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hasirasi2
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Dresden

Bewertungen

Insgesamt 1115 Bewertungen
Bewertung vom 15.02.2022
Die Macht der Worte / Die Buchhändlerin Bd.2
Thorn, Ines

Die Macht der Worte / Die Buchhändlerin Bd.2


sehr gut

Fremd im eigenen Leben

… fühlt sich Christa oft. Für ihre ehemaligen Schulfreundinnen ist sie zu progressiv, weil sie nicht deren Träume teilt („Man ist ja erst wirklich eine Frau, wenn man verheiratet ist und Kinder hat …“ (S. 133)), sondern eine Karriere anstrebt. Für die nachfolgende Generation ist sie zu konservativ, weil es für sie selbstverständlich ist, sich um den Haushalt zu kümmern.
Dabei hatten die 50er so gut angefangen. Christa arbeitet gern in der Buchhandlung und liebt ihren Lesekreis, schreibt an ihrer Doktorarbeit und will danach als Lektorin arbeiten, kümmert sich liebevoll um den adoptierten Heinz und ist mit Werner, dem Lebensgefährten ihres Onkels Martin, verheiratet, damit diese trotz §175 den Schein waren können. Nur ihr Wunsch nach einer leidenschaftlichen Ehe und eigenen Kindern kommt dabei zu kurz.

„Die Macht der Worte“ schließt fast nahtlos an den ersten Band „Die Buchhändlerin“ an. Christa, Werner und Heinz bilden eine kleine, ungewöhnliche Familie, in der alle ihre Freiheit haben. Werner lebt abwechselnd bei ihr und Martin in Basel, Christa führt eine glückliche Beziehung mit dem Dichter Jago, ihre Doktorarbeit ist fast fertig geschrieben. Doch Jago will mehr, eine richtige Familie mit eigenen Kindern. Sie soll sich scheiden lassen und ihn heiraten. Da eröffnen ihr plötzlich zwei Schicksalsschläge neue Wege, aber um welchen Preis will sie die gehen?! „Sie führte ein Leben, das sie so nie gewollt hatte. Sie spürte immer drängender, dass es Zeit war, etwas zu ändern. Grundsätzlich zu ändern.“ (S. 43)

In ihrer Fortsetzung beschreibt Ines Thorn Christas Leben in den Jahren 1951 bis 1968. Es ist eine sehr bewegte Zeit, die Welt im ständigen Wandel, dabei sind die Wunden des Krieges noch nicht mal verheilt und zu vieles wird einfach verdrängt.
Christa muss ihre Rolle als Frau in der Familie und Gesellschaft immer wieder überdenken und ggf. neu definieren, aber das Selbstbewusstsein der nachfolgenden Generation ist selbst ihr nicht geheuer. Sie verliert ihre eigenen Wünsche und Träume aus den Augen, fühlt sich für das Glück aller anderen verantwortlich und nimmt ihnen alles ab, da kommen dann eben doch die Ansichten ihrer Mutter und die Erziehung in der Bräuteschule durch. Doch auch, als sich ihr Traum von der eigenen Familie endlich erfüllt, ist sie nicht glücklich, weil sie dafür einen anderen aufgeben muss ...

Die Autorin zeichnet ein sehr umfangreiches und lebendiges Bild der damaligen Zeit, lässt Musik, Kinofilme und vor allem die neueste Literatur einfließen. Ich habe mich gern wieder in den Strudel von Christas aufregendem und nicht alltäglichem Leben reißen lassen und mit ihr mitgefiebert, konnte aber auch ihr Schweigen verstehen, und dass sie ihre größten Geheimnisse mit niemandem teile wollte oder konnte.
Auch Deutschlands Vergangenheit und aktuelle Ereignisse spielen hier eine große Rolle, die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen, Studentenunruhen, Aufstände und der Bau der Berliner Mauer. Außerdem werden Themen wie der §175, das Gleichberechtigungsgesetz, Abtreibung und (sexuelle) Gewalt in der Ehe behandelt. So lange diese Dinge Christa oder ihr direktes Umfeld betrafen, fand ich das wirklich spannend, aber ein paar Mal hat sich die Handlung für mich leider in Nebensächlichkeiten verloren oder wurde zu ausufernd.

Bewertung vom 15.02.2022
Ein Fest im kleinen Friesencafé / Das kleine Friesencafé Bd.2
Mommsen, Janne

Ein Fest im kleinen Friesencafé / Das kleine Friesencafé Bd.2


sehr gut

Dunkle Wolken über Föhr

„Dreißig ist Melancholie für Anfänger.“ (S. 123)
Der Herbst mit seinen Sturm- und Gewitterwolken zieht langsam auf und drückt auch auf Föhr die Stimmung. Julias Café ist gut angelaufen, aber sie muss mehr einnehmen, um über den Winter zu kommen und so vermietet sie es u.a. für Tanzstunden. Als sie den Auftrag bekommt, eine Silberhochzeitsparty auszurichten, wittert sie ihre Chance – wenn die Feier richtig toll wird, folgen bestimmt weitere. Voller Elan stürzt sie sich in die Vorbereitungen und lenkt sich damit gleichzeitig von ihrem Kummer ab, weil aus ihr und Bürgermeister Finn-Ole kein Paar geworden ist.
Bei ihrer Oma Anita und Kapitän Hark läuft es besser. Die beiden leben inzwischen zusammen und planen eine mehrmonatige Reise mit der „Nordsand“. Doch als Anita sie bei einem Tanzkurs anmeldet und der Lehrer die neuen Schritte ausgerechnet immer mit ihr vorführt, kocht bei Hark die Eifersucht hoch und er lässt sich zu einigen Dummheiten hinreisen.

