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Lesendes Federvieh
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München
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Hinter dem Namen Lesendes Federvieh verbirgt sich das Blogger-Duo kathiduck und Zwerghuhn. Wir lesen querbeet alles, was uns zwischen die Finger kommt und veröffentlichen die Rezensionen dazu auf unserem Blog (lesendes-federvieh.de). Dort gibt es übrigens noch viele weitere Beiträge rund ums Thema Buch. :)

Bewertungen

Insgesamt 539 Bewertungen
Bewertung vom 26.05.2019
Der Mann, der Sherlock Holmes tötete
Moore, Graham

Der Mann, der Sherlock Holmes tötete


ausgezeichnet

Selten gelingt es einem Schriftsteller, solch einen Mythos um eine seiner Figuren zu schaffen, der über hundert Jahre später noch immer anhält und alte wie neue Leser begeistert. Sir Arthur Conan Doyle ist genau dieses Kunststück geglückt, als er seinem Meisterdetektiv Sherlock Holmes 1886 Leben eingehaucht und ihn zahlreiche spektakuläre Fälle hat lösen lassen. Was jedoch die Wenigsten wissen ist, dass Doyle gegen seine eigens erschaffene Figur zunehmend Abneigung entwickelte und Holmes auf dem Gipfel seines Hasses in den Tod stürzen ließ, um endlich als der Schriftsteller gesehen zu werden, der er abseits der Sherlock-Holmes-Geschichten ist. Dennoch ließ Arthur Conan Doyle seinen Detektiv einige Jahre später widerauferstehen und bis heute ist der Grund dafür nicht ganz klar. Zeitlebens hat er sämtliche seiner Gedanken in seinen Tagebüchern festgehalten, wo nun ausgerechnet dasjenige fehlt, in dessen Zeitraum die Veröffentlichung neuer Holmes Romane fällt. Genau an diesem Punkt setzt der überaus fesselnde Kriminalroman "Der Mann, der Sherlock Holmes tötete" an, in welchem Graham Moore jenem Mysterium eindrucksvoll auf die Spur zu kommen versucht. In zwei parallel verlaufenden Erzählsträngen, verfolgt man zum einen im Jahre 2010 den jungen Sherlockianer Harold White, der nach der Ermordung eines hochrangigen Mitglieds der Irregulars, einer Vereinigung, die sich ganz der Analyse des Sherlock Holmes'schen Kanons verschrieben hat, begleitet von der Journalistin Sarah Ermittlungen zu dem Ermordeten und dem angeblich aufgetauchten Tagebuch aufnimmt. Zum anderen heftet sich Arthur Conan Doyle knapp hundert Jahre zuvor an die Fersen eines mutmaßliche Serienkillers, der das Leben zweier augenscheinlich leichten Frauen auf dem Gewissen hat. Dabei fungiert sein guter Freund Bram Stoker, der Autor von "Dracula", als sein Watson. "Watson ist ein billig erkaufter, rein auf den Effekt gemünzter kleiner Pisser von einem literarischen Hilfsmittel. Holmes braucht ihn zur Lösung seiner Kriminalfälle ungefähr so dringend wie eine Fußfessel aus Pflastersteinen. Es sind die Leser, Arthur. Nur die Leser brauchen Watson als Mittler, damit sich Holmes' Gedankengänge ein für alle Mal ihrem Zugriff entziehen." (S. 114) Dieser Auszug der inhaltlich genial auf den Punkt gebrachten Aussage Stokers ist genau das, was mir an dieser Geschichte so gut gefällt. Es handelt sich um keinen warmen Aufguss eines Kriminalromans à la Sherlock Holmes, in welchem zwei Männer dessen Fähigkeiten nachahmen zu versuchen, vielmehr ist es neben zwei spannenden Kriminalfällen eine intelligente, moderne Analyse und Ergründung des großen Mysteriums, das den Detektiv umgibt. Dabei lernt man einiges über die Magie der mysteriösen, romantischen Viktorianischen Ära, die Bedeutung der Holmes-Geschichten für die damaligen wie heutigen Leser aber natürlich auch über den Mann, der Sherlock Holmes tötete und ihn einige Jahre später nach einschneidenden Erlebnissen von den Toten zurückzuholen: Dr. Arthur Conan Doyle. Diese zeitweise beinahe schon Romanbiografie handelt von einem düsteren, bis dato unbekannten Kapitel in der Lebensgeschichte des Autors, der in Holmes zeitlebens seinen größten Rivalen um Ruhm und Anerkennung sah. Geschickt werden dabei tatsächlich belegbare Ereignisse, real existierende Personen, Anhaltspunkte aus schriftlichen Überlieferungen sowie reine Fiktion miteinander verwoben und liefern dadurch eine mögliche Erklärung auf die große Frage "Warum wird Sherlock ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt wieder zum Leben erweckt?"

