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Benutzername: 
Igelmanu
Wohnort: 
Mülheim

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Insgesamt 989 Bewertungen
Bewertung vom 10.11.2019
Der lachende Kontinent
Dörries, Bernd

Der lachende Kontinent


ausgezeichnet

»An Schlangen hatte ich gedacht, an große gefährliche Tiere und kleine sehr giftige. Ich hatte mir die Kriminalitätsstatistiken angeschaut und nach Stadtteilen gesucht, in denen möglichst wenig Menschen umgebracht wurden… Ich habe mich Afrika letztlich so genähert, wie viele andere auch, mit Respekt, manchmal auch mit Angst.«

Seit über zwei Jahren lebt Bernd Dörries in Südafrika, als Berichterstatter für die Süddeutsche Zeitung über Subsahara-Afrika. Dabei handelt es sich um 49 Staaten, deren Namen wir meist unmittelbar mit Kriegen, Korruption, Hungersnöten und wilden Tieren verbinden.
Dörries reist kreuz und quer über den Kontinent und stellt dabei immer wieder fest, dass Afrika sehr viel mehr ist als eine Katastrophenregion, dass es dort auch das gibt, was wir als Normalität bezeichnen und dass dort sehr gern und oft gelacht wird.

34 Staaten hat er bereits besucht und stellt sie in diesem Buch vor. Zu jedem Staat gibt es einen Erlebnisbericht mit interessanten Infos. Zu Beginn jedes Kapitels ist die Position des Staates auf einer Afrika-Karte eingezeichnet, dazu gibt es Grundinfos zu beispielsweise Einwohnerzahl und Wirtschaftswachstum, zum Nationalgericht, den Top-Sehenswürdigkeiten und zur Anzahl chinesischer Restaurants, weil man daran erkennen kann, wie aktiv China im jeweiligen Staat ist.

Da auch mir gewöhnlich zuerst die im ersten Absatz genannten Dinge durch den Kopf schießen, wenn ich an Afrika denke, machte ich mich sehr neugierig und gespannt daran, meine Bildungslücken zu füllen.
Alphabetisch geordnet werden die Staaten vorgestellt. Der Anfang überzeugt mich allerdings noch nicht. Da lese ich von wenigen Superreichen, von zurückliegenden Kriegen und Korruption, von einem Staat, gegen den Nordkorea offen erscheint. Aber dann Äthiopien! Habe ich bislang nur mit Hungersnöten verbunden, jetzt lese ich von Weinanbaugebieten, die beachtliche Weine hervorbringen. Ich beginne zu staunen. Und lese weiter.

Von Botswana, in dem es kaum Korruption gibt und die Krankenversicherung umsonst ist, in dem viel in Infrastruktur, Bildung und Gesundheit investiert wird und von wo aus der Bevölkerung normalerweise keiner weg will.
Vom Filmfestival in Burkina Faso und der größten Kirche der Welt an der Elfenbeinküste.
Von Liberia, das zwar auf eine Vergangenheit mit Kindersoldaten und Ebola zurückblickt, aber auch ein Surfgebiet hat, das zu den besten der Welt zählt.
„Die größte Gefahr an diesem Ort wäre, dass man nicht mehr wegwill, wenn man ihn einmal gesehen hat.“
Von Nigeria, der erfolgreichsten Scrabblenation der Welt. Und vielen weiteren überraschenden Dingen, auf die ich ohne dieses Buch vermutlich nicht gekommen wäre.

Natürlich ist längst nicht alles gut. Es gibt Not, Korruption und vieles, was nicht richtig läuft. Aber eben nicht nur, es gibt auch anderes und man täte Afrika unrecht, es auf die negativen Punkte zu reduzieren. Der Autor jedenfalls, das merkt man deutlich, fühlt sich dort wohl und meist auch sicher, er staunt und freut sich über beeindruckende Erlebnisse, in der Natur und mit den Menschen. Freunden empfiehlt er, die Urlaubsreise doch mal nach Addis Abeba oder Kinshasa zu machen und generell ist ihm wichtig, die Meinung über Afrika in den Köpfen der Menschen zu erweitern. Bei mir ist ihm das gelungen.

Fazit: Ein völlig neuer und faszinierender Blickwinkel auf einen Kontinent, den die meisten Europäer nur als trostlos bezeichnen und höchstens zum Zweck einer Safari aufsuchen würden.

