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Wedma

Bewertungen

Insgesamt 546 Bewertungen
Bewertung vom 26.01.2018
Zerbrochene Länder
Anderson, Scott

Zerbrochene Länder


sehr gut

Das Buch erzählt über die Krise in der arabischen Welt aus der Perspektive der „kleinen“ Leute, die von dort aus stammen: z.B. aus dem Irak, Syrien, Libyen, Ägypten, Kurdistan. Diese persönlichen Geschichten wurden abwechselnd erzählt.
5 Teile hat das Buch:
Teil I: Die Ursprünge 1972-2003
Teil II: Der Irakkrieg: 2003-2011
Teil III: Der arabische Frühling 2011-2014
Teil IV: Der Aufstieg des IS 2014-2015
Teil V: Exodus 2015-2016.
Die Teile sind in 4-16 Kapitel aufgeteilt. Diese sind kurz, sachlich und griffig geschrieben, was dazu verleitet, stets ein nächstes Kapitel aufzuschlagen. Es gibt s/w Fotos von den erzählenden Personen, auch Bilder von den Straßen, zerstörten Gebäuden vor Ort, etc.
Diese Menschen im Nahen Osten, die man im Teil I kennenlernt, erzählen ihre Geschichten und somit die ihrer Familie und insg. ihrer Länder bis zum Ende weiter. Es war spannend zu lesen, was ihnen im Laufe der Zeit passierte, wie sie es empfunden haben, wie sich die polit. Lage änderte, welche Probleme kamen dazu, was die einfachen Leute über ihre Regierungen dachten, was sie dagegen taten, etc. Es gibt z.B. gleich im Kap. 1 die Geschichte von Laila Soueif. Sie, ihr Mann und später die Kinder waren aktive Regierungsgegner und demonstrierten oft auf den Straßen. Hier wurden einige Hintergrundinfos hinzugefügt, die z.B. erklären, wie es dazu kam, dass das Volk in Ägypten, wie auch die Soueifs, „Nassers autokratischen Regierungsstil verabscheuten“ und auch später gegen Mubarak protestierten, u.a. weil er gern und regelmäßig Geld von USA nahm, und sonst nicht so viel für besseres Leben im Land tat. Bei diesen Berichten las man hin und wieder, je nach Land und seinen Problemen, von anti-amerikanischer Einstellung der Menschen.
So entwickeln sich ihre dramatischen Lebensgeschichten vor Augen der Leser. Man kann sich in ihre Situationen hineinversetzen, die Ausweglosigkeit ist manchmal mit Händen zu greifen, ihre oft tragischen Schicksale quasi hautnah. Manche von den geschilderten Personen landeten am Ende in Deutschland, Österreich, manche blieben vor Ort, manche sind gar in benachbarten Ländern zum Tode verurteilt, etc. Auch die nationalen Konflikte, wie die in Kurdistan, oder auch im Irak insg., die Ansätze der Problemlösungen, wie sie manche Kenner vor Ort vorschlagen, findet man ebenso im Buch. Man sieht dabei v.a., wie komplex die Verhältnisse sind. Und eins ist klar: Einfache Lösungen kann es nicht geben, schon allein weil vieles nach dem Prinzip des Fluches der bösen Tat läuft: Eine böse Tat zieht unweigerlich die nächste nach sich, die noch brutaler ausfällt, etc. So entstand eine Abwärtsspirale, die heute kaum einer stoppen kann, und viele Landschaften liegen in Trümmern.
Manches in diesem Buch war mir auch eher negativ aufgefallen: Es gibt keine Quellen. Auch bei den Schilderungen der allg. Lage nicht. Z.B. wurde der Giftgasangriff mit Sarin in Ghouta, Syrien, von Leitmedien hüben wie drüben gern Assad in Rechnung gestellt. Die kritischen Quellen widersprechen diesen Ausführungen und begründen dies. Näheres dazu z.B. in „Die den Sturm ernten“ von Michael Lüders und „Illegale Kriege“ von Daniel Ganser. Zu den Prinzipien, wie die Leitmedien funktionieren: „Lügen die Medien?“ von Jens Wernicke.
Die persönlichen Schicksale erscheinen recht stichhaltig und glaubhaft. Sie stammen von den Begegnungen des Autors vor Ort und später aus den Meldungen der beschriebenen Personen aus jew. Ländern.
Insg. ließ sich die Anhänglichkeit an die Linie der Leitmedien recht deutlich wahrnehmen. Kein Wunder, denn der Autor wurde vom Chefredakteur des New York Times Magazine zu einer Reportage über die Krise im Nahen Osten beauftragt. Der wesentliche Teil dieses Buches war dort in 2016 erschienen.
Fazit: Ein Buch, das die Krise im Nahen Osten aus der Perspektive der „kleinen Leute“ schildert und noch paar erklärende Hintergrundinfos liefert. Als erste Annäherung an das Thema kann es gute Dienste leisten.
Gekürzt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.01.2018
Unser kreatives Gehirn
Swaab, Dick

