anderen zu vergessen scheinen. Zu einem richtigen Abenteuer gehören für uns „richtige“ Helden. Bleibt zu hoffen, dass sich die Charaktere in den Fortsetzungen noch zu solchen entwickeln.

Bewertung vom 28.05.2021
Die Verlorenen (eBook, ePUB)
Halls, Stacey

Die Verlorenen (eBook, ePUB)


sehr gut

Eine Geschichte von zwei Müttern - kleine, feine Romanperle mit Atmosphäre

„Mein Herz war in Papier eingeschlagen. Nur für wenige Stunden hatte ich sie gekannt und doch mein ganzes Leben lang. Die Hebamme hatte sie mir heute Morgen erst gegeben, glitschig und blutig, doch die Erde hatte sich weitergedreht, und nun würde nichts mehr sein wie bisher.“

Bess Bright lebt 1754 in sehr ärmlichen Verhältnissen in London. Als sie sich auf eine kurze Affäre einlässt, bleibt diese nicht folgenlos. Sie wird schwanger und bringt eine Tochter, Clara, zur Welt. Die junge Frau sieht sich gezwungen, ihr Kind im Waisenhaus abzuliefern. Aber sie hat einen Traum, sie möchte ihre Tochter später unbedingt zu sich zurückholen. Nachdem sie genug Geld zusammengespart hat und das Waisenhaus aufsucht, um Clara zu sich zu nehmen, muss sie eine große Enttäuschung verkraften. Ihre Tochter lebt nicht mehr im Waisenhaus. Sie wurde nur einen Tag nach ihrer Ankunft von einer Frau abgeholt, die vorgab, ihre Mutter zu sein. Verzweifelt versucht Bess ihre Tochter zu finden und lernt dabei die reiche Witwe Alexandra kennen.

Stacey Halls Schreibstil liest sich flüssig und klar, wirkt aber dennoch authentisch und passt mit seinen klassischen Formulierungen gut zu der Zeit, in der die Geschichte spielt. Halls schreibt sowohl aus der Sicht von Bess, als auch aus der von Alexandra. Die Autorin schafft mit ihrer Sprache eine Atmosphäre, die es den Lesern leicht macht, sich in die Geschehnisse der Vergangenheit hineinzuversetzen.

Unterschiedlicher könnten die beiden Protagonistinnen Bess und Alexandra nicht sein. Die eine, Bess, muss täglich ums Überleben kämpfen, die andere, Alexandra, ist es gewohnt, bedient zu werden. Bess hat nur einen Traum, sie möchte ihre verloren Tochter zurück. Sie gibt nicht auf, ihre Stärke und Ausdauer beeindrucken. Alexandra hingegen scheint kein höheres Ziel zu haben. Nach dem Tod ihres Mannes lebt sie mit ihrer Tochter Charlotte und einigen Dienstboten sehr zurückgezogen. Als sie Bess, die sich nun Eliza nennt, als Kindermädchen einstellt, ist es mit ihrem ruhigen Leben vorbei und sie muss sich unangenehmen Wahrheiten stellen. Die Figurenkonstellation mit den komplett gegensätzlichen Frauen im Mittelpunkt hat mich überzeugt. Leben konnte damals so - einfach, ruhig, sauber, unkompliziert, komfortabel - und so - hart, ärmlich, schmutzig, gefährlich und ein täglicher Überlebenskampf- sein. Das wird anhand der Situation der beiden Frauen sehr anschaulich und eindrücklich dargestellt.

Mich hat Stacey Halls kleiner, feiner Roman begeistert. Sofort war ich von seiner ganz eigenen Stimmung, seiner Atmosphäre, gepackt, befand mich mitten im London des 18. Jahrhunderts, litt mit Bess, deren Lage so ausweglos scheint. Dass die Leser hier zwei unterschiedliche Perspektiven und Ansätze ein und derselben Geschichte präsentiert bekommen, empfand ich als gelungen. Im Mittelteil hätte es für manche Geschmäcker möglicherweise etwas beherzter vorwärtsgehen können. „Die Verlorenen“ ist ein leiser Roman mit ruhigem Erzähltempo, rund und stimmig aufgebaut, der seine Leser trotz der Düsternis in Bess Leben ein kleines bisschen glücklicher zurücklässt als vorher. Kein gänzlich neues Thema, aber dennoch hat mich diese bemerkenswerte Geschichte überrascht. Eine kleine, bescheidene Romanperle, die ihren unerwarteten Glanz erst nach und nach entfaltet. Ich möchte jedenfalls gerne noch mehr von Stacey Halls lesen.