»Als ich an der Tankstelle bezahlen will, weigert sich die Kassiererin, meine Karte zu nehmen und guckt mich streng an. Ich merke gerade noch, dass ich mich nicht nach ihrem Befinden erkundigt habe: »How are you?«, sage ich also. Sie lächelt, ohne ein Schwätzchen kommt man hier nicht davon. In solchen Momenten ist es einfach ein großartiges Land.«

Bewertung vom 28.10.2019
Das Böse
Haller, Reinhard

Das Böse


sehr gut

Die Suche nach dem Bösen, nach seiner Kontur und seinen Wurzeln, bestimmt sein Leben. Reinhard Haller ist Psychiater und Psychotherapeut, als forensischer Gutachter untersucht er im richterlichen Auftrag die Persönlichkeit von Tätern. Bei den Gesprächen sitzt er mit inhaftierten Mördern und Schwerverbrechern aller Art in ihren Zellen und versucht zu ergründen, was zu der Tat geführt hat und vor allem, ob der Täter bei klarem Verstand gehandelt hat (er nennt es „mad oder bad“).

In diesem Buch fasst er seine Erkenntnisse zusammen und bezieht dabei diverse wissenschaftliche Erkenntnisse, Theorien, medizinische und psychologische Untersuchungen ein. Vieles konnte schon erklärt werden, man konnte verschiedene Charaktertypen von Verbrechern erkennen und bestimmte Muster beschreiben. Es wird aber auch klar, dass sich nicht alles erklären lässt und manche Fragen offen bleiben.

Die Gliederung greift verschiedene Arten von Tätern bzw. Verbrechen auf. Da geht es u.a. um Sexualmorde, um Amokläufer an Schulen oder Gewalt in der Partnerschaft. Auch den Bereichen Amok, Terror und Massaker ist ein Kapitel gewidmet. Zunächst wird jeweils ein zum Thema passendes Verbrechen geschildert, manchmal im Verlauf des Abschnitts noch weitere ergänzt. Diese Schilderungen sind nur kurz, die kriminalistische Auseinandersetzung mit den Verbrechen ist nicht Thema des Buchs. Dann wird das Gespräch mit dem Täter analysiert, von ihm gemachte Aussagen zitiert. Weitere Untersuchungen und Analysen schließen sich an. Gab es vielleicht eine krankhafte Veranlagung? Milieueinflüsse oder traumatisierende Kindheitserlebnisse? Besonders stark wirken wohl Kränkungserlebnisse, das hebt der Autor mehrfach hervor.

Fast durchgehend wirkt der Autor sehr professionell, wahrt Distanz, um seine Aufgabe als neutraler Sachverständiger auszufüllen. Mich hat es mehr als einmal richtig geschüttelt und ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass mir so etwas unmöglich gelingen würde. Natürlich erkenne ich, dass Täter nicht selten selbst Opfer waren, manchmal gelingt mir sogar Verständnis. Aber spätestens bei gefolterten Babys ist bei mir absolutes Ende. Reinhard Haller berichtet, dass selbst ihm an einzelnen Stellen die Wahrung der Distanz schwerfiel. Vielleicht eine Erklärung für einen Mord, der mit unsachlicher Opferperspektive geschildert wurde?

Beim Lesen darf man folglich nicht zu sensibel sein. Die Taten werden zwar nur kurz geschildert, aber es sind halt viele und oft besonders grausam. Außerdem drängen sich Fragen auf: Steckt das Böse möglicherweise auch in uns, in mir? Könnte es hervorbrechen? Und unter welchen Umständen? Die Möglichkeit ängstigt, denn wenn man ganz ehrlich ist, entdeckt man dunkle Stellen auch in sich. Böse Gedanken und Vorstellungen, Aggressivität… ja, die finde ich auch in mir. Die Frage ist nur, was man daraus macht. Sehr erschreckend fand ich in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen zu einigen wissenschaftlichen Forschungen, die zeigten, wie leicht „ganz normale Menschen“ zu bösen Tätern werden können. Hier wird auch auf die Ausführungen der Holocaust-Forscherin Hannah Arendt verwiesen. Das löst sehr unangenehme Gedanken aus.

Zum Bösen und seinem Ursprung haben sich schon sehr viele Menschen Gedanken gemacht. Einige werden hier vorgestellt. Die philosophischen Betrachtungen, metaphysischen und psychoanalytischen Theorien waren mir dann teils zu theoretisch, aber die Komplexität und das Ausmaß, in dem Denker und Forscher sich mit der Thematik befass(t)en, unterstreicht seine Bedeutung.

Bei dem Buch handelt es sich um die aktualisierte Neuausgabe von „Das ganz normale Böse“ von 2009. In Anbetracht der Tatsache, was in den letzten zehn Jahren an Verbrechen geschehen ist, erscheint mir eine Aktualisierung durchaus sinnvoll und angebracht. Allerdings fände ich es in solchen Fällen generell besser und eindeutiger, den alten, ursprünglichen Titel beizubehalten.