Bei diesem Wetter und den Einschränkungen durch Corona sehnt man sich nach einer Auszeit irgendwo anders. Ich reise dann wenigstens in Büchern gern ans Meer.

Julia und Anita sind endlich auf Föhr angekommen. Anita genießt ihre Rente und das Zusammensein mit Hark, krempelt sein Leben aber ordentlich um. Er war lange Witwer und für sie ist es die erste richtige Beziehung überhaupt. Diese späte Liebe hat mich sehr berührt und ich konnte mich auch in die Probleme und Eifersüchteleien gut einfühlen, denn als sich Hark plötzlich komisch verhält, beginnt auch Anita an seiner Liebe zu zweifeln.
Julia hat gleich mehrere Sorgen. Wenn sie nicht genug verdient, muss sie das Café wieder aufgeben und vielleicht sogar zurück nach Gelsenkirchen gehen. Außerdem weiß sie nicht, wie sie Finn-Ole verständlich machen kann, dass sie an ihm interessiert ist. Ich bin ja ein Freund klarer Ansagen und konnte ihre Zurückhaltung in dieser Beziehung nicht ganz nachvollziehen. Dafür hat mir gefallen, wie sie bei den Vorbereitungen für die Party ganz Föhr einbezieht, neue Freunde findet und Menschen verbindet, die bis dahin im Clinch lagen. Außerdem setzt sie auf Regionalität – alle Beteiligten und die Zutaten für das Essen kommen von der Insel, dieser Nachhaltigkeitsgedanke passt sehr gut in unsere Zeit.

Janne Mommsen verzaubert mich wie schon im ersten Band „Das kleine Friesencafé“ durch die Beschreibungen der Insel und macht Sehnsucht auf einen Törn nach Helgoland und eine Wattwanderung nach Amrum – einmal wieder denn Schlick zwischen den Zehen spüren und nach Wattwürmern buddeln … Denn wie sagt Hark so schön: „Mitten auf dem Meer kann man gar nicht so unglücklich sein.“ (S. 184)!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.02.2022
Ein Bistro in der Bretagne
Anger, H. K.

Ein Bistro in der Bretagne


gut

Chez Sophie

Sophie ist wegen der Beerdigung ihrer besten Freundin in die Bretagne gereist, als beim Trauermahl im Bistro ein Gast nach dem Verzehr einer Jakobsmuschel tot zusammenbricht. Die Umstände sind nicht ganz eindeutig, es könnte ein Herzinfarkt oder eine Vergiftung gewesen sein. Sophie kennt sich da ein bisschen aus, schließlich hat sie ein paar Semester Biologie studiert. Sie ist schon fast auf dem Heimweg, als die Besitzerin des Bistros sie bittet, als Köchin einzuspringen, da sie nach dem Tod ihres Mannes noch keinen neuen Küchenchef gefunden hat und Sophies als ambitionierte Hobbyköchin bekannt ist. In Deutschland hält sie nichts, ihr Mann hat sie nach 25 Jahren aus dem Haus geworfen, weil er eine Neue hat. Es gibt da nur ein Problem – Sophie ist Vegetarierin und kann kein Fleisch zubereiten, aber das bekommt der Beikoch geradeso hin. Und wenn sie schon dableibt, kann sie auch ermitteln. Unterstützt wird sie dabei von dem pensionierten Arzt Bonnet.

„Ein Bistro in der Bretagne“ ist ein netter Urlaubskrimi mit viel Bretagne-Flair und leckerem Essen, aber für mich nicht so richtig rund. Der Dorfpolizist sieht über eindeutige Hinweise hinweg, wenn sie seine besten Freunde betreffen oder er Liebeskummer hat, dafür gleicht er mit den Hobbyermittlern im Bistro regelmäßig die neuesten Erkenntnisse ab. Sophie wird mehrfach überfallen, aber der Täter hinterlässt nie eine Spur. Ihr Fast-Ex-Mann, der sie aus dem Haus geworfen und die Konten geräumt hat, fordert auch noch Unterhalt von ihr, obwohl sie nur Übersetzerin und er ein gutverdienender Orthopäde ist?! Da ist die Autorin m.E. etwas übers Ziel hinausgeschossen.