Wer sich abseits zweier fesselnder Kriminalfälle zusätzlich für die vielen Facetten des Erfinders des bekanntesten Detektivs der Weltliteratur, Sir Arthur Conan Doyle interessiert, ist mit "Der Mann, der Sherlock Holmes tötete" genau richtig bedient. Neben lebendigen, charakterstarken Figuren und einem spannenden Sherlock-Holmes-würdigen Plot punktet dieser Roman mit seinen intelligenten Literaturanalysen des Mysteriums um den Meisterdetektiv.

Bewertung vom 18.05.2019
Songbird
Fischer, Anna Rosina

Songbird


sehr gut

Sam ist seit Kindesbeinen an der beste Freund ihres älteren Bruders Kurt, somit kennt Ella ihn schon ewig. Als sie sich endlich ihre starken Gefühle für ihn eingesteht, könnte die Situation nicht komplizierter sein, denn Sam hat ausgerechnet jetzt eine Stelle als Referendar an ihrer Schule angetreten. Außerdem gibt es da noch Ellas besten Freund Milo, der scheinbar einige Signale falsch gedeutet hat. Inmitten dieses Gefühlschaos' setzt Ella ihre Gesundheit gefährlich aufs Spiel.

Das wunderschöne Cover von "Songbird", das für mich wie eine Tonspur aus in zarten Rosatönen gemalten Strichen aussieht, wo einige Töne gold glitzernd hervorgehoben werden, ist äußerlich ein absoluter Hingucker und begeistert auch zwischen den Seiten und vor allem Zeilen mit lauten und leisen Tönen. Ella ist ein komplexer Charakter, deren Leben nicht geradlinig verläuft, sondern jede Menge Höhen und Tiefen aufweist. Sie ist ein zumeist sehr in sich gekehrter Mensch, zieht sich oft von der Außenwelt zurück und kämpft alleine mit ihren inneren Zweifeln und dem Druck, dem sie sich selbst aussetzt. "Die Angst zu versagen, den Ansprüchen in der Schule nicht gerecht zu werden, und der Druck, immer Bestleistungen erbringen zu wollen, das alles fraß mich auf. Aber meinen Körper kontrollieren zu können, gab mir Sicherheit. So wenig wie möglich zu essen, gab mir ein Gefühl von Unabhängigkeit und Eigenständigkeit. Mein Spiegelbild bewies, dass es ein sehr trügerisches Gefühl war." (S. 207) Ellas inneren Kampf zu verfolgen, ohne ihr dabei helfen zu können, war herzerreißend, besonders als sich die Hinweise auf ihre Essstörung gehäuft haben und niemand zu ihr durchdringen konnte, weder ihre Familie noch Sam. "Ich wollte nicht darüber reden. Mit niemandem. Ich wusste, dass ich viel zu wenig aß, aber ich fühlte mich gut damit. Schlecht fühlte ich mich gut." (S. 275) Sam, in dem sie längst nicht mehr nur den besten Freund ihres Bruders sieht, der schon zu Familie gehört. Die Liebesgeschichte der beiden ist fesselnd, hat mich zum Schmunzeln und Lachen gebracht, aber auch dafür gesorgt, dass ich beinahe einige Tränen verdrücken musste, denn nicht nur Ella hat schweres Gepäck zu tragen. Abgesehen von der Tatsache, dass Sam als Referendar Ellas Sportlehrer ist und das Aufkommen der Romanze zwischen den beiden für seinen Rausschmiss sorgen kann, was ohnehin seelische Belastung genug ist, sieht er sich mit einem schweren familiären Schicksal konfrontiert. Ella und Sam tragen beide ihre schweren Päckchen mit sich herum und obwohl sie zusammen unglaublich süß sind und wie füreinander geschaffen scheinen, stellt sich die Frage, ob die große Liebe unter der schweren Last ihres jeweiligen Gepäcks standhalten kann.

