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Volker M.

Bewertungen

Insgesamt 397 Bewertungen
Bewertung vom 22.06.2022
Das Dresdner Schloss und seine Schätze
Bahr, Eckhard

Das Dresdner Schloss und seine Schätze


ausgezeichnet

Das Buch ist aufgebaut wie eine Schlossführung: Nach einer kurzen Einleitung zur Bau- und Nutzungsgeschichte beginnt der Rundgang in den Schlosshöfen, über die beiden Grünen Gewölbe, entlang der Fürstengalerie in den Renaissanceflügel und Georgenbau, die Paraderäume und weiter in die Türckische Kammer. Der Rundgang endet im Kupferstichkabinett.

Die Baugeschichte ist sowohl eng mit den barocken Bauherrn und ihren Repräsentationspflichten verbunden, als auch mit der hochbedeutenden Sammlung, die schon 1724 öffentlich zugänglich wurde (wenn auch nicht für jedermann). Eckhard Bahr leitet aus dem, was man heute sehen kann, einerseits ab, wie es einmal war, zum anderen beleuchtet er exemplarisch herausragende Objekte aus den in den jeweiligen Räumen präsentierten Sammlungen. Natürlich sind der Wiederaufbau und die umfangreichen Restaurierungen des Schlosses nach der Wiedervereinigung berücksichtigt. Positiv ist mir aufgefallen, dass der Autor sehr genau protokolliert, was „neu“ und was historisch ist, damit der Besucher die geleistete Arbeit auch wertschätzen kann. Der Aufwand der kunsthistorischen Recherche und die handwerkliche Qualität der Rekonstruktion sind wirklich bemerkenswert. Genauso bemerkenswert ist die erhaltene Sammlung, die trotz Zwangsverkäufen, Verlagerungen und Diebstählen immer noch die bedeutendste Präziosensammlung Europas ist. Das gleiche gilt für die Renaissance- und Barockwaffen. Man muss das eigentlich mit eigenen Augen gesehen haben, aber die Begeisterung für „sein“ Schloss ist auch Eckhard Bahr in jeder Zeile anzumerken. Er vermittelt viel Hintergrundwissen, nicht zu überladen und detailliert, aber in einem Maß, dass man einen umfassenden Eindruck nicht nur von der Sammlung selbst bekommt, sondern auch von der Zeit, in der sie entstand und ihren Protagonisten. Da sind zum einen die Landesfürsten, allen voran August II., der zwar die Sammlung nicht begründete, aber sie entscheidend ausbaute, und zum anderen die handwerklichen Meister wie Johann Melchior Dinglinger, dem wohl bedeutendsten Goldschmied des Barock, oder dem Uhrmacher Hans Schlottheim mit seinen hochkomplizierten Prunkuhren. Einige Namen tauchen immer wieder auf und bilden so etwas wie den roten Faden, der die einzelnen Räume und ihre Kostbarkeiten miteinander verbindet.

Die Fotos sind durchweg gut, aber kommen aus sehr unterschiedlichen Kontexten (von WikiCommons bis zur kommerziellen Bildagentur), was visuell manchmal ein bisschen unruhig wirkt. Trotzdem bekommt man einen ausgezeichneten Eindruck vom Gesamtensemble und als Vorbereitung für einen Besuch ist das Buch hervorragend geeignet.

