Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Mikka Liest
Wohnort: 
Zwischen den Seiten
Über mich: 
⇢ Ich bin: Ex-Buchhändlerin, Leseratte, seit 2012 Buchbloggerin, vielseitig interessiert und chronisch neugierig. Bevorzugt lese ich das Genre Gegenwartsliteratur, bin aber auch in anderen Genres unterwegs. ⇢ 2020 und 2021: Teil der Jury des Buchpreises "Das Debüt" ⇢ 2022: Offizielle Buchpreisbloggerin des Deutschen Buchpreises

Bewertungen

Insgesamt 735 Bewertungen
Bewertung vom 05.11.2015
Der Winter der schwarzen Rosen
Blazon, Nina

Der Winter der schwarzen Rosen


ausgezeichnet

Die Welt des Buches hat mich auf den ersten Seiten schon gepackt, denn ich fand sie sehr interessant und gut durchdacht, bis hinein in die kleinsten Details. Das machte die Geschichte für mich sehr glaubhaft, obwohl sie viel Märchenhaftes an sich hat: eine böse Königin, die das Blut besiegter Feinde trinkt und sich mit ihren Knochen schmückt, Geister, Todesfrauen und schwarze Hirsche, deren Fell jeder Waffe trotzt...

Sehr gut gefallen hat mir, dass viele Dinge nicht das sind, was sie zu sein scheinen, und viele Charaktere ihre vielschichtigen Geheimnisse und verborgenen Wünsche erst nach und nach preisgeben. Besonders gegen Ende hat mich die Autorin immer wieder überraschen können! Ich fand das Buch wirklich von der ersten bis zur letzten Seite spannend und unterhaltsam.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen zwei Zwillingsschwestern, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.

Liljann ist die Erstgeborene und stand dennoch, unscheinbar und farblos, immer im Schatten ihrer lebenslustigen Schwester Tajann. Liljann ist die Zaudernde, die Ängstliche, ein echtes Hasenherz... Und ausgerechnet sie soll nach den Gesetzen ihres Volkes losziehen, um neue Gebiete auszukundschaften und zu erobern! Mit Schrecken blickt sie dem Tag entgegen, an dem ihr vorbestimmter Weg sie ins Grauland führen soll - ein sicheres Todesurteil.

Aber sie verbirgt eine magische Gabe: sie kann Bannzauber sprechen und Geister sehen. Allerdings muss sie diese Gabe sogar vor ihrer Schwester verstecken, denn Magie ist für ihr Volk etwas Teuflisches, das gnadenlos ausgerottet werden muss. Nur zu schnell könnten die Scheiterhaufen brennen...

Tajann dagegen war als Kind schon die Erwählte der Feen, die ihr Reichtum, Macht und den perfekten Ehemann prophezeiten. Als Zweitgeborene darf sie tun und lassen, was sie will - sobald ihre Schwester endlich ihre Pflicht erfüllt hat. Tajann ist bildschön, anmutig, intelligent, strahlend vor Lebenslust, aber auch arrogant, machthungrig und gelegentlich kalt und skrupellos. Am Anfang konnte und wollte ich sie deswegen nicht mögen! Erst so nach und nach verstand ich, was sie motiviert und bewegt, und irgendwann begriff ich, dass ihr stolzes Herz tatsächlich auch selbstlose Liebe kennt...

Die beiden Zwillingsschwestern treffen manchmal fatale Entscheidungen, sie haben Charakterschwächen und Eigenschaften, die ich an ihnen nicht immer sympathisch fand, aber genau das macht sie auch so überzeugend und echt, und mit jeder Seite schloss ich sie mehr ins Herz

So, wie ich erst Tajanns liebevolle Seite entdecken musste, um wirklich mit ihr mitzufühlen, musste ich hinter Liljanns Zaghaftigkeit erst den stillen Mut erkennen.

Auch die anderen Charaktere fand ich wunderbar geschrieben, über sie möchte ich aber noch nichts verraten, denn für mich ist ein Reiz des Buches, die Charaktere selber nach und nach kennen zu lernen! Alleine schon deswegen, weil sich hinter manch menschlicher Fassade ein Monster verbirgt, und hinter manch grässlichem Aussehen ein fühlendes Wesen...

Auch über die Liebesgeschichten möchte ich daher noch nicht zu viel sagen, nur soviel: in meinen Augen ist das Buch oft herzzerreißend romantisch, aber nicht triefend kitschig. Und auch hier gilt: es ist nicht immer alles, wie es scheint... Das Ende hätte ich so niemals vorhergesehen!

Den Schreibstil fand ich großartig: berückend sowohl in den malerisch-poetischen als auch in den düster-schaurigen Szenen. Von der dichten, märchenhaften Atmosphäre her hat das Buch mich manchmal an das grandiose "Grisha" von Leigh Bardugo erinnert!

Bewertung vom 25.10.2015
Thalam
Ennemann, Gabriele

Thalam


gut

In meinen Augen ist der größte Pluspunkt des Buches seine enorme Originalität! Gabriele Ennemann lässt die so komplexe wie märchenhafte Welt Thalam in schillernden, lebhaften Details vor dem Leser auferstehen. Es gibt immer wieder etwas Neues zu entdecken!

Leider hatte ich aber dennoch so meine Probleme mit dem Buch.

Zum Teil liegt es wohl daran, dass die Geschichte irgendwo im Niemandsland zwischen Kinder- und Jugendbuch angesiedelt ist. Gidion, der Held der Geschichte, ist 15 Jahre alt, was ja eigentlich auch Leser dieser Altersgruppe anspricht, der Schreibstil kam mir aber eher einfach und kindlich vor.

Der Inhalt las sich für mich ebenfalls wie ein Kinderbuch, denn ich vermute, sprechende Tiere, niedliche Blumenelfen und kauzige Wichtel werden zwar Kinder und junggebliebene Erwachsene bezaubern, für viele Jungs im Teenageralter aber einfach zu uncool sein.

Tatsächlich wird das Buch auch für Kinder ab 10 Jahren empfohlen - für diese Altersgruppe fehlte mir aber ein wenig die passende Identifikationsfigur!

Die Ereignisse werden dem Leser überwiegend aus Gideons Sicht erzählt, wodurch er direkt dazu eingeladen wird, mit ihm mitzufühlen. Am Anfang werden die wichtigsten Dinge, die der Leser wissen muss, vermittelt, indem Gidions Ziehvater ihm Dinge erklärt - was mir ein wenig konstruiert vorkam, aber auch jungen Lesern den Einstieg leicht macht.

Leider war für mich nicht immer alles schlüssig. Es waren oft die kleinen Details, die mich stutzig machten und mich ein wenig aus der Geschichte rissen.

Auch die Charaktere machten es mir nicht immer einfach.

Außer Gidion besteht die Avantgarde, also die Gruppe junger Helden, die Thalam retten sollen, aus der etwa gleichaltrigen Leona, sowie der etwas älteren Dawn und dem Kronprinzen Levinor.

Wie schon gesagt, mir kam Gidion oft viel jünger vor, als er eigentlich sein sollte. Abgesehen davon fand ich ihn aber sympathisch und ich konnte auch gut mir ihm mitfiebern!

Auch Leona wirkte auf mich häufig eher wie ein Kind. Sie langweilt sich schnell und reagiert patzig, wenn etwas nicht nach ihrem Kopf geht, ist aber ansonsten gutherzig, pfiffig und mutig.

Für Dawn und Levinor konnte ich dagegen einfach kein richtiges Gespür entwickeln. Ich habe nicht das Gefühl, sie wirklich zu kennen!

Am schwersten machten es mir aber die Bösewichte. Sie erschienen mir sehr eindimensional - sie sind böse, weil sie eben böse sind, und sie haben Spaß daran. Außerdem benehmen sich die beiden gefährlichsten Widersacher manchmal geradezu kindisch und verbringen einen Großteil des Buches damit, dass sie in der Gegend umher irren und mit ihren Plänen keinen Schritt voran kommen. Dadurch wirkten sie auf mich nicht sehr bedrohlich!

Überhaupt wollte für mich so recht keine Spannung aufkommen. Es wird viel davon gesprochen, was für schreckliche Dinge passieren könnten oder in der Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit geschehen werden, weil die Lebensachse gestohlen wurde - aber man bekommt als Leser diese Bedrohung nicht unmittelbar mit. Ich habe einfach nicht gespürt, dass die Zeit drängt und die Welt in großer Gefahr ist.

Es braucht sehr lange, bis die vier Mitglieder der Avantgarde tatsächlich losziehen, um die Welt zu retten! Und dann verläuft die Reise zunächst ziemlich ruhig. Es wird viel gerastet, es werden wundersame Wesen bestaunt... Es dauert mehr als 200 Seiten, bis sich den jungen Helden überhaupt mal ernsthaft etwas in den Weg stellt.

Meist erledigen sich die Schwierigkeiten denn jedoch relativ problemlos, oder sie kommen tatsächlich in eine lebensbedrohliche Situation, meistern sie aber nicht selbst, sondern müssen gerettet werden.

Ich hätte mir manchmal gewünscht, dass Gidion und seine Freunde mir viel deutlicher zeigen, warum das Schicksal ausgerechnet sie ausgewählt hat, zur Avantgarde zu gehören!

Bewertung vom 22.10.2015
E.J. und das Drachenmal
Oeschger, Anika

E.J. und das Drachenmal


sehr gut

Dieses Buch ist der Debütroman von Anika Oeschger, einer erst 18-jährigen Autorin, die sogar noch zur Schule geht. Da horcht man doch direkt auf: was, so jung?! Man ist beeindruckt, neugierig und vielleicht auch geneigt, dem Buch ein paar Fehler und Schwächen zu verzeihen, nicht wahr?

Jedenfalls ging es mir so, aber schon nach den ersten Seiten beschlich mich der Verdacht, dass die Autorin diesen "Welpenschutz" gar nicht nötig hat... Denn das Buch ist sehr gut, meiner Meinung nach! Und zwar nicht nur gut, wenn man das Alter bedenkt, sondern einfach gut, Punkt. Frisch, originell, witzig, mit sympathischen Charakteren und einem lebendigen Schreibstil.

Ok, die Grundidee klingt vielleicht nicht so ganz neu: ein junges Mädchen entdeckt besondere Fähigkeiten an sich und gerät mitten hinein in einen magischen Konflikt. Aber das Ganze wird aufgepeppt von interessanten Ideen und Wendungen, die eben doch was ganz Eigenes daraus machen! Mir gefällt das Magie-System, bei dem die jungen Träger der Drachenmale Fähigkeiten entwickeln, mit denen sie die Elemente steuern können - je nach Farbe des Drachenmals hat jeder Gezeichnete ein Element, das ihm besonders vertraut ist. Allerdings werden die Gezeichneten schon seit Urzeiten von einem unvorstellbaren Bösen gejagt, das hinter ihrer Macht her ist...

E.J. muss sich auch sonst mit einigem herumschlagen: Echsenmenschen, dem vielleicht berühmtesten Seemonster der Weltgeschichte, merkwürdigen Mitschülern mit bösartiger Ausstrahlung, ganz zu schweigen von blauer Kotze, ödem Schulunterricht und außer Rand und Band geratenen Gefühlen. Ich fand die Geschichte sehr fantasievoll, spannend und unterhaltsam und hatte das Buch daher auch superfix durch.

Man merkt, dass die Autorin etwa im selben Alter ist wie ihre Protagonisten, denn die lesen sich einfach glaubhaft und authentisch. Ich hatte schnell ein Gefühl für ihre jeweiligen Persönlichkeiten der wichtigsten Charaktere, auch wenn wir in diesem ersten Band noch gar nicht so viel über sie erfahren.

Auch interessant fand ich, dass E.J. zwar im Mittelpunkt steht, aber nicht in allem die Beste, Talentierteste, Schönste oder Geschickteste ist! (Sowas finde ich immer langweilig und unglaubwürdig.) Schnell finden sich an ihrer Schule auch andere Gezeichnete ein, und zusammen versuchen sie, schnell ihre Kräfte beherrschen zu lernen, damit sie im Kampf gegen das Böse eine Chance haben.

Manchmal ging mir das ein bisschen zu schnell, denn so etwas lernt man doch eigentlich nicht so nebenher in einer Woche... Witzig und interessant fand ich allerdings, wie kreativ die Jugendlichen ihre Kräfte für die verschiedensten Dinge benutzen.

Was wäre ein Jugendbuch ohne Liebesgeschichte? Richtig. Und so lernt auch E.J. schnell einen netten Jungen kennen, für den sie sich direkt interessiert! Aber nicht alles läuft so, wie sie (oder der Leser) das erwartet... Ich fand die Liebesgeschichte nicht umwerfend, aber doch sehr nett.

Allerdings gibt es noch eine romantische Nebengeschichte, die mich nicht so sehr überzeugt hat, weil man diese zwei Charaktere eigentlich nie zusammen erlebt, und die auch erst ganz am Schluss auf einmal wichtig wird. Überhaupt habe ich gemischte Gefühle, was das Ende betrifft: manches geht mir auf einmal zu einfach, aber anderes finde ich sehr interessant und ungewöhnlich.

Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen, vor allem der lockere, oft freche Humor. Manchmal hat es mich vom Humor er ein wenig an die Fernsehserie "Buffy" erinnert - ich mag diese Art von Humor.

Die Autorin schreibt lebhaft und bunt, mit packenden Beschreibungen und vielen magischen Details. Jetzt habe ich zwar kein Drachenmal und daher auch keine hellseherisch Gabe, aber ich sehe dennoch weitere tolle Bücher in der Zukunft von Anika Oeschger!

Bewertung vom 12.10.2015
Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten / Jahreszeiten Bd.1
Wolf, Jennifer

Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten / Jahreszeiten Bd.1


sehr gut

Am Anfang wurde ich für mein Empfinden erstmal ein wenig mit schnell heruntergerasselten Informationen erschlagen! Auch der Schreibstil kam mir dadurch erst ein bisschen holprig vor. Da hätte ich mir gewünscht, dass das Buch 50 Seiten mehr hat und der Leser dafür viele dieser Informationen selber entdecken kann, eingebunden in die eigentliche Handlung.

Aber genug gemeckert, denn dieser erste Eindruck verflüchtigte sich schnell, als ich in die bezaubernde, märchenhafte Geschichte eintauchte! Denn das ist sie für mich wirklich: ein modernes Märchen, das klassische Märchenelemente mit moderner Fantasy verbindet. Zwar kann man schon ganz zu Beginn erahnen, wer sich in wen verlieben wird, und vielleicht auch, wo die Schwierigkeiten liegen werden, aber dennoch baut die Autorin genug Stolperfallen, Gefahren und unerwartete Wendungen ein, dass das Buch spannend bleibt.

Ich muss sagen, ich war sehr überrascht, wie sich am Schluss alles auflöst! Damit hatte ich nicht gerechnet, und ich kann mir vorstellen, dass das Ende die Gemüter ein wenig spaltet - ich fand es sehr gut, schlüssig und auch mutig von der Autorin. Mir ist so ein Ende viel lieber als ein Ende nach Schema F!

Meist gefiel mir der Schreibstil sehr gut. Er liest sich durchweg flüssig, angenehm leicht und sehr unterhaltsam. Wenn man einmal im Buch drin ist, liest es sich in Nullkommanix runter!

Nur manchmal störte mich, dass die Halbgötter sich öfter benehmen und sprechen wie menschliche Teenager. Sie leben seit Menschengedenken, haben unzählige Kulturen kommen und gehen sehen - tragen aber Jeans, schauen "Spiderman" und sagen Dinge wie "Okay" und "Nee, ist klar". Das würde ich noch verstehen, wenn die Geschichte in unserer heutigen Zeit spielen würde und die Halbgötter sich demnach einfach an die momentan herrschenden Begebenheiten anpassen, aber das Buch spielt weit in der Zukunft und die Welt ist eine ganz andere geworden. Da fehlte mir einfach das Gespür dafür, dass es hier um Wesen mit einem enormen Alter und dadurch sicher auch einer enormen Lebensweisheit geht.

Aber wie gesagt, das störte mich nur gelegentlich, und im Großen und Ganzen hat mir der Schreibstil wunderbar gefallen.

Abgesehen von ihrer in meinen Augen zu modernen Ausdrucksweise gefielen mir auch die Charaktere sehr gut. Maya ist eine sympathische, sanftmütige Heldin mit einem großen Herzen, und die vier Göttersöhne haben alle sehr viel Persönlichkeit, so dass man schnell ein Gefühl für ihre Stärken, Schwächen und Marotten bekommt. Wenn ich mal raten dürfte, würde ich sagen, dass es bestimmt vier Bände geben wird, in denen jeweils ein anderer Göttersohn im Mittelpunkt steht? Das würde mich sehr freuen, denn ich fand sie alle sehr interessant.

Die Liebesgeschichte fand ich wunderschön und sehr berührend. Ich habe von Anfang an mit den beiden mitgefiebert, denn natürlich stellen sich ihnen ungeahnte Hindernisse in den Weg!

Fazit:
"Morgentau" ist für mich eine Mischung aus klassischem Märchen und moderner Fantasy, mit einem Hauch Endzeit und viel Romantik. Ich fand den Schreibstil sehr angenehm, die Charaktere interessant und lebendig und die Geschichte spannend und überraschend. Besonders das Ende hat es mir sehr angetan - obwohl oder gerade weil es ganz anders war, als ich erwartet oder erhofft hatte.

Bewertung vom 09.10.2015
Vergebung / Millennium Bd.3
Larsson, Stieg

Vergebung / Millennium Bd.3


ausgezeichnet

Wie schon in den ersten beiden Bänden hat mir auch dieses Mal wieder sehr gut gefallen, wie gekonnt der Autor politische sowie sozial- und gesellschaftskritische Themen in seine Geschichte einfließen lässt. Das Ergebnis ist in meinen Augen intelligente Spannung für Mitdenker, keine leichte Lektüre für zwischendurch und nebenher - womit ich aber keineswegs sagen will, dass es trocken oder langweilig ist!

Ich fand die Geschichte sogar sehr interessant, originell und unterhaltsam. Und ja: auch spannend, nur dass es eine Spannung ist, der man Zeit und Raum geben muss. Für mich baut sich der Sog des Buches zwischen den Zeilen auf, ganz allmählich und oft in eher leisen Tönen, während man dabei zusieht, wie die Fassaden bröckeln und sich die Abgründe dahinter auftun.

Darauf muss man sich einfach einlassen, denke ich, aber es lohnt sich!

Das Tempo ist eher ungewöhnlich für einen Thriller, denn der Autor lässt sich Zeit damit, die Dinge zu beschreiben. Alle Dinge. Das kann die Psyche eines skrupellosen Mörders sein, aber auch das Mittagessen von Lisbeth Salander... Im ersten Band habe ich mich damit noch ein wenig schwer getan, aber ich gewöhnte mich schnell an diese Erzählweise und lernte sie lieben, denn so wird die Geschichte meiner Meinung nach verankert im Alltäglichen, das jeder Leser kennt. Dadurch hatte ich immer das Gefühl, etwas zu lesen, das so tatsächlich passieren könnte.

Die Charaktere haben mich wieder überzeugt und begeistert, denn sie werden auch in diesem Band sehr lebendig und glaubhaft beschrieben.

Jetzt erfährt man auch die letzten Geheimnisse von Lisbeth Salander, und dadurch ist sie mir noch mehr ans Herz gewachsen, als sie das ohnehin schon war. Sie ist immer noch eine schwierige, unfreundliche, sozial inkompetente Frau, aber sie ist auch entschlossen, mutig und brilliant. Außerdem zeigt sie oft eine widerwillige Verletzlichkeit, die mich sehr berührt hat. Sie ist ein wunderbarer Charakter - sie macht es einem nicht leicht, sie zu mögen, aber auch unmöglich, sie nicht zu mögen, so paradox das klingt.

Mikael war einfach großartig in diesem Buch. Ich fand geradezu atemberaubend, wie konsequent und kompromisslos er dafür kämpft, dass Lisbeth endlich freigesprochen wird und Gerechtigkeit bekommt. Und das, obwohl sie sich mit Händen und Füßen gegen seine Loyalität und seine Freundschaft sträubt! Er ist definitiv ein Mann, den man in Krisenzeiten an seiner Seite brauchen könnte.Der Schreibstil ist wieder ruhig, klar und eher schlicht, aber ich finde die Art und Weise, wie Stieg Larsson erzählt, sehr ansprechend und passend.

Fazit:
In diesem dritten Band werden viele Dinge aufgeklärt, die schon in den ersten beiden Bänden eine wichtige Rolle spielten. Lisbeth Salander wird erneut zum unwilligen Mittelpunkt eines Skandals, in dem politisches Machtstreben, Paranoia, persönliche Allmachtsfantasien und Korruption eine brisante Liaison eingehen.

Ich war wieder sehr begeistert, denn ich liebe die Charaktere, ich liebe den Schreibstil und ich liebe die langsame, eindringliche Spannung, die Stieg Larsson aufbaut.

Ich habe das Buch mit einem wehmütigen Gefühl zugeklappt, denn damit musste ich dem Mikael Blomkvist und der Lisbeth Salander, wie sie Stieg Larsson schrieb, Lebewohl sagen. Eigentlich war "Millennium" als Reihe mit 10 Bänden geplant, aber der Autor starb, bevor er einen vierten Band schreiben konnte. Er hat den Erfolg dieser Trilogie sogar nicht mehr miterlebt, denn die Bücher wurden erst nach seinem Tod veröffentlicht!

Allerdings ist "Millennium" damit dennoch nicht zu Ende, denn der Autor David Lagercrantz hat es auf sich genommen, den vierten Band zu schreiben, den Stieg Larsson nicht mehr schreiben konnte. Ob das für mich funktioniert, das werde ich euch in einer zukünftigen Rezension verraten.

Bewertung vom 14.09.2015
Verdammnis / Millennium Bd.2
Larsson, Stieg

Verdammnis / Millennium Bd.2


ausgezeichnet

Ich fand die Grundidee der Geschichte auf bedrückende Art und Weise sehr spannend. Bedrückend deswegen, weil sie leider so nahe an der Realität ist! Menschenhandel und moderne (Sex-)Sklaverei gibt es auch in den aufgeklärtesten Ländern der Welt.

Sehr interessant fand ich auch, wie geschickt der Autor ganz nebenher immer wieder einfließen lässt, dass Frauen auch abseits dieser Extreme immer noch darum kämpfen müssen, respektiert und ernst genommen zu werden. Ob das jetzt die Polizistin ist, die sich mit einem sexistischen Kollegen herumschlagen muss, der scheinbar nicht über Frauen reden kann, ohne sie mit abfälligen Schimpfworten zu bezeichnen, oder die junge Frau, deren Vater ihre ganze Kindheit hindurch die Mutter verprügelt und beschimpft hat, ohne dass das jemals Konsequenzen für ihn gehabt hätte...

Also bei aller Spannung ein Buch mit Gesellschaftskritik? Ja, dabei aber keine trockene Abhandlung, sondern ein Krimi voller unerwarteter, origineller Wendungen.

Ich habe bewusst "Krimi" gesagt und nicht "Thriller", weil das Buch sich viel Zeit lässt, um die verschiedenen Charaktere, die Grundsituation und die diversen Konflikte vorzustellen. Seitenweise erlebt man als Leser detaillierte Ausschnitte aus dem Alltag der handelnden Personen, von so trivialen Dingen wie Einkaufen oder Kochen bis hin zu versteckten Geheimnissen oder halb verdrängten Traumata. Dementsprechend baut sich die Spannung auch eher gemächlich auf.

Allerdings will ich damit überhaupt nicht sagen, dass das Buch langweilig wäre! Tatsächlich habe ich das Buch mit seinen 768 Seiten verschlungen, ohne jemals das Gefühlt zu haben, dass auch nur eine einzige Seite überflüssig ist. Es ist sicher kein Buch für nebenher und zwischendurch, sondern eines, auf dass man sich einlassen und dem man Zeit geben muss, aber dafür bietet es eine wirklich intelligente Spannung und eine einzigartige Atmosphäre.

Die Charaktere hatten mir im ersten Band schon ausnehmend gut gefallen, und auch in diesem Band war ich von ihnen sehr beeindruckt! Da ist in meinen Augen keiner dabei, der flach und eindimensional wäre; ich hatte immer den Eindruck, dass sie alle authentische Menschen mit ihren ganz eigenen Hintergrundgeschichten sind.

An Mikael liebe ich seinen Einfallsreichtum und seinen Mut, aber vor allem seine grenzenlose Loyalität. Er scheut keine Gefahren und keine Mühen, um Lisbeths Unschuld zu beweisen - und das, obwohl sie ihn ohne Begründung komplett aus ihrem Leben gestrichen hat.

Dieses Mal erfährt der Leser auch viel mehr über Lisbeth. Ich war immer wieder überrascht, wie sehr ich mit ihr mitfieberte, denn eigentlich macht sie es einem nicht einfach! Sie hat nicht die geringste Ahnung, wie man mit anderen Menschen umgeht, sie ist verschlossen und misstrauisch, oft sogar feindselig und aggressiv... Und trotzdem mochte ich sie. Außerdem wurde mir mit jedem Kapitel klarer, dass sie nur das Produkt einer albtraumhaften Kindheit ist, in der sie vollkommen im Stich gelassen wurde von den Menschen, deren Aufgabe es eigentlich gewesen wäre, sie zu beschützen.

Mein einziger Kritikpunkt an Lisbeth wäre, dass sie in vielen Dingen für meinen Geschmack etwas zu perfekt ist. Sie ist eine brilliante Computerhackerin, sie kann schießen und kämpfen (obwohl sie winzig und schmächtig ist), sie löst nebenher mathematische Probleme, über die sich Mathematiker 400 Jahre lang den Kopf zerbrochen haben... Gegen Ende gibt auch es eine Situation, wo ich es dann doch ziemlich unglaubwürdig fand, wie sie für Lisbeth ausgeht! (Mehr kann ich hier noch nicht verraten.) Aber im Großen und Ganzen ist Lisbeth für mich ein unglaublich interessanter, komplexer und spannender Charakter.

Der Schreibstil ist für einen Krimi oder Thriller sehr ruhig, mit klar strukturierten Sätzen und meist eher gelassenen Tempo. Aber ich fand ihn dennoch nicht trocken oder langweilig - mir gefiel diese ruhige Klarheit!