"Songbird" ist der Titel eines Songs der Band Oasis, aber auch der Titel einer romantischen Liebesgeschichte, deren mitreißender Soundtrack helle, klare, fröhliche Töne enthält, die allerdings oftmals von düsteren, melancholischen und zu Tränen rührenden Elementen überdeckt werden.

Bewertung vom 11.05.2019
Zeilen ans Meer
Fischer, Sarah

Zeilen ans Meer


ausgezeichnet

Lena hat vor 15 Jahren ein Work & Travel-Jahr in Australien eingelegt. Als sie wieder zurück nach Deutschland reisen musste, warf sie eine Flaschenpost, versehen mit ihren Wünschen und Zukunftsplänen, in den Ozean. Genau diese Flaschenpost findet nun der Australier Sam am Strand. Er beschließt ihr zu antworten. Daraus entwickelt sich eine intensive Brieffreundschaft, in die sich immer stärker die Liebe einschleicht. Kann das sein, sich in jemanden zu verlieben, den man nur aus Briefen kennt und noch nie gesehen hat...

Sarah Fischer ist mit "Zeilen ans Meer" eine bezaubernde Liebesgeschichte über Kontinente hinweg gelungen, die sich erfrischend abhebt. Ich war von der ersten Seite an hin und weg von diesem besonderen Buch, das in Briefform verfasst ist. Die Briefe sind wunderschön formuliert voller Emotionen, Humor aber auch einer Prise Traurigkeit und wirken dadurch einfach absolut lebendig und so habe ich mit Lena auf die Antworten von Sam hingefiebert.

Es war für mich ganz toll zu lesen, wie sich die beiden immer besser kennen lernen und schließlich aus einem kleinen Pflänzchen Liebe zwischen den Zeilen immer mehr ein ganz großes wurde. Lena und Sam konnten sich durch ihren Briefwechsel bis tief in ihrer Seele kennenlernen, ohne von Äußerlichkeiten abgelenkt zu werden. Man kann gar nicht anders als immer wieder zu denken: "Das muss doch klappen, die beiden passen so gut zusammen."

Durch die bis ins kleinste Detail stimmigen Beschreibungen war ich mit Lena am Münchner Eisbach und im Glockenbachviertel dabei, ebenso mit Sam am australischen Strand und in seinem Surfshop. Als Münchner Kindl und begeisterter Australienfan hatte ich die Bilder im Kopf - sie haben einfach gepasst. Diese herrlichen Kulissen und die einfach hinreißende Romanze haben mir ein ganz tolles Lesevergnügen beschert. "Zeilen ans Meer" kommt auf jeden Fall auf meine Liste der Lieblingsbücher 2019.

Fazit: Flaschenpost ins Leserglück

Bewertung vom 07.05.2019
Die verborgenen Stimmen der Bücher
Collins, Bridget

Die verborgenen Stimmen der Bücher


sehr gut

Emmett lebt in einer Welt in der Bücher verboten sind. Trotzdem geben ihn seine Eltern zu einer Buchbinderin in die Lehre, denn er verfügt über eine besondere Gabe: er kann Menschen ihre dunklen Erinnerungen nehmen. Doch auch Emmett ist verwickelt in ein Geheimnis aus Liebe und Leid. Das zu erkennen, ist eine große Herausforderung für den jungen Buchbinder...

