Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Raumzeitreisender
Wohnort: 
Ahaus
Über mich: 
Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 739 Bewertungen
Bewertung vom 27.04.2017
Die Kraft der Naturgesetze
Dedié, Günter

Die Kraft der Naturgesetze


sehr gut

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile

Elementare Bausteine verbinden sich auf Basis ihrer Wechselwirkungen zu komplexeren Strukturen. Es entsteht durch Selbstorganisation ein hierarchischer Aufbau der Strukturen von den Elementarteilchen bis hin zu sozialen Systemen. In jeder Hierarchiestufe treten neue Eigenschaften auf, die aus den Bausteinen der jeweils niedrigeren Stufe nicht ableitbar sind. Das zugrunde liegende Konzept bezeichnet man als Emergenz.

Der Physiker Günter Dedié beschreibt in seinem Buch eine Gesamtschau auf Basis der Emergenz. Seine Reise beginnt bei den Elementarteilchen; Stationen sind der Aufbau der Atome, die Quantentheorie, die Entstehung der Sterne, die Allgemeine Relativitätstheorie (ART), chaotische Prozesse sowie die Entwicklung des Lebens und des Gehirns bis hin zu menschlichen Gesellschaften.

Dediés Beschreibungen der physikalischen Grundlagen sind verständlich. Das gilt z.B. für die Übersicht über Kräfte, Kraftfelder und Feldteilchen (37), für seine Ausführungen zur Entropie (55) und für seine Erläuterungen zur Metrik (57). Der Autor schreckt auch nicht davor zurück, auf Grenzen und Unsicherheiten im kosmologischen Modell hinzuweisen. So bezeichnet er die ART als Hypothese (121), da sie unter Physikern nicht unumstritten ist und er macht deutlich, dass es Beobachtungen im All gibt, die nicht zur Urknall-Hypothese passen.

In Kapitel 12 behandelt Dedié die chemischen Grundlagen und macht den Zusammenhang zur Physik deutlich. „Die chemischen Bindungen bauen auf der Physik der Atomhülle auf“ (125). Auch in diesem Kapitel wird an den klaren Ausführungen deutlich, dass der Autor Lehrerfahrung hat. „Aus Sicht der Emergenz gibt es für sämtliche Abläufe oder Strukturen in der Welt der Moleküle nur empirische Modelle.“ (133)

Im zweiten Teil des Buches befasst sich der Autor mit lebenden Systemen und der menschlichen Gesellschaft. Er bezeichnet die (biologische) Evolution als „eindrucksvolles Beispiel für die spontane Selbstorganisation“ (134). Um die biologische Evolution im vorhandenen Zeitrahmen erklären zu können, gab es beschleunigende Prozesse, wozu z.B. die Selbstorganisation in frühen Makromolekülen gehört. (136) Dennoch ist die Evolution eine Entwicklung ohne Entwicklungsziel.

Der Zusammenhang zwischen Evolution und Emergenz hätte klarer herausgearbeitet werden können. Wie hängen Mikroevolution, Makroevolution und Emergenz zusammen? Der Autor beschreibt das Gehirn als Paradebeispiel eines emergenten Systems. „Es setzt die materiellen Ebenen in die geistige Ebene um.“ (180) Aber was ist Bewusstsein? Ist nicht Bewusstsein ein Musterbeispiel für Emergenz? Dediés Ausführungen zu diesem Thema sind recht knapp. Für Hirnforscher Gerhard Roth ist Bewusstsein das Eigensignal des Gehirns für die Bewältigung eines neuen Problems.

Das Kapitel über die menschliche Gesellschaft ist überproportional lang und es ist auch ein Sammelsurium unterschiedlicher Themen. Dedié analysiert die menschliche Gesellschaft aus Sicht der Selbstorganisation (201). In diese Thematik passt das Gruppenverhalten, wie Gustav Le Bon es in „Psychologie der Massen“ beschreibt. Wirtschaft und Markt sind wieder andere Themen. Der Autor glänzt mit sozial- und wirtschaftskritischen Ausführungen, wobei das Thema Emergenz gefühlt in den Hintergrund gerückt wird.

