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Buchdoktor
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Deutschland
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Romane, Krimis, Fantasy und Sachbücher zu sozialen und pädagogischen Tehmen interessieren mich.

Bewertungen

Insgesamt 612 Bewertungen
Bewertung vom 04.01.2017
Dieser Sommer gehört noch uns
Gürtler, Heike Karen

Dieser Sommer gehört noch uns


ausgezeichnet

Der letzte Sommer vor dem Erwachsenwerden oder vor einer großen Veränderung ist ein unerschöpfliches Roman-Thema. Heike Karen Gürtlers Icherzählerin Franziska verbringt diesen besonderen Urlaubssommer im Jahr 2014 mit ihrer Freundin Chrissie und vier weiteren ungefähr Achtzehnjährigen am Gardasee in Ferienhaus von Chrissies Eltern. Das Haus liegt traumhaft an einem eigenen Steg und die Freunde können ungestört die Zeit genießen, ehe sie mit Beginn ihrer Ausbildung in alle Himmelsrichtungen auseinandergehen werden. Die engste Beziehung haben zu Anfang offenbar Chrissie und Franziska. Bei beiden Mädchen fragt man sich als Leser, was ihnen wohl vor den Ferien wiederfahren sein mag. Franziska trägt in ihr 'Schmerztagebuch' alle Sehnsüchte, Enttäuschungen und unerwiderten Gefühle ein und Chrissie verbirgt die Narben ihrer Selbstverletzung auch im heißesten Sommer unter langen Ärmeln. Sina und Pascal sind ein Paar; Tobi spielt die Rolle des in Bücher versunkenen Einzelgängers der Truppe. Über den Kindheitsfreunden Franziska und Flo schwebt die Ungewissheit, ob beste Freunde auch als Liebespaar glücklich sein können. Unabhängig vom ungeklärten Verhältnis zu Flo wirkt Franziska so, als sei sie im Leben noch nicht richtig angekommen. Für mindestens zwei der Teilnehmer wird die Zeit am Gardasee jeweils eine unerwartete Wende bringen.

Mit der Schilderung der melancholischen Stimmung während zweier Sommerwochen aus der Ahnung heraus, dass es kein Zurück in die Kindheit geben kann, wird im Buch die Zeit förmlich angehalten. Unausgesprochenes und Widerstände falten sich wie aus einem Pop-Up-Buch auf und hindern die jungen Leute zunächst daran, ihren Urlaub unbeschwert genießen zu können. Die melancholische Sommergeschichte wirkt wie die Stimmung an einem bedeckten Sommermorgen, der noch nicht preisgibt, wie das Wetter werden wird.

Bewertung vom 04.01.2017
Lightroom 6 und CC für digitale Fotografie
Kelby, Scott

Lightroom 6 und CC für digitale Fotografie


sehr gut

Scott Kelby ist wohl einer der bekanntesten Autoren für Fotobücher und Fotokurse. In seiner gewohnt nonchalanten Art präsentiert er in diesem Buch Photoshop Lightroom für Version 6 und die identische Version CC. Das Buch ist eine Übersetzung der englischen Originalfassung.

Der Autor stellt die einzelnen Bereiche des durchaus komplexen Programms jeweils in Schritt-für-Schritt-Anleitungen vor, denen man anmerkt, dass Kelby sehr detailreiche Kenntnisse des Programmes hat. Der Autor hält sich dabei nicht lange mit einer Einleitung auf sondern springt direkt in die Materie. Die Anleitungen sind gut verständlich, detailliert und ziemlich vollständig. Hat man das Buch einmal durchgearbeitet (was bei Lightroom zu empfehlen ist), kann man für einzelne Fragen später auch direkt in das jeweilige Kapitel springen. Das letzte Kapitel widmet sich dem persönlichen Workflow des Autors für Portraits. Abgeschlossen wird das Buch mit einem Index, über den man die wichtigsten Begriffe und Themen nachschlagen kann. Am Ende jedes Kapitels hat der Autor noch eine Reihe von "Killertipps" zusammengestellt, die auf spezielle Fragestellungen eingehen.

Damit richtet sich das Buch an Fotografen, die noch keine oder wenig Erfahrung mit diesem Programm haben, bzw. es nicht so häufig nutzen und hin und wieder etwas nachschlagen wollen.