Bewertung vom 27.05.2021
Das Geheimnis der Sternenuhr / Sternenuhr Bd.1
Gibbons, Francesca

Das Geheimnis der Sternenuhr / Sternenuhr Bd.1


sehr gut

Packendes Fantasy-Märchen - eine aufregende Reise in eine andere faszinierende Welt

„Lofkinje entfaltete ihre Geschichte im Dunkeln. Den ersten Teil trug sie schon seit ihrer Kindheit mit sich herum. Manchmal spürte sie das Gewicht in der Tasche, als wäre die Geschichte ein Stein, der von den Berührungen ihrer Finger ganz glatt geworden war. Es war lange her, dass jemand sie gebeten hatte, ihn aus der Tasche zu nehmen.“

Imogen und ihre jüngere Schwester Marie streiten viel. Als Imogen sich beim Kuchenessen mit ihrer Großmutter in einem Café mal wieder besonders über Marie ärgert, braucht sie dringend frische Luft und unternimmt einen Spaziergang. Im Park entdeckt sie einen seltsamen Falter, der sie zu einer Tür in einem Baum führt. Imogen geht durch die Tür und landet in einer unglaublichen Welt: in der Stadt Jaroslaw, in der es noch Könige, Prinzen, Burgen, Schätze, Monster und dunkle Mächte gibt. Unbemerkt ist ihr auch Marie gefolgt. Die beiden Mädchen müssen nun gemeinsam ein ganz besonderes, überaus herausforderndes Abenteuer bestehen.

Francesca Gibbons Sprache ist gut verständlich und passt zur Geschichte. Gerade der Part in der phantastischen Welt liest sich mitunter wie ein Märchen, das wirkt sehr stimmig. Das Buch lässt sich recht flüssig vorlesen.
Kinder ab zehn Jahre können das Buch sicher schon eigenständig lesen. Inhaltlich geht es oft recht grausam und brutal zu. Für sensiblere Kinder ist die Geschichte daher möglicherweise nur bedingt zu empfehlen. Das Buch ist zwar recht umfangreich und die Schrift ist normal groß gedruckt, die Kapitel sind aber oft angenehm kurz und daher sehr „lesefreundlich“. Das Buch hat abgesehen vom vielversprechenden Cover keine Illustrationen.

Imogen und Marie sind zwei Schwestern, die durchaus realistisch beschrieben werden. Ihre ständigen Streitereien mögen oft recht anstrengend und nervend sein, aber durchaus glaubwürdig. So gehen manche Geschwister auch im echten Leben miteinander um. Gerade Marie entwickelt sich in Jaroslaw aber in erstaunlichem Maße und wächst über sich hinaus. Das muss auch Imogen anerkennen und die Beziehung der beiden wird durch die gemeinsamen Erlebnisse verstärkt und intensiviert.
Viele Charaktere haben etwas Märchenhaftes. Da gibt es einen einsamen, weltfremden Prinzen, eine Doppelgängerin von Schneewittchens Stiefmutter, einen hünen- und heldenhaften Jäger, der sich ganz anders präsentiert als erwartet, eine tapfere Frau aus den Wäldern, einen nicht ganz koscheren König und gruselige monsterhafte Kreaturen. Eine ausgesprochen vielfältige Figurenkonstellation mit einigen sehr speziellen Charakteren.

Spannungsmangel findet sich hier nicht, im Gegenteil „Das Geheimnis der „Sternenuhr“ besticht durch einen atemberaubenden, extrem fesselnden Plot. Zimperlich dürfen die Leser dabei nicht sein, manche unangenehmen Figuren schrecken nämlich auch vor körperlichen Grausamkeiten nicht zurück. Auch wenn man als Erwachsene möglicherweise erstmal schlucken muss, nehmen die Kinder die Geschichte vermutlich als das, was sie ist, als spannendes Fantasy-Märchen. Und da geht es manchmal wie in klassischen Märchen eben auch recht rau und grob zu. Meine knapp zehnjährige Tochter meinte sogar, sie findet es besonders gut, dass endlich mal etwas „Richtiges“ passiert und nicht immer nur eitel Sonnenschein herrscht.
Am Ende bleibt so Einiges noch offen und der eigenen Vorstellung überlassen...
Für uns dennoch ein tolles Fantasy-Abenteuer mit einer sehr besonderen, ambivalenten, oft düsteren Schauplatz, faszinierenden Figuren, einer packenden Handlung und einer starkem Freundschaft, das uns nach kurzer Zeit gefangen und gebannt hat. Eine aufregende Reise in eine vollkommen andere Welt. Fantasyfreunde werden garantiert auf ihre Kosten kommen.