Bewertung vom 21.06.2022
Menschen des 20. Jahrhunderts
Sander, August

Menschen des 20. Jahrhunderts


ausgezeichnet

Zu seinen Lebzeiten konnte August Sander sein größtes fotografisches Projekt nur ansatzweise verwirklichen. Die „Menschen des 20. Jahrhunderts“ begannen 1927 als Ausstellung im Kölnischen Kunstverein, der 1929 eine erste Buchveröffentlichung mit 60 Fotos folgte. Das Konzept für einen umfassenden, gesellschaftlichen Spiegel seiner Zeit hatte August Sander da bereits entwickelt, doch hinderten ihn die politischen Umstände an der geplanten Umsetzung. Nach dem Krieg wurde das Projekt von ihm nicht weiter verfolgt, aber die nachfolgenden Generationen näherten sich über Sanders Archiv in mehreren fragmentarischen Publikationsversuchen dem heute anerkannten Konvolut, das mit über 600 Aufnahmen den Ruf August Sanders als einem der bedeutendsten Portraitfotografen des 20. Jahrhunderts mit begründet hat. Der Grundstein hierfür wurde 2002 in einer siebenbändigen Ausgabe gelegt, deren Illustrationen im aufwendigen Tritone-Druckverfahren realisiert wurden, mit dem Grauwerte äußerst präzise, fast wie bei einem Originalabzug übersetzt werden. Vor allem in den USA wurde Sander damit schlagartig bekannt und seine Originalabzüge gehören heute zu den teuersten Fotografien im Auktionshandel.

Der vorliegende Band basiert auf dieser siebenbändigen Vorzugsausgabe, nur wurden die Fotografien im Duotone-Verfahren reproduziert (das heutzutage allerdings fast an die Leistung des Tritone-Drucks heranreicht) und von Sanders Vorgabe, nur jeweils ein Foto auf der rechten Buchseite zu zeigen, wurde zugunsten von doppelseitigen Abbildungen abgewichen. Auf diese Weise wird Sanders Werk auch größeren Leserkreisen zugänglich, denn die siebenbändige Ausgabe ist nur noch antiquarisch erhältlich.

Die Fotos entstanden im Zeitraum von 1911-1914 und wieder nach dem Weltkrieg ab etwa 1920. Es sind Portraits aus allen Gesellschaftsschichten, vom Arbeiter bis zum Schauspieler, vom Bauern bis zum Stadtmenschen, Frauen und Männer, Kinder und Greise. Keines der Bilder entstand in einem natürlichen Kontext, sie sind alle inszeniert, sei es im Studio oder im Freien, und doch vereint alle Motive ein psychologisierendes Element: Sie alle geben eine individuelle Persönlichkeit wieder, die gleichzeitig stellvertretend für eine größere Gruppe steht. Sander hatte das Projekt von Anfang an in sozialen Schichten gedacht und diese Einteilung hat auch die Gesamtausgabe beibehalten. Jedes Portrait steht also für eine Person, aber auch für einen Stand, für eine Haltung, für ein soziales Umfeld, für eine Überzeugung. Die Untertitel unterstützen diesen generalisierten Blick, indem sie keine Namen nennen (außer in Einzelfällen als erklärende Ergänzung der Editoren), sondern Berufs- oder Klassenbezeichnungen. Auch heute grenzen sich Menschen durch Mode, Körpersprache und Verhalten von anderen sozialen Gruppen ab. August Sander hat diese Kennzeichen einer Gruppe durch seine Fotos in unserer Zeit lesbar gemacht. Trotz der Distanz zur Weimarer Republik fühlt man sich den Menschen verbunden, man sucht nach Gemeinsamkeiten und den „Codes“ ihrer sozialen Gruppe. Die Mechanismen sind erstaunlicherweise die gleichen geblieben, anders ausgeprägt natürlich, visuell verschieden, aber das Prinzip der Abgrenzung gegen andere scheint ein zutiefst menschliches Bedürfnis zu sein. August Sanders Fotos kann man als Sozialkritik lesen, was sie in Teilen sicher sind. Man kann sie aber auch als Suche nach Gruppenzugehörigkeit lesen, die sich in einer Zeit, in der soziale und kulturelle Unterschiede mit verbaler (und manchmal auch physischer) Gewalt unterdrückt werden, wie ein Mahnmal der Natur des Menschen ausnimmt. Erst die Unterschiede machen August Sanders Werk interessant. Alle Menschen haben die gleichen Rechte, aber dennoch sind nicht alle Menschen gleich. Das wird gerne verwechselt, sowohl von links, wie von rechts.

Bewertung vom 18.06.2022
Papier prägen
Falkenburger, Katja

Papier prägen


ausgezeichnet

Schon der Einband ist Teil des Programms: Mit der Prägung werden die grafischen Elemente betont und bekommen eine ganz neue Wirkung. Licht und Schatten werden plötzlich zu einem zusätzlichen Faktor und machen die Papieroberfläche lebendig.