Günter Dediés Buch ist originell, herausfordernd und lesenswert. Ich glaube, dass das Thema ausbaufähig ist und insbesondere die Teile außerhalb der Physik und Chemie noch strukturierter und präziser gefasst werden können. Es handelt sich um ein breit gefächertes Thema, welches mich angeregt hat, in verschiedenen Werken nachzuforschen. Das schafft nicht jeder Autor.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.04.2017
Heute beginnt der Rest des Lebens
Roger, Marie-Sabine

Heute beginnt der Rest des Lebens


ausgezeichnet

Ein tragisch-humorvoller Roman

Handlungsort ist Paris. Zu den Hauptdarstellern gehören außer Mortimer seine engen Freunde Nassardine und Paquita sowie seine Freundin Jasmine. Auffallend sind die wundervollen Charakterisierungen der Protagonisten. Marie-Sabine Roger hat großes Talent, prägnante liebevolle Charaktere mit Wiedererkennungswert zu skizzieren. Sie webt die Charaktere ein in eine makabere Geschichte voller Überraschungen.

Mortimer muss sterben, wie alle Menschen vor ihm und nach ihm. Das Besondere ist, er glaubt, an seinem 36. Geburtstag sterben zu müssen, da seit Generationen alle Männer in seiner Familie an genau diesem Tag gestorben sind. Er bestellt den Strom ab, räumt den Kühlschrank leer, kündigt seine Wohnung und wartet auf den Tod. - Es kommt anders, sonst wäre der Roman schnell zu Ende.

Ausgerechnet Paquita findet ihn vor seinem vermeintlichen Ableben und denkt sich nichts Schlimmes dabei. Ihre unbekümmerte Art wirkt beim ersten Lesen tragisch-humorvoll und beim zweiten Lesen nur noch humorvoll. Der Roman ist durchsetzt mit Szenen dieser Art. Nebenbei erfahren die Leser noch einiges über die Lebensgeschichte von Mortimers Ahnen. Seltsame Ereignisse verbindet diese Familie.

Es gibt nur wenig zu kritisieren. Widersprüchlich ist, dass Mortimer einerseits nie den Raum Paris verlassen hat (104), andererseits aber in der Provence seine Ferien verbracht hat (110). Von dieser Kleinigkeit abgesehen fällt die Schleichwerbung für konkrete Produkte an verschiedenen Stellen des Buches auf. Aber das ist man ja von vielen Filmen gewohnt. Und der „Rest des Lebens“ kommt ein wenig zu kurz.

Die Kapitel sind knapp und ansprechend. Die Autorin versteht es, die Leser zu verblüffen. Viele Ereignisse verlaufen anders als erwartet und das macht neugierig. Am Ende angelangt wünscht man sich eine Fortsetzung der Geschichte, weil ihr Ende dafür prädestiniert ist. Zwecks Steigerung des Unterhaltungswertes sollten Nassardine und Paquita auch darin vorkommen. Marie-Sabine Roger ist eine Autorin, die man sich merken sollte.

Bewertung vom 15.04.2017
Der Weg zum Erfolg
Loriot

Der Weg zum Erfolg


gut

Ein satirischer Ratgeber

Vicco von Bülow alias Loriot gilt als einer der vielseitigsten deutschen Humoristen. Der Karikaturist Loriot ist bekannt durch Film, Fernsehen und Theater. Zudem hat er zahlreiche Bücher veröffentlicht. Zu seinen Hauptthemen gehören Kommunikationsstörungen in Alltagssituationen.

Im vorliegenden Buch geht es um Wege zum Erfolg. Das Buch enthält ca. 80 Cartoons zu Alltagssituationen zu Hause, beim Sport, im Verkehr oder im beruflichen Umfeld. Das Geheimnis seiner Methode besteht darin, dass der Erfolg keineswegs sicher ist. Damit setzt er einen ironischen Kontrapunkt zu realen Ratgebern.

Seine Figuren und Formulierungen haben Wiedererkennungswert. Viele seiner Sprüche und Sketche sind zeitlos. Er schießt nicht aus der Hüfte, sondern überlegt genau, was er schreibt und sagt. Dennoch macht der Zeitgeist auch vor Loriot nicht halt und so wirken die Cartoons von 1958 in der heutigen Zeit eben nicht mehr ganz frisch.