Mir persönlich ist das Buch etwas zu sehr auf die Arbeitsweise des Autors ausgelegt. Lightroom hat eine sehr eigene Philosophie, die sehr stark ablauforientiert ist und vollständig auf nicht-destruktive Arbeitsweise setzt. Es wäre also wichtig, diese Philosophie und den damit verbundenen Workflow vor dem Einstieg in die Details zu erklären. Genau dieses Kapitel fehlt jedoch und wird auch mit dem letzten Kapitel (Workflow des Autors) nicht nachgeholt. Man merkt den Erklärungen des Autors deutlich an, welche Bereiche des Programmes er selbst oft benutzt und für wichtig und welche er für überflüssig hält. Dies merkt man besonders in den Programmbereichen Karte und Web. In dieser deutschen Übersetzung geht das soweit, dass der Bereich Web keinen Weg in das Buch gefunden hat, es gibt nur einen Link zur Webseite von Kelby, auf der man sich dieses Kapitel in englischer Sprache downloaden kann. Was mir auch gefehlt hat, ist eine Zusammenstellung der Tastaturbefehle im Anhang, die man mühsam im Buch suchen muss.

Wer mit den Eigenheiten des Autors leben und auf die Erklärung der Philosophie des Programmes verzichten kann, bekommt eine gekonnte Darstellung der Bedienung des Programmes Lightroom in Form von Schritt-für-Schritt-Anleitungen, geschrieben in lockerer, gut lesbarer Sprache.

+ Schritt-für-Schritt-Anleitungen für (fast) alle Bereiche von Lightroom
+ die Liste der Tipps am Ende eines Kapitels

- Programmphilosophie wird nicht erklärt
- Es fehlt eine Übersicht der Tastaturkürzel
- Die Ausführlichkeit der Beschreibung der einzelnen Programmbereiche ist nicht ausgewogen, sondern richtet sich danach, was der Autor persönlich für wichtig hält.

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Bewertung vom 04.01.2017
Windows 10 - Der verständliche Einstieg
Heiting, Mareile

Windows 10 - Der verständliche Einstieg


gut

Die Autorin Mareile Heiting hat mit dem Untertitel "Der verständliche Einstieg" ihres Buches "Windows 10" genau die Zielgruppe beschrieben, an die sich dieses Buch richtet: Einsteiger in das Arbeiten mit Windows und natürlich mit der neuesten Version. Vom ersten Start, über die Einrichtung bis zur Nutzung der mitgelieferten Programme und Apps werden die Bereiche von Windows 10 in Schritt-für-Schritt- Anleitungen erklärt. Die einzelnen Anleitungen sind kurz aber prägnant und ausreichend, um einen Einstieg in die Arbeitsweise zu bekommen. Abgeschlossen wird das Buch mit einem Stichwortverzeichnis für die wichtigsten Themen. Gut fand ich das Glossar, das viele Begriffe erklärt, die durchaus nicht jedem geläufig sind. Die Tabelle mit den Tastenkürzeln am Schluss hätte für mich dagegen ruhig etwas länger ausfallen dürfen.

Das Buch setzt voraus, dass man Windows fertig installiert auf dem Rechner vorgesetzt bekommt. Das ist jedoch bei schon vorhandenen Computern sicher nicht der Fall. Gerade für Einsteiger hätte ich hier ein Kapitel über die Installation erwartet. An der einen oder anderen Stelle sind die Erklärungen etwas seicht. So wird beim Mailprogramm die relativ einfache Einrichtung von Email-Konten mit einem vorhandenen Microsoft Konto erklärt. Ein solches Microsoft-Konto hat nicht jeder und viele möchten es auch nicht. Die wesentlich komplexere Einrichtung vorhandener Mailkonten bleibt aber außen vor.

Gut gefallen hat mir dagegen, dass auch dem Thema Sicherheit ein eigenes Kapitel gewidmet wurde. Dass dabei allerdings der Microsoft Defender als ausreichender Virenschutz deklariert wurde, halte ich für gefährlich.

Das Buch gibt einen guten Einstieg in Windows 10, ist verständlich geschrieben und nimmt sich der wichtigsten Bereiche von Windows an. Gerade für den Einsteiger bleiben aber einige ärgerliche Lücken. Die Reflektion von Sinn und Unsinn mancher Dinge, wie der Speicherung von Daten in der Cloud, fehlt völlig. So bleibt es eine Anleitung, wie sie auch von Microsoft hätte kommen können.