Unser kreatives Gehirn


sehr gut

Das Buch ist recht gut, leserfreundlich gestaltet, eher etwas für Einsteiger, die sich für das Thema begeistern wollen, um evtl. später auf seriösere Ausführungen umzusteigen.
Die 536 Seiten des reinen Textes sind in 28 Kapitel gegliedert. Diese sind nach 7 Themengebieten zusammengefasst worden: „Die Entwicklung unseres Gehirns im kulturellen Umfeld“, „Die Kunst und das Gehirn“, „Die Musik und das Gehirn“, „Gehirn, Beruf und Autonomie“, „Die Umgebung und das Geschädigte Gehirn“, „Das Denken über das Gehirn und uns selbst“, „Neue Entwicklungen und Gesellschaftlichen Konsequenzen“. Die Kapitel sind in kleinere Unterkapitel von 1-6 Seiten unterteilt. Darin gibt es sehr oft Bilder, Zeichnungen, sodass man insg. nicht allzu viel Text pro Seite hat und sich eher in einem Unterhaltungs- als Lehrbuch fühlt. Gleich zu Anfang gibt es „Schematische Darstellung des Gehirns im Längsschnitt“ und weitere Zeichnungen, die verschiedene Teile der Hirnrinde dem Leser erklären und das Verstehen der Ausführungen erleichtern. Vor kleineren Kapiteln gibt es gute Zitate: „Spazieren geht man nicht für den Körper, sondern für den Geist.“ S. 367 „Unser Leben spielt sich zwischen dem ersten und dem letzten Lächeln ab.“ S. 351, uvm.
Man sieht den Ausführungen an, dass der Autor es versteht, sein Fachwissen in den Dienst der Unterhaltung der breiten Masse zu stellen. Er bespricht die Themen so, dass es den Anfänger für dieses Themengebiet begeistern könnte. Die Themenauswahl fällt auch entsprechend aus: Sexualität und Homosexualität wurden ganz am Anfang besprochen. „Ein hoher IQ“, „Gehirnerkrankungen bei Künstlern“, wie Hieronymus Bosch zu seinen sonderbaren Visionen kam, die er in seinen Bildern zeigte und unsterblich wurde, auch „Die Alzheimer- Krankheit und andere Formen der Demenz“ uvm. sind dabei. Die Vielfalt an Themen ist schon beachtlich.
Manches ist aber zu flach, zu vereinfacht dargestellt worden. Neues ist rar, es gibt recht viele Allgemeinplätze. Manche These erschien mir zu steil und wenig begründet, manches auf Missverständnissen basiert, in etwa, auf welcher Grundlage die Russen ein Gesetz bezüglich der Verbreitung der Homosexualität verabschiedet hatten. Hier erschien mir die Integrität des werten Autors doch eher angeknackst. Erst brüstet er sich damit, welch enormes Interesse und großen Erfolg er in Moskau mit seinem Buch zelebrieren konnte, um dann zu erklären, wie verkehrt und rückständig er die Russen doch findet, a lá: Das viele Geld nehme ich schön mit, in der Heimat sind die Leute ja nicht so leicht zu begeistern, und hinterrücks lästere ich über euch. Es ist nichts Neues. Solch chauvinistische Handhabe hat eine lange Tradition, gehört in Europa nach wie vor „zum guten Ton“. Aber dass man sich selbst dabei nicht seltsam vorkommt und damit noch prahlt! Kopfschüttel.
Auch Swaabs Umgang mit Quellen rief bei mir ähnliche Reaktion, denn sie fehlten komplett. Hinten im Buch gibt es nach Glossar von 9 S. „Literatur“ erst allgemein, paar Titel, dann nach Kapiteln sortiert, aber ohne jede Referenz zur jeweiligen Seite. Man kann sich also kaum zusammenreimen, wo genau er manche steile These herhat und worauf sich seine Ausführungen insg. stützen.
Das Buch ist sonst schön gestaltet: Festeinband in Türkis, Umschlagblatt. Es ist normal groß, wiegt 1440gr. Kommt durchaus als Geschenk infrage.

Fazit: Für Laien, die primär Unterhaltung suchen und doch noch etwas über das Gehirn und seine Funktionsweise erfahren möchten, um damit in etwa auf einer Party aufzutrumpfen, ist dieses Buch prima geeignet. Die vielen bunten Bilder, kurze Unterkapitel, v.a. die Art der Stoffdarbietung sprechen dafür. Auch die Anfänger, die einen leichteren Einstieg ins komplexe Thema Gehirn suchen, werden hier gut bedient. Trotz mancher Schwächen vergebe ich mit viel Wohlwollen 4 Sterne.

Bewertung vom 19.01.2018
Die Küste
Kremer, Bruno P.;Gosselck, Fritz

Die Küste


ausgezeichnet

Auf 192 Seiten, mithilfe von 244 Farbabbildungen und 10 Tabellen, bringen die Autoren die Küste von Nord- und Ostsee ihren Lesern nahe.
Mit viel Liebe ist dieser Band gemacht worden. Man sieht die Begeisterung für die Küste und ihre Bewohner den Ausführungen an. Auch das pädagogische Wissen und Können kommt nicht zu kurz.

