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Buchbesprechung
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Bad Kissingen
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Ich bin freier Journalist und Buchblogger auf vielen Websites. Neben meiner Facebook-Gruppe "Bad Kissinger Bücherkabinett" (seit 2013) und meinem Facebook-Blog "Buchbesprechung" (seit 2018) habe ich eine wöchentliche Rubrik "Lesetipps" in der regionalen Saale-Zeitung (Auflage 12.000).

Bewertungen

Insgesamt 368 Bewertungen
Bewertung vom 04.08.2017
Rom, Villa Massimo
Ortheil, Hanns-Josef

Rom, Villa Massimo


ausgezeichnet

Wie immer in Stil und Formulierungskraft literarisch ANSPRECHEND und ANSPRUCHSVOLL ist auch der 2015 im btb-Verlag erschienene, nur 250 Seiten starke Band "Rom, Villa Massimo" von Hanns-Josef Ortheil (65). " ... ein Buch, das man nicht liest, sondern ausschlürft, wie schweren Wein." Dieses Zitat aus Seite 101 wäre als Rezension eigentlich völlig ausreichend, zeigt es doch zugleich die bild- und wortreiche Sprache des Autors. Das Buch ist kein Roman, enthält keine Handlung im eigentlichen Sinn. Es sind Beobachtungen, Notizen, Bilder im Kopf, die Ortheils meist schweigsamer und einzelgängerischer Protagonist, der Lyriker Peter Ka, während seines einjährigen Stipendiats in der Villa Massimo in Rom in sich aufsaugt. Wer Ortheils Leben kennt, weiß, dass dieser Ka wohl Ortheil selbst sein dürfte, der in diesem Buch die Eindrücke seiner beiden Massimo-Aufenthalte 1991 und 1993 sowie nachfolgender Rom-Besuche verarbeitet hat. Wie der reale Ortheil, der allein in einer Bar sitzen kann und dabei seine Umwelt beobachtet, kleinste Eindrücke auf Zettel kritzelt, um sie irgendwann in seinen Büchern zu nutzen, so wandert auch Ka durch Rom und notiert, fotografiert und diktiert seine Eindrücke. Ka verliebt sich allmählich in die Stadt, nicht in das touristische antike Rom, sondern in die lebendige Metropole der heutigen Römer - bis er zuletzt fast selbst einer wird, in Rom bleibt, Italienisch spricht. Vielleicht ist dies auch des Autors Ortheil geheimer Wunsch? Man glaubt, es beim Lesen spüren zu können, und wird von dieser Liebe zu Rom angesteckt. Grund dafür ist wie immer Ortheils unvergleichliche Formulierungskunst und literarische Sensibilität, mit dem er den Leser auf stille und zarte Art umfängt. Es ist ein ruhiges, fast stilles Buch, das man vielleicht besser bei einem guten italienischen Wein mit Käse, Brot und Kerzenschein in aller Abgeschiedenheit lesen oder Seite für Seite "ausschlürfen" sollte.

Bewertung vom 02.08.2017
Ein angesehener Mann / Captain Sam Wyndham Bd.1
Mukherjee, Abir