Bewertung vom 04.01.2017
The Gift of Rain
Eng, Tan Twan

The Gift of Rain


ausgezeichnet

Philip Hutton ist zu einer Feier des 50. Jahrestags der Befreiung von der japanischen Okkupation der Insel Penang eingeladen. Die Rahmenhandlung spielt demnach 1995, der Icherzähler ist zu diesem Zeitpunkt bereits über 70 Jahre alt und hat lange allein auf dem riesigen Familienbesitz Istana gelebt. Tan Twang Eng kann die Innensicht seiner Figuren wunderbar vermitteln. Als Leser spürt man förmlich Philips körperliche Schwäche und die Einsamkeit am Ende seines Lebenswegs auf ihm lasten. Der Besuch der schwer erkrankten Michiko Murakami in Istana soll in ihren letzten Lebenstagen ihrer unerfüllten Liebe Endo Respekt erweisen. Endo war nicht nur Philips Aikido-Lehrer, sondern die Begegnung mit Philips Meister hat im Zweiten Weltkrieg das Schicksal der gesamten englischstämmigen Sippe der Huttons bestimmt. Philip hat immer (nur) auf Istana gelebt. Aus diesem einfachen Satz entwickelt sich der gesamte Roman und sucht nach Antworten auf die Fragen, warum Philip hier allein lebt, ob es einen Erben für sein Unternehmen gibt, was er im Krieg erlebt hat und ob es eine Vorbestimmung gibt, der ein Einzelner nicht entrinnen kann.

Als Philip den Japaner Hayato Endo am Strand vor dem elterlichen Grundstück begegnet, ist die Familie Hutton gerade im Urlaub in England. Philip ist nicht mitgefahren, weil er - anders als seine Halbgeschwister - eine chinesische Mutter hat und sich deshalb auch im damaligen Vielvölkerstaat Malaya nirgendwo dazugehörig fühlt. Die Verpflichtung zwischen dem damals schon ergrauten Meister und seinem Schüler erfolgt in einem Augenblick der Freiheit von väterlicher Kontrolle, auch wenn Philips Vater jederzeit darüber informiert ist, was in seinem Haushalt vor sich geht. Noel Hutton hat dem Japaner eine kleine Insel auf seinem Besitz vermietet und darauf nach dessen Entwurf ein kleines japanisches Haus bauen lassen. Als Japan die Insel Penang okkupiert, steht Philip durch seine Beziehung zu Endo automatisch auf der Seite der Japaner und wird von Briten, Chinesen und Malaiien als Kollaborateur angesehen. Egal, wie er sich an künftigen Weggabelungen seines Lebens entscheiden wird, wird er seine Verpflichtung gegenüber Endo nicht mehr rückgängig machen können und stets auf der falschen Seite stehen. Als Philips chinesischer Großvater warnend auf Philips Verpflichtung gegenüber seiner eigenen Kultur hinweist und vor dem Einfluss des Meisters warnt, ist es bereits zu spät. Natürlich fragt man sich in Kenntnis der Weltgeschichte, was passiert wäre, wenn Philips Vater Noel nicht abwesend gewesen wäre und es nicht zu der lebenslangen Verpflichtung zwischen dem Aikido-Meister und seinem Schüler gekommen wäre.

Tan Twang Eng entwickelt aus dem schlichten Wunsch seiner Figuren, am Ende des Lebens die eigenen Angelegenheiten zu ordnen, mit außergewöhnlichem Talent Einzelschicksale und die regionale Geschichte der Kriegs- und Nachkriegszeit. Es ist nicht einfach sich in die Kultur einer Insel zu versetzten, auf der Herkunft, Nationalität, Muttersprache und Staatsangehörigkeit der Bewohner sich nicht eindeutig voneinander abgrenzen lassen. Philip und seine Geschwister sind in einer Familie britischer Herkunft aufgewachsen, die seit hundert Jahren auf der Insel ansässig ist und in der selbstverständlich die Landessprache und der Dialekt des chinesischen Hauspersonals gesprochen werden. An Philips Beziehungen zu seinen Mitmenschen hat mich besonders die Ebene der Kampfkunst beeindruckt. Philips Aikido-Fähigkeiten und sein Rang in der Kampfkunst bestimmen sein Ansehen, besonders auch in der Beziehung zu Kon Yeap, dem Anführer der chinesischen Triaden auf Penang.

Die Fragen, ob Philip eine Wahl gehabt hätte oder ob man aus der Geschichte lernen kann, bleiben für mich am Ende unbeantwortet - auch das macht die beeindruckende Wirkung von Tan Twang Engs Büchern aus.