Katja Falkenburger zeigt in ihrem Buch, wie man mit einfachen, selbstgebauten Stempelformen Papier (und insbesondere schwerem Büttenpapier) einen ganz eigenen Charakter einprägt. Mit viel Phantasie gestaltet sie Zierrahmen, interessante Oberflächenstrukturen und ganze Bilder, mal unter Zuhilfenahme von Farbe, mal monochrom. Sie nutzt Collagetechniken und betont Grafik geschickt mit flächigen, verblüffend effektiven Papierstrukturen. Mich sprechen einige von Katja Falkenburgers Werken deutlich mehr an als Günther Ueckers teure Nagelprägebilder in Papier, die letztlich auf demselben Prinzip beruhen. Wie einfach diese Techniken zu erlernen sind, zeigt die Autorin in unzähligen Varianten, mit Werkzeugen und Materialien, die für jeden erschwinglich und verfügbar sind: Viel Potenzial für kreative und attraktive Geschenke. Oder auch für Bilder für die eigene Wand.

Bewertung vom 16.06.2022
Döppesbäcker

Döppesbäcker


gut

Über die niederrheinische Keramik gibt es bereits einiges an Literatur, aber die kleinen Zentren fallen dabei meistens durchs Raster. Glimbach, Gevenich und Körrenzig, am östlichen Rurtalhang in der Nähe von Jülich gelegen, haben eine schwer fassbare Keramikproduktion, da es kaum reguläre archäologische Ausgrabungen gab und datierte Stücke selten sind. Außerdem sind die stilistischen Unterschiede zu benachbarten Töpferzentren gering, sodass eine Abgrenzung nicht immer möglich ist.

„Döppesbäcker“ ist der niederrheinische Ausdruck für Töpfer. Die Autoren dieses Bandes haben die in verschiedenen Museen und heimatkundlichen Sammlungen archivierten Keramiken aus Glimbach, Gevenich und Körrenzig zusammengetragen, systematisch ausgewertet und dokumentiert. Dabei stützen sie sich meist auf anekdotische Fundzusammenhänge, heimatkundliche Befragungen der noch heute ansässigen, ehemaligen Töpferfamilien, sowie einige materialkundliche Untersuchungen. Für Letzteres nutzen sie zerstörungsfreie Elementaranalysen und relative Elementverteilungen, um Cluster mit gemeinsamen Eigenschaften zu identifizieren, ein herkömmliches Verfahren zur geografischen Provenienzanalyse. Klar abgrenzen lassen sich mit dieser Methode die niederrheinischen Töpferzentren, die quartäre Tone verarbeiten, von den quartären Glimbacher Tonen. Ob die Methode auch geeignet ist, über den begrenzten Untersuchungsraum hinaus Aussagen zu treffen, können erst weitere Untersuchungen zeigen. Das zugehörige Kapitel zur Geologie und Chemie der Tone in der Rheinischen Tiefebene ist ausgesprochen vielschichtig und spannend und auch zum Verständnis der Materialuntersuchungen sehr hilfreich.
Der Überblick zur Geschichte der bleiglasierten Töpferwaren am Niederrhein zeigt, dass das Thema nach dem Zweiten Weltkrieg in erster Linie durch Heimatforscher besetzt war und erst in den letzten zwei Jahrzehnten vermehrt professionelle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die eingangs erwähnte Problematik der mangelhaft dokumentierten Fundumstände rührt zu einem Großteil von diesem „blinden Fleck“ her, aber auch im vorliegenden Band sind für meinen Begriff zu viele weitschweifende Vermutungen versammelt. Das beginnt bei den stilistischen Argumentationen, die oft mehr „nach Gefühl“ als nach belastbaren kunsthistorischen Kriterien vorgenommen werden, geht weiter über vermutete Verwendungen im Alltag bis hin zu übertrieben ausführlichen und manchmal auch in Umgangssprache abgleitenden Beschreibungen von Trivialitäten. Besonders das Kapitel zur „Beschreibung, Einordnung und Beurteilung der Glimbacher Produktion des 17. bis 20. Jahrhunderts“ ist argumentativ unscharf und nutzt für eine wissenschaftlich belastbare Arbeit aus meiner Sicht zu viel Hörensagen. In dieses insgesamt etwas laienhafte Bild gliedert sich auch eine ausführlich illustrierte Fotoserie aller Handgriffe bei der Herstellung einer engobeverzierten Schüssel ein, die nichts vermittelt, was ein Töpfer nicht schon wüsste. Differenziert und nachvollziehbar ist die Übersicht der urkundlich fassbaren Töpferfamilien und -namen in der genannten Region, auch wenn kaum ein Objekt des Katalogs mit einer namentlich bekannten Töpferei korreliert werden kann.