Das Buch fiel mir durch seine Aufmachung auf der Leipziger Buchmesse ins Auge, ein wunderschönes blumiges Cover, dann der Schnitt in blau gehalten, das ist einfach ein Hingucker. Als dann im Klappentext auch noch von Buchbinden, "der Macht von Geschichten" und von einem Geheimnis die Rede ist, dachte ich das passt. Und es "passt" wirklich, denn von der ersten Seite an war ich von der Geschichte begeistert.

Das Besondere am Buch ist die Erzählweise und die damit verbundene Aufsplittung in drei Teile, das hielt die Spannung super aufrecht, das Mystische und Rätselhafte ebenso. Stück für Stück kommt man beim Lesen dem Geheimnis, das Emmett umweht, auf die Spur. Zuerst begleitet man ihn zur Buchbinderin, dann erfährt man warum er dorthin kam und schließlich gibt es im dritten Teil das turbulente Ende. Durch die vielen wirklich nicht vorhersehbaren Wendungen entfaltet die Handlung eine richtige Sogwirkung, ich konnte es nicht mehr aus der Hand legen.

Bridget Collins schreibt angenehm, mitreißend und flüssig, sie trifft immer genau den richtigen Ton, um der Geschichte ihre Kraft zu verleihen und zu erhalten. Sie schafft eine Atmosphäre, düster, manchmal auch melancholisch und erschreckend - und darin lässt sie ihre wunderbaren, authentisch wirkenden Charaktere mit all ihren Schwächen und Gefühlen auftreten, allen voran den sympathischen Emmett oder Lucian, der im Grunde das Herz auch am rechten Fleck hat. Aber auch der Buchbinder de Havilland mit seiner Arroganz und Kälte passt perfekt dazu. Ich will nicht zu viel verraten, aber das Thema Buchbinden an sich ist schon gruselig, denn wenn das wirklich möglich wäre, wie sähe unsere Welt dann wohl aus.

"Die verborgenen Stimmen der Bücher" habe ich sehr gerne gelesen. Es ist für mich ein gelungenes modernes Märchen voller Nostalgie, Fantasie, einer bittersüßen Liebesgeschichte und ganz speziellen Büchern. Verborgen inmitten der Buchseiten entfaltet sich ein beeindruckendes Leseerlebnis.

Fazit: Verborgene Stimmen der Bücher, die gehört werden sollten!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.05.2019
Die Frauen von Salaga
Attah, Ayesha Harruna

Die Frauen von Salaga


sehr gut

Westafrika, Ende des 19. Jahrhunderts: Die junge Aminah wird von Sklavenjägern brutal entführt und auf dem Sklavenmarkt verkauft. Wurche gehört einer gehobenen Klasse an. Ihr bleibt zwar das Schicksal Aminahs erspart, dennoch zwingt ihr Vater sie aus politischen Gründen eine Vernunftehe einzugehen. Die Wege der beiden Frauen kreuzen sich, als Wurche Aminah auf dem Sklavenmarkt kauft. Von nun an sind ihre Schicksale miteinander verbunden, die gar nicht so unterschiedlich sind, denn beide Frauen wünschen sich Freiheit, sie gehen dafür hohe Risiken ein...

Ayesha Harruna Attah ist ein gelungenes Porträt zweier starker afrikanischer Frauen gelungen, die zwar viel gemeinsam haben, deren Leben aber aufgrund ihrer Stellung in der Gesellschaft nicht unterschiedlicher sein könnte. Trotzdem versucht jede auf ihre Weise für ihre Ziele zu kämpfen und sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen gewissen Freiraum zu schaffen. Durch den stetigen Perspektivwechsel zwischen Aminah und Wurche war die Geschichte von Anfang an spannend und mitreißend. Das liegt sicher auch am flotten, flüssigen und klaren Schreibstil der Autorin.