Bewertung vom 15.04.2017
Vom Mann, der auszog, um den Frühling zu suchen
Bagus, Clara Maria

Vom Mann, der auszog, um den Frühling zu suchen


gut

Auf der Suche nach dem inneren Frühling

Ein kleiner bunter Vogel vermag es, eine karge Winterumgebung in ein buntes Frühlingspanorama zu verwandeln. Plötzlich sprießen aus den Zweigen Blüten hervor, wo vorher noch Eiszapfen hingen. Der namenlose Protagonist, der die Szene beobachtet, ist begeistert von diesem Vogel und begibt sich auf die Suche nach ihm. Von dieser Reise handelt das Buch.

Psychologin Clara Maria Bagus vermittelt, verteilt auf 59 kurze Kapitel, einfache Lebensweisheiten, die einem Buch von Paulo Coelho entsprungen sein könnten. Die Suche nach dem Vogel reflektiert die Suche nach sich selbst. Ebenso wie der andalusische Hirte Santiago in „Der Alchimist“ begegnet der Protagonist auf seiner Reise vielen Menschen, die ihm bei seiner Suche behilflich sind.

Es handelt sich bei diesem Buch um ein modernes Märchen. Die Leser tauchen für ein paar Stunden ein in eine Fantasiewelt. Der Fokus liegt auf den Weisheiten und nicht auf den Protagonisten, erkennbar an der fehlenden Charakterisierung und Namensgebung. Die Geschichte ist zeitlos und auch unabhängig von der Geografie. Für eine Lebenshilfe ist es zu oberflächlich, zu einfach gestrickt, es ist eher ein poetisches Werk.

Bewertung vom 13.04.2017
Der Mann, der das Glück bringt
Florescu, Catalin Dorian

Der Mann, der das Glück bringt


sehr gut

Lebensgeschichten vom Rand der Gesellschaft

„Der Fluss nahm die Toten sanft auf, als ob er wusste, dass es besondere Tote waren.“ (5) Bereits im ersten Satz schwingen Tragik und Melancholie mit, sodass die Leser auf den Inhalt eingestimmt und von diesem nicht überrascht werden. Es sind die Lebensgeschichten zweier armer Familien, beginnend 1899 bzw. 1919, deren Lebenswege sich zwei Generationen später kreuzen.

Ray und Elena treffen sich das erste Mal im September 2001 in New York. Der Zufall hat sie zusammengeführt. Sie erzählen sich ihre Lebensgeschichten, beginnend bei ihren Großeltern. Die für die Zuordnung der beiden Handlungsstränge und für das tiefere Verständnis wichtigen Erzählperspektiven kristallisieren sich erst im Verlauf der ersten Kapitel heraus. Das wirkt anfangs etwas störend.

„Da ist er ja, unser kleiner Caruso!“, riefen die einen. „Da ist er, der Mann, der das Glück bringt!“, die anderen. (183) Diese Anspielung bezieht sich auf den Großvater von Ray, der in ärmlichen Verhältnissen als Waisenkind in New York aufwächst und von einer Karriere als Künstler träumt. Das Glück bringt er den armen Menschen, den ausgestoßenen der Gesellschaft. Die große Karriere bleibt ein Traum. Der Großvater ist geprägt vom Überlebenskampf in den Straßen von New York und kein Sympathieträger. Manche Szenen sind grenzwertig.

Im zweiten Handlungsstrang geht es um Elenas Großmutter und Mutter, beide aufgewachsen in Rumänien, im Donaudelta am Schwarzen Meer. Armut, Aberglaube und Krankheit prägen das Leben der Dorfbewohner. Elenas Mutter findet eine Arbeit in einem Friseursalon in dem Ort Sulina und träumt davon, nach Amerika auszuwandern. Es kommt ganz anders.

„Der Mann, der das Glück bringt“ klingt im Hinblick auf das harte Leben der Protagonisten wie Ironie, bekommt aber auf einer anderen Ebene eine besondere Bedeutung. Es gelingt Catalin Dorian Florescu, die Leser emotional anzusprechen. Während einige Szenen in der New Yorker Zeit um 1900 abstoßend wirken, überwiegt in Rumänien die Traurigkeit. Glück ist ein zartes Pflänzchen, welches selten entdeckt wird und gehegt und gepflegt werden muss.

Der Autor ist ein fantastischer Geschichtenerzähler, dem es gelingt, die Leser mitzunehmen auf eine literarische Abenteuerreise durch die Geschichte. Er streut gezielt politische Ereignisse ein und die Reaktionen der Menschen darauf. Er kontrastiert die Verhältnisse der kleinen Leute in einer Großstadt mit den Verhältnissen der kleinen Leute in einer Dorfregion. Er verschneidet Perspektiven und führt eine Synthese herbei.