„Döppesbäcker“ bietet einige interessante wissenschaftliche Ansätze, die weiterzuverfolgen sinnvoll wäre, insbesondere, um die schlechte Funddokumentation zumindest ansatzweise zu ergänzen. Dennoch haben mich die laienhaften Argumentationslinien, die kaum Primärquellen nutzen (können?), dafür umso ausführlicher „Generationenwissen“ und Hörensagen kolportieren, nicht wirklich überzeugt.

0 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.06.2022
Die Welten des Mittelalters
Borgolte, Michael

Die Welten des Mittelalters


sehr gut

Der Titel irritiert nur auf den ersten Blick: Im Mittelalter gab es kulturell und geschichtlich gesehen nicht eine Welt, sondern es existierten mehrere, weitgehend in sich abgeschlossene Weltregionen. Da das Ende des Mittelalters in Europa mit dem Beginn der globalisierten Neuzeit (also der Entdeckung Amerikas) definiert wird, ist dieser Zeitpunkt ebenfalls das Ende fast aller isolierten Kulturkreise. Die direkte und indirekte Vernetzung über Handels- und Wissenswege, die im Mittelalter vor allem die Kontinente Europa, Asien und Afrika umfasste, schloss nun Amerika und später auch den Pazifikraum ein.

Michael Borgolte bohrt auf fast 900 Seiten (der Rest sind Quellenangaben und Indizes) ein sehr dickes Brett. Die Globalgeschichte der Zeit zwischen 500 und 1500 ist ein komplexes Unterfangen. Schon in Europa, Nordafrika und Asien, Regionen mit langer Schriftkultur, ist die Quellenlage lückenhaft, das gilt umso mehr für den Pazifikraum und die beiden Amerikas. Entsprechend knapp sind die Ausflüge Borgoltes in letztere Weltgegenden, während er die übrige Geschichte erheblich tiefergehend beleuchtet. Dennoch muss ich gleich hier einen Kritikpunkt einbringen, denn nicht nur in Mesoamerika, sondern auch in späteren Kapiteln kommt ein geschichtlicher Einflussfaktor viel zu kurz, der in der neueren Forschung zunehmend als spielentscheidend erkannt wird: Das Klima. Nicht wenige Reiche des Mittelalters brachen aufgrund von Klimaveränderungen zusammen, oder sie haben diesen Prozess stark beschleunigt. Borgolte setzt seinen Fokus viel mehr auf die Globalgeschichte als ein Netzwerk sich gegenseitig beeinflussender, miteinander kommunizierender und in ständigem Austausch stehender Einheiten. Das gelingt ihm mit einer manchmal etwas überwältigenden Datenfülle, die auf der einen Seite seine beeindruckende Belesenheit zeigt, andererseits dem Leser einiges an Konzentrations- und Kombinationsfähigkeit abverlangt.

Zwei Aspekte der Globalisierung greift Borgolte gezielt heraus, um sie tiefer zu beleuchten: Das internationale Beziehungsnetz der Religionen und der Austausch über Fernhandelsrouten. Die monastische Kultur in Europa und Asien, sowie das islamische Gelehrtennetzwerk funktionierten durch schriftliche und persönliche Kommunikation, die durch Quellen oft sehr detailliert nachvollziehbar ist. Der Fernhandel ist auch archäologisch gut fassbar.