Bei ihren Nachforschungen stoßen Sophie und Bonnet auf engagierte Umweltschützer, die einen Offshore-Windpark verhindern wollen, und eine Investorengruppe, die einen zweiten Parc Astérix plant und den alteingesessenen Einwohner ihre Häuser und Geschäfte abkaufen will – ist der Tote einem von ihnen in die Quere gekommen?
Außerdem geht es um Druiden, Austernbänke, Überfischung, Fangquoten und Probleme mit britischen Fischern – Themen, die es z.T. auch in den Reihen um Kommissar Dupin und Commissaire Luc Verlain schon gab, hier aber nicht ganz so spannend erzählt werden.
Auch den zweiten Handlungsstrang um die vietnamesische Studentin hätte es für mich nicht gebraucht.

Mein Fazit: Ein netter Urlaubskrimi mit leckeren bretonischen und vegetarischen Rezepten im Anhang, aber für mich stellenweise zu konstruiert.

Bewertung vom 11.02.2022
Die Begine und der Turm des Himmels
Stolzenburg, Silvia

Die Begine und der Turm des Himmels


ausgezeichnet

Unfall oder Strafe Gottes?

Die Begine Anna Ehringer hofft seit einem halben Jahr, dass der Siechenmeister Lazarus endlich den Heilig-Geist-Orden verlassen und sie heiraten darf, doch noch fehlt die Bestätigung aus Rom. In dieser angespannten Situation passieren auf der Baustelle des Ulmer Münsters ungewöhnlich viele Unfälle. Den meisten Einwohnern ist das hohe Gebäude suspekt – preisen sie damit wirklich Gott oder ziehen sie seinen Unmut auf sich?! Oder zürnt er ihnen wegen etwas ganz anderem?
Der Magister Hospitalis (Spitalmeister) nutzt diese Unsicherheit, um Stimmung gegen die Beginen zu machen und gleich 3 Probleme auf einmal zu lösen. Er will Annas Bruder Jakob schaden, der als Spitalpfleger sein Vorgesetzter ist und seine Kompetenzen immer weiter einschränkt. Zudem möchte er Lazarus` Austritt aus dem Orden um jeden Preis verhindern und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Beginen sich endlich vorbehaltlos den Franziskanerinnen anschließen und dadurch ihre Unabhängigkeit und ihr Vermögen verlieren. Ein Spielmann, der mit seinem Lied Stimmung gegen die Beginen macht und gut damit verdient, spielt ihm unbewusst zu.
Die Situation heizt sich immer weiter auf, bis sich Anna nicht mehr bremsen kann. Sie stellt auf eigene Faust Ermittlungen an und gerät prompt wieder in Gefahr …

Ein Jahr habe ich auf die Fortsetzung gewartet und gehofft, dass Anna und Lazarus endlich heiraten dürfen, aber Gottes Mühlen (und die der Kirche) mahlen langsam. Die beiden Verliebten sind voller Vorfreude auf ihre gemeinsame Zukunft, haben aber auch Bedenken, denn sie hatten nie ein weltliches Leben geplant. Und was sollen sie dann beruflich machen? Sie gehen in der Behandlung und Pflege der Kranken im Spital auf, dort dürfen aber nur Angehörige der Kirche arbeiten. Zum Glück setzt Annas Bruder Jakob alles daran, ihnen ein neues Leben zu ermöglichen – natürlich nicht ganz uneigennützig, schließlich will er der nächste Bürgermeister werden und eine umstrittene Begine passt nicht in seine Karrierepläne.

„Die Begine und der Turm des Himmels“ ist wieder ein richtig toller Histo-Schmöker, den ich kaum aus der Hand legen konnte. Silvia Stolzenburg schreibt sehr atmosphärisch über das Leben und Arbeiten zur damaligen Zeit, die politischen Ränkespiel und den herrschenden (Aber-)Glauben. Besonders interessant in dieser Reihe finde ich die verschiedenen Behandlungsmethoden: Ich sag mal so, ihr wolltet damals keine Kopfwunde haben … Durch Jakob bekommt man außerdem einen guten Einblick, wie das Familienleben funktionierte und die nachfolgende Generation langsam in das Geschäft eingearbeitet wurde.

Aber natürlich ist das Buch in erster Linie ein wirklich spannender Krimi, dessen Auflösung mich echt überrascht hat. Da der Baumeister überzeugt ist, dass Unfälle zum Alltag gehören, wird nämlich lange gar nicht überprüft, ob diese zufällig passieren, von Menschenhand ausgelöst wurden oder doch eine Strafe Gottes sind. Selbst Anna ist irgendwann verunsichert, ob nicht vielleicht sie daran schuld ist, weil sie einen Mönch (Lazarus) vom rechten Weg abgebracht hat …

Leider war auch dieser Band viel zu schnell ausgelesen. Ich bin schon sehr gespannt, wie es mit Anna und Lazarus weitergeht.