Man erfährt durch die beiden aber auch viel über die Menschen in Afrika und ihre Kultur, über ihre Lebensbedingungen, ihre Gebräuche, die Art zu wohnen, zu essen, Handel zu betreiben, aber auch die düsteren Kapitel der Geschichte werden angesprochen. Detailgetreu, historisch fundiert und genau auf den Punkt gebracht erzählt sie von Stammeskonflikten, von den Kolonialmächten England und Deutschland, die ihre Finger nach Ghana ausstreckten und über den unseligen Sklavenhandel. Die Autorin hat gerade diese Themen so detailliert und eindringlich geschildert, dass ich Gänsehaut bekam. Wie grausam die Menschen einfach verschleppt und gnadenlos auf Sklavenmärkten verkauft wurden ist einfach nur schrecklich. Durch die sympathische Aminah, die dieses Schicksal erleiden musste, fand ich diese Passagen noch berührender und unmenschlicher.

"Die Frauen von Salaga" ist ein mitreißendes, sehr unterhaltsames Buch, das vom Schicksal der Ururgroßmutter der Autorin inspiriert ist. So gut und interessant kann Geschichte auch vermittelt werden.

Fazit: "Die Frauen von Salaga" sind auf jeden Fall eine Reise wert. Auf durch die Buchseiten nach Afrika in längst vergangene Zeiten...

Bewertung vom 04.05.2019
Ein Sommer in Brandham Hall
Hartley, Leslie Poles

Ein Sommer in Brandham Hall


ausgezeichnet

Leo Colston, ein Mann in den besten Jahren, findet sein altes Tagebuch aus dem Jahr 1900 wieder. Als er es zur Hand nimmt, beginnen seine Erinnerungen an seine Sommerferien als 13-jähriger Schüler, die er bei seinem Schulfreund auf dessen Landsitz verbringt, zu sprudeln. Lang zurück ist die Zeit, als er für Marian, der attraktiven Tochter des Gutsherrn, heimlich Briefchen an den gut aussehenden Pächter Ted überbringt - und das, obwohl die Verlobung mit Lord Trimingham nur noch eine Frage der Zeit ist. Leo gerät dabei immer mehr in das Netz dieses gefährlichen Spiels...

"Ein Sommer in Brandham Hall" ist ein Buch, von dem man sich von der ersten Seite an verzaubern lässt, es ist eine ganz andere Welt als heute, so herrlich nostalgisch, ruhig und aufregend zugleich. Ein Stückchen England vor über 100 Jahren und so gut geschrieben, dass man problemlos in diese Zeit eintauchen kann. Dabei ist Brandham Hall mitsamt seinen Bewohnern so bildhaft beschrieben, dass ich als Leserin die genauen Bilder des alten Herrenhauses mitsamt Park im Kopf hatte.

Vor dieser Kulisse ist L.P. Hartley eine grandiose Geschichte über die Gefühlswelt von jungen Menschen während des Erwachsenwerdens gelungen. Mit Leo, einem 13 jährigen Jungen, der das Herz am rechten Fleck hat und alles richtig machen möchte, hat er einen liebenswerten Protagonisten geschaffen, den man bei seinen Gedanken, Taten, seinen Gefühlen aber auch bei seinen Rückschlüssen, die er aus der Handlungsweise der Erwachsenen zieht, sehr gerne begleiten möchte.

Es geht in diesem Roman aber nicht nur um Leo, sondern es ist auch ein Bildnis der damaligen Gesellschaft und deren doch sehr unterschiedlichen Lebensweisen, auf der einen Seite die Upper Class mit der Familie Maudsley und deren Freunden, auf der anderen Seite die Pächter, Bauern und die einfachen Dorfbewohner. Eingebettet in dieser sommerlich, unbeschwerten Atmosphäre nimmt eine bittersüße, heimliche Liebesgeschichte ihren Lauf, bei der Leo selbst eine wichtige Rolle spielt.

Mit wunderschön formulierten Sätzen, poetisch, berührend und klar, entführt der Autor seine Leser also auch durch seine elegante Sprache nach Brandham Hall. Wie man sieht, finde ich nicht nur den Inhalt des Buches klasse, sondern auch der Schreibstil bereitete mir allerhöchstes Lesevergnügen. Desgleichen gilt für die Charaktere. Sie sind mit soviel Fingerspitzengefühl geschaffen; kleine, feine Nuancen geben ihnen das gewisse Etwas, und verleihen ihnen Authentizität, so dass sie die Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder lebendig werden lassen.