Was innerhalb der geschichtlichen Entwicklungen gut herausgearbeitet wird, sind die Schnittmengen, die wie die Glieder einer Kette ineinandergreifen. Nur in wenigen Fällen sind sich der Sender einer Botschaft oder der Hersteller einer Ware und deren Empfänger über ferne Distanzen persönlich begegnet und doch haben sich teilweise sehr stabile Kanäle etabliert, über die zuverlässig Nachrichten und Waren flossen. Auch lokale historische Entwicklungen haben über diese Netzwerke interkontinentale Fernwirkungen.

Bei mir hat sich beim Lesen der Eindruck verfestigt, dass dieses Buch vor allem Menschen mit einem soliden historischen Vorwissen von großem Nutzen ist, denn man braucht eine gedankliche Landkarte, in die man die Elemente eingliedern kann, sonst ist die Datenfülle schwer zu verarbeiten. Borgolte muss zwangsläufig zeitlich und räumlich immer wieder springen, da es ihm ja um die Darstellung von Netzwerken geht, die sich zeitlich und räumlich permanent ändern. Im Rahmen des Möglichen gelingt ihm das sehr gut, aber die einzelnen Anknüpfungspunkte sind so zahlreich, dass darunter die Orientierung leidet und Redundanzen unvermeidlich sind.

Das Prinzip der „Globalgeschichte“ hat in den letzten Jahren einen gewissen Boom erlebt, aber die grundsätzlichen Probleme, die sich aus einer derart komplexen Herangehensweise ergeben, sind schwer zu lösen. Auf der einen Seite steht der nachvollziehbare Wunsch nach Vollständigkeit, auf der anderen die Forderung nach Übersicht. Da Borgolte sein Werk vorbildlich referenziert und indiziert hat, lassen sich zumindest einzelne Aspekte, Personen und Orte leich

Bewertung vom 13.06.2022
Beraten statt Verraten
Bosetti, Ulrich;Walz, Hartmut

Beraten statt Verraten


sehr gut

Wer hatte noch nie einen Anlageberater auf dem Sofa sitzen? Zunächst ist man begeistert, unterschreibt den Vertrag, doch schon nach kurzer Zeit fühlt man sich unwohl und zum Abschluss überredet. Fehlentscheidungen lassen sich zwar rückgängig machen, aber das ist teuer. Provisionen und andere versteckte Kosten sind meistens verloren und von einmal gezahltem Geld sieht man kaum etwas wieder. Wie kann so etwas passieren?

In ihrem Ratgeber "Beraten statt Verraten" bringen die Autoren Ulrich Bosetti und Hartmut Walz Licht ins Dunkel dieser Branche und erklären zunächst die verschiedenen Vertriebsmodelle. Finanzberatung ist nie kostenlos, auch wenn man es nicht sofort bemerkt.

Überrascht war ich, dass viele der verwendeten Berufsbezeichnungen nicht gesetzlich geschützt sind. Nur wenige Berater haben eine anerkannte Ausbildung, die eine gewisse Sicherheit der Beratungsqualität garantiert. Auch sehen Dipl.-Psychologe Bosetti und Kapitalmarktexperte Walz die Heldenverehrung vermeintlicher, in der Presse bejubelter „Experten“ kritisch.

Im Hauptteil des Buches lernt der Leser, wie er sich gegen Manipulationsversuche wehrt, rhetorische und psychologische Verkaufstricks des Beraters erkennt und selbst zum mündigen Kunden wird. Diese Techniken (z. B. den Kunden unter Zeitdruck setzen) werden übrigens nicht nur beim Verkauf von Finanzprodukten, sondern z. B. auch beim Auto- oder Möbelkauf eingesetzt. Wer das weiß, für den finden Beratungsgespräche in Zukunft auf Augenhöhe statt.

Zusätzlich geben die Autoren viele konkrete Tipps zur Vorplanung: Wann lohnt sich eine honorarbasierte Beratung? Bin ich ein dauerhafter Beratungskunde oder ein mündiger Selbstentscheider? Wie bereitet man sich auf ein Beratungsgespräch vor? Wie wehrt man sich gegen eine unlautere Gesprächsführung?