Bewertung vom 27.05.2021
Der kleine Troll Tojok
Maar, Paul

Der kleine Troll Tojok


ausgezeichnet

Vom abenteuerlichen Leben im Wald, alten und neuen Freundschaften und Pfannkuchen - wunderbare Gute-Laune-Geschichten

Der kleine Troll Tojok lebt mit seinen Eltern in einem kleinen, gemütlichen Steinhaus im tiefen dunklen Wald. Mit seinem besten Freund, dem Wildkater Mommo erlebt Tojok viele Abenteuer. Ob er er auf der Suche nach dem passenden Abendessen ist, einen Ausflug unternimmt, um neue Freunde kennenzulernen oder einen Dieb auf frischer Tat zu ertappen versucht, jeder Tag ist für Tojok ein aufregendes Abenteuer. Mit den verschiedenen Bewohnern des Waldes, Kater, Bär, Biber oder Rabe wird es eben nie langweilig.

Paul Maar schreibt gewohnt natürlich, flüssig, sehr gut verständlich und kindgemäß. Wie auch im Sams beweist er nicht nur Erzähl-, sondern auch Dichtkunst und präsentiert immer wieder unterhaltsame und witzige Reime und Gedichte. Man merkt beim Lesen, dass Maar selbst großen Spaß an seinen Sprachspielen hat. Die lebendige Fröhlichkeit, mit der der Autor erzählt, ist in jedem Satz spürbar.
Das Buch ist etwas größer als DIN A 5-Format und daher recht handlich, aber dennoch groß genug, dass die Bilder richtig zur Geltung kommen. Die Illustrationen liefert der Autor übrigens selbst: witzige, bunte und ausdrucksstarke Bilder. Das Papier ist nicht rein weiß, sondern meliert, was sehr gut zum Inhalt der Geschichte und dem natürlichen Leben im Wald passt. Zum Vorlesen eignet sich der Band für Kinder ab fünf Jahren. Kinder ab sieben Jahren können sich die Geschichten schon eigenständig erlesen.

Tojok ist eine ausgesprochen nette und sympathische Figur. Den kleinen, fröhlichen, freundlichen und neugierigen Trolljungen, der stets offen auf andere zugeht, muss man einfach mögen. Tojok sagt, was er denkt. Man weiß immer, woran man bei ihm ist. Kater Momo ist da etwas komplizierter und verhält sich nicht immer ganz so umgänglich wie sein bester Freund der Trolljunge. Aber so sind Kater nun mal, sie fahren manchmal die Krallen aus, obwohl sie vielleicht lieber schmusen wollen. Viel Unterhaltungswert hat auch der käsesüchtige Rabe und der etwas verpeilte Bär Bobo, der immer neue Varianten für Tojoks Namen auf Lager hat. Die Waldbewohner sind allesamt drollige Figuren.

„Der kleine Troll Tojok“ sprudelt vor Lebenslust und Fröhlichkeit. Dieses Buch macht einfach gute Laune. Das Haus der Trollfamilie wird so idyllisch, anschaulich und lebendig beschrieben, dass man am liebsten selbst darin wohnen möchten, abseits der normalen, technische Welt. Wer sehnt sich nicht nach Entschleunigung, Leben im Einklang mit der Natur? Tojoks märchenhafte Welt lädt dazu ein, sich für einen Moment wegzuträumen. Freilich gibts auch Probleme, so wird Tierquälerei thematisiert oder Mommo gerät in Streit mit einer Katze, aber Tojok weiß auch damit umzugehen.

Eindrücklich stellt Paul Maar in diesem Buch dar, was Sprache alles kann. Sie vermag so viel auszudrücken, kann genauso schön wie witzig sein, hat großen Unterhaltungswert - ob als Sprachverwirrung, als Reim oder Gedicht oder als besondere eigens entwickelte Sprache, die einer bestimmten Figur zugeordnet wird. Die Geschichten zeigen die bemerkenswerte Vielfältigkeit der Sprache. Als Lehrerin könnte ich mir gut vorstellen, es in ersten Klassen vorzulesen, um zu verdeutlichen, wie viel Spaß Sprache machen kann, wie spannend es sein kann, ihr auf den Grund zu gehen. Ein besonderes Highlight ist Tojoks Trolllied das zu Beginn abgedruckt ist.
Tojoks Abenteuer machen große Lust darauf, die Natur und ihre Wunder zu entdecken, mit Freunden zu spielen, zu dichten, Lust auf Sommer und Pfannkuchen. Eine wunderbare Gute-Laune-Freundschaftsgeschichte und eine Bereicherung für jedes Kinderbuchregal.