Hinsichtlich seiner Art die Lebensverhältnisse zu beschreiben, rau, hart, düster und melancholisch, erinnert er mich an den irischen Schriftsteller Colum McCann. „Der Himmel unter der Stadt“ von McCann besteht auch aus zwei Erzählsträngen, die konvergieren und in denen trotz aller Düsternis immer mal wieder ein kleiner Hoffnungsschimmer aufblitzt.

Florescu ist ein begabter Schriftsteller, der es versteht, gesellschaftliche Verhältnisse ausdrucksstark darzustellen, so mein Eindruck.

Bewertung vom 09.04.2017
Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra
Sloan, Robin

Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra


weniger gut

Der Versuch einer Liebeserklärung an die Welt der Bücher

Clay Jannon, ehemals Webdesigner, bewirbt sich auf eine Stellenanzeige in der Buchhandlung des Mr. Penumbra. Die Buchhandlung befindet sich in San Francisco und hat rund um die Uhr geöffnet. Jannon bekommt den Job und übernimmt die Nachtschicht. Er lebt in einer Wohngemeinschaft in San Francisco.

Die Buchhandlung ist insofern seltsam als sie aus einem normalen Sortiment besteht für den üblichen Verkauf und aus einem eher geheimen nicht inventarisierten Sortiment, auf welches Mitglieder eines Geheimbundes Zugriff haben. Diese tauschen vorwiegend nachts Bücher mit kryptischem Inhalt aus.

Obwohl Mr. Penumbra es verboten hat, beschäftigt sich Jannon mit den geheimen, scheinbar verschlüsselten Werken. Zusammen mit seinen Freunden und unter Zuhilfenahme großer Rechnerkapazitäten international bekannter Onlinedienste kommt Jannon diesem Rätsel auf die Spur. Damit ist ein Tor geöffnet zu einem uralten Geheimbund.

Das besondere an dem Buch ist die Mischung aus moderner digitaler Computertechnik und verstaubten alten Buchhandlungen und Bibliotheken. Auffallend sind die wiederholt auftretenden realen Namen insbesondere bekannter Internetfirmen. Hier entsteht der Eindruck, dass das Buch entsprechend gesponsert wurde.

Bei dem Stichwort Verschlüsselung kommt einem direkt das Buch Diabolus von Dan Brown in den Sinn. Von der präzisen Recherche eines Dan Brown ist das vorliegende Buch weit entfernt. Die Ausführungen zur Technik wirken eher unausgereift und wenig tiefgehend. Hinsichtlich der Spannung kann Autor Sloan nicht mit Brown mithalten.

Auch vermisse ich in diesem Buch die Atmosphäre und die Magie, die ein Carlos Ruiz Zafón mit seinem „Friedhof der vergessenen Bücher“ zu vermitteln in der Lage ist. Es ist kein Buch, welches verzaubert, obwohl der Plot das hergeben müsste. Die Charaktere wirken farblos, die Geschichte arg konstruiert.

Insofern frage ich mich, wie das Prädikat Bestseller zustande kommt. Es mangelt an einer überzeugenden Darstellung der Technik und da, wo es im Zusammenhang mit einem Geheimbund richtig spannend werden könnte, verflacht die Geschichte. Die Erwartungen, die zu Beginn der Geschichte geweckt werden, werden nicht erfüllt.

Bewertung vom 09.04.2017
Die unglaubliche Entdeckung des Mr. Penumbra (eBook, ePUB)
Sloan, Robin

Die unglaubliche Entdeckung des Mr. Penumbra (eBook, ePUB)


gut

Der junge Mr. Penumbra und seine Abenteuer in der Welt der Bücher

Wer sich für die Vorgeschichte von Ajax Penumbra interessiert, ist mit dieser Novelle gut bedient. Mr. Penumbra ist 1969 in San Francisco im Auftrag der Bibliothek des Galvanic College (Illinois) auf der Suche nach einem sehr alten Buch. Er findet eine Buchhandlung und lernt dort Mr. Corvina und Mo kennen. Sie helfen ihm bei der schwierigen Recherche.