Zu den Autoren laut der Verlagsseite:
„Dr. Bruno P. Kremer, Studium der Biologie, Chemie und Geologie, bis 2012 Hochschullehrer an der Universität zu Köln. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu Themen der Umweltbildung, Naturerlebnispädagogik und Regionalwissenschaften (bislang ca. 170 Titel, übersetzt in 14 Sprachen).“

„Fritz Gosselck studierte an der Universität Rostock Biologie und spezialisierte sich auf das Fach Meeresbiologie. Dabei beschäftigen ihn die spezielle Fauna und Flora des Brackwassers sowie die Probleme, die der erhöhte Nährstoffeintrag, die Rohstoffgewinnung und Zerstörungen durch Bebauungen mit sich bringen. Meeresnaturschutz, speziell in Nord- und Ostsee sind weiterhin seine wichtigsten Betätigungsfelder.“

Es ist wie ein Kurzurlaub, wenn man im Buch blättert und den einen oder den anderen Text liest. Viele wunderschöne Fotos schaffen die Atmosphäre der Küste. Man genießt sie nicht nur, man lernt auch etwas dazu.
Die Texte sind meist kurz: mal eine, mal zwei, mal eine halbe Seite. Viel Wissenswertes über die Küste wird darin vermittelt: über ihre Flora und Fauna, über ihre Entstehung, weitere Entwicklung, Geschichte, Geologie, etc. Mit manchem weit verbreiteten „Falschwissen“ wird auch aufgeräumt, z.B. die Pflanzenbezeichnungen werden richtig gestellt, Einzelheiten zum Leben mancher Tiere erläutert, uvm.

Und natürlich ist man beim Lesen dieses Buches gleich dazu verleitet, an die Küste zu fahren, um das alles mit eigenen Augen zu sehen, im Watt zu wandern, die schöne Luft einzuatmen und die im Buch beschriebenen Naturphänomene zu beobachten.

Das Buch ist sehr gut zum Lesen mit Kindern geeignet, denn all die vielen bunten Naturbilder ziehen sogleich Aufmerksamkeit an sich. Das Wissen ist so zugänglich und bildhaft, anhand von Graphiken, Tabellen und Fotos vermittelt, dass es sich leicht einprägt, mehr Verständnis für die Vorgänge in der Natur entwickelt, sowie das Auge fürs Detail, auch für die Schönheit der Küste und ihrer Bewohner schult.
Das Buch ist hochwertig gestaltet: Festeinband in Tiefblau, Schutzumschlag. Weiterführende Literatur ca. 82 Titel, Register zum besseren Navigieren, Abbildungsverzeichnis gibt es hinten. Es ist recht groß: 23 x29,5 x2cm und wiegt 1151gr.

Fazit: Ein schöner Bildband mit viel Wissenswertem über die Nord-Ostsee Küste. Für Naturliebhaber und diejenigen, die es werden wollen. Prima als Geschenk und zum Lesen mit Kindern.

Bewertung vom 17.01.2018
Die Farbe Rot
Koenen, Gerd

Die Farbe Rot


weniger gut

Für dieses Werk konnte ich mich leider absolut nicht begeistern. Der Anfang war toll, also wollte ich mir das Ganze näher anschauen, aber je weiter ich las, desto übler wurde mir dabei zumite. Die anfängliche Begeisterung verflog spätestens nach den ersten vierhundert Seiten. Dort wurde neutral, dann aber eher abwertend berichtet. Sobald es um Russland und seine Geschichte ging, wurde der Ton zunehmend abschätzig herablassend. Ich gewann leider immer mehr den Eindruck, dass der werte Autor weder Kommunismus im Allgemeinen noch Russland im Besonderen mag.

Diese anti-Einstellung des Autors konnte ich deutlich wahrnehmen, im weiteren Verlauf irritierte sie mich unsäglich. Wäre ihm etwas am Thema, am Land insg. gelegen, hätte er einen anderen Ton angeschlagen und Mittel und Wege gefunden, das Ganze nicht so grässlich darzustellen.

Für Laien schaut Koenen wie ein Kenner aus. In der Sache liegt er oft richtig. Bloß seine Interpretationen sind leider eher fragwürdiger Natur. Zudem fehlten mir leider die Quellen als Beleg manch seiner steilen Thesen, Darstellungen wichtiger Momente blieben auf dem Hörensagen Niveau. Bei einem guten Sachbuch sind einwandfreie Quellenangaben aber unerlässlich.

Mir waren die Inhalte nicht neu. An mehreren Stellen entstand der Eindruck, dass der werte Autor bloß an der Oberfläche gekratzt hatte. Oft musste ich feststellen: Da sind nur die Eisbergspitzen, auf die er die Aufmerksamkeit der Leser fokussiert hatte. Aber warum brachte er ausgerechnet das? Und dann noch auf diese abwertende Art und Weise? Das Scheußlichste geht vor, war wohl die Devise. Oft genug krallte er sich an eine einzelne Quelle, an die Meinung nur eines Autors, der z.B. das Geschehen an der Südfront 1918 schilderte, und natürlich war es das Grässlichste, was da zu finden war. Zudem war der Text oft so staubtrocken, dass ich mich da förmlich durchbeißen musste. Ich habe gehofft, dass es vllt später besser wird. Fehlanzeige.

Weshalb schreibt man dann ein Werk, indem Russland eine große Rolle spielt und die restlichen achthundert Seiten Gegenstand der Ausführungen ist, wenn man so negativ dem gegenüber eingestellt ist, was man schreibt? Ist es eine Art Racheakt?, a lá: Ich erzähle rus. Geschichte, aber so widerwärtig, dass einem die Haare zu Berge stehen, damit die Russen so bescheiden, milde gesagt, in der Öffentlichkeit stehen. Denn klar ist: Derjenige, der die Geschichte erzählt, hat auch die Deutungshoheit, zumindest im Rahmen seines Buches. Und es wird womöglich Leute geben, die dieser Darstellung Glauben schenken werden, da der werte Autor sich als Kenner russischer Geschichte anschickt.