Bewertung vom 26.10.2019
Die Abenteuer eines Naturfreundes
Attenborough, David

Die Abenteuer eines Naturfreundes


ausgezeichnet

»Unter uns breitete sich der Regenwald wie eine grüne samtene Decke aus, die sich in alle Richtungen erstreckte, so weit wie wir sehen konnten. … Colonel Williams flog weiter, ohne höher zu steigen, bis wir Papageien über die Baumwipfel hinwegfliegen sehen konnten. … Wir verloren an Höhe, kreisten über einer kleinen Ansammlung weißer Gebäude und schickten uns zur Landung auf dem Flugfeld an – ein euphemistischer Ausdruck für einen kleinen Streifen Savanne, der sich anscheinend nur insofern von dem umgebenden Terrain unterschied, als er frei von Termitenhügeln war.«

Herrlich! Wieder so ein Buch, bei dem ich gleich Fernweh bekomme ;-) David Attenborough, Tierfilmer und Naturforscher, blickt auf einige seiner ersten Reisen zurück. Mitte der 50er Jahre entstanden durch ihn und sein Team Tiersendungen, in denen auch spannende Filme aus fernen Ländern gezeigt wurden, die der Autor zuvor dort gedreht hatte. Nach jeder Reise verfasste er einen Bericht, drei davon (leicht überarbeitet) finden sich in diesem Buch. Es geht nach Guyana, Indonesien und Paraguay.

Den Stil fand ich einfach großartig. Alles ist unterhaltsam geschrieben, bildhaft und humorvoll. Man streift beim Lesen mit durch den Dschungel, erlebt zahlreiche wundervolle Momente aber auch enorme Strapazen. Bei aller Faszination: Die Trips waren oft körperlich enorm anstrengend und manchmal auch gefährlich. Man braucht schon eine Menge Enthusiasmus, um das durchzustehen! Während ich gemütlich auf dem Sofa sitze und bei der Lektüre nasche, lese ich, wie sich David und sein Team wünschen, mal eine Nacht im Trockenen zu schlafen oder etwas anderes zu essen außer Reis „pur“ und ohne jegliche Beilage. Wie sie gegen Unwetter oder Motorschäden kämpfen, von Beamten in Indonesien getriezt oder findigen Händlern in Paraguay abgezogen werden. Wie sie in der Hoffnung, ein bestimmtes Tier zu erblicken, immer wieder weite und anstrengende Extratouren auf sich nehmen – und nicht selten dabei erfolglos bleiben.

Aber natürlich finden sie auch viele Tiere. Diese werden beschrieben, in Aussehen und ihren Eigenarten. Und es wird über sie gestaunt, ihre Schönheit oder ihre Fähigkeiten bewundert. Alles sehr lebhaft und voller Liebe zum Tier und zur Natur. Sicher: Man muss die Berichte in ihrem zeitlichen Zusammenhang sehen. Damals wurden Tiere eingefangen und in Zoos gebracht, das war normal. Heute (und schon seit vielen Jahren) werden keine Tiere mehr aus der Wildnis eingefangen, im Gegenteil erfolgen aus erfolgreichen Zuchten in Zoos Auswilderungen, um die Wildbestände zu stärken.
Auch David und sein Team fangen also Tiere, wägen dabei aber stets gründlich ab. So manches Tier, das ihnen von heimischen Jägern gebracht wurde, haben sie wieder ausgesetzt, weil in England keine artgerechte Versorgung möglich war. Auch wurde so manches Tier vor dem Kochtopf gerettet, diverse gefundene Waisenkinder mit Fläschchen und viel Einsatz aufgezogen.

Zu der einheimischen Bevölkerung bestehen oft intensive Kontakte. Das Team lebt mitten unter ihnen, in kleinen Dörfern indigener Volksgruppen. Auch hier wird beobachtet, sich ausgetauscht und alles für den Leser spannend niedergeschrieben. Neben dem normalen Alltag kommt es dabei manchmal zu faszinierenden Erlebnissen wie beispielsweise einer nächtlichen Geisterbeschwörung.

Ich könnte noch lange schwärmen – dieses Buch habe ich wirklich genossen. Viele Fotos und Übersichtskarten der bereisten Regionen runden alles perfekt ab.

David Attenborough wird schon mal als einer der weitestgereisten Menschen der Geschichte bezeichnet, er erhielt zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen und engagiert sich trotz seines hohen Alters noch für den Klimaschutz. Ich würde mich sehr freuen, wenn diesem Buch mit Reiseberichten noch weitere folgen würden.

Fazit: Bitte mehr davon! Großartige Reiseberichte, spannend und unterhaltsam.