Ich freue mich sehr, dass dieser englische Klassiker aus dem Jahr 1953 nun wieder neu erschienen ist, er ist ein absolutes Sahnestückchen unter der Masse an Büchern, die jedes Jahr veröffentlicht werden.

Fazit: Ein englisches Sommervergnügen der Extraklasse

Bewertung vom 28.04.2019
Nach mir die Flut
Perry, Sarah

Nach mir die Flut


sehr gut

John Cole beschließt eines Tages alles hinter sich zu lassen. Er schließt seinen Buchladen auf unbestimmte Zeit und macht sich auf den Weg zu seinem Bruder. Doch eine Autopanne durchkreuzt seine Reisepläne. Bei seiner Suche nach Hilfe gelangt er zu einem heruntergekommenen, herrschaftlichen Anwesen. Er wird von den Bewohnern, so scheint es, schon erwartet. Was erwartet John?

"Nach mir die Flut" ist Sarah Perrys Debütroman, der von den Kritikern begeistert aufgenommen wurde. Auch mir hat dieses Buch, nachdem ich schon von "Die Schlange von Essex" total begeistert war, sehr gut gefallen. Allerdings ist auch dies meiner Meinung nach wieder ein ganz spezieller Roman, an dem sich die Geister scheiden. Mir persönlich gefällt der Schreibstil von Sarah Perry ausgesprochen gut. Für mich schafft sie es meisterlich durch Stimmungen, seien sie nun düster, geheimnisvoll oder auch etwas gruselig, ihren Geschichten eine ganz eigene Atmosphäre einzuhauchen.

Dieses Buch ist aber auch in hohem Maße von den Bewohnern des Anwesens geprägt. Man weiß als Leser nie wirklich, woran man bei den verschiedenen Charakteren ist. Sie sind durchweg seltsam, schräg und auch ein bisschen unheimlich. Von der ersten Seite an hing ich an einem unsichtbaren Band, das mich zum Herrenhaus hinzog. Das war so als ob ich einen Schauerroman aus vergangener Zeit in Händen halten würde. Für mich ist auch das ein Buch, das ich so schnell nicht vergessen werde.

Fazit: Schaurig schön und gut, aber Geschmackssache

Bewertung vom 27.04.2019
My Dearest Enemy (eBook, ePUB)
Grey, R.S.

My Dearest Enemy (eBook, ePUB)


sehr gut

Nach jahrelangem Medizinstudium und anstrengenden Stunden in der Klinik steht Daisy nun kurz davor, sich den Traum ihrer eigenen Praxis zu erfüllen. In ihrer Heimat Hamilton soll sie die Praxis des alten Dr. McCormick übernehmen, doch sie ahnt nicht, dass der gewiefte ältere Herr auch Lucas Thatcher als Arzt eingestellt hat. Ausgerechnet der Lucas, mit dem sie seit ihrer Kindheit auf Kriegsfuß steht, beide sind sie nie vor Herausforderungen zurückgeschreckt, standen stets im unerbittlichen Wettstreit miteinander, bis es sie zum Medizinstudium in unterschiedliche Teile des Landes verschlug. Daisy sieht in Lucas immer noch den Rivalen von früher und schmiedet sogleich eine Strategie, wie sie ihn in die Flucht schlagen kann. Allerdings hat sie nicht mit den Gefühlen gerechnet, die sie in Gegenwart des beinahe schon verboten gutaussehenden Lucas empfindet. Außerdem schreckt er nicht davor zurück mit unlauteren Mitteln zu spielen.