In dem Sinne ist dieses Werk eine klare anti-russische und anti-Kommunistische Meinungsmache, anders gesagt: Propaganda. Und diese ist, wie wohl bekannt, ein Machtinstrument. Funktioniert bloß nur, solange man sie nicht als solche erkennen kann.

Fazit: Wer gern anti-kommunistische, bzw. anti-russische Schriften liest, ist hier goldrichtig. Eine grässliche, einseitige Darstellung in schwarzen Tönen, abschätzig dargeboten, oft ohne Quellen, die noch Ihresgleichen sucht.
Ansonsten muss man es sich nicht antun. Zu dem Thema habe ich schon bessere Bücher gelesen. Zu den Anfängen von Kommunismus schreibt sehr gut Jürgen Neffe in „Marx. Der Unvollendete“. Es gibt auch andere Werke zur rus. Geschichte. Ohne die Rachegelüste und/oder ähnl. Allüren.
Mehr als zwei Sterne kann ich hier leider nicht vergeben.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.01.2018
Schörle, Martin

"Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten" und "Einladung zum Klassentreffen"


sehr gut

Die zwei Theaterstücke von Martin Schörle „Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten“ und „Einladung zum Klassentreffen“ habe ich gern gelesen. Von der Bühne, von tollen Schauspielern vorgetragen, wie ich es mir beim Lesen leicht vorstellen konnte, wären sie bestimmt ein lang anhaltendes, beeindruckendes Erlebnis. Aber auch als Lesestoff sind sie eine sehr gute, kluge, bereichernde Unterhaltung, die einen zum Nachdenken anregt und das eine oder andere Lächeln dabei entlockt.

Diese Mischung aus der guten Prise Humor, Selbst-Ironie, die manchmal ins Tragische hinübergleiten, angereichert mit Gesellschaftskritik und Unmöglichkeit, etwas an dem Ganzen zu ändern, mit der die Geschichten gewürzt sind, ist schon an sich beeindruckend. Noch beindruckender ist aber das wohl ersichtliche Können des Autors, das Ganze in einem Theaterstück mit einer Leichtigkeit zu präsentieren, dass man darin versinkt und voll in dieser Welt aufgeht.

So sieht man das schöne Zusammenspiel des Talents und der handwerklichen Fertigkeit, das imstande ist, die Leser bzw. die Zuschauer, in Staunen und Verzauberung zu versetzten.

Besonders gern habe ich das zweite Theaterstück, „Einladung zum Klassentreffen“ gelesen. Auch das hätte ich gern mal von der Bühne vorgetragen gesehen. Einfach großartig. Die Form und der Inhalt passen wunderbar zusammen und erzählen eine Geschichte, die eigentlich aus Lebensgeschichten mehrerer Beteiligten besteht, die insg. auf viele Menschen unserer Zeit zutrifft, i.e. der Generation um die vierzig den Spiegel vors Gesicht hält, zum Nachdenken anregt und doch so besonders und aufregend wie bei diesen beiden ist. Da unterhalten sich schlicht ein Mann und eine Frau, ehemalige Klassenkameraden, über ihre halb gelebten Leben. Klingt vordergründig so unspektakulär, doch wenn man dieses Theaterstück liest, gewinnt das Ganze an Tiefe und Bedeutung. Eine Prise der Selbstironie schwingt da auch mit. Im Klappentext liest man: „…Inhaltlich eine Liebesgeschichte, wagt das Stück den Spagat zwischen Komik & Tragik, Lachen& Weinen.“ Und ich sage, sie wagt den Spagat nicht nur, dieser ist auch ganz hervorragend gelungen. Es war mir ein Vergnügen, diese beiden Figuren kennenzulernen.

Fazit: Die zwei Theaterstücke von Martin Schörle habe ich gern gelesen und kann sie gut weiterempfehlen. Vllt wären sie auch etwas für Theatertruppen, die aus ambitionierten Freizeitschauspielern bestehen. Unterhaltsam, tiefgründig, wären sie eine Bereicherung für die Bühne, auch sehr unterschiedlich vom Thema und von der Stimmung her.
Ich wünsche Martin viel Erfolg und dass er seine Leser/Zuschauer mit vielen tollen Theaterstücken auch weiterhin erfreut.