Bewertung vom 10.02.2022
Mrs Potts' Mordclub und der tote Nachbar / Mord ist Potts' Hobby Bd.1 (2 MP3-CDs)
Thorogood, Robert

Mrs Potts' Mordclub und der tote Nachbar / Mord ist Potts' Hobby Bd.1 (2 MP3-CDs)


ausgezeichnet

Glaube, Liebe, Hoffnung

„Ob es klug war, einem Mann gegenüberzutreten, der vielleicht ein Mörder war?“
Mrs. Judith Potts ist 77, seit 50 Jahren Witwe und etwas exzentrisch. Sie liebt Whiskey, Logikrätsel und Nacktschwimmen in der Themse, die direkt hinter ihrem alten Herrenhaus fließt. Außerdem entwirft sie seit Jahrzehnten kniffelige Kreuzworträtsel für überregionale Zeitschriften.
Als sie eines Abends beim Schwimmen einen Schrei und einen Schuss vom Nachbargrundstück hört, ruft sie die Polizei – doch die finden keine Anhaltspunkte für ein Verbrechen. Aber Judith ist überzeugt, dass ihr Nachbar ermordet wurde und entdeckt die Leiche. Und bei dem einen Mord bleibt es nicht …

Judith macht dem Eindruck einer liebenswerten alten Dame, doch sie ist mit allen Wassern gewaschen und hat kein Problem damit, andere mit ihrem Charme zu umgarnen oder sich hilflos zu stellen. So spannt sie einfach die Pfarrersgattin Becks und Hundesitterin Suzie für ihre Ermittlungen ein. Und als die zuständige Polizistin sieht, dass das dynamische Trio mehr erreicht als sie und ihre ständig unterbesetzten und überlasteten Kollegen, stellt sie die drei Ladies als zivile Berater ein.

Robert Thorogood hat mit Judith, Becks und Suzie drei bodenständige und sehr liebenswerte Ermittlerinnen mit kleinen Macken geschaffen.
Becky wirkt leicht neurotisch und hat einen Putzfimmel, immer muss alles perfekt sein. Ihr Mann war früher Banker und der „Abstieg“ zur Pfarrersgattin macht ihr zu schaffen. Sie fühlt sich einsam, verloren und orientierungslos, wird in ihrer Familie nicht mehr beachtet, sondern als gegeben hingenommen. Außerdem ist sie überängstlich und will sich eigentlich aus allem raushalten, aber durch die Ermittlungen fühlt sie endlich wieder lebendig.
Suzie lebt wie Judith sehr zurückgezogen, hat kaum Kontakt zu Menschen, dafür bedeuten ihr Tiere alles. Mit Judith und Becky hat sie endlich Freundinnen und wächst am Ende sogar über sich hinaus.

„Mrs Potts’ Mordclub und der tote Nachbar“ ist der Auftakt einer neuen Reihe und ich hoffe, dass die drei Damen noch oft zusammen ermitteln. Der Fall ist sehr spannend, weil es zwar genügend Verdächtige gibt, die aber leider Alibis haben. Ich war mehrfach überzeugt endlich zu wissen, wer der Täter ist, und lag immer falsch. Das Miträtseln hat mir großen Spaß gemacht und ich habe die überraschenden Wendungen und den filmreichen Showdown sehr genossen.
Ich mag das Genre der Cosykrimis sehr und fand es gut, dass Judith zu Lösen des Falls letztendlich nur ihren Verstand, eine Dose Fruchtbonbons und einen Bleistift benötigt hat ;-). Die Sprecherin Christine Prayon hat die verschiedenen Charaktere sehr überzeugend gesprochen.

Ach ja, wenn Ihr wissen wollt, was es mit „Glaube, Liebe, Hoffnung“ auf sich hat, werdet Ihr das Buch leider selber hören oder lesen müssen. Ihr werdet es sicher nicht bereuen. Außerdem gibt es in Judiths Haus „DAS“ Zimmer, in dem sich ihr größtes Geheimnis verbirgt. Na, seid Ihr jetzt neugierig geworden?!

Bewertung vom 09.02.2022
Leipziger Zeitenwende
Müller, Gregor

Leipziger Zeitenwende


sehr gut

Der humpelnde Heilige

Kriminalcommissar Joseph Kreiser jagt Ende 1899 eine Bande, die ungültige Lottoscheine verkauft. Bei seinen Ermittlungen stolpert er über den Freitod einer jungen Prostituierten, für den es keine Erklärung gibt. In ihrem Zimmer findet er ein Pamphlet zum baldigen Weltende, außerdem wurde ein schwarz gekleideter humpelnder Mann am Tatort gesehen. Sein Vorgesetzter ist nicht begeistert, dass Kreiser den Fall nicht einfach abheftet. Der nächste Selbstmord ist ebenfalls ungewöhnlich in seiner Art der Ausführung, doch der verdiente Kriegsveteran muss sich selbst gerichtet haben, schließlich war sein Zimmer von innen verschlossen. Aber auch bei ihm wird das Pamphlet zur Johannesapokalypse gefunden und ein schwarz gekleideter humpelnder Mann wurde in der Nähe gesehen – und das war noch nicht der letzte Tote!
Als „Strafarbeit“ muss sich Kreisler zusätzlich um die täglichen Pressemeldungen der Polizei kümmern: „Mir scheint, Sie haben den Überblick verloren, was wir bei der Polizei zu tun haben und weshalb wir das alles tun.“ (S. 84) Dabei lernt er einen Journalisten kennen, der ihm auf den Kopf zusagt, dass weiß, warum Kreiser ewiger Junggeselle ist und ihm damit echt gefährlich werden könnte …