Bewertung vom 09.10.2019
Die Mozarts
Lemster, Michael

Die Mozarts


sehr gut

»Diese fünfhundertjährige Geschichte der Mozarts ist reich an Höhepunkten und Krisen, Rätseln und Geheimnissen, komplexen und berührenden Figuren. War Leopold Mozart wirklich nichts als der unnachgiebige Zuchtmeister des kindlich-unbekümmerten Wolfgang? War das »Bäsle« ein Spielzeug oder die große, aber unmögliche Liebe des berühmten Komponisten? Und war Wolfgangs Frau Constanze der Ruin der Familie oder doch die Mutter ihres Nachruhms?«

Bücher über das Leben und Wirken großer Komponisten und Musiker lese ich immer gern und speziell Wolfgang Amadé Mozart war eine faszinierende Persönlichkeit und ein Ausnahmekünstler. Dieses Buch nun wirft einen Blick auf die Familiengeschichte der Mozarts von ihren Anfängen im 15. Jahrhundert bis zum Tod des letzten bekannten Nachkommens im Jahr 1965.
Schnell stellt man beim Lesen fest, dass es neben dem berühmtesten Vertreter der Familie weitere interessante Persönlichkeiten gab. Neben drei Generationen von Musikern finden sich davor und danach alle möglichen Berufe, die ersten Mozarts (damals noch Motzharts) arbeiteten sich regelrecht hoch, von einfachen Bauern über Handwerker bis hin zu Künstlern. Wie machten sie das? Stichworte wären hier: Fleiß, Begabung, die Wahl des „richtigen“ Wohnorts und/oder die Heirat mit den „richtigen“ Personen (die sogenannten günstigen Partien). All diese Dinge verraten eine deutliche Zielstrebigkeit, die man dann auch bei Vater und Sohn, Leopold und Wolfgang Amadé Mozart, beobachten kann.

Im Zentrum steht die Kernfamilie rund um den großen Komponisten und Musiker, dies macht auch den überwiegenden Teil des Buchs aus. Fesselnd zu lesen, wie alle auf dem Weg zum Ruhm zusammenarbeiteten! Leopold wird als »wirtschaftlicher Dirigent und Manager« bezeichnet, seine Familie als »Ensemble und Unternehmen«. Persönlich fand ich auch sehr interessant, wie es Mozarts Frau und seinen Kindern nach seinem Tod erging. Dieser Abschnitt hätte für mich gerne umfangreicher sein können.

Die Konzertreisen des Mozart-Familienbetriebs nehmen ebenfalls einen ordentlichen Umfang ein. Gleich zu Beginn werden die Reisen auf einer großen Übersichtskarte gezeigt. Am Ende des Buchs findet sich ein Stammbaum der Familie. So etwas mag ich sehr, bei der Betrachtung fielen mir aber kleine Ungenauigkeiten auf. Da wurden etwa einzelne Sterbedaten nicht mit dem bekannten Kreuzzeichen, sondern mit dem Sternchen aufgeführt, das üblicherweise das Geburtsdatum anzeigt.

Viel Wichtiges kann man aus den Beziehungen der einzelnen Familienmitglieder zueinander herauslesen, hier wird oft aus Briefen zitiert. Natürlich ist auch Mozarts persönliche Entwicklung Thema, wobei in diesem Buch tatsächlich mehr die Person als die Musik im Vordergrund steht. Die Beschreibungen gehen alle nicht sehr in die Tiefe, an nicht wenigen Stellen hätte ich mir detailliertere Infos gewünscht. Dies hätte aber vermutlich den Rahmen des Buchs gesprengt.

Bei den Schilderungen fällt auf, dass so einige aufgeworfene Fragen gar nicht richtig beantwortet werden. Der Autor stellt oft entweder Möglichkeiten vor, wie es gewesen sein könnte, er interpretiert und mutmaßt, oder er stellt schlicht eine Sichtweise vor, die aber von der in anderen Biographien abweichen kann. Er führt dabei Begründungen an, manchmal durchaus logisch, aber als richtige Beweise konnte ich sie nicht immer anerkennen. Sehr interessant fand ich seine Ansichten zu einigen bestehenden Legenden rund um Mozart, wie zum Beispiel die Mordlegende oder das angebliche Armenbegräbnis.