Bewertung vom 10.01.2018
Selbst das Heimweh war heimatlos
Scheyer, Moriz

Selbst das Heimweh war heimatlos


ausgezeichnet

Moritz Scheyers Bericht über seine Flucht aus Wien und sein Leben und Leiden in Frankreich während des zweiten Weltkrieges und weiter bis 1949 ist ein sehr beeindruckendes Werk, das man gelesen haben sollte. Es ist ein Leseerlebnis der besonderen Art, das noch lange nachklingt, nachdem die letzte Seite umgeblättert worden ist.
„Moritz Scheyer (1886-1949) war ein rumänischstämmiger jüdischer Schriftsteller und Journalist, der in Wien aufwuchs. Seit 1914 arbeitete er als Theater-, Literatur- und Musikkritiker für das „Neue Wiener Tagblatt“. Scheyer vröffentlichte zahlreiche Bücher. Im August 1938 flüchtete er nach Frankreich, wo er 1949 in Belvés (Dordogne) starb.“ So Klappentext.
Der Bericht fängt mit der Beschreibung von Wien kurz vor dem „Anschluss“ Österreichs in 1938 an Hitler Deutschland an, fährt mit den Zuständen während dieser Zeit fort, dann folgt Paris, da Scheyer Wien verlassen musste und letztlich Südfrankreich. Diese bedrohliche Atmosphäre in Wien und die der befremdlichen Frivolität und Nonchalance der Pariser Gesellschaft, die breitwillige Geschäftemache mit der neuen Macht während des „Sitzkrieges“, die Versuche, den Unfug schön zu reden, die chaotischen Zustände während der Flucht aus Paris in Richtung Süden uvm. All die Geschehnisse sind so unmittelbar und zum Greifen nah geschildert worden, dass man voll darin versinkt und den Eindruck hat, man wäre selbst dort zusammen mit dem Autor dabei: Man sieht all den Wahnsinn der Nazis, man geht mit Scheyer zusammen in KZ in Südfrankreich und erlebt all das mit, was er in seinen Aufzeichnungen so bildhaft und eindringlich schildert. Scheyer beschreibt auch den sozialen Abstieg, diese rasche Entwicklung der Abwärtsspirale entlang: Da war man ein angesehener Literat und Journalist in Wien, schon muss man fliehen, wird wie ein Unmensch behandelt, als ob man Schlimmes getan hätte, dabei der einzige Grund, dass er Jude war.
Die Kapitel sind kurz, was stets dazu verleitet, immer weiter zu lesen und noch ein nächstes und übernächstes Kapitel aufzuschlagen. Da braucht man keine frei erfundenen Thriller. Hier ist alles dabei: Spannung, Horror, Morde uvm, aber auch Familienleben, Familienzusammenhalt, die Güte einiger Menschen trotz allem, etc.
Es ist toll geschrieben: gekonnt wie talentiert mit guter Prise schwarzen Humors, denn ohne könnte man all dies nicht ertragen. Blankes Überleben war die erste Priorität. Ach Scheyers scharfsinnige Analysen der Situation, des menschlichen Verhaltens ggü der neuen Macht, sein Blick auf die Politiker in oberen Machtetagen, er hat sie prima aufs Korn genommen, beeindrucken genauso wie seine unter die Haut gehenden Schilderungen der Zustände dieser Jahre.
Das Manuskript war lange Zeit verschollen. Erst in 2015 wurde die Kopie im Nachlass von Stiefenkel Scheyers Peter N. Singer entdeckt. „… doch wächst sein Bericht über das dokumentarische Zeugnis hinaus, wird zum Werk eines feinfühligen Literaten…“, sagt der Klappentext. So sehe ich es auch. Es ist ein ganz besonderes Leseerlebnis.
Das Nachwort von Peter N. Singer auf etwa 50 Seiten ist auch sehr lesenswert. Singer erzählt die Geschichte Scheyers aus seiner Perspektive. So erfährt man u.a., was nach dem Tod Scheyers passierte und warum sein Werk so lange auf die Veröffentlichung warten musste.

Das Buch ist sehr schön gestaltet, perfekt als Geschenk: Festeinband in Dunkelrot, Lesebändchen in Hellgrau, passend zur Grundfarbe des Umschlagblattes. Vorn und hinten gibt es farbige geographische Karte, die Frankreich 1942 mit all den Besatzungs- und anderen Zonen abbildet und die Fluchtroute und den Aufenthaltsort Scheyers gut nachvollziehen lässt. Es gibt auch viele schwarz-weiß Fotos, die Scheyer, seine Frau, andere Personen, die im Manuskript auftauchen, abbilden und so das Ganze noch nähr erleben lassen.
Fazit: Ein tolles, sehr lesenswertes Werk! 5 Sterne!