Als ich von zwei Ärzten gelesen habe, zwischen denen im gegenseitigen Wettstreit die Funken fliegen, musste ich "My Dearest Enemy" natürlich unbedingt lesen und habe dafür sogar ausnahmsweise meine No-E-Books-Regel gebrochen. Von Beginn an sind die Seiten dank des frischen, spritzigen Schreibstils und der herrlich amüsanten Dialogen nur so dahingeflogen, jedoch fand ich es manchmal schwer, die Gedankengänge von Daisy nachzuvollziehen, obwohl der Großteil aus ihrer Perspektive geschildert wird. Sie ist so in ihrem Konkurrenzdenken gefangen, sodass ihre Gedanken nach ihrer Rückkehr in ihren Heimatort Hamilton vom ersten Moment an nur darum kreisen, wie sie ihren Allzeitkontrahenten Lucas in die Flucht schlagen kann. Dabei bemerkt sie überhaupt nicht, dass Lucas die andauernden Wettstreite seit der gemeinsamen Kindheit eigentlich zuwider sind und er nur mitspielt, weil er Daisy so nahe sein kann, was sie nicht im Mindesten registriert. In den wenigen Passagen, die aus Lucas Sicht geschildert werden, bekommt die ansonsten zwar amüsant zu lesende aber doch recht oberflächliche Erzählung eine andere Tiefe, wie ich sie so nicht erwartet hätte. Es muss unfassbar frustrierend, verletzend und schlussendlich zermürbend sein, sich so lange Hoffnungen auf etwas zu machen, das womöglich niemals passiert. Seit seinem Weggang zum Studium hat er Daisy herzzerreißend romantische E-Mails geschrieben, die er jedoch aus Angst vor einer Zurückweisung nicht abgeschickt hat. Als sie sich nach all den Jahren wieder persönlich gegenüberstehen, spürt Daisy zwar die körperliche Anziehung zwischen den beiden, doch das lässt sie nicht davor zurückschrecken für ihren Traum der alleinigen Praxisleitung um jeden Preis zu kämpfen, auch wenn das bedeutet Lucas mit ihren Aktionen zu verletzen. Abschließend halte ich den Vergleich dieser Geschichte mit Grey's Anatomy für ziemlich übertrieben, denn hierbei kommt das Medizinische für meinen Geschmack viel zu kurz, es bildet lediglich den Rahmen für eine mitreißende Erzählung in welcher das Zwischenmenschliche im Vordergrund steht.

"My Dearest Enemy" ist für alle Romantikerinnen genau die richtige Sommer-Entspannungslektüre, vor allem für diejenigen, deren Traummann Arzt ist. Der locker leichte Schreibstil sorgt in Kombination mit den witzigen wenngleich manchmal etwas oberflächlich anmutenden Dialogen für amüsante Lesestunden zum Schmunzeln und Schwärmen.

Bewertung vom 26.04.2019
Das Leuchten jenes Sommers
Scott, Nikola

Das Leuchten jenes Sommers


sehr gut

August 1939 kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Maddy verbringt ihre Zeit unbeschwert auf Summerhill, einem Anwesen in Cornwall. Ihre ältere Schwester Georgiana kommt nach einer langen Reise in Begleitung ihres Freundes Victor nach Summerhill zurück. Maddy ist er von Anfang an nicht ganz geheuer...

70 Jahre später begegnen sich Maddy und Chloe. Die junge Fotografin Chloe fährt nach Summerhill, um ein Porträt von Maddy anzufertigen. Dabei entdeckt sie ein Jahrzehnte altes Geheimnis, das auch Auswirkungen auf ihr eigenes Leben nach sich zieht...

Mit "Das Leuchten jenes Sommers" ist Nikola Scott ein einfühlsames, ruhiges und zugleich absolut unterhaltsames Buch gelungen, das ich sehr gerne gelesen habe. Auf zwei verschiedenen Zeitebenen, die im Laufe des Buches ineinanderfließen, erzählt sie uns von Maddy und Georginiana kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges und von Chloe, die in der Jetztzeit lebt. Anhand dieser beiden wunderbar gezeichneten und absolut authentisch wirkenden Protagonistinnen gewährt die Autorin den Lesern facettenreiche Einblicke in das Thema "Liebe", das beschützend bei Geschwistern sein kann oder eben auch einengend und besitzergreifend in einer Partnerschaft, wie es bei Chloe der Fall ist.