Joseph Kreiser hat nicht leicht, denn er steht wieder mal zwischen den Fronten. Seinen Chef interessiert nur die Lottobande, aber Staatsanwalt Möbius ist wie er überzeugt, dass die Selbstmorde keine waren. Auch seine Vermieterin Hannah Faber, der er allabendlich von seinen Ermittlungen erzählt, glaubt nicht daran. Sie bringt ihn auf die Spur eines humpelnden, stets schwarz gekleideten Diakons, den sie persönlich kennt. Aber welchen Grund sollte der haben, die Opfer zu töten?

Für mich war es diesmal nicht leicht, den Überblick zu behalten. Zu viele Fäden laufen parallel, bevor sie am Ende zusammenfinden. Der Täter war für mich dann quasi „aus dem Hut gezaubert“, die Aufklärung etwas verwirrend. Aber spannend war es natürlich trotzdem.

Die Grundstimmung des Krimis erinnert an den Jahrtausendwechsel 1999. Während bei uns damals die Angst vor dem totalen Computerabsturz umging, ist es 1899 die Angst vor den Apokalyptischen Reitern, die von einem Prediger geschürt wird. Um Mitternacht halten alle kurz die Luft an – wird die Welt jetzt untergehen?

Gregor Müller zeichnet wieder ein bewegtes Bild von Leipzig zur Jahrhundertwende, lässt durch Hannah und ihr Hausmädchen die Diskussionen um Frauen(wahl)rechte, Ausbildung und Bildung einfließen, denn die beiden sind engagieren sich im Frauenverein. Und natürlich unterstützen sie Kreiser wieder gegen seinen Willen gegen seinen Willen bei den Ermittlungen und bringen sich in Gefahr.
Kreisers Privatleben ist durch die Aufdeckung seines größten Geheimnisses noch spannender, er wirkt menschlicher, nahbarer und man versteht einiges besser.

Mein Fazit: Eine spannende Zeitreise und ungewöhnliche „Selbstmorde“ – ich freue mich schon auf Kreisers nächste Ermittlungen.

Bewertung vom 01.02.2022
The Maid / Regency Grand Hotel Bd.1
Prose, Nita

The Maid / Regency Grand Hotel Bd.1


sehr gut

Was würde Columbo machen?

„Ich bin ihr Zimmermädchen. Ich weiß so viel über Sie. Aber wenn es drauf ankommt: Was wissen sie schon über mich?“ (S. 7)
Molly ist 25 und Zimmermädchen im Londoner Regency Grand Hotel. Sie ist bei ihrer Großmutter aufgewachsen, die ihr schon früh nahegebracht hat, wie befriedigend Sauberkeit und Ordnung sind. „… ich finde es schön, ein Zimmer makellos zu hinterlassen, hinauszuschlüpfen und spurlos zu verschwinden.“ (S. 60)
Darum liebt sie auch ihren Job und alles, was dazugehört: ihren Putzwagen, die tägliche frische Uniform, das System, nach dem ein Zimmer gereinigt wird – und die Unsichtbarkeit, die ihr Arbeit die bietet. Denn als Zimmermädchen soll man nie auffallen, seine Arbeit still und unauffällig erledigen. Trotzdem freundet sie sich mit der neuen Ehefrau des VIP-Gastes Mr. Black an. Als der eines Tages tot in seiner Suite liegt, begeht Molly einen großen Fehler und wird so zur Hauptverdächtigen …

Molly ist eine wirklich herzerwärmende Protagonistin, deren Art mich sehr berührt hat. Nach dem Tod ihrer Oma lebt sie allein und vereinsamt immer mehr. Nur die Arbeit gibt ihrem Leben noch Halt und Struktur. Sie lebt in ihrer eigenen Welt voller Zwänge, Sinnsprüche, alten Columbo-Folgen und strengen Regeln – und die braucht sie auch, denn sie ist anders. Mir kam sie wie eine Mischung aus „Monk“ und „Don Tilman“ aus Graeme Simsions „Rosie-Reihe“ vor. Ich vermute, dass sie ein leichtes, unerkanntes Asperger-Syndrom hat. Es fällt ihr schwer, die Gesichtsausdrücke ihres Gegenübers zu deuten, echte Freunde zu erkennen oder Smalltalk zu machen, aber sie merkt sehr wohl, wenn man sich über sie lustig macht und lächelt den Schmerz dann weg. Sie ist sehr mitfühlend und extrem hilfsbereit, erkennt aber leider nicht, wenn man sie ausnutzt. Dass, was ihr Chef so an ihr mag – ihre Effizienz und Gewissenhaftigkeit – wird ihr nach dem Mord zum Verhängnis. Aber mit Hilfe wirklicher Freunde aus dem Hotel geht sie dem wahren Täter auf den Grund und bringt Ordnung in das Chaos, was sie unbewusst angerichtet hat.