Die Suche scheint ausweglos und entpuppt sich als großes Abenteuer. Hier beweist der Autor viel Fantasie. Zufallszahlen und Codierungen, aber auch ein altes Schiff, spielen eine Rolle. Die Anfänge der digitalen Computerwelt kommen als Kontrast zur Welt der verstaubten Bücher ins Spiel. Und Mr. Penumbra findet eine Stelle in (s)einer Buchhandlung.

Während die Suche nach dem Buch ausführlich beschrieben wird, kommen die anderen Themen zu kurz. Hier werden vermutlich bewusst Akzente gesetzt, die erst in „Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra“ weiter ausgeführt werden. Das gilt insbesondere für die Codierungen und die Verbindung zur Computerwelt.

Ich vermisse in der Geschichte die Atmosphäre und die Magie, wie sie ein Carlos Ruiz Zafón in seinen Büchern über den „Friedhof der vergessenen Bücher“ zelebriert. Es mangelt an plastischen Beschreibungen und markanten Charakteren. Vielleicht ist die Geschichte dafür auch zu kurz. Als Ergänzung zu „Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra“ ist dieses Werk zu empfehlen.

Bewertung vom 06.04.2017
Der kleine Krisenkiller
Förster, Jens

Der kleine Krisenkiller


ausgezeichnet

Die Entscheidung liegt bei Dir!*

Psychologe Jens Förster zeigt Wege auf, die man gehen kann, nicht gehen muss. Er selbst beschreibt sich eher als Begleiter und weniger als Therapeut. Menschen sind freiheitsliebend und sollen es auch bleiben. „Wir kräftigen den Menschen durch ihn selbst ...“ (15) Der Autor benötigt dafür kein „Chaka Chaka“, kein „Omm“ und keine Rat“schläge“.

Dabei beweist Förster Humor, wenn es um die Frage geht, was zu tun ist, wenn man z.B. ins Wohnzimmer kommt und dort einen Bienenschwarm am Kronleuchter entdeckt. (13) Stress führt zu einem Tunnelblick und damit zu Unflexibilität. Mit einem Wasserschlauch lassen sich die Bienen vertreiben. Ist das auch eine sinnvolle Lösung?

Der Autor möchte nach eigenem Verständnis Türen zeigen, durch die man gehen kann. In zwölf Kapiteln erläutert er, was sich hinter diesen Türen verbirgt. Es geht um Themen wie Sport, Natur erleben, Gemeinschaft, Achtsamkeit, Hobbys, Musik und Kunst, um Beispiele zu benennen. Dabei fließen seine persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse ein.

Der Autor wirkt authentisch, verhält sich nicht aufdringlich und nicht belehrend. Das Buch ist angenehm zu lesen, ausdrucksstark und kommt ohne die Beschreibungen großer Theorien und genialer Geister aus. Prägend für den Autor ist die ergebnisoffene Herangehensweise an die Themen.

* In Anlehnung an das gleichnamige Buch des Managementberaters Reinhard Sprenger, der in seinem Buch aus einer anderen Perspektive als Jens Förster, aber mit dem selben Ziel, die aktive Rolle des Menschen selbst betont.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.04.2017
Tatort Krankenhaus
Beine, Karl H.;Turczynski, Jeanne

Tatort Krankenhaus


gut

Wirtschaftsunternehmen Krankenhaus

Mit diesem Buch tue ich mich schwer. Auf der einen Seite meine ich, dass brisante Themen nicht unter den Tisch gekehrt werden sollen, auf der anderen Seite frage ich mich, wie aussagekräftig eine Studie ist, die auf Befragungen beruht. Ist in einem solchen Fall die Aufklärung höher zu gewichten, als die damit verursachte Verunsicherung? Das Buch ist auf dem Markt und man darf es nicht ignorieren.

„Es geht nicht mehr um den Patienten, sondern es geht um abrechenbare Leistungen und um Geld.“ … „Dementsprechend wird gemacht, was Geld bringt, nicht, was medizinisch sinnvoll ist.“ (16) Wenn Krankenhäuser als Wirtschaftsunternehmen geführt werden, darf man sich nicht wundern, wenn der Patient auf der Strecke bleibt. Zuwendung, Gespräche und intensive Betreuung des Patienten werden nicht separat vergütet und daher reduziert; vergütet wird Gerätemedizin, Gewinne werden durch Massenabfertigung generiert. Das führt im Ergebnis zu unzufriedenen Patienten und überlasteten Pflegekräften und Ärzten. In Stresssituationen erfolgt die Behandlung weniger rücksichtsvoll, passieren Fehler und der Umgangston wird rauer.