Bewertung vom 10.01.2018
Zwischenwelten
Owen, Adrian

Zwischenwelten


ausgezeichnet

Zwischenwelten von Adrian Owen habe ich gern gelesen und kann das Buch auch gut weiterempfehlen.
Klappentext beschreibt den Inhalt sehr treffend.
Man bekommt Einblicke in die Arbeit der Neurowissenschaftler mit den Wachkomapatienten, die an schweren Hirntraumata leiden. Entgegen der weit verbreiteten Meinung, dass Komapatienten nicht wahrnehmungsfähig sind, beschreibt Owen Fälle aus seiner Praxis basierend auf über 20 Jahren Erfahrung, dass oft gerade das Gegenteil den Tatsachen entspricht. Solche Patienten können durchaus bei Bewusstsein sein, sie können sich aber nicht auf die übliche Weise mitteilen. Owen berichtet von seinen Experimenten und Lösungen, die es ihm und seinem Team ermöglicht haben, mit Wachkomapatienten zu kommunizieren.
In seltenen Fällen konnten sie sich auch soweit erholen, dass sie ein fast normales Leben wieder führen konnten. Sie erzählten, wie sie sich fühlten, als sie im Wachkomazustand verweilten, was sie von der Welt um sie wahrnehmen konnten, wie schrecklich es bei manchen zuging, da sie fälschlicherweise für hirntot gehalten wurden, da sie den üblichen Händedrucktest nicht bestanden haben. Sie konnten aber alles verstehen, was um sie herum geschah, v.a. belastend war es für sie, dass sie wie ein Stück Fleisch behandelt wurden, dass niemand mit ihnen sprach, nur eben schnell die Pflege zukommen ließ und verschwand. Es gab auch andere Fälle, bei denen die Wachkomapatienten sehr liebevoll von ihren Partnern gepflegt wurden und mit ihnen kommunizieren konnten. Bloß wissenschaftlich konnte man das nicht nachweisen. Solchen Menschen wollte der Autor u.a. ihre Stimme geben und das ist ihm sehr wohl gelungen. Er erzählt über sie, dessen Leben sich von einer Minute auf die andere schlagartig veränderte. Diese Schicksale können einen einfach nicht gleichgültig zurücklassen.
All diese Dinge sind schön erzählt. Der Ton ist prima getroffen: Sachlich, aber auch sehr menschlich und warmherzig. Das Verhältnis zwischen dem wissenschaftlichen Part und der Unterhaltung ist wohl ausgewogen.
Das letzte Kapitel mit dem Ausblick finde ich sehr spannend. Owen spricht von dem, was bisher erreicht werden konnte und von den neuen Forschungsmöglichkeiten und Anwendungsgebieten, z.B. bei Alzheimer. Er spricht auch von neuen Technologien, die es ermöglichen werden, die Impulse im Gehirn der Wachkomapatienten in die jeweilige Sprache zu übertragen, so könnten solche Menschen ihren Willen mitteilen und den Umgang mit ihnen besser zu gestalten.
Paar Zitate:
„Winifred und Leonard haben uns gezeigt, wie menschliches Bewusstsein gleichsam auf das Leben eines anderen übergreift. Selten können wir und vollständig beschreiben oder verstehen, ohne unsere Beziehungen und unseren Einfluss auf unsere Umgebung einzubeziehen. Was den einzelnen Menschen ausmacht, ist nicht nur sein Gehirn, es sind auch seine Erinnerungen, Gefühle, Haltungen und Meinungen, die auf andere abfärben. Und selbst nach dem Tod kann ein Mensch das Leben seiner Hinterbliebenen weiterhin prägen und beflügeln.“ S. 297.
„.. die Arbeit mit Wachkommapatienten hat mir klargemacht, dass wir eines nicht vergessen dürfen: Allein durch das Sein trägt jeder von uns zum Entstehen des Ganzen bei.“ S. 300.
Das Buch ist schön gestaltet: Festeinband in sehr hellem Grau, Umschlagblatt passt sehr gut zum Inhalt. Die Schrift ist leserfreundlich: nicht zu klein. Inhaltsverzeichnis vorn hilft beim Navigieren im Buch. Hinten gibt es Anmerkungen/Quellen, auf Kapitel unterteilt, enthalten nicht nur Bücher, sondern auch Dokus, Spielfilme, Serien und Webseiten.
Fazit: Ein sehr lesenswertes Buch, das die Forschung der Neurowissenschaftler in Sachen Wachkommapatienten auf sachliche, aber auch warmherzige und unterhaltsame Weise den Lesern nahebringt, dabei einiges über die Kraft der menschlichen Psyche verrät und manche Geheimnisse unseres Bewusstseins lüftet.

Bewertung vom 22.12.2017
Kein Dach über dem Leben
Brox, Richard

Kein Dach über dem Leben


ausgezeichnet

Eine beeindruckende Biographie des Obdachlosen Richard Brox, gekonnt geschrieben von Albrecht Kieser, gründlich recherchiert von Dirk Kästel.

Dirk Kästel ist Journalist und Vorsitzender des Vereins kunst hilft geben für Arme und Wohnungslose in Köln e.V. Er schreibt: „Was Richard mit erzählte, war so unfassbar, dass ich schon früh dachte, diese Lebensgeschichte müsste eigentlich in Buchform festgehalten werden. Um anderen Menschen auf der Straße Mut zu machen und in der Gesellschaft Vorurteile wie ‚Obdachlose sind doch selber schuld‘ abzubauen.“ S. 266.

Mit diesem Buch ist es sehr gut gelungen. Geschichten aus dem Leben von Richard Brox gehen unter die Haut. Sie sind nicht nur mutig, ehrlich und authentisch, sie zeigen einen hochintelligenten Mann, der sich treu geblieben, seinen Weg auf den Straßen Deutschlands gegangen war.

Richard Brox hat 30 Jahre auf der Straße verbracht. Mit 21 wurde er nach dem Tod seiner Mutter obdachlos. Dem Sozialamt war die zweieinhalb Zimmer Wohnung zu groß für einen Alleinstehenden. Gerichtsvollzieher, mithilfe von Polizei und Räummännern, schmiss ihn aus der elterlichen Wohnung. So fing sein Weg ohne Dach über dem Leben, wie Titel es so treffend zum Ausdruck bringt.

Richard gibt zu, er war schon mit dreizehn „ein Flüchtender“: oft auf der Straße, schlief, wo es gerade möglich war. Keine Freundschaften, keine emotionale Bindung. So wurde bald kokainabhängig. Mit 28 wurde er wieder clean. Diese Geschichte, auf nur paar Seiten erzählt, ist sehr beeindruckend. „..ich hatte gelernt, auf eigenen Füßen zu stehen. Ohne Halt an Kokain und Alkohol zu suchen. Was für ein großartiger Erfolg.“ S. 52.

Richard hatte durchaus andere Probleme, die ihn fest im Griff hatten und ihn weder sesshaft noch ein guter Vater werden ließen, weder für eigene noch für Kinder der Frauen, mit denen er mal paar Wochen zusammengelebt hatte, denn er selbst hatte kein besonders positives Vorbild aus eigener Kindheit mitnehmen können. Er war nicht imstande, das zu geben, was ihm selbst als Kind kaum gegeben wurde.