Bei der Verkaufsrhetorik merkt man besonders die Handschrift des Psychologen Bosetti. Vor seiner Beratertätigkeit war er in der Vertriebsabteilung eines großen Versicherungskonzerns u. a. für die Verkaufsschulung und Provisionsmaximierung zuständig und nun entlarvt er für die "Gegenseite" deren Verkaufstricks. Ist da etwa einer vom Saulus zum Paulus konvertiert und scheut die ewige Verdammnis?

Leider ist mir die Sprache manchmal etwas zu akademisch geraten. Überschriften wie "Geldillusion beim Kunden ausnutzen: Systematisch falsches Ankern durch Nominalorientierung" oder "Argumentation mit dem Survivorship Bias" sind weder selbsterklärend, noch helfen sie beim späteren Nachschlagen. Abgehobene Fachsprache wird als Herrschaftsinstrument benutzt, um die „Laien“ auszuschließen, aber das hat in einem an Laien gerichteten Buch nun wirklich nichts zu suchen. Zum Glück waren die anschließenden, ungewöhnlich detaillierten Erklärungen für mich anschaulich und gut nachvollziehbar. Wer dieses Buch verstanden hat, ist jedenfalls bestens auf die Gespräche mit seinem Finanzberater (oder Autoverkäufer) vorbereitet und kann erkennen, ob er gerade beraten oder verkauft wird.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.06.2022
Der Dresdner Zwinger und seine Schätze
Bahr, Eckhard

Der Dresdner Zwinger und seine Schätze


sehr gut

Der Dresdner Zwinger ist das einzige historische Gebäude in Dresden, das nach dem Krieg zu DDR-Zeiten fast vollständig wieder aufgebaut wurde. Schloss, Taschenbergpalais und Frauenkirche lagen bei der Wiedervereinigung noch weitgehend in Trümmern. Aber die Geschichte geht natürlich viel weiter zurück, wie Eckhard Bahr in seinem anschaulichen Buch erläutert. Ursprünglich Teil der Dresdner Festungsanlage, wurde der Zwinger unter August dem Starken zu einer Art landwirtschaftlichen Versuchsanstalt und Technikmesse für Spitzentechnologie. Ein bisschen davon sieht man auch heute noch, denn die Arkadenstruktur lässt die alte Orangerie erahnen und der Physikalisch-Mathematische Salon beherbergt eine der bedeutendsten Sammlungen wissenschaftlicher Instrumente und Uhren der Welt, die unter August begonnen wurde. Auch die von Semper entworfene Gemäldegalerie mit ihren Alten Meistern besitzt Weltgeltung und läuft eindeutig der Berliner Nationalgalerie den Rang ab.

Eckhard Bahr zeichnet zunächst die komplexe Entstehungs- und Nutzungsgeschichte nach, illustriert durch historische Ansichten und Pläne, die aber leider nicht alle Entwicklungsphasen darstellen und aus meiner Sicht eine etwas ausführlichere Legende verdient hätten. Zum Teil sind sie etwas schwer zu interpretieren und zeigen natürlich nicht mehr den heutigen Stand. Nachdem die einzelnen Gebäudeelemente vorgestellt wurden, widmet sich der Autor den eigentlichen Sammlungen. Zu jeder Abteilung gibt es informative Übersichtsfotos, sowie kurze Würdigungen von besonders herausragenden Objekten. Fachlich gut aufgearbeitet richtet sich der Text an die allgemeine Öffentlichkeit, wobei die Versuche, die Sachinformation humorvoll aufzulockern, für meinen Geschmack etwas altväterlich geraten sind. Im Stil erinnert es an einen in Ehren ergrauten Stadtführer mit Wimpel in der Hand.

Trotzdem hat mir der Band gut gefallen, da er alle wesentlichen Entwicklungen nachvollziehbar und interessant aufarbeitet und dem Leser einen guten ersten Einblick verschafft. Als Vorbereitung für einen Besuch ist er sehr gut geeignet.