Das Buch ist sehr charmant und amüsant geschrieben. Trotzdem ist es in meinen Augen eher ein (Kriminal-)Roman, da Mollys Gedanken und Erinnerungen (die leider auch oft abschweifen) und ihr eigeschränktes Gefühlsleben für mich im Vordergrund stehen und die Krimihandlung etwas zu kurz kommt. Trotzdem wird man gut unterhalten und kann mit miträtseln.

Eine Sache muss ich allerdings beanstanden. Obwohl das Buch in London spielt, wird immer wieder mit Dollar bezahlt …

Bewertung vom 26.01.2022
Gala und Dalí - Die Unzertrennlichen / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.1
Frank, Sylvia

Gala und Dalí - Die Unzertrennlichen / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.1


gut

Die Eiskönigin

„Sie wusste, dass es ausschließlich attraktive Frauen und die erotischen Reize einer Affäre waren, die ihn zu neuen lyrischen Meisterwerken inspirierten.“ (S. 11) 1929 scheint die Ehe von Gala und Paul Éluard am Ende zu sein, nur ihre gemeinsame Tochter und Pauls Kunst hält sie noch zusammen. Gala treibt ihn immer wieder an und hält ihm den Rücken frei, aber er hat keine Inspiration mehr. Auch ihr Urlaub in Cadaqués an der katalanischen Küste ändert nichts daran – er kann seine Schreibhemmung und die Kluft zwischen ihnen nicht überwinden.
Ganz in der Nähe lebt der junge Maler Salvador Dalí, der in Spanien schon erste Erfolge gefeiert hat und bald eine Einzelausstellung in Paris bekommen soll. Ein befreundeter Galerist macht ihn mit den Éluards bekannt – die 10 Jahre ältere Gala gefällt ihm sofort ...

„Gala & Dalí“ von Syvia Frank ist der Auftakt einer neuen Reihe des Aufbau Verlages über berühmte (Liebes-)Paare der Geschichte, aber mir kam die Liebe hier leider etwas zu kurz. Gala und Dalí haben zwar Sex und denken auch immer, nicht ohne den anderen zu können, aber wirkliche Gefühle kommen für mich nicht so richtig rüber. Auch die eigentlich dramatischen Auseinandersetzungen zwischen Gala und Paul bzw. Dalí und seinem Vater verlaufen bis auf wenige Ausnahmen eher lau.

Gala ist sehr abergläubig, ohne ihre Taortkarten entscheidet sie nichts. Ansonsten ist sie kühl und beherrscht. Ich bin nicht dahintergekommen, ob sie sich zügelt, um dem Bild der perfekten (Ehe)Frau zu entsprechen, oder ob sie nicht zu Gefühlen fähig ist. Sie sagt Dalí im Buch nicht einmal, dass sie ihn liebt – stattdessen verführt sie ihn einfach und übernimmt die Organisation seines Lebens, verkauft seine Werke, macht Werbung für ihn, treibt das Geld ein etc. Sie sieht sich als Frau eines Künstlers, nicht als Hausfrau und Mutter. Darum hast sie auch Paul verlassen. Ich bin sehr zwiegespalten, ob sie oberflächlich oder zielstrebig ist, ob sie Dalí wirklich liebt oder nur an seiner Seite berühmt werden will. Sie hat später ja auch – wie schon bei Paul – dessen Affären hingenommen, so lange seine Kreativität dadurch beflügelt wurde.

Dalí ist 10 Jahre jünger, sehr exaltiert, etwas chaotisch und lebensunfähig. Er ist es gewohnt, sich um nichts kümmern zu müssen und kann nicht mit Geld umgehen, es interessiert ihn einfach nicht. Bisher haben ihn sein Vater zum Arbeiten angetrieben und seine Schwester und seine Tante ihm den Rücken freigehalten. Gala übernimmt diese Aufgaben dann in Personalunion – und sie hat so eine Art, das Beste aus einem Mann herauszuholen.
Mir gefällt, wie das Getriebene Dalís dargestellt wird, seine Zerrissenheit und Entwicklung. Ich wusste bisher nicht, dass er nach seinem ganz jung verstorbenen Bruder benannt und immer mit ihm verglichen wurde und wie ihn das unter Druck setzte.
Er lässt sich von allem Möglichen inspirieren und ist in seiner Kunst sehr vielfältig, entwirft auch Objekte und Skulpturen, macht nützliche Erfindungen. Aber man bekommt das Gefühl, dass er vieles nur macht, weil Gala ihn immer wieder antreibt, weil sie Geld brauchen ... Trotzdem bekommt man einen guten Einblick in seine künstlerische Entwicklung, sein Schaffen in den Anfangsjahren, die Auseinandersetzungen mit seiner Familie und die Gruppe der Surrealisten um André Breton.