Bewertung vom 04.01.2017
Warschauer Verstrickungen / Teodor Szacki Bd.1
Miloszewski, Zygmunt

Warschauer Verstrickungen / Teodor Szacki Bd.1


sehr gut

Der Warschauer Staatsanwalt Teodor Szacki hat es nicht leicht mit Frauen. Seine Kollegin vermüllt das gemeinsame Büro, dass der Szacki'sche Haushalt sich kaum weniger vermüllt zeigt, daran kann nur Teos Frau schuld sein - und zusätzlich sitzt Teo seine äußerst eloquente direkte Vorgesetzte Janina im Nacken. Ach ja, die Kollegen von der Dienstaufsicht sind unfairerweise auch Frauen. Der Mann ist erheblich jünger, als seine weißen Haare vermuten lassen, und hadert zurzeit damit, ob er nicht lieber in ein anderes Leben abtauchen würde.

Teos aktueller Mordfall gehört zu der Sorte, die mich eher davon abschreckt, einen Krimi zu lesen. Doch auf den ersten Seiten führt Zygmunt Miloszewski seine Figuren so fesselnd ein, dass sich die Lektüre dennoch gelohnt hat. Bei einer Familienaufstellung nach Hellinger im Rahmen einer therapeutischen Gruppensitzung kommt es zu dem zitierten Tod durch Bratspieß. Anwesend waren in dem Teil eines Klostergebäudes außer dem Therapeuten vier Klienten. Weil bei dieser Therapieform Familienkonflikte dargestellt werden, erweitert sich die Zahl der beteiligten Personen erheblich, über die Teo Informationen einholen muss. Ein Lesezeichen mit den Namen aller Personen wäre hier nicht schlecht gewesen. "Sie machen immer Fehler," sagt sich Teo und macht sich an die Ermittlungen. Dabei kreuzt eine äußerst attraktive Journalistin Teos Weg und ein "großer Unbekannter" pflegt extrem nützliche Beziehungen zu Polizei und Staatsanwaltschaft. Die Handlung spielt in einem Zeitraum von 6 Wochen im Sommer des Jahres 2005.

Rechnen Sie in diesem Roman mit sehr vielen beteiligten Personen, der sehr ausführlichen Darstellung des Therapie-Wochenendes in den Zeugenaussagen, einer stimmungsvollen Beschreibung des Verhältnisses von Teo zu seiner Stadt - und einer Hauptfigur, die immer wieder Frauen in ermüdender Art anglotzt, während in Teos Umfeld die Gleichstellung von Männern durch Angeglotztwerden längst noch nicht erreicht ist.

Das Buch wurde 2007 bereits für den dtv-Verlag übersetzt.

Bewertung vom 04.01.2017
Glut und Asche / Hackberry Holland Bd.2
Burke, James Lee

Glut und Asche / Hackberry Holland Bd.2


sehr gut

Danny Boy Lorca ist ein Mann mit exzentrischem Weltbild, der von anderen Menschen mit einer Mischung aus Belustigung und Verachtung betrachtet wird. Als junger Mann im Gefängnis erniedrigt und vergewaltigt, lebt Danny Boy heute im amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet u. a. vom Verkauf von Dinosaurier-Eiern, die er auf seinem Grund ausgräbt. Danny-Boy wird Zeuge eines Zusammentreffens zwischen mehreren bewaffneten Männern und einem an einen Gefangenen geketteten Polizisten. Ein Teil des gefesselten Duos wird getötet, der andere Mann kann flüchten. Schauplatz des Vorfalls ist das County von Sheriff Hackberry Holland, Durchgangsstation für illegale Flüchtlinge aus Mexico, in dem diverse Behörden und Grüppchen (z. B. kriminelle Schlepper, die ihre Kunden ausrauben) ihren Geschäften nachgehen. Anschließend an den Vorfall, der Danny Boy in Angst und Schrecken versetzte, fahndet das FBI nach einem verschleppten Beamten der Drogenfahndung und verärgert damit Holland, der einen Fall aus seinem Hoheitsgebiet unter keinen Umständen an die Bundesbehörde abgeben will. Holland ist über 70, hat in den 50ern drei Jahre Kriegsgefangenschaft in Nordkorea überlebt und ähnelt mit seiner traumatischen Vergangenheit anderen Beteiligten verblüffend. In seinem Alter verschwimmen die Flashbacks aus der Gefangenschaft mit der auch für nicht traumatisierte alte Menschen nicht ungewöhnlichen Dominanz der Vergangenheit. Gefolterte, erniedrigte, körperlich und seelisch gezeichnete Männer treffen hier aufeinander.