Bewertung vom 09.06.2022
BAOBAB: Meine Reise zu den ältesten Lebewesen und Waldwächtern

BAOBAB: Meine Reise zu den ältesten Lebewesen und Waldwächtern


ausgezeichnet

Die Baobabs sterben. Afrikas Landmarken sind sichtbare Opfer des Klimawandels und ganz besonders die alten Exemplare brechen plötzlich und scheinbar ohne erkennbare Ursache in sich zusammen. Beth Moon hat die Nachricht, dass Madagaskars ältester Baobab 2018 nach einem Unwetter kollabierte, zum Anlass genommen, „ihre“ Baobabs noch einmal zu besuchen. Vor 15 Jahren war sie das erste Mal dort, ganz gezielt, um die Baumriesen zu fotografieren, die jetzt sterben. Forscher haben entdeckt, dass Baobabs über 1000 Jahre alt werden, aber dass nur eine Handvoll der etwa 100 Millionen Exemplare dieses extreme Alter erreichen. Es gab in Afrika 13 Bäume, die älter als 1250 Jahre waren, von denen sind seit 2005 neun abgestorben.

Beth Moons Fotos der noch lebenden Riesen und ihrer traurigen Überreste sind trotz ihrer überwältigenden Schönheit doch Bilder eines Abgesangs. Die schwarz-weißen Aufnahmen haben durch HDR-Filter eine vergrößerte Graupalette, wodurch sie ein bisschen wie nostalgische Kupferstiche des 19. Jahrhunderts wirken. Das passt sehr schön zu den grafischen Strukturen ihrer Äste und den massigen Stämmen, wie überhaupt jeder einzelne Baum als lebendes Kunstwerk inszeniert wird. Auf den Textseiten beschreibt Beth Moon in einem knappen Reisetagebuch ihre Begegnungen mit den Menschen und der Natur und sie bringt auch Gefühle von Trauer und Verzweiflung zum Ausdruck. Etwas unpassend finde ich ihre unkritische Haltung zur angeblichen Naturverbundenheit der Madegassen, die die Baobabs als Naturgötter verehren. Madagaskar ist eines der am stärksten bedrohten Ökosysteme der Erde und wenn man Beth Moons Fotos genau betrachtet, sieht man auch überall die Schäden, die Menschen an den riesigen Flaschenbäumen angerichtet haben. Es ist kein respektvoller Umgang mit der Natur, sondern in Madagaskar wird massiver Raubbau betrieben wie sonst kaum irgendwo in Afrika oder in der Welt. Schuld ist auch hier die Überbevölkerung, die mindestens so klimaschädlich ist, wie die Emissionen der Industriestaaten. Das wird oft und aus ideologischen Gründen auch gerne vergessen.

Das Buch hat mich wirklich berührt. Mir war das Sterben der Baobabs bisher nicht bewusst und die einfühlsame Art, mit der Beth Moon dies ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt, indem sie auf den unwiederbringlichen Verlust mit ihren überaus ästhetischen Fotos hinweist, ist der Tragik sehr angemessen. Die Baobabs haben das Potenzial, zu einem Symbol des Klimawandels zu werden, so wie die Pandas für den Artenschwund stehen. Es wird 1000 Jahre dauern, um den Verlust wieder aufzufangen. Wenn die Menschen bis dahin nicht noch Schlimmeres anrichten.

Bewertung vom 06.06.2022
Ausgefallen und erlesen

Ausgefallen und erlesen


ausgezeichnet

Der Titel ist schon mal sehr originell: Römische Gemmen wurden in der Antike mit Harzen in ihre Ringfassungen eingeklebt, die aber im Lauf der Zeit versprödeten, sodass die Gemmen oft herausfielen. Aus diesem Grund sind die Mehrzahl der Gemmen in Sammlungen zufällige Lesefunde von Äckern im Bereich ehemaliger römischer Ansiedlungen. Das trifft auch auf die Objekte zu, die in diesem kleinen, sehr informativen Büchlein über römische Gemmen aus den Kastellen zwischen Ruffenhofen und Theilenhofen vorgestellt werden. Die Region gehört zum obergermanisch-rätischen Limes, dessen Hochzeit ins 2. nachchristliche Jahrhundert fällt.