Trotzdem ist mir ist die Handlung einigen Stellen zu langatmig, denn der größte Teil des Buches spielt in dem Sommer, in dem sich Gala und Dalí kennenlernen und in dem sonst nicht viel passiert. Aber Sylvia Frank schafft es zumindest, die Sehnsucht nach Katalonien zu wecken – die Farben, Gerüche und Geschmäcker, dem Meer und der Küste, dem dortigen Leben, Märkten und (Volks-)Festen. Ich mochte auch die Beschreibung des spartanischen Lebens später in ihrer Fischerkate.

Mein Fazit: Eine interessante Romanbiographie über Dalís Anfänge und sein Leben mit Gala, aber die Gefühle aller Beteiligten kommen mir leider viel zu kurz.

Bewertung vom 23.01.2022
Das Leben in unseren Händen
Neiss, Eva

Das Leben in unseren Händen


ausgezeichnet

Das Land der großen Freiheit?

Ada und Hannah Rosenbaum wollen 1939 zusammen mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder nach Amerika ausreisen, aber weil es keine 5 Tickets für das gleiche Schiff gibt, fahren die beiden Schwestern voraus. Ihre Emigration steht unter keinem guten Stern. In New York sitzen sie 6 Woche auf Ellis Island fest, weil ihre Tante Judith sie nicht wie erwartet abholt. Außerdem verheimlicht Ada ihre Schwangerschaft. Durch den Stress kommt die kleine Sarah 2 Monate zu früh zur Welt und das Krankenhauspersonal ist der Meinung, dass sie sowieso keine Überlebenschance hat – man will sie sterben lassen! (Eine damals leider übliche Praxis.) Ada hat nichts dagegen, aber Hannah, die in Deutschland Krankenschwester in einem jüdischen Krankenhaus war, kann das nicht hinnehmen. Als sie erfährt, dass ein Dr. Couney ein Haus für Frühchen betreibt, bringt sie die Sarah dorthin …

Ada und Hannah sind sehr verschieden. Hannah träumt davon, in Amerika endlich Medizin zu studieren – das war ihr in Deutschland verwehrt, obwohl sie getaufte Juden sind – aber erst einmal muss sie Geld verdienen und arbeitet in einer Fabrik. Sie will ein selbstbestimmtes Leben führen und auch für ihren Unterhalt aufkommen. Wo, wenn nicht in Amerika, dem Land der großen Freiheit, sollte sich dieser Traum verwirklichen lassen?! Als ihr Dr. Couney einen Job in seiner Frühchen-Klinik anbietet, scheint sie ihrem Traum ein großes Stück näher zu kommen. Und dann sind da auch noch Aaron, der Musiker und angehender Brückenbauer, denn sie auf Ellis Island kennengelernt hat und der ihr Herz zum Klingen bringt, und der junge Assistenzarzt Nathan, mit dem sie bald eine mehr als tiefe Freundschaft verbindet …
Doch mit dem Fortschreiten des Krieges werden die Schwestern immer öfter mit dem Vorurteil konfrontiert, dass sie ja Deutsche und damit Feinde sind. Dass sie als Juden zu Hause kaum eine Überlebenschance gehabt hätten, interessiert ihre Angreifer dabei nicht.

Hannah habe ich sofort gemocht. Sie ist zielstrebig, fleißig und sehr mitfühlend. Und obwohl sie die jüngere der beiden ist, ist es für sie selbstverständlich, dass sie sich um Sarah kümmert und ihren Verdienst mit Ada teilt.
Ada hingegen scheint nicht für ein eigenständiges Leben oder körperliche Arbeit geschaffen zu sein. Sie ist wunderschön, aber auch unnahbar, orientiert sich am Ideal der amerikanischen Frauen in den Magazinen. Sie will sich einen reichen Ehemann schnappen und Deutschland und die Erinnerungen daran so schnell wie möglich vergessen. Ich bin lange nicht mit ihr warm geworden und konnte einfach nicht verstehen, warum sie ihre Tochter ablehnt und die Hilfe anderer als selbstverständlich nimmt. Aber das Ende der Geschichte hat mich diesbezüglich überrascht und ich konnte sehr gut nachvollziehen, warum sie sich so verhalten hat.
Auch das Schicksal ihrer Eltern und ihres Bruders ist sehr aufwühlend. Die kommen nämlich nicht in den USA an, weil sie ausgerechnet auf der St. Louis über die Weltmeere irren, die überall abgewiesen wird und letzten Endes wieder in Europa strandet.

Eva Neiss hat einen extrem berührenden Roman über den Beginn der Neonatologie (Frühchen-Medizin) und den Neuanfang zweier junger jüdischer Frauen vor dem Hintergrund des zweiten Weltkrieges in New York geschrieben. Mir hat die Verbindung realer historischer und medizinischer Hintergründe mit einer bewegenden Familiengeschichte sehr gut gefallen.
Ich war verblüfft, wie ausgereift die Medizin in Bezug auf die Frühgeboren damals schon war, auch wenn Dr. Couney wohl lange allen mit seinen Ansichten und Entwicklungen stand. Auch seine Art der Finanzierung hat mich überrascht – mehr verrate ich hier aber nicht.