Gerade diese Passagen fand ich besonders eindringlich und emotional. Man denkt bei häuslicher Gewalt ja zuerst an äußerliche Verletzungen, dabei sind oft die seelischen Wunden schlimmer. Chloe leidet unter Aidans subtilen psychologischen Spielchen, schafft es aber schließlich trotzdem ihm Paroli zu bieten. Ihre Entwicklung in die richtige Richtung war erlösend und fühlte sich gut und richtig an, denn den Mut aufzubringen ist sicher nicht einfach. Durch den regelmäßigen Wechsel zu Maddy nach Summerhill und ihren Erlebnissen konnte ich wunderbar in die Geschichte(n) eintauchen und zwischen den Zeiten reisen.

Die beiden Erzählstränge fließen im Laufe des Buches harmonisch ineinander, es kristallisieren sich Parallelen zwischen beiden heraus. Das Zusammentreffen der hochbetagten Maddy und Chloe war für mich ein kleines Highlight, denn für mich war es nur schön zu sehen, wie sich die beiden gut tun, sie entkommen beide ihren Dämonen. Alle Geheimnisse werden aufgelöst und zwar so geballt und voller Spannung, dass die letzten Seiten geradezu verflogen.

"Das Leuchten jenes Sommers" ist eine gehaltvolle, angenehm zu lesende Lektüre, die eine Bereicherung für jedes Bücherregal ist. Ein Buch voller Kraft und zugleich Zuversicht, das zum Nachdenken anregt.

Fazit: Wer weiß denn schon was Liebe ist - ein etwas anderer (Liebes-)roman, einfach gut!

Bewertung vom 26.04.2019
Die Bücherinsel / Inselbuchhandlung Bd.2
Mommsen, Janne

Die Bücherinsel / Inselbuchhandlung Bd.2


sehr gut

Sandra lebt und arbeitet auf einer wunderschönen friesischen Insel. Wie es der Zufall will, landet sie im Lesekreis der Inselbuchhandlung. Hier tauschen sich lesefreudige Insulaner nach Herzenslust über Bücher aus. Für Sandra, die Geschichten liebt, ist dies ein Paradies. Doch wie lange kann sie verheimlichen, dass sie nicht lesen und schreiben kann. Und dann ist da im Lesekreis auch noch Björn, der Grundschulleiter, den sie faszinierend findet...

"Die Bücherinsel" ist das erste Buch, das ich von Janne Mommsen gelesen habe. Für mich war es genau die richtige Art von Lektüre, um eine kleine Auszeit auf einer friesischen Insel zu nehmen. Die bildhaften Landschaftsbeschreibungen haben mich direkt dorthin geführt. Man riecht das Meer, schmeckt die salzige Luft, sieht den blauen Himmel und die vorüberziehenden weißen hohen Wolken, spürt den Wind und hört das Rauschen des Meeres.

Dazu eine lockere, leichte Geschichte, die sich wie von selbst liest. Im Mittelpunkt steht Sandra, die nie richtig lesen und schreiben lernte. Und ausgerechnet sie landet in einem Leseclub. Ich finde das Thema Analphabetismus in einem Unterhaltungsroman zu behandeln, sehr gut. Unaufdringlich packt der Autor dieses sensible Problem an und lässt den Leser an den Schwierigkeiten und Zweifeln, mit denen Sandra im Alltag zu kämpfen hat, teilhaben. Die Inselbewohner waren mir von Anfang an allesamt sympathisch. Man spürt beim Lesen, dass Sandra hier ihr Nest gefunden hat und sich richtig wohl fühlt und sich auch weiterentwickeln kann.

Mir hat der Besuch auf der Insel gut gefallen, die Geschichte floss in weichen Wellen dahin. Für zwischendurch, ob im Strandkorb oder im Lesesessel genau das Richtige. Man muss nicht groß nachdenken, einfach nur lesen und entspannen. Das tut manchmal auch gut.

Fazit: Buchiger Kurzurlaub auf einer wunderschönen friesischen Insel