Bei einer fünfhundertjährigen Familiengeschichte reist man zwangsläufig durch die Zeit – und das ist hier wirklich gut gelungen. Verschiedene geschichtliche Epochen, beispielsweise der 30jährige Krieg oder die Aufklärung, werden mit Grundinfos beschrieben, die agierenden Personen der Familie sehr lebendig in ihrer jeweiligen Zeit dargestellt. Es gibt also viel Zeitkolorit, was die Lektüre besonders reizvoll macht.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.09.2019
Die Ameisenfrau
Kiehl, Thomas

Die Ameisenfrau


gut

»So leicht werden Sie mich nicht los. … Ich musste gestern mit ansehen, wie ein Mensch gestorben ist. Ich möchte, dass Sie mir ein paar Fragen beantworten.«

Für die Biologin Lena Bondroit drehte sich im Leben bisher alles um Ameisen, mit ihren Forschungen hat sie sich bereits einen Namen gemacht. Eines Tages wird sie kurz hintereinander von zwei ihr bis dahin fremden Männern angesprochen, die ein ganz spezielles Interesse an ihren Forschungsarbeiten haben. Der eine von ihnen wird nach einem Treffen ermordet, Lena ist Zeugin. Zuvor erzählte er ihr etwas über eine bizarre Geheimorganisation, die Menschen manipuliert. Ohne den Mord hätte Lena dies lediglich als Verschwörungstheorie angesehen. Aber tatsächlich steckt sie alsbald in einem Geflecht von Lügen, Manipulationen und ungewöhnlichen Organisationen. Es wird gefährlich für sie und wiederholt muss sie sich fragen, wem sie eigentlich glauben kann.

Die Themen in diesem Buch fand ich sehr reizvoll. Eine Ameisenforscherin als Ermittlerin ist mal etwas völlig anderes und ihre Spezialkenntnisse liefern wertvolle Gedankenansätze. Immer wieder erfährt man dabei natürlich auch Interessantes über die kleinen, staatenbildenden Lebewesen.

Im Zentrum steht das Spiel mit der Angst. Zum einen die Überlegung, wie Angst in der Bevölkerung ausgenutzt wird, um eigene Ziele zu erreichen. Wenn man sich umschaut, fallen da schon viele Beispiele auf. Freiwillige Versicherungen würden ohne Angst viel seltener abgeschlossen werden. Die Angst vor Fremden und Einwanderern spielt gewissen Parteien in die Arme, die sich daher natürlich bemühen, diese Angst noch zu schüren. Zum anderen stellt sich die Frage, woher die Angst eigentlich kommt, was sie ausgelöst haben könnte und ob die Menschen heute ängstlicher sind als früher.

Das sind, wie schon erwähnt, sehr interessante Themen und die Grundidee des Buchs kann ich gut nachvollziehen. Leider trifft das nicht auf alle Handlungsstränge zu, da empfand ich so einiges als arg konstruiert. Zudem sagte mir der Schluss nicht zu, diese Art der Auflösung erschien mir zu geschönt und unpassend zu der ernsten Thematik.

Lena hat mir als Charakter gut gefallen. Neben ihr gab es für mich zwei weitere Personen, die authentisch wirkten, das waren der ermittelnde Polizist und der Innenminister. Die anderen blieben blass oder waren schlicht unglaubwürdig. Richtig gut gefiel mir, dass man lange Zeit nicht wusste, wem man jetzt eigentlich trauen kann und wem nicht. Die Frage nach Gut und Böse gestaltete sich als ordentliches Verwirrspiel, das war gelungen.

Fazit: Interessante Thematik und ein paar richtig gute Ideen, aber an anderen Stellen zu konstruiert.

Bewertung vom 23.09.2019
Märchenmorde - Die (tödliche) Wahrheit
Arnold, Martina;Steinhauer, Franziska;Köstering, Bernd;Sturm, Andreas M.

Märchenmorde - Die (tödliche) Wahrheit


ausgezeichnet

»Es war einmal ein armer Mafioso, der hatte drei Söhne: Umberto, Amando und Luca, seinen jüngsten. Ihr Vater war verarmt, weil ihn Don Adriano, Boss der Bosse, zeitlebens kräftig hatte bluten lassen. Als der arme Mafioso von einer plötzlichen Bleivergiftung dahingerafft wurde, wussten seine Söhne bereits, dass ihr väterliches Erbe äußerst mager ausfallen würde.«

Tja, statt des alten Katers erbt der jüngste Sohn hier einen uralten und halbblinden Auftragskiller. Willkommen bei den Märchenmorden ;-)
Märchen und Morde? Das passt sehr gut, sind doch Märchen im Grunde allesamt Krimis. Im Märchenbuch folgt meist ein Verbrechen auf das andere, da wird gemordet, entführt, geraubt, verstümmelt, Kinder ausgesetzt und vieles mehr.

Andreas M. Sturm hat für diese Anthologie wieder Kurzkrimis verschiedener Autoren gesammelt, die in 15 Geschichten mit viel schwarzem Humor einen neuen Blick auf die alten Geschichten samt ihrer Verbrechen wagen. Ich kannte alle Märchen und hatte großen Spaß an der Umsetzung. Da steht der Wolf vor Gericht, angeklagt von den sieben Geißlein, Hänsel ist drogenabhängig und das Rumpelstilzchen hilft nicht dabei, Stroh zu Gold zu spinnen, sondern aus Mehl Kokain herzustellen.
Allerdings siegt bei den meisten Märchen am Ende das Gute…

Wie immer bei Anthologien habe ich jede Geschichte einzeln bewertet und daraus einen Schnitt ermittelt. Diesmal konnten mich die meisten Geschichten begeistern und neunmal vergab ich 5 Sterne. Fünf Geschichten waren mir 4 Sterne wert und lediglich für eine Geschichte kam ich nicht über 3 Sterne hinaus. Das ergibt einen Schnitt von 4,53 und damit aufgerundet 5 verdiente Sterne für diese überaus unterhaltsamen Märchenmorde.

Fazit: Es war einmal oder so hätte es auch sein können – diese Geschichten haben viel Spaß gemacht und ich hätte große Lust auf weitere Märchenmorde.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.09.2019
Lassen Sie uns kennenlernen!
Veitch, James

Lassen Sie uns kennenlernen!


sehr gut

»Grüße? Erstens, ich muss mich entschuldigung für hineinplatzen in deine Mailbox. Ich suche einen Entscheidungsträger um schnappen 50 % von $ 128 Millionen. Umsonst für Dich. Habe ich Dein Interesse geweckt?«

Jeder hat sie schon mal in seinem Postfach oder bei gut funktionierendem Spamfilter im gleichnamigen Ordner gehabt. Mails, die sagenhafte Verdienstmöglichkeiten bieten (ganz umsonst), von der großen Liebe reden oder von angeblich plötzlich und unverschuldet in Not geratenen Bekannten stammen.
Wie ich werden die meisten angesichts einer solchen Mail einfach die Löschtaste betätigen. Nicht so James Veitch, der sich eines schönen Tages überlegte, doch mal zu antworten. Und daran solchen Spaß bekam, dass er es zwei Jahre lang durchgezogen hat. Einige dieser „Briefwechsel“ hat er in diesem Buch zusammengetragen, ich habe wirklich sehr gelacht!

Es fängt schon lustig an, indem er Spam in Kategorien wie „Schätze“, „Gestrandet“, „Alles nur aus Liebe“, „Gelegenheiten“ und viele mehr einordnet. Bei vielen dieser Spammails fragt man sich schon, wie irgendjemand darauf hereinfallen kann, allerdings würde nicht in einem solchen Umfang Spam erzeugt, wenn er nicht immer wieder auf fruchtbaren Boden fallen würde. Veitch‘ Intention liegt daher (neben dem Spaß) darin, dass er die Spammer beschäftigen will, damit sie weniger Zeit haben, sich um andere Opfer zu bemühen. Persönlich denke ich, dass dies eine sehr blauäugige Hoffnung ist, aber Veitch hat, das merkt man deutlich, so manchen Spammer ordentlich Nerven gekostet. Und das ist zumindest ein bisschen gerecht ;-)

Selber werde ich künftig weiter meinen Spam einfach löschen, ich habe auch schlicht nicht die Zeit, mich mit so etwas länger zu befassen. Für Leser, die ihm nacheifern wollen, hat Veitch jedoch ein paar Hinweise zum sicheren Vorgehen. An manchen Stellen weist er zudem auf gerne ausgelegte Fallen und Besonderheiten hin, das könnte ganz hilfreich sein, wenn man mal auf eine gut gemachte Spammail trifft.

Fazit: Da kommt schon Schadenfreude auf. Genervte Spammer, die an einem kreativen Opfer verzweifeln – sehr unterhaltsam!

Bewertung vom 23.09.2019
Alles ist möglich
Jornet, Kilian

Alles ist möglich


sehr gut

Ich habe ja schon einige Bücher über Bergsteiger gelesen. Also über „normale“ Bergsteiger. Die haben mir bereits reichlich Respekt abgenötigt, gehöre ich doch zu den Menschen, die zwar gerne in den Bergen unterwegs sind, aber nie einen Wanderweg verlassen würden. Und nun lese ich von einem Menschen wie Kilian Jornet, der auf Berge hinaufrennt. Gipfel erklimmt, wieder runter rennt – und alles immer möglichst schnell. Ein Mensch, für den das Training zur Lebensform geworden ist, der täglich viele Stunden auf Bergen läuft und kein Problem damit hat, einen Wettkampf nach dem anderen zu absolvieren. Ist schließlich auch Training. Und der innerhalb weniger Tage zweimal auf den Mount Everest läuft. Natürlich ohne zusätzlichen Sauerstoff. Wie bitte kann ein Mensch das schaffen?

Das Buch gibt mir einige Antworten. Jornet erzählt über sich und ist dabei durchaus selbstkritisch. Seine hohe Verbundenheit mit den Bergen zeigte sich seit früher Kindheit. Und ebenfalls früh merkte er, wie wichtig das Ausloten seiner körperlichen Grenzen für ihn ist. In diesem Zusammenhang berichtet er von bizarren Experimenten. Da wollte er zum Beispiel mal austesten, wie lange er leistungsfähig bleibt, ohne die kleinste Kleinigkeit zu essen. Nach fünf Tagen mit normalem Trainingsprogramm ist er dann beim Laufen zusammengebrochen. Experiment erfolgreich abgeschlossen.
Bei den vielen Berichten von Touren, die er im Buch schildert, kommen weitere solcher in meinen Augen höchst grenzwertigen Aktionen heraus. Da läuft er zum Beispiel eine über 56 Stunden dauernde Monstertour, irgendwann natürlich völlig übermüdet und nur mit gelegentlichen halbstündigen Schlafpausen. Beim Lesen erfährt man dann, dass er sich außerdem nur drei Wochen zuvor bei einem Sturz das Wadenbein gebrochen hat und selber zugibt, dass dieser Lauf sicher nicht das Beste für sein Bein ist.
Höchst widersprüchlich betont er, dass jeder für seinen Körper verantwortlich sei und sagt, dass er auf dem Berg „nicht den Tod sucht, sondern das Leben“. Wenn er da mal nicht eines Tages eine böse Überraschung erlebt. An anderer Stelle erklärt er, dass Bergsteigen für ihn keine Heldentat und der Einsatz des Lebens mehr Dummheit als Mut, schlicht eine „egoistische Handlung, gefährlich und teuer“ sei. Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen.

Die Selbstkritik geht noch weiter. Jornet gesteht, dass er große Schwierigkeiten im Umgang mit Menschen hat. Er erkennt klar, wie sehr seine Lebensgefährtin unter seinen gefährlichen Aktionen leiden muss, aber die Frage nach der Priorität „Sport oder Privatleben?“ hat er schon längst für sich beantwortet.

Jornets Schilderungen sind durchaus fesselnd, da man (siehe Buchtitel) immer wieder staunt, was so alles möglich ist. Dazu kommen herrliche Natur- und Landschaftsbeschreibungen – er liebt halt die Berge mehr als alles andere.
Sehr interessant fand ich auch die kritischen Worte über die allgemeinen Entwicklungen im Bergsport. Schon oft las ich in diesem Zusammenhang von Massentourismus, sah Bilder von Basislagern, die Zeltstädten gleichen. Der Schaden, den die Natur dadurch nimmt, ist groß. Zumal die vielen Touristen oft enorme Müllberge hinterlassen. Und so mancher dieser Bergfreunde hat im Grunde gar nicht die benötigte körperliche Fitness für die Gipfeltour, sondern geht große Risiken ein. Bergretter können davon ein Lied singen. Ob sich solche Menschen nicht womöglich durch einen Buchtitel wie „Alles ist möglich“ noch bestätigt fühlen?
Was mir noch nicht bekannt war, ist der hohe Erfolgsdruck, der auf Bergsportlern lastet. Jornet erzählt vom Druck der Sponsoren, die nach immer neuen Rekorden und Höchstleistungen verlangen und damit schon so manchen Sportler dazu gebracht haben, hohe Risiken einzugehen. Es reicht wohl nicht mehr aus, einen Berg „nur“ zu besteigen, man muss sich offenbar immer etwas Neues, Spektakuläres, einfallen lassen. Ein bedauerlicher Trend.

Bewertung vom 22.09.2019
Helter Skelter
Bugliosi, Vincent;Gentry, Curt

Helter Skelter


ausgezeichnet

Der Sommer von 1969. Neil Armstrong betrat als erster Mensch den Mond, in Woodstock feierten 400.000 Menschen ein großes Fest mit Love & Peace. Und in Los Angeles schockierten Charles Manson und seine „Family“ die Welt mit mehreren Morden von unglaublicher Brutalität, zu ihren Opfern zählte auch die hochschwangere Ehefrau von Roman Polanski, Sharon Tate.

Vincent T. Bugliosi, stellvertretender Bezirksstaatsanwalt in Los Angeles, war Anklagevertreter in den Fällen Tate/LaBianca gegen vier der Täter: Charles Manson, Susan Atkins, Patricia Krenwinkel und Leslie van Houten. In diesem Buch beschreibt er chronologisch und sehr detailliert die Morde, die Mörder, die Ermittlungen, die Suche nach dem Motiv und den Prozess. Sämtliche Untersuchungen, Verhöre und überhaupt der Prozessverlauf werden akribisch dargestellt, das wird in dieser Ausführlichkeit nicht für jeden etwas sein, wer aber (so wie ich) nichts spannender findet als wahre Verbrechen, sollte begeistert sein. Ich war es auf jeden Fall. Überhaupt habe ich hier wieder festgestellt, was ein wirklich spannend geschriebenes Buch ausmacht. Wenn man nämlich genau weiß, wie es ausgeht und trotzdem den Atem anhält – hier passierte mir das beim Urteilsspruch der Geschworenen.

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1974. Im Nachwort von 1994, damals lagen die Morde 25 Jahre zurück, beschreibt der Autor u.a., was aus den Tätern, Zeugen und anderen Beteiligten geworden ist. Damals konnte er vermelden, dass alle Haupttäter nach wie vor inhaftiert waren. Leider war es ihm nicht vergönnt, ein erneutes „Update“ nach jetzt 50 Jahren zu schreiben, da er bereits 2015 verstarb. Es hätte ihm vermutlich gefallen, dass die Täter immer noch im Gefängnis sind. Bis auf Charles Manson und Susan Atkins, die 2017 bzw. 2009 in Haft verstarben.

Fazit: Die bizarre Faszination von Charles Manson und seiner Family wirkt noch heute nach. Ausgezeichnete Darstellung der damaligen Ereignisse einschließlich Motiv- und Erklärungssuche. Fast 750 Seiten, die mich wirklich gefesselt haben.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.09.2019
Wenn der Mond stirbt / Mollel Bd.1
Crompton, Richard

Wenn der Mond stirbt / Mollel Bd.1


ausgezeichnet

»Mollel sieht hinunter auf ein junges, ovales Gesicht, das aschige Grau der Haut muss zu Lebzeiten ein leuchtendes, fast blau schimmerndes Schwarz gewesen sein. Ausgeprägte Wangenknochen, hohe Stirn. Auf beiden Wangen ist vor langer Zeit ein kleines flaches »o« eingeritzt worden.
Es ist ein vertrautes Gesicht. Er kennt die Person nicht, aber er kennt ihr Volk. Es ist sein eigenes.«

Nairobi, im Dezember 2007. Die Präsidentschaftswahl steht kurz bevor. In wenigen Tagen wird der amtierende Präsident neu vereidigt werden, Wahlbetrug wird im Raum stehen und das Land von schweren Protesten und Ausschreitungen erschüttert werden. Ein Zentrum besonders schlimmer Gewaltausbrüche werden die Slums von Nairobi sein. Man schätzt heute, dass zwischen 800 und 1.500 Kenianer ihr Leben verloren.
Nairobis Bevölkerung ahnt, was kommen wird und rüstet sich mit Hamsterkäufen. Währenddessen versucht Mollel den Tod der jungen Frau aufzuklären, die wie er zu den Massai und damit zu einer ethnischen Minderheit in Kenia gehört.

Dieser Kenia-Krimi hat mir ausgesprochen gut gefallen! Der besondere Reiz liegt natürlich im Schauplatz und den damit verbundenen Besonderheiten. So erfährt der Leser viel über das Verhältnis der einzelnen Volksgruppen zueinander, ich war schon schwer erstaunt, wie viele es da überhaupt gibt! Und erschüttert las ich von den zahlreichen gegenseitigen Vorurteilen und Ablehnungen, die leider existieren und das Leben der Bevölkerung zusätzlich erschweren. Besonders dramatisch ist dies, da das Land auch so schon mit mehr als genug Problemen zu kämpfen hat. Neben Armut und Arbeitslosigkeit sind da natürlich Korruption der wirtschaftlich und politisch Mächtigen zu nennen, die Vorkommnisse aus Dezember 2007 sind da ganz typisch. Dazu kommen weitere speziell für Frauen schlimme Probleme, wie die regional immer noch existierende weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsheirat oder Prostitution aus schierer Not.

Vor diesem Hintergrund also ermittelt Mollel. Er ist ein interessanter und vielschichtiger Charakter, mit dessen Handlungsweisen (vor allem im privaten Bereich) ich mich nicht immer anfreunden konnte. Was aber andererseits den Reiz des Charakters erhöhte! Auch bei der Polizei war er in Ungnade gefallen und wird nur deswegen hinzugezogen, weil die Ermordete so wie er Massai ist.

Das Buch liest sich flott, die Auflösung ist schlüssig und passt in den Gesamtkontext. Es gibt noch einen weiteren Band dieser Reihe, den möchte ich kurzfristig auch noch lesen.

Fazit: Toller Kenia-Krimi, intelligente Handlung und anspruchsvoller Hintergrund.