Ein angesehener Mann / Captain Sam Wyndham Bd.1


ausgezeichnet

FASZINIEREND und absolut außergewöhnlich, vor allem für ein Debüt, ist für mich der im Juli 2017 im Heyne-Verlag erschienene Roman "Ein angesehener Mann" des jungen britischen Autors Abir Mukherjee. Ist es ein Krimi, ein historischer Roman oder ein historischer Krimi? Es ist aus meiner Sicht in jedem Fall eine absolut spannende zeitgeschichtliche Schilderung Indiens, im speziellen Fall Kalkuttas, unter britischer Herrschaft im Jahr 1919; die Kolonie Britisch-Indien bestand von 1858 bis 1947. Auch der Ort ist für uns deutsche Leser eher außergewöhnlich und macht die Geschichte nur noch spannender. Im Zuge der Aufklärung eines Mordfalls an einem hochrangigen britischen Verwaltungsbeamten lernt der gerade frisch aus England nach Kalkutta versetzte Kripo-Captain Sam Wyndham - und mit ihm der Leser - ganz unvoreingenommen (objektiv) das von Briten beherrschte, zerrissene Land kennen. Äußerst geschickt, fast genial, versteht es der indischstämmige Autor durch die Augen des Engländers die damalige Situation vor Ort mit ihren offensichtlichen und hintergründigen Problemen zu beschreiben. Unaufdringlich zeigt der Autor die politische und gesellschaftliche Situation, die Spannung zwischen den (selbst untereinander zerstrittenen) indischen Volksgruppen und den Briten, zugleich die zwischenmenschliche Abhängigkeit voneinander und die Schwierigkeit, selbst bei gutem Vorsatz miteinander auskommen zu können. Abir Mukherjee versteht es, das schwierige und scheinbar unlösbare Geflecht der politischen und sozialen Situation in Britisch-Indien vor 100 Jahren auf leicht verständliche Weise zu schildern, dass es auch historischen Laien Freude macht weiterzulesen. Selten in direkter Beschreibung, meistens durch Unterhaltungen seiner Protagonisten lässt der Autor die Historie lebendig werden. Dabei bleibt das Buch ein spannender Krimi, der am Schluss eine durchaus plausible Lösung hat, wenn auch vielleicht für den Captain und uns Leser etwas unbefriedigend. Aber so ist das wahre Leben! Gerade dieser Schluss ist dem Autor ungewöhnlich gut gelungen. Ich kann diesen Roman wirklich nur empfehlen. Ich bin jedenfalls ganz BEGEISTERT. Ganz klein ist auf dem Rücktitel "Sam Wyndham 1" zu lesen, was auf eine Fortsetzung hoffen lässt. Zumindest auf Englisch ist Abir Mukherjees zweiter Band "A Necessary Evil" um Captain Wyndham und seinen indischen Sergeanten Banerjee kürzlich erschienen.

Bewertung vom 30.07.2017
Kommando Abstellgleis Bd.1
Hénaff, Sophie

Kommando Abstellgleis Bd.1


ausgezeichnet

Umwerfend KOMISCH und trotzdem SPANNEND ist der im März beim Verlag carl's books (Randomhouse) erschienene Debüt-Krimi "Kommando Abstellgleis" der Französin Sophie Hénaff, der - als sei es so gewollt - an den Film "Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen" erinnert. Eine neue Polizeibrigade in Paris, besetzt mit den übelsten Versagern verschiedener Polizeieinheiten, die diese Kollegen ganz bewusst aufs Abstellgleis geschoben haben, bekommt in Archiven verstaubte Akten ungelöster Fälle zur Bearbeitung. Leiterin wird die übereifrige Anne Capestan, wegen unüberlegten Schusswaffengebrauchs mit Todesfolge dorthin strafversetzt. Gegründet wurde diese Brigade von Capestans Mentor - nicht ohne Hintergedanken: "Ich habe .... eine dritte Instanz geschaffen, über jeden Verdacht erhaben, weil in der Versenkung verschwunden." So agiert diese "vergessene" Brigade, deren so unterschiedliche Mitglieder in ihrer Karriere bei der Polizei ohnehin nichts mehr zu verlieren haben, von den offiziellen Dienststellen völlig unbeobachtet am Rand der Legalität - ein Vorteil gegenüber der immer unter Beobachtung der Presse und der Politik stehenden regulären Polizei. Capestan weiß natürlich die ungewöhnlichen Talente ihrer Untergebenen geschickt zu nutzen und zur Aufklärung dreier Mordfälle gezielt einzusetzen. Und dies alles von einer alten Mietswohnung aus, die sich das ungewöhnliche Team erst einmal gemütlich einrichten muss. Natürlich fügt sich alles zum glücklichen Ende und die Gruppe aus Einzelgängern wird ein eingeschworenes Team. Autorin Sophie Hénaff charakterisiert ihre Liga der außergewöhnlichen Polizisten sehr liebevoll und versteht es, trotz des allgegenwärtigen Humors dem Krimi durchaus eine hohe Spannung zu geben - was nicht jedem Autoren humorvoller Krimis gelingt. "Ein origineller, schwungvoller, intelligenter Krimi - zum Schießen komisch!", schreibt der Verlag zum Buch. Ich will das gern bestätigen: Wer Spaß versteht und Spannung liebt, sollte diesen französischen Krimi unbedingt bald LESEN! Denn im Oktober folgt mit "Das Revier der schrägen Vögel" schon der zweite Band, den man wohl ebenfalls nicht verpassen darf.