Zunächst klären die Autoren die häufig verwechselten Begriffe Gemme (Tiefschnitt) und Kamee (Hochschnitt) und fokussieren sich dann auf die eingesetzten Materialien, die Herstellungstechnik und die praktische Verwendung im römischen Alltag. Abhängig von Motiven und Material lassen sich teilweise sehr konkrete Rückschlüsse auf Besitzer und Verwendungszweck ziehen.

Das umfangreichste Kapitel ist der nach Motivgruppen kategorisierte Katalog. Die Motive stammen aus der Götter- und Sagenwelt, sind Bilder mit militärischem Hintergrund oder aus der Tierwelt. Jedes Objekt wird materiell beschrieben und die Ikonografie erklärt. Natürlich sind nicht alle Motive zweifelsfrei zu bestimmen, wenn z. B. kennzeichnende Attribute verloren gingen oder nicht eindeutig sind. Auffällig ist, dass nahezu alle Objekte aus Privatsammlungen stammen, aber wie anfangs bereits gesagt, sind Lesefunde bei Gemmen die Regel. Sondengehen ist in Bayern zwar mittlerweile verboten, aber der Zufallsfund auf dem Acker scheint noch legal zu sein. Das herausgebende, nichtstaatliche Museum Limeseum wird zwar öffentlich gefördert, ist aber durch engagierte Privatinitiative entstanden, auf die sich auch Sonderausstellungen, wie die hier vorgestellte stützen.

Die Vielfalt und Qualität der gezeigten Gemmen ist überraschend, besonders wenn man sich vor Augen hält, dass die Region ein ferner Außenposten des Römischen Reichs war. Die Texte sind anschaulich, dabei leicht verständlich und benötigen kein Vorwissen. Es ist gleichzeitig eine schöne Einführung in die religiöse Vorstellungswelt der Römer und den römischen Alltag.

Bewertung vom 06.06.2022
Rom verstehen
Scheid, John

Rom verstehen


ausgezeichnet

Das Römische Reich hatte über 1000 Jahre Bestand. Trotz ständiger Bedrohungen von außen und innen war es erstaunlich resilient und sein Zivilisationsgrad und sein Technologieniveau wurde erst Tausend Jahre später wieder erreicht. Genauso erstaunlich ist, was wir nach dieser langen Zeit über die Details seiner Verwaltung, seine Bevölkerung, seine Warenströme oder sein Militär wissen. Wie funktionierte dieser Staatsapparat? Wieviel verdiente man als Soldat? Was kostete ein Huhn?

Die Autoren von „Rom verstehen“ haben das aktuelle Wissen aus zahlreichen Fachpublikationen zusammengetragen und in intelligent strukturierten Infografiken visualisiert, deren Rahmen durch einen kurzen, einleitenden Text gesetzt wird. Selbst hochkomplexe Zusammenhänge werden so transparent, übersichtlich und korrekt dargestellt, wobei verschiedene Ebenen in einer einzigen Grafik abgebildet werden können. Das wird zum einen durch klassische (oft Kuchen-)Diagramme erreicht, zum anderen aber durch Farben und Symbole, die den zwei Dimensionen des Papiers eine dritte und manchmal sogar vierte hinzufügen. So werden Zusammenhänge sichtbar, die man selbst in einem geschrieben Text nur umständlich vermitteln könnte. Ein Beispiel: Auf diese Weise kann man Legionen, ihre Zusammensetzung, die Zahl ihrer gefochtenen Schlachten, die Einsatzorte und den zeitlichen Verlauf der Mannschaftsstärke auf einer einzigen Karte darstellen. Wenn man es kann. Und die Autoren können das zweifellos. Sie durchleuchten so nicht nur viele Aspekte des Militärs, dem Rückgrat des römischen Staates, sondern auch Bevölkerungsstrukturen, Wanderungen, soziale Struktur und Einkommenssituationen, das Rechtssystem, Steuern und Abgaben, kaiserliche Reisetätigkeit (sehr interessant!), die Entwicklung der Stadt Rom, Religion und hundert andere Aspekte, die manchmal erst auf den zweiten Blick spannend sind. Ohne Grund hat aber kein Thema seinen Weg in dieses Buch gefunden, das kein trockenes Datengrab ist, sondern auf jeder Seite zum selber Kombinieren und Entdecken anregt.