Bewertung vom 18.05.2021
Lady Churchill / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.2
Benedict, Marie

Lady Churchill / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.2


sehr gut

Kaum bekannt und doch bedeutend- lesenswerte Romanbiographie über Clementine Churchill

„Besonders fügsam ist sie ja nicht gerade, oder?“

1908 heiratet Clementine Winston Churchill. Fortan steht sie als seine Ehefrau immer an seiner Seite, bekommt mit ihm fünf Kinder. Das Paar verbringt miteinander viele aufregende, glückliche und schwere Zeiten. Nicht nur privat, auch als Staatsmann unterstützt Clementine Winston stets loyal und zuverlässig. Sie erlebt und gestaltet auch mit ihm gemeinsam während seiner politischen Karriere die Weltgeschichte direkt mit.

Marie Benedict erzählt in Ich-Form aus Clementines Sicht, in der Regel chronologisch. Ihr Schreibstil liest sich recht leicht und flüssig, ich empfinde ihn als authentisch. Mich in Clementines Leben hineinzuversetzen, fiel mir daher nicht schwer.

Clementine Churchill, genannt Clemmie, stellt eine sehr faszinierende Protagonistin dar. Sie erlebt als Tochter einer eher unkonventionellen, lieblosen Mutter keine einfache Kindheit.
Diese Erfahrung, „das Gefühl, in dieser Welt alleine zu sein“, verbindet sie mit Winston und prägt ebenso entscheidend die Beziehung zu ihren eigenen Kindern. Auch Clementine hadert mit dem Muttersein. Sie ist in jeder Hinsicht sehr ehrgeizig und streng mit sich und hat überzogene Ansprüche an sich selbst, die sie kaum erfüllen kann. Zu ihren Kindern pflegt sie ein nicht ganz unbelastetes, teils distanziertes Verhältnis, was auch in der ausgesprochen engen Bindung zu ihrem Mann begründet ist, das wenig Raum für die Kinder lässt. Clemmies Leben dreht sich um Winston, sie ist von ihm abhängig, er von ihr. Winston nennt Clementine seine „Geheimwaffe“. Clementine zeigt sich klug, loyal, kühn, aber auch manchmal recht „kompliziert“ und streitlustig. Sie engagiert sich für andere und wichtige Themen, wie veränderte Frauenrollen und -rechte oder eine Verbesserung der Bedingungen in den Luftschutzräumen, tut dies aber immer auch für ihr eigenes Selbstwertgefühl, was ihr selbst deutlich bewusst ist. Sie hat große Angst davor, „marginalisiert“ zu werden.
Auch wenn Clementine mir mit ihren hohen Ansprüchen, ihrer Strenge, ihrem Ehrgeiz nicht immer sympathisch war, hat sie mich doch mehr als beeindruckt. Ihre Persönlichkeit wird nachvollziehbar, überzeugend und stimmig dargestellt.
Winston Churchill, den bedeutenden Staatsmann der Weltgeschichte geschrieben hat, aus der Sicht seiner Frau, die ihn besser kennt als niemand sonst, zu erleben, war für mich mehr als interessant und aufschlussreich.

„Lady Churchill“ erzählt von einer wahrhaft außergewöhnlichen Frau, die entscheidend an wichtigen historischen Entwicklungen beteiligt war, sei es als anonyme Verfasserin eines Leserbriefs, als selbstbewusste Frau, die Charles De Gaulle sehr direkt und unverblümt die Meinung sagt oder als Vertraute Eleanor Roosevelts, die ihre persönlichen Verbindungen geschickt einzusetzen versucht. Clementine findet wiederholt ganz verschiedene Mittel und Wege, um ihre und Winstons Vorstellungen durchzusetzen. Doch so einflussreich sie auch war, bekannt ist davon wenig. Diese Romanbiographie setzt der faszinierenden, bemerkenswerten, selbstbewussten, manchmal „unbequemen“ Frau, die eben nicht nur Mutter und Ehefrau, sondern auch wichtige politische Akteurin war, ein literarisches Denkmal.
Mitunter hatte der Roman seine Längen, stellenweise hätte nach meinem Geschmack etwas gestraffter und lebendiger erzählt werden können. Dann wurde ich zwar nicht mitgerissen, aber im Großen und Ganzen dennoch gut und solide unterhalten. Clementine Churchill ist ein weiteres beeindruckendes Beispiel dafür, dass manchmal auch aus dem Hintergrund agierend und ohne lauten Krawall die Welt verändert werden kann.