Der einmal geschiedene und einmal verwitwete Holland lebt allein auf einer Farm; sein Tagesablauf unterscheidet sich nur wenig von dem seines Großvaters. Pam Tibbs, weiblich und einer seiner Deputy Sheriffs, schwärmt rührend für ihren Boss, wirft mit ihrem Beschützerinstinkt für Holland aber auch die Frage auf, ob der alte Mann den Kriminellen in seinem Revier noch gewachsen sein wird. Eine weitere Beteiligte ist eine Asiatin mit dem verwirrenden Namen Anton Ling, von der berichtet wird, dass sie in Form einer Underground Railroad Flüchtlinge aus Mexico unterstützt und ihnen auf ihrem Grund Unterschlupf gewährt. Den Antagonisten der Geschichte stellt ein fanatischer selbsternannter Messias dar, der sich Reverend Cody Daniels nennt, zahlreiche Morde begangen hat und sich offenbar immer dort breit macht, wo die Polizei schwach besetzt ist oder Schwäche zeigt. Dass Cody in Hollands Revier auftaucht, ist kein gutes Zeichen und lässt einen darüber grübeln, wieso ein Mann wie er noch auf freiem Fuß sein kann. Die Beteiligten belauern und beobachten sich nun im gnadenlosen Wüstenklima gegenseitig, wer von ihnen standhält, wer zuerst weicht oder Schwäche zeigt.

James Lee Burke zeigt sich im dritten Band um Sheriff Holland als geduldiger, oft ausschweifender Erzähler, der in unvergesslicher Weise jeden Farbton eines Regenbogens über der Wüste vermitteln kann, sich aber auch alle Zeit der Welt nimmt, seine Figuren zu beschreiben. Nicht immer kommen die Beschreibungen der knorrigen, vom Wind ausgetrockneten Figuren ohne Pathos aus.

Bewertung vom 04.01.2017
Morgenland
Abarbanell, Stephan

Morgenland


sehr gut

Lilya Wasserfalls Eltern sind aus Deutschland nach Palästina ausgewandert (das seit 1920 unter britischem Mandat verwaltet wird) und arbeiten in Jerusalem als Ärzte für den Gewerkschaftsbund. Lilya ist in Palästina geboren und aufgewachsen. Die junge Frau wurde in der Widerstandsbewegung gegen die britische Regierung militärisch ausgebildet und wartet auf ihren "großen" Einsatz. Doch stattdessen erhält Lilya 1946 einen Ermittlungsauftrag in Europa übertragen, von dem sie annimmt, er soll sie hauptsächlich dem Widerstandskampf fernhalten. Beauftragt wird sie vom bekannten Autor Elias Lind mit der Suche nach seinem verschollenen älteren Bruder Raphael. Die Aufzeichnungen, die Elias seiner Ermittlerin mitgibt, geben Einblick in die Schicksale eines durch den Holocaust getrennten Brüderpaars. Während Elias Deutschland aufgrund des Nationalsozialismus verlässt, bleibt Raphael, kann als Forscher sogar unter dem Namen eines Kollegen veröffentlichen. Wichtiges Indiz auf Lilyas Suche ist ein Buch der Bücher aus Raphaels Besitz, der gedruckte Katalog seiner privaten Bibliothek, die er als ältester Sohn - und weil er nicht ins Exil ging - vom Vater erbte. Die Bücher sind verschollen und der Katalog könnte indirekt zum Auffinden der Bibliothek und damit einer Klärung von Raphaels Schicksal beitragen. Unter den Fittichen von Hilfsorganisationen und Unterstützern, die Unterkunft und Fahrgelegenheiten im zerstörten Deutschland für sie organisieren, reist Lilya über London nach Deutschland. Sie verfolgt Spuren im Lager für Displaced Persons in Föhrenwald bei München und an weiteren Stationen. Jeder der Lagerbewohner befindet sich auf der Suche nach Angehörigen und wartet auf die Ausreise aus Deutschland. Auf ihrer Reise werden Lilya wie von Zauberhand Hürden aus dem Weg geräumt, die es kurz nach dem Zweiten Weltkrieg im besetzten Deutschland für andere Personen gegeben hätte.

Für Lilya ist die Suche nach Raphael Lind eine Durchgangsstation; denn sie hatte ursprünglich andere Pläne. Ihre Auftraggeber erwarten von ihr sachliche Berichte aus Deutschland. Das kleine Palästina wird nicht alle auswanderungswilligen Juden aus den Übergangslagern aufnehmen können. Mit Lilas Berichten soll u. a. den USA die Dringlichkeit der Situation verdeutlicht werden. Sie selbst sieht die Verwaltung des Elends in den Besatzungszonen jedoch kritisch und hat klare Vorstellungen, wie die Menschen in den Lagern konkret ausgebildet und unterrichtet werden könnten, um möglichst bald ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Ein höchst aktuelles Thema also, dessen Aktualität wohl noch nicht vorauszusehen war, als das Buch verfasst wurde.