Viele Aushilfsjobs hatte er im Laufe seines Lebens erledigt: „Das gehört zu den schönen Seiten des Berberlebens: Du kommst nicht nur in Regionen, in die du als Sesshafter nie gelangen würdest, du setzt dich auch Situationen aus, in die du sonst nie geraten wärst.“ S. 83.

Es gab auch viele Begegnungen anderer Art: Ungerechtigkeit, Willkür der Beamten, Gefahr, Gewalt, Tod. Alles war dabei.

Sein Schachspiel beeindruckte viele. Einige gute Schachspieler konnte er schlagen.

Sein Lebensprojekt, der online-Ratgeber für Menschen, die auf der Straße leben (müssen), das eine große Anzahl an Obdachloseneinrichtungen beschreibt und auf deren Vorzüge und Nachteile eingeht, ist eine große Hilfe für die Menschen in Not und erfreut sich großer Beliebtheit.

Die Geschichten aus dem Leben von Richard Brox zeigen auch deutlich, dass es auch an dieser Gesellschaft, v.a. ihrer neoliberalen wirtschaftspolitischen Ordnung liegt, dass es immer mehr Obdachlose gibt, alle Bildungsschichten und Berufsstände sind dabei vertreten, schätzungsweise 335.000, mit dem Sprung von 2012 bis 2014 auf 18%, so Günter Wallraff im Vorwort.

In der Hinsicht ist es auch ein gesellschaftskritisches Buch, dem ich auch viele Leserinnen und Leser wünsche. 5 wohl verdiente Sterne und eine klare Leseempfehlung. Dieses Buch ist eine wahre Bereicherung. Unbedingt lesen.

Bewertung vom 19.12.2017
Verschwörung in der Camargue (eBook, ePUB)
Holbe, Daniel; Tomasson, Ben

Verschwörung in der Camargue (eBook, ePUB)


gut

Die Buchbeschreibung hörte sich verlockend an. Zum Teil wurden meine Erwartungen erfüllt. Der versprochene religiöse Fanatismus, im christlichen Glauben, und eine geheime Bruderschaft in der Camargue waren gut präsent und haben ihr Unwesen getrieben. Capitaine Jaques Maillard von der örtlichen Polizei hat die Ermittlungen geleitet. Ihm zur Hand stand die britische Archäologin Meredith Bedford. Nachdem ihr Mentor Philippe Clairvaux ermordet wurde, leitete sie die Ausgrabungen in der Krypta der alten Kirche von Les-Saintes-Maries-de-la-Mer in der Camargue, um ein altes Geheimnis zu lüften.
Im Grunde wurden viele Zutaten für einen spannenden, süffigen Krimi voller Lokalkolorit aufgetischt, meine Begeisterung aber hielt sich, insb. zum Schluss, sehr in Grenzen.
Bis zu zwei Dritteln ging es noch, wobei mich das sprachliche Unvermögen und die wenig kunstfertige Einführung der Figuren nicht gerade erfreuten: zu viel „war“ hatte mein Lesevergnügen doch deutlich getrübt. Die Art, wie die Hauptfiguren vorgestellt wurden, erschien mir zu amateurhaft, zudem schaute es wie Abklatsch aus Bestsellern anderer Autoren aus, mit kleinen Veränderungen hierher verfrachtet.
Auf Religions- und Geschichtsunterricht sollte man sich einstellen, wenn man sich entscheidet, diesen Krimi zu lesen. Diese Einlagen wurden in regelmäßigen Abständen verabreicht und sind z.T. zu lang, um den Leser nicht zu langweilen. Diese historisch-geschichtlichen Ausführungen waren noch das Spannendste vom Ganzen. Der Konflikt zwischen der offiziellen katholischen Kirche in Rom und anderer Glaubensrichtung, die Südfrankreich als Wiege des wahren Glaubens ansieht, ist gut zur Geltung gekommen. Manche Bruderschaftaktivisten haben da ein recht überzeugendes Bild abgegeben.
Dagegen konnten viele übrige Figuren und ihre Lebensgeschichten leider nicht punkten. Besonders Frauen waren wenig glaubhaft. Die Autoren scheinen keinen Bezug zu ihnen gehabt zu haben. Frauen wurden oft vom allwissenden Erzähler erklärt. Und ich hatte meine liebe Mühe, dem Gesagten meinen Glauben zu schenken. Im Übrigen waren sie mir leider wieder als Abklatsch aus schon mal gelesenen Bestsellern vorgekommen.
Dasselbe gilt für die Handlung, insb. im letzten Drittel. Haltlose Bombasterei zwecks Eindrucksschinderei, was natürlich auf Kosten der Glaubwürdigkeit geht, hat mir die Lust am Lesen gänzlich vergällt. Mit Glaubwürdigkeitsfragen hatte ich auch in der gesamten Länge zu kämpfen. Die Handlung und die Motive erschienen mir leider zu konstruiert. Die Stoffdarbietung war leider auch oft voll von Fertigfrei (alles bis ins Kleinste erklärt und auf silbernem Tablett serviert): man brauchte nur zu schlucken. Mochte ich leider nicht. Schmeckte mir nicht.
Dass einer der Autoren Camargue persönlich kennt, ließ sich deutlich beim Lesen wahrnehmen. Die entspr. Beschreibungen der Landschaften, Geschichte und Gebräuche sind sehr gelungen: atmosphärisch und überzeugend.