Führt das auch dazu, dass Gewalt angewendet wird und im Extremfall Menschen getötet werden? Die Autoren berufen sich auf eine (nicht repräsentative) Studie der Universität Witten-Herdecke. Danach gibt es Gründe für die These, dass es eine hohe Dunkelziffer von Tötungsdelikten in Krankenhäusern und Heimen gibt. Die Studie beruht auf einer Befragung. Ein kausaler Zusammenhang zwischen den oben beschriebenen Mängeln und einer hohen Anzahl von Tötungsdelikten wird konstruiert, ist aber nicht belegt.

Belegt sind die Machenschaften mehrerer verurteilter Einzeltäter, die zumeist Serientäter waren. Aus den Profilen dieser Täter geht hervor, dass sie psychisch auffällig waren. Auffallend ist nicht nur, dass die Taten lange Zeit unentdeckt blieben, sondern auch, dass Verdachtsmomenten nicht nachgegangen wurde. So kann der Eindruck entstehen, dass Mitarbeiter eines Systems Täter decken. Könnte es nicht auch sein, dass solche Taten einfach außerhalb der Vorstellungskraft des Pflegepersonals liegen und Anzeichen deshalb übersehen werden?

Wenn es Tötungsdelikte in Krankenhäusern und Heimen gibt, sind das Fälle für die Staatsanwaltschaft. Eine Studie wie die oben beschriebene sollte für die notwendige Sensibilisierung sorgen, bei Zweifelsfällen in alle Richtungen zu ermitteln.

Die Autoren gehen von Systemfehlern als Ursache aus und machen Vorschläge, was sich aus ihrer Sicht ändern müsste. Es sind die üblichen Verdächtigen: Verbesserung der Ausbildung, Konfliktmanagement, Transparenz, bessere Kontrolle, Klasse statt Masse, um nur Beispiele zu nennen. Alle Lösungen kosten Geld. Wie Verbesserungen kostenneutral erreicht werden können, wird eher am Rande angesprochen.

Als positives Beispiel für die Gesundheitsversorgung wird Schweden genannt. Das hätte weiter ausgeführt werden können. Wie ist die Kostenentwicklung in Schweden? Sind die Schweden mit ihrem System zufrieden? Sind Gesundheitsberufe beliebte Berufe oder wandern Ärzte ab, weil der Verdienst anderswo besser ist? Gibt es vergleichbare Taten auch in schwedischen Krankenhäusern und Heimen?

Die Studie legt nahe, dass es eine hohe Dunkelziffer an nicht aufgeklärten Tötungsdelikten gibt. Über das wahre Ausmaß kann aber nur spekuliert werden. Jeder Fall von Gewalt ist einer zu viel und einer modernen Industrienation unwürdig. Es besteht daher Aufklärungsbedarf im Interesse der Patienten und Pflegekräfte und insbesondere die Gesundheitspolitik muss hinterfragt werden. Wenngleich die Studie hinsichtlich ihrer Aussagekraft einer kritischen Würdigung unterzogen werden muss, sollten die Alarmglocken bei diesem Thema läuten.

Bewertung vom 02.04.2017
Der dunkle Wächter
Ruiz Zafón, Carlos

Der dunkle Wächter


gut

Eine Schauergeschichte

Von den Erstlingswerken ist dies nach „Der Fürst des Nebels“ und „Der Mitternachtspalast“ der dritte Roman von Carlos Ruiz Zafón. Es handelt sich um einen Schauerroman mit magischen Elementen. Im Vergleich zu „Der Schatten des Windes“ ist dies wirklich ein Jugendbuch. Die Magie wirkt, im Vergleich zu „Der Schatten des Windes“, flach und direkt. Der Roman ist spannend, verzaubert die Leser aber nicht. Bekanntermaßen sind die drei Erstlingswerke erst auf dem deutschsprachigen Büchermarkt erschienen, nachdem Zafón bekannt geworden war. Ich konnte mich in diesen Roman nicht so vertiefen, wie in Zafón spätere Werke. Interessanterweise taucht der Name „Andreas Corelli“ auf (139) und bei der Geschichte mit dem Schatten (142) musste ich an Schlemihl denken, den Mann, der seinen Schatten verkauft hat, eine lesenswerte Novelle nach Adelbert Chamisso.