Der Ansatz eine Figur das Nachkriegsdeutschland erleben zu lassen, die den Nationalsozialismus selbst nicht direkt erlitten hat, machte mich auf Abarbanells Roman aufmerksam. Die junge Lylia aus Palästina wahrt in ihrer Beobachterrolle weitgehend Distanz zu ihren Beobachtungen, so dass ihre abenteuerliche Spurensuche trotz des Brudermotivs und der stimmungsvollen Beschreibung Jerusalems den Kopf stärker anspricht als das Herz.

Bewertung vom 04.01.2017
Lila
Robinson, Marilynne

Lila


ausgezeichnet

Reihenfolge des Erscheinens: Gilead, Home, Lila
Zeitliche Reihenfolge der Handlung: Lila, danach etwa parallel Gilead und Home
Home kann als Band 2 der Gilead-Serie gesehen werden, aber auch als Einzelband mit Fokus auf eine weitere Person.

Als die Wanderarbeiterin Doll das verschüchterte kleine Mädchen auf ihre Hüfte hob und mit ihm davonging, ließ die Kleine ihren gesamten Besitz auf der Terrasse eines heruntergekommenen Hauses zurück: ihre Puppe aus einer Kastanie und einem Stück Stoff. Das Kind ist krank, verschüchtert und vernachlässigt. Obwohl sie selbst auf der Straße lebt, versorgt Doll die Kleine liebevoll. Selbst darüber, wie sie Lila den Schulbesuch ermöglichen kann, hat Doll nachgedacht. Sie und das zunächst noch namenlose Mädchen fühlen sich wie die beiden einsamsten Menschen der Welt. Wanderarbeiter wie Doll ziehen in Gruppen durchs Land auf der Suche nach Tagelöhner-Arbeit auf Farmen und in Privathäusern. Um beim Leben auf der Straße Schutz für sich und das Findelkind zu finden, schließt Doll sich einer Gruppe von Wanderarbeitern mit ihrem Anführer Douane an. Acht Jahre lang ziehen Doll und Lila mit Douanes Leuten durchs Land. Doch viele Farmer müssen aufgrund der Dürre aufgeben und können keine Tagelöhner mehr beschäftigen. - Die Handlung spielt in den USA in den 20ern des letzten Jahrhunderts während der Wirtschaftskrise und einer katastrophalen Dürreperiode. Ereignisse der Gegenwart und Lilas Erinnerungen auf zwei verschiedenen Zeitebenen wechseln sich ab. Heute ist Lila erwachsen und erinnert sich ohne Groll an ihre Kindheit. Sie lebt zu Beginn der 50er Jahre zusammen mit John Ames, dem Prediger, der in 'Gilead' als 75-Jähriger als Vermächtnis für seinen kleinen Sohn Rechenschaft über sein Leben ablegt. Der Ort Gilead in Iowa steht für die vergessene Geschichte des mittleren Westens der USA. Lila erwartet John Ames Kind, aber sie ist sich noch lange nicht klar darüber, ob sie bleiben oder weiterziehen wird. Sie spürt die Verpflichtung, ihrem Kind einmal alles über den Vater zu erzählen und damit Wissen mitzugeben, das in ihrem Leben fehlt. Johns erste Frau, sein Kind und seine im Kindesalter verstorbenen Geschwister liegen in Gilead begraben. Indem sie sich um die Gräber der Ames und um Johns Garten kümmerte, hat Lila das Herz des betagten Predigers erobert. Dennoch kann Ames nicht sicher sein, ob sie und das erwartete Kind bei ihm bleiben werden. Für ein Leben als Pfarrersfrau hat Lila auf der Straße nichts gelernt. Ames bemüht sich, ihr alle Freiheiten zu lassen, doch die Damen der Gemeinde beginnen, Lila ihren Vorstellungen von einer Pfarrersfrau anzupassen. Wie kann Lila zu sich selbst finden, wenn sie und das Kind Besitz der Gemeinde sind? Lila taktiert sehr genau, welches Wissen über ihr Leben sie öffentlich macht und welchen Teil sie für sich behält. - Aus "Gilead" hatte ich bereits eine konkrete Vorstellung von John Ames und seiner Beziehung zu Lila, da das Buch den Focus auf John legt. Die Handlung beider Romane fügt sich nun zu einem Gesamtbild zusammen. In diesen beiden Bänden der Gilead-Reihe findet der entscheidende Teil der Geschichte im Kopf des Lesers statt. Selten habe ich so lange über das nachgedacht, was in einem Roman nicht ausgesprochen wird. Was ist vor Lilas Zusammentreffen mit Doll passiert? Woher wusste Doll instinktiv, was ein kleines Kind brauchte? Kann ein Kind wie Lila die Defizite aus seinen ersten Lebensjahren je wieder aufholen? Wie ein Positiv aus einem Negativ entstehen würde, so stellt Marilynne Robinson grundlegende menschliche Bedürfnisse nach Nähe und Sicherheit den Folgen gegenüber, wenn diese Grundbedürfnisse nicht erfüllt werden. Unabhängig von der literarischen oder spirituellen Bedeutung des Buches wird hier allein auf der Ebene der Einfühlung in die Figuren in origineller, in die Zeit der Handlung passender Sprache von zwei ungewöhnlichen Menschen erzählt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.01.2017
Die Stellung
Wolitzer, Meg

Die Stellung


sehr gut

Roz und Paul Mellow beschlossen, dass vier Kinder gut einmal aufeinander aufpassen könnten, und gönnten sich einen Abend zu zweit. Die Eltern konnten nicht wissen, dass ihre Kinder an diesem denkwürdigen sturmfreien Abend unter Führung des Zweitältesten "das Buch" aus seinem Versteck holen und gemeinsam betrachten würden. Die Mellows hatten "Pleasuring", ein Buch über Sexualität, veröffentlicht, in dem sie selbst, von einem Künstler gezeichnet, beim Sex zu sehen sind. Eingequetscht zwischen "Unten am Fluss" und dem Hundebuch hatte das Buch ein unauffälliges Dasein geführt - bis zu diesem Tag. Tochter Holly ist damals 15, Michael 13, Dashiel und Claudia sind noch im Grundschulalter. In den 70ern hatte buchstäblich jedes amerikanische Paar das Buch im Regal, so dass die vier Kinder sich im weiteren Leben stets als "Sex-Mellows" abgestempelt fühlen werden. Kurz nach der Veröffentlichung des Buches scheitert die Ehe der Eltern, die Familie ist inzwischen in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Immerhin finanzieren die Einnahmen aus dem Buch die Ausbildungen der Kinder; für amerikanische Verhältnisse ein beachtlicher Vermögenswert. Vom Auslöser der Trennung als Clou des Ganzen erfährt man als Leser erst zum Ende der Handlung. In der Gegenwart hat Michael Mellow, inzwischen rund vierzig Jahre alt, ausgerechnet mit sexuellen Problemen zu kämpfen. Der jüngere, inzwischen schwer kranke, Dashiel wird seinen Eltern ein Leben lang übelnehmen, dass ihr Buch allein heterosexuellen Sex zeigt und er als Homosexueller darin nicht vorkommt. Nun soll Pleasuring neu illustriert und neu aufgelegt werden. Roz ist ihre Bekanntheit durch das Buch sehr wichtig, Paul dagegen interessieren weder die Einnahmen durch die Neuauflage, noch gönnt er seiner Frau die Aufmerksamkeit, die sie dadurch erfahren würde. Michael soll nun in Roz Interesse mit seinem Vater verhandeln und reist dazu ans andere Ende des amerikanischen Kontinents, wo Paul inzwischen lebt.

In langen Rückblicken wird das Kennenlernen von Roz und Paul eingeschoben, wie auch die Entwicklung der Geschwister bis in die Gegenwart. Bereits die Familiengeschichte der Mellows bedeutet für das Paar eine Bürde und ist nicht ohne Komik. Roz Vater war Psychiater, Paul lernt seine Frau zur Zeit seiner Ausbildung zum Psychotherapeuten kennen. Vom Roman einer Familie mit vier Kindern hatte ich eigentlich mehr Dynamik in der Geschwisterbeziehung erwartet, doch die Einzelschicksale bleiben durch die räumliche Trennung vereinzelt. Ungewöhnlich für Vertreter der 70er Jahre fand ich, dass sich am Ende nur für die Söhne ein Kreis schließt, während eine Tochter völlig überfordert von der Familie Abstand hält und die andere obsessiv in ihrer Vergangenheit forscht.

Um Meg Wolitzers neuen Roman zu mögen, muss man Sinn für die peinlich-komische Schlüssel-Situation haben, wenn zwei Pubertierende gemeinsam mit ihren kleinen Geschwistern ihre Eltern in einem Aufklärungsbuch beim Sex betrachten und wenig später realisieren, dass im ganzen Land alle anderen Menschen diese Bilder auch betrachten. Auch wenn die Handlung völlig anders verlief, als ich es mir vorgestellt hatte, bleibt von Wolitzers Buch die Erinnerung an hochkonzentrierte Tragikomik zurück.

Bewertung vom 04.01.2017
Das gläserne Meer
Weil, Josh

Das gläserne Meer


sehr gut

Hektarweit breitet sich in Russland eine riesige Fläche aus Glasplatten über der Oranzeria aus, dem größten Gewächshaus der Welt, das rund um die Uhr mithilfe von Spiegeln im Weltraum beleuchtet wird. Das größenwahnsinnige Bauwerk wirkt wie eine Halskrause, die jemand der Welt umgelegt hat. In diesem monströsen Projekt arbeiten wie in einer Fabrik zur Erzeugung von Lebensmitteln die Zwillingsbrüder Dimitri und Jaroslaw. Sie selbst sind vaterlos in einer winzigen Hütte aufgewachsen und haben Märchen erzählt bekommen, in denen sie selbst vorkommen. Die Handlung spielt in der Gegenwart, der Afghanistan-Krieg ist bereits Geschichte. Weil ständig Licht verfügbar ist, gibt es keine Winternächte mehr, im ewigen Sommer fehlen den Pflanzen Phasen der Dunkelheit, Tiere geraten durch die Lichtüberschwemmung in Panik. Die Meere erholen sich zwar von der Überfischung, aber der Schiffbau stagniert. Vom Betreiber-Konsortium, dem das Licht gehört, sind die Menschen abhängig geworden. Jarik bekommt das zuerst zu spüren; er hat Frau und Kinder und wagt deshalb keinen Widerspruch. Als die Brüder vom Vorarbeiter in unterschiedliche Schichten eingeteilt werden, beginnt eine Entfremdung zwischen ihnen, die schon bald groteske Züge annimmt. Das ehemals enge Band zwischen Dima und Jarik hat sich verdreht. Mit einem angepassten und einem regimekritischen Bruder stehen sich alte und neue Welt gegenüber. Das überdimensionierte Gewächshaus erweist sich in dieser Größe als unregierbar; der Druck des Systems auf die Arbeiter wächst. Dennoch will der Milliardär Basarow weiteres Land für das Projekt aufkaufen, ein Städter, der nie einen Fuß auf ein Feld gesetzt hat. Wenn niemand mehr Freizeit hat, braucht niemand mehr Datschen auf dem Land; den Aufkäufern sind damit Tür und Tor geöffnet.

Plötzlich sind Dima und Jarik nicht nur als Arbeiter von den Expansionsplänen betroffen, sondern auch als Erben eines winzigen Häuschens, in dessen Hof ihr Vater begraben liegt. Dima fragt sich, ob man die Zivilisation nicht einfach ignorieren und so leben kann wie seine Großeltern. Als Einzelgänger und Querdenker ist er in diesem dystopischen Szenario isoliert und wird zunehmend in eine radikale Ecke gedrängt. Er will den elterlichen Hof zurückkaufen und das alte Wissen aus der Landwirtschaft erhalten, das mit der Automatisierung gerade verloren geht.

In seinem in der deutschen Ausgabe märchenhaft illustrierten Buch von üppigen 670 Seiten stellt der amerikanische Autor mit zwei Brüdern zugleich zwei Seiten einer Medaille gegenüber, bringt Licht und Dunkelheit, Aufstieg und Abstieg, Gesundheit und psychische Krankheit als Motive ein. Der systemkritische Bruder nimmt besonders den schimmernden Rand des Szenarios wahr, in dem man den Rand der Gesellschaft oder auch den Rand der Realität sehen könnte.

Josh Weil war als Jugendlicher in Russland als Austauschschüler und kommt mit seinem utopischen Roman eines Bruderkonflikts der russischen Seele erstaunlich nahe. Diese Seele enthält jedoch einen amerikanischen Kern; denn seine Figuren kennen amerikanische Truthähne, Rugby und Kordeln mit Metallspitzen anstelle von Krawatten. Bei Weil scheint alles schön und gut zu sein, solange die Russen wenigstens in Details dem amerikanischen Traum nacheifern.