Das Cover passt nicht zum Inhalt. Es ist zwar schön dynamisch, hat aber mit diesem Krimi nichts zu tun.

Fazit: Sehr viel gewollt, deutlich weniger gekonnt. Vieles in der Handlung und Figuren liest sich leider wie abgeschrieben von bekannten Bestsellern, nur etwas abgewandelt, oft unglaubwürdig, mit hölzernen Figuren, eher klobigen Frauenrollen. Stilistisch unsicher. Insg. leider eher amateurhaft. Drei Sterne mit viel Wohlwollen.

Bewertung vom 11.12.2017
Lévi-Strauss
Loyer, Emmanuelle

Lévi-Strauss


ausgezeichnet

Diese Biographie (Bio) habe ich gern gelesen. Sie ist etwas Besonderes. Nicht nur weil es um einen außerordentlichen Wissenschaftler geht. Auch die Art, wie sie geschrieben wurde, ist auf jeden Fall bemerkenswert. Emmanuelle Loyer ist sehr gut gelungen, das Wesen von Claude Lévi-Strauss (CLS), seine Art, seinen Gedankengut, seine Arbeit, seine Bücher, uvm. den Lesern näher zu bringen.
Diese Biographie weist ein recht hohes Niveau auf. Im Wesentlichen ist diese Bio chronologisch aufgebaut, aber insb. zum Schluss eher nach Themen, sodass man mal in den Zeiten springt. Aber das ist gerechtfertigt.
Sein Werdegang ist faszinierend, weit davon entfernt, gradlinig und von Kindesbeinen an auf nur ein vordefiniertes Ziel ausgerichtet zu sein. Sein Vater ist Künstler, Maler. Claude wuchs entspr. nach dem humanistischem Vorbild auf, studierte zunächst Philosophie und unterrichtete diese. Dann reiste er nach Brasilien und besuchte auf mehreren Expeditionen die indigenen Völker. Dies hat ihn dazu bewegt, Anthropologe zu werden, der sich und der Welt diese Menschen, die Vielfalt ihrer Kulturen, ihre Eigenart, etc. mithilfe von Strukturalismus zu erklären suchte. Nach der Epoche des Strukturalismus, die paar Jahrzehnte gedauert hatte, wendete er sich der Mythologie der Völker und versuchte auf diesem Gebiet, gemeinsame Nenner zu finden und diese zu erklären. Danach widmete er sich der Ästhetik, bereiste Japan und lernte die eigenartige Kultur dort kennen. Insb. in der zweiten Hälfte seines Lebens und zum Schluss erwies er sich recht unkonventionell, oft kontrovers zur öffentlich angenommenen Meinung in seinen Urteilen und offenherzig in seinen Äußerungen. Dies hat ihm noch mehr Aufmerksamkeit gebracht, aber da er hatte schon längst den Status einer Kultfigur im In- und Ausland erreicht.
Es gibt viele Zitate aus seinen Werken, aus seiner Korrespondenz, auch der seiner Gefährten und u.a. Kontrahenten und schlicht anderen Denkern, die stets wunderbar das Gesagte beleuchteten.
Die Vielfalt an Themen und Blickwinkeln der Betrachtung ist schier überwältigend. Man lernt nicht nur CLS, sondern seine Kollegen und Weggefährten kennen, u.a. was LAS war, wie dort gearbeitet wurde, welche persönlichen Beziehungen seine Mitarbeiter untereiander pflegten, Werdegang und Rolle seiner Mitarbeiter bei der Arbeit der LAS, welche Rolle CLS selbst dabei spielte, wie er sich um seine Leute kümmerte, welche Bücher er z.Zt. schrieb, uvm.
Auch die Höhen und Tiefen seiner Karriere, wie auch seines Privatlebens, sind eingehend beleuchtet worden, z.B. dass er oft nicht verstanden und gar verklärt wurde, da er nicht viel reden mochte. Eine klassische Uni-Karriere schien anfangs unmöglich, die zweite Frau weg. Er ging aber unbeirrt seinen Weg und hinterließ trotz aller Widrigkeiten ein beachtliches Erbe, das die Wissenschaft und das Selbstverständnis der Menschen noch heute prägt.
CLS schrieb gern Bücher: 22 Titel sind im Anhang aufgelistet, die sich zwar kaum an breites Publikum richten, da recht anspruchsvoll, wurden aber stets gut verkauft, auch im Ausland, und in diverse Sprachen übersetzt.
Es gibt auch Fotos, manche sehr ausdrucksstark: nach Teil II, die CLS in seinen jungen Jahren, seine Mutter, seine zweite Frau mit Sohn Laurent als Baby zeigen, und nach Teil III. Dort bilden die Fotos CLS in seinen reifen Jahren ab, auch seine vier Masken aus Britisch Columbia sind dabei, alles in schwarz-weiß, auf dem gleichen Papier wie der Text.
Fazit: Eine außergewöhnliche, beeindruckende, anspruchsvolle Biographie von Claude Lévi-Strauss, eines herausragenden Wissenschaftlers, Schriftstellers, Humanisten, Ästheten.
Wenn man eine spannende Persönlichkeit auf diesem Wege kennenlernen möchte, ist man hier an der richtigen Adresse. Gut möglich, dass man dann auch den Wunsch verspürt, die Werke von CLS zu lesen. Die gibt es auch auf Deutsch.

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