Bewertung vom 16.01.2022
Die Verwegene
Leonard, Charlotte

Die Verwegene


ausgezeichnet

Die schönste Frau der Welt

Letztes Jahr habe ich im Podcats „Frauenleben“ zum ersten Mal von der zu Unrecht vergessenen Hollywood-Schauspielerin und Erfinderin Hedy Lamarr gehört. Schon damals hat mich der Einblick in ihr Leben fasziniert, um so gespanter war ich auf die Romanbiografie von Charlotte Leonard (hinter dem Pseudonym versteckt sich übrigens die Autorin Christina Lind).

„Es gibt nicht viele Rollen für Frauen mit ihrem Äußeren. Sie wirken wie eine Göttin. Eine Göttin aus Marmor.“ (S. 105) Was als Kompliment gemeint ist, wird für Hedy in Hollywood bald zum Fluch. Sie ist es gewöhnt, dass ihr die Männer zu Füßen liegen und sie mit Geschenken überhäufen, hat mit 16 den Skandalfilm „Ekstase“ gedreht, danach am Wiener Burgtheater die Sissy gespielt, mit 18 den steinreichen Waffenfabrikanten Felix Mandl geheiratet und ist ihm und seinem goldenen Käfig nur wenige Jahre später (1937) nach Amerika entflohen. Dort will sie Charakterrollen spielen, aber MGM besetzt sie zu oft als die exotische (erotische) Schöne, ohne viel Text und in kleinen oder Nebenrollen. Kritiker hetzen: „Hedy Lamarr ist immer noch als das teuerste Stück Dekoration in der Show zu sehen.“ (S. 293) Dabei hat sie eine ernsthafte und talentierte Schauspielerin, wenn sie ihr Können dann mal beweisen darf.

Charlotte Leonard hat es geschafft, Hedy vor meinem inneren Auge lebendig werden zu lassen, ihre innere Zerrissenheit wiederzugeben und die verschiedenen Sichten, die ihre Fans und Kritiker auf die skandalumwitterte Frau hatten. Ich erlebe eine wunderschöne, zielstrebige und warmherzige Frau, mit einem eigenen Kopf, die um Anerkennung und den großen Durchbruch im Filmgeschäft kämpft und sich dabei nicht unterkriegen lässt. Und ich sehe die Privatperson Hedwig Kiesler, die außerhalb von Hollywood mit vielen Tieren lebt, nur ungern auf Partys geht, sich in ihrem Erfinderzimmer am wohlsten fühlt und von der großen Liebe und einer eigenen Familie träumt.
Ich konnte den Hass der konvertierten Jüdin auf die Nazis und die Sorge um ihre Mutter, die noch in Europa lebte, gut nachvollziehen. Hedy ist schon als Kind an allem interessiert und sehr intelligent, forscht in Drehpausen und der Freizeit an vielen Erfindungen. Sie will Amerika im Kampf gegen die Deutschen unterstützen und ersinnt zusammen mit dem Musiker George Antheil ein Verfahren, um Torpedos genauer und unbemerkt steuern zu können (das Frequenzsprungverfahren). Sie bekommen auch das Patent dafür zugesprochen, aber die Army nimmt die „Idee einer Schauspielerin und eines Klavierspielers“ trotzdem nicht ernst ...

„Die Verwegene“ versprüht viel Glamour und liest sich wie das Who’s Who Hollywoods der dreißiger Jahre, denn Hedy arbeitet mit den ganz Großen zusammen. Aber das Buch zeigt auch, dass das Filmgeschäft viel weniger prachtvoll ist, als die PR-Leute der Studios es aussehen lassen. Es geht in erster Linie um den Profit. Der Chef von MGM bestimmte, wer welchen Film drehte. Er „schuf“ seine Schauspieler, legte ihr Aussehen, ihre Namen und ihren Ruf fest. „In Hollywood wirst du nichts, wenn du facettenreich bist. Du brauchst eine Rolle, die deine ist, eine Figur, die sich für lange Zeit vermarkten lässt.“ (S. 298) Am erschreckendsten fand ich, dass die Darsteller mit Medikamenten „versorgt“ wurden, damit sie die harten Drehtage durchhielten, und Schlafmitteln, damit sie abends runterkamen und am nächsten Tag ausgeruht waren. Kein Wunder, dass Hedy in späteren Jahren tablettensüchtig war, wie die Autorin hier schon andeutet.

Charlotte Leonard schreibt sehr fesselnd, detailliert und bildreich. Man merkt, dass sie für diesen beeindruckenden biographischen Roman viel recherchiert hat. Mich konnte Hedy begeistern auch wenn sich ihre Träume nicht erfüllt haben.