Bewertung vom 28.07.2017
Der Näher / Martin Abel Bd.3
Löffler, Rainer

Der Näher / Martin Abel Bd.3


sehr gut

ZWEIGETEILT ist mein Eindruck von dem im April erschienenen Thriller "Der Näher" von Rainer Löffler (55), Band 3 der Reihe um den Fallanalytiker Martin Abel. Einerseits ist die Ermittlungsarbeit wirklich spannend und packend geschrieben, so dass man kaum aufhören kann zu lesen. Gut beschrieben sind auch die Charaktere, angefangen beim erfahrenen Fallanalytiker Abel, der das kleine Gummersbacher Kriminalkommissariat und dessen Leiter kräftig aufmischt, oder dessen Mitarbeiter. Soweit hat mit das Buch sehr gefallen. Gestört haben mich die Passagen um den Serienkiller - alles ziemlich abnorm und abstrus, so dass die Person unglaubwürdig und irreal wird. Das kratzt am Niveau, hier wandelt sich für mich der PSYCHOthriller zum banalen HORRORthriller. Leider wirkt für mich auch Martin Abel stellenweise lächerlich, wenn er mit seiner Puppe Karl, seinem Alter Ego, spricht. Das geht mir zu weit. Ich kann deshalb nur sagen: Grundsätzlich überaus spannend und gut geschrieben (4 von 5 Punkten), aber .... .

Bewertung vom 24.07.2017
Minutengeschichten
Graf, Oskar Maria

Minutengeschichten


ausgezeichnet

"Mit feinem Ohr für ihre Sprache und großem Herzen für ihre Eigenheiten, mit scharfem Blick und zuweilen beißendem Humor" beschrieb der große bayerische Humorist Oskar Maria Graf (1894-1967) seine Landsleute in der bayerischen Provinz. Nicht nur für Preußen, also alle nördlich der Donau lebenden Leser, sondern auch für echte Bayern sollten Grafs "Minutengeschichten", die der Ullstein-Verlag im Mai anlässlich des 50. Todestages herausgegeben hat, ein GROßES LESEVERGNÜGEN sein. Allerdings müssen Letztere ein dickes Fell haben, zitiert Graf doch gern das Bismarck-Zitat, wonach Bayern "eine Kreuzung zwischen Österreichern und Menschen" seien. Aber haben bayerische Leser diesen Schock erst einmal überwunden, werden sie sich, wenn sie ehrlich sind, vielleicht wiedererkennen in den 55 Kurzgeschichten von jeweils einer Minute Länge - wie jene über den "Spucknapf", den "reingelegten Postbräuwirt" oder die "Defloration". Deftig bayerisch, auch in der Sprache, geht's in Grafs "Minutengeschichten" zu. Und wenn's nicht so komisch wäre, könnte man sogar ernsthafte Gesellschaftsatire und -kritik darin vermuten .....

Bewertung vom 22.07.2017
Bruderlüge / Martin Benner Bd.2
Ohlsson, Kristina

Bruderlüge / Martin Benner Bd.2


ausgezeichnet

Einer der besten Psychothriller, die ich bisher gelesen habe, auf jeder Seite packend und voll atemloser Spannung ist nach "Schwesterherz" auch der zweite Band "Bruderlüge" der schwedischen Schriftstellerin Kristina Ohlsson (38), der im Juni im Limes.Verlag erschienen ist. Anwalt Martin Benner wird als Mörder, von Kapitel zu Kapitel bald als Serienmörder gejagt. Jede Kontaktperson, die er um Rat und Hilfe bittet, ist bald darauf tot und immer wird ihm der Mord angelastet. Darf er nicht einmal mehr seiner Lebensgefährtin Lucy vertrauen? Steckt sie mit im Komplott? Auch wer Band 1 nicht gelesen hat, wird zügig in die Handlung eingeführt. Verwirrend mag anfangs die Vielzahl der Personen und Handlungsfäden sein. Aber Kristina Ohlsson versteht es ungemein geschickt, alle Fäden logisch und konsequent bis zum bitteren (oder doch glücklichen?) Ende zu spinnen. Der Thriller legt ein derart rasantes Tempo vor, das man als Leser fast das Gefühl bekommt, die Handlung könnte ohne ihn weiterlaufen, sollte man das Buch mal weglegen. Ein echter Pageturner, dem gern weitere folgen dürfen! Absolut EMPFEHLENSWERT.

Bewertung vom 18.07.2017
Portugiesische Rache / Lissabon-Krimi Bd.2
Sellano, Luis

Portugiesische Rache / Lissabon-Krimi Bd.2


gut

UNTERHALTSAM für Lissabon-Freunde mag der im Mai bei Heyne veröffentlichte, 350-seitige Roman "Portugiesische Rache", der zweite Band von Lluis Sellano (Pseudonym eines deutschen Autors) um Antiquariatsbesitzer Henrik Falkner, durchaus sein. Der Leser erfährt viel Liebenswertes über die portugiesische Lebensart und Mentalität. Doch als Krimi fehlt jegliche Spannung. So habe ich mich bis zur 100. Seite gequält und dann doch - trotz meines Vorsatzes, bis zum Schluss durchzuhalten - enttäuscht aufgegeben. Da sind andere vergleichbare Krimis - wie Jean-Luc Bannalecs alias Jörg Bongs humorvolle Bretagne-Krimis - doch um Längen besser. Schon bei Sellanos erstem Band "Portugiesisches Erbe" (2016) hatte ich meine Mühe zwischen Reiseführer und Krimi zu unterscheiden. Also: Wer Lissabon und seine Portugiesen liebt, wird Freude an diesem Roman haben. Wer nur den Krimi im Buch sucht, muss ENTTÄUSCHT werden.

Bewertung vom 17.07.2017
Der zweite Reiter / August Emmerich Bd.1 (Restexemplar)
Beer, Alex

Der zweite Reiter / August Emmerich Bd.1 (Restexemplar)


sehr gut

HISTORISCH äußerst interessant, als KRIMI stellenweise zu langatmig, so empfand ich den im März 2017 im Limes-Verlag erschienenen Roman "Der zweite Reiter" der Österreicherin Alex Beer (40; eigentlich Daniela Larcher). Dies ist der erste Band einer neuen Krimi-Reihe um den kriegsversehrten Polizeiagenten August Emmerich, der im Wien des Nachkriegsjahres 1919 privat selbst mit den chaotischen Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs zu kämpfen bzw. beruflich gegen sie anzukämpfen hat. Obwohl er nicht der Mordkommission angehört, geht er, seinem Bauchgefühl folgend, ein paar Todesfällen nach, die (anfangs) als damals nicht seltene Selbstmorde eingestuft werden und sich dann doch zu einer Mordserie ausweiten. Die Autorin ist sehr bemüht, die historische Situation, Hoffnungslosigkeit, Siechtum und Armut, die politischen Wirren und das unmenschliche Chaos der Nachkriegswirren akribisch zu beschreiben: "Der zweite [apokalyptische] Reiter [- nämlich der Krieg -] hatte eine Spur der Verwüstung hinterlassen und mehr soziale Brennpunkte denn je geschaffen. Der Krieg mochte vorbei sei, doch das Toben hatte gerade erst begonnen." So heißt es im Buch am Schluss. Bei aller Akribie des Historischen habe ich allerdings stellenweise doch die Spannung eines Krimis vermisst. Auch Emmerich wird ein Opfer des Chaos, wird vom Jäger zum Gejagten. Aber so viel sei verraten: Am Ende geht doch alles gut aus und Emmerichs Wunsch, in die Mordkommission versetzt zu werden, erfüllt sich. So ist die Voraussetzung für Folgebände dieser Reihe gelegt (Band 2: "Die rote Frau"). Wer historisch interessiert ist, wird auch an diesem Krimi seine Freude haben. Für hartgesottene Thriller-Fans ist "Der zweite Reiter